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High Diving: Interview mit dem High Diver Andreas Hulliger
from TM 2 2020
by WEBER VERLAG
«Ich habe ziemlich Schiss vor der Höhe»
Andreas Hulliger springt aus über 20 Metern Höhe mit bis zu 70 km/h ins Wasser. Mit seiner Partnerin Stefanie Linder organisiert der Klippenspringer die Schweizermeisterschaften im High Diving im Strandbad Thun. Ein Gespräch über Mut, den inneren Sauhund und Höhenangst.
Andreas Hulliger, sind Sie ein wenig
verrückt? (lacht) Früher mehr als heute. Man wird auch älter. Aber eine gewisse Crazyness braucht es wohl schon, um diesen Sport auszuüben.
Wie kamen Sie zu dieser Sportart? Ich war schon als kleiner Junge akrobatisch unterwegs und betrieb intensiv Kunstturnen. Durch meinen Bruder kam ich dann zum Wasserspringen und dadurch an den Cliff-Diving-Event in Ponte Brolla. Es hat mich sofort fasziniert.
Was braucht es, um ein guter Klip-
penspringer zu werden? Jahrelanges Basistraining. Optimale Voraussetzungen haben Wasser-, Trampolinspringer oder Turner. Das A und O ist die Orientierung in der Luft.
Sie sind rund 2 Sekunden in der Luft. Was geht einem da durch den Kopf?
Vor dem Sprung geht einem viel zu viel durch den Kopf. Das ist die Kunst, diese Gedanken auszublenden. Während des Sprungs ist es wie ein Autopilot. Man kann es vergleichen mit einem Sturz beim Biken. Da hat man auch keine Zeit zu überlegen, wie man fallen soll. Wichtig ist, dass man den Ablauf des Sprunges verinnerlicht und ihn automatisch abrufen kann.
Welches ist Ihr Lieblingssprung? Ich mag die einfachen, langsameren Sprünge, bei denen man eine lange Flugphase hat, wie zum Beispiel den Vorwärtssalto. Da springt man ab wie in der Cliff-Werbung und hängt am Schluss den Salto dran. Solche Sprünge kann man fast mehr geniessen. Aber wenn ich einen ganz schwierigen Sprung schaffe, für den es viel Mut braucht und die ganzen Endorphine ausgeschüttet werden, ist das natürlich auch ein Highlight.
Sie sprechen nun zum Glück doch noch den Mut an. Ein zentrales Element, oder?
Ja, es ist eine sehr mentale Sportart. 20 Prozent Körper, 80 Prozent Kopf, sagt man. Das fasziniert mich auch so sehr. Man kommt fast jedes Mal an seine Grenzen, muss den inneren Sauhund überwinden. Das hilft mir auch sonst im Leben weiter. Es braucht sehr viel Vertrauen in sich selbst. Auch Verantwortungsbewusstsein.
Leichtsinnige Spinner sind also in Ihrer Sportart fehl am Platz? Ja, die gibt es bei Athleten, die den Sport seriös betreiben, auch kaum. Wir sind uns der Gefahr sehr wohl bewusst, sind geschult und haben viel Erfahrung. Wir kennen immer die lokalen Gegebenheiten und sorgen für die nötigen Sicherheitsvorkehrungen. Es passieren daher bei uns Profis auch nur wenig Unfälle.
«Während des Sprungs ist es wie ein Autopilot.»
Bei Anlässen ist das Becken abgesperrt und ein Sanitäts- und Sicherheitsteam im Einsatz. Zudem ist immer jemand unten, der einen rausholen kann, falls man kurz ein Knock-out hat.
Also ohnmächtig wird? Ja, das kann bei einem fehlerhaften Sprung beim Eintauchen aufgrund des hohen Wasserdruckes passieren. Deshalb ist es so wichtig, dass jemand unten ist. In tiefen Gewässern sind auch Sicherheitstaucher im Einsatz.
Wie trainieren Sie neue, schwierige Sprünge? Man übt sie zuerst aus kleinerer Höhe oder auch auf dem Trampolin.
