Pizarro. Die Biografie – Leseprobe

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VERLAG DIE WERKSTATT

PIZARRO Reimar Paul

Die Biografie


FĂźr Nala


Reimar Paul

PIZARRO Die Biografie

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Auch als E-Book erhältlich: ISBN 978-3-7307-0454-7 Copyright © 2019 Verlag Die Werkstatt GmbH Lotzestraße 22a, D-37083 Göttingen www.werkstatt-verlag.de Alle Rechte vorbehalten Coverabbildung: imago Satz und Gestaltung: Die Werkstatt Medien-Produktion GmbH Druck und Bindung: Westermann Druck Zwickau ISBN 978-3-7307-0451-6


Inhaltsverzeichnis

Intro . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Die besten Zitate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 Die wichtigsten Auszeichnungen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 Die schönsten Rekorde .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 EXTRA

Claudio Pizarro – die unendliche Geschichte. Ein Märchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 K APITEL 1

Fünfmal ist Bremer Recht: Der Greis schließt sich . . . . . . . . . . . . . . . 21 K APITEL 2

Die letzte Saison – oder doch nicht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 EXTRA

Felíz Cumpleaños, „Pizza“: Glückwünsche zum 40. Geburtstag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 K APITEL 3

Mit zwei Jahren schon am Ball: Kindheit und Jugend . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 EXTRA

Diplomat mit Killerinstinkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 EXTRA

Callao – Garnisonsstadt mit Hochsicherheitsknast . . . . . . . . . . . . . . 58 K APITEL 4

Deportivo und Alianza – Die ersten Verträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60


K APITEL 5

Ein Loch im Zaun und reichlich Pisco: Wie Pizarro nach Deutschland kam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 K APITEL 6

Wechselspiele: Bremen, München ... und zwischendurch auch mal woanders . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 Bremen 1 .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 München 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 EXTRA

Claudio Pizarro und die Nord-Süd-Duelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84

London . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 EXTRA

„Wir sind Meister und ham’ den Pokal“: Werders Aufschwung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88

Bremen 2 und 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 München 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 Bremen 4 .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 Köln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 EXTRA

„Dann kam er, und es ging raus aus dem Schlamassel“ – Interview mit Jürgen Born . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 K APITEL 7

„Anden-Bomber“ und „schwangere Schildkröte“: Pizarro und die peruanische Nationalmannschaft . . . . . . . . . . . . . . 120 K APITEL 8

Charmant weggelächelt: Pizarros Eskapaden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 K APITEL 9

Der Fall Faré: Carlos Delgado, Pizarro und zwei Koffer mit Dokumenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 K APITEL 10

„Schwarzer Pfeil“ und „El Kaiser“: Rennpferde und andere Hobbys .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146


K APITEL 11

„Lassen Sie sich typisieren!“ – Pizarros soziales Engagement .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 K APITEL 12

Fußballgott und Frohnatur: Warum Pizarro so populär ist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 EXTRA

„Der erreicht nicht nur junge Mädchen, der erreicht auch alte Säcke“ – Interview mit Henning Scherf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 K APITEL 13

Er will doch nur spielen: Ein Blick in die Zukunft .. . . . . . . . . . . . . . 179 EXTRA

Wie die Karriere von Claudio Pizarro vielleicht weitergeht . . . . . . . 182

Statistik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187


Dank an Jürgen Born, Doris Cáceres, Marc Hagedorn, Felix Haselsteiner, Jürgen Holtermann, Günter Klein, Mariano Olivera, Henning Scherf, Rolf Schröder, Carlos Suárez, Kata & Veit. Und an Hardy Grüne und Christoph Schottes vom Verlag Die Werkstatt fürs Lektorieren und die gute Begleitung.


