Das große WM-Buch – Leseprobe

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Das große

Hardy Grüne

WM Buch

VERLAG DIE WERKSTATT

Alle Turniere 1930 – 2018


Inhalt Vorwort

WM 1930 WM 1934 WM 1938 WM 1950 WM 1954 WM 1958 WM 1962 WM 1966 WM 1970 WM 1974 WM 1978 WM 1982 WM 1986 WM 1990 WM 1994 WM 1998 WM 2002 WM 2006 WM 2010 WM 2014 WM 2018 Anhang

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• Stockender Start

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• Fußball wird professionell • Italien zum Zweiten

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• Das Wunder von Bern

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• Ein Weltmeister der Herzen

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• Und ewig fällt das Wembley-Tor • Die Fußballwelt im Wandel • Der zweite Stern

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• Freude mit Schatten

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• Das Turnier der Pannen • Die „Hand Gottes“

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• Welcome to Soccer Wonderland • Das Turnier der Überraschungen

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• Ein Sommer wie im Märchen • Afrika feiert, Afrika weint • Der vierte Stern

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• Das Turnier der ruhenden Bälle • Ein Fest der Sinne

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• Südamerikanische Weltmeisterschaft

• „Aschenputtel-WM“

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• Stolperfalle für Favoriten

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Vorwort Alle vier Jahre zieht die Fußball-Weltmeisterschaft Menschen auf dem ganzen Globus in ihren Bann. Kein anderes Sportereignis erreicht vergleichbare Zuseherzahlen, und nichts ist populärer als das Kräftemessen der besten FußballNationalmannschaften der Welt. Es ist eine einzigartige Erfolgsgeschichte, die 1930 begann und im Laufe der Jahrzehnte zum global wohl größten völkerverbindenden Ereignis geworden ist. Eine Reise durch die WM-Geschichte ist auch eine Reise durch die Fußballgeschichte, ja im Grunde genommen eine Reise durch die Weltgeschichte. Die Entwicklung von einem Turnier, an dem 1930 lediglich 13 Mannschaften teilnahmen, die in nur drei ein paar hundert Meter voneinander entfernten Stadien spielten, zu jenem Großereignis von 2018 mit 32 Mannschaften in zwölf über das größte Land der Welt verteilten Arenen ist faszinierend und mitreißend. Zugleich lebt der Fußball von seiner Vergangenheit. Das zeigt sich bei jeder WM aufs Neue, wenn die Erinnerungen an vergangene Turniere hervorgekramt werden und man an alte Erfolge anzuknüpfen versucht. So wie zuletzt 2018 in Russland – Frankreich sicherte sich den „Deuxième étoile“ nach seinem Triumph von 1998, in England sang man stolz „Football’s coming home“, weil das Team von Gareth Southgate unverhofft begeisterte, Kroatien schuf sich mit dem Einzug ins Finale einen nationalen Mythos und in Russland fegte der Achtelfinalsieg der „Sbornaja“ über Spanien für einen Moment all die vielfältigen Probleme und Sorgen der Menschen beiseite. Das kann nur der Fußball. Dieses Buch lädt ein zu einer Zeitreise durch die WM- und die Fußballgeschichte. Es erinnert an große Momente, lässt auch tragische Ereignisse nicht aus und verbindet Vergangenheit mit Gegenwart. Vor allem aber animiert es zum Schwelgen und Erinnern, um die Zeit bis zum nächsten WM-Turnier zu überbrücken. In diesem Sinne: Gute Reise!

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WM 1930 Stockender Start

Das erste Weltfußballturnier stellte gleich in mehrfacher Hinsicht ein Novum dar. Es nahmen lediglich 13 Mannschaften teil, und mit einem Verhältnis von vier europäischen Teams zu neun nichteuropäischen Mannschaften war der Alte Kontinent zum einzigen Mal in der WM-Historie deutlich in der Unterzahl. Sportlich dominierten die Teams aus Südamerika. Insbesondere Argentinien und Uruguay, zwei Mannschaften, die bei den olympischen Fußballturnieren 1924 und 1928 für Furore und ob ihrer modernen Spielweise vor allem für Verzückung gesorgt hatten, begeisterten die Fans. Turbulent die Rahmenbedingungen. Im Juli herrscht in Südamerika Winter, und so waren die Temperaturen alles andere als sommerlich. Sogar Schneefälle gab es zu beobachten. Ungewohnt für die Vertreter Europas zudem die emotional mitgehenden Zuschauer, die vor allem bei den Spielen von Uruguay und Argentinien ein Höllenspektakel auf den Rängen veranstalteten. Der belgische Schiedsrichter John Langenus, der nebenbei als Reporter für eine belgische Zeitung von der WM berichtete, ließ sich angesichts dessen vor dem Endspiel im überfüllten Estadio Centenario gar eine Sicherheitsgarantie von den Veranstaltern geben.

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Ein Denkmal vor dem Estadio Centenario in Montevideo erinnert an die erste WM 1930.


