Deutsch-israelische Fußballfreundschaft – Leseprobe

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VERLAG DIE WERKSTATT

Manfred Lämmer


Inhalt Vorwort � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 5 1

Juden im deutschen Fußball: Vom Kaiserreich bis zur Pogrom-Nacht. Spieler – Funktionäre – Mäzene � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 7

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Hagibor besiegt Union. Fußball im Ghetto Theresienstadt � � � � � � � � � � � � � � � � � 24

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„Mir bamijen zich mit ale Kojches cu grinden naje Sportklubn“. Jüdischer Fußball im Nachkriegsdeutschland � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 38

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„Für alle Länder außer Deutschland“ � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 48

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Österreich als Testfall: Die Reise der Kapfenberger SV � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 52

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Wie ich Fußballer wurde � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 61

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Israelis in der Kölner Trainerschmiede (1958–1964) � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 65

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Eine Männerfreundschaft: Emanuel Schaffer und Hennes Weisweiler � � � 82

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„… eine Reise wie diese habe ich noch nie erlebt“. Helmut Rahn in Israel � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 96

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Der erste Schritt: Die DFB-Jugend in Israel � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 106

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Das „Sommermärchen“ von 1969 � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 122

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Wieder dabei: Deutsche Fußballer bei der Makkabiah � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 150

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Geburt einer Legende – die „Fohlen“ in Israel � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 159

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Rheinische „Frohnaturen“ – der 1. FC Köln in Israel � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 181

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Mit deutscher Hilfe: Der Weg des israelischen Fußballs nach Europa � � � � � 192

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Spieler, Trainer und Experten � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 209

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Bundesadler gegen Davidsstern – Die Länderspiele � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 222

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Die Begegnungen der Jugendmannschaften � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 248

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Berlin trifft auf MILAN � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 256


20 Anstoß für Autoren � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 267 21 Public Viewing: Israelische Fans der Bundesliga � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 279 22 Botschafter Deutschlands: der FC Bundestag � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 286 Anhang � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 293 Begegnungen deutscher und israelischer Fußballmannschaften von 1967 bis 2018 (Auswahl) � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 293 Literatur � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 299 Der Autor � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 304


Vorwort Wenn vom völkerverbindenden oder gar friedensstiftenden Anspruch des Sports die Rede ist, werden meistens skeptische, oft sogar zynische Stimmen laut. Zu ihnen gehört die Aussage des irischen Dramatikers Bernard Shaw, man müsse nur ein Fußballspiel veranstalten, um zwei Länder in einen Krieg zu schicken. Und in der Tat: Es gibt keinen Beweis dafür, dass die olympische Idee jemals einen Krieg verhindert hätte. Im Gegenteil: Dreimal mussten Olympische Spiele wegen der Weltkriege ausfallen, und lange warf der Kalte Krieg der Supermächte seinen Schatten auf den internationalen Sport. 1972 in München wurde das olympische Fest selbst zur Zielscheibe unmenschlichen Terrors. Doch man sollte die verbindende Kraft des Sports nicht nur an den Olympischen Spielen, Fußballweltmeisterschaften und anderen Großveranstaltungen mit ihren unbestreitbar beklagenswerten Begleiterscheinungen messen. Der Sport hat auch andere Formen und Facetten, denen ein hohes Potenzial politischer und sozialer Wirksamkeit zukommen kann. In diesem Zusammenhang ist die Rolle, die er bei der Entwicklung der deutsch-israelischen Beziehungen gespielt hat, von einzigartiger Qualität. Eine Dokumentation dieser Erfolgsgeschichte ist das Ziel eines Projektes, das vor einigen Jahren mit Unterstützung der ZEIT-Stiftung am Institut für Sportgeschichte der Deutschen Sporthochschule Köln auf den Weg gebracht wurde. Eine Darstellung der ersten Kontakte zwischen den Sportorganisationen beider Länder hat Robin Streppelhoff mit seiner Dissertation Gelungener Brückenschlag. Sport in den deutsch-israelischen Beziehungen im Jahre 2012 vorgelegt. Die zweite Phase unseres Projektes galt dem Fußball, weil dieser Sportart wegen ihrer großen medialen Wahrnehmung in allen sozialen Schichten besondere Bedeutung zukommt. Das Projekt war von einer Reihe unvorhergesehener Schwierigkeiten betroffen, die zu wiederholten Verzögerungen führten. Dazu gehörte vor allem der tragische Umstand, dass Prof. Dr. Gilad Margalit von der Universität Haifa, der als Partner auf israelischer Seite an dem Vorhaben beteiligt werden sollte, kurz nach Arbeitsbeginn verstarb und besonders hinsichtlich der Auswertung hebräischer Quellen eine Lücke hinterließ, die nie ganz geschlossen werden konnte. Dennoch gelang es, aus deutschen und israelischen Archiven eine große Fülle einschlägiger Materialien zusammenzutragen, die für die hier vorgelegte Darstellung gar nicht alle herangezogen werden konnten. Das Buch ist ein Stück Teamwork, was gut zum Thema passt. Robin Streppelhoff und Kenan Dogan haben an der Deutschen Sporthochschule hauptamtlich

