David Alaba – Leseprobe

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Felix Haselsteiner

VERLAG DIE WERKSTATT

DAVID

ALABA

Das รถsterreichische Fuร ballwunder


Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Auch als E-Book erhältlich: ISBN 978-3-7307-0294-9 Copyright © 2017 Verlag Die Werkstatt GmbH Lotzestraße 22a, D-37083 Göttingen www.werkstatt-verlag.de Alle Rechte vorbehalten Coverabbildung: imago sportfoto Satz und Gestaltung: Die Werkstatt Medien-Produktion GmbH Druck und Bindung: Westermann Druck Zwickau ISBN 978-3-7307-0279-6


Inhaltsverzeichnis

Prolog: Die Verleihung.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 K APITEL 1

Aspern – ein Ortsbesuch.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 K APITEL 2

Einmal Löwe, immer Löwe.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 K APITEL 3

Die Familie Alaba. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 K APITEL 4

In der Austria-Jugend.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 K APITEL 5

Von Hollabrunn nach München: Alabas Wechsel zum FC Bayern. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 K APITEL 6

Zwei Achterl erklären die österreichische Sicht auf Fußball.. . . . . . 47 K APITEL 7

Der Tulpengeneral und der Wiener Junge. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 K APITEL 8

Die Episode Hoffenheim. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 K APITEL 9

Seine Kraft liegt in Jesus: Alaba und sein Glaube. . . . . . . . . . . . . . . . 80 K A PI T E L 10

Aufstieg in die Elite: die Heynckes-Jahre. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 K A P I T E L 11

Der Fußballer David Alaba.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 K A P I T E L 12

Sieben Spiele, ein Titel: der Champions-League-Sieg 2013. . . . . . . 104 K A P I T E L 13

Drei Jahre, drei Positionen: David Alaba und Pep Guardiola. . . . 111


K A P I T E L 14

Alaba und Ribéry: Szenen einer Fußballerfreundschaft. . . . . . . . . 133 K A P I T E L 15

Die Kaugummi-Taktik: Carlo Ancelotti und David Alaba. . . . . . . 142 K A PI T E L 16

Von Malawi nach Frankreich: Alaba und die Nationalmannschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 K A P I T E L 17

Die EM 2016 in Frankreich.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 K A P I T E L 18

Mehr Kritik als je zuvor: David Alaba nach der EM 2016. . . . . . . . 177 K A PI T E L 19

Fan-Gespräch: Bernhard Wastyn von den „Hurricanes“ über Alaba. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 K APITEL 20

Lifestyle – mit Betonung auf Style: der private David Alaba. . . . . 192 K APITEL 21

Selbstgemachte Storys: Alaba und die (sozialen) Medien. . . . . . . . 199 Epilog: Gefallen, um aufzustehen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 Daten und Fakten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bibliografie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Danksagung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Autor. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Prolog: Die Verleihung

Marcel Hirscher nickt zwar anerkennend und applaudiert, doch so richtig kann er seine Enttäuschung nicht verbergen. Er hat die beste Saison seiner Skikarriere abgeliefert, ist in Schladming, bei der Heim-WM, Weltmeister im Slalom geworden. In einem unglaublichen Rennen hat er seine Konkurrenten auf die Plätze verwiesen – diesmal jedoch scheitert er an einem Gegner aus einer anderen Sportart. Nicht Österreichs größter Skifahrer gewinnt die Auszeichnung als Sportler des Jahres 2013, sondern David Alaba, als erster Fußballer seit Toni Polster 1997. In der 64-jährigen Geschichte des Awards wurde er unter anderem 27-mal an Skifahrer vergeben, zehnmal an Skispringer, viermal an Leichtathleten, dreimal an Judoka. Es gewannen zudem ein Kajakfahrer, ein Bergsteiger, ein Eisschnellläufer und ein Eishockeyspieler, aber nur viermal ein Fußballer: Walter Zeman, Ernst Ocwirk und Gehard Hanappi in den 1950er Jahren und eben Toni Polster. Andreas Herzog ist nie Sportler des Jahres geworden, Herbert Prohaska und Hans Krankl auch nicht, selbst Bruno Pezzey, Josef Hickersberger oder Hans Krankl haben es nicht in die Elitehalle des österreichischen Sports geschafft. David Alaba hingegen schon. Um einen Einblick in Alabas Welt zu bekommen, schaut man sich am besten den knapp vierminütigen Ausschnitt von der Preisverleihung an. Alaba selbst ist nicht anwesend, er ist aus München zugeschaltet. Dort sitzt er in einem kleinen Studio mit seinem Kollegen und besten Freund beim FC Bayern, Franck Ribéry. Der Franzose überreicht ihm auch den Pokal, den der ORF bereits nach Bayern geschickt hat. 7


