Dietrich SchulzeMarmeling
VERLAG DIE WERKSTATT
Celtic Ein „irischer“ Klub in Glasgow
Inhalt Vorwort
........................................................
7
Teil I
Die Geschichte von Celtic Glasgow KAPITEL 1
Katholiken in einem reformierten Land . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 KAPITEL 2
Der Klub der Einwanderer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 EINWURF: Celtic-Patron und Sozialrevolutionär: Michael Davitt .. . 37 KAPITEL 3
Vom „Charity Club“ zum Fußball-Business .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 KAPITEL 4
Katholiken, Sozialisten, Celtic . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 EINWURF: Legendär: Celtic Park und Celtic-Pubs . . . . . . . . . . . . . . . . 71 KAPITEL 5
Magere Nachkriegsjahre und Streit um die Trikolore .. . . . . . . . . . . . . 77 EINWURF: „Lord of the Wing“ – Jimmy Johnstone . . . . . . . . . . . . . . . . 89 KAPITEL 6
„Lisbon Lions“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 EINWURF: Jock Stein – „He made the Celtic great“ .. . . . . . . . . . . . . . 107 KAPITEL 7
Das Jahr 1968, eine „Battle of Britain“ und junge Qualität . . . . . . . . 112 EINWURF: Celtic-Promis: Kleeblätter an der Wand . . . . . . . . . . . . . . 124 KAPITEL 8
Moderne Rangers, verstaubtes Celtic .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 KAPITEL 9
Das Ende der Familiendynastie und rassistische Gewalt . . . . . . . . . . 141 EINWURF: „The Rebel’s Choice“ – Celtic und der FC St. Pauli . . . . . 156
KAPITEL 10
Ein „Treble“ und europäische Nächte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 EINWURF: Henrik Larsson – das Idol des Ronaldinho . . . . . . . . . . . . 182 KAPITEL 11
Celtic ohne Rangers
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185
KAPITEL 12
Stark in Schottland, schwach in Europa
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198
Teil II
Celtic, Irland und die „Troubles“ KAPITEL 13
Celtic Belfast – eine irische Legende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 EINWURF: Auf den Spuren von Celtic Belfast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 KAPITEL 14
Die gespaltene Fußball-Landschaft von Belfast
. . . . . . . . . . . . . . . . . . 227
KAPITEL 15
Celtic, Rangers und Belfast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 KAPITEL 16
Celtic und die irischen Nationalmannschaften .. . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 Glossar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 Zum Autor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287
Vorwort 1988 lebte ich in der nordirischen Grenzstadt Newry, einer überwiegend katholischen Kleinstadt, die damals stark von den „Troubles“ heimgesucht wurde. So nannten Nordiren etwas euphemistisch den Konflikt, der in den Jahren 1968 bis 1998 über 3.500 Todesopfer forderte, davon etwa 3.300 in Nordirland – einem Land, das nur gut 1,8 Millionen Einwohner zählt. Meine Familie und ich erlebten in unserer Umgebung einige Bombenanschläge der IRA, u. a. wurden während unseres Aufenthalts die Zollstation in die Luft gesprengt und wiederholt der grenzüberschreitende Betrieb der Bahnlinie Dublin – Belfast, die hinter unserer Wohnung verlief, dem Kampf für die Beseitigung der Grenze geopfert. Meine Frau arbeitete als Ärztin im lokalen Krankenhaus, und ihre ersten Patienten waren drei katholische Jugendliche, die in einer Disko im protestantischen Kilkeel durch Messerstiche verletzt worden waren, sowie ein Polizist, der auf dem Weg zum Dienst mit seinem Auto vor einem Baum gerast war und nun von zwei Kollegen bewacht wurde, die sich vor seiner Tür mit Panzerwesten bekleidet und dem Gewehr im Anschlag postierten. Waffen im Krankenhaus, das fand meine Frau unmöglich. Nachdem sie deshalb mit den Polizisten aneinandergeraten war, wurde sie von ihrem Chef darüber aufgeklärt, dass Nordirland eine etwas andere Welt als Deutschland sei. Eine andere Welt – das galt auch für den Fußball. 