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AMORE E VINO VILLA LIVERZANO, BRISIGHELLA, EMILIA-ROMAGNA
«AMORE E VINO»
EINE LEBENSGESCHICHTE
Man weiss nicht recht, womit man bei der Geschichte anfangen soll: Mit diesem wundervollen Flecken Italiens, bei den Besitzern desselben – oder beim Wein. Sicher ist: Alle drei gehören untrennbar zusammen.
Schlanke Zypressen recken sich in den blauen Himmel, Olivenhaine und Weinberge schmiegen sich an wildromantische Hügel, Vögel zwitschern fröhlich von den blühenden Bäumen und eine warme Brise streichelt meine Haut – fast scheint es, als hätte der liebe Gott seine Hand im Spiel gehabt, als diese herrliche Gegend entstand. «Ich habe mich sofort verliebt», schwärmt Marco Montanari. Ich kann ihm nur beipflichten. Zum wiederholten Male verbringe ich ein paar Tage in der bezaubernden Emilia-Romagna, genauer gesagt in Brisighella, bei Marco Montanari und Renata Zantedeschi in ihrer Villa Liverzano. An die erste Begegnung mit Marco erinnere ich mich noch genau. 2002 hatten gemeinsame Freunde von uns das auf der anderen Talseite liegende Weingut La Collina von ihm erworben. Bei einem meiner Besuche auf La Collina lerne ich Marco – der ursprünglich (wie ich) aus Baden stammt – kennen. Er ist dabei, eine verfallende Villa zu restaurieren und lädt uns spontan zu einer Stippvisite ein. Ein grosses Unterfangen, denke ich mir damals, denn der Zahn der Zeit nagt überall an der Villa aus der Spätrenaissance, und ihre einstige Schönheit lässt sich nur noch erahnen. Zufall (oder doch Bestimmung?) sei es gewesen, als er 2002 mit seinem Leichtflugzeug über Brisighella einige Runden drehte und diese Villa auf einem Kalksteinfelsen entdeckte. Schicksal war es, dass die Villa zum Verkauf stand. Als er ein Angebot zum Kauf seines Weingutes in der Toskana erhält, zögert er nicht lange. Ironie des Schicksals: Das neu entdeckte Gut heisst Liverzano, dasjenige in der Toscana Livernano! Die Tatsache, dass er wieder bei Null anfängt, kümmert den damals 52-jährigen Visionär nicht. Schliesslich hat er es schon einmal geschafft, ein «pied-à-terre» aufzubauen. Text: Karin Schmidt
Von der Toskana in die Emilia-Romagna
Pilot, Arzt oder Agronom will Marco als kleiner Bub werden. Er absolviert ein Medizinstudium, praktiziert in Zürich als Zahnarzt und macht den Pilotenschein. Nach einer dreijährigen Weltreise auf seinem Segelschiff – Segeln ist eine Leidenschaft, die er auch mit Renata teilt – träumt er davon, Weingut, Hotel und Zahnklinik unter einen Hut zu bringen; am liebsten in Italien oder in Südfrankreich. Anders als viele Träumer kauft Marco Ende der Achtzigerjahre einen verfallenen Weiler bei Radda in Chianti und erweckt diesen nach jahrelanger Bauzeit (Erhalt der ursprünglichen Architektur bei gleichzeitiger Schaffung allen möglichen Komforts) wieder zum Leben. Gleichzeitig beginnt er aus den ersten neu gepflanzten Rebbergen Wein zu produzieren, holt sich einen Top-Önologen und bringt es mit seinen erst jungen Weinen bereits zu höchsten Auszeichnungen: z.B. «Tre Bicchieri» (drei Gläser) in der italienischen Weinbibel «Gambero Rosso». Dazu betreibt er erfolgreich einen Agriturismo. Nur mit der Zahnklinik klappt es aus politischen Gründen nicht. Als eine Erweiterung der Rebberge ansteht, wird es Zeit für eine Veränderung: Villa Liverzano und die Liebe kommen ins Spiel.
Gepaarte Kreativität
2001 erhält Marco einen Brief von Renata – die er bereits aus der Schweiz kennt – in dem sie ihn fragt, ob sie für ein Timeout auf dem Weingut mithelfen dürfe. Ein halbes Jahr will sie bleiben, 15 sind inzwischen daraus geworden – mit Verdacht auf Verlängerung. «Zusammen sind wir ein kreatives und konstruktives Team, wir ergänzen uns auf per-
fekte Weise», schwärmt Marco von seiner 19 Jahre jüngeren Partnerin. 2003 starten sie gemeinsam in Brisighella durch, gestalten unisono die Weinetiketten und die Homepage und meistern die herausfordernden, insgesamt sechs Jahre dauernden, Umbauarbeiten der Villa Liverzano. Mit viel Liebe zum Detail, nach streng ökologischen Aspekten und mit enormem persönlichem Einsatz verwandeln die beiden das Gut sorgfältig in einen «Agriturismo», ein Weingut und eleganter Rückzugsort mit neun individuell gestalteten Zimmern – jedes für sich eine Augenweide. Wunderschön und mit Sorgfalt restauriert sind die antiken Malereien in den Zimmern «Perla», «Liberty» und «Don». Vor zwei Jahren kommt die «Limonaia» hinzu, ein zweistöckiges Hideaway in der ehemaligen Orangerie, unterhalb des italienischen Gartens. Auf synthetische Farben wird verzichtet, alle Innenräume sind mit durch Naturpigmente gefärbten mineralischen Kalkputzen überzogen. Planung, Farbwahl und Auswahl der Möbel haben Marco und Renata persönlich übernommen. Der klosterförmig angelegte ehemalige Gutsherrensitz besteht aus einer herrschaftlichen Villa und einer Kapelle mit Wirtschaftsgebäuden aus dem 16./17. Jahrhundert. «Mit dem «grossen Chef» da oben habe ich eine Abmachung getroffen», erzählt Marco augenzwinkernd und fügt schelmisch hinzu: «In unserer Kapelle werden hauptsächlich Musik gehört, Filme angeschaut und geistige Fortbildung aller Art angeboten.»