München ist seit 2008 Alabas zweite Heimat neben Wien, hier hat er die großen Schritte seiner Karriere gemacht. Er hat sich unter Louis van Gaal zu den Profis hochgespielt und es über den Umweg Hoffenheim unter Jupp Heynckes zum Stammspieler geschafft. Weil er mit dem FC Bayern 2013 das Triple aus Meisterschaft, DFB-Pokal und Champions League gewonnen hat, erhält er überhaupt die Auszeichnung. Am Abend des 31. Oktober kann Alaba nicht in Wien sein, weil er drei Tage nach der Verleihung ein Bundesligaspiel zu bestreiten hat. Dabei hätte er es nicht weit nach Hause gehabt. Der Award wird im Austria Center Vienna in der Wiener Donaustadt verliehen, ein paar Kilometer weiter stadtauswärts ist Alaba aufgewachsen. In Aspern hat er das Fußballspielen gelernt, an der Akademie von Austria Wien in Hollabrunn hat er sich später zu einem der größten Talente der Vereinsgeschichte entwickelt. All das wäre nicht möglich gewesen ohne seine Familie. Papa George und Mama Gina Alaba sitzen im prunkvoll geschmückten Saal und strahlen vor Stolz über die Auszeichnung ihres Sohnes. Alabas Reaktion auf den nächsten Titel in seiner Sammlung zeigt seine zwei Gesichter. Da wäre der Medien-Alaba, der in der Öffentlichkeit schüchtern und zurückhaltend auftritt und nur selten seine Gefühle zeigt. „Ja, das ist unglaublich, wirklich eine Riesenehre für mich“, beschreibt ein leicht überfordert wirkender Alaba, was ihm die Auszeichnung bedeutet. Er lobt in fast dialektfreiem Hochdeutsch seine Konkurrenten Marcel Hirscher und Skispringer Gregor Schlierenzauer, er bedankt sich bei allen, die ihn gewählt haben – kurz: er gibt ein relativ klassisches Fußballerinterview. Doch kurz darauf fragt Moderator Rainer Pariasek bei Franck Ribéry nach, ob er noch einmal erzählen könne, was sein Freund ihm beigebracht hat. Als der Franzose die Frage zunächst nicht versteht, wendet Alaba sich ihm zu und meint 8