Intro

Schlawiner und Schlitzohr, Frohnatur und Fußballgott, Latin Lover und lebende Legende: Die Attribute, mit denen Fans und Mitspieler, Vereinsobere und Medien Claudio Pizarro schon bedacht haben, sind fast so zahlreich wie seine Tore und Tricks auf dem Rasen. „Pizza“, wie er seit seiner ersten Saison bei Werder Bremen genannt wird, ist zweifellos einer der bekanntesten und beliebtesten Ausländer, die je in der Bundesliga gekickt haben. Der bekannteste und beliebteste Peruaner in Deutschland ist er ohnehin. Von Pizarros längst nicht auf die Bundesrepublik begrenzter Popularität zeugen die rund 10,3 Millionen Einträge bei Google – es sind mehr als bei Franz Beckenbauer und 13-mal so viele wie bei Rudi Völler. Fast 800.000 Leute folgen „Pizza“ auf Twitter. Abertausende Liebeserklärungen und Ehrerbietungen kursieren in den sogenannten sozialen Netzwerken. Mehrere Zeitungen veröffentlichten schon hymnenähnliche sportliche Nachrufe auf den Stürmer, die dann doch nicht gedruckt wurden, weil „Pizza“ einfach nicht aufhören wollte, Fußball zu spielen. Ich wurde 1999 Pizarro-Fan. Werder Bremen, mein Verein, lag damals fußballerisch und finanziell am Boden. Nach den glorreichen Rehhagel-Jahren hatte der Klub in kurzer Zeit vier Trainer verschlissen, das Vereinspräsidium war geschlossen zurückgetreten. Eine neue Führung um den Vorstandsvorsit9


zenden Jürgen Born, Manager Klaus Allofs und Trainer Thomas Schaaf probierte einen Neuanfang. „Pizza“ war Allofs’ erste Verpflichtung. Er brachte Farbe und Flair in die graumäusige Werder-Mannschaft, er verzückte mit seiner Technik und seinem Torriecher. Zwar stand in Bremen mit dem Brasilianer Ailton bereits ein weiterer Südamerikaner im Kader, doch der blühte erst richtig auf, als auch Pizarro dort aufschlug. Zwei Jahre lang wirbelte das Duo „Pizza/Toni“ gemeinsam an der Weser, lieferte Tore und Spektakel – und außerhalb des Platzes die eine oder andere Anekdote. Zurück an die Ligaspitze führten die beiden den Verein aber nicht. Der Wechsel zum FC Bayern München war für den ehrgeizigen und erfolgshungrigen Pizarro deshalb folgerichtig. Bei mir und vielen anderen mischte sich viel Wehmut mit ein wenig Verständnis, als er 2001 in den Süden zog. Dass „Pizza“ in der Folge viermal zu Werder zurückkehren und auch als 40-Jähriger an der Weser noch auf hohem Niveau kicken würde, konnte damals niemand ahnen. Die Idee, Claudios Geschichte und Geschichten aufzuschreiben, entstand im Sommer 2016 – also ein Jahr, nachdem er zum bislang vorletzten Mal von Werder verpflichtet worden war. Wir trafen uns in einem Café im Bremer Ostertorviertel, plauderten über dieses und jenes. Ich hatte ihm Biografien seiner früheren Münchner Mitspieler Thomas Müller und Manuel Neuer mitgebracht, die kurz zuvor im Verlag Die Werkstatt erschienen waren. Auf das Vorhaben, auch ihn in einem Buch zu portraitieren, reagierte „Pizza“ zurückhaltend. Vielleicht, sagte er, werde in Peru eine Biografie erscheinen. Deshalb wolle er erst einmal abwarten. Hinhaltend äußerte sich in der Folge auch Pizarros Berater und Agent Carlos Delgado, den ich telefonisch und per E-Mail kontaktierte. 10


Auch weil Pizarro 2016/17 eine vergleichsweise schwache Saison spielte und oft verletzt war, verfolgten wir das Buchprojekt eine Zeit lang nicht weiter. Begraben haben wir das Vorhaben aber nicht. Und als Claudio 2018 ein weiteres Mal bei Werder unterschrieb, beschlossen wir, die Sache doch zu realisieren. Wir ahnten da noch nicht, dass er im Februar 2019 mit seinen spektakulären Toren im DFB-Pokal-Achtelfinale bei Borussia Dortmund und in der Bundesliga bei Hertha BSC seine Popularität noch einmal steigern würde. Göttingen/Bremen, März 2019. Reimar Paul

