Weber koechinnen und ihre rezepte leseprobe

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SABINE BOLLIGER

UND IHRE REZEPTE EINE ZEITREISE Z U M U R S P RU N G DER SCHWEIZER KÜCHE

KOECHINNEN.CH

WEBERVERLAG.CH



UND IHRE REZEPTE



SABINE BOLLIGER

UND IHRE REZEPTE E I N E Z E I T R E I S E Z U M U R S P RU N G DER SCHWEIZER KÜCHE

KOECHINNEN.CH

WEBERVERLAG.CH


Impressum

Alle Angaben in diesem Buch wurden von der Autorin nach bestem Wissen und Gewissen erstellt und von ihr und dem Verlag mit Sorgfalt geprüft. Inhaltliche Fehler sind dennoch nicht auszuschliessen. Daher erfolgen alle Angaben ohne Gewähr. Weder Autorin noch Verlag übernehmen Verantwortung für etwaige Unstimmigkeiten. Alle Rechte vorbehalten, einschliesslich derjenigen des auszugsweisen Abdrucks und der elektronischen Wiedergabe. © 2014 Werd & Weber Verlag AG, CH-3645 Thun/Gwatt Idee Annette Weber, Werd & Weber Verlag AG Texte Sabine Bolliger, www.zeitlandschaft.ch Fotos Marcus Gyger, www.marcusgyger.ch Zubereitung Rezepte Küchenchefs René-François Maeder und Niklaus Stucki, Landgasthof Ruedihus Kandersteg, www.ruedihus.ch Gestaltung & Satz Margreth Zuber, Monica Schulthess Zettel, Nina Ruosch, Werd & Weber Verlag AG Lektorat Madeleine Hadorn, Werd & Weber Verlag AG Korrektorat Heinz Zürcher, CH-3612 Steffisburg ISBN 978-3-906033-92-1 www.koechinnen.ch www.weberverlag.ch www.werdverlag.ch

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Köchinnen und ihre Rezepte

Alice Bircher von Brasch-Bircher


Inhalt

Vorwort 9 Köchinnen, Küche und Essen im 19. Jahrhundert 11 Lisette Rytz-Dick (1771–1848) 18 «Neues Berner Kochbuch» 22 Kochen im Alten Bern 23 Baumwoll- oder Bündner-Suppe 26 Erdäpfel-Röste 28 Kartoffeln à la maître d’hôtel, sehr beliebt 30 Grümpelwürste, bessere 32 Magenbrod 36 Klaret-Läckerli 38 Das andere Rezept 41 Susanna Müller (1829–1905) 42 «Das fleissige Hausmütterchen» 41 Die Erfindung des Selbstkochers 43 Luftsuppe 50 Kalte Schale von Bier 52 Spiesslein 54 Spanisch Brod 56 Kartoffelsalat mit Häring 58 Thee 60 Das andere Rezept 65 Marie Uhlmann (1850–1892) 66 «Kochrezepte» 70 Die erste Hauswirtschaftsschule des Kantons Bern 71 Forellen en sauce 74 Geflügel 76 Gebackene Kartoffeln (Pommes de terre frites) 80 Süsser Reis mit Aepfeln 82 Cabinetspudding oder Diplomatenköpfli 84 Berliner Pfannkuchen 86 Das andere Rezept 89

Inhalt

Köchinnen und ihre Rezepte

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Luise Büchi (1852–1923) «Heinrichsbader Kochbuch» Das Heinrichsbad, Kurhaus und Kochschule Rührei mit Käse – Fondue Rindfleisch nach Nelson-Art – Bœuf à la Nelson Seezunge mit Rahm – Sole à la crème Hopfensprossen – Houblons Rahmkuchen (Wähe) – Gâteau à la crème Kaffeegefrorenes – Glace au café Das andere Rezept