in perfektem Wienerisch: „Naaa, welches Wort?“ Jetzt kapiert Ribéry, was von ihm verlangt wird: Grinsend sagt er mit dezent französischem Akzent: „Bist du deppat?“, und umarmt seinen Kompagnon. Es sind diese kleinen Momente, in denen der echte Alaba hervortritt, der so viel mehr ist als nur ein sehr guter Fußballer. Doch seit der Galanacht im Herbst 2013 ist viel passiert in Alabas Leben. Er hat den Talentstatus langsam, aber sicher abgelegt und ist unter Pep Guardiola endgültig zu einem der besten Linksverteidiger der Welt gereift. Er hat sich in der österreichischen Nationalmannschaft ausgezeichnet, hat sie gemeinsam mit Marcel Koller zur Europameisterschaft 2016 nach Frankreich geführt. Doch er hat auch schon erste Rückschläge einstecken müssen: Bei der EM hat er die bislang größte Niederlage seiner Karriere einstecken müssen. Alaba wird kritischer betrachtet als jemals zuvor. Er polarisiert, obwohl er sich so gut wie nie öffentlich äußert. Die große Mehrheit seiner Weggefährten beschreiben Alaba als unheimlich talentierten, aber auch fleißigen Sportler und als gut aufgelegten Typen mit einem herausragenden Wiener Schmäh. Trotzdem wird er heute vor allem in Österreich häufig kritisiert und gilt als das Gesicht einer goldenen Nationalmannschaftsgeneration, die kurz davor ist zu scheitern. Selbst beim FC Bayern geht es nicht mehr nur steil bergauf. Er steht nun an einem wichtigen Punkt in seiner Karriere, an dem sich entscheiden wird, ob er wirklich mit den Legenden des Austro-Fußballs auf einer Stufe steht. So oder so ist David Alaba einer der facettenreichsten Sportler in der Geschichte seines Landes. Und auch wenn der Ausschnitt von der Verleihungszeremonie 2013 einen guten Einblick in seine Persönlichkeit ermöglicht – Alabas Geschichte ist es wert, in einem ausführlicheren Rahmen erzählt zu werden. 9


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Mit Alexander Aschauer und Christoph Knasmüllner in der österreichischen U17. Mit Knasmüllner spielte Alaba auch in der Austria- und Bayern-Jugend, mit Aschauer ist er noch heute eng befreundet.

Erste Schritte beim FC Bayern München: Alaba in einem Spiel der U17 gegen den VfB Stuttgart.


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Wichtige Lehrzeit: In seinem halben Jahr bei der TSG Hoffenheim reifte David Alaba zu einem echten Bundesligaprofi (hier im Zweikampf mit Leverkusens Lars Bender im April 2011).

Sah gegen David Alaba kein Land: Real Madrids Ángel Di María im Halbfinale der Champions League 2011/12.


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Riesenjubel: Alaba mit dem Henkelpott nach dem gewonnenen Champions-League-Finale gegen Dortmund im Mai 2013.

Die Familie gibt ihm Halt: David Alaba mit Mutter, Schwester, Vater – und seinem wächsernen Ebenbild – bei Madame Tussauds in Wien (Dezember 2014).


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Best Friends Forever! David Alaba und Franck RibĂŠry nach dem DFB-Pokalfinale 2013.


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Tränenreicher Abschied: Pep Guardiola mit seinem Lieblingsschüler David Alaba nach dem gewonnenen DFB-Pokalfinale im Mai 2016. Wohl von keinem anderen Trainer hat Alaba so viel gelernt.

Geschafft! Trotz herbstlicher Temperaturen feiern David Alaba, Trainer Marcel Koller und Marko Arnautović die erfolgreiche EM-Qualifikation mit Bierduschen.


Wien, LangobardenstraĂ&#x;e: Seit Sommer 2016 prangt ein Riesen­ graffiti von Alaba an einer Hauswand im 22. Bezirk.


Š Felix Haselsteiner


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Riesenenttäuschung: David Alaba nach dem EM-Aus gegen Island.

Auf zu neuen Taten: David Alaba im Spiel gegen Werder Bremen am zweiten Spieltag der Saison 2017/18.


