Die Spiele. Eine Weltgeschichte der Olympiade – Leseprobe

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DAVID DAVID GOLDBL GOLDBLAT ATTT

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Eine Eine Weltgeschichte Weltgeschichte der der Olympiade Olympiade


INHALT

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

Kapitel 1 Dieses großartige und heilsame Werk: Die Wiederbelebung der Olympischen Spiele Von der Antike bis Athen 1896.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Kapitel 2 Menschen, Sportler, Sensationen: Die Olympischen Spiele am Ende der Belle Époque Von Paris 1900 bis Stockholm 1912 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 Kapitel 3 Nicht die Einzigen ihrer Art: Die Olympischen Spiele und ihre Herausforderer in den 1920er Jahren Von Antwerpen 1920 bis Amsterdam 1928 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 Kapitel 4 It’s Showtime! Die Olympischen Spiele als Spektakel Von Lake Placid 1932 bis Berlin 1936 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 Kapitel 5 Klein, aber fein: Die verlorenen Welten der Nachkriegsolympiaden Von St. Moritz 1948 bis Melbourne 1956 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 Kapitel 6 Das Bild bleibt: Inszenierung und Gegeninszenierung bei den Spielen Von Squaw Valley 1960 bis München 1972 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 Kapitel 7 Alles in Auflösung: Bankrott, Boykotte und das Ende des Amateurismus Von Innsbruck 1976 bis Seoul 1988 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239


Kapitel 8 Boom! Die Globalisierung der Olympischen Spiele nach dem Ende des Kalten Kriegs Von Albertville 1992 bis Athen 2004 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 Kapitel 9 Auf dem absteigenden Ast: Die Olympischen Spiele in der neuen Weltordnung Von Turin 2006 bis Rio 2016 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321

Schlusswort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Endnoten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Autor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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EINLEITUNG

O Sport, du Göttergabe, du Lebenselixier! Der fröhlichen Lichtstrahl wirft in die arbeitsschwere Zeit, Der du ein Bote bist der längst vergangenen Tage. Wo die Menschheit lächelte in Jugendlust, Wo der aufsteigende Sonnengott die Gipfel der Berge rötete Und scheidend den Hochwald in leuchtende Farben tauchte. Georges Hohrod und M. Eschbach Gewinner der Goldmedaille, Olympische Kunstwettbewerbe 1912 Baron de Coubertin war schon lange der Auffassung gewesen, dass Sport keineswegs im Gegensatz zu den Künsten stünde, sondern einen eigenständigen und wichtigen Bestandteil des kulturellen Lebens innerhalb der Gesellschaft bildete. Deswegen erschien es ihm, im Unterschied zu vielen seiner sportlich und künstlerisch veranlagten Zeitgenossen, nur folgerichtig, dass im Rahmen der Olympischen Spiele auch künstlerische, literarische und musikalische Wettbewerbe zum Thema Sport ausgerichtet werden sollten. Im Vorfeld der Spiele von 1912 in Stockholm hatte er mehrfach versucht, die schwedischen Gastgeber davon zu überzeugen, eine entsprechende Konkurrenz auf die Beine zu stellen, aber nachdem man sich mit der künstlerischen Gemeinde des Landes beraten und nichts als Unverständnis und Ablehnung geerntet hatte, wurde dem Ersuchen eine höfliche Absage erteilt. Der Baron ließ sich nicht beirren und kündigte ungeachtet dessen an, dass es im Rahmen der Spiele von 1912 künstlerische Wettbewerbe geben werde, und rief dazu auf, Beiträge an seine Adresse zu schicken, wo er, soweit dies zu beurteilen ist, als alleiniger Preisrichter fungierte. Im Bereich Literatur ging der Preis an Hohrod und Eschbachs »Ode an den Sport«. Sie war so ganz nach dem Geschmack des Barons, der einer recht eigentümlichen Religiosität und überspannten Auffassung der antiken und modernen Sportgeschichte anhing. Und doch traf die Ode in mancherlei Hinsicht den Nagel auf den Kopf. Die antike Welt hatte ihre Spiele, in der modernen Welt hingegen wurde Sport getrieben. Ab Mitte des 18. Jahrhunderts bis ins frühe 20. Jahrhundert hinein entwickelte sich in Nordeuropa und den Vereinigten Staaten ein Großteil der Sportarten in der Form, wie wir sie heute kennen. Sie griffen zurück auf ältere Spiele und neuere Experimente, oder sie wurden, wie z. B. Handball und Basketball, ganz neu erfunden. Anders als die meisten der vormodernen Disziplinen waren sie losgelöst von religiösen oder lokalen Kalendern, Ritualen und Zwecken und erlangten stattdessen ihre eigene innere Bedeutung und Freude. Entgegen dem engstirnigen Provinzialismus der vormodernen Welt erhielten diese Sportarten festgeschriebene Regeln, die es ihnen ermöglichEinleitung