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fünf Minuten vor dem Ende eingewechselt, er hat auch gleich einige gute Szenen, zu einem eigenen Torabschluss kommt er aber nicht mehr. Am nächsten Vormittag wertet eine Gruppe Eintracht-Fans beim Bier-Frühstück im ICE nach Süddeutschland das Spiel aus. „Ein geiles Stadion“, sagt einer. „Schön gelegen, zu Fuß erreichbar rundherum viele Kneipen.“ Ein Kumpel lobt vor allem die Atmosphäre in der Arena. „Als Pizarro reinkam, sind alle aufgestanden. Unglaublich.“ Die erste englische Woche des Jahres beginnt für Pizarro und Werder enttäuschend. Beim Tabellenletzten 1. FC Nürnberg mühen sich die Bremer am 2. Februar zu einem 1:1. Claudio wird nicht eingesetzt, viele Fans hadern mit der Entscheidung des Trainers. „Gegen einen tief stehenden Gegner brauche ich zum einen einen richtigen 9er im Sechzehner und zum anderen auch jemanden, der auf engem Raum sehr ballsicher ist und geniale und nicht vorhersehbare Pässe spielt“, ärgert sich etwa „Diego99“ im Forum „Worum“. Dafür wird das Achtelfinale im DFB-Pokal bei Borussia Dortmund am 5. Februar zu einem denkwürdigen Abend. 1:1 steht es nach 90 Minuten. Trainer Kohfeldt will den Sieg und wechselt mit „Pizza“ einen weiteren Stürmer ein. Der hat gleich eine wunderbare Szene, schüttelt im Mittelfeld mit zwei Körperdrehungen vier Dortmunder ab und passt in den Strafraum, dort wird die Chance aber verstolpert. In der 108. Minute macht Claudio es dann besser. Rechts vorm Dortmunder Tor nimmt er auf ganz engem Raum kunstvoll einen abgefälschten Ball an, hebt ihn am Keeper vorbei und schiebt ihn aus spitzem Winkel zum 2:2 ins Tor. Ein sensationeller Treffer, dem „Pizza“ noch einen weiteren im Elfmeterschießen folgen lässt. 7:5 lautet das Endergebnis, Werder ist eine Runde weiter. „Wann ist Baustart für sein Denkmal?“, erkundigt sich Fan „Aus grün den“ im Internet. Und „Kripke“ prognostiziert: „Aus dem wird mal was, glaubt mir.“ 50


KAPITEL 3

Mit zwei Jahren schon am Ball: Kindheit und Jugend

Am 3. Oktober 1978 gegen acht Uhr morgens kommt Claudio Miguel Pizarro Bosio im Marine-Krankenhaus der Stadt Callao, Bezirk Bellavista, auf die Welt. Er wächst bei seinen Eltern, dem Marineoffizier Claudio Pizarro Dávila und dessen Frau Patricia Bosio, in Santiago de Surco auf, einem zentralen Bezirk der peruanischen Hauptstadt Lima. Der Großvater mütterlicherseits, Manfredo Bosio, stammt aus Turin. Dieser Umstand verschafft Claudio neben der peruanischen auch die italienische Staatsbürgerschaft – das wird ihn früh für europäische Fußballvereine interessant machen. Denn der italienische Opa macht aus Claudio einen EU-Bürger. Und als solcher belastet „Pizza“ nie das Ausländerkontingent eines Klubs. In Santiago de Surco werden auch Claudios Geschwister groß: die drei Jahre jüngere Schwester Patricia und der zwölf Jahre jüngere Bruder Diego Enrique. Diego wird in der Saison 2009/10 Fußball für die U19-Mannschaft des FC Bayern München spielen und später auch für verschiedene peruanische Klubs, den großen Durchbruch wie sein Bruder aber nicht schaffen. 51