Vor dem Turnier Die allererste WM war eine Veranstaltung der kurzen Wege. Die drei Stadien, in denen das Weltturnier sein Debüt ablieferte, befanden sich innerhalb eines Radius von nicht einmal zwei Kilometern im östlichen Stadtzentrum von Montevideo. Das heute größte Sportereignis der Welt begann also quasi als Laufevent. Uruguay war als Gastgeber auserkoren worden, weil das Land die größten wirtschaftlichen Sicherheiten ausgelobt hatte. Als einziger Bewerber erklärte man sich bereit, der FIFA-Forderung nach Übernahme der Reise- und Übernachtungskosten sämtlicher Teilnehmer nachzukommen. Als der argentinische Verbandschef Varela auf dem Vergabekongress im Mai 1929 in Barcelona dann auch noch eine flammende Rede für den kleinen Nachbarn auf der anderen Seite des Río de la Plata hielt, war die Entscheidung gefallen. Uruguays Mitbewerber Spanien, Ungarn und Italien zogen ihre Anträge zurück, und mit 27:5 Stimmen wurde Uruguay zum ersten und bis heute auch flächen- wie einwohnermäßig kleinsten WM-Ausrichter ernannt. Die Rache der ausgebooteten Europäer folgte auf dem Fuß, denn keine der großen Fußballnationen hatte Lust, die weite Reise über den Atlantik anzutreten. England fehlte, weil man das FIFA-Turnier im „Mutterland“ schlicht nicht ernst nahm. Deutschland fehlte, weil bei der WM Profis mitspielten – und der DFB auf purem Amateurismus beharrte. Andere Nationen forderten eine Antrittsprämie, da ihre Spieler für die Zeit der WM inkl. An- und Abreise von ihren Jobs freigestellt bzw. aus ihren Verträgen bei Profiklubs befreit werden müssten. Niemand verlor allerdings ein Wort darüber, dass Uruguay 1924 und 1928 zu den Olympischen Spielen ebenfalls auf Reisen hatte gehen müssen.

In Europa erregte die WM nur wenig Aufmerksamkeit. Stattdessen beschäftigte man sich mit dem fast gleichzeitig ausgetragenen und als „Europameisterschaft“ deklarierten „Coupe des Nations“, an dem Vienna Wien, Újpest Budapest, Slavia Prag, die SpVgg Fürth, Bologna FC, Real Unión Irún, Cercle Brügge, Go Ahead Eagles Deventer sowie Servette Genf teilnahmen. Die WM wurde medial nur in Randnotizen abgehandelt, in denen eine gewisse Arroganz und Überbewertung des eigenen Leistungsvermögens durchschimmerten, wie dieses Beispiel aus dem deutschen „Fußball“ zeigt.

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Spieler der französischen „Équipe Tricolore“ nutzen die lange Schiffspassage nach Montevideo zur körperlichen Vorbereitung auf das erste WM-Turnier der Geschichte.

Erst als Uruguay tatsächlich eine Antrittsprämie auslobte, kam Bewegung in die Sache, und so schipperten schließlich die Auswahlmannschaften von Belgien, Rumänien, Jugoslawien und Frankreich gen Montevideo. Dahinter standen knallharte wirtschaftliche bzw. politische Interessen. Frankreich und Belgien beispielsweise waren von den FIFA-Funktionären Jules Rimet (der Franzose war Präsident des Weltverbandes) bzw. Rodolphe Seeldrayers (belgischer FIFAVizepräsident) „bearbeitet“ worden. In Rumänien wiederum wollte der kürzlich zum König aufgestiegene Carol II. Sympathiepunkte sammeln, und in Jugoslawien hoffte man auf Unterstützung im Dauerkonflikt zwischen Kroaten und Serben.


Wimpeltausch vor dem Vorrundenspiel zwischen Chile und Mexiko.

Oben: Vor dem Spiel zwischen Jugoslawien und Brasilien stellen sich die Kapitäne Milutin Ivković (Zweiter v. l.) und Preguinho (Dritter v. rechts) gemeinsam mit Schiedsrichter Tejada aus Uruguay (Mitte) den Fotografen. Links: Boliviens Auswahl formte ein „Uruguay Viva“, ehe man gegen Jugoslawien sein erstes WM-Spiel bestritt.

Vorrunde Drei Gruppen à drei Teams, eine mit deren vier – die krumme Teilnehmerzahl von 13 Mannschaften zwang die FIFA zu Improvisationen. Zunächst wurden die vier europäischen Teilnehmer auf jeweils eine Gruppe verteilt, wobei es Frankreich mit Argentinien und Rumänien mit Gastgeber Uruguay zu tun bekam. Da lediglich die Gruppensieger weiterkamen (eine Zwischenrunde gab es nicht, die zweite Runde war bereits das Halbfinale), eine undankbare Aufgabe. Rumänien startete mit einem Sieg über Peru, musste sich dann aber der uruguayischen „Celeste“ mit 0:4 geschlagen geben und durfte nach nur zwei Spielen wieder nach Hause dampfen. Frankreich eröffnete am 13. Juli gegen Mexiko das WM-Turnier (gleichzeitig angepfiffen wurde die Partie USA gegen Belgien) und legte vor offiziell 4.444 Zuschauern – tatsächlich waren es bestenfalls 1.000 – einen 4:1-Traumstart hin. Zwei Tage später gab es gegen Argentinien bereits das zweite Spiel für die

„Équipe Tricolore“, in dem sich die bis dahin spielfreien Südamerikaner nach zähen und verbissenen 90 Minuten mit 1:0 durchsetzten. Als Frankreich anschließend auch gegen Chile verlor, war die Entscheidung gefallen, und Argentinien sicherte sich mit einem 6:3 über Mexiko sowie einem 3:1 gegen Chile den Gruppensieg. Überraschend stark agierten die USA in Gruppe 4. 3:0 gegen Belgien, 3:0 gegen Paraguay – die USBoys zeigten vor allem gegen Geheimfavorit Paraguay (Zweiter der Südamerikameisterschaft 1929) ihre Klasse und feierten den dreifachen Torschützen „Bert“ Patenaude. Einziges europäisches Team, das es ins Halbfinale schaffte, war Jugoslawien. Die blutjunge „Plavi“ (Durchschnittsalter 21 Jahre) startete mit einem 2:1 gegen Brasilien, das allerdings seit 1925 wegen interner Streitigkeiten um den Profifußball zu keinem Länderspiel mehr aufgelaufen war, und stieß drei Tage später mit einem 4:0 über Bolivien vollends die Tür zum Halbfinale auf.