90 92 93 102 104 106 108 110 112 115

Rosina Gschwind (1841–1904) 116 «550 Kochrezepte der Frau Pfarrer Gschwind» 118 Der Schweizerische Gemeinnützige Frauenverein 119 Ochsenschwanzsuppe 124 Saurer Mocken 126 Vol-au-vent 128 Hasen- und Sandhasenpfeffer 130 Französische Omelette 132 Chokoladenköpfli 134 Das andere Rezept 137 Alice von Brasch-Bircher (1879–1916) 138 «Speisezettel und Kochrezepte für diätetische Ernährung» 142 Die Klinik «Lebendige Kraft» in Zürich 143 Viktoriasuppe 148 Reisauflauf 150 Knöpfli 152 Diätspeisen zum Frühstück und Abendessen 154 Volksgetränk 156 Steinmetzschrotbrot 158 Berta Brupbacher-Bircher (1870–1951) 162 «Das Wendepunkt-Kochbuch» 164 Die Ernährungslehre von Dr. med. Maximilian Bircher-Benner 165 Käseklösschensuppe 172 Blumenkohl mit brauner Butter und Kartoffelpüree 174 Ravioli 176 Apfelauflauf mit Meringenguss 178 Erdbeerbowle 180 Saure Milch 182 Das andere Rezept 185

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Köchinnen und ihre Rezepte

Inhalt


Anna Jungck-Reinhardt (1868–1943) 186 Der Bund abstinenter Frauen und das Küchenauto 188 «Schweizerisches Kinderkochbuch für meine lieben Kinder und alle, die wie sie Hausmütterchen werden wollen» 189 Schneeballen auf Creme 192 Einfache Karthäuserklösse 194 Gesunder Trank 196 Alkoholfreier Hypokras 198 Kölner Torte 200 Spekulatius 202 Schwester M. Baptista Volk (1883–1947) 204 «Baldegger Kochbuch» 208 Mädchenbildung im Kloster Baldegg 209 Kalbsherz, gefüllt 214 Wurstsalat 216 Bernerplatte 218 Fondue 222 Eierzopf 224 Baldeggertorte 228 Das andere Rezept 233 Frieda Nietlispach (1891–1947) 234 «200 Mittagessen» 236 Eine kleine Kochbuch-Geschichte 238 Hackbeefsteak – Hackbraten 242 Hatoma (gesunde Haferspeise) 244 Spargeln 246 Vogelnester 248 Schlossersuppe 250 Kastanienkranz mit Schlagrahm 252 Das andere Rezept 255

Glossar 257 Mengenangaben 259 Rezeptliste mit Quellen 261 Literatur und Quellen 267 Bildnachweise 275 Danke 279

Inhalt

Köchinnen und ihre Rezepte

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Werbung f端r Maggi-W端rze im Heinrichsbader Kochbuch von 1902.


Vorwort

Was für eine Entdeckung, was für ein Abenteuer! Ein Jahrhundert, zehn Köchinnen und über 7000 Rezepte, von Bern über Basel bis Herisau und von der einfachen bis zur gehobenen Küche. Ich wusste nicht, was ich tat, als ich vom Verlag die Anfrage bekam, ein Buch über Schweizer Köchinnen des 19. Jahrhunderts zu schreiben. Als Historikerin hatte ich mich bisher mit der Geschichte der Frauen, nicht aber mit der Küche beschäftigt. Die Suche nach geeigneten Köchinnen gestaltete sich zuerst schwierig. Bestimmt wurde die Auswahl durch die Zugänglichkeit von geeignetem Material, insbesondere von Fotografien und Lebensdaten der Frauen. Angestrebt wurde nicht eine vertiefte Studie, sondern der Einblick in eine noch wenig bekannte, jedoch äusserst vielfältige Welt des Kochens, mit neu fotografierten Originalrezepten zum Schmökern und Nachkochen.

