Naus zum Glubb – Leseprobe

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ROLAND WINTERSTEIN

Naus zum

VERLAG DIE WERKSTATT

Mein Leben mit einem Traditionsverein


ROLAND WINTERSTEIN

Naus zum

Mein Leben mit einem Traditionsverein

VERLAG DIE WERKSTATT


Inhalt

Teil 1: Anschwitzen in den Siebzigern und Achtzigern . . . . . . 9 Teil 2: Hängepartien bis in die Nullerjahre . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 Teil 3: Traumpass nach Sandhausen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 Teil 4: Ăœberlaufen in Liga eins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 Teil 5: Nachspielzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181

Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 Der Autor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188



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Du kannst im Leben vieles wechseln. Deine Unterwäsche (sinnvoll), deine Partnerin oder deinen Partner (mĂśglicherweise sinnvoll), deine Autoreifen (ohne Profil relativ sinnvoll) und vieles andere mehr, aber deinen FuĂ&#x;ballverein, dessen Blut dein Herz durch deine Adern pumpt, wirst du niemals wechseln!


Teil 1

Anschwitzen in den Siebzigern und Achtzigern

„Mein Zuhause ist kein Ort, mein Zuhause ist der Club.“ (Gegengerade, Max Morlock Stadion, Kommentar eines Sitznachbarn zwei Reihen hinter mir beim Stand von 1:3) „Was mich fertigmacht, ist nicht dieser Spieltag, sondern die Tage dazwischen.“ (Aus dem Nebenblock)


„Naus zum Club“ (Hochdeutsch: Wir besuchen ein Heimspiel des 1. FC Nürnberg)

Regen am Wochenende war gut. Sonnenschein dagegen die reinste Katastrophe. Klingt seltsam? Lassen Sie es mich erklären: Bei schöner Witterung stand ein gemeinsamer Familienausflug auf der Tagesordnung – Pilze suchen im Nürnberger Reichswald nahe Altdorf. Auch an sonnenverwöhnten Tagen im Januar warteten endlose Spaziergänge, nur eben ohne Schwammerl zu entdecken, auf mich fränkischen Dreikäsehoch. Prasselte jedoch bindfadenstarker Regen aufs leicht verbeulte Heck unseres beigefarbenen Opel Kadetts, blieb der Wagen vorm Reihenhaus am Nürnberger Stadtrand stehen, und ich bekam frei. Wenn meine Mutter kopfschüttelnd, aber lächelnd nickte und der Vater das linke Auge verschmitzt zusammenkniff, hieß das für mich: Naus zum Club! Ein Club kann für den Normalsterblichen vieles bedeuten. Ging ich etwa im Südstadtbad neben der Gustav-Adolf-Gedächtniskirche als ambitionierter Pennäler im Schwimmclub kraulen oder eröffnete ich ganz intellektuell Spanisch im Schachclub SchwarzWeiß Nürnberg Süd von 1911? Nein! Für mich gab und gibt es bis heute nur einen Club: den 1. FC Nürnberg. Und nicht nur für mich. Auch die besten Kumpels tanzten an diesem ungemütlichen Samstag durch die Regentropfen zum vereinbarten Treffpunkt an der Münchner Straße. Sie waren wie ich den familiären Klauen eines geselligen Beisammenseins entronnen – statt am Schmausenbuck eingesperrte Tiere angucken oder alternativ in der Breiten Gasse Schuhe kaufen, ging’s also ins Städtische Stadion. Von links aus der Rankestraße mit den höheren Hausnummern (die etwas edlere Gegend für die Großkopferten) trottete Robert, wie immer den neuesten Fanschal um den Hals, einen anderen um die Hüfte und den dritten nicht minder exklusiven ums Handgelenk gebunden, heran. Ich war immer ein wenig neidisch auf ihn, da mein „Clubschmuck“ von Oma Berta in mühevoller Handarbeit gestrickt war. Großmutter war ziemlich dem Grauen Star zum Opfer gefallen. Dementsprechend niederschmetternd sah das Endprodukt auch aus. Und Großmutter ließ es sich nicht nehmen, den Schal auch noch zu 10