Der perfekte Rückzugsort
Seit Beginn ist Liverzano ein Geheimtipp – und ich Gast der ersten Stunde. Vornehmlich Besucher aus der Schweiz, Deutschland, Österreich und aus dem Umfeld von Marco und Renata schätzen die einma-
Eine Stadt wie aus dem Bilderbuch
Das «Öldorado» Brisighella, offiziell eines der «schönsten Städtchen Italiens», liegt inmitten von Olivenhainen und Weinkulturen im Regionalpark Vena del Gesso. Der verdankt seinen Namen einer etwa 20 km langen Karstformation, die tatsächlich als eine weiss-graue Gipsvene aus dem grünen Hügelland hervortritt. Auf drei Felspornen, welche die Stadt im Tal des Lamone überragen, wachen ein auf alten Grundmauern hochgezogener Uhrenturm aus dem 19. Jahrhundert, ein wehrhaftes mittelalterliches Kastell und die Wallfahrtskirche Santuario del Monticino (19. Jh.) über die von bunt getünchten Häusern gesäumten Gassen und Plätze. In dieser romantisch-mediterranen Kulisse geht es zwar recht beschaulich, aber keineswegs verschlafen zu. Einladende Geschäfte und Gasthäuser verkaufen und verkosten hier zumeist nachhaltig produzierte landwirtschaftliche Produkte, darunter das preisgekrönte lokale Olivenöl und Wurstwaren aus dem Fleisch der Mora Romagnola, einer freilebenden, schwarzen Schweinerasse. Daneben geniessen die Kiwis, Pfirsiche, Aprikosen und violetten Moretti-Artischocken aus Brisighella überregional einen guten Ruf. Das mittelalterliche Historienspektakel im Mai/Juni (www. festemedioevali.org) ist nur eines von unzähligen Festen in Brisighella, das auf zahlreichen «sagre» seine landwirtschaftlichen Produkte zeigt. Dass dabei der in der Umgebung gekelterte rubinrote Sangiovese oder weisse Albana ins Glas kommt, versteht sich fast von selbst.
lige Atmosphäre inmitten der jahrhundertealten Bäume, Olivenhaine, Weinberge und des Naturparks, die das Gut und den italienischen Garten umrahmen. Einen Wegweiser sucht man vergebens und auch das Navi ist hier keine Hilfe. «Die meisten unserer Gäste wissen, wo wir zu finden sind. Und notfalls erklären wir den Weg telefonisch», sagt Marco. «Wer die Villa Liverzano kennen, schätzen und vielleicht sogar lieben gelernt hat, ist unser bester Botschafter.» Aus diesem Grund ist die Villa auch auf keinem Buchungsportal zu finden. «So stellen wir sicher, dass auch nur die Gäste kommen, die das Besondere und diese Abgeschiedenheit suchen», ergänzt Renata. «Es soll ein Paradies der Ruhe, Ästhetik und des Genusses bleiben.» Für das Letztere ist die EmiliaRomagna schliesslich weltbekannt: Kulinarische Spezialitäten wie Parmaschinken, Aceto Balsamico aus Modena und die besten handgemachten (gefüllten) Teigwaren stammen aus dieser Gegend. Aus diesem Grund bietet die Villa Liverzano ihren Gästen auch «nur» Bed and Breakfast-Service: Im Umkreis von wenigen Kilometern lassen sich erstklassige Restaurants entdecken. Die besten Adressen und Ausflugstipps erfährt man von Marco und Renata aus erster Hand. Wer nicht nur essen oder trinken will, findet ebenfalls ein reichhaltiges Angebot: Naturliebhaber, Velo- und Töfffahrer, Wanderer und Golfer sind hier perfekt aufgehoben. Die bekannten Adria-Strandbäder Rimini, Cervia und Cesenatico sowie die Städte Faenza, Ravenna, Bologna, Imola und Florenz sind nur wenige Kilometer entfernt. Meine absolut persönlichen Highlights sind das von der Gastgeberin mit viel Liebe zubereitete europäische Frühstück und die Abende, an denen man mit den anderen Gästen zuerst beim Apéro an der Bar und später an der grossen Tafel zusammensitzt und die herausragende Gastfreundschaft von Renata und Marco geniesst. Auf Voranmeldung zaubert eine externe Köchin regionale Köstlichkeiten auf den Tisch. Marco kredenzt dazu seine wundervollen Rebensäfte und fachsimpelt über seine Leidenschaft zum Wein. Genau diese Momente sind für mich «Dolce Vita» pur, wie man es eben nur in Italien erlebt!