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ten, unter der Obhut moderner Verwaltungsapparate, nationale und globale Verbreitung zu finden. Dies alles bedeutete, dass zu eben dem Zeitpunkt, da das Aufkommen des Industriekapitalismus und des Militarismus die Welt zu einem raueren und unwirtlicheren Ort machte, es gleichzeitig eine Alternative beförderte: das organisierte Spiel des modernen Sports. Hohrod und Eschbach waren nicht nur die Schmiede weitschweifiger Zeilen, sondern auch die Namen zweier Dörfer im Elsass nahe des Geburtsorts von Coubertins Frau, womit klar sein sollte, wessen nur nachlässig verschleiertes Pseudonym sie waren. Da er einen eigenen Wettbewerb ins Leben rief, für den er einen eigenen Beitrag einreichte, den er dann kurzerhand zum Sieger erkor, dürfen wir wohl davon ausgehen, dass er von den Zeilen recht angetan war, gleichwohl man ein Jahrhundert später festhalten muss, dass sie nicht besonders gut gealtert sind. Das Gedicht, in französischer und deutscher Sprache vorgelegt, weist zwar gewisse Spuren von Rhythmus, Form und Versmaß auf, ist aber mit der schwerfälligen Schwülstigkeit einer Schulpredigt aufgeladen und angesichts des frömmelnden Tonfalls vielleicht auch genau diesem Genre zuzuordnen. Im Wesentlichen ist es nichts weiter als eine unerträglich schlechte Exegese über das Leitbild des vornehmen Amateursports, das im 19. Jahrhundert in den elitären Militär- und Bildungseinrichtungen des Westens Verbreitung fand. Dort diente der Sport der Bildung des Charakters und des moralischen Rüstzeugs, die erforderlich waren, um über Imperien und das gemeine Volk zu herrschen. Diese und nur diese Sorte Athleten und diese Art von Sport waren es, die die Gipfel der Modernität röteten. Allzu viel lässt sich von Coubertins ideologischem Vermächtnis somit nicht mehr in die heutige Zeit hinüberretten, weder aus seinem Gedicht noch aus der Welt des vornehmen Sports, der es entsprang. Der Amateurismus und seine elitären Codes sind von Olympia längst aufgegeben worden, und Coubertins tief empfundener Glaube, dass die Spiele in erster Linie eine spirituelle Angelegenheit und eine Form moderner Religion seien, geriet still und heimlich in Vergessenheit, als sich die olympische Bewegung vom Gentleman’s Club und neo-hellenischen Athletenkult zum global agierenden Verwaltungsapparat, der eine säkulare, kommerzialisierte Feier der gesamten Menschheit ausrichtet, wandelte. Für mein Empfinden gibt es in der »Ode an den Sport« nur zwei Strophen, die uns auch heute noch etwas zu sagen haben. Zunächst preist der Baron in einer für die damalige Zeit ziemlich untypischen Art und Weise das Vermögen des Sports, soziale Ungleichheiten zu überwinden und individuelle Begabungen und Fähigkeiten in einer ansonsten ungerechten Welt sichtbar zu machen: O Sport, du bist die Gerechtigkeit! Vergeblich ringt der Mensch nach Billigkeit und Recht In allen sozialen Einrichtungen; Er findet beide nur bei dir.

Zum anderen, in einer Sprache, die Anklänge sexueller Erregung und drogeninduzierter Rauschzustände birgt, rühmt er die viszeralen und intellektuellen Freuden des Sports: O Sport, du bist die Freude! Sobald dein Ruf ertönt, erbebt der Leib in Wonne, Das Auge glänzt und stürmisch Blut durchströmt die Adern. Klar fliegen die Gedanken ätherwärts.

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Einleitung


Coubertin hatte keineswegs die Absicht gehabt, eine globale Bühne zu errichten, auf der Kämpfe um Gleichheit und Inklusion in Bezug auf Klasse, Ethnizität, Geschlecht, Behinderung und Sexualität ausgefochten würden. Noch stellte er sich, nicht einmal in seinen entrücktesten Momenten, die olympische Bewegung und ihre Spiele als einen Schauplatz kollektiven Deliriums, Reflektierens oder Freudentaumels vor, aber trotz allem halten die Olympischen Spiele nach wie vor das alles bereit. Dieses Buch handelt in erster Linie davon, wie sich der Baron de Coubertin und seine eigentümliche Vision des sportlichen Spektakels zu einer globalen Norm und einer weltumspannenden Organisation entwickelten. Darüber hinaus aber ist es die Geschichte der Athleten, die nach Billigkeit und Recht rangen und die unsere Leiber in Wonne erbeben, unsere Augen glänzen und unsere Gedanken ätherwärts fliegen ließen.