1930 • Uruguay

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Halbfinale Mit Argentinien und Uruguay, den beiden Finalisten des olympischen Fußballturniers 1928 in Amsterdam, hatte man im Halbfinale gerechnet. Jugoslawien und die USA hingegen hatte wohl niemand auf dem Zettel gehabt. So gab es in der Runde der letzten vier dann zwei Duelle „David gegen Goliath“. Die USA trafen im mit zehntausenden per Fähre kurz nach Montevideo geschipperten argentinischen Fans besetzten Estadio Centenario auf die „Albiceleste“, während es Jugoslawien mit Uruguay zu tun hatte. Beide Partien endeten 1:6, was die Spielverläufe nicht angemessen widerspiegelte. Die US-Boys, in der Vorrunde als einziges Team ohne Gegentor, überraschten erneut und standen auf nach schweren Regenfällen tiefem Boden mehrfach vor dem Führungstreffer. Sie hatten jedoch Pech, denn nachdem ihr Torjäger Ralph Tracy zunächst aus aussichtsreicher Position vergeben hatte, brach er sich kurz darauf bei einem Abwehrversuch unglücklich ein Bein. Irgendwie hielt er bis zum Halbzeitpfiff durch, ehe er ins Krankenhaus gebracht werden konnte. Da stand es bereits 1:0 für den Favoriten, der in Überzahl im zweiten Spielabschnitt keine Mühe mehr hatte. Erst in der 89. Minute kam James Brown zum 1:6-Ehrentreffer für die bedauernswerten US-Kicker.

Oben: Jugoslawiens Keeper Jakšić (schwarzer Pulli) gehörte trotz der sechs Gegentreffer im Halbfinale zu den stärksten Spielern auf dem Feld. Unten: Blumen vor dem Anpfiff – die Kapitäne Nasazzi (links) und Ivković erhielten jeweils ein Blumenbukett überreicht. Für den Jugoslawen gab es sogar noch einen Pokal dazu!

Endspielticket Offiziell waren es 68.346 Zuschauer, die ihren Obolus für das Finale im Estadio Centenario entrichtet hatten. Offiziell passten ja auch nur 70.000 Menschen in die erst kurz nach dem WM-Start fertiggestellte Arena inmitten des innerstädtischen Parque José Batlle y Ordóñez. Tatsächlich aber war das weite Rund mit über 90.000 Augenzeugen gefüllt, es herrschten chaotische Zustände. Viele Fans waren durch Löcher im Zaun eingedrungen, und so saß beim Anpfiff eine dichte Menschenmenge direkt am Spielfeldrand.


Argentinische Fans feiern den Einzug ins Finale auf dem Spielfeld des Estadio Centenario.

Tags darauf stand das öffentliche Leben in Montevideo still. Ganz Uruguay hoffte auf den Einzug ins Finale und sprach bereits vom bevorstehenden Endspiel gegen Erzrivale Argentinien. Die Last des Erfolgsdrucks war schwer für die einheimische „Celeste“, und als Jugoslawien nach vier Minuten in Führung ging, waren die 80.000 auf den Rängen plötzlich mucksmäuschenstill. Zunächst war Uruguay ein Schatten seiner selbst. Stolperfußball, übergroße Nervosität – das Team um José

Nasazzi stand völlig neben der Spur. Selbst als Cea in der 18. Minute einen umstrittenen Foulelfmeter zum 1:1 verwandelte, kam keine Ruhe ins Spiel der Gastgeber. Im Gegenteil: Jugoslawien netzte erneut ein, doch dem Treffer wurde aus unerfindlichen Gründen die Anerkennung versagt. Kurz darauf markierte Anselmo das erlösende 2:1 für Uruguay, und als derselbe Spieler nach einer guten halben Stunde auf 3:1 erhöhte (vergeblich reklamierten die Jugoslawen, der Ball habe vorher die Torauslinie überschritten und sei von einem hinter dem Tor stehenden Polizisten zurückgeschossen worden!), brach aus uruguayischer Sicht endlich der Bann. Am Ende stand ein 6:1, und nur das Eckballverhältnis verriet, wie knapp es wirklich gewesen war – das lautete nämlich 8:2 für … Jugoslawien!

Das gewaltige Estadio Centenario am Finaltag

1930 • Uruguay

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WM 2014 Der vierte Stern

Brasilien – ein nahezu perfekter Gastgeber für ein fröhliches Fußballfest! Sonne satt an der Copacabana, dazu tolle Stimmung in den Stadien und eine illustre Fußballhistorie. Da fielen die Schatten nicht so auf, gingen die Probleme in den Favelas des Landes ziemlich unter, ärgerten sich nur die Einheimischen über die massive Staatsverschuldung für das Turnier. Der große Schock für die Fußballnation Brasilien kam im Halbfinale, als die „Seleção“ eine epische 1:7-Niederlage gegen Deutschland bezog. Im Finale gegen Argentinien sorgte Mario Götze schließlich für den umjubelten vierten Stern der DFB-Elf.

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Der vierte Stern ist da!


Vor dem Turnier Selten hatte man größere Einmütigkeit erlebt als beim Vergabeprozess für die WM 2014. Brasilien feierte nicht nur den 100. Geburtstag seines Nationalverbandes CBF, der fünffache Weltmeister war 65 Jahre nach der WM 1950 auch schlicht wieder an der Reihe und mit seiner Ausstrahlung als wohl größte Fußballnation der Welt eine überall begrüßte Wahl. Am 30. Oktober 2007 segnete die FIFA auf ihrem Kongress die Bewerbung ab und kürte Brasilien offiziell zum Gastgeber der WM 2014. Politisch und wirtschaftlich steckte das Land nach einem langen Aufschwung allerdings in der Krise. Mehrere Stadien wie das in Brasília wurden bereits als designierte „Weiße Elefanten“ bezeichnet, und die Radikalität, mit der die Ordnungskräfte in den Armenvierteln „aufräumten“, erschütterte viele Beobachter. Darüber hinaus sorgte die Dauerkrise der FIFA-Spitze um ihren umstrittenen Präsidenten Sepp Blatter für Schlagzeilen. Wie groß die Fußballwelt geworden war, zeigte die Qualifikation, die bereits am 30. März 2011 mit den ersten Spielen in Asien begann und an der 202 Verbände teilnahmen. Überraschungen blieben rar. In Europa sorgte das politisch brisante Aufeinandertreffen zwischen Serbien und Kroatien für Aufregung, wobei sich Kroatien sportlich durchsetzte und gemeinsam mit Gruppensieger Belgien das Ticket löste. Dänemark, Zweiter hinter Italien in seiner Gruppe, hatte Pech, weil man als schlechtester Gruppenzweiter vorzeitig ausschied. Deutschland lieferte sich mit Schweden ein spektakuläres 4:4, agierte ansonsten aber souverän und verlustpunktfrei. Überraschend stark Island als Zweiter hinter der Schweiz sowie die großartig aufspielende Auswahl aus Bosnien-Herzegowina, die sich erstmals für ein WM-Endturnier qualifizierte. In den Play-offs der besten Gruppenzweiten musste Frankreich gegen die Ukraine lange zittern,