Dr. Sabine Bolliger

Bei der Auswahl der hier vorgestellten Rezepte richtete ich mich nach meinen persönlichen Vorlieben. Zusätzlich beachtete ich, im Namen der Wissenschaft, einige wenige Grundsätze: Die für eine Köchin besonders charakteristischen Rezepte, wie zum Beispiel die ErdäpfelRöste im Berner Kochbuch von Lisette Rytz oder die Apfel-Diätspeise bei Alice von Brasch-Bircher, dürfen nicht fehlen. Ich versuchte zudem, so weit wie möglich ein breites Spektrum abzubilden, von der Suppe über den Hasen bis zur Erdbeerbowle. Dass wir der Vergangenheit nicht ganz so nah sind, zeigen einige «an­dere Rezepte», die wir heute aus verschiedenen Gründen eher nicht mehr kochen. Die geschmacklichen Vorlieben und der Umgang mit der Umwelt haben die Kochbücher verändert und zu einem Spiegel ihrer Zeit und ihrer kulturellen Prägungen gemacht. Grosszügige Unterstützung bei meinen Recherchen fand ich bei den Mitarbeitenden folgender Institutionen: Bircher-Benner-Archiv, Gosteli-Stiftung Worblaufen, Kloster Baldegg, Landesmuseum Zürich, Museum und Archiv Herisau, Schweizerisches Gastronomiemuseum Thun. Für den Austausch von Fachwissen und die spannenden Gespräche danke ich von Herzen.

Vorwort

Köchinnen und ihre Rezepte

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Der Gemeinnützige Frauenverein setzte sich für die hauswirtschaftliche Ausbildung ein.

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Köchinnen und ihre Rezepte

Einleitung


KÖCHINNEN, KÜCHE UND ESSEN IM 19. JAHRHUNDERT «Ein Köstlich new Kochbuch»: So hiess das erste von einer Frau in deutscher Sprache geschriebene und gedruckte Kochbuch. Verfasst hat es Anna Wecker. Die Köchin und Dichterin lebte im 16. Jahrhundert, etwa von 1530 oder 1540 bis 1596 oder 1597. Die erfahrene Arztgattin unterstützte die Praxistätigkeit ihres Mannes. Das Buch mit zahlreichen Rezepten für Kinder und Kranke erschien 1598, kurz nach dem Tod der Autorin, und wurde danach mehrmals aufgelegt, ergänzt und umgearbeitet. Über das Leben von Anna Wecker, geboren als Anna Keller, ist wenig bekannt. In erster Ehe war sie mit Israel Aeschenberger, Stadtschreiber von Altdorf bei Nürnberg (D) und Vater ihrer einzigen Tochter Katharina, verheiratet. Mit ihrem zweiten Ehemann, dem wie sie aus Basel stammenden Arzt Johann Jakob Wecker, lebte sie zuerst in Basel. 1566 wurde Johann Jakob nach Colmar als Stadtarzt berufen. In seiner Praxis legte er besonderen Wert auf die medizinische Wirkung der Nahrungsaufnahme. Anna Wecker war eine hervorragende Köchin, weshalb ihr Gatte sie «bey krancken Personen gerne bey und umb sich gehabt» hatte. Die Lebensumstände von Anna Wecker zeigen, welche Aufgaben eine verheiratete Frau in der Frühen Neuzeit erfüllen konnte. Im Europa vor der Französischen Revolution war das «Ganze Haus» eine rechtliche, wirtschaftliche und soziale, vom Hausvater geführte Einheit, zu der die Familienmitglieder und das Gesinde gehörten. Durch dieses «Ganze Haus» hatte die Frau einen Ort und einen Stand in der Gesellschaft, mit dem ihre Rechte und Pflichten verbunden waren. Dazu gehörten in der Regel nicht nur die Führung des Haushaltes und die Erziehung der Kinder, sondern auch die Unterstützung des Ehegatten bei seiner Arbeit. Der Hausvater verfügte über die Arbeitskraft aller Hausgenossen, auch der Kinder. Die Bedeutung der Frau für die Familie ergab sich jedoch nicht nur aus ihrer Verantwortung für das Wohl der Hausgenossen und für das Gebären und den Fortbestand der Familie. Bereits bei der Heirat brachte sie mit der Aussteuer Vermögen mit. Weiblicher Besitz und Subsistenzarbeit konnten folglich über die Hälfte des wirtschaftlichen Potenzials einer Hausgemeinschaft ausmachen.

Einleitung

Köchinnen und ihre Rezepte

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Moderner Gaskochherd mit Platte und zwei Bratöfen.