Einleitung

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SCHLUSSWORT

Sich ändern oder geändert werden. Das ist hier die Frage. Thomas Bach, IOC-Präsident Es ist ein Dilemma, das das Internationale Olympische Komitee trotz seines beständigen Konservatismus mit einiger Souveränität umschifft hat. Tatsächlich hat sich die politische Flexibilität seiner Führung oftmals als unverzichtbar dafür erwiesen, die tonangebende Rolle der Organisation im globalen Sport zu behaupten. Coubertin machte seinen Frieden mit den Weltausstellungen und dem unvermeidlichen Nationalismus im internationalen Sport. Baillet-Latours IOC erstickte die Frauenolympiade schon im Keim und tat sich sowohl mit Hollywood als auch dem Dritten Reich zusammen. Brundage schluckte seinen Antikommunismus und gewährte der Sowjetunion den Eintritt ins IOC, womit er den herausragenden Status der Spiele sicherte und das Ende des Amateurismus einleitete. Samaranch schließlich versetzte dem Amateurismus den Gnadenstoß und warf fast ein Jahrhundert olympischer Verachtung des Mammons über Bord, als er eine Reihe maßgebender Allianzen mit professionellem Sport und den weltweiten Kulturindustrien schmiedete, die die wirtschaftliche Unabhängigkeit des IOC und den globalen Geltungsbereich der Spiele sicherten. Auch Thomas Bach, ihr Nachfolger im Amt, steht vor einer Zeit des Wandels; jedoch geht die Herausforderung, der er sich stellen muss, nicht von einem alternativen Sportmodell, verstimmten Athleten und Nationalstaaten oder ausgeschlossenen Minderheiten aus; das Problem sind die Olympischen Spiele als solche. Die Spiele, ohnehin schon teuer und in zunehmendem Maße an grandiose städtebauliche Entwicklungspläne gebunden, erhielten im 21. Jahrhundert eine fiskalische und architektonische Wachstumsspritze durch die hochfliegenden Ambitionen von u. a. Griechenlands und Brasiliens boomender Wirtschaft, Chinas Rückkehr in den Status einer Supermacht und Russlands Entschlossenheit, aller Welt zu zeigen, dass man diesen nie eingebüßt hatte. Die schon in den 1990er Jahren galoppierenden Kosten für olympische Sicherheit stiegen noch einmal durch die Folgen des 11. September 2001 sowie die zunehmende Präferenz des IOC und der Organisatoren, in den Austragungsorten aseptische, von Obdachlosen, Protestlern und Guerillamarketing bereinigte olympische Räume einzufrieden und zu schützen. Die Präsidentschaft von Jacques Rogge war in erster Linie von dem Bemühen geprägt, Ruf und Integrität des IOC nach dem Skandal um die Spiele in Salt Lake City wiederherzustellen und sich um die Bedürfnisse der Sponsoren zu kümmern. Bemerkenswert war sie aber aufgrund der fast vollständigen Gleichgültigkeit gegenüber den finanziellen und sozialen Folgen des urbanen Gigantismus, den man entfesselt und anschließend genährt hatte. In der Tat billigte Schlusswort

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Rogge, trotz des ohnehin schon überfüllten Wettkampfkalenders, die Aufnahme von Golf und Rugby bei den Sommerspielen und ein ganzes Spektrum an neuen Extrem- und Alternativsportarten bei den Winterspielen. Die Bürger potenzieller Gastgeberstädte in Nordamerika und Europa zeigten sich angesichts der explodierenden Kosten und zweifelhaften Vorzüge einer Austragung der Spiele weniger optimistisch. Ihre Skepsis hat eine Kandidatur zu einem zunehmend schwierigen politischen Unterfangen gemacht. So kam es, dass sich für die Ausrichtung der Winterspiele 2018 ganze drei Kandidaten meldeten, ebenso für die Sommerspiele 2020. Als örtliche Referenden potenzielle Bewerbungen von St. Moritz/Davos, Krakau und München um die Winterspiele 2022 verhinderten, begriff endlich auch das IOC, was die Stunde geschlagen hatte. Der Krieg in der Ukraine bereitete Lwiws Plänen ein Ende, und die schwedische Regierung schob einer Bewerbung Stockholms einen Riegel vor.1 Auch Oslo, wo selbst eigene Umfragen des IOC ergaben, dass eine Mehrheit von 50 zu 36 gegen die Austragung der Spiele war, zog sich schließlich zurück, nachdem die norwegische Regierung bekannt gegeben hatte, das Event nicht zu finanzieren. Dem IOC blieb damit die nicht beneidenswerte Wahl zwischen Peking, wo es keine Berge gibt, aber die gleichen Kontroversen lauerten, die die Spiele 2008 begleitet hatten, oder Almaty in Kasachstan, wo es zwar jede Menge Berge und Schnee gibt, ansonsten aber nicht viel, abgesehen von einem noch infameren und unerbittlich autoritären Regime an der Macht. Insbesondere diese Problematik hatte Thomas Bach im Sinn, als er im Dezember 2014, beim außerordentlichen IOC-Gipfel in Monaco, seine Vorschläge für einen Regimewechsel im IOC präsentierte, die Agenda 2020, und die Frage stellte, ob das Komitee sich ändern könne, bevor ihm Veränderungen aufgezwungen würden. Ein Großteil der Reformen drehte sich darum, die Bewerbung und Durchführung der Spiele einfacher und günstiger zu gestalten, u. a. durch die Nutzung bestehender Anlagen statt teurer Neubauten. Außerdem sollte die Beziehung zwischen dem IOC und seinen Gastgebern neu gestaltet werden, eher als eine Partnerschaft denn als das kompromisslose Franchise-Unternehmen, zu dem es geworden war. Doch sowohl in Bachs Rede als auch im Bericht schwang die Erkenntnis mit, dass etwas Größeres auf dem Spiel stand. »Wir müssen uns ändern, weil der Sport zu wichtig ist in der Gesellschaft, um den Rest der Gesellschaft zu ignorieren. Wir sind keine Insel.« Wohl kaum eine soziologische Offenbarung, aber für den Präsidenten des IOC, einer Institution, die sehr darauf bedacht war, die eigene ökonomische, politische und moralische Autonomie vor allen anderen gesellschaftlichen Akteuren zu wahren und ihre Souveränität über viele zu behaupten, war es das indirekte Eingeständnis, dass das öffentliche Ansehen des globalen Sports und seiner Institutionen auf dem besten Wege war, auf Ramschniveau zu sinken. Worauf Bach anspielte, was er aber nicht auszusprechen wagte, war, dass in der Welt des globalen Sports, in dessen Zentrum sich das IOC befindet, eine Reihe tiefgreifender und ineinander verzahnter Krisen am Werk waren. Krisen, die zu groß waren für die Gesellschaft, um ignoriert zu werden, bzw. für den Sport, um sie selbst zu lösen, und die infolgedessen das bisschen aushöhlen, was von der moralischen Autorität des IOC und der Sportwelt noch übrig ist. Maßlosigkeit und eine weitverbreitete Kultur der Korruption sind Probleme, mit denen nicht nur das IOC zu kämpfen hat. Ausufernde Kosten, kaum mehr erkennbarer Nutzen und zu weißen Elefanten verkommende Stadien, die unter gefährlichen und bisweilen repressi368