bügeln. Dabei ermutigte sie mich stets mit den Worten: Der Club und du haben das Recht zum Funkeln. Mit der Tram kam Matthias (Matschi) und stieg am Platz der Opfer des Faschismus aus (welch eindrucksvoller Name für eine schnöde Haltestelle im Glasscherbenviertel) und brüllte ein im Moment noch völlig sinnloses „Hier regiert der FCN!“ zur Begrüßung zu uns rüber. Und wir antworteten mindestens genauso hirnverbrannt: „Keiner wird es wagen, unseren Club zu schlagen!“ Fast immer etwas zu spät radelte Bibbers (kaum einer kannte seinen richtigen Vornamen) über den Hasenbuck. Er transportierte die Kutten auf seinem Gepäckträger. Seine Klingel, auf der mit Edding „fCn“ gekritzelt stand, schrillte. Warum Bibbers das f und das n klein und das C groß geschrieben hatte, hat er uns trotz Nachfrage nie erklärt. Heute arbeitet er in der Nürnberger Kunsthalle, also weilte wohl bereits in frühen Jahren ein intellektueller Clubberer in unseren aus der Arbeiterklasse rekrutierten Reihen. Wir sprangen wie immer fluchend zur Seite. Während er sein klappriges Vehikel an den Fahrradständern des Neuen Gymnasiums ankettete, wedelte ich generös mit den Eintrittstickets. Denn im Nebenhaus wohnte ein Ordner vom Verein, der mich unregelmäßig mit Freikarten versorgte, weil er jemanden kannte, der wiederum jemanden vom Club kannte und der war mit jemandem bekannt, der da irgendwie rankam. Ob das alles legal ablief, war uns Pimpfen am Ende der fußballbegeisterten Nahrungskette relativ egal. Lässiges Abklatschen existierte damals noch nicht als cooles Begrüßungsritual, also gaben wir uns brav und gut erzogen die Hände. Danach warfen wir die Kutten über und fühlten uns gleich weniger brav und noch weniger gut erzogen. Ab jetzt waren wir die „bad boys “ von ganz Nürnberg, ach was, von ganz Nordbayern – jedenfalls bildeten wir uns das ein. Vier nordbayerische Rotzbengel trotteten also singend und rumalbernd die strichgerade Schultheißallee Richtung Dutzendteich entlang. Dabei brüllten sie voller Vorfreude auf das Kommende: „Der hat schon Gelb!“ Denn eines war ja klar wie fränkische Kloßbrühe, heute kommt nur eines auf den Tisch respektive auf die Anzeigetafel: ein Heimsieg! Kleine, aber wichtige Randnotiz: Es hat geklappt – und das mit einem eigentlich „FCN-fremden“ Spektakel, 5:1 hieß es am Ende. Der Club und wir funkelten an diesem Tag um die Wette, während Oma Berta zufrieden zuhause saß, über ihr Bügeleisen strich und wissend lächelte. 11


