Bernd-M. Beyer
HELMUT SCHÖN
VERLAG DIE WERKSTATT
Eine Biografie
Inhalt
prolog: An einem Tag in Brüssel
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kapitel 1: Früher Lorbeer 1915 bis 1934: Kindheit und Karrierebeginn
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exkurs: Helmut Schön und seine Lehrmeister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 kapitel 2: Höhenflug und harter Boden 1935 bis 1941: Die Zeit bei der Nationalmannschaft kapitel 3: Krönungen in Kriegszeiten 1940 bis 1944: Titel mit dem Dresdner SC
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exkurs: Helmut Schön und der Untergang des alten Dresden .. . . . 109 kapitel 4: Der stille Dissident 1945 bis 1950: Trainer in der DDR
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kapitel 5: Auf Wanderschaft 1950 bis 1952: Intermezzo in Westberlin und Wiesbaden .. . . . . . . . . . . . 157 kapitel 6: Länderspiele gegen den Lehrmeister 1952 bis 1956: Verbandstrainer im Saarland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 kapitel 7: Im Schatten des »Chefs« 1956 bis 1964: Assistent von Sepp Herberger .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 kapitel 8: Erste Bewährung 1964 bis 1966: Amtsübernahme und Vizeweltmeisterschaft
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exkurs: Helmut Schön und die Dopingfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 exkurs: Helmut Schön und Herbergers Zorn
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kapitel 9: Im Fokus der Kritiker Europameisterschaft 1968 und Weltmeisterschaft 1970 . . . . . . . . . . . . . . . 263 exkurs: Helmut Schön und die Medien
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kapitel 10: Traummonate Die Europameisterschaft 1972
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exkurs: Helmut Schön und die Stasi
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kapitel 11: Auf dem Gipfel Die Weltmeisterschaft 1974 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 exkurs: Helmut Schön und Volkes Stimme
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kapitel 12: Am Ende eine Enttäuschung Europameisterschaft 1976 und Weltmeisterschaft 1978 . . . . . . . . . . . . . . . 399 exkurs: Helmut Schön, Oberst Rudel und die Junta . . . . . . . . . . . . . . . . 440 kapitel 13: »Ein großer Trainer« 1978 bis 1996: Ruhestand und Bilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 453 AN HANG
Danksagung
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482
Biografische Daten zu Helmut Schön .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 484 Helmut Schöns Länderspiele .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 488 Literatur und Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 496 Personenregister
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E X K U RS
Helmut Schön und Herbergers Zorn
Im kühl klimatisierten Keller der DFB-Zentrale lagern mit den Nachlässen von Helmut Schön und Sepp Herberger wahre Schätze für Fußballhistoriker: Briefe, Zeitungsausschnitte, Vorträge, Rundschreiben und vor allem: persönliche Notizen. Herberger war diesbezüglich freigiebiger als sein Nachfolger. Er stellte seine Unterlagen ganz offensichtlich ungefiltert und in voller Breite ins Archiv. Schöns Nachlass, soweit er beim DFB einzusehen ist, wirkt wesentlich ausgewählter und ist auch weniger umfangreich. Wer die Unterlagen durchsieht, wird bei Schöns Dokumenten beispielsweise kaum einen Hinweis finden, in dem er sich über Herberger beschwert. Umgekehrt ist das ganz anders – Herbergers Klagen über seinen Assistenten und Nachfolger springen geradezu ins Auge, Skepsis durchzieht die Aufzeichnungen schon in den fünfziger Jahren, und der Tonfall wird im Laufe der Zusammenarbeit schärfer. Beim Durchblättern fällt auf, dass die deftigsten Kommentare einheitlich mit dickem schwarzem Filzstift angefügt worden sind, manchmal beigeheftet auf einem zusätzlichen