während sich Portugal und Schweden mit ihren Superstars Cristiano Ronaldo und Zlatan Ibrahimović zwei packende Spiele lieferten, in denen am Ende Portugal die Nase vorn hatte. Afrika meldete mit Algerien, Ghana, Kamerun, Nigeria und der Elfenbeinküste exakt dieselben WM-Starter, die sich auch schon vier Jahre zuvor durchgesetzt hatten, in Südamerika nutzte Ecuador die Qualifikationsabwesenheit von Gastgeber Brasilien und schaffte neben den üblichen Platzhirschen den Sprung zum Endturnier und der „Rest der Welt“ entsandte ebenfalls nur bekannte Namen, wobei Jordanien und Neuseeland erst in den interkontinentalen Play-offs scheiterten.

Cristiano Ronaldo und Portugal qualifizierten sich im Play-off gegen Schweden.

Brasilien 2014 – auch ein Turnier der Gegensätze. Das Estádio Beira-Rio in Porto Alegre neben einer Favela.


Thomas Müller und Pepe im Schreiduell nach einem mit Platzverweis geahndeten Foul des Portugiesen.

ine Spiele, „Du gewinnst ke r Vergangenheit e d in u d il e w r u n ast.“ Titel gewonnen h ltrainer Cesare

(Italiens Nationa

Prandelli)

Vorrunde Tropische Temperaturen, hohe Luftfeuchtigkeit, weite Reisen – die Rahmenbedingungen in Brasilien sorgten im Vorfeld für viel Diskussionsstoff. Urs Siegenthaler, Chefscout im Team von Bundestrainer Jogi Löw, prognostizierte jedenfalls: „Agieren heißt Bewegung, und Bewegung kostet Kraft. Bloßer Ballbesitz wäre für Südamerika nicht richtig.“ Den lateinamerikanischen Mannschaften waren die Gegebenheiten vertraut. Mit Ausnahme von Hondu-

ras und Ecuador schafften prompt sämtliche Starter aus Süd- und Mittelamerika den Sprung ins Achtelfinale. Weniger glanzvoll agierten die Vertreter Asiens, die unisono in der Vorrunde ausschieden, sowie abermals Afrikas Teilnehmer. Bei ihnen waren es erneut Disziplinlosigkeiten und Egoismen, die aussichtsreiche Teams wie Ghana oder Kamerun (trainiert von Winnie Schäfer) scheitern ließen. Tragisch allerdings das Aus der Elfenbeinküste um Didier Drogba, die beim 1:2 gegen Griechenland in der Nachspielzeit einen Strafstoß kassierte und noch auf Platz 3 zurückfiel. Auch aus Europa blieben große Namen frühzeitig auf der Strecke. Allen voran Titelverteidiger Spanien, der mit einem unfassbaren 1:5 gegen 2010-Finalgegner Niederlande ins Turnier startete. Nach dem 0:2 gegen Chile war die Messe für die „Selección“ bereits gelesen. Begleitet wurde das Team von Italiens „Squadra Azzurra“, die gegen Costa Rica sowie im dramatischen „Gruppenendspiel“ gegen Uruguay verlor. Auch England, das lediglich beim 0:0 gegen Costa Rica einen Punktgewinn verbuchte, enttäuschte grenzenlos, während Portugal mit Cristiano Ronaldo nach einem 0:4-Fehlstart gegen Deutschland zu spät auf Touren kam. Der von vielen mitgereisten Fans begleitete WMDebütant Bosnien-Herzegowina zeigte in Gruppe F durchaus ansprechende Leistungen, musste seine Hoffnungen aber nach einer 0:1-Niederlage gegen Nigeria ebenfalls vorzeitig begraben. Algerien hingegen feierte mit einem abschließenden 1:1 gegen Russland erstmals den Einzug in die K.-o.-Runde.

Luis Suárez hat sich wortwörtlich „durchgebissen“. Während der Uruguayer seine schmerzenden Zähne hält, sorgt sich der von ihm malträtierte Giorgio Chiellini um seine Schulter. Italien musste nach der Vorrunde heimreisen.