1988 feierte Celtic Glasgow seinen 100. Geburtstag. (Dass der Klub eigentlich bereits 1887 gegründet wurde, dämmerte den Verantwortlichen erst etwas später.) Celtics enge Verbindung zu Irland, insbesondere Nordirland, war für mich bis dahin unbekannt. Für mich war Celtic einfach nur ein schottischer Verein, katholischer Rivale der protestantischen Rangers, mit denen man in Glasgow einen religiös unterlegten „Fußballkrieg“ ausfocht. Ansonsten wusste ich noch, dass Celtic 1967 als erster britischer Klub den Europapokal der Landesmeister gewonnen hatte. Mit einem Fußball, von dem die Fachwelt und die Romantiker des Spiels noch viele Jahre später schwärmten, da er zum richtigen Zeitpunkt demonstrierte, dass es noch ein Spiel jenseits des italienischen Catenaccio gab. Einige Spieler aus diesem Team, das „Lisbon 7
Lions“ getauft wurde, waren mir noch geläufig: Jimmy Johnstone, Bobby Lennox, Tommy Gemmell, Billy McNeill und Bobby Murdoch – auch weil sie 1969 in der WM-Qualifikation für Schottland gegen Deutschland gespielt hatten. Das Trikot-Merchandising der Fußballvereine steckte damals noch in den Kinderschuhen. Nicht so bei Celtic. Zu meinem Erstaunen liefen in Newry viele Kinder, Jugendliche und junge Männer in Celtics Jubiläumstrikot durch die Straßen. Mit spürbarem Stolz. In den ärmeren katholischen Vierteln erschien mir dies als feinstes (auf jeden Fall teuerstes) Kleidungsstück. (Ich bekam von meiner Frau das Trikot zum Geburtstag geschenkt. Bei der Buchmesse 1992 schmückte es den Stand des Werkstatt-Verlags, um auf mein erstes Fußballbuch – „Der gezähmte Fußball“ – hinzuweisen. Es hing dort aber nur einen Tag, dann wurde es gestohlen.) An Häusern und Mauern, an denen ansonsten nur PIRA (für Provisional IRA), FTQ (für „Fuck the Queen“), UTP (für „Up The Provos“ – „Provos“ = IRA), „Brits Out“ etc. geschrieben stand, las man nun auch Geburtstagsglückwünsche für den Glasgower Klub. Auch gab es in Newry einen lokalen Verein namens Newry Celtic, der wie der Glasgow-Klub in grün-weiß quergestreiften Trikots kickte. Und sämtliche nordirischen und irischen Zeitungen und Magazine widmeten dem Jubiläum ausführliche Artikel, die die Geschichte des Klubs, der als Wohlfahrtsorganisation gegründet wurde, erzählten. Den interessantesten schrieb eine Legende der nordirischen Bürgerrechtsbewegung, der linke nordirische Polit-Aktivist, Journalist und Fußballfan (Derry City Football Club) Eamonn McCann, für das Magazin „Magill“, vergleichbar mit dem hiesigen „Spiegel“. Einige Jahre später heiratete ein mit uns befreundetes nordirisches Paar im südirischen Carlingford. Das Dorf liegt etwa 25 Kilometer südlich von Newry, von dort bis zur inneririschen Grenze sind es vielleicht 15 Kilometer. Das Paar stammte aus dem katholischen Westen Belfasts. Der Pfarrer kam aus Toomebridge, einem kleinen Dorf am Lough Neagh in Nordirland mit Verbindungen zur Familiendynastie, der Celtic bis Mitte der 1990er gehörte. Der Vater der Braut war einer der höchsten Richter Nordirlands, einer der wenigen Katholiken in dieser Position, und Celtic-Fan. Die Messe startete um 15 Uhr, also zeitgleich mit dem Spieltag der schottischen Liga. Der Pfarrer eröffnete seinen Gottesdienst mit den Worten: „Ich weiß, dass viele von euch jetzt lieber im Celtic Park wären, wo Celtic gegen Hibernian spielt. Bringen wir es hinter uns!“ 8