Ende 2018 ist Diego beim Erstligisten Academia Deportiva Cantolao aus Callao unter Vertrag – das ist der Verein, bei dem Mitte der 1990er Jahre auch Claudio seine Ausbildung erhalten hat. Bekannter zumindest für die Leserinnen und Leser der peruanischen Sensationspresse wird Diego durch seine zeitweilige Liaison mit der Schauspielerin bzw. dem Model Andrea Luna. Nikita Ramos, Claudios Kindermädchen, will schon früh die Vorliebe des Jungen für Fußball erkannt haben. Schon als Zweijähriger sei er immer Bällen hinterhergerannt, erzählt die „Nana“ viele Jahre später – Pizarro ist da längst erwachsen und ein Fußballstar – im peruanischen Fernsehen: „Wirklich immer. Seitdem er selbst laufen konnte, ist er jeden Tag runter zum Spielplatz, um Fußball zu spielen.“ Ansonsten sei Claudio „ein sehr lieber Junge“ gewesen: „Klar, alle Kinder sind mal frech, aber insgesamt war er sehr lieb und ruhig.“ Nikitas offenbar außergewöhnliche Kochkünste machen Claudio schon früh zu einem Fan der einheimischen Küche. Sein Lieblingsessen, sagt sie, sei immer Chupa del trigo gewesen, eine Suppe aus Weizenmehl, Gemüse und Brühe. „Er hat sie geliebt.“ Der Kontakt zwischen Claudio und Nikita überdauert Jahrzehnte. Manchmal, sagt sie, „ruft er an, und ich erkenne ihn nicht sofort, dann fragt er: Kennst du mich denn gar nicht mehr? Dann sage ich: Naja, du bist so weit weg, ich erkenne deine Stimme nicht mehr sofort. Dann sage ich ihm, dass er öfter anrufen muss. Dann sagt er: Ja, ja, ich rufe ab jetzt öfter an, damit du mich wieder erkennst. Zu meinem Geburtstag zum Beispiel ruft er immer an. Er ist immer noch mein Claudito.“ Spielt Claudio als Kind mal nicht draußen, schaut er gern Fernsehen oder Videos. „Wir haben alle Disney-Filme geguckt“, verrät er 2017 dem Magazin „11 Freunde“. Am meisten beeindruckt hat ihn „König der Löwen“ – als der 52


Film 1994 erscheint, ist „Pizza“ allerdings schon 15 Jahre alt. „‚König der Löwen‘, das war für ein Kind schon etwas ganz Besonderes, das man nicht vergisst.“ Vater Claudio führt, wenn er zu Hause ist und nicht im Dienst in der Kaserne oder auf einem Schiff, ein strenges Regiment. „Als Kind habe ich natürlich immer gebeugt über dem Teller gesessen, habe den Mund zum Löffel bewegt“, erinnert sich Claudio im November 2018 in einem Interview mit „t-online“ an harte Regeln. Der Vater aber habe darauf bestanden: „Kerzengerade sitzen, wie ein Brett, und den Löffel zum Mund führen. Das haben sie ihm beim Militär wohl beigebracht.“ Die Schuluniform musste demnach jeden Abend schon um 19 Uhr für den nächsten Morgen bereitliegen, daneben die geputzten Schuhe. Im Alter von sechs Jahren ist Claudio auf die Marine-Schule „Almirante Guise“ gekommen. Die Schule im Stadtteil San Borja, einem Oberschichtsviertel, ist nach dem britischen Admiral Martin George Guise benannt, der während des ersten kolumbianisch-peruanischen Krieges von 1828 bis 1829 die peruanische Flotte kommandierte und schließlich von einem Heckenschützen erschossen wurde. Auch in der Schule beschäftigt sich der kleine Junge offenbar am liebsten mit einem Ball. „Ich erinnere mich, dass Claudio es schon als kleiner Junge geliebt hat, mit dem Ball zu spielen“, sagt seine frühere Lehrerin in derselben Fernsehsendung. „Es gab hier immer eine Spielecke, wo auch Bälle lagen. In meiner Erinnerung hat er immer, auch während des Unterrichts, einen Ball bei sich gehabt und damit herumgespielt.“ Schulaufgaben und Zeichnungen habe Claudio ebenfalls mit Fußball zu verbinden versucht: „Er gab allem die Form eines runden Fußballs oder die Farbe des grünen Rasens.“ Gleichzeitig sei er sehr verantwortungsbewusst und sozial eingestellt gewesen. Die Lehrerin weiß in dem Fernsehinterview auch noch zu berichten, „wie er mich immer fragte: ‚Miss, um wie viel Uhr ist Pause?‘“ 53