2014 • Brasilien

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Achtelfinale Während der Vorrunde hatte es hitzige Diskussionen um die Schiedsrichterleistungen gegeben. „Das Tempo ist zu schnell für Schiedsrichter aus aller Welt, die besten müssen endlich auch an einer WM pfeifen dürfen“, forderte der ehemalige Spitzenreferee Urs Meier. Ihm zufolge hätten Unparteiische aus Afrika und Asien nicht die Erfahrung auf höchstem Niveau, um bei einem Weltturnier pfeifen zu können. Schon im Eröffnungsspiel zwischen Brasilien und Kroatien hatte eine vom japanischen Referee mit Elfmeter belohnte Schwalbe von Fred für Aufregung gesorgt. Im Achtelfinale gab es mit fünf Teams aus Südamerika, drei nord-/mittelamerikanischen Vertretern, deren zwei aus Afrika sowie lediglich sechs aus Europa – darunter Griechenland und die Schweiz – ein wie nie zuvor gemischtes Teilnehmerfeld. Brasilien musste gegen stark aufspielende Chilenen nach einer über weite Strecken ausgeglichenen Partie ins Elfmeterschießen, in dem Torhüter Júlio César zum Helden avancierte. Die Einheimischen unter den 57.714 Zuschauern in Belo Horizonte jubelten erleichtert mit ihrem Team um Superstar Neymar. Im zweiten Südamerikaduell setzte sich Kolumbien gegen Uruguay durch und erreichte erstmals das Viertelfinale. Die „Celeste“ musste auf Torjäger Luis Suárez verzichten, der nach einer Beißattacke im letzten Gruppenspiel gegen Italien gesperrt war. Vize-

atchwinner Manuel Neuer – M er Algerien. üb 1:0 im be

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weltmeister Niederlande hatte bei schwül-heißen Bedingungen in Fortaleza große Mühe mit den starken Mexikanern, die bis zur 88. Minute 1:0 führten. In der Nachspielzeit sorgte ein verwandelter Strafstoß von Huntelaar nach „Foul“ an Robben für den glücklichen Sieg der „Oranje“. Im Duell der Außenseiter zwischen Griechenland und Costa Rica feierten die Lateinamerikaner ihren Torhüter Keylor Navas, der im Elfmeterschießen den Schuss von Theofanis Gekas parierte. Frankreichs „Équipe Tricolore“ bestätigte unter Trainer Didier Deschamps ihre positive Entwicklung und war beim 2:0 gegen Nigeria ungefährdet, während sich Argentinien und die Schweiz in São Paulo über weite Strecken neutralisierten. Erst in der 118. Minute sorgte Ángel Di María für das Tor des Tages. Damit endete zugleich Ottmar Hitzfelds Trainerkarriere. Kollege Jürgen Klinsmann auf der Bank der US-amerikanischen Auswahl haderte unterdessen mit dem Schicksal, denn beim 1:2-Verlängerungsaus gegen Belgien waren seine „Boys“ zumeist das agilere Team gewesen. Zittern musste auch Deutschland. Afrikas Überraschungself Algerien trat unerwartet offensiv auf, und wäre nicht Deutschlands „Torhüter-Libero“ Manuel Neuer gewesen, der nicht nur seinen Strafraum, sondern im Grunde die gesamte eigene Hälfte beherrschte, es hätte durchaus eine Sensation geben können. In der Verlängerung schockte Schürrle die Nordafrikaner dann mit dem 1:0 für die DFB-Auswahl, die sich schließlich mit 2:1 durchsetzte.

Die Niederlande mussten lange um ihren 2:1-Sieg über Mexiko kämpfen. Dirk Kuijt und Georginio Wijnaldum im Duell mit Mexikos Defensive.


Sami Khedira im Duell mit Mathieu Valbuena (links) und Blaise Matuidi. Deutschland gewann das Viertelfinale gegen Frankreich mit 1:0.

Viertelfinale Sämtliche Vorrunden-Gruppensieger hatten sich im Achtelfinale durchgesetzt, wobei fünf der acht Partien in die Verlängerung gegangen waren. Im Südamerikaduell zwischen Brasilien und Kolumbien stand die Gastgeberelf sichtlich unter Druck. Die Erwartungen des heimischen Publikums waren längst ins Unermessliche gestiegen, was vor allem ein Spieler zu spüren bekam: Neymar, der herausragende Akteur in einer für brasilianische Verhältnisse fußballerisch ungewöhnlich limitierten Mannschaft. Thiago Silva und David Luiz sorgten für eine 2:0-Führung, die nach dem Anschlusstreffer durch James Rodríguez zwar in Gefahr geriet, aber bis zum Abpfiff Bestand hatte. Kurz vor Ende dann der Schock für Brasilien, als ein nicht geahndetes Foul von Juan Zúñiga an Neymar zu einer Lendenwirbelfraktur beim brasilianischen Superstar führte, der damit für den Rest des Turniers ausfiel. Brasilien jubelte unter Tränen. Bei 88 Prozent Luftfeuchtigkeit und 26 Grad Außentemperatur in Rio de Janeiro präsentierte sich die deutsche Elf gegen Frankreich vor allem defensiv deutlich aufmerksamer als zuvor gegen Algerien. Das frühe Tor von Mats Hummels reichte in einer spannenden Partie, in der Frankreich über weite Strecken anrannte, aber immer wieder an Manuel Neuer scheiterte, während Deutschland durch Konter stets Gefahr ausstrahlte. Ebenfalls 1:0 gewann Argentinien im Duell der Minimalisten gegen Belgien. Bereits in der achten Minute erzielte Gonzalo Higuaín das Tor des Tages. Belgien konnte seine gefürchteten schnellen Gegenstöße nur sporadisch einsetzen und verabschiedete sich aus dem Turnier. Für Verärgerung sorgten

die brasilianischen Zuschauer, die minutenlang lieber ihren verletzten Helden Neymar feierten, als die beiden Teams auf dem Rasen anzufeuern. Das Duell zwischen Vizeweltmeister Niederlande und Viertelfinalneuling Costa Rica wurde zu einer zähen und zugleich dramatischen Angelegenheit. Bei der „Oranje“ fehlte es in der Offensive an Ideen, Costa Rica beschränkte sich auf Konter, schaffte es mit etwas Glück in die Verlängerung und schließlich ins Elfmeterschießen. Dort wartete Bondscoach Louis van Gaal mit einem besonderen Psychotrick auf: Er ersetzte Torhüter Jasper Cillessen durch Tim Krul. Eine gelungene Überraschung, denn Krul parierte zwei Elfmeter und sorgte damit für den Halbfinaleinzug. Der Moment des Entsetzens: Der Kolumbianer Juan Zuniga springt Neymar von hinten an und rammt ihm das Knie ins Rückgrat.