Gut 25 Jahre nach der Hochzeit in Carlingford, im Januar 2018, war ich in Glasgow im Celtic Park, um genau diese Begegnung zu sehen: Celtic gegen Hibernian Edinburgh, wie Celtic zunächst ein Klub irisch-katholischer Einwanderer, von denen viele auf der Flucht vor den irischen Hungerkatastrophen in Schottland gestrandet waren. Die Scottish Premiership ist im europäischen Vergleich nur noch eine zweitklassige Veranstaltung. Celtic schafft es als Meister bestenfalls in die Gruppenphase der Champions League, in der man in den letzten Jahren deutlich überfordert war. Und trotzdem kamen zu diesem Spiel gegen Hibernian knapp 60.000 Zuschauer, darunter einige Tausend aus Irland. Man spürte förmlich, dass es hier um mehr als nur Fußball ging. Das Ganze hatte etwas von einer großen Familienfeier, zu der auch mit einer Karawane von Bussen die Verwandten aus Belfast, Derry, Newry und Dublin gekommen waren. Vor dem Celtic Park gab es irische Trikoloren mit dem Celtic-Emblem zu kaufen und Schals, auf denen die Führer des irischen Osteraufstands von 1916 und Che Guevara verehrt wurden. Denn der findige Ire hat herausgefunden: Der Argentinier und Comandante der kubanischen Rebellenarmee hatte irische Vorfahren (wie vermutlich auch Adam und Eva – im Falle von Che Guevara stimmt es aber tatsächlich) und hieß eigentlich Ernesto Che Guevara Lynch. Den CheGuevara-Schal ziert eine Aussage seines Vaters: „In my son’s veins flowed the blood of Irish Rebels“. 2017 gab die irische Post zum 50. Todestag des Comandante eine Sondermarke heraus. Meine Annäherung an Celtic begann also über den Umweg Nordirland, wo ich realisierte, dass in einer Stadt wie Belfast die Celtic-Rangers-Rivalität eine genauso große Rolle spielt wie in Glasgow selbst. Und so wie der Konflikt in Nordirland nicht einfach nur einer zwischen zwei Konfessionen war – hierzulande war ja häufig von einem „Religionskrieg“ die Rede –, greift es auch zu kurz, die Celtic-Rangers-Rivalität auf Katholiken gegen Protestanten zu reduzieren und Celtic auf einen „katholischen“ Verein. Dies stimmte bereits bei der Gründung nicht. Zwar wird als Gründer des Vereins der aus Irland stammende Mönch Walfried verehrt, aber Celtic war vor allem ein Projekt irischstämmiger Geschäftsleute und der politischen Klasse der irischen Einwanderer, die für die Selbstständigkeit des Landes ihrer Herkunft agitierten. Später übte Celtic auch eine große Anziehungskraft auf Glasgows Sozialisten aus. 9
Heute befindet sich Celtic zwar international nur noch in der zweiten Reihe, ist aber unverändert einer der weltweit populärsten Fußballklubs. Verantwortlich hierfür ist eine Melange aus Fußball, Politik und Religion sowie die große irische Diaspora, auf die sich der Klub verlassen kann. Die Zahl der außerhalb Irlands lebenden Menschen mit irischen Wurzeln wird auf 70 Millionen geschätzt, davon allein 34,7 Millionen in den USA. (In Che Guevaras Argentinien sind es 350.000 bis eine halbe Million.) Dieses Buch erzählt nicht nur Celtics sportliche Geschichte, sondern auch über die besondere Beziehung des Klubs zur irischen Insel, hier vor allem zur katholischen/republikanischen Community in Nordirland, sowie die Auswirkungen der Rivalität mit dem „protestantischen“ Stadtrivalen Rangers auf den Nordirlandkonflikt. Die Fan-Freundschaft zwischen Celtic und dem FC St. Pauli („The Rebel’s Choice“) darf natürlich auch nicht fehlen. Dietrich Schulze-Marmeling
PS Wer auf dem Weg von Dublin nach Belfast einen kleinen Umweg über Carlingford macht, der sollte hier unbedingt zwei Orte besuchen. Zum einen Dan’s Stone Wall Café, das am zentralen Platz liegt und u. a. exzellenten Kuchen serviert. Besitzer Dan McKevitt ist Celtic-Fan. Vom Café sind es nur wenige Schritte bis zu Guinness mit Austern im Pub PJ’s.