Moderner Gasapparat mit Bratofen.

Grösserer neuer Gaskochherd mit dreiteiliger Platte, Wasserschiff, zwei Bratöfen und Vorrichtung zum Braten mit Spiess.

Haushaltungsherd für Kohlenfeuerung.

Köchinnen und ihre Rezepte

Einleitung


Frauen arbeiteten schon immer – auch wenn ein grosser Teil ihres Erwachsenenlebens noch bis zum Ende des 19. Jahrhunderts aus Schwangerschaften, Stillzeiten und Kleinkinderbetreuung bestand. Die weibliche Arbeit bestand in den westeuropäischen Ländern aus der Haushaltsführung und aus dem Erwerb, der durch Geldzahlungen entschädigt wurde. Die häusliche Arbeit war fast immer die ausschliessliche Domäne der Frauen. Mit Beginn des 19. Jahrhunderts und der Industrialisierung trennten sich diese beiden Bereiche. Das «Ganze Haus» gab es nun nicht mehr, dafür entstanden neue Arbeitsformen ausserhalb des Familienbetriebes. Die Stabilität der Familiengemeinschaft nahm ab und die hauswirtschaftliche Tätigkeit der Frauen verlor an Gewicht. Die Französische Revolution brachte mit der Deklaration der Menschenrechte die Loslösung von den alten Zwängen der Standesordnungen und die individuelle Freiheit. Die neuen Kantonsverfassungen, die in der Schweiz entstanden, trugen dem Rechnung – allerdings nur für die männlichen Bürger: Die Frauen wurden ausgeklammert. Sie sollten weiterhin als Hausmütter für die Familie unentgeltliche Subsistenzarbeit leisten, ohne dafür finanziell entschädigt zu werden. Daran änderte sich noch bis weit über das 19. Jahrhundert hinaus kaum etwas. Die Lebensgeschichten der Kochbuchautorinnen zeigen auf, dass sich die Frauen durch die rechtlichen und gesellschaftlichen Einschränkungen des 19. Jahrhunderts nicht zurückbinden liessen und trotzdem engagiert und vielseitig tätig waren. Schon die Führung eines Haushaltes war damals um einiges aufwändiger und anspruchsvoller, als es das heute ist. Dennoch fanden die Frauen die Zeit und Energie, noch mehr zu leisten. Sie engagierten sich im gemeinnützigen Bereich, gründeten Vereine und setzten sich für die Mädchenbildung ein. Dass sie dabei in der Regel selber für die Finanzierung ihrer Projekte aufkommen mussten, hielt sie nicht auf. Sie kämpften, trotz rechtlicher Ungleichheit und Bevormundung, für ihre Familien und das Wohl der Gesellschaft – und, wie ihre Lebensgeschichten und die Kochbücher zeigen, taten sie dies mit Können und Genuss.

Einleitung

Köchinnen und ihre Rezepte

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Der Selbstkocher wurde von Susanna Müller entwickelt.

Werbung für einen Sparkocher im Berner Kochbuch von 1911.

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Köchinnen und ihre Rezepte

Einleitung


Die hier vorgestellten Kochbücher erschienen zwischen 1834 und 1955. In diesem Zeitraum veränderte sich die Welt – und die Küche mit ihr: Die Geschichte der Küche lässt sich an der Entwicklung des Kochherdes erzählen. Bis ins 18. Jahrhundert lebte in Europa das «Ganze Haus» zusammen und hielt sich grösstenteils in der Küche auf. Die Haus- und Erwerbsarbeit wurde unter einem Dach bewältigt. Der Herd war offen und gemauert, die Küche gekennzeichnet durch Rauch und Russ. Die wesentliche technische Neuerung kam mit dem geschlossenen, eisernen Kochherd Mitte des 19. Jahrhunderts. Gleichzeitig wurde der Bunsenbrenner erfunden, so dass nun auch Gas als Heizenergie verwendet werden konnte. Später kam der Elektroherd hinzu, der jedoch wegen der hohen Kosten für Elektrizität noch kaum Verbreitung fand. Die Kochbücher nahmen die technische Innovation jeweils auf, was sich insbesondere an den verschiedenen Auflagen des «Fleissigen Hausmütterchens» nachverfolgen lässt. Dessen Autorin, Susanna Müller, erfand mit dem Selbstkocher ein zusätzliches Gerät, welches half, Energie und Zeit zu sparen. Nicht nur die Küchengeräte, auch die Nahrungsmittel veränderten sich im 19. Jahrhundert. Die Industrialisierung führte dazu, dass viele Menschen nicht mehr die Möglichkeit hatten, sich mit einem Garten selbst zu versorgen. Die Folge war Mangelernährung. Besonders deutlich wurde dies bei der Erfassung der Wehrpflichtigen. Seit 1875 wurden sanitarische Rekrutenprüfungen durchgeführt: Nur die Hälfte der Stellungspflichtigen war diensttauglich. Die übrigen mussten ausgemustert werden, mehrheitlich wegen ungenügender Körpergrösse oder auffälliger Gebrechen. Als Auslöser wurden damals Verelendung und Unterernährung vermutet.