2014 • Brasilien

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Wesley Sneijder eilt Lionel Messi davon, am Ende jedoch hatte Argentinien im Elfmeterschießen die Nase vorn.

Halbfinale Brasilien jubelte, Brasilien bangte, Brasilien hoffte und Brasilien trauerte. Nie zuvor hatte eine Gastgeberelf derart unter Druck gestanden wie die „Seleção“ vor dem Halbfinale gegen Deutschland. Und der schier grenzenlose Rummel um Neymar trug nicht zur Entspannung der Nerven des Teams von Luiz Felipe Scolari bei. Als die beiden Mannschaften das Spielfeld im Maracanã betraten, schien es, als sei die verletzte Nummer 10 doch dabei – Neymars Trikot wurde hochgehalten, Bilder vom Superstar auf der Stadionleinwand lösten Jubelstürme aus, die Stimmung war zum Bersten. Mittendrin: Ein deutsches Team, das cool und entschlossen wirkte. Die erwartet wilde Auftaktphase

der überdrehten Heimelf ohne Schäden überstehend, sorgte Thomas Müller in der elften Minute mit dem 1:0 erstmals für Ruhe unter den 58.000 brüllenden Menschen auf den Rängen. Mit Kloses 2:0 (23.) begannen dann die wohl historischsten sechs Minuten der WM-Geschichte. Gegen eine völlig kopflose und panische „Seleção“ erhöhten zweimal Kroos sowie Khedira auf 5:0 und entschieden damit frühzeitig eine Partie, in der zwei Teams auf Augenhöhe erwartet worden waren. Nach dem Seitenwechsel ging die unfassbare Show weiter, als Schürrle mit zwei Treffern auf 7:0 erhöhte, ehe Oscar in der Schlussminute auf 1:7 „verkürzte“ und damit Manuel Neuer erboste: „Ich hasse Gegentore. Jedes Gegentor.“ Das zweite Halbfinale tags darauf stand merklich im Schatten des vorangegangenen historischen Ereignisses und konnte in keinerlei Hinsicht damit konkurrieren. Sowohl Argentinien als auch die Niederlande beschränkten sich auf die Defensive und verteidigten in erster Linie das 0:0. Robben blass, Messi blass – auf keiner Seite war so etwas wie Courage zu sehen. Nachdem es in 120 Minuten keinen Treffer gegeben hatte, kam es zum Elfmeterschießen, in dem Argentiniens Keeper Romero mit zwei parierten Schüssen zum Matchwinner wurde.

iderlichkeit.“ W ne ei ar w el pi S as „D le lbfina gland, über das Ha („The Guardian“, En Niederlande) Argentinien gegen

Rechte Seite: Ein Bild mit hoher Symbolkraft: Toni Kroos schiebt in der 26. Minute zum 4:0 für Deutschland ein, Brasiliens Verteidiger Dante steht ganz allein vor dem verwaisten Tor.

„Deutschland hat Brasilien gedemütigt und zeigte, was der ,Seleção‘ fehlte: Talent.“ („O Dia“, Brasilien)

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WM 2014 in Brasilien Gemeldete Länder: 203 Europa: 53, Südamerika: 10, Nord- und Mittelamerika & Karibik-Zone: 35, Afrika: 51, Asien: 43, Ozeanien: 11 Endrundenteilnehmer: 32 Europa (13): Belgien, Bosnien-Herzegowina, Deutschland, England, Frankreich, Griechenland, Italien, Kroatien, Niederlande, Portugal, Russland, Schweiz, Spanien Südamerika (6): Argentinien, Brasilien, Chile, Ecuador, Kolumbien, Uruguay Nord- und Mittelamerika (4): Costa Rica, Honduras, Mexiko, USA Afrika (5): Algerien, Elfenbeinküste, Ghana, Kamerun, Nigeria Asien (4): Australien, Iran, Japan, Südkorea

(Brasília), Japan - Griechenland 0:0 (Natal), Japan - Kolumbien 1:4 (Cuiabá), Griechenland Elfenbeinküste 2:1 (Fortaleza) Qualifiziert: Kolumbien, Griechenland Gruppe D: Uruguay - Costa Rica 1:3 (Fortaleza), England - Italien 1:2 (Manaus), Uruguay - England 2:1 (São Paulo), Italien Costa Rica 0:1 (Recife), Italien - Uruguay 0:1 (Natal), Costa Rica - England 0:0 (Belo Horizonte). Qualifiziert: Costa Rica, Uruguay Gruppe E: Schweiz - Ecuador 2:1 (Brasília), Frankreich - Honduras 3:0 (Porto Alegre), Schweiz - Frankreich 2:5 (Salvador), Honduras - Ecuador 1:2 (Curitiba), Honduras Schweiz 0:3 (Manaus), Ecuador - Frankreich 0:0 (Rio de Janeiro). Qualifiziert: Frankreich, Schweiz

Endrunde 12. Juni - 13. Juli 2014 Vorrunde: Es qualifizieren sich die beiden Gruppenersten. Gruppe A: Brasilien - Kroatien 3:1 (São Paulo), Mexiko - Kamerun 1:0 (Natal), Brasilien Mexiko 0:0 (Fortaleza), Kamerun - Kroatien 0:4 (Manaus), Kamerun - Brasilien 1:4 (Brasília), Kroatien - Mexiko 1:3 (Recife). Qualifiziert: Brasilien, Mexiko Gruppe B: Spanien - Niederlande 1:5 (Salvador), Chile - Australien 3:1 (Cuiabá), Australien - Niederlande 2:3 (Porto Alegre), Spanien - Chile 0:2 (Rio de Janeiro), Australien - Spanien 0:3 (Curitiba), Niederlande - Chile 2:0 (São Paulo). Qualifiziert: Niederlande, Chile Gruppe C: Kolumbien - Griechenland 3:0 (Belo Horizonte), Elfenbeinküste - Japan 2:1 (Recife), Kolumbien - Elfenbeinküste 2:1