Welche Farbe hat die Liebe? Eine Frage, die sehr leicht zu beantworten ist – auch ohne Telefonjoker. Natürlich Rot-Schwarz, die Vereinsfarben meines vor über 100 Jahren gegründeten Traditionsvereins aus der Noris. Egal wo ich mich auch befinde, ich muss irgendwie in Erfahrung bringen, wie der Club gespielt hat. Ich kauerte bereits in einem Internetcafé mit morbidem Charme in Downtown New York und las folgende Schlagzeile: „Verdiente Klatsche für den Club“. Ein anderes Mal kämpfte ich mit zu wenigen Balken auf dem Display des Handys in Bad Gastein. Doch ein Endergebnis musste her. Also schritt ich wie ein engagierter Vorwerk-Vertreter von Haustür zu Haustür. Ein Fan von Sturm Graz hatte Einsicht und gab mir den Tipp, ich sollte mein Handy ans Ortschild halten. Dort sei der Empfang angeblich am besten. Gesagt, getan. Da hing ich nun wie ein ungelenker Turnschüler an der Stange und erfuhr: „Club erleidet Debakel“. Und Debakel ist ein wirklich lausiges Wort. Das genaue Resultat wollte ich dann gar nicht mehr wissen, und das Mobilgerät landete in einer düsteren Schlucht des dortigen Nationalparks. Denn meine Sonne schien an den Tagen des Sieges oder wichtigen Unentschieden immer ein wenig heller. Bei den (leider in der Mehrzahl) erlittenen Niederlagen saß der schmerzende Stachel im Herzen so schrecklich tief – egal in welcher Liga es auch geschah oder welcher Gegner uns mal wieder gnadenlos auskonterte. Die Trauer floss wie aus einer Quelle in Strömen über die geschundene Clubseele. Woher rührte diese Leidenschaft? Wie hatte ich mich so in den Club verliebt? Diese Frage stellt man sich erst viel, viel später – wenn man seinen Charakter gefestigt hat oder zumindest glaubt, reifer zu sein. Als kleiner Junge zählen nur Trikots, Tore und Siege! Vergessen wir in meinem Fall die oftmals erzählte Mär mit dem Vater und der Dauerkarte, die an den Stammhalter vererbt wird. Bei uns wurde lieber in einen neuen Rasenmäher für das spärliche Grün vor dem Haus investiert. Aus dem Franken-Center gab es ein Bonanzarad anstelle einer Jahreskarte – zu allem Überfluss auch noch in strahlendem Hellblau. Löwenfarbe! Pfff. 12


Was mich bis heute beinahe zärtlich an diesen Verein bindet, ist wohl jene Normalität, diese tief verankerte „clubberische“ Hingabe, so ein wohlig warmes Gefühl, das über der ganzen Stadt und der Region schwebt und immer irgendwie da ist, sich nie endgültig verflüchtigt. Auch nicht bei Niederlagen in Serie oder dem obligatorischen Chaos in der kaufmännischen Bilanz. Man atmet diese nicht zu greifenden rot-schwarzen Schwaden ein und wird ein kleiner Teil vom großen Ganzen dieser enorm großen und doch so unterschiedlichen Clubfamilie, die bei genauerer Betrachtung überhaupt keine Familie ist, sondern ein wild zusammengewürfelter Haufen leidenschaftlicher Menschen, eine wuchtige Masse, eine Bastion an Zusammenhalt, auch mal nur ein loser Zusammenschluss stimmgewaltiger Streitkräfte, dann plötzlich ein immens fester rot-schwarzer Bund fürs Leben und letztendlich doch wieder so was wie eine schrecklich schöne Familie. Und wollte ich diese verrückte Gemeinschaft ganz pathetisch ausdrücken, klänge das wohl so: die Clubberer – ein unfassbares Wunder!

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Public Viewing kurz vor Weihnachten Leichter Schneefall und tiefe Minusgrade streiften Nürnberg einen eisigen Mantel über. Die Gefahr einer akuten Lungenentzündung ließ die verbliebenen Heimspiele vor der Winterpause immer zu einem Balanceakt zwischen Vernunft und Hingabe werden. Da aber der Franke allgemein für seinen Erfindergeist gerühmt wird, trafen sich die besonders Verfrorenen immer im Atrium-Kino in der Wölckernstraße. Ähnlich wie der Club hat dieses Lichtspielhaus bereits viele Höhenflüge erlebt, aber zwischendurch auch kräftige Nackenschläge hinnehmen müssen. Trotzig öffnet es beharrlich seine Pforten. Hier stiefelte ich bereits als Dreikäsehoch hinein und stand beim Horrorschinken Grizzly Höllenängste aus. Etwas größer marschierte ich mit Steiner – Das eiserne Kreuz trotz Minderjährigkeit atemlos in einen sinnlosen Krieg. Und hier drinnen habe ich mein erstes Clubspiel in Dolby Stereo genießen dürfen, denn Kurt, der Inhaber, seines Zeichens leidenschaftlicher Kinovorführer und glühender Clubberer, stellte seine Beschallung am Spieltag immer auf Radioübertragung. Dann saßen wir alle im Zuschauerraum bei Konfekteis mit Cola. Wir lauschten andächtig Günther Kochs Monologen, wobei Kurt dessen „Gewaffel“ überhaupt nicht ausstehen konnte, aber da musste er eben durch. Entweder Günther oder gar nichts. Wir starrten gebannt auf die dunklen Vorhänge, welche die leere Leinwand verhüllten. Erst heute kapiere ich, welch großartige Spiele wir dort eigentlich sahen. Vor unserem geistigen Auge hatten wir alles im Blick, und jeder heutige Videobeweis wäre gegen uns nur eine drittklassige Technik gewesen. Es war eigentlich wie draußen im Stadion, nur wärmer, falls Kurt nicht gerade die Heizung auf 1 drehte, weil die Ganoven von den städtischen Energiewerken diesen Winter seiner Meinung nach viel zu saftige Preise verlangten. Eigentlich fehlte nur das übliche Open-air-Zubehör wie saftig grüner Rasen und leibhaftige Mannschaften. Aber sonst lief bei uns im Saal 1 – eigentlich gab es nur diesen einen Saal, aber er hieß nun mal Saal 1 – alles so ab wie bei einem Spiel an einem frühlingshaften Märztag. Unten saßen 102