Im Sportunterricht zeigt sich Claudios großes fußballerisches Talent. Allerdings ist er nicht der Einzige seines Jahrgangs, der gut kicken kann. Nicht jeder kann deshalb auf seiner Wunschposition spielen, der Sportlehrer setzt Claudio mal im Sturm, mal als Verteidiger und auch mal als Torhüter ein. „Er war aber nicht sauer darüber, im Gegenteil, er mochte es, verschiedene Positionen zu spielen. Kurz bevor Claudio die Schule verließ, habe ich zu ihm gesagt: ‚Pass gut auf dich auf, mein Junge, ich sehe in dir großes Potenzial und eine große Zukunft für den peruanischen Fußball.‘

EXTRA

Diplomat mit Killerinstinkt Der Fußballastrologe und Werder-Bremen-Fan Jannis Okun hat ein Horoskop für Claudio Pizarro erstellt. Er schreibt: „Es lässt sich erkennen, dass im Horoskop von Claudio Pizarro die Zeichen Waage und Skorpion sehr stark betont sind. Mit Sonne, Mond und Merkur in der Waage ist Pizarro gesellig und diplomatisch und versteht es, eine angenehme Stimmung in jede Gruppe zu bringen. Gerade in schwierigen Situationen wie im Abstiegskampf kann dies eine wohltuende Auflockerung sein. Die Skorpion-Betonung durch den Aszendenten, Venus und Mars dürfte Pizarro wiederum den Killerinstinkt verleihen, den ein echter Torjäger braucht. Nicht zufällig finden wir etwa bei Gerd Müller, der Verkörperung des Torjägers, eine Skorpion-Sonne und einen Skorpion-Merkur. Also Claudio Pizarro – ein Diplomat mit Killerinstinkt. Neben der auffälligen Zeichenbetonung ist auch die starke Betonung des zwölften Hauses mit Sonne, Mond, Merkur, Mars und Pluto ungewöhnlich. Das zwölfte Haus steht für Rückzug, für 54


Geheimnisse und die Hingebung an eine höhere Sache. Damit bekommen Außenstehende immer nur einen kleinen Einblick in das, was im Horoskopeigner wirklich vorgeht. Menschen mit starker Betonung des zwölften Hauses haben oft im wahrsten Sinne des Wortes etwas Phänomenales an sich. Bedeutsam ist weiterhin Uranus am Skorpion-Aszendenten und Venus ganz in der Nähe dazu. Das verleiht schon eine gute Portion Charisma mit einer Kombination aus Unberechenbarkeit (Uranus) und Charme (Venus). Uranus symbolisiert auch die genialen Momente auf dem Spielfeld, den Hang, das zu tun, was kein Gegenspieler erwarten würde. Noch ein besonderer Erfolgsfaktor ist Jupiter ganz dicht am MC, mit dem Pizarros erfolgreicher Berufsweg vorgezeichnet war.“ n

Claudio ist Fan des Hauptstadtklubs Alianza Lima. Bis heute. „Ich bin von klein auf ins Stadion gegangen“, erzählt er im August 2018 im Fragespiel „Butter bei die Fische“ im Youtube-Kanal von Radio Bremen. Auf der Tribüne des auch „La Caldera“ („Der Kessel“) genannten Estadio Alejando Villanueva jubelt der Junge seinen Idolen zu: Idolen wie Waldir Saenz, mit dem er später bei Alianza noch zusammenspielen wird. Als Claudio zehn Jahre alt ist, zieht die Familie Pizarro für zwei Jahre nach Paita, eine Hafenstadt im Norden Perus. Der Vater ist dorthin versetzt worden. Mit der Jugendmannschaft des örtlichen Fußballvereins gewinnt Claudio einige regionale Turniere. Neben dem Kicken widmet er sich hier auch anderen Sportarten, etwa dem Tennis und der Leichtathletik. Einmal meldet ihn seine Mutter bei einem Laufwettbewerb an, den er überlegen gewinnt. Bis heute wird Claudio in der Region hoch verehrt. 2017 gab sich ein Frauenfußballklub in Paita offiziell den Namen Claudio Pizarro. 55