Schlusswort


ven Arbeitsbedingungen errichtet wurden, mit erheblichen Ressourcen, die als Schmiergelder und Profite in der Baubranche verschwanden, waren Begleiterscheinungen der Fußball-Weltmeisterschaften in Südafrika, Brasilien und Russland, wobei keines dieser Events die Art von infrastrukturellen Exzessen entfesselte, die die Olympischen Spiele begleitete. Die WM 2022 in Katar allerdings schickt sich an, mit erwarteten Ausgaben im Bereich von 200 Milliarden Dollar alles andere in baulicher Hinsicht in den Schatten zu stellen. Ebenso ist der Stimmenkauf, der bis Salt Lake City bei olympischen Bewerbungen an der Tagesordnung war, zu einer verbreiteten Erscheinung geworden. Speziell die Vergabe der Fußball-WM scheint ein endemisch korrupter Prozess zu sein, wobei die Ermittlungen der schweizerischen und US-amerikanischen Justizbehörden noch nicht beendet sind. Auch die Integrität des Bewerbungsverfahrens um die Leichtathletik-WM ist infrage gestellt worden, insbesondere die Vergabe der Wettkämpfe 2021 an Eugene, Oregon – Heimat von Nike –, für die ein solches Verfahren gar nicht erst stattfand.2 Unheilvollerweise für das IOC, das sein neues Bewerbungsprozedere bislang für unanfechtbar hielt, haben die französischen Behörden, die wegen Korruption in der internationalen Leichtathletik ermitteln, eine Akte zu den Bewerbungsverfahren für die Sommerspiele 2016 und 2020 eröffnet.3 Ebenso war die Führungs- und Legitimitätskrise, in der das IOC nach der Affäre um Salt Lake City steckte, nur der Auftakt einer ganzen Reihe von Skandalen, die den globalen Sport in der letzten Dekade erschütterten. Der mexikanische Präsident des Welt-Volleyballverbands FIVB (und Mitglied des IOC) Rubén Acosta stand seinem Sport mehr als ein Jahrzehnt vor und strich ein Vermögen an persönlichen Provisionen aus dem Verkauf der weltweiten Fernsehrechte ein.4 Der Weltfußball steht vor der Kernschmelze. Vom FBI eingeleitete Ermittlungen zu Geldwäsche und Bestechung beim Verkauf der Fernsehrechte an Fußballturnieren in Nord- und Südamerika führten zu prominenten Verhaftungen von Führungskräften aus Medienunternehmen, nationalen und regionalen Fußballverbänden sowie Mitgliedern des FIFA-Exekutivkomitees. Gleichzeitig hat die eigene Ethikkommission der FIFA ihrem ehemaligen Präsidenten (und Mitglied des IOC) Sepp Blatter und ihrem früheren Generalsekretär Jérôme Valcke jegliches weitere Engagement im Fußball untersagt. Man mag dem IOC nachsehen, davon ausgegangen zu sein, sich mit der Schaffung der Welt-Anti-Doping-Agentur WADA eines Problems entledigt zu haben, das die Spiele und die Sportwelt insgesamt seit den 1930er Jahren heimsucht. Zwar hatte das IOC die Kontrolle über das Thema der WADA überlassen, doch in den ersten zehn Jahren ihrer Existenz war die Organisation vor allem damit beschäftigt, die Ausmaße des Problems aufzuzeigen, die institutionalisierten Formen des Dopings im Spitzensport zu veranschaulichen, geheime Absprachen zwischen hochrangigen Funktionären in Sportbürokratien zu enthüllen und den gesamten organisierten Sport in Misskredit zu bringen. Alte Freunde des Medizinschränkchens wie Ringer, Gewichtheber und Schwimmer wurden weiter von Skandalen und Disqualifikationen erschüttert, aber einen Großteil der Schlagzeilen bestimmte der Radsport.5 Eine Reihe strafrechtlicher und journalistischer Ermittlungen in Frankreich, Spanien und den USA ergaben, dass fast jedes Team und fast jeder Fahrer im Straßenrennzirkus in den 1990er und frühen 2000er Jahren sich schuldig gemacht hatte, bis hin zu und allen voran Lance Armstrong, olympischer Bronzemedaillengewinner und siebenmaliger Gewinner der Tour de France.6 Doch was man an Glaubwürdigkeit durch die Schlusswort