wir, oben auf der Loge die Meckerer oder die, die doch lieber rumknutschten. Kurt servierte bei jedem Clubtor einen schrecklichen Campari Orange frei Haus. Endlich mal gut, dass die Jungs so selten trafen. Jedenfalls liebte ich dieses nach oben offene Schauspiel in geschlossenen Räumen. Günther K. erzählte gerade, leicht angeekelt ob solcher Dummheit, dass die Unsrigen falsche Stollen aufgezogen hatten und permanent über die dünne Schneeschicht schlitterten. Flatterbälle, Pässe ins Aus – halbleere Ränge. Günthers Beschreibungen erinnerten an eine Polardokumentation in Sibirien. Ich sank bibbernd in meinen gepolsterten Stuhl und litt mit. Ich sprang hoch, wenn Günthers Stimme vibrierte und ein Tor antizipierte, das dann doch nicht fiel, und verkroch mich wieder, wenn er das Totenglöckchen über die heutige Mannschaftleistung läutete. Über mir und allen anderen schwebte sozusagen der heilige Geist, nur eben nicht wortlos, sondern mit der rauchigen Stimme von Herrn Koch. Das Gute an Günthers Moderationen war seine Angewohnheit, es immer ein klein wenig dramatischer wirken zu lassen, als es wirklich war. Für diese Gabe verehrte ich ihn sehr. Ich stopfte das Konfekt hektisch in mich rein und versuchte Eisstückchen um Eisstückchen dem Tempo seiner Moderation zu folgen. Manchmal hatte Günther wohl auch einfach nur schlechte Laune, die er dann auf das Spielgeschehen übertrug. Dann verfluchte er alles und jeden, der hinter der Murmel her war. Einmal war das Spiel so öde, und Günther schwieg aus Protest, da haben wir uns parallel Eis am Stiel 3 – Liebeleien ohne Ton angesehen. Das Stöhnen aus den Logen reichte als Begleitmusik. Sibylle Rauch wäre eine Wucht als Mittelstürmer in unserem Team, meinte Kurt grinsend und trank den Campari hektisch schnaufend aus der Flasche, obwohl gerade überhaupt kein Tor fiel. Tolle Ballbehandlung. Besser als beim Dreßel allemal, seufzte er beim Anblick der kugeligen Oberweite von Frau Rauch. An diesem Nachmittag verließen wir später als gewohnt das Atrium, denn wir waren mit Eis am Stiel in die Verlängerung gegangen. Es hatte heftig geschneit, und als wir mit roten Wangen nach draußen traten, erwartete uns eine stille, beinahe prachtvolle Südstadt. Alles eingezuckert. Und die Südstadt war selten still, geschweige denn prachtvoll. Eher so ein tristes Betonoval wie unser Stadion. Kantige 103