In der Jugendmannschaft von Academia Deportiva Cantolao, einem mit der peruanischen Marine verbandelten Verein in Callao, beginnt Claudio mit strukturiertem Fußball-Training. Klubchef ist damals ein Freund des Vaters, Kiko Mandriotti. Auch er wird 2010 vom Fernsehen interviewt. Und sagt: „Ich habe mit vielen anderen darüber gesprochen, und wir sind uns einig, dass es zu Claudios Zeiten zwar andere Spieler gab, die ihm spielerisch ebenbürtig waren, und zugegebenermaßen gab es auch einige, die auf technischer Ebene bessere Fußballer waren als er. Aber, und das zeichnete ihn aus, er besaß die mentale Stärke, die andere nicht hatten. Und als kompletter Fußballer muss man ein guter Spieler sein, aber ebenso auch eine starke Persönlichkeit und ein positives Denken haben, Lust und Leidenschaft am Spielen mitbringen. Und genau das vereinte Claudio und machte ihn im Vergleich zu seinen Mitspielern so einzigartig.“ Claudio selbst hat diese Zeit, in der seine fußballerische Ausbildung beginnt, als nicht ganz einfach empfunden. „Es war anfangs etwas schwierig für mich, weil ich der einzige Weiße war und alle mich so merkwürdig angesehen haben“, sagt er Jahre danach. „Aber später, als wir Fußball gespielt haben, wurde alles gut.“ Der frühere Alianza-Trainer Juan José Tan attestiert dem Jungen ebenfalls herausragende Fähigkeiten. Bei den Turnieren der Asociación de Fútbol Interclubes de Menores (AFIM), einer Art Jugendmeisterschaft, nimmt auch die peruanische Presse Notiz von Claudio Pizarro. Einige Zeitungen sagen ihm eine große Zukunft als Fußballer voraus. Nur Papa Claudio Pizarro Dávila ist noch skeptisch. „Ich muss sagen, Claudios Karriere war nicht vorhersehbar oder geplant“, räumt der Vater Jahre später ein. „Ich hätte damals niemals geglaubt, dass Claudio es so weit bringen würde.“ Gleichwohl fördert Papa Pizarro seinen Ältesten von Beginn an nach Kräften. „Er hat mir immer geholfen und mich immer 56


unterstützt“, sagt Claudio. „Ich glaube, er ist der wichtigste Mensch in meinem Leben.“ Seinen Schulabschluss macht Pizarro im San Borja Naval Lyceum. Ein zu jener Zeit aufgenommenes Foto zeigt ihn, seine Freundin und spätere Frau Karla Salcedo sowie seinen Freund Juan Francisco Meaden in ihren Schuluniformen. Meaden hat das Bild 2017 ausgegraben und getwittert. „Wie schön war diese Zeit!“, schreibt „Pizza“ zurück. „Was für tolle Jahre! Eine Umarmung.“ Statt auf Partys verbringt Claudio nun immer mehr Zeit auf dem Trainingsplatz. Eine Entscheidung über seine berufliche Zukunft hat er 1994, ein Jahr vor seinem Schulabschluss, aber noch nicht getroffen. Er überlegt, ob er wie sein Vater zur Marine gehen oder ein Ingenieurstudium aufnehmen soll. Gleichzeitig lockt ihn die Möglichkeit, als Profikicker Geld zu verdienen und in die weite Welt zu ziehen. Seine Mutter hätte es damals viel lieber gesehen, „dass ich studiere“, verrät „Pizza“ viele Jahre später in einem „Werder-Podcast“. Doch als die Verantwortlichen des peruanischen Fußballverbandes ihn in den nationalen U17-Kader berufen und er am 5. Mai 1995 sein erstes Spiel für die Nachwuchsmannschaft macht, wird klar, dass Claudios Zukunft auf dem Fußballplatz liegt. „Das ist mein Leben, ich will Fußball spielen und werde natürlich versuchen, ein Guter zu sein“ – mit solchen Worten will Pizarro den mütterlichen Widerstand schließlich gebrochen haben. „Wenn es dich glücklich macht, dann mach es“, habe sie ihm mit auf die Reise gegeben, auf der er nicht nur ein Guter, sondern einer der Allerbesten werden sollte.