10
KAPITEL 11
Celtic ohne Rangers Der ehemalige Kapitän Neil Lennon wird Cheftrainer und zum Hassobjekt militanter Rangers-Fans. Im Celtic Park sorgen die Ultras von der Green Brigade für „republikanische Stimmung“. Zum 125. Geburtstag gelingt Celtic noch einmal ein großer Sieg in Europa – im Celtic Park wird der FC Barcelona mit 2:1 geschlagen. 2012 gehen die Rangers in die Insolvenz und müssen in der vierten Liga neu starten. In der Scottish Premiership muss Celtic nun vier Jahre ohne den härtesten Konkurrenten auskommen.
Aus der Not- wird eine Dauerlösung: Obwohl er auf dieser Position erst wenige Wochen Erfahrung besitzt, wird Neil Lennon am 9. Juni 2010 offiziell Cheftrainer von Celtic. Mit 38 Jahren ist er der jüngste in der Geschichte des Klubs. Schon als Spieler war der aus einem republikanischen Viertel im nordirischen Lurgan stammende Neil Lennon ein Hassobjekt loyalistischer Rangers- und Hearts-Fans gewesen. Als er 2003 einige Wochen vor dem UEFA-Pokal-Finale in Glasgow an einer Ampel stoppte, stürmten drei Rangers-Fans auf seinen Wagen zu, bespuckten diesen und schrien religiöse Beleidigungen. Als Lennon aus dem Wagen ausstieg, wurde er tätlich angegriffen. Ein anderes Mal wurde er in einem Restaurant im Westen Glasgows attackiert. Pistolenkugeln und Briefbomben Der Trainer Lennon steht nun noch stärker im Fokus militanter Rangers- und Hearts-Supporter als der Spieler Lennon. Er ist für sie der „Fenier“ schlechthin. Ein Mann, der einfach nicht bereit ist, vor ihnen auf die Knie zu gehen. Im Januar 2011 bekommen Lennon und die beiden nordirischen und katholischen Celtic-Akteure Patrick McCourt und Niall McGinn Pistolenkugeln zugeschickt. Aufgegeben wurden diese auf einem Postamt in der nordirischen Grafschaft Antrim. 185
Im März und April 2011 werden über die Royal Mail Briefbomben an Lennon, den Anwalt Paul McBride und die Labour-Abgeordnete Trish Goodmann versandt. McBride ist ein ehemaliger Vizepräsident des schottischen Parlaments. Der langjährige Labour-Politiker ist 2009 zu den Konservativen gewechselt. Als Anwalt vertritt er Celtic und Lennon in deren Disputen mit dem schottischen Fußballverband. Trish Goodmann, Abgeordnete für den Wahlkreis West Renfrewshire, ist bekennende Celtic-Anhängerin und kreuzte im Parlament auch schon im Dress der „Hoops“ auf. Als Täter werden die fanatischen RangersFans Neil McKenzie und Trevor Muirhead ermittelt. McKenzie ist ein aktenkundiger Krimineller mit Verbindungen zu loyalistischen Paramilitärs, Muirhead ein ehemaliges Mitglied des Oranier-Ordens und der Apprentice Boys of Londonderry. Den Morddrohungen und versuchten Anschlägen war ein hitziger Pokalfight zwischen Celtic und Rangers vorausgegangen, bei dem Celtic mit 1:0 die Oberhand behielt. Im Celtic Park waren drei Rangers-Akteure vom Platz geflogen. Rangers’ Assistenztrainer Ally McCoist und Neil Lennon wurden vom Schiedsrichter verwarnt. Als es zur Halbzeit in die Kabinen ging, gerieten die Spieler und Trainerstäbe im Tunnel heftig aneinander. Auch auf den Rängen und vor dem Stadion ging es munter zu. Die Polizei registrierte 34 Festnahmen im Celtic Park und 187 vor dessen Türen. Nach den Morddrohungen und Briefbomben bekommen Lennon und seine Familie rund um die Uhr Polizeischutz. Auch bei den Spielen ist die Polizei dabei. Was nicht verhindert, dass Lennon im Mai 2011 beim Auswärtsspiel gegen Heart of Midlothian in der Coaching-Zone von einem