K A P I T E L 14

Alaba und Ribéry: Szenen einer Fußballerfreundschaft

München, 18. August 2017: Gegen 20 Uhr kommt die Mannschaft des FC Bayern zum ersten Mal in der Bundesligasaison 2017/18 auf das Spielfeld der Allianz Arena. Die Spieler haben sich an diesem lauen Augustabend ein paar Minuten verspätet, die Aufwärmsession dauert in der Regel etwa 20 Minuten, dann geht es noch mal zurück in die Kabine und schließlich zur Bayern-Hymne „Forever Number One“ wieder ins Stadion. Die Zuschauer empfangen ihre Spieler gewohnt frenetisch. Bereits das Aufwärmen wird in der Münchner Arena zelebriert, es läuft „Stern des Südens“, alle klatschen im Takt, manche schwenken ihre Schals, die Spieler applaudieren artig in das große, von den letzten Sonnenstrahlen erleuchtete Rund. Wie immer bilden sich am Anfang des Aufwärmens kleine Grüppchen: Die einen halten den Ball hoch, andere spielen sich den Ball locker zu. Ein Duo hat sich direkt in der Nähe der Mittellinie eingefunden: David Alaba und Franck Ribéry. Die französisch-österreichische Kombo scherzt noch etwas rum, Ribéry fährt Alaba durch seine wuscheligen Haare, dann spielen sie sich die Bälle zu. Zuerst flach und langsam, dann schneller, dann irgendwann mit etwas mehr Abstand, am Ende hoch. Es ist eine Routine, die sich bei beiden eingespielt hat. Überhaupt kann man an den Szenen vor dem Spiel das Mannschaftsgefüge beim FC Bayern ganz gut ablesen: Da sind 133


Spieler wie Robben oder Lewandowski, die sich fast komplett alleine warm machen und nur hier und da einen Pass spielen. Dann findet sich häufig eine Technikergruppe zusammen, bestehend zum Beispiel aus Thiago, Hummels und Kimmich, die Kurzpässe im Dreieck spielen. Arturo Vidal oder Rafinha laufen währenddessen ihre Runden, mal kreisen sie dabei mit den Armen, mal dehnen sie die Adduktoren. Und dann sind da Alaba und Ribéry, die nebeneinander auf den Platz gehen, miteinander passen, hintereinander aufs Tor schießen und dann wieder feixend im Kabinengang verschwinden. Auf dem Platz sind die beiden ebenso ein Team wie abseits des Spielfelds. Szenen einer Freundschaft zwischen zwei Fußballern. München, Frühjahr 2009: Dass David Alaba, 16 Jahre alt und eigentlich bei der U19 und den Amateuren beheimatet, bei den Profis mittrainieren darf, bedeutet auch, dass er sich in der Kabine im Haupttrakt umziehen muss. Als der junge Österreicher in die Umkleide an der Säbener Straße kommt, sitzen da die Spieler, die er bislang nur aus dem Fenster seines Zimmers im Jugendhaus beobachten konnte: Philipp Lahm, Bastian Schweinsteiger, Mark van Bommel, Luca Toni, Miroslav Klose – und Franck Ribéry. Der Franzose ist der absolute Topstar im Bayern-Kader. Lahm und Schweinsteiger sind in Deutschland populär, Ribéry wird gleichzeitig häufig in einer Kategorie mit Cristiano Ronaldo und Lionel Messi genannt. Woche für Woche rettet Ribéry den FC Bayern, der unter Trainer Jürgen Klinsmann erschreckend schwach agiert, mit seinen Einzelleistungen vor Niederlagen. An David Alabas erstem Tag im Profitrakt rettet er auch den Nachwuchsspieler, der sich schüchtern nach einem Platz zum Umziehen umsieht. „Komm her, setz dich neben mich“, sagt Ribéry zu Alaba. Man würde in Franck Ribéry auf den ersten Blick keine Vaterfigur vermuten, doch wie der Flügelstürmer mit jungen 134