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mitgearbeitet, Erik Eggers, Markwart Herzog, Nicola Schlichting und Jim Tobias haben Gastbeiträge zur Vorgeschichte des jüdischen Sports in Deutschland geliefert, die uns für das Verständnis der nachfolgenden Entwicklung unverzichtbar erschienen. Zu anderen Kapiteln haben Alexander Feuerherdt, Ronny Blaschke, Mario Leis, Daniel Westermann und Jessica Balleer Teilentwürfe geliefert. Ihnen allen gilt mein herzlicher Dank, ebenso wie Alexandra Margalit/Dublin für die Übersetzung zahlreicher israelischer Presseberichte und Moshe Zimmermann von der Hebräischen Universität Jerusalem, dem der Verfasser seit langen Jahren freundschaftlich verbunden ist. Letztlich trägt aber der Projektleiter für alle eventuellen Mängel die alleinige Verantwortung. Eine Reihe von Institutionen und Personen haben das Projekt finanziell gefördert. Dank gebührt in erster Linie der DFB-Kulturstiftung, die Mittel für die Anschubfinanzierung zur Verfügung stellte. Insbesondere ihrem Geschäftsführer Olliver Tietz, der auch für die mehrfachen Verzögerungen große Geduld aufbrachte. Weitere Unterstützung erfuhren wir von der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, von der B’nai B’rith Frankfurt Schönstädt Loge, vom Sportverband Makkabi Deutschland und von der Stiftung 1. FC Köln. Ganz besonderen Dank möchte ich Frau Luise Kropff aussprechen, ohne deren leidenschaftlichen Einsatz in den vergangenen Monaten das Manuskript nicht in Druck gegangen wäre. Köln, im Dezember 2018 Manfred Lämmer

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8 Eine Männerfreundschaft: Emanuel Schaffer und Hennes Weisweiler Nur ein einziges Mal gelang es der israelischen Nationalmannschaft, sich für eine Fußballweltmeisterschaft zu qualifizieren, nämlich 1970 für das Turnier in Mexiko. Und dieser Erfolg ist untrennbar mit einem Namen verbunden: Emanuel „Eddy“ Schaffer. Er war es, der die Nivcheret – so lautet das hebräische Wort für „Auswahl“ – als Trainer nach Mittelamerika führte. Möglich wurde dies nicht zuletzt, weil Schaffer großen Wert auf Professionalität, Disziplin und körperliche Fitness legte – Merkmale, die vielen israelischen Nationalspielern bis zu seinem Amtsantritt nicht unbedingt eigen waren. Kein Porträt über den legendären Coach kommt deshalb ohne jene Anekdote aus, die dieser zeitlebens immer wieder gern und mit einem Lächeln erzählte: Als er seine Tätigkeit als Nationaltrainer begann, scharte er seine Spieler um sich und stellte sich ihnen vor. Dabei kündigte er an: „Ab jetzt haben wir dreimal Training.“ Die Spieler wollten wissen, an welchen Tagen, woraufhin Schaffer entgegnete: „Um sieben Uhr, um elf Uhr und um 15 Uhr.“1 Also dreimal täglich – und nicht dreimal pro Woche.

Ein unruhiges Wanderleben Zu viel Fußball, das gibt es für Emanuel Schaffer sowieso nicht. Schon als Kind entdeckt er diesen Sport für sich, er betreibt ihn mit Leidenschaft, und wenn es keinen Ball gibt, dann spielt er eben „mit Dosen und mit Steinen, vor allem auf dem Weg zur Schule“, wie er selbst sagt.2 Weil die Schuhe das nicht lange aushalten, sehen seine Eltern das Kicken auf der Straße gar nicht gern. Überhaupt haben sie schon genug Sorgen. Wenige Monate nach Eddys Geburt am 11. Februar 1923 sind die Schaffers vom polnischen Drohobycz bei Krakau ins Ruhrgebiet nach Recklinghausen gezogen, ihr Sohn besucht dort eine jüdische Grundschule. Als die Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 an die Macht kommen, ahnen Vater Moses und Mutter Hela schnell, was das vor allem für in Deutschland lebende Juden bedeuten wird. Schon zwei Monate später, am 4. April, ziehen sie daher mit ihren vier Kindern – Eddy hat zwei ältere Schwestern und eine jüngere – ins französische Metz. Dort wird ihnen von den Behörden jedoch ein dauerhafter Aufenthalt verweigert. Die Familie packt deshalb im Jahr darauf erneut ihre Sachen und siedelt ins Saargebiet über, das zu dieser Zeit aufgrund des Versailler Vertrages unter der Verwaltung des Völkerbundes steht, also noch nicht von den Nationalsozialisten kontrolliert wird. Doch das ändert sich 1935, als es

