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Ein Büezer namens Godi Pfeuti
Eher hätte ein Samstag im Kalender gefehlt als an einem Samstag der Korber Willy am Berner Märit. Ein pfiffiges Männchen mit drei grauen Haaren und vier gelben Zähnen. Die Körbe band er jeweils mit einem Seil zu einer riesigen Traube zusammen, packte sie auf seinen Buckel und noch ehe in Muri der erste Hahn krähte, marschierte er in Richtung Bern. Sein Angebot reichte von Krämerkörben mit und ohne Deckel bis hin zu Widlichörb und Chriesichrätte. Der Widlichorb galt einen Franken, das Chriesichrättli fünf oder sechs Batzen, also 50 bis 60 Rappen. Die Nachfrage war gross. Manchmal fast grösser als die Traube, die er auf seinem Buckel zu tragen vermochte.
«Du könntest mir eigentlich albe helfen zu tragen», meinte Willy zu dem Buben, der einmal neugierig stehen blieb, als er an einem Sonnentag vor seinem Häuschen sass und an einem Korb arbeitete. «Das wäre ömu gescheiter als nur dumm herumzustehen und Gewundernasen zu füttern», fuhr er fort, und als er dem Buben einen Batzen Lohn in Aussicht stellte, liess dieser seine mit den Daumen nach vorne gespannten Hosenträger auf seine Brust zurückspicken, dass es nur so tätschte. Das Interesse war geweckt. Die Abmachung wurde ohne verzwickte diplomatische Verhandlung getroffen. Die Eltern liessen ihren Gödeli machen, zumal sie der Meinung waren, die Jungen können gar nicht früh genug lernen, ehrliches Geld zu verdienen.
So kam es, dass am Samstag, noch bevor der Hahn krähte, zwei Gestalten mit Körben von Muri nach Bern marschierten. Anfangs machte Gödeli ein zufriedenes Gesicht. Aber schon nach dem drit-
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Gottfried Pfeuti mit drei seiner Kinder vor der Wagnerei-Werkstatt in Muri bei Bern. V. l. n. r.: Gottfried (1910), Marie (1916), Hans (1912).
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ten Markttag begann er zu mucken. Als ihn Willy fragte, was denn los sei, brach es aus dem Buben heraus: «Das ist doch dummes Zeug! Wir würden gescheiter ein Wägeli nehmen!» «Aha, du meinst, ich sollte jetzt wegen dir noch ein Wägeli kaufen? Mach doch selber eines.» Gödeli schaute Willy mit grossen Augen an. Es war ihm, als geschehe ihm gerade ein grosses Unrecht. Das Weinen war ihm zuvorderst, als er stammelte: «Das kann ich doch nicht. Ich habe noch nie so etwas
gemacht.» Willy liess nicht locker: «Das spielt doch keine Rolle. Alles beginnt mit dem ersten Mal. Ich schaue für das Holz und für die Räder. Den Rest bringst du selber zustande. Und wenn es etwas wird, kaufe ich es dir ab. Zuerst musst du das Wägeli zeichnen.»
Von da an begutachtete Gödeli die Fuhrwerke eingehender. Besondere Aufmerksamkeit galt den kleinen Leiterwagen, die man von Hand ziehen konnte. Er studierte, zählte und mass deren Teile und zeichnete sie sorgfältig auf ein Stück Papier. Gödeli hatte Glück. Sein Vater stand auf gutem Fusse mit dem Wagner und so durfte er in dessen Werkstatt arbeiten. Zuerst begann er mit den Brettern für die Ladefläche, das Brügeli. Das gelang ihm ganz gut. Dann kamen die Sprossen an die Reihe, die in regelmässigen Abständen senkrecht an den Rändern der Ladefläche angebracht und oben mit einem Rundholz verbunden wurden. Zum ersten Mal arbeitete Gödeli
an einer Drehbank. Wenn die Späne flogen, kniff er die Augen zusammen. Manchmal war er mit Holzstaub so voll gepudert, dass er fast aussah wie ein Schneemann. Er war ein eifriger Geselle, liebte den Geruch von trockenem Holz, von bissigem Riemenharz und das aufsteigende Räuchlein, wenn der Meister einen erhitzten Eisenreif über eine Felge schlug. Es machte ihm Spass, seine Hände zu gebrauchen. Er lernte leicht, musste aber auch Enttäuschungen in Kauf nehmen, dieses oder jenes Stück Holz zuschanden hauen und sich mehrmals in die Finger schneiden. Unter Gödelis Fingern und des Meisters Augen entstanden nach und nach alle Teile für sein Leiterwägeli. Ausser die Räder. Dass durch Menschenhände über-
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haupt solche Kunstwerke entstehen konnten, kam für Gödeli einem Wunder gleich. Um diese Kunst zu erlernen, brauchte es viel Geschick, Augenmass und Geduld. Schon die Dreharbeiten für die Nabe aus Eichenholz verlangten nach einer Fingerfertigkeit, die für manchen studierten Plagöri so unerreichbar gewesen wären wie der Mond für einen Hund. Mochte er bellen, wie er wollte. Die rechteckigen Vertiefungen für die Speichenverankerungen mussten haargenau passen und in exakten Winkeln von Hand eingearbeitet werden. Die gerundeten Elemente der Felgen wurden einzeln ausgesägt und danach zusammengefügt.
Gödeli war froh, dass der Korber Willy noch vier ausgediente Räder im Schuppen hatte und ihm zur Verfügung stellte. Aber eines Tages würde er, Gödeli Pfeuti, selber ein Rad bauen. Dessen war er sich sicher.
Es kam die Stunde, in der das Wägeli fertig wurde. Gödeli betrachtete es, erfüllt von einem Gefühl, wie es ein Mann am Tage des Ritterschlages verspürt haben mochte. Auch Willy staunte nicht schlecht, als er am Vortag des Marktes sein neues Gefährt geliefert bekam. Mit zusammengezogenen Brauen und gespitzten Lippen begutachtete er das Werk. Dabei wippte er mit dem Kopf auf und ab, als hätte hier jemand das Rad neu erfunden.
Aus Gödeli wurde Gottfried, der Wagner von Muri. Ein Büezer, wie ihn Gölä nicht besser hätte beschreiben können. Auf dem goldenen Boden seines Handwerks konnten später sogar noch seine Nachkommen weiter bauen. Er kaufte nämlich für seine Söhne, Gottfried den Zweiten und Hans, den «Schützen», den Gasthof zum Schütz in Oppligen. Dort wurde 1938 Gottfried der Dritte geboren, Göläs Vater.
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