Gruppe F: Argentinien - Bosnien-Herzegowina 2:1 (Rio de Janeiro), Iran - Nigeria 0:0 (Curitiba), Argentinien - Iran 1:0 (Belo Horizonte), Nigeria - Bosnien-Herzegowina 1:0 (Cuiabá), Nigeria - Argentinien 2:3 (Porto Alegre), Bosnien-Herzegowina - Iran 3:1 (Salvador). Qualifiziert: Argentinien, Nigeria Gruppe G: Deutschland - Portugal 4:0 (Salvador), Ghana - USA 1:2 (Natal), Deutschland - Ghana 2:2 (Fortaleza), USA Portugal 2:2 (Manaus), USA - Deutschland 0:1 (Recife), Portugal - Ghana 2:1 (Brasília). Qualifiziert: Deutschland, USA

Achtelfinale: Brasilien - Chile 1:1 n.V., 3:2 i.E. (Belo Horizonte), Kolumbien - Uruguay 2:0 (Rio de Janeiro), Niederlande - Mexiko 2:1 (Fortaleza), Costa Rica - Griechenland 1:1 n.V., 5:3 i.E. (Recife), Frankreich - Nigeria 2:0 (Brasília), Deutschland - Algerien 2:1 n.V. (Porto Alegre), Argentinien - Schweiz 1:0 n.V. (São Paulo), Belgien - USA 2:1 n.V. (Salvador) Viertelfinale: Frankreich – Deutschland 0:1 (Rio de Janeiro), Brasilien – Kolumbien 2:1 (Fortaleza), Argentinien – Belgien 1:0 (Brasília), Niederlande – Costa Rica 0:0 n.V., 4:3 i.E. (Salvador) Halbfinale: Brasilien – Deutschland 1:7 (Belo Horizonte), Niederlande – Argentinien 0:0 n.V., 2:4 i.E. (São Paulo) Dritter Platz: Brasilien – Niederlande 0:3 (Brasília) Finale: Deutschland – Argentinien 1:0 n.V. (0:0, 0:0, 0:0) Weltmeister 2014: Deutschland Bester Spieler des Turniers: Lionel Messi, Argentinien Bester Torschütze: James Rodríguez, Kolumbien (6) Bester Torhüter: Manuel Neuer, Deutschland Bester Nachwuchsspieler: Paul Pogba, Frankreich Fairste Mannschaft: Kolumbien

Gruppe H: Belgien - Algerien 2:1 (Belo Horizonte), Russland - Südkorea 1:1 (Cuiabá), Belgien - Russland 1:0 (Rio de Janeiro), Südkorea - Algerien 2:4 (Porto Alegre), Südkorea - Belgien 0:1 (São Paulo), Algerien Russland 1:1 (Curitiba). Qualifiziert: Belgien, Algerien

2014 • Brasilien

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Der Moment der Entscheidung: Der eingewechselte Mario Götze überwindet Argentiniens Torhüter Romero.

Finale Brasilien befand sich noch immer im Schockzustand nach dem 1:7-Debakel gegen Deutschland, als sich am Finaltag 74.738 Zuschauer auf den Weg ins Maracanã machten. Das Schicksal der „Seleção“ – und vor allem das von Neymar – waberte durch die historische Fußballstätte und sorgte für eine eigentümliche Atmosphäre wie bei keinem WM-Endspiel zuvor. Das deutsche Team hatte reichlich Sympathiepunkte sammeln können, weil es mit seinem Kantersieg in Demut und sportlicher Fairness umgegangen war. Schon nach dem Abpfiff hatte man dem Gegner Respekt gezollt und auf allzu offensichtliche Jubelgesten verzichtet. Jeder Spieler im deutschen Dress wusste, was in den brasilianischen Köpfen und Herzen vorging.

Dass das einheimische Publikum im Finale für Deutschland Position bezog, lag aber nicht nur an dem sympathischen Auftreten der Löw-Elf, sondern auch am Gegner Argentinien. Der südamerikanische Erzrivale, dessen Fans während der WM mit einem Dauer-Schmähgesang gegenüber Brasilien die Emotionen hatten hochkochen lassen: „Brasil, decime qué se siente tener en casa a tu papá“, lautete der Refrain – „Brasilien, sag mir, wie es sich anfühlt, deinen Papa im Haus zu haben“ („Papa“

Endspielticket 74.738. Damit war das Fassungsvermögen des Estádio Jornalista Mário Filho – besser bekannt unter dem mythischen Namen „Maracanã“ – bis auf den letzten Platz ausgeschöpft. Vor allem argentinische Fans suchten händeringend nach Tickets und gingen leer aus.