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nach einer Volksabstimmung wieder ans Deutsche Reich „angeschlossen“ wird. Mit Folgen für die Schaffers: Als polnische Staatsbürger werden sie 1937 nach Polen ausgewiesen.3 Erneut lassen sie sich in Drohobycz nieder. Emanuel geht dort aufs Gymnasium und tritt erstmals einem Fußballverein bei, nämlich Betar Drohobycz, einem Klub der zionistischen Jugendbewegung. „Die Familie“, so schreibt Ralf Piorr in einem Beitrag für das österreichische Fußballmagazin Ballesterer, „lebte im Milieu jener Dörfer und Kleinstädte, in denen das jiddische Leben zwischen Rabbiner und Nebbich pulsierte. Einem Milieu, das im Zweiten Weltkrieg vollständig ausgelöscht werden sollte.“4 Vorerst haben Eddy, seine Eltern und seine Geschwister in Galizien jedoch Ruhe vor den Nationalsozialisten, auch als die deutsche Wehrmacht am 1. September 1939 Polen überfällt. Denn Drohobycz liegt in jenem Teil Polens, der infolge des Hitler-Stalin-Paktes von der Roten Armee besetzt wird. Dadurch sind die Schaffers vor der Ghettoisierung und der Kennzeichnung mit dem Gelben Stern geschützt. Doch dabei bleibt es nicht, denn mit dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion geraten auch sie ins Visier der Nationalsozialisten. Im Zuge des deutschen Vormarsches in der Ukraine im Sommer 1941 werden Emanuels Eltern und seine drei Schwestern bei einem Massaker in Stanisławów von der SS ermordet. Dass Emanuel Schaffer den Deutschen entkommt, ist purer Zufall: „Ich war in der Schule, als die Nachricht gekommen ist“, sagt er später. „Die Russen sind alle weggelaufen, also bin ich einfach mitgerannt.“5 Ihm gelingt die Flucht hinter die russischen Linien, sein Gesundheitszustand verschlechtert sich jedoch dramatisch: Monatelang leidet er an Diphterie, Typhus und Mangelkrankheiten. Als er wieder genesen ist, erhält er einen Einberufungsbefehl von der sowjetischen Armee, dem er aber nach einem Hinweis auf seine polnische Staatsangehörigkeit nicht Folge leisten muss. Dafür wird er allerdings in der kasachischen Stadt Alma Ata (heute Almaty) in einem Arbeitslager interniert und muss in einer Schuhfabrik arbeiten. Er kann aber dort wieder Fußball spielen, gegen andere Mannschaften des Arbeitslagers und lokale Teams.6 Später schließt er sich Dynamo Alma Ata und damit einem regulären Verein an. Während der Zeit in Kasachstan erfährt Schaffer auch, dass seine Eltern und seine Geschwister von den Deutschen ermordet worden sind. Als er Mitte der 1990er Jahre im fortgeschrittenen Alter noch einmal nach Galizien zurückkehrt, erinnert dort nichts mehr an das vernichtende Wüten der Nationalsozialisten, dem seine Familie zum Opfer fiel. Schaffer beschließt, dass das nicht so bleiben kann. Im Jahr 2003 wird mit seiner Unterstützung der jüdische Friedhof in Stanisławów restauriert, seitdem gibt es dort auch eine Gedenktafel, die an seine ermordeten Familienmitglieder erinnert.7

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Nach dem Kriegsende wird Schaffer mithilfe des jüdischen Lagerkommandanten vorzeitig aus dem Arbeitslager entlassen und geht zurück nach Polen, ins frühere Reichsgebiet Niederschlesien. Eigentlich will er nach Palästina auswandern, doch zum einen fehlen ihm die erforderlichen Papiere, zum anderen hat die britische Mandatsmacht in Palästina einen Einwanderungsstopp verfügt. Schaffer bleibt schließlich in Polen, wo er dem jüdischen Fußballklub ZKS Bielawa beitritt und auch in der niederschlesischen Auswahlmannschaft spielt.8 Mit 22 Jahren ist es das erste Mal, dass er regelmäßig in einem Team spielt. Doch der Antisemitismus prägt auch in Polen in der Nachkriegszeit das politische und gesellschaftliche Klima. Ein Ausdruck dessen ist, dass die polnische Regierung in den Jahren 1948 und 1949 das jüdische Vereinswesen verbietet, womit zwangsläufig auch die Aktivitäten der jüdischen Fußballklubs ein Ende finden. Schaffers Laufbahn als Fußballer wird dadurch unterbrochen.9 Er geht deshalb nach Breslau und beginnt eine Ausbildung zum Sportlehrer. Als ihn 1950 jedoch die polnische Armee einziehen will, verlässt er das Land und flieht, völlig mittellos, über die Tschechoslowakei, Österreich und Italien in den noch jungen Staat Israel. Als er auch dort zum Wehrdienst einberufen werden soll, entgeht er dieser Verpflichtung mit Glück und Geschick ein drittes Mal in seinem Leben.10 Schaffer will endlich Fußball spielen und schließt sich Hapoel Haifa an, einem Verein der soeben gegründeten Nationalliga. Der Klub verschafft ihm einen Job als Mechaniker im Hafen. „Wenn Training und Spiel war, hatte ich frei“, berichtet Schaffer später.11 Nicht nur im Spiel, sondern auch in jedem Training gibt der Linksaußen alles und verausgabt sich, sein Ehrgeiz ist unbändig. Misslingt ihm etwas oder ist er unzufrieden, dann flucht er ausgiebig. Als er viele Jahre später von einem Journalisten einmal darauf angesprochen wird, antwortet Schaffer: „Ich weiß, ich bin verrückt. Aber du musst wissen, dass, wer auch immer da war und überlebt hat, verrückt zurückgekommen ist. Auch die, die glauben, sie sind normal, sind verrückt. Niemand ist gesund zurückgekehrt.“12 Im für einen Fußballer hohen Alter von 33 Jahren wird er erstmals in die israelische Nationalmannschaft berufen, kommt jedoch nur auf acht Länderspiele. Eine Beinverletzung zwingt ihn dazu, seine Karriere als Spieler zu beenden. Doch mit dem Fußball schließt er nicht ab, ganz im Gegenteil: „Ich habe davon geträumt, Trainer zu werden.“13

