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Thunerseespiele: Interview mit der Kostümbildnerin Mareike Delaquis
from TM 03 2019
by WEBER VERLAG
«Wir erschaffen einen Sehnsuchtsort»
Die Thunerseespiele haben Kostümbildnerin Mareike Delaquis in die Schweiz und zu ihrem Mann geführt. Bereits zum zweiten Mal hat die Wahl-Spiezerin die Kostüme kreiert. Am 10. Juli feiert «Ich war noch niemals in New York» mit den Hits von Udo Jürgens Premiere.
MAREIKE DELAQUIS, Udo Jürgens war noch niemals in New York. Und
Sie? (lacht) Ich war schon zweimal da. Diese Dimensionen, diese Lebendigkeit! New York schläft ja nie. Es herrscht eine tolle Atmosphäre in der Stadt.
Haben Sie Udo Jürgens gehört beim
Entwerfen der Kostüme? Ja, selbstverständlich. Die Musik spielt im Stück die zentrale Rolle und ist um die Stücke herum konstruiert. Es wird ein Hit nach dem anderen abgefeuert. Man kennt sie fast alle, auch wenn man zu einer jüngeren Generation wie ich gehört. Bei der Recherche habe ich mir die Lieder viel aufmerksamer angehört und sie dabei neu kennengelernt. Udo Jürgens ist Schlager, seine Songs sind Ohrwürmer und sehr populär. Aber er wollte auch etwas erzählen. Die Texte sind zum Teil sehr tiefgründig und sozialkritisch. Zudem sind sie sehr intelligent geschrieben. Ich habe grossen Respekt vor seiner musikalischen Leistung.
Haben Sie ein Lieblingslied? «Schöne Grüsse aus der Hölle». Das ist ein zynisches Lied mit schwarzem Humor. Ein erster Höhepunkt in unserer Inszenierung.
Comics sollen in der Inszenierung eine
wichtige Rolle spielen. Ja, wir starten in der realen Welt, dem Fernsehstudio, wo arbeitet. Die Kostüme sehen hier aus wie normale Alltagsklamotten. Danach wechselt das Stück in die Fantasiewelt. Die alleingelassene Mutter von Lisa, Maria, ist Comic-Liebhaberin und träumt sich auf ein Schiff nach New York. Damit entführt sie das Publikum in die Fantasie- und Comicwelt. Die Comic-Ästhetik zeigt sich auch in den Kostümen.
Wie widerspiegelt sich das Kreuzfahrt-
schiff in den Kostümen? Für mich als Kostümbildnerin war das ein schönes Schlagwort. Ich konnte mir eine ganz eigene Welt ausdenken, einen Sehnsuchtsort. Es ist wie eine Stadt auf dem Wasser mit ganz vielen Menschen, Nati-
Lisa Wartberg, die junge Protagonistin, onalitäten, Berufen und Abteilungen. Die Uniformen der Besatzung sind leuchtend orange.
Ich nehme an, Sie arbeiteten eng mit dem Regisseur zusammen. Oder wie läuft der Prozess bei der Kostümentwicklung ab? Ich hatte das Glück, dass Werner Bauer, der schon 2016 Regie bei «Sugar» führte, mich wieder angefragt hat. Auch die Bühnenbildnerin Marlen von Heydenaber und der Maskenbildner Ronald Fahm sind wieder im Boot. Der Regisseur gibt vor, was ihm wichtig ist, was er erzählen will. Das ist zusammen mit dem Stücktext der Boden, auf dem ich arbeite. Ich sehe mich als Künstlerin und als Teamplaye-
Zur Person
Mareike Delaquis Porschka wurde 1981 in Bielefeld geboren und studierte Kostümdesign in Hannover. 2011 war sie Assistentin bei den Thunerseespielen, seit 2012 Atelierleiterin und 2016 sowie 2019 zeichnet sie als Kostümbildnerin verantwortlich für die Kostüme. Sie lebt mit ihrem Mann, dem Film- und Theaterproduzenten Philip Delaquis, und ihren zwei Kindern in Spiez.
rin, ich arbeite auch im Sinne einer Dienstleisterin für die Vision des Regisseurs. Werner Bauer liess mir viel Freiheit und Platz für meine Ideen.
Es sind 280 Kostüme. Wie kriegt man
die alle geschneidert in kurzer Zeit? In der Regel wird ein Teil der Kostüme selbst produziert und der andere eingekauft oder ausgeliehen. In diesem Jahr fertigen wir rund die Hälfte selbst an. Das bedeutet viel Arbeit für das Atelier. Deshalb bin ich sehr froh, dass wir wieder mit Sabine Portenier und dem Nähwerk des Berufsbildungszentrums IDM (Industrie, Dienstleistung, Modegestaltung) zusammenarbeiten können.
Sie kreieren auch Kostüme für Theaterstücke und Filme. Was fasziniert Sie an
Ihrer Arbeit am meisten? Mein Job ist einfach super. Er lässt mich jedes Mal in eine andere Welt eintauchen, lässt mich immer wieder neue Leute kennenlernen. Es ist immer wieder anders. Ursprünglich komme ich aus der Schauspielecke. Bei den Thunerseespielen habe ich die Freude am Musical entdeckt. Die Arbeit im Musical ist sehr intensiv, sie bedingt eine hohe Flexibilität, Disziplin, Genauigkeit und Ehrlichkeit aller Beteiligten.
Viele Künstler sprechen von der «See-
spiel-Familie». Diesen family-spirit spürt man gut. 2011 war ich Assistentin, 2012 kam ich zurück als Atelierleiterin, mein erster längerer Aufenthalt in der Schweiz. Ich wurde mit offenen Armen aufgenommen. Man hat mir vertraut und auch viel zugetraut. An den Aufgaben bin ich gewachsen.
Sie haben hier auch Ihren Mann Philip Delaquis kennengelernt. Ja, er war 2011 Produzent bei «Gotthelf». Schon
«Mein Job lässt mich in eine andere Welt eintauchen.»
deswegen haben die Seespiele für mich eine besondere Bedeutung. Sie sind mein Hafen.
Ihr Mann ist als Filmproduzent auch in der Kulturszene tätig. Wie oft sprechen
Sie daheim über Ihre Arbeit? Wir reden viel über unsere Projekte. Wir können und wollen unser Privat- und Berufsleben nicht so klar voneinander trennen. Der Beruf macht uns beiden auch sehr viel Freude. Wir unterstützen uns gegenseitig.
Spielten Sie als Kind eigentlich gerne
«Verkleiderlis»? Ja, hab ich. Aber das ist nicht der Grund, weshalb ich Kostümbildnerin geworden bin, sondern wegen meiner Leidenschaft für Literatur und Sprache. Als Praktikantin an einem kleinen Theater in Deutschland konnte ich ganz viel Erfahrung sammeln und hatte Einblick in alle Bereiche. Das verstärkte die Faszination für die Theaterwelt, die bis heute angehalten hat.
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Interview: Simone Tanner Fotos: Erich Häsler
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Links: Mareike Delaquis sieht sich als Künstlerin, Teamplayerin und Dienstleisterin für die Vision des Regisseurs. Rechts oben: Protagonistin Lisa Wartberg wird verschiedene Kostüme tragen. Rechts unten: 280 Kostüme sind dieses Jahr im Einsatz, die Hälfte fertigt die Kostümbildnerin mit ihrem Team selbst an.
Zum Musical
«Ich war noch niemals in New York» wird vom 10. Juli bis 24. August auf der Thuner Seebühne gezeigt. Regie führt Werner Bauer. www.thunerseespiele.ch