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Arbeit der WADA und die Enthüllungen früherer Vergehen wiedergewonnen hatte, wurde 2015 durch die Aufdeckung von Russlands systematischem, staatlich gelenktem Dopingsystem in der Leichtathletik und anderen Sportarten komplett wieder eingebüßt. Das System war gerade deshalb so heimtückisch und erfolgreich, weil hochrangige Figuren der IAAF daran mitgewirkt hatten und die WADA relativ leicht umgangen werden konnte. Doping gereicht der moralischen Autorität des Sports gewiss nicht zur Zierde und gefährdet darüber hinaus Gesundheit und Wohlergehen der Athleten. Doch wie die ungebrochene Popularität von u. a. europäischem Straßenradsport und nordamerikanischem Baseball bezeugt, ist die sportinteressierte Öffentlichkeit erstaunlich tolerant, wenn es um Doping geht. Lance Armstrong mochte vollgepumpt bis unter die Mütze gewesen sein, aber immerhin mussten er und alle anderen, in der Regel nicht minder zugedröhnten, Fahrer immer noch selbst gewinnen – und so gut das Zeug auch sein mochte, konnte es den Sieg nicht garantieren. Ganz anders verhält es sich mit der Einstellung zu Spielmanipulationen, bei denen es zumeist um die wesentlich einfachere Aufgabe geht, zu verlieren. Wenn der Ausgang des Spektakels nicht mehr ungewiss ist, verliert es jede Authentizität und ist nur noch eine schlechte Pantomime. Die Angeschmierten sind wir, die Zuschauer. Spielmanipulationen haben eine lange und unrühmliche Geschichte: Spieler von Manchester United und Liverpool verschoben 1915 ein Match zwischen beiden Mannschaften, während 1919 die Baseball World Series in den USA von Spielern der Chicago White Sox manipuliert wurde. Aufgrund absonderlicher Vorrundenmodi kommt es im Badminton und Fechten immer wieder zu Situationen, in denen Athleten ihren Landsmännern faktisch den Sieg überlassen, um deren Weiterkommen zu sichern. Sportarten, bei denen Kampfrichter zum Einsatz kommen, haben sich seit Langem als anfällig für finanzielle und politische Manipulationen erwiesen, wie nicht zuletzt auch die eigenen Erfahrungen der Spiele mit Eiskunstlaufen und Turnen belegen. Im italienischen und brasilianischen Fußball sind Absprachen im Abstiegskampf gegen Ende der Saison praktisch gang und gäbe. So problematisch diese Formen der Manipulation auch sein mögen, sie verblassen im Vergleich mit der Welle an organisierter Wettkriminalität, die durch das Aufkommen der globalen Offshore-Wettindustrie und neuer Formen von Spread-and-Spot-Wetten begünstigt wurde, angetrieben durch die scheinbar unersättliche Lust auf Sportwetten in den weitgehend unregulierten Märkten in Indien und Ostasien.7 Allein in den letzten zehn Jahren gab es ungezählte Manipulationsskandale: Pakistanische Cricketspieler ließen sich für regelwidrige Würfe bezahlen. Fußballspieler aus allen Ligen und auf jedem Level, von der zweiten bosnischen Liga bis zur Champions League und Olympia-Qualifikation, haben Tore verfehlt oder einfachste Schüsse nicht gehalten. Manipulationen im südkoreanischen Volleyball und Basketball wurden aufgedeckt und haben sich im japanischen Sumo als verbreitet erwiesen.8 Die Aufsichtskommission des internationalen Tennis, die Tennis Integrity Unit, reagierte auf eine Flut von Skandalen in ihrem Sport und hat Belege von Spielmanipulationen gegen 16 der 50 topgesetzten Männer der Weltrangliste zusammengetragen.9 Als das IOC Anfang der 1980er Jahre schließlich den Amateurparagrafen aus seiner Satzung strich, wurden die Geister der Gentlemen-Athleten der Belle Époque und Coubertins Vision der Spiele als »eine Schau männlicher Tugenden« – mit der richtigen Sorte Mann, zur moralischen Erziehung aller anderen – zur Ruhe gebettet. Zwar war das notwendig, um die 370