Spielern umgeht, ist tatsächlich einzigartig. Nicht nur Alaba, auch Diego Contento und einigen anderen hilft er, bei den Bayern Fuß zu fassen. Er geht mit ihnen essen, fährt mit ihnen durch die Stadt und hilft bei der Integration. Während Philipp Lahm und Bastian Schweinsteiger ihre Führungsrolle beim FC Bayern häufig in der Kommunikation nach außen ausdrücken, legt Ribéry stets Wert auf seine Wirkung innerhalb des Teams. Gemeinsam mit Daniel van Buyten spielt er Luca Toni Streiche oder treibt Schabernack mit irgendwelchen anderen Kollegen. Ribéry gilt als Spaßvogel, der es hier und da auch einmal übertreibt. Er ist emotional, was im Spiel schnell mal zu einer Entgleisung und roten Karte führen kann, was aber neben dem Platz unheimlich wichtig ist für seine Beziehung zur Mannschaft. David Alaba ist begeistert davon, dass der Franzose ihm den Platz angeboten hat, es ist eine Geschichte, die er immer wieder in Interviews erzählen wird. Die wichtigen Momente in der Karriere eines Fußballers spielen sich nicht immer in den großen Stadien ab, sondern zum Beispiel beim Zurechtfinden in einem neuen Umfeld. Ribérys Einladung hat in jedem Fall langfristige Konsequenzen: Bis heute sitzt Alaba in der Kabine auf demselben Platz – und hat seinen französischen Freund neben sich. Valencia, 20. November 2012: Eigentlich will Bastian Schwein­ steiger in der 33. Minute zu Franck Ribéry passen, der in der Mitte freisteht. Doch das Zuspiel gerät etwas zu lang, was aber kein großes Problem ist, denn David Alaba ist in die gegnerische Hälfte aufgerückt und erkennt die Situation. Er zieht den Sprint an, um als Erster an den Ball zu kommen. Valencias Rechtsverteidiger Antonio Barragán hat die Situation jedoch auch erkannt und sprintet aus der entgegengesetzten Richtung auf den Ball zu. Alaba ist klar früher da und spitzelt ihn in den freien Raum – Barragán zieht jedoch nicht zurück, 135


sondern fliegt mit gestrecktem Bein heran. David Alaba wird in die Luft geschleudert und überschlägt sich, bevor er unsanft landet. Jetzt setzt Franck Ribéry zum Sprint an, allerdings nicht Richtung Ball. Der Franzose rast auf den spanischen Verteidiger zu und baut sich vor ihm auf. Was er ihm entgegenbrüllt, ist zwar nicht zu verstehen, aber mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht jugendfrei. Zum Glück erkennt er im letzten Moment, dass eine Diskussion mit Barragán ihm nicht weiterhelfen wird. Stattdessen dreht Ribéry sich mit wedelndem Arm zu Schiedsrichter Howard Webb um, der die rote Karte bereits in der Hand hält. Danach wendet er sich dem am Boden liegenden Alaba zu und beugt sich zu ihm herunter, während Webb den spanischen Verteidiger vom Platz stellt. München, 2. April 2013: Nach exakt gestoppten 25,02 Sekunden schlägt David Alabas Linksschuss aus 30 Metern im Tor von Juventus Turin ein. Arturo Vidal hat den Ball noch leicht abgefälscht, so dass Gianluigi Buffon keine Chance hatte, noch irgendetwas auszurichten. Viertelfinal-Hinspiel in der Champions League, die Bayern führen nach nicht einmal einer halben Minute mit 1:0. Alaba läuft Richtung Mittellinie, er reckt seine Arme in die Luft, schaut gen Himmel, setzt dann zu einem Luftsprung an und schraubt sich euphorisiert nach oben. Kurz bevor er wieder landet, ist Franck Ribéry bei ihm und fängt ihn auf. Der Franzose fällt ihm um den Hals, schreit ihm einige Worte ins Ohr. Einen kurzen Moment liegen sich die beiden in den Armen, dann kommen auch die anderen Bayern-Spieler hinzu. Doch Schweinsteiger, Gustavo, Dante, Mandžukić und Co. kommen gar nicht richtig an den Torschützen heran, immer noch hängt Ribéry ihm um den Hals. Erst als sich die Jubeltraube langsam wieder auflöst, lässt der Flügelstürmer von seinem kongenialen Partner ab. Das 136