Fan der Heimmannschaft tätlich angegriffen wird. Neil Lennon und die Green Brigade Zu Lennons erster regulärer Saison als Cheftrainer hat eine Reihe von Spielern den Klub verlassen. Der irische Nationalspieler Aiden McGeady, der bereits seit seiner Jugend für Celtic spielt und seit 2004 zur ersten Mannschaft gehört, wird für 9,5 Mio. Pfund an Spartak Moskau verkauft, Rekord für einen schottischen Klub. Im Gegenzug kommen eine Reihe junger, preiswerter und weithin unbekannter Spieler aus England und einigen kleineren nationalen Ligen. So u. a. Emilio Izaguirre (Club Deportivo Motagua, Honduras) und Biram Kayal (Maccabi Haifa). Neuer Keeper wird Fraser Forster, den man bei Newcastle United ausleiht. 186
In der Liga wird Celtic 2010/11 hinter den Rangers Zweiter – mit nur einem Punkt weniger und der besseren Tordifferenz. Letzteres auch dank einer Abwehr, die in 33 Spielen nur 22 Tore zulässt. Im Finale des Ligapokals zieht man gegen Rangers ebenfalls den Kürzeren (1:2), aber im Finale des Pokals wird Motherwell mit 3:0 bezwungen. Nach dieser Saison verlässt Andreas Hinkel Celtic. Im Januar 2008 von Gordon Strachan für 1,9 Mio. Pfund vom FC Sevilla geholt, war Hinkel nach Andreas Thom der zweite Deutsche in der Vereinsgeschichte von Celtic gewesen. Der rechte Außenverteidiger bestritt 95 Pflichtspiele für den Klub. In seiner letzten Saison 2010/11 bleibt er allerdings aufgrund eines Kreuzbandrisses ohne Einsatz. Hinkels Resümee nach drei Jahren Celtic: „Dieser Klub ist einfach einmalig – wegen seiner Geschichte und seiner Fans, die für diesen Klub alles geben. Der Klub ist ja von einem Priester gegründet worden, um für die armen irischen Leute in Glasgow Geld einzunehmen und damit ihre Not zu lindern. Trotz aller Kommerzialisierung, die natürlich auch vor Celtic nicht haltgemacht hat, ist diese Tradition immer noch zu spüren.“ In der Saison 2011/12 läuft Celtic in der Liga den Rangers in den ersten Monaten hinterher. Im Oktober liegt man 15 Punkte hinter dem Rivalen, der aber auch zwei Spiele mehr absolviert hat. Die Wende kommt am 15. Oktober, als Celtic bei Kilmarnock antritt. Zur Halbzeit führt der Gastgeber mit 3:0. Lennon erzählt später, bei einem vierten Gegentreffer hätte er das Handtuch geschmissen. Aber so weit kommt es nicht. Nach dem Wiederanpfiff trifft nur noch Celtic, ebenfalls dreimal. Am 28. Dezember sind die „Hoops“ nach einem 1:0-Heimsieg über Rangers Tabellenführer. Bald darauf profitiert Celtic von finanziellen Problemen des Rivalen, die dazu führen, dass den insolventen Rangers am 14. Februar 2012 zehn Punkte abgezogen werden. Den Klub plagen Schulden in Höhe von ca. 200 Mio. Euro, mehr als die Hälfte davon sind Steuerschulden. Verantwortlich dafür ist in erster Linie eine Transferpolitik, die den schottischen Verhältnissen nicht angemessen war. RangersBoss David Murray hatte einst geprahlt: „Für jeden Fünfer, den sie (Celtic, Anm. d. A.) ausgeben, geben wir einen Zehner aus.“ Ablösesummen wurden mit Krediten bezahlt, die nicht gedeckt waren. Spielergehälter wurden nicht ordnungsgemäß versteuert – darunter auch die der deutschen Akteure Stefan Klos und Christian Nerlinger. Am 25. März 2012 kann Rangers den Titelgewinn Celtics durch einen 3:2-Sieg im Ibrox Park noch etwas hinauszögern. Doch als die 187
