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EIN SPIEL IM WIND
Hier sass ich oft am Waldesrand, Wenn still und leise durch das Land
Der Frühling kam, die Knospen Schwellten und die Gräser sprossen. Hab oft die heisse Stirn gekühlt
Auf dieser Bank, die lind umspült
Von Fichten und der Buchen Schatten, Den buntgeschmückten grünen Matten.
Hier träumt ich meinen Jugendtraum.
Ein Schloss erstand im weiten Raum, Von hellem Sonnenschein umflossen.
Wie Ströme sich ins Meer ergossen, So wogte der Gedanken Flut Und quoll des Herzens heisses Blut. Und hört ich von des Hauses Stufen
Die Mutter ängstlich nach mir rufen, So hüpft’ ich fort ins traute Heim, Das Lieb’ durchglüht wie Sonnenschein.
Nun sitz ich hier am Waldesrand Nach Jahren wieder. Durch das Land
Seh ich den Spätherbst leise schreiten. Vom Kirchturm kommt ein Glockenläuten. Der Friedhof steht vor mir im Traum,
Ein Hügel wölbt sich über’m engen Raum. Das Elterngrab. Die Trauerweiden Stumm die kahlen Zweige neigen.
Ein Blättchen hängt noch, ein verwaistes Kind, Und wieget hin und her, ein Spiel im Wind.
Da fühl ich, wie sich in mein Herz
Die Wehmut schleicht und banger Schmerz. Die Welt ist fremd, wohin ich komme.
Ein wenig Liebe nur, ein wenig Sonne, Ich wollte dafür dankbar sein.
Lasst an den warmen Herd mich ein, Dass nicht des Herzens Glut verglimme. Die Welt ist kalt, und eine Stimme
Klagt in mir: du bist ein Waisenkind, Wie jenes Weidenblatt, ein Spiel im Wind.
28. Dezember 1913, im dritten blauen Heft