Foto des fliegenden Alaba, der von Ribéry aufgefangen wird, ziert am nächsten Tag die Zeitungsseiten, es wird eines der prägenden Motive der Triple-Saison werden. Wembley, 25. Mai 2013: Die Sekunden nach dem Abpfiff des Champions-League-Finales gegen Borussia Dortmund vergehen blitzschnell, es ist viel los. Elf Dortmunder sinken zu Boden, elf Bayern auf dem Spielfeld und einige weitere von der Bank rennen ekstatisch und ungläubig herum. In diesen unfassbaren Sekunden ist nichts geplant, keiner kann im wichtigsten Moment seiner Karriere die Emotionen kontrollieren: Schiere Begeisterung strömt aus den Männern in den roten Trikots heraus. Nach etwa zehn Sekunden hat sich eine kleine Traube gebildet, in deren Mitte auch David Alaba ist. Als sich diese Traube wieder auflöst, will der vollkommen überforderte Ribéry irgendwo hingehen, wohin, weiß er wohl selbst nicht so genau. Doch da packt ihn David Alaba an der Schulter. Ribéry dreht sich um, beide greifen sich ungläubig an den Kopf – passiert das hier gerade wirklich? – und legen dann die Stirn aneinander. Knapp fünf Sekunden verweilen sie in dieser Position, dann fallen sie sich in die Arme, kurz darauf kommt Antatolij Tymoschtschuk dazu. Der Abend in Wembley schreibt so unendlich viele Geschichten. Arjen Robben schießt das Siegtor und steht danach vor den Fans, die ihn ein Jahr vorher noch ausgepfiffen hatten. Philipp Lahm und Bastian Schweinsteiger liegen sich tränenüberströmt in den Armen, diesmal jedoch aus Freude und nicht aus Frustration wie 2012. Später sitzen alle drei im Mittelkreis des Rasens von Wembley, ein Bild, das in die Annalen des FC Bayern eingehen wird. Da wäre Jupp Heynckes, der so euphorisch wie selten zuvor in seiner langen Karriere über den Rasen läuft. Und Jérôme Boateng, der kurz nach dem Abpfiff zu Dortmunds Neven Subotić geht und ihn 137


anbrüllt – eine Retourkutsche, nachdem der dasselbe ein Jahr zuvor bei einem verschossenen Bayern-Elfmeter getan hat. Bei all diesen kleinen Nebenschauplätzen der legendären Nacht von Wembley gehen die Sekunden, die David Alaba und Franck Ribéry Kopf an Kopf und Arm in Arm kurz nach dem Abpfiff miteinander teilen, fast unter. Gemeinsam genießen sie den größten Moment ihrer beiden Karrieren. Es ist für Franck Ribéry, seit 2007 beim FC Bayern, das Ende des langen Wegs zum großen Titel. Einen nicht unwesentlichen Abschnitt davon ist er mit Alaba gemeinsam gegangen, der ihn auch in den kommenden Jahren begleiten wird. Doch egal, was noch kommt: Emotionaler und tiefgehender wird eine Umarmung der beiden niemals werden. Trentino, 8. Juli 2013: Das Videoteam von SPOX nennt es das „Watschen-Spiel“, doch ob es für das Trainingsspiel, das eine kleine Gruppe von Spielern um Franck Ribéry und David Alaba im Trainingslager am Gardasee austrägt, tatsächlich einen Namen gibt, ist eher fraglich. Die „Übung“ geht folgendermaßen: Zu fünft sitzen die Bayern-Spieler im Kreis und müssen den Ball hochhalten. Wer das nicht schafft, bekommt von jedem Mitspieler eine Ohrfeige. Die Mitspieler sind neben Ribéry und Alaba Diego Contento, seit 2009 im Profikader, Mitchell Weiser, der gerade von einem halben Jahr Leihe aus Kaiserslautern zurückgekehrt ist, und Emre Can, eines der größten deutschen Talente, das jedoch meistens noch bei den Amateuren spielt. Alaba, Contento, Weiser und Can sind 21, 23, 19 und 19 Jahre alt – Ribéry 30. Der Franzose ist in der kleinen Gruppe, die im ersten Trainingslager unter Pep Guardiola mehr trainieren muss als wohl jemals zuvor, mal wieder der väterliche Freund. Der Katalane verlangt unheimlich viel von seinen Spielern, die sich abseits der taktischen Übungen ihre eigene Unterhal138