Kontinuität am Niederrhein Etwas mehr als drei Jahre vor Emanuel Schaffer, am 5. Dezember 1919, wird Hans „Hennes“ Weisweiler geboren. Der Sohn eines Prokuristen entdeckt ebenfalls bereits in jungen Jahren seine Liebe zum Fußball und beginnt seine Laufbahn mit neun Jahren in seinem rheinländischen Geburtsort Lechenich. Sein Leben

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verläuft ansonsten jedoch gänzlich anders als das von Schaffer. Nach der Mittleren Reife geht der aus wohlhabenden Verhältnissen stammende Weisweiler im nahe gelegenen Köln auf die Höhere Handelsschule und schließt sich in der Domstadt dem im Stadtteil Klettenberg beheimateten Kölner BC 01 an. Im Lokalderby gegen den VfL Köln 1899 spielt er 1935 in der „Gauliga Mittelrhein“ erstmals für die Herrenmannschaft des Klubs – mit gerade einmal 17 Jahren. Der Zehnmarkschein, den er dafür bekommt, ist sein erstes durch Fußball verdientes Geld.14 Nachdem er sein Abitur absolviert hat, beginnt Weisweiler 1938 ein Volontariat bei der „Braunkohlebergbau und Brikettfabrikation“. Der Kriegsbeginn bedeutet für ihn einen Einschnitt. Am 15. Oktober 1940 wird er zur Wehrmacht eingezogen und bei der Flugabwehr eingesetzt, seine Ausbildung bekommt er in Greifswald, stationiert ist er in Quakenbrück. Später versetzt ihn die Wehrmacht nach München, wo er eine Weile für Wacker München und in einer Stadtauswahl Fußball spielt. In Danzig gerät Weisweiler 1945 in Gefangenschaft, kommt jedoch früh frei und kehrt in seinen Heimatort Lechenich zurück. Dort beteiligt er sich an den damals üblichen Tauschgeschäften mit „organisierten“ Waren, wozu Briketts, Fleisch, Kartoffeln und Zuckerrüben gehören, aber auch Luxusalkoholika.15 Nebenbei hilft er dabei, seinen Stammverein VfB Lechenich wiederaufzubauen. Doch es warten noch größere sportliche Aufgaben und Herausforderungen auf ihn. Beim Kölner BC 01 ist Franz Kremer seit Februar 1947 Vorsitzender und überzeugt Weisweiler von einer Rückkehr. Der 27-Jährige ist das, was man im heutigen Taktikdeutsch „polyvalent“ nennen würde – ein vielseitiger und versierter Spieler also. Seine besonderen Stärken hat er im physischen Bereich und im taktischen Verhalten. Weisweiler denkt außerdem bereits als Spieler wie ein Coach, und so ist es nur konsequent, dass er frühzeitig auch das Trainerhandwerk erlernt. Vom 3. November 1947 bis zum 28. Februar 1948 nimmt er an der soeben eröffneten Sporthochschule Köln am ersten Ausbildungslehrgang heutigen Zuschnitts für angehende Übungsleiter teil und schließt ihn als Bester ab. Leiter dieses Lehrgangs ist Bundestrainer Josef „Sepp“ Herberger, der Weisweiler als seinen talentiertesten und gelehrigsten Schüler nach Kräften fördert. Das geht sogar so weit, dass er überlegt, ihn zu seinem Nachfolger als Verantwortlichen für die Nationalmannschaft aufzubauen. Dass es dazu nicht kommt, liegt nicht zuletzt daran, dass der bodenständige Weisweiler nur im Rheinland arbeiten will.16 Wenige Tage bevor Hennes Weisweiler seine Prüfung mit Bravour besteht, fusioniert sein Verein mit dem langjährigen Rivalen SpVgg Sülz 07 zum 1. FC Köln. Franz Kremer sieht in diesem Zusammenschluss seines Dritt- mit dem Zweitligisten die Chance, einen Kölner Großverein nicht nur in der höchsten Spielklasse, der Oberliga, zu etablieren, sondern aus ihm sogar einen Kandidaten für