Hatten Sie schon mal einen Unfall? Ja, aber nur einmal in diesen rund 15 Jahren, in denen ich den Sport betreibe. Da verlor ich die Orientierung. Zum Glück ist nichts Schlimmes passiert.
Gibt es auch Klippenspringer mit Höhen-
angst? Ja, ich selbst habe ziemlich Schiss vor Höhe und fühle mich sehr unwohl, wenn kein Wasser unten ist.
Wie kann das sein? Es ist ein Unterschied, ob ich in Badehose und mental vorbereitet auf einer Klippe stehe oder in Jeans im Seilpark.
Sie und Ihre Freundin Stefanie Linder haben 2019 im «Strämu» die ersten Schweizermeisterschaften im High Diving organisiert. Wie kam Thun zu
dieser Ehre? Als wir mit unserem Verein (heute: Infinite Drop, Anm. d. Red.) den Event in Ponte Brolla übernahmen, war es immer ein Traum von uns, auch in unserer Heimat Thun etwas zu organisieren. 2017 führten wir im «Strämu» den ersten Anlass durch. Das stiess auf grosses Interesse.
Andreas Hulliger, wann sind Sie zum ersten Mal vom 10-Meter-Brett ge-
sprungen im «Strämu»? Meine Mam sagt, mit 5-jährig. Ich kann mich nicht mehr daran erinnern.
Zurück zur Schweizermeisterschaft. Was
ist heuer geplant? S.L.: Wenn wir den Anlass aufgrund der Corona-Krise durchführen können, bauen wir das Gerüst schon eine Woche vorher auf, sodass die Springer vorher schon trainieren können. Denn die Trainingsmöglichkeiten sind selten in (lacht). Nein, ernsthaft, es gibt auch über
«Es braucht sehr viel Vertrauen in sich selbst.»
der Schweiz. Neu wollen wir zudem einen Synchronwettkampf durchführen.
Wie kommt es, dass an einer Schweizermeisterschaft auch andere Nationen
teilnehmen? A.H.: Die Szene in der Schweiz ist einfach zu klein. Deshalb können? A.H.: In der Weltelite ja.
nehmen auch andere Nationen teil.
Gibt es eine Qualifikation? A.H.: Nein, weit nach vorne und in die Welle reinAdrian Gerber
aber es gibt ein Reglement. Es nehmen nur Personen teil, die das Niveau haben. Sie müssen uns zudem per Video beweisen, dass sie die Sprünge beherrschen.
Wie werden die Sprünge bewertet?
S.L.: Es ist wie beim Wasserspringen. Der Schwierigkeitsgrad des Sprunges ist ausschlaggebend, der Absprung, die Haltung und das Eintauchen. Die Jury bewertet das mit Noten von 1 bis 10.
Wie sieht es eigentlich mit Frauen in
diesem Sport aus? S.L.: International gibt es ein paar sehr gute aktive Sprin-
Gibt es ein Verfallsdatum für Klippen-
springer? A.H.: Ja, ich habe es erreicht 70-Jährige, die noch springen. Ab 35 Jahren darf man bei uns in Thun aber bei den Senioren starten.
Gibt es High Diver, die davon leben
Sind die Klippen von Acapulco der
Traum jedes Klippenspringers? Sie sind halt sehr bekannt, ein wenig ein Hype. Das Anspruchsvolle ist, dass man sehr springen muss. Wenn ich mal in der Region wäre, würde ich sicher hingehen. Aber extra dort Ferien machen? Nein. Ponte Brolla ist mein Acapulco.
Interview: Simone Tanner Bilder: Erich Häsler, Pascal Eichenberger, gerinnen. Leider nicht in der Schweiz.
Bild links: Andreas Hulliger und Stefanie Linder im «Strämu». Bild rechts: Andreas Hulliger in Action. Bild unten: High-Diving-Anlass von 2019 im «Strämu».
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Schweizermeisterschaft im High Diving
Die Meisterschaft im Strandbad Thun ist am 13./14. Juni vorgesehen. Aktuelle Informationen im Zusammenhang mit der Corona-Krise gibt es unter highdiving.ch
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