Rangers am 29. April zum letzten „Old Firm“ in dieser Saison in den Celtic Park kommen, ist Celtic bereits seit einer Woche bzw. einem 6:0-Auswärtssieg in Kilmarnock Meister. Die Celtic-Fans feiern nicht nur die 43. schottische Meisterschaft für ihren Klub, sondern auch die Pleite der Rangers. 2006 hat sich die Ultra-Gruppierung Green Brigade gegründet. Sie versteht sich selbst als „breite Front antifaschistischer, antirassistischer und antisektiererischer Celtic Supporter“. In den folgenden Jahren fällt sie u. a. dadurch auf, dass sie irische Rebellenlieder und Pro-IRA-Songs anstimmt. Außerdem protestiert sie öffentlichkeitswirksam gegen das Tragen des Mohnblumen-Emblems („Poppy“) auf speziell hierfür angefertigten Trikots am Remembrance Day, an dem sich Großbritannien alljährlich im November seiner Weltkriegstoten erinnert. Als Celtic im November 2010 den FC Aberdeen empfing, entfaltete die Green Brigade zwei Banner, auf denen geschrieben stand: „Your deeds would shame all the devils in Hell. Ireland, Iraq, Afghanistan. No bloodstained poppy on our Hoops.“ Auf die Pro-IRA-Gesänge angesprochen, gab UEFA-Kommunikationsdirektor William Gaillard 2006 ein bemerkenswertes Statement ab. Diese seien seiner Auffassung nach nicht sektiererisch, sondern mit denen bei anderen Klubs wie dem FC Barcelona und Athletic Bilbao zu vergleichen, wo Teile der Fans ebenfalls nationalistische Bewegungen unterstützen würden. In den Balkanländern sehe dies allerdings anders aus. Hier würden einige Fans Organisationen unterstützen, die ethnische Säuberungen betrieben hätten. Diese Organisationen seien ihrer Natur nach diskriminierend. Für die IRA würde dies aber nicht gelten. Neil Lennon kritisiert die IRA-Songs, bedankt sich aber nach dem letzten Meisterschaftsspiel der Saison 2011/12 bei der Green Brigade, indem er mit dem Meisterpokal zum Block der Ultras marschiert, die Trophäe vor ihnen abstellt und sich verbeugt. Lennon: „Ich wollte ihnen nur danke sagen, weil sie Woche für Woche eine großartige Atmosphäre geschaffen haben. Sie singen nonstop. Sie fügen Farbe hinzu. Manchmal sind sie ein bisschen umstritten, aber sie haben sich tadellos verhalten und die Kultur im Stadion verändert. Es ist ein toller Ort für die Fans, und die Atmosphäre in den großen Spielen war fantastisch. Sie sind der Katalysator für all das.“
188
Ohne Rangers Meister In die Saison 2012/13 startet die Scottish Premier League ohne die Rangers. Nach Insolvenz und Lizenzentzug muss sich der Verein neu gründen und den Spielbetrieb in der vierten Liga aufnehmen. So haben es 25 der 30 schottischen Profivereine entschieden. Celtic kostet der Ausfall des „Old Firm“ jährlich ca. 11 Mio. Euro Umsatz. In der Saison 2011/12 kamen im Schnitt 50.904 Zuschauer zu Celtic-Heimspielen. In den nächsten Jahren liegt der Zuspruch um einige Tausend unter der 50.000-Marke, der Tiefpunkt wird 2014/15 mit 44.595 erreicht. Als Rangers in der Saison 2016/17 wieder zurück in der Scottish Premier League ist, schnellt Celtics Zuschauerschnitt auf 55.667 hoch. Noch empfindlicher als die Einbußen bei den Zuschauereinnahmen sind die bei den TV Geldern, bedingt durch den Wegfall der globalen Vermarktung der Celtic-Rangers-Duelle. Andreas Hinkel: „Der Zwangsabstieg hatte auch negative Folgen für Celtic. Ich habe mit Celtic-Verantwortlichen darüber gesprochen. Die haben mir erklärt, dass mit dem Abstieg der Rangers richtig viel Geld weggebrochen ist. Die ,Old Firms‘ waren die einzigen Spiele der Saison, die über die Grenzen Schottlands hinaus Beachtung fanden, mit denen man im Ausland Geld machen konnte. Die Fernsehrechte für dieses Spiel bringen Millionen. Und dieses Geld war auf einmal weg. Aber auch in sportlicher Hinsicht waren die Rangers für Celtic wichtig. Es war der einzige Gegner in der Liga, mit dem man sich wirklich auf Augenhöhe messen konnte.