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DAS EISHOCKEY-GENIE IN DER HAUPTSTADT DER COUNTRYMUSIK
Der Berner ROMAN JOSI schreibt in der Musikhauptstadt Nashville Eishockeygeschichte. Die Amerikaner loben den Verteidiger in den höchsten Tönen, seine Nachbarin ist ein Superstar des Pop. Was macht den Schweizer Hockeyspieler so erfolgreich?
Eishockey in Nashville – das ist wie Countrymusik auf dem Mond. Irgendwie deplatziert. Die Menschen tragen Cowboyhut und Stiefel, die Bars heissen «Red Door Saloon», «Robert’s Western World» oder «Gold Rush». Die Musik spielt am Lower Broadway. Und im Centennial Park steht ein originalgetreuer Nachbau des Parthenons. Darin befindet sich eine 13 Meter grosse Athena-Statue –die angeblich grösste Skulptur der westlichen Welt.
Weltgeschichte muss in Tennessee, tief im republikanischen Süden der USA, reproduziert werden. Eishockeygeschichte schreibt hier ein Gastarbeiter aus Bern:
Roman Josi, 29-jähriger Verteidiger der NHL-Organisation Nashville Predators. Mit 61 Punkten in der Regular Season stellte Josi schon vor vier Jahren einen neuen Klubrekord für Verteidiger auf. Im vergangenen Winter steigerte er diesen Wert nochmals. Vor allem in der Weihnachtszeit war seine Ertragsquote schlicht phänomenal. Zwischen dem 16. Dezember und dem 6. Januar kam er auf 18 Skorerpunkte. Als erst achter Verteidiger in den letzten 20 Jahren punktete der Berner in mindestens zehn aufeinanderfolgenden Spielen. Sein Arbeitgeber hatte den Wert des Schweizers schon im vergangenen Oktober quasi in Stein gemeisselt und Josi vorzeitig für weitere acht Jahre an sich gebunden. Dafür erhält der Berner bis 2028 rund 72 Millionen Franken – oder neun Millionen pro Saison. Gleichzeitig garantieren die Predators, dass sie Josi während der gesamten Vertragsdauer nicht transferieren werden: ein Schwur für die Ewigkeit in einer Branche, in der das Wort von heute schon morgen oft nichts mehr zählt. Die Fachwelt ist sich nicht nur deshalb bereits heute einig: Eher früher als später wird Josi mit der James Norris Memorial Trophy für den besten Verteidiger der Liga ausgezeichnet. Dass er im Januar 2016 als zweiter Schweizer nach Mark Streit fürs
All-Star-Game nominiert worden war, hob ihn quasi in den Adelsstand. «Roman gehört zu den zehn besten Verteidigern der Welt», sagt der frühere Schweizer Nationalspieler und heutige ZSC-Sportchef
Sven Leuenberger. Als Nachwuchstrainer beim SC Bern verfolgte der Uzwiler Josis Karriere praktisch vom ersten Schlittschuhschritt an. «Seine aussergewöhnlichen Veranlagungen waren schon in jungen Jahren deutlich sichtbar», erinnert sich Leuenberger, «vor allem die Ruhe am Puck, die Übersicht und Abgeklärtheit hoben ihn von der breiten Masse ab.»
Josis Scouting-Report durch die kanadische Eishockey-Gazette «The Hockey News» liest sich wie das Prädikat summa cum laude für eine Dissertation: «Roman Josi hat eine grossartige Puck-Behandlung, herausragende läuferische Eigenschaften und gerät praktisch nie in Panik. Ausserdem verfügt er über ordentliche körperliche Voraussetzungen für die NHL. Er ist ein sehr produktiver Spieler und kann gewaltige Einsatzzeiten verkraften.»
FÜR ZSC-SPORTCHEF
Sven Leuenberger Geh Rt
ROMAN JOSI ZU DEN ZEHN BESTEN VERTEIDIGERN DER WELT.
Die Bezeichnung «ordentlich» ist in Josis Fall eine amerikanische Untertreibung. Mit einer Grösse von 185 Zentimeter und einem Gewicht von 88 Kilogramm müsste sich der Schweizer auch in einem Schwingkeller nicht verstecken.
Bei allen Superlativen und Huldigungen steht Roman Josi mit beiden Beinen auf dem Boden. Amerikanische Kollegen bezeichnen ihn als «down-to-earth guy». Journalisten aus der Schweiz empfängt er mit offenen Armen, nimmt sich Zeit für eine persönliche Stadtrundfahrt und gibt Tipps für Nachtessen und Schlummertrunk. Wo die Grenze zwischen Gastfreundschaft und Unprofessionalität liegt, weiss er jedoch genau: «Den Trainern ist es egal, was die Spieler am Abend machen. Aber die Rechnung ist einfach: Bringst du deine Leistung nicht, dann bist du plötzlich in der dritten Linie – oder nirgendwo mehr. Es warten viele, die deinen Job wollen.» So richtet sich sein Freizeitverhalten vor allem nach dem Spielplan: «Mal geht man in ein Shoppingcenter oder ins Kino. Aber vor allem muss man viel schlafen», sagt er.
Sean Simpson, als Nationaltrainer 2013 Gewinner der WM-Silbermedaille, gilt nicht als Mann der öffentlichen Gefühlsausbrüche. Bei der Beschreibung Josis gerät der Kanadier indes ins Schwärmen: «In unserem Team von 2013 wuchsen alle Spieler über sich hinaus, aber Roman war noch eine Stufe höher.» Das spiegelte sich auch in den persönlichen Ehrungen wider: Roman Josi wurde als erster und bisher einziger Schweizer zum wertvollsten Spieler einer A-WM gewählt. «Roman verfügt über aussergewöhnliche spielerische Klasse. Was ihn aber erst zum uneingeschränkten Leader macht, sind seine menschlichen Qualitäten: Bei allem Erfolg ist er demütig und bescheiden geblieben», so Simpson.
Dabei hätten allein die Anstellungsmodalitäten in Nashville schon früh dazu verleiten können, die Bodenhaftung zu verlieren: Bei den Predators besass Josi schon vor seinem aktuellen Deal einen mit 28 Millionen Dollar dotierten Siebenjahresvertrag. Was 2013 für den damals 22-Jährigen ein Traumgehalt war, wurde von Szenekennern später als «Schnäppchen» für den Klub eingeschätzt. So oder so: Josi betrachtet sein Salär auch als «Lebensversicherung». Nach vier Gehirnerschütterungen weiss er, dass eine Eishockeykarriere schnell vorbei sein kann. Irritiert reagierte seine Grossmutter Gemma in Bern über die Gehaltserhöhung des Enkels. Sie konnte nicht nachvollziehen, dass man mit Hockeyspielen so viel Geld verdienen kann.
Josi ist jung, erfolgreich und lebensfroh. Dies führte schon dazu, dass er in Nashville bei seiner Nachbarin anklopfte, als fröhliche Partyklänge durch die Wände drangen. Der NHL-Star machte sich gewisse Hoffnungen, als Spontangast eingeladen zu werden – und wurde vom Wachpersonal schnöde abgewiesen. Was Josi nicht wusste: Die Besitzerin der Wohnung ist die amerikanische Popsängerin Taylor Swift. Sie hat bereits 170 Millionen Tonträger verkauft und benutzt Eis nur zum Kühlen von Drinks. Doch Josi liess es sich nicht nehmen, ein Konzert seiner Nachbarin zu besuchen, und fand sich in einer neuen Welt wieder: «Ich war der einzige Mann in einer Halle voller vierzehnjähriger Mädchen.»