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universalistischen und inklusiven Ansprüche der olympischen Bewegung auch tatsächlich zu leben, und trug zusammen mit einer ganzen Reihe von Veränderungen dazu bei, eine weitgehende Gleichstellung der Geschlechter bei den Spielen herbeizuführen – es hatte aber seinen Preis. Insbesondere bedeutete es, dass die maßgebliche Komponente des nun hybriden Modells olympischen Sports abgebrühter Kommerzialismus und leistungsorientierter Professionalismus ist. Zwar hat sich dies für das IOC als gutes Geschäft erwiesen, es ist aber kaum der Stoff, aus dem eine über den Sport hinausweisende gesellschaftliche Aufgabe und Botschaft geschmiedet werden kann. Coubertin und seine unmittelbaren Nachfolger konnten sich und anderen noch einreden, dass ihre Spiele humanistischer geistiger und religiöser Ritus waren und eine legitime Plattform, um die moralische und körperliche Überlegenheit der männlichen herrschenden Klassen und Offizierskorps Europas zur Schau zu stellen. Das funktioniert heute nicht mehr. Deshalb hat das IOC im Versuch, seine soziale und moralische Mission neu zu erfinden, sich an den neuen Diskursen globaler Politik orientiert – universelle Menschenrechte, Massenteilnahme am Sport und ökologische Nachhaltigkeit. Andere globale Sportorganisationen, die ebenfalls keinen zeitgemäßen moralischen Kompass mehr haben, wandeln auf gleichen Pfaden. Die Krise liegt hierbei nicht in der Wahl des moralischen Arguments oder der Causa begründet, der sie sich verschrieben haben, sondern im konsequenten Scheitern dieser Organisationen und ihrer Megaevents, sich an ihre eigenen Werte und Versprechungen zu halten. Das IOC und viele internationale Sportorgane und ihre kommerziellen Partner behaupten gerne, dass dank ihnen mehr Menschen Sport treiben, sie somit eine wichtige Rolle darin spielten, einen gesünderen Lebenswandel zu befördern. Doch diese Behauptung ist kaum belegt. Innerhalb bestimmter Communitys, in denen der Sport einen bewährten und plausiblen Weg aus der Armut darstellt, verströmt das kommerzielle Spektakel weiter seinen schillernden Glanz und Zauber. Jamaikanische Sprintsiege, zentralamerikanische Boxchampions, der Erfolg afrikanischer Fußballer in Europa und dominikanischer Spieler im Baseball tragen weiter dazu bei, die nächste Generation an Hoffnungsträgern zu ermuntern. In den meisten reicheren Nationen aber ist, obwohl immer mehr Sport über immer mehr Bildschirme flimmert und dabei immer marktschreierischer präsentiert wird, keine entsprechende Steigerung der Teilnahme an organisiertem Sport zu verzeichnen; im Gegenteil gibt es in vielen Ländern einen erkennbaren Rückgang. Der Narzissmus dieser Gesellschaften treibt zwar diejenigen, die es sich leisten können, ins Fitnessstudio, doch scheint es, dass noch so viele goldbringende Leistungen oder Weltrekorde den Folgen eines sesshaften Lebenswandels und der modernen Lebensmittelindustrie nichts entgegenwirken können. Die unmittelbare Zukunft der Olympischen Spiele ist von Ostasien gesichert worden. Tokio wird Gastgeber der Sommerspiele 2020 sein, die Winterspiele finden 2018 im südkoreanischen Pyeongchang und 2022 in Peking statt, doch deutet wenig darauf hin, dass die Spiele dort neue Wege beschreiten werden. Während all diese Spiele nicht an das Ausmaß oder die Kosten von Peking 2008 oder Sotschi 2014 heranreichen werden, sind sie keineswegs sparsam angelegt. Pyeongchangs Budget beträgt zehn Milliarden Dollar (Tendenz steigend), und für die Spiele in Tokio sind Kosten im Bereich von 20 Milliarden Dollar zu erwarten. Peking behauptet, die Winterspiele für nur rund vier Milliarden Dollar stemmen zu können, aber angesichts einer geplanten Hochgeschwindigkeitsbahnstrecke von der Hauptstadt in die Schlusswort