tung verschaffen. Papa Ribéry ist dabei der klare Chef, er gibt die Kommandos, entscheidet, wann wer gewatscht werden soll und ob die Watschen denn auch richtig ausgeführt worden ist. Ribérys Umgang mit jungen Spielern ist natürlich, er erklärt ihnen nicht aktiv irgendwelche fußballerischen Details, sondern kümmert sich auf seine spaßige Art um sie. In gewisser Weise hat Ribéry durchschaut, worauf es im Fußball und gerade bei einem großen Verein wie dem FC Bayern ankommt: Junge Spieler sind die Zukunft, damit sie jedoch ihre Topleistung bringen können, müssen sie sich in der Mannschaft wohlfühlen. Es mag sein, dass Bastian Schweinsteiger oder Philipp Lahm Talenten fußballerisch weiterhelfen können – doch Ribérys legerer Umgang mit der Jugend ist ein ebenso entscheidender Faktor bei der Integration des Nachwuchses. Am nächsten Tag kommt es dann plötzlich zu Jagdszenen: Im Watschen-Spiel hat David Alaba den Ball einmal fallen lassen, Ribéry jedoch zweimal gewatscht. Papa sprintet davon, doch sein österreichischer Ziehsohn ist schneller, holt ihn ein und watscht zurück. Der Nachteil, wenn man Zeit mit der Jugend verbringt. Wolfsburg, 29. Februar 2016: Nach dem 2:0-Auswärtssieg beim VfL Wolfsburg müssen die Bayern-Spieler auf dem Weg zum Bus durch die Katakomben vorbei an einem kleinen Stand, wo eine Mitarbeiterin Fotos der Fußballer ausgelegt hat und darauf wartet, dass sie signiert werden. Auch Alaba und Ribéry kommen irgendwann durch die Glastür, gut gelaunt nach dem Sieg, und unterschreiben ihre Karten. Dann folgt ein klassischer Ribéry: „Also, sag mir“, redet er die Mitarbeiterin an und deutet auf das Foto von Alaba und sich selber, „wer ist besser: diese da [Alaba] oder diese [Ribéry]?“ „Sag ehrlich“, meint auch Alaba. Kurz überlegt die junge Dame, 139