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Im Kampf gegen die Mangelernährung setzte sich die Schweizerische Gemeinnützige Gesellschaft (SGG) für die Verbreitung von pflanzlichen Eiweissträgern, sogenannten Leguminosen, ein. Der Auftrag, dieses Produkt zu entwickeln, ging an den Mühlenbesitzer Julius Maggi, der ein Suppenmehl aus Erbsen und Bohnen, den Vorläufer der heutigen Fertiggerichte, herstellte. Maggis Leguminosenmehl und seine Fertigwürze fanden umgehend Einzug in die Kochbücher. Um sicherzustellen, dass seine Produkte auch tatsächlich erwähnt wurden, entschädigte er die Autorinnen der Rezepte für die Nennung seiner Produkte. Marie Uhlmann zum Beispiel erwähnt in ihren Rezepten sowohl die Leguminosen als auch die Maggi-Würze. Und im Heinrichsbader Kochbuch erscheinen auf den letzten Seiten mehrere Inserate für Tobler Schokolade, Gaskochherde der Schweizerischen Gasapparatenfabrik Solothurn, Maggi-Würze und komplette Kücheneinrichtungen.

Köchinnen bei der Löffelprobe. Titelholzschnitt aus dem 1598 erschienenen Kochbuch von Anna Wecker. Für die Mengenangaben sind in den Kochbüchern drei Perioden zu unterscheiden. Vor 1838 gab es zahlreiche, lokal unterschiedliche Masseinheiten. Von 1838 bis 1876 versuchten einige Schweizer Kantone, die Masse zu vereinheitlichen und mit dem metrischen System zu verbinden. Dabei wurden die alten Namen beibehalten, aber neu als Schweizer Masse bezeichnet. Seit 1876 gelten die aktuellen Masse und Gewichte.

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Einleitung


Köchin auf Titel in «Ebert’s Schweizerköchin».

Einleitung

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Lisette Rytz-Dick 1771–1848 «Einzig die vielfachen Aufforderungen von Freunden und Bekannten konnten mich bewegen, diese Anleitung zum Kochen und Zubereiten der Speisen für angehende, in der Küche noch unerfahrene, junge Hausfrauen niederzuschreiben.» So beginnt das Vorwort des «Neuen Ber­­ner Kochbuches» von Lisette Rytz, geschrieben in Bern im November 1834. Schon im ersten Satz wird damit klar, warum und für wen die Rezeptsammlung zusammengestellt wurde. Wer war die Autorin, deren Vorname in den zahlreichen Auflagen ihres Kochbuches jeweils nur abgekürzt mit einem L. auftaucht?

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Lisette Rytz-Dick


Lisette Rytz-Dick

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Die Pfarrfamilie Rytz-Dick um 1809 in Schöftland, mit den Kindern Albrecht, Julie und Julie-Elisabeth, vor dem Gärbi-Brückli über die Ruederchen.