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Wintersportgebiete, für die allein vier Milliarden Dollar veranschlagt werden, erscheint diese Zahl mehr als unrealistisch. Doch trotz aller Ressourcen, die für sie aufgewendet werden, erscheinen diese Spiele in ihrer Konzeption bemerkenswert nichtssagend. Sowohl Südkorea als auch China diente die Ausrichtung der Sommerspiele 1988 bzw. 2008 als eine Demonstration ihres neu erworbenen Status als führende Industrie- und Wirtschaftsmächte. Dass beide Länder nun erstmals die Winterspiele ausrichten, scheint ihre Transformation in postindustrielle Ökonomien zu verkünden, mit einer substanziellen, mit Geld und Freizeit ausgestatteten Mittelklasse und einer hoch entwickelten Wintersport- und Tourismusindustrie.10 Pekings damaliges Motto war das eines aufstrebenden Hegemons: »Eine Welt. Ein Traum.« Peking 2022 lockt mit der Aussicht auf Après-Ski-Cocktails und Whirlpools: »Freudvolles Rendezvous in Schnee und Eis.« Niemand Geringerer als Präsident Xi Jinping hat gelobt, dass China die Teilnahmequote am Wintersport von weniger als zwei Prozent des Landes auf mehr als 22 Prozent steigern werde. Wo genau aber diese 300 Millionen neue Wintersportenthusiasten – über einen kleinen Kreis reicher Freizeitwedler hinaus – herkommen sollen (und wie an die entsprechenden Orte gelangen), ist nicht ganz klar. Ebenso kläglich ist der Beitrag der Winterspiele zu olympischer Nachhaltigkeit. Im Rahmen der Vorbereitungen auf Pyeongchang wurden u. a. Zehntausende Bäume an den Hängen des Mount Gariwang gefällt, darunter seltene und uralte Exemplare. Der Verlust dieses relativ unberührten Waldgebiets wird von heimischen NGOs als »ökologisches Desaster« eingestuft. Die Pläne für die neuen Skipisten und Anlagen in Peking, oder vielmehr in den mehr als 100 km nördlich der Hauptstadt gelegenen Xiaohaituo Mountains, fordern großflächige Tranchen des Songshan National Nature Reserve, ein besonders an Vogelarten reiches Gebiet. In beiden Fällen sind nationale Gesetze, die das Bauen in Nationalparks regulieren, von olympischen Anforderungen ausgehebelt worden.11 Tokio 2020 scheint ein ehrgeizigeres Projekt zu sein, inspiriert von den Spielen von 1964, die nicht nur Japans Rückkehr in die Weltordnung, sondern auch seinen zukünftigen Status als Industrie- und Technologiemacht verkündeten und als wichtiger Antrieb beim Wiederaufbau von Tokio selbst dienten. So wurde die Kandidatur für die Spiele 2020 als Chance gepriesen, Tokio als Stadt der Zukunft neu zu erfinden und auf diese Weise einen Beitrag zu leisten, die Stadt und das ganze Land aus der anhaltenden deflationären Finsternis herauszuführen, die Japan seit den 1990er Jahren ergriffen hat. Bislang konzentriert sich ein Großteil der Energie und Aufmerksamkeit auf den Bau des neuen Olympiastadions im Meiji Park. Der Auftrag ging zunächst an Zaha Hadids monströs hässlichen Entwurf, der durchaus treffend mit einem riesenhaften Fahrradhelm verglichen wurde. Er ragte aus der heiligen Parkanlage empor und schickte sich an, mit veranschlagten 252 Milliarden Yen (1,6 Milliarden Pfund) zum teuersten Stadion aller Zeiten zu werden. Eine massive und bitterböse Protestkampagne gegen Ausmaß und Aussehen des Baus führte dazu, dass die Pläne verworfen wurden. Nach einer erneuten Ausschreibung entschied sich die Kommission für das maßvollere und konventionellere Design des japanischen Architekten Kengo Kuma, das dennoch über eine Milliarde Dollar kosten wird. Was die Zukunft angeht, verspricht Tokio 2020 ein Schaukasten technischer Spielereien zu werden: selbstfahrende Autos, die die Athleten von und zu den olympischen Stätten transpor372