Straßenschluchten garniert mit schmucklosen Siebzigerjahrebauten bis hin zum Frankenschnellweg. Ein Glasscherbenviertel, eingebettet zwischen Quelle-Filiale und Kaufhalle. Sogar die vorlaute Schweiggerstraße mit ihren Kettengeschäften lag friedlich im Winterschlaf. Ich steckte meine Hände in die Hosentaschen, was ich immer tat, wenn mich meine Heimatstadt berührte. Da standen wir Jungs nun zwischen den tristen Blöcken unserer Kindheit, und die Schneeflocken ließen unsere Haarschöpfe heller aussehen, als sie waren. Die Kumpels zogen ihre Kamele aus den Packungen und rauchten diese. Der Club hatte ein Unentschieden gegen einen Meisterschaftskandidaten erkämpft. Wir schwiegen wie absolute Giganten, die alles besaßen, was das Leben so hergab. Wir trauten uns kaum, die vom Schnee weiß angestrichenen Pfade zu betreten. „Hamm a scho gut erwischt mit Nürnberch“, raunte einer von uns. Wir anderen zogen hastig an den Glimmstängeln, um wenigstens ein bisschen cool zu wirken, was wir in dem Moment so überhaupt nicht mehr waren. Denn unsere Heimatstadt hatte uns mal wieder voll auf dem falschen, unserem melancholischen Fuße erwischt. Doch dann erschien Kurt von hinten, verriegelte die Gitter des Atriums und pinkelte pfeifend das FCN-Logo in den Schnee. Es war das Kommando, wieder rabiat und halbstark zu werden. Wir feierten den Punkt, uns, eigentlich unsere ganze Stadt mit einer wilden Schneeballschlacht. Wer trifft ein Eichhörnchen im Schnee am Hummelsteiner Weg? Zur Feier des Tages lud uns Kinomogul Kurt in den Wiener Wald ein, der ein paar Meter Richtung Aufseßplatz lag. Wir notierten in diesem Hähnchenlokal immer die aktuellen Spielergebnisse zum Leidwesen des Wirts, eines „Bayreuthfans aus Kornburg“, auf den Speisekarten und malten uns eine Blitztabelle. Der Club stand dann immer im Mittelfeld der kulinarischen Angebote bei „Halbes Hendl ohne Pommes, aber mit Salat“. Meist verpassten wir die Straßenbahn und marschierten zu Fuß an der Gustav-Adolf-Gedächtniskirche vorbei Richtung Nibelungenviertel. Da stapften wir nun im Schnee, wunderten uns, dass die eigenen Schritte so lautlos daherkamen und nur ab und zu lustig knirschten. Einer kickte eine zerbeulte Fanta-Dose rüber, und wir spielten noch mal den Punktgewinn nach. Dabei schlitterten wir mindestens so unbeholfen herum wie unsere Vorbilder vorhin im Stadion. Später begann einer von uns „Oh, wie ist das schön“ anzustimmen. 104


Wir schlenderten in die Wodanstraße hinein. Es war nicht mehr weit bis nach Hause. Weihnachten konnte kommen, obwohl uns der Club bereits reich beschenkt hatte. Ach ja, Kurt feierte an jenem Heiligabend bei mir zuhause. Ich glaube, er hatte niemanden außer sein Kino, und deshalb luden ihn meine Eltern ein. Er kam aus der Landgrabenstraße rübergefahren und schenkte ihnen eine Kiste Campari und mir einen kleinen Clubwimpel – den ich heute noch besitze. Leider ist ein Druckfehler darauf: zehn Meisterschalen anstelle der tatsächlichen neun. Egal – er passt auch heute noch prima an meinen Vorderspiegel, und dort wird er auch hängen bleiben. Ehrensache, versteht sich. Und die zehnte Salatschüssel wird auch mal fällig. Irgendwann. Darauf einen Campari. Prost, Kurti!