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den Gewinn der deutschen Meisterschaft zu machen. Auch daher rührt der unbescheidene Name des neuen Klubs, der für sich in Anspruch nimmt, der erste, also führende Fußballverein in der Stadt zu sein. In der Saison 1947/48 qualifiziert er sich zwar für die Aufstiegsspiele zur Oberliga West, scheitert schließlich jedoch an Rhenania Würselen. Im Rückspiel zieht sich Weisweiler einen Schädelbasisbruch zu und muss drei Wochen im Krankenhaus bleiben, eine Zeitung vermeldet fälschlicherweise sogar seinen Tod.17 Doch schon bald ist er wieder aktiv und beim 1. FC Köln ab September 1948 sogar in zweifacher Weise tätig: Er spielt nicht nur in der Mannschaft, sondern trainiert sie auch, wird also zum „Spielertrainer“. Dabei pflegt er – zur damaligen Zeit sehr ungewöhnlich – einen kommunikativen Stil und überzeugt zudem durch innovative Trainings- und Taktikkonzepte. Am Ende der Spielzeit 1948/49 steigt der Klub in die Oberliga West auf. 49 Jahre in Folge wird er danach in der höchsten deutschen Spielklasse bleiben. Den Grundstein dazu hat Hennes Weisweiler in seiner Doppelfunktion gelegt. Doch als der 1. FC Köln in der Saison 1951/52 die Endrunde verfehlt, trennt man sich. Hennes Weisweiler kommt als Spieler auf 62 Oberligaeinsätze für die Domstädter. Auf seine Fähigkeiten angesprochen, sagt er später einmal: „In der Mannschaft spielten mindestens fünf Spieler besser als ich. Aber ich besaß offenbar mehr Durchsetzungsvermögen. Ich machte mir mehr Gedanken um Fußball. Ich entwickelte eigene Ideen.“18 Diese Ideenproduktion setzt er ab der Saison 1952/53 beim Rheydter Spielverein fort, nun nur noch als Trainer. Er schafft mit dem in die Zweitklassigkeit abgestiegenen Klub vom Niederrhein auch den sofortigen Wiederaufstieg in die Oberliga. Doch die Rheydter können sich dort nicht etablieren und müssen gleich wieder den Gang eine Etage tiefer antreten, in die II. Division West. Weisweilers Niedergeschlagenheit über diesen Misserfolg weicht aber bald der Freude über den völlig überraschenden Gewinn der Weltmeisterschaft durch die deutsche Nationalmannschaft beim Turnier in der Schweiz. Für Hennes Weisweiler hat dieser Titel unmittelbare Folgen: Sepp Herberger nutzt den unerwarteten Erfolg und überzeugt den Deutschen Fußball-Bund von der Notwendigkeit eines Assistenztrainerpostens, den er seinem besten Schüler anbietet. Weisweiler sagt begeistert zu, muss aber bald erkennen, dass sein Lehrmeister kaum bereit ist, sich auf seine innovativen Ideen einzulassen. Die Zusammenarbeit verläuft nicht so fruchtbar und reibungslos wie von Weisweiler erwartet. Schon 1955 gibt er deshalb das Amt als rechte Hand von Herberger auf und kehrt als Coach zum 1. FC Köln zurück. Gleichzeitig wird er an der Sporthochschule Köln als Dozent angestellt. Zwei Jahre später wird er, mit erst 38 Jahren, der Nachfolger von Sepp Herberger als Leiter der Trainerausbildung des DFB. Unter

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Hennes Weisweiler leitete von 1957 bis 1970 die Fußballlehrerausbildung an der Deutschen Sporthochschule Köln. Nach ihm ist die „HennesWeisweiler-Akademie“ benannt, an welcher bis heute die Ausbildung zum Fußballlehrer absolviert wird. Foto: Archiv Deutsche Sporthochschule Köln

seiner Führung und Anleitung finden bis 1970 insgesamt 13 Lehrgänge statt, 255 Teilnehmer erlangen den Abschluss. Einer davon ist Emanuel Schaffer.

Die Chemie stimmt Um sich seinen Traum zu erfüllen, Trainer zu werden, kehrt Emanuel Schaffer 1958 nach Deutschland zurück – in das Land derer, die seine gesamte Familie ausgelöscht haben. Doch Berührungsängste hat er nicht. Als zweiter Ausländer nach dem legendären Zlatko „Tschik“ Čajkovski – und als Vorreiter für sechs weitere israelische Spieler, die in den nächsten Jahren folgen sollten – nimmt er an Hennes Weisweilers DFB-Trainerlehrgang an der Sporthochschule Köln teil. Er will beim Besten lernen. Die Chemie zwischen Weisweiler und ihm stimmt auf Anhieb, zumal der Deutsche nicht nur spürt, dass Schaffer genauso fußballverrückt ist wie er selbst, sondern sich auch sehr für den leidvollen Lebensweg seines Schülers aus Israel interessiert. Dieser berichtet ihm von seinem permanenten Zwang zur Flucht, von der täglichen Sorge ums schiere Überleben, von