Blatt. Es drängt sich die Vermutung auf, als habe hier ein erzürnter Herberger zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal seine Unterlagen durchgesehen und grimmige Nachbemerkungen formuliert. »Schöns Machenschaft«, heißt es beispielsweise an einer Stelle, »Schön’s ›Zuverlässigkeit‹«, an anderer – »Zuverlässigkeit« in vielsagende Anführung gesetzt. »Helmut Schön’s Doppelzüngigkeit«, so kommentierte Herberger nachträglich eine eigene handschriftliche Notiz, die freilich keine Doppelzüngigkeit ausweist: Schön hatte ihn 1957 darauf hingewiesen, dass er zwar »im Osten«, also der DDR, viele gute Freunde habe, aber nach Berlin doch lieber fliegen wolle, da er als »Republikflüchtling« eben auch Repressalien zu fürchten habe. 257
Grobe Kurzkommentare finden sich in den folgenden Jahren immer wieder. Über eine Zeitschriftenreportage, die 1963 Schön als kommenden Bundestrainer vorstellte, giftete der schwarze Filzstift: »H. Schön kann es offenbar nicht erwarten.« Oder 1965 über Schöns zurückhaltende Reaktion auf Herbergers Bemühung, Albert Brülls für die Nationalelf zu gewinnen: »Also: Ablehnung! Kein Dank!!« So richtig in Rage aber kam Herberger zur WM 1966. »Schön keine Verbindung mit Alten!«, heißt es da im Stakkato, »…mit Italienern«, »…mit Spielern«. Und schließlich: »in England: keine Vorbereitung – kein Plan!!« Das wurde vermutlich vor der Endrunde formuliert, die für Schön und die deutsche Nationalmannschaft dann doch erfolgreich verlief. Für Herberger war das kein Anlass, den Tonfall zurückzudrehen. Vielmehr brachte er wieder mal seinen Filzstift in Aktion: »10. 10. 66. Schön sucht persönliche Aufwertung auf meine Kosten und fälscht die Geschichte der Nat.M. durch bewusste Unwahrheiten.« Das klang nun doch nach starkem Tobak. Was war geschehen? Bereits im März 1965, vor einem Länderspiel gegen Italien in Hamburg, war im »Kicker« ein Interview mit Schön erschienen, in dem der neue Bundestrainer formuliert hatte: »Ich habe bei meinem Amtsantritt nicht etwa eine Nationalmannschaft übernommen, die es nur noch zu formen galt. […] Von einer eingespielten Mannschaft, ja von einem Team konnte da wohl kaum die Rede sein. […] Das Wort vom Neuaufbau ist also doch nicht unbegründet.« Wie im letzten Kapitel dargestellt, entsprach diese Sichtweise den Realitäten. Nach dem Italien-Spiel gab Schön noch ähnliche Kommentare zu Protokoll, und Herberger notierte neben aufgeklebte Zeitungsausschnitte mit grobem Filzstift noch einmal die Aussage seines Nachfolgers im »Sport-Magazin« vom 15. März: »Ich besitze jetzt wenigstens einen Stamm«; die Worte »jetzt wenigstens« waren dick unterstrichen. Auf dem folgenden Blatt höhnte der Alte: »Schon bald wird von diesem Stamm nichts mehr zu sehen sein.« Herberger sah sich ganz offensichtlich in seiner Ehre zutiefst gekränkt. Den Vorwurf seines Nachfolgers, er habe diesem keine Mannschaft mit festem Stamm, also sozusagen einen Scherbenhaufen 258
hinterlassen, konnte und wollte er nicht auf sich sitzen lassen. Vermutlich zunächst nur für sich privat begann er, Mannschaftsaufstellungen und Statistiken aufzunotieren: Welcher Spieler wann von wem und wie oft in den letzten Jahren eingesetzt worden sei. Es müssen stundenlange Recherchen und Niederschriften gewesen sein, säuberlich getippt, teils in Rot, teils in Schwarz. Doch er tauschte sich offenbar mit Schön noch nicht darüber aus. Der wunderte sich zwar (in einem Brief vom 4. April 1965), dass sich Herberger »mir gegenüber sehr reserviert« verhalte, führte dies jedoch auf Banalitäten zurück: Vermutlich sei das so, weil er, Schön, sich »wenig zuvorkommend« gezeigt habe, als Herberger ihn um das Signieren zweier Fußbälle bat. »In Erwartung Ihrer umgehenden Antwort« Zum offenen Konflikt kam es erst nach dem WM-Turnier von 1966. Schön war von der englischen Sportorganisation Central Council of Physical Recreation eingeladen worden, auf einer überregionalen Trainerkonferenz im Londoner Crystal Palace einen Vortrag zu halten. Thema: »Die Vorbereitung einer Nationalmannschaft«. Nach Presseberichten wiederholte dort Schön seine Aussagen. Unter anderem hieß es: »Er habe, so sagte Schön, damals eine Mannschaft übernommen, die international nicht anerkannt gewesen sei. Im Hinblick auf die Weltmeisterschaft in England habe er auf die Suche gehen müssen, für jede Position in der Mannschaft den ›richtigen‹ Spieler zu finden.