216


Trainer: Joachim Löw

Neuer Lahm

Boateng

Hummels

Kramer

Höwedes

Schweinsteiger

Müller

Kroos

Özil

Klose Higuaín Lavezzi

Messi

Finale: 13. Juli 2014, 16.00 Uhr, Maracanã, Rio de Janeiro

Pérez

Deutschland – Argentinien 1:0 n. V. Zuschauer: 74.738

Biglia Rojo

Mascherano Garay

Demichelis

Romero

Trainer: Alejandro Sabella

gemeint im Sinne von „das erfolgreichere Team“, wobei sich dies vor allem auf die Copa América bezieht). Es war bereits das dritte Endspielduell zwischen Deutschland und Argentinien. 1986 hatten sich die Südamerikaner durchgesetzt, 1990 war es Andy Brehmes verwandelter Foulelfmeter gewesen, der dem DFB-Team den dritten Stern einbrachte. Nun, 24 Jahre später, sollte endlich der vierte folgen. Bundestrainer Löw musste in letzter Minute umstellen. Sami Khedira zwickte der Oberschenkel. „Trainer, es geht nicht“, teilte der Mittelfeldmann nach dem Warmlaufen mit. Für ihn kam der Gladbacher Christoph Kramer zum unerwarteten WM-Finaleinsatz. Khedira war untröstlich, schickte seinen Kollegen aber aufmunternde Worte mit auf den Weg: „Hier ist ein spannender Mix entstanden. Jeder lernt die Kultur des anderen kennen und auch, wie man in anderen Ländern über Fußball denkt. Wir strahlen vorne eine gewisse südländische Leichtigkeit aus und defensiv eine unwahrscheinlich hohe Disziplin.“ In der Tat befand sich das DFB-Team auf dem Zenit seiner Leistungsfähigkeit. Argentinien war weniger brillant aufgetreten und hatte sich mit Minimalfußball ins Finale gearbeitet. Das Team lebte von der Genialität Lionel Messis. Die Frage nach dem Favoriten war dennoch nicht eindeutig zu klären. Bei angenehmen 25 Grad und Sonnenschein gab Schiedsrichter Rizzoli aus Italien die Partie um 16 Uhr Ortszeit frei. Es ging flott los, wobei vor allem Argentinien überraschend offensiv agierte, dabei aber zugleich nicht den Respekt vor den deutschen Offensivqualitäten vermissen ließ. In der 21. Minute verpasste Higuaín eine erste Großchance, etwas später wurde ein Treffer vom selben Spieler wegen Ab-

Schiedsrichter: Rizzoli (Italien) Zabaleta

Assistenten: Faverani (Italien), Stefani (Italien) Tor: 1:0 Götze (113.) Einwechslungen: Schürrle (31. für Kramer), Götze (88. für Klose), Mertesacker (120. für Özil) / Agüero (46. für Lavezzi), Palacio (78. für Higuaín), Gago (86. für Pérez)

Heroische Rettungstat von Bastian Schweinsteiger in der Nachspielzeit gegen Lionel Messi.

seits nicht anerkannt. In der 40. Minute stand Boateng perfekt auf der Torlinie und klärte einen Messi-Schuss. Deutschland arbeitete sich über Zweikämpfe und Ballbesitz in die Partie. Kurz vor dem Pausenpfiff traf Höwedes per Kopf nach Kroos-Ecke nur den Pfosten. Mit 0:0 ging es in die Kabinen. Nach dem Wechsel wurde das Spiel intensiver. Manuel Neuer hatte Glück, dass eine Rettungsaktion gegen Higuaín in der 57. Minute nicht mit Platzverweis und Strafstoß geahndet wurde. In der 88. Minute schickte Löw Mario Götze für den ausgepumpten Klose aufs Feld. „Zeig der Welt, dass du besser bist als Messi!“, waren Löws Worte. Und in der 113. Minute zeigte Götze, dass er – zumindest an diesem Tag – besser war. Schürrles Flanke nahm er prächtig mit der Brust an und versenkte den Ball im Fallen im argentinischen Tor. Danach gab es einen wütenden argentinischen Sturmlauf, bei dem sich insbesondere Bastian Schweinsteiger als Turm in der Schlacht entpuppte. In der 121. Minute stoppte er – blutend und völlig ausgepumpt – noch einmal Messi in letzter Sekunde und rettete damit den vierten Stern.

2014 • Brasilien

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Weltmeister 2014!

„Man merkt, wie kraftraubend so ein Turnier ist. Aber was soll’s? Es ging nicht um eine Person, sondern darum, dass Deutschland Weltmeister wird. Es ging um das Kollektiv.“ (Bastian Schweinsteiger)

Begegnungsstätte Brasilien – ein Land liebt und lebt den Fußball. Bei allen Bedenken bezüglich der Rahmenbedingungen war die Wahl von Brasilien als WM-Ausrichter eine gelungene. Das zeigten nicht nur die begeisterungsfähigen einheimischen Fans, sondern auch die aus den übrigen Teilnehmerländern angereisten Anhänger. Vor allem andere Südamerikaner kamen zu Tausenden nach Brasilien und bewiesen, dass Fußball noch immer eine große Begegnungsstätte der Völker ist.

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WM-Sterne

1

Manuel Neuer

Es war im Achtelfinale gegen Algerien, als Manuel Neuer ein uraltes Relikt aus der Fußballgeschichte zu neuem Leben erweckte und damit zum Matchwinner wurde: den Libero. In einem für die DFB-Auswahl komplizierten Spiel agierte Neuer als eine Art letzter Feldspieler bisweilen weit außerhalb seines Strafraums und trieb die Gegner damit wiederholt zur Verzweiflung. Nie war ein Torwart so wertvoll gewesen!

1

1

Neymar

Ein ganzes Land weinte um seinen Superstar. Beim 2:1-Sieg im Viertelfinale gegen Kolumbien hatte Neymar da Silva Santos Júnior nach einem rüden Foul von Juan Zúñiga einen Lendenwirbelbruch erlitten und fiel für den Rest des Turniers aus. Dabei wäre die „Seleção“ ohne den technisch brillanten Außenstürmer womöglich schon viel früher ausgeschieden – gegen Kroatien und Kamerun hatte er jeweils zwei Treffer erzielt. Und als er dann im Halbfinale gegen Deutschland fehlte, brach die Katastrophe über Brasilien herein.

James Rodríguez

Sechs Turniertreffer, WM-Torschützenkönig, dreimal „Man of the Match“ – für James Rodríguez war die WM 2014 der Durchbruch. Der aus Cúcuta stammende offensive Mittelfeldspieler hatte sämtliche Auswahlteams Kolumbiens durchlaufen, 2011 sein Debüt in der A-Elf gegeben und schließlich mitgeholfen, sein Land zur WM zu schießen. Dort sorgte er mit einem Volleyschuss zum 1:0 gegen Uruguay für das schönste Tor des Turniers.

2014 • Brasilien

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