“ Zum ersten Heimspiel der Rangers gegen den FC East Stirlingshire kommen 49.118 Zuschauer, Weltrekord für ein Viertligaspiel. Am 20. Oktober 2012 wird dieser Rekord beim Derby gegen Queen’s Park auf 49.463 verbessert. Und ein weiteres Mal im Dezember 2012 gegen Stirling Albion, als im Ibrox Park 49.913 gezählt werden. In der Scottish Premier League wird ein nun konkurrenzloses Celtic mit 16 Punkten Vorsprung vor dem FC Motherwell Meister. Im Finale des Pokals wird Hibernian durch Tore von Gary Hooper (2) und Joseph Ledley mit 3:0 besiegt. Celtic – Barça 2:1 Emotionaler Höhepunkt dieser Saison ist aber ein Spiel in der Champions League. Pünktlich zu einem besonderen Jubiläum – Celtic feiert seinen 125. Geburtstag – empfängt der Klub am 7. November 2012 im 189
vierten Gruppenspiel der Champions League wieder einmal den FC Barcelona. Barça hat das Hinspiel mit 2:1 gewonnen. Einen Tag vor dem Spiel lädt Celtic zum Gottesdienst in die St Mary’s Church ein, den die Celtic Graves Society organisiert hat. Neil Lennon erzählt später: „Ich hatte hier das Gefühl, dass uns etwas Besonderes bevorsteht.“ Auf der Tribüne des Celtic Park sitzen auch Celtics Edelfans Jim Kerr und Rod Stewart. Kerr ist mit seinem Vater Jimmy und Sohn James erschienen. Für James ist es der erste Besuch eines Celtic-Spiels. Auf dem Weg zum Stadion hat der Frontmann der Simple Minds ein gutes Gefühl, denn in Glasgow herrscht schottisches Novemberwetter. Kerr: „Am Himmel sah es schrecklich aus – er war wunderbar dunkel. Ich dachte: Großartig, Xavi und Iniesta wird das nicht gefallen.“ Die Green Brigade hat zum 125. Geburtstag eine gigantische Choreografie organisiert, die auch vom Celtic-Geschäftsführer Peter Lawwell bewundert und gelobt wird. So ist alles für einen großen Fußballabend bereitet. Celtic geht als klarer Underdog in die Begegnung, zumal mit Stürmer Gary Hooper und Kapitän Scott Brown zwei wichtige Akteure fehlen. Doch Lennons und Kerrs „Vorhersehung“ bestätigt sich. In der 21. Minute geht Celtic durch einen Kopfball des kenianischen Nationalspielers Victor Wanyama in Führung. Barça drückt nun unentwegt, aber sieben Minuten vor Schluss glückt dem eingewechselten, aus Coatbridge stammenden 18-jährigen Debütanten Tom Watt das 2:0. Zuvor war Xavi über einen Abschlag von Celtic-Keeper Fraser Forster gestolpert. Lionel Messi gelingt in der Nachspielzeit nur noch der Anschlusstreffer. Held des Abends ist Fraser Forster. Lionel Messi: „Wir redeten noch lange über Forsters Auftritt gegen uns. Es gab dieses eine Spiel in Schottland, wo er kein Mensch war. Es war die beste TorhüterLeistung, die ich jemals gewesen habe. Als Víctor Valdés uns verließ, überlegten wir sogar, ihn zu holen.“ Als der Abpfiff ertönt, kennt die Begeisterung im Celtic Park keine Grenzen: Der Korrespondent der „Süddeutschen Zeitung“ berichtet: „Dass das Stadiondach nicht in Richtung Shetland-Inseln davonrauschte, war wohl nur der Tatsache zu verdanken, dass seit der Eröffnung der Arena im Jahr 1892 findige Ingenieure ganze Arbeit geleistet hatten.“ Auf der Tribüne vergießt Rod Stewart Tränen der Freude und der Rührung. Für Lionel Messi bleibt der Ausflug in den Celtic Park trotz der Niederlage ein unvergessliches Erlebnis: „Dort herrschte die beste 190