« Das war zu viel für den Alten. Herberger setzte sich hin, protestierte gegen Schöns Darstellung, legte einen Zeitungssauschnitt dazu, verlangte Aufklärung und schickte das Ganze am 5. Oktober 1966 per Einschreiben los, »in Erwartung Ihrer umgehenden Antwort«. Die Antwort von Schön kam tatsächlich umgehend, aber in einer eher unterkühlten Tonlage: »Lieber Herr Herberger! Ich habe Ihre Zeilen erhalten und möchte Ihnen meine Verwunderung und Bestürzung darüber ausdrücken, dass Sie mir einen Einschreibebrief geschickt haben, wobei sicher der Wunsch nach einer Aufklärung des ›Falles‹ hätte in anderer Weise erfolgen können. Ich sende Ihnen deshalb die Antwort auf Ihren Brief nicht als ›Einschreiben‹ zurück.« In der Sache blieb Schön im Wesentlichen bei seiner Sichtweise. Er distanzierte sich von einzelnen Formulierungen der Pressemel259
dungen – was Herbergers Filz zu der Anmerkung provozierte: »die alten, faulen Ausreden!«. Doch das Londoner Redemanuskript, aus dem Schön zur Richtigstellung zitierte, klang nicht gerade nach einem grundlegenden Dementi: »Es war keine eingespielte Mannschaft vorhanden, als das 1. Qualifikationsspiel gegen Schweden ausgetragen wurde.« Zwar schrieb Schön auch, »von einer international nicht anerkannten Mannschaft« sei in Wahrheit keine Rede gewesen, aber: »Zu dem Ausdruck ›nicht eingespielt‹ stehe ich jedoch.« Schön versicherte, es gehe ihm nicht darum, Herberger »in Misskredit zu bringen«. Und er endete: »Ich lege Ihnen den mitgeschickten Zeitungsausschnitt wieder bei und verbleibe mit den besten Grüssen aus [sic] an Ihre liebe Frau Ihr Helmut Schön.« Nur zwei Tage später hatte er Herbergers Antwort auf dem Schreibtisch, einen dreiseitigen, eng maschinenbeschriebenen Brief, der mit den Worten begann: »Lieber Helmut Schön! Ihre angeblichen Äusserungen in England haben in mir schmerzliche Erinnerungen wiedergeweckt und alte, verdrängte Zweifel wieder wachgerufen. Auch Ihr Brief hat daran nichts geändert. So – oder so ähnlich – wie man es Ihnen jetzt in den Mund legt, war es von dem Tage an, da Sie meine Nachfolgeschaft angetreten haben, in Interviews, Kommentaren und Gesprächen immer und immer wieder zu lesen und zu hören.« Es folgten die inkriminierten Zitate wie »keine Mannschaft übernommen« oder »jetzt wenigstens einen Stamm« – mit dem empörten Zusatz: »›Wenigstens‹ haben Sie gesagt.« Und es folgte seine Auflistung von Aufstellungen und Einsätzen, die beweisen sollte, dass alles ganz anders war. Wie ernst es Herberger damit war, seinen Ruf zu retten, beweist die Tatsache, dass er ähnliche, teilweise wortgleiche Briefe auch an den DFB-Präsidenten Dr. Hermann Gösmann und an den westdeutschen Verbandsfunktionär August Esser schickte. Sein Resümee gegenüber Gösmann: »Wenn ich mir diese Aufstellungen so recht betrachte, dann darf ich doch – ohne zu übertreiben – sagen, dass das von Schön in England aufgestellte Aufgebot eher als meine Mannschaft, denn als seine angesehen werden darf.« Und er endete mit einer vagen Drohung: »Helmut Schön weiß seit Tagen was er zu erwarten hat, wenn er weiter so den Tatsachen widersprechende Unwahrheiten in die Welt setzt.« 260
Gemeint hatte Herberger wohl: Er werde den Zwist an die Öffentlichkeit bringen, denn am Ende seines Schreibens an Schön hieß es: »Wenn sich in Zukunft einmal wiederholen sollte, was ich in den vorstehenden Zeilen angekreidet habe – ganz gleich, von welcher Seite es auch kommen mag, werde ich nicht mehr schweigen.« Späte Aussöhnung