Einmalige Terroirs
Hauptzweig ist allerdings der Weinanbau, bei dem der Mediziner auf biologischen Anbau setzt. Trends interessieren Marco Montanari nicht. Er kreiert sie lieber selbst. Auch deshalb zog es ihn, während die toskanischen Weinbauernkollegen nach Süden in die Maremma expandierten, entgegengesetzt in die Emilia-Romagna. Alte, sandige, karstige Kalkböden sorgen dort für elegantere, lieblicher strukturierte Weine. Mit Liverzano und seinen tollen Terroirs findet Montanari schliesslich, was er suchte. Unermüdlichen Pionieren wie ihm ist es zu verdanken, dass es neben den herausragenden Olivenölen in der Region mittlerweile auch grandiose Weine gibt. Seine Rebberge mit einer hohen Stockdichte von rund 7000 Pflanzen pro Hektare, bepflanzt der Autodidakt mit neuen Kreuzungen sowie anbaugebietsfremden Sorten wie Merlot oder Cabernet Franc, Carménère und neuen Sangiovese-Klonen.
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Topweine auf kleinem Raum
Nur gerade 3,5 des insgesamt 33,5 Hektar grossen Anwesens sind Weinberge, die auf einem sandigen Gipsmassiv mit kleinem Lehmanteil stehen. Dank der perfekten Südausrichtung, der Steillage und der mittleren Höhe von 380 m ü.M. sind die Weinberge auf natürliche Weise schädlingsarm. Die Produktion beläuft sich auf rund 15000 Flaschen pro Jahr. Marco bewirtschaftet die Rebberge zertifiziert biologisch. «Sogar vegan sind meine Weine, da sie mit keinen tierischen Produkten in Kontakt kommen. Aus optischen Gründen kennzeichne ich es aber nicht», erklärt der Winzer. Getreu der alten Weisheit «Guten Wein gibt es nur aus guten Trauben», erntet er nur geringe Erträge und vinifiziert ausschliesslich erste Qualitäten. Das zahlt sich aus: Seine Kunden – ungefähr 70 Prozent davon Weingeniesser aus der Schweiz, die
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1 Mit viel Liebe und persönlichem Einsatz der Besitzer wundervoll restauriert: Die Villa Liverzano bei Brisighella. 2 Ein Powerteam: Renata Zantedeschi und Marco Montanari.
3 Gediegen: Im Zimmer «Perla» schläft man im goldverzierten Himmelbett unter antiken Malereien.
4 Als ehemaliger Tafelsaal der Familie ist das Zimmer «Liberty» der grösste und höchste Raum der Villa mit Malereien im Liberty-Stil.
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es schätzen, dass sie innovative, individuelle, elegante, stilvolle und sehr bekömmliche Weine erhalten können – sind begeistert von Don, Rebello und Co.
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Wer rastet, der rostet
Kennt man den 66-Jährigen, erstaunt es nicht, dass er es so weit gebracht hat. Stehenbleiben scheint ihm ein Fremdwort zu sein. Obwohl er es künftig etwas gemütlicher angehen möchte, wie er mir kürzlich verriet, schmiedet er weiter Expansionspläne, sucht Land für neue Rebbepflanzungen und baut momentan eine komplett neue, moderne, halb unterirdische Kellerei. Vor zwei Jahren besuchte Martin Ammann, ein gleichaltriger Bekannter aus Aarau, die Villa und war derart begeistert von dem Anwesen, dass er Marco eine Partnerschaft anbot. So getan, wird das Unternehmen nun zu dritt geführt und der Elan für die Zukunft ist weiter angestiegen. Und mit Schüwo Trink-Kultur in Wohlen (www.schuewo.ch) haben sie im Januar einen neuen Importeur für die Schweiz gefunden. Dass sie mit der Familie Schürmann und ihrem überaus freundlichen und motivierten Team einen perfekten Vertriebspartner gefunden haben, davon ist Marco überzeugt: «Das ganze Schüwo-Team freut sich riesig, unsere Weine vertreiben zu dürfen.» So dürfen wir also gespannt sein auf weitere Geschichten des ruhelosen «Don», den ein bewegter Lebenslauf von Baden bis nach Brisighella geführt hat.
www.liverzano.it
DIE WEINE
Rebello
Vinifiziert aus 50% Sangiovese und 50% Merlot
Don
Vinifiziert aus 50% Cabernet Franc und 50% Carménère
Donna
Vinifiziert aus 85% Merlot und 15% Petit Verdot
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Die Weine der Villa Liverzano erhält man bei:
SCHÜWO Trink-Kultur 5610 Wohlen www.schuewo.ch
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