Atmosphäre, die ich in Europa je erlebt habe.“ Auch Barça-Coach Tito Vilanova ist von den Celtic-Fans schwer beeindruckt und zeigt sich als souveräner Verlierer: „Glückwunsch an Celtic, dass sie vor einer so unglaublichen Kulisse gewannen.“ Mit dem Fußball der „Lisbon Lions“ hatte Celtics Auftritt wenig gemeinsam. Bei allen Spieldaten lag Barça klar vorn: Celtic gewann, obwohl das Team fast nie am Ball war. 16,4 Prozent Ballbesitz reichten zum Sieg – krasser geht es kaum. Barça schoss 25-mal aufs Tor, Celtic nur fünfmal. Barça spielte 955 Pässe, Celtic nur 166. Für Neil Lennon ist der Sieg trotzdem „mit das Größte, was ich in meinem Leben erreicht habe“. Und über seine Spieler: „Sie werden in die Geschichtsbücher des Klubs eingehen – als das Team, das das wahrscheinlich beste Team der Welt schlug. (…) Die Spieler sind Helden, für mich sind sie einfach Helden.“ Am letzten Spieltag der Gruppenphase sichert sich Celtic durch einen 2:1-Heimsieg über Spartak Moskau hinter dem FC Barcelona und vor Benfica Lissabon Platz zwei und zieht ins Achtelfinale ein. Dort unterliegt man Juventus Turin daheim mit 0:3 und auswärts mit 0:2. Vor der Saison 2013/14 verkauft Celtic u. a. Victor Wanyama, der für 12,5 Mio. Pfund nach Southampton wechselt, was neuer Verkaufsrekord für einen schottischen Klub ist. Neu dabei sind u. a. der niederländische Innenverteidiger Virgil van Dijk, der vom FC Groningen kommt, und der finnische Stürmer Teemu Pukki, der zuletzt für Schalke 04 kickte. Zur Rückrunde verpflichtet Celtic auch noch den 23-jährigen Stürmer Leigh Griffiths von Hibernian Edinburgh. Griffiths gilt als schwierig und hat wiederholt für negative Schlagzeilen gesorgt. Nach einem Derby seiner „Hibs“ gegen die Hearts besang er die finanziellen Probleme des protestantischen Lokalrivalen. Celtic wird mit 29 Punkten Vorsprung vor dem FC Motherwell Meister. In 38 Spielen schießt man 102 Tore, 32 davon gehen auf das Konto des 30-jährigen Kris Commons, der 2011 für nur 500.000 Pfund von Derby County geholt wurde und nun von seinen Kollegen und den Journalisten zum schottischen „Fußballer des Jahres“ gewählt wird. Keeper Fraser Forster bleibt 1.256 Minuten ohne Gegentor, was neuer Rekord für die schottische Liga ist. Am 22. Mai 2014 verkündet Neil Lennon seinen Abschied als CelticTrainer. Der Klub wurde mit dem Nordiren dreimal Meister (2011/12, 2012/13, 2013/14) und zweimal Pokalsieger (2010/11, 2012/13). 191
Der Fußballklub Celtic Glasgow bezieht seine Faszination nicht nur aus einer großen sportlichen Tradition, sondern auch aus seiner einzigartigen kulturellen und politischen Geschichte. Die Gründung durch irisch-katholische Einwanderer prägt noch heute seine Identität. Wenn ein „Old Firm“ ansteht, das Derby zwischen Celtic und Rangers, dann erinnern die Gesänge und Rituale der Fans an den Kampf der Iren um Unabhängigkeit. Dietrich Schulze-Marmeling schildert die Entwicklung von Celtic Glasgow vor dem Hintergrund sozialer, religiöser und politischer Spannungen. Zugleich würdigt er die Fankultur dieses auch in Deutschland beliebten Klubs.
Celtic-Fans beim UEFA-Pokalfinale 2003 in Sevilla. Für ihren Auftritt dort wurden sie mit dem „FIFA Fair Play Award“ ausgezeichnet. 2017 folgte „The Best FIFA Fan Award“.
ISBN 978-3-7307-0377-9 VERLAG DIE WERKSTATT