Auch wenn Herbergers »Richtigstellungen« in ausufernder Empirie bestanden – im Grunde ging es ihm nicht um die Sache selbst. Dass Herberger mit dem WM-Kader von 1962 selbst nicht ganz zufrieden gewesen war, dass der Umbau weitergehen musste und dass er zwei Jahre vor der nächsten WM-Endrunde noch nicht abgeschlossen sein konnte, waren kaum bestreitbare Binsenweisheiten. Wenn Schön diesen Umstand so stark hervorhob, so bedeutete dies sicherlich auch den Versuch, aus dem übergroßen Schatten seines Vorgängers zu treten. Er kannte Herbergers Zweifel und Cramers Ehrgeiz. Und er musste vor der WM 1966 befürchten, dass ein Scheitern ihm, ein Erfolg aber Herberger zugeschrieben würde. Umso größer sein Bemühen, nach dem Turnier den eigenen Anteil am Erfolg hervorzuheben. Bei Herbergers nahezu manischem Drang, die Dinge aus seiner Sicht zurechtzurücken, wirkten wiederum die Verletzungen aus dem Sommer 1962 nach. Zuerst die Medienkritik über die schwache WM, und nun Schöns Klage und Distanzierung – jemand wie Herberger, der so empfindsam auf sein Renommee bedacht war, musste entsetzt darüber sein, wie über sein Erbe geurteilt wurde. Fortan blieb er auf deutlicher Distanz zu seinem Nachfolger. Bei der gescheiterten Qualifikation für die EM 1968 sah er seine Skepsis an Schöns Wirken bestätigt, und zwei Jahre später, vor der WM in Mexiko, stand er wohl auf der Seite von Dettmar Cramer, der daran arbeitete, Schön abzulösen. Öffentlich aber enthielt sich Herberger jeder kritischen Äußerung, nur sehr indirekt war sie an seinen Statements abzulesen. Als er – unter freundlicher Mithilfe des TV-Journalisten Harry Valérien – einen ausführlichen, vier Manuskriptseiten umfassenden Artikel über sein Fazit zur WM 1970 verfasste, hob er vor allem Uwe Seeler und Gerd Müller heraus und ergänzte: »Alle 261
haben höchstes Lob verdient. Der Sepp, der Berti, der Willi und die Karlheinz, der Franz und die Wolfgangs und wie sie alle im einzelnen heissen.« Nur Helmut Schön erwähnte er mit keinem einzigen Wort. Über die Jahre scheint sich das Verhältnis wieder normalisiert zu haben. Herbergers Biograf Jürgen Leinemann erzählte davon, dass die beiden zusammen mit Fritz Walter nach der gerade erfolgten Gruppenauslosung für die WM-Endrunde 1974 beisammensaßen, um »ein bisschen, wie Herberger zu sagen pflegte, über den Fußball zu plauschen«. Auch Fotos aus dieser Zeit zeigen beide recht einträchtig im Gespräch. Die eigenen Erfolge hatten Schön gelassener gemacht, bei Herberger war’s die Altersmilde; laut Leinemann hatte er dann auch »keine Schwierigkeiten mehr, seinem Nachfolger den Weltmeisterschaftstriumph zu gönnen«. Im März 1977, zu Herbergers 80. Geburtstag, hielt Helmut Schön eine Laudatio auf den greisen Vorgänger und versicherte ihm »ein Gefühl tiefempfundener Dankbarkeit für die väterliche Freundschaft und Liebenswürdigkeit, die Sie mir immer erwiesen haben«. Wenige Wochen später, am frühen Nachmittag des 27. April 1977, telefonierten die beiden miteinander; es ging um das Länderspiel gegen Nordirland, das am Abend stattfinden sollte. Herberger schaute sich die Begegnung im Fernsehsessel an. Dabei erlitt er einen Herzinfarkt und starb noch in der Nacht im Mannheimer Krankenhaus. Schön war einer der Letzten, mit denen er gesprochen hatte, und die beiden waren nicht im Streit geschieden. Schön: »Er hat mir noch gesagt, dass er die Aufstellung gut und richtig findet.«
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Europameister 1972, Weltmeister 1974: Helmut Schön ist bis heute der erfolgreichste Bundestrainer. Seine Fußball-Karriere spiegelt fünf wechselhafte Jahrzehnte deutscher Geschichte: Zuschaueridol in der NS-Zeit, Nationaltrainer in der DDR und im damals selbstständigen Saarland, Bundestrainer in einer Zeit gesellschaftlicher Umbrüche. Der feinfühlige Intellektuelle pflegte einen im Fußball seltenen Stil: einen demokratischen.
ISBN 978-3-7307-0316-8 VERLAG DIE WERKSTATT