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tieren, servogelenkte Gliedmaßen und Roboteranzüge, die einer zunehmend älteren Bevölkerung Sport und Ertüchtigung zugänglich machen; eine weitere Generation noch höher auflösender Kameras und Bildschirme, schnellere Mobiltelefone und die nächste Flut intelligenter Übersetzungsmaschinen für Besucher. Die japanische Mikroelektronik-Industrie ist ohne Zweifel begeistert, aber wenn dies das Beste ist, wozu die Olympischen Spiele beflügeln, dann sollten sie sich das Thema Zukunft besser nicht auf die Fahnen schreiben. Werden die durch die Agenda 2020 angestoßenen Veränderungen ausreichen, damit das IOC seine Rolle behaupten und die zahlreichen ineinander verflochtenen Krisen meistern kann, die den zeitgenössischen Sport hinsichtlich Führung, Legitimität und Zielsetzung plagen? Wenn man sich die jüngsten Bewerbungsverfahren anschaut, sehen die Vorzeichen nicht rosig aus. Die Bürger von Hamburg und Boston jedenfalls waren nicht überzeugt und lehnten die angedachten Bewerbungen ihrer Stadtregierungen entschieden ab; Budapest und Rom zogen schließlich ebenfalls zurück. So stand das IOC für die Sommerspiele 2024 am Ende mit zwei kandidierenden Städten da – Los Angeles und Paris –, worauf Los Angeles im Gegenzug für die Spiele 2028 Paris den Vortritt ließ. Die Agenda 2020 regt kleinere Vorstöße in Sachen Transparenz an, jedoch spricht sie an keiner Stelle die fundamentalen Demokratie- und Rechenschaftsdefizite einer Instanz an, die faktisch eine internationale Organisation ist. So verknüpft und reguliert das IOC den globalen und internationalen sportlichen Raum im Namen des globalen Staatensystems und ist damit das Äquivalent der Weltbank oder der WHO, firmiert aber rechtlich als NGO nach schweizerischem Recht, womit es niemandem Rechenschaft schuldig ist – eine Situation, die durch sein Modell der Selbstrekrutierung noch verschärft wird. Weder können Partnerschaften mit den Vereinten Nationen, Sponsoren, Sportverbänden und anderen NGOs diese Lücke schließen, noch wird die Schaffung eines olympischen Fernsehkanals und eines mikrokulturellen Programms die Schaltkreise von Kommunikation und Engagement herstellen, die die Organisation an die weltweite Öffentlichkeit anbinden könnten. Die Tragik der Agenda 2020 ist somit nicht, dass sie nicht geeignet ist, den globalen Sport im Allgemeinen und das IOC im Besonderen zu reformieren; dies sind keine einfachen Probleme oder solche, die das IOC allein lösen wird. Die Tragik der Agenda 2020 ist vielmehr, dass Bach und Konsorten sich jenseits der verzerrten Sprache korporativer Veränderung – Repositionierung, Benchmarking, Leadership – der Illusion hingeben, immer noch Teil einer sozialen Bewegung zu sein: eine Triebfeder für werteorientierte Aktion und Ziele, abgeschirmt von und im Gegensatz zu den Anforderungen von Wirtschaft und Politik. »Fortschritt bedeutet für uns, die Rolle des Sports in unserer Gesellschaft durch unsere Werte zu stärken.« Aber wer ist »uns«? Da gibt es das IOC, und dann gibt es Interessenvertreter: die nationalen politischen und ökonomischen Koalitionen, die Organisationskomitees konstituieren, die Sportartikelindustrie, die globalen Sportmedien, transnationale kommerzielle Sponsoren, nationale und internationale Sportbürokratien, von denen keine wie eine soziale Bewegung aussieht oder handelt. Es gibt olympische Athleten und olympische Funktionäre, aber es gibt keine olympische Öffentlichkeit und keine olympischen Aktivisten. Die Veränderung ist dem IOC bereits auferlegt worden, denn da wirken nur die surrenden Räder einer kleinen, aber immens vernetzten und mächtigen Bürokratie. Schlusswort

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Im Nachdenken darüber, wie – wenn überhaupt – die Bürokratisierung der modernen Welt umgekehrt werden könne, fragte Max Weber, wie die Institutionen, die wir geschaffen haben, dazu gebracht werden könnten, andere Imperative als ihre eigenen oder den Lockruf politischer Macht und materieller Interessen zu beachten. »Niemand weiß noch, wer künftig in jenem Gehäuse wohnen wird und ob am Ende dieser ungeheuren Entwicklung ganz neue Propheten oder eine mächtige Wiedergeburt alter Gedanken und Ideale stehen werden.« Es zeichnen sich weder neue olympische Propheten am Horizont ab, noch irgendwelche Anzeichen, dass der Kern von Coubertins Idealen jemals wieder etwas anderes als Staffage sein wird. Angesichts dessen stellte sich Weber die Zukunft der Bürokratie als »mechanisierte Versteinerung, mit einer Art von krampfhaftem Sich-wichtig-Nehmen verbrämt« vor. Einen besseren Kommentar zum Zustand des IOC könnte es nicht geben. In Ermangelung etwas ganz und gar Radikaleren als der Agenda 2020 könnte das Gleiche auch bald für seine Spiele gelten.

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Die Olympischen Spiele sind das größte Spektakel der Welt. David Goldblatt erzählt ihre Geschichte von den antiken Vorläufern bis zu den Massenevents von heute. Er zeigt, wie die Zahl der Teilnehmer und Disziplinen immer weiter gewachsen ist. Er beleuchtet, wie die Spiele politisch instrumentalisiert wurden. Und er berichtet von den ersten Fernsehübertragungen, der zunehmenden Kommerzialisierung, Dopingproblemen und Bestechungsskandalen. Dabei vergisst Goldblatt nie den eigentlichen Gegenstand der Spiele: den Sport und seine herausragenden Athleten.

»Eines der besten Sportbücher, das je geschrieben wurde.« (Kirkus) »Eine exzellente Geschichte der Spiele der Neuzeit.« (The Times) »Eine lebhafte Geschichte der Spiele, die ihnen den Nimbus nimmt, geschrieben mit der Intelligenz und dem sozialen Verständnis, wie man sie von Goldblatt kennt, mit einem hervorragenden Auge für die entlarvenden Details.« (The Guardian) »Eine Hochgeschwindigkeitsrodelfahrt durch die Geschichte.« (New Statesman)

ISBN 978-3-7307-0392-2 VERLAG DIE WERKSTATT


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