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Der SV Rhenania 05 Würselen ist die erste Trainerstation von Emanuel Schaffer (re.) im Jahr 1958. Foto: Rhenania Würselen

der Ermordung seiner Eltern und Schwestern, vom allgegenwärtigen Antisemitismus. Und Schaffer erzählt, wie ihm der Fußball beim Überleben und Durchkommen geholfen hat, welchen Trost er manchmal zu spenden vermag, welche Leidenschaft er für ihn bedeutet. Der Israeli ist Weisweiler gegenüber freimütig und öffnet ihm sein Herz. Weisweiler hört genau zu, fragt nach, zeigt Empathie. „Wer ihn einmal eingefangen hat, kann sich seiner uneingeschränkten Aufmerksamkeit sicher sein“, schreibt Hermann Josef Weskamp in einer 2014 erschienenen Biografie über Weisweiler.19 Aus Interesse sei bald Betroffenheit geworden. „Doch damit lässt er es nicht bewenden, das ist nicht seine Art. Nun will er aktiv werden. Er will nach Kräften einen Beitrag leisten, Argwohn und Zweifel zu mindern.“ Weisweiler vermittelt Schaffer den Posten als Trainer des Verbandsligisten Rhenania Würselen. Dort kann Schaffer nicht nur praktische Erfahrungen sammeln, sondern mit seinem Honorar auch den Ausbildungskurs finanzieren. Er bleibt zwar nur eine Saison, bis zum Ende des Lehrgangs, bei dem in der Nähe von Aachen beheimateten Klub, doch der Kontakt zu ihm hält sich lange. Frühere Aktive hätten „noch 20 Jahre danach freundschaftliche Beziehungen zu ihrem ehemaligen, hochgeschätzten Sportlehrer“ unterhalten, heißt es auf der Website der Rhenania.20 Einige Spieler folgen Schaffers Einladung nach Israel und sind begeistert von der Gastfreundschaft, Schaffer selbst besucht den Verein 1978 noch einmal. Als er 1959 nach Israel zurückkehrt, hat Eddy Schaffer nicht nur sein Trainerdiplom erworben, sondern mit seinem Freund Hennes Weisweiler auch den festen Vorsatz gefasst, im jüdischen Staat eine Art Friedensspiel zwischen den von ihnen trainierten Mannschaften stattfinden zu lassen. Diese gemeinsame Idee verlieren die beiden nie aus den Augen. Doch zunächst muss Schaffer sich in Israel als Coach etablieren – und das gelingt ihm: Er trainiert Bnei Yehuda Tel Aviv, die Mannschaft der

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Luftwaffe und danach das Nachwuchsnationalteam, 1967 wird er schließlich zum Teamchef der israelischen Nationalmannschaft ernannt. Schaffer professionalisiert nicht nur die Spieler, sondern baut auch eine Trainerschule nach deutschem Vorbild auf. Mit der Nivcheret nimmt er an den Olympischen Spielen in Mexiko-Stadt teil, wo er die ersten Früchte seiner Arbeit ernten kann: Die Gruppenphase beendet Israel nach zwei Siegen und einer Niederlage auf dem zweiten Platz hinter Ungarn, im Viertelfinale scheidet das Team nur deshalb aus, weil im Spiel gegen Bulgarien nach einem 1:1-Unentschieden nach Verlängerung das Los entscheiden muss – das Elfmeterschießen, um nach einem Remis einen Sieger zu ermitteln, wird erst später eingeführt. In Mexiko-Stadt werden zwei Zettel beschriftet und in einen Sombrero gelegt, der französische Schiedsrichter zieht „Bulgarien“ aus dem Hut.21 Israel ist damit draußen, ansonsten hätte es sogar die Chance auf eine Medaille gehabt. Anschließend gelingt der israelischen Auswahl unter Emanuel Schaffer erstmals die Qualifikation für eine Fußballweltmeisterschaft. In der Ozeaniengruppe – das Land bestreitet wegen der Kriegserklärungen und Boykotte der arabischen Staaten seine Ausscheidungsspiele ständig in anderen Kontinentalverbänden – setzen sich die Israelis gegen Neuseeland und Australien durch. Nach der entscheidenden Partie in Sydney tragen die Spieler ihren Coach auf den Schultern vom Platz, in Israel feiern die Menschen euphorisch auf den Straßen.22 Hennes Weisweiler wechselt derweil nach seinem nur mäßig erfolgreichen Comeback als Trainer des 1. FC Köln im Sommer 1958 zum Oberligisten und Lokalkonkurrenten Viktoria. Dort bleibt er sechs Jahre. Als 1963 die Bundesliga gegründet wird, sind Weisweiler und seine Viktoria allerdings nicht mit von der Partie. Zwei Spieltage vor dem Ende der Spielzeit 1963/64 verlässt Weisweiler schließlich Köln und übernimmt die Mannschaft von Borussia Mönchengladbach, die wie die Viktoria in der Regionalliga West spielt. In der Folgesaison schafft der Verein mit seinem neuen Coach den Aufstieg in die Bundesliga – mit einer Reihe von jungen, aufstrebenden Talenten, darunter dem 19-jährigen Josef „Jupp“ Heynckes und dem ein Jahr älteren Günter Netzer. Weisweiler lässt seinen „Fohlen“ auf dem Rasen und abseits davon viele Freiräume, fördert ihre individuellen Stärken und lässt sie einen unbekümmerten, offensiven, technisch anspruchsvollen Fußball spielen. Nach dem Sprung in die Bundesliga bleibt Weisweiler seinem „Jugendstil“ treu. Sein unerfahrenes und manchmal ungestümes Team zahlt im Oberhaus zwar bisweilen Lehrgeld, etabliert sich aber in der Eliteliga. Vor dem Beginn der Saison 1969/70 werden die Gladbacher sogar zu den Meisterschaftsfavoriten gezählt. „Die Borussen sind ganz einfach dran“, schreibt der Kicker.23 Tatsächlich spielt Weisweilers Mannschaft eine überragende Saison. Am Ende der Hinrunde stehen die Herbstmeisterschaft und komfortable fünf Punkte Vor-