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Lisette Rytz-Dick


Julie-Elisabeth Rytz-Dick, genannt Lisette, stammt aus einer alten Berner Familie. Ihre Eltern waren Marianne von Graffenried und Johann Jakob Dick. Der Vater, Pfarrer in Spiez und Bolligen (BE), arbeitete auch als Hauslehrer und Botaniker. Er unterrichtete in Roche (VD) die Kinder des berühmten Berner Universalgelehrten Albrecht von Haller und bereiste in dessen Auftrag als «Pflanzenjäger» Graubünden. In dieser angesehenen und gebildeten Familie kam 1771 Lisette zur Welt. Sie wuchs mit zwei Schwestern auf. Über die Patrizierfamilie von May-Steiger in Schöftland (AG) lernte Lisette im Alter von 20 Jahren Daniel Rytz (1758–1827) kennen. Rytz war Hauslehrer der Kinder von Karl Friedrich und Julia Dorothea von May, bevor er in Trachselwald seine erste Pfarrstelle antrat. Da es sich damals für einen Pfarrer seines Alters nicht schickte, unverheiratet mit einer Haushälterin zusammenzuleben, bemühte sich seine bisherige Arbeitgeberin darum, ihm eine Frau zu finden. Obwohl sie sich vorher noch nie gesehen hatten, entwickelte sich zwischen Lisette und Daniel eine Freundschaft. In einem Brief von Lisette an Daniel zeigt sich nicht nur, dass die zukünftige Kochbuchautorin sich ihre Entscheidung gut überlegte, sondern dass sie es sich durchaus gewohnt war, sich schriftlich auszudrücken: «Mit derjenigen Offenherzigkeit, die Sie mir, mein Freund, in Ihrem Brief bezeugen, will auch ich Ihnen antworten, will Ihnen nicht verhehlen, dass Sie meinem Herzen teuer sind, dass ich Sie hochschätze und liebe; Ihnen aber eine entscheidende Antwort zu ge­­ ben, ist mir gegenwärtig nicht möglich, ich hoffe auch, Sie, mein Freund, werden mir es nicht für ungut aufnehmen, indem es ein Schritt ist, von dem unsere ganze Glückseligkeit abhängt, und der also Überlegung braucht.» Lisette entschied sich offensichtlich für Daniel Rytz und die beiden heirateten 1793 in Kirchlindach bei Bern. Nach drei Jahren in Trachselwald (BE) zog das Paar nach Schöftland, wo sie 21 Jahre blieben. Sie bekamen drei Kinder, zwei Töchter und einen Sohn. Die letzten zehn Jahre bis zum Tod von Daniel Rytz im Jahr 1827 lebte das Ehepaar in Bätterkinden (BE). Das «Neue Berner Kochbuch» von Lisette Rytz er­­ schien 1834.

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«NEUES BERNER KOCHBUCH» Das «Neue Berner Kochbuch» von Lisette Rytz erschien erst­ mals 1834. Es richtete sich an junge, in der Küche noch uner­ fahrene Hausfrauen. Die hier verwendete siebte Auflage ent­ hält zusätzliche Rezepte, ist jedoch sonst nicht wesentlich über­ arbeitet worden. Dies wird darin deutlich, dass immer noch der «service à la française» des 18. Jahrhunderts vorgestellt wird. Die Rezepte sind pro Kapitel durchnummeriert. Von be­­ sonderem Reiz ist das vorangestellte Glossar, in dem viele berndeutsche Ausdrücke, von «Anken» («Butter») über «Tröhl­ holz» («Nudelholz») bis «Züpfli» («Eierbrod»), vorkommen. Bis 1923 wurde das «Neue Berner Kochbuch» neu aufgelegt, zuletzt in der 20. Auflage. Hedwig Rytz (1834–1896), die Enkelin von Lisette Rytz, überarbeitete die 14. Auflage 1887 «nur mit grossem Zagen» auf Wunsch des Verlegers. Die 18. Auflage 1911 erschien dann aufgrund der gründlichen Überarbeitung unter dem Namen der Herausgeberin Julie Grüter (1861–1935). Grüter stammte aus Ruswil (LU). Sie leitete von 1902–1930 in Bern an der Frauenarbeitsschule die Kochkurse. Später lehrte sie im neuen Schulhaus an der Kapellenstrasse 4. 1930 ging sie in den Ruhestand und lebte zuletzt im Marienheim an der Kapellenstrasse 9 in Bern.