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Urlaub im Trainingslager Unglücklicherweise gab es nicht nur diese überflüssige Spielunterbrechung im Winter. Nein, alljährlich wurde bei uns zuhause die lange Sommerpause des Ligabetriebs mit einer Ferienreise verplant. Stets ging es an die Nordsee nahe Bremerhaven. Wegen der Schiffe und der guten Luft. Mir war das damals schon nicht ganz geheuer, ein Meer vor der Tür zu haben, das mal kommt und wieder abhaut. Für einen mittelgroßen nordbayerischen Jungen schlimmer als der windigste Fußballlegionär. Man kann nie frank und frei in den Fluten untergehen, sondern wandert schlecht gelaunt durchs seichte Watt. Mein Argwohn besaß aber noch einen ganz anderen Hintergrund. Der Club flog nie an die Nordsee ins Trainingslager, sondern reiste meist nach Spanien oder Österreich. Diese Urlaubsziele steuerten wir jedoch nie an. Also Augen auf bei der Elternwahl, liebe heranwachsende Clubfans! Mittlerweile war ich jedoch groß genug, um alleine unterwegs sein zu dürfen. Also buchte ich mit meinen Freunden … einmal Ösiland und zurück! Denn dort schlug der Kader für die kommende Saison seine Zelte auf. Wir waren mächtig aufgeregt, denn wir fanden es schon immer spannend, von denen zu hören, die ihrem Club jahrzehntelang folgten und ihren Sommerurlaub stets in der Pension nebenan verbrachten. Es hatte schon immer einen gewissen Flair, Bilder davon in der Zeitung zu sehen, wenn dort unten irgendwo zwischen Alm und Öhi ein Testspiel gegen einen Dorfclub 07 veranstaltet wurde – meist herrschten 35 Grad aufwärts, und dann stand da wirklich ein treues Häuflein Fans, das Fahnen schwenkte und Konfetti warf. Und jetzt war ich einer von denen. Mit Clubfahne promenierte ich durch Weyregg am Attersee. Die einheimischen Kühe und das Landvolk betrachteten distanziert, aber interessiert, wie wir unsere Fahnen schwenkten und ihren Schützenumzug scheinbar wohl um einige Monate vorverlegten. Erst dachten die Alpländer, wir seien die Profifußballer. Angesichts unserer Taillen und unseres Alkoholgenusses wurde denen aber bald klar, dass wir keine Sportler sein konnten. Was wir hier wollten, verstanden sie nicht vollumfänglich. Denn als sie fragten, ob unser Verein hier ein Spiel hätte, munkelten wir nur ein bedeutungsschwangeres Wort: Trainings106


lager. Eine genauere Erläuterung, weil fragende Blicke uns einkreisten, lautete dann so: Wir schauen beim Trainingslager zu. Das hörte sich für die Dörfler wohl so an wie: Wir schauen den Kühe beim Grasfressen zu. Egal. Immerhin kurbelten wir hier denen ihren Tourismus an, der damals noch äußerst bescheiden daherkam. Die Zimmer waren karg, tote Fliegen in grobmaschigen Gardinen und über dem Bett ein Bild mit Wald, Berg und Hirsch. Meist röhrend. Wenn Sie sich jetzt fragen, was man denn so in einem Trainingsurlaub tut, antworte ich gerne. Trainingseinheit in der Früh gucken, Trainingseinheit nachmittags gucken. Dazwischen schlossen wir zarte Freundschaften, meist mit den neuen, ausländischen Spielern, die kein Wort von dem verstanden, was wir ihnen ins Ohr säuselten. Und pünktlich jeden Tag war Jausenzeit mit Käseteller – mit und ohne Schinken – und viel Almdudler. Da ich nach dem Grundsatz erzogen wurde, dass der Urlaub auch kulturell genutzt werden muss, da er kostspielig ist und nicht nur reines Vergnügen, wanderte ich einige Almen ab. Einer der Bergbauern saß vor seiner Herde im Gras und blickte gen Tal. Dass dort unten gerade meine Clubprofis trainierten, war ihm egal. Ich nahm neben ihm Platz. Blickte ab und zu mit meinem Fernglas ebenfalls gen Tal, was ihn verwunderte, denn die meisten blicken ja zu den Bergwipfeln hoch. Ein legendärer Dialog, Monolog – wie soll ich es nennen? –, karges Gespräch kam zustande, das sich so anhörte: ER: Machst du Urlaub hier? ICH: Nein! Er blickt verwundert. ER: Was sonst? Ich mit stolzgeschwellter Brust. ICH: Ich bin Clubfan. Er legt die bereits faltige Stirn noch mehr in Falten. ER: Clubfan? Ich sanftmütig gegenüber dem älteren Herrn. ICH: Fußballanhänger! ER: Von welchem Club? Ich deutlich werdender. ICH: Na, vom Club! Er immer noch ratlos. 107