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sprung – für einen Sieg gibt es seinerzeit noch zwei Zähler statt wie heute drei – vor dem FC Bayern München, der wie die Gladbacher 1965 in die Bundesliga aufgestiegen war. Den Kontakt zu seinem Freund Eddy Schaffer hat Hennes Weisweiler dabei stets gehalten, im Juli 1968 ist er sogar nach Israel gereist, um dort einen Lehrgang zu halten. Nun gehen die beiden daran, ihren alten Plan von einem „Friedensspiel“ in Israel in die Tat umzusetzen. In Mönchengladbach kommt es bereits im August 1969 zu einer Begegnung, als Schaffers israelische Nationalmannschaft im Rahmen ihres ersten Trainingslagers in Deutschland zur Vorbereitung auf die Weltmeisterschaft gegen Weisweilers Borussia antritt und auf dem Bökelberg mit 0:3 verliert.24 Das „Rückspiel“ wird auf den 25. Februar 1970 terminiert. Die Nivcheret will das Kräftemessen mit einem starken Gegner nutzen, um zu sehen, wo sie angesichts des nahenden WM-Turniers in Mexiko steht. Als die Partie in Tel Aviv angepfiffen wird, haben sich 22.000 Zuschauer eingefunden, das „Bloomfield-Stadion“ ist damit ausverkauft. Sportliche Geschenke hat der Gast aus Deutschland allerdings nicht mitgebracht, im Gegenteil: Bereits zur Halbzeitpause steht es 3:0 für die glänzend aufgelegten Borussen, am Ende

Trainer Hennes Weisweiler (re.) formte Borussia Mönchengladbach in den frühen 1970er Jahren zu einem europäischen Spitzenclub. Hier zeigt er sich der Presse mit den Neuzugängen der Saison 1972/73. V.l: Bernd Rupp, Adalbert Fuhmann, Shmuel Rosenthal, Hans Klinkhammer, Henning Jensen. Foto: Horstmüller

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heißt es 6:0. Die Zuschauer sind jedoch nicht etwa frustriert über die hohe Niederlage der israelischen Auswahl, sondern vielmehr begeistert von Weisweilers Mannschaft. Es gibt stehend Ovationen. Noch um Mitternacht stehen jugendliche Fußballfans vor dem Hotel, in dem die Borussia untergebracht ist, und feiern das Team mit Sprechchören (zu diesem Spiel siehe ausführlich Kapitel 13). Die Mönchengladbacher bestätigen anschließend in der Bundesliga ihre großartige Form und werden am Ende der Saison erstmals Deutscher Meister. In Israel dagegen wird man bei aller Begeisterung über die phänomenalen Gladbacher mit Blick auf die Weltmeisterschaft allmählich unruhig, zumal die Nivcheret noch mehr Testspiele teilweise deutlich verliert. Emanuel Schaffer gerät unter Druck, lässt sich jedoch nicht beirren. Er hält eisern an jenen Grundlagen fest, die ihn sein Mentor Hennes Weisweiler gelehrt hat: taktische Disziplin, Fitness, Professionalität, Stehvermögen. Zu Recht, wie das Abschneiden beim Turnier in Mexiko zeigt: Gegen den späteren WM-Vierten Uruguay verliert das israelische Team zwar mit 0:2, doch gegen Schweden (1:1) und den späteren Vizeweltmeister Italien (0:0) erkämpft es zwei respektable Unentschieden. Das Tor, das Mordechai Spiegler gegen Schweden erzielt, ist das erste – und bis heute auch das einzige – einer israelischen Nationalelf bei einer Weltmeisterschaft. Mit einem Schmunzeln erzählt Spiegler später: „Es waren 25 Meter, ein starker Rückenwind, und das Tor muss in Richtung Jerusalem gestanden haben.“25 Über seinen Trainer sagt der in Israel bis heute bekannteste Fußballer: „Der wahre Vater unseres damaligen Erfolgs war nicht ich, sondern Emanuel Schaffer.“26 Trotz des vorzeitigen Ausscheidens wird die Nivcheret bei ihrer Rückkehr nach Israel gefeiert wie ein Weltmeister. „Die zwei Punkte und das Tor waren ein Triumph für den jungen Staat, der erst 22 Jahre zuvor gegründet worden war“, resümiert Stefan Mayr.27 „Selbst die Stars von damals […] waren älter als ihr Staat. […] ‚Wir sind jetzt da‘, dachten sich 1970 die Menschen zwischen Mittelmeer und Jordan, die drei Jahre zuvor im Sechstagekrieg noch um das Existenzrecht ihres Staates gekämpft hatten.“ Auch Emanuel Schaffer selbst ist zeitlebens stolz auf das, was er mit seiner Mannschaft in Mexiko erreicht hat: „Bei unserer Rückkehr sind die Spieler wie Helden empfangen worden. Sie haben nicht für Geld, sondern für ihr Land gespielt. Wir haben für drei Millionen Menschen einen ehrlichen Erfolg errungen.“28 Vor Weihnachten 1970 kommt Borussia Mönchengladbach erneut nach Israel, bereist das ganze Land, besucht zahlreiche historische Stätten und trägt insgesamt vier Freundschaftsspiele aus. Emanuel Schaffer tritt 1971 als Trainer der Nationalmannschaft zurück, 1978 übernimmt er das Team noch einmal, diesmal jedoch ohne einen ähnlichen Ertrag wie zuvor. Bis zum Ende seiner Tätigkeit für die Nivcheret im Jahr 1979, die zugleich auch das Ende seiner Karriere als Coach ist, sind