Die 18. Auflage des Berner Koch-buches, erschienen 1911, wurde von Julie Grüter vollständig überarbeitet. 22

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Lisette Rytz-Dick


KOCHEN IM ALTEN BERN Das «Neue Berner Kochbuch» von Lisette Rytz ist Teil einer Geschichte der bernischen Kochkunst, die lange vorher mit handschriftlich notierten Rezepten ihren Anfang nahm. Gleich­ zeitig schafft das Buch mit den überarbeiteten Neuauflagen den Schritt in das 20. Jahrhundert, zu Sparkocher und Gasherd. Die siebente Auflage von 1858, aus der die hier vorgestellten Rezepte stammen, spiegelt noch immer die Küche des Ancien Régime, also der Zeit des Alten Bern vor dem Einmarsch der Franzosen 1798. Ein Copyright gab es damals nicht: Rezepte wurden gesammelt und ausgetauscht. Genaue Angaben über Mengen, Gewichte und Zubereitungsarten fehl­ ten, da die Hausfrauen wussten, was gemeint war. Es ging um das Sammeln von Ideen für den praktischen Gebrauch. Kochen als Männer­ beruf gab es damals nur an Höfen oder in Klöstern. Die ersten gedruckten und erhaltenen Berner Kochbücher ähneln noch ganz den Notizheften. Ein schönes Beispiel ist das «Bernische Kochbüchlein», 1749 in der zweiten Auflage anonym erschienen. Der ausführliche Titel beschreibt den Inhalt: «Bernisches Koch-Büchlein, darinnen in einer Sammlung von mehr als dreyhundert Rezepten, gute Anweisung gegeben wird, allerhand sowohl geringe als kostbar und de­­ licate Speisen nach jetziger Mode herrlich und wohl zu appretieren, nemlich, zu kochen, zu beizen, zu braten, auch allerhand zu backen, wie auch Pasteten, Tatres, Zucker-Confect, auch Früchten en Confitures einzumachen, auch allerhand zum Nachtisch dienenden Sachen. In al­­ len Haushaltungen, Baad- und Tavernen-Wirthschafften, und sonderlich allen lehr-begierigen Köchenen sehr nutzlich; alles nach hiesiger KochArt und Sprach, samt einem vollständigen Register herausgegeben, und zum zweytenmahl gedruckt und mit vielen raren Recepten vermehrt.» Im Jahr 1795 wurde das Büchlein mit geringen Änderungen, als «NeuVermehrtes Bernisches Koch-Buch, darinnen Anweisung gegeben wird, mehr als vierhundert Speisen nach jetzigem Gebrauch wohl zu appretiren, zu kochen, beizen, braten und zu backen; wie auch Pasteten, Tatres, Cremes, Früchte en Confitures und Glaces zu verfertigen» nochmals neu aufgelegt. Der Titel wurde kürzer, und neu kamen GlaceRezepte dazu. Die Gruppierung der Rezepte ist hier in den Grundzügen bereits so angelegt wie in den Kochbüchern des 19. Jahrhunderts. Die Ausgabe von 1749 ist unterteilt in die Kapitel Suppen, Fleisch und Ragouts, Fisch, Wild, Pasteten, Saucen, Küchlein und Nachtisch.

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Im Berner Kochbuch

von 1858 sind die Mustermenüs noch gemäss dem «service à la française» des 18. Jahrhunderts präsentiert: Das Essen besteht aus einer Abfolge von drei Gängen, die je aus einer Vielzahl von Gerichten zusammengesetzt sind. Die Speisenfolge, die wir heute kennen, der «service à la russe», bei dem jedem Gast dieselben Gerichte in einer vorbestimmten Reihenfolge vorgesetzt werden, wurde erst im 19. Jahrhundert üblich.

Rytz-Dick 1858.

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Rytz-Dick 1911.


Daniel Rytz (1758–1827), Ehemann von Lisette.

Lisette Rytz-Dick.