was wohl die klügere Antwort in dieser Situation ist, und zeigt dann auf Ribéry. Der lacht auf und fällt ihr in die Arme. Alaba verabschiedet sich mit einem „Echt jetzt?“ und geht grinsend weiter Richtung Bus. „Ah, David, tut mir leid, du bist noch jung, musst noch viel mehr Fußball spielen“, feixt Ribéry ihm hinterher und zieht laut lachend weiter. Doch die Rache folgt auf dem Fuß, denn Ribéry hat eine entscheidende Schwäche, die Alaba immer wieder ausnutzt: Er schläft, wann immer er sich in Bus oder Flugzeug befindet. Sitzpartner Alaba und sein Snapchat-Account sind davon hellauf begeistert, alle paar Wochen schickt er ein Foto vom schlafenden Franck durchs Internet. Auf YouTube gibt es bereits Best-of-Zusammenschnitte vom grinsenden Alaba, der seinen Kumpel trollt. München, 18. März 2016: Franck Ribéry hat nur sehr selten einen ernsten Gesichtsausdruck, erst recht nicht, wenn er über David Alaba spricht. An diesem Freitag, bei der Pressekonferenz vor dem Spiel gegen den 1. FC Köln, ist das jedoch anders. Alaba hat gerade einen neuen Vertrag bis 2021 unterschrieben, Ribéry wird danach gefragt, was er davon hält. Ribéry antwortet mit ruhiger Stimme und in seinem auch nach neun Jahren beim FC Bayern immer noch stark französisch angehauchtem Deutsch: „David ist wie ein kleiner Bruder für mich, und ich will, dass er glücklich ist. Natürlich haben wir auch darüber gesprochen, er hat mich gefragt, was er machen soll. Und ich habe ihm geantwortet, dass Bayern ein Topklub sei und die Leute hier ihn lieben und dass das doch schön sei.“ Nach außen hin scheint es oft so, als würde Alaba und Ribéry vor allem eine Leidenschaft für Schelmereien, schnelle Autos, Partys und ausgefallene Klamotten verbinden. Gerade wegen dieser Interessen sehen nicht wenige in München es 140


kritisch, dass Alaba sich stark an Ribéry orientiert. Immer wieder heißt es, der Franzose sei kein professionelles Vorbild, er habe nicht die Arbeitsmoral von Arjen Robben oder den Intellekt von Philipp Lahm. Tatsächlich übertreiben es die beiden vielleicht manchmal mit den Scherzen – doch abseits der Fernsehkameras und auch abseits der Snaps und Insta­ gram-Fotos gibt es eine weitere Seite dieser Freundschaft: Franck steht Alaba beratend zur Seite. Er jagt nicht nur mit ihm über den Platz und reißt Witze, sondern hilft ihm, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Denn Franck Ribéry kann man vieles vorwerfen, doch keinesfalls mangelnde Lebenserfahrung. Aufgewachsen ist er in einem Problemviertel von Boulogne-sur-Mer, einem kleinen Nest an der nordfranzösischen Atlantikküste. Er hatte den professionellen Fußball kurzzeitig bereits aufgegeben und auf dem Bau gearbeitet, ist beim OSC Lille durchgefallen, beim FC Metz gescheitert und war bei Galatasaray Istanbul erfolglos. Einige Jahre später wurde er von einem Sponsor auf einem Werbeplakat zum neuen König Bayerns ausgerufen und Europas Fußballer des Jahres. Kurz: Franck Ribéry hat alle Höhen und Tiefen erlebt und daher vermutlich eine bessere Sicht auf die wichtigen Entscheidungen in einem Fußballerleben, als man von außen vermuten würde. Als Franck Ribéry die Pressekonferenz verlässt, ist der ernste Gesichtsausdruck wieder einem freundlichen Lächeln gewichen. „Sagt ihr David bitte, dass ich auch noch einen neuen Vertrag brauche?“, meint er zu den Journalisten, als er den Raum verlässt. Ganz ohne Schelmerei geht es eben doch nicht – und das ist gut so.

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ALABA Wer in Wien als Sohn einer Philippinin und eines Nigerianers auf aufwächst, nicht Ski fährt und dennoch zweimal Österreichs „Sportler des Jahres“ wird, der ist etwas ganz Besonderes: Dieses Buch erzählt die spannende Geschichte des Fußballers David Alaba. Von seiner Kindheit und den ersten Schritten als Profi beim FK Austria Wien bis zu den großen Erfolgen mit dem FC Bayern München und der wechselvollen Karriere in der österreichischen Nationalelf.

Der Autor Felix Haselsteiner hat mit zahlreichen Weggefährten gesprochen und zeichnet ein differenziertes Bild dieses Ausnahmekickers.

ISBN 978-3-7307-0279-6 VERLAG DIE WERKSTATT


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