ER: Club? Welcher Club denn? Ich leicht angesäuert. ICH: Gibt doch nur einen! Er jetzt komplett verwirrt. ER: Gibt doch nur einen Club? Ich nicke wohlwollender und mit neuer, stolzgeschwellter Brust. ICH: Ja, es gibt nur einen Club. Er nickt auch, obwohl er sichtlich nichts verstanden hat. Er nimmt einen Grashalm und kaut daran. Bietet mir auch einen an. Glücklicherweise nicht seinen. Wir kauen schweigend. Unten im Tal läuft ein Testspiel. Schemenhaft zu erkennen. Ab und an hallt ein Pfiff zu uns hoch. Ich deute aufgeregt nach unten. ICH: Bestimmt ein Clubtor. Der alte Mann sagt nichts mehr und starrt regungslos. Womöglich hat er Angst, ich sei ein Irrer, der ihn gleich meuchelt, dann seine Kühe melkt, eventuell auch schlachtet und mit allem verschwindet. Nach sehr langer Zeit. ER: Und wie geht es so mit deinem „Gibt ja nur einen Club“? Was für eine Frage. Aber da ich hier oben nichts mehr zu verlieren habe, versuche ich es mit fränkischer Poesie. ICH: Es ist so wie mit einer Diät. Anfangs tut man sich schwer, aber in der Mitte fühlt es sich plötzlich gut an, und hinten raus macht es richtig viel Spaß. Er blickt mich nun doch nach meiner Einschätzung verständnisvoller an. ER: Das gewisse Etwas fehlt also nicht. ICH: Nein, die Mischung aus Ehrlichkeit und Integrität stimmt. Er lächelt plötzlich und spuckt dabei sein zerkautes Grünfutter aus. Dann sind wir beide wieder sehr lange still. Er geht wortlos, hebt aber grüßend seine Hand. Auch ich mache mich auf den Weg ins Tal. Meine Freunde kommen mir keuchend entgegen. Sie sind am Boden zerstört. Aber nicht wegen des steilen Anstiegs. Gerade hatte unser Club sein Testspiel gegen einen österreichischen Viertligisten – oder war es sogar ein Fünftligist? – verloren. Das 108


machte mir aber gar nichts. Denn das Schöne an einer Urlaubsreise ist ja, dass man gewisse Mängel reklamieren kann. Und ich schaffte es in der Tat, die Kosten für unsere Pension zu drücken, denn dass der ruhmreiche Club ein Freundschaftsspiel im hintersten Winkel zwischen den Bergen verliert, geht natürlich auf keine Kuhhaut. Eine Käseplatte gab es von der Pensionswirtin als Entschädigung obendrauf. Ich kann Ferien mit dem Herzensverein nur empfehlen. Sozusagen Club inside. Um es zu präzisieren: Diese Tage fühlten sich beinahe so an wie In Bed with Madonna! Der 1. FCN im Trainingslager, quasi all inclusive, kuscheliger wird’s nicht mehr werden, liebe Clubberer.

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„Mein Zuhause ist kein Ort, mein Zuhause ist der Club.“ Gegengerade, Max-Morlock-Stadion, Kommentar eines Sitznachbarn beim Stand von 1:3

ROland WinteRstein trägt ein bittersüßes Los: Er ist seit frühester Kindheit Fan des 1. FC Nürnberg. Obwohl er heute in Hamburg und auf Mallorca zuhause ist, fiebert er immer noch mit dem Traditionsverein. Hier erzählt er aus seinem bewegten Leben zwischen Auf- und Abstiegen – warmherzig, voller Witz und mit einer gehörigen Portion Selbstironie.

ISBN 978-3-7307-0437-0 VERLAG DIE WERKSTATT


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