Die ehemalige Gerberei an der Ruederchen in Schöftland mit dem Gärbi-Brückli, wo das Familienporträt Rytz-Dick entstand.

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Baumwolloder Bündner-Suppe Zu einer Portion Fleischbrühe für 6 Personen nimmt man einen Löffel voll weisses Mehl, rührt es mit 4 Löffel dünner Nidlen zart an, klopft 4–5 ganze Eier darunter, bis der Teig recht zart ist; wenn die Fleischbrühe zu kochen anfängt, so giesst man den Teig bei fortdauerndem Rühren durch eine Schaumkelle langsam darein und lässt sie einmal aufwallen, thut Salz und Muskatnuss nach Belieben darein und richtet sie sogleich an.

Suppe

Lisette Rytz-Dick

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ErdäpfelRöste Erdäpfel-Röste

Man schält kalte gesottene Erdäpfel, scheiblet sie ganz dünn, zerlässt in einer eisernen Pfanne Speck oder Butter; wenn er heiss ist, werden die Erdäpfel mit Salz und einigen Tropfen Milch oder Wasser darein gethan, wohl durcheinander gerührt und in der Pfanne flach und eben gedrückt, auf Glut oder gelindem Feuer zugedeckt geprägelt, bis sie beim Rütteln der Pfanne sich schön ganz von derselben loslassen; dann wird eine Platte, die auf die Pfanne passt, darauf gethan und umgekehrt, damit das Gelbe obenauf kommt.

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Kartoffeln

Kartoffeln à la maître d’hôtel, sehr beliebt

Man nimmt frisch geschwellte warme Erdäpfel und schneidet sie in feine Scheiben, dann nimmt man zu einer guten Platte beinahe einen Vierling frische Butter, lässt sie zergehen, wirft die Erdäpfel hinein, wendet sie ein paar Mal um, streut Salz und fein geschnittene Kräuterlein darauf, richtet sie an und servirt sie sogleich.

Lisette Rytz-Dick

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Grümpelwürste, bessere

Zu diesen nimmt man das fette und magere hautige Fleisch, hackt und würzt es wie für die Magenwürste und thut eine kleine Prise Salpetersalz dazu. Ist das Fleisch nicht fett genug, so wird etwas Speck oder Schmeer darunter gehackt; der Wein wird aber weggelassen, im Uebrigen aber damit verfahren wie mit den Magenwürsten. Gewöhnlich aber werden zu den Grümpelwürsten nur krumme Rinderdärme gebraucht; auch ist es nicht durchaus nötig, diese noch einmal fester zusammenzutreiben, nachdem sie im Rauch gehangen.

Würste

Magenwürste Zu Magenwürsten nimmt man vom magersten Fleisch, klopft es und hackt es nicht gar fein mit ziemlich viel Speck oder Schmeer, würzt es mit Pfeffer, Nägeli und Salz und je nach der Qualität Fleisch, die man hat, 1, 2 oder 3 Gläser rothen Wein, knetet den Teig recht durch einander und lässt ihn über Nacht stehen, schüttet dann den ausgelaufenen Wein ab und knetet den Teig wieder, wiederholt das Kneten noch 2–3 Tage und füllt dann diesen Teig in gerade weite Rinderdärme, so fest als möglich zusammen getrieben (da wo Luft ist, wird mit einer Nadel hinein gestochen, sonst werden sie nicht fest), schneidet den Darm nach beliebiger Länge ab, bindet die Wurst mit gutem Bindfaden wohl zu und lässt auf der einen Seite den Bindfaden lang, um die Wurst daran aufzuhängen. Sind die Würste alle gemacht, werden sie in Rauch gehängt, nach einigen Tagen wieder herabgenommen, noch einmal so fest wie möglich zusammengetrieben, dann wieder in den Rauch gehängt und noch ein paar Tage geräuchert. Sie werden am besten in einen irdenen Topf in ausgelassenem Schmeer oder in Oel aufgehalten, auch bleiben sie, wenn man sie nicht gar zu lange aufbehaltet, an einem trockenen kühlen Ort aufgehangen, gut.

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