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die Gladbacher und Hennes Weisweiler insgesamt neunmal zu Trainingslagern und Freundschaftsspielen in Israel und erwerben sich dort eine große Popularität.29 Jupp Heynckes erinnert sich gern an diese Dienstreisen: „Das hat in Israel Anklang gefunden, und dadurch sind sicher auch die diplomatischen Beziehungen einfacher geworden, das kann ich mir vorstellen. Der Sport schlägt Brücken, und das hat er da sicher bewerkstelligt. […] Wir sind unglaublich gastfreundlich behandelt worden.“30 Über Schaffer laufen in den 1970er Jahren zudem zahlreiche deutsch-israelische Fußballkontakte, seine Freundschaft mit dem Manager und Vizepräsidenten von Borussia Mönchengladbach, Helmut Grashoff, führt beispielsweise dazu, dass mit dem Libero des israelischen Nationalteams, Shmuel Rosenthal, 1972 auch der erste israelische Spieler in die Bundesliga kommt – natürlich an den Bökelberg. Zudem nutzt Schaffer seine Beziehungen geschäftlich. Er baut eine israelische Vertretung des Sportartikelherstellers Adidas in Israel auf, später unternimmt er das Gleiche auch für den ärgsten Konkurrenten Puma.31 Umgekehrt sorgt Hennes Weisweiler dafür, dass 1971 mit Uwe Klimaschefski erstmals ein deutscher Trainer mit Hapoel Haifa einen israelischen Klub übernimmt.

Eine fruchtbare Freundschaft Weisweiler und Schaffer sind Pioniere in den deutsch-israelischen Fußballbeziehungen, die sie gemeinsam viele Jahre lang entscheidend prägen und deren Ursprung in eine Zeit fällt, als noch keine offiziellen diplomatischen Beziehungen zwischen dem jüdischen Staat und der Bundesrepublik existieren. Auch als Emanuel Schaffer seine Tätigkeit als Trainer aufgibt und sich fortan nur noch um seine Firma kümmert, bleibt der Kontakt zu Weisweiler erhalten, die Gladbacher sind weiterhin regelmäßig in Israel zu Gast. Mit seinen „Fohlen“ verteidigt Hennes Weisweiler 1971 als erster Bundesligist den Meistertitel, vier Jahre später geht die Meisterschale erneut an den Bökelberg. 1973 gewinnt der Verein außerdem den DFB-Pokal, 1975 wird er UEFA-Cup-Sieger. Auf dem sportlichen Höhepunkt verkündet Weisweiler seinen Abschied aus Mönchengladbach und wechselt zum FC Barcelona. „Ich habe meinen Stil in einer Mannschaft geprägt. Nun will ich versuchen, ihn in Spanien durchzusetzen“, begründet er seinen Schritt.32 Das gelingt jedoch nicht, vor allem mit Superstar Johan Cruyff gerät der Coach immer wieder aneinander. Nach nur einer Spielzeit, zur Saison 1976/77, kehrt Weisweiler in die Bundesliga zurück und übernimmt zum dritten Mal den Trainerposten beim 1. FC Köln – nun mit großem Erfolg: 1977 wird der Verein DFB-Pokalsieger, 1978 gewinnt er sogar das Double aus Meisterschaft und Pokal. Weisweilers letzte Trainerstationen liegen im Ausland: Von 1980 bis 1982 coacht er Cosmos New York, 1982/83 den Grasshopper Klub Zürich. Mit beiden

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Eine besondere Beziehung Verbindungen zwischen Deutschland und Israel im Fußball waren lange Zeit ein sehr zartes Pflänzchen, das nur im Verborgenen blühte. Der Sporthistoriker Manfred Lämmer, der selbst seit den 1960er Jahren Kontakte nach Israel pflegt, beschreibt den Weg von ersten, vorsichtigen Freundschaftsspielen bis zur heutigen Selbstverständlichkeit.

ISBN 978-3-7307-0420-2 VERLAG DIE WERKSTATT


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