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© Imago © Walter Schumann

Im August 2000 mit Vater Claudio Pizarro Dávila.

Claudio Pizarro spielt sich 1999 schnell in die Herzen der Werder-Fans.


© Jürgen Stroscher

Torhungriger Lieferservice: Claudio Pizarro (links) und Ailton, genannt „PizzaToni“.

© dpa picture alliance

Claudio Pizarro (jetzt im Bayern-Trikot) im Zweikampf mit Werders Spielmacher Diego.


© Imago © Imago

Dank an die Fans nach einem 0:0 am 7. Mai 2016 in Köln.

Unglücklich auf der Ersatzbank – Claudios Zeit in Köln war nicht erfolgreich.


© Imago

Mit Werder gegen die Bayern (hier Leon Goretzka im Dezember 2018) – „Pizzas“ wichtigste Stationen in Deutschland.


KAPITEL 10

„Schwarzer Pfeil“ und „El Kaiser“: Rennpferde und andere Hobbys

„Was ist für dich das perfekte Glück?“, wollte die Reporterin des peruanischen Magazins „Cosas“ wissen. „Meine Familie“, antwortete Claudio Pizarro. „Und wovor hast du am meisten Angst?“ „Dass es meinen Kindern im Leben schlecht geht.“ Das Interview wurde im Herbst 2017 geführt, aber es ist davon auszugehen, dass die Aussagen Bestand haben. Seine Frau Karla Salcedo und die drei gemeinsamen, in Deutschland geborenen Kinder Claudio (Jahrgang 1999), Antonella (2001) und Gianluca (2005) sind für „Pizza“ das Wichtigste auf der Welt. Wichtiger also noch als Fußball. Die Familie, das betont Pizarro immer wieder, hat ihm Rückhalt gegeben, wenn es beruflich mal nicht so lief, wenn Verletzungen ihn zurückwarfen und wenn die Boulevard-Presse in Peru ihn nach mäßigen Auftritten in der Nationalmannschaft als „schwangere Schildkröte“ verhöhnte. Keine Entscheidung fiel ohne Karla, in Claudios Karriere spielt sie eine ganz große Rolle: „Sie war mir immer eine Hilfe, und sie konnte mich immer verstehen.“ Offenbar keine Selbstverständlichkeit, denn „ein Fußballspieler ist ein sehr kompliziertes Wesen. Aber sie hat mich genau kennengelernt und mich durch schwierige Situ146


ationen gesteuert.“ Gleichzeitig beweisen Claudio und Karla ungeachtet aller Gerüchte über „Pizzas“ angebliche Affären in seinen ersten Jahren in Deutschland, dass es auch bei Prominenten langanhaltende Beziehungen gibt. Karla war Claudios Mitschülerin und Jugendliebe. Im Sommer 2017 twittert Claudios früherer Schulfreund Juan Meaden ein Foto: Das vergilbte, unscharfe Bild zeigt die Köpfe der beiden Jungen und von Karla. „Schaut mal, ich habe Claudio Pizarro gefunden, jajaja“, schreibt Juan dazu. „Eine Umarmung, alter Freund.“ Und Claudio antwortet: „Wie schön war diese Zeit! Was für tolle Jahre!“ „Wir waren von klein auf im selben Jahrgang, wir sind gleich alt, in den letzten drei Schuljahren waren wir in derselben Clique und im letzten Schuljahr haben wir uns verliebt“, erzählt Pizarro 2015 einer peruanischen Zeitschrift über Karla. „Als sich 1999 die Möglichkeit ergab, ins Ausland zu gehen, haben wir beschlossen zu heiraten. Ich habe mir gesagt: Diese Frau darf ich nicht verlieren. Wohin auch immer ich gehe, ich werde sie mitnehmen.“ Am 22. April 1999 heiratet das Paar. Anfang 2019 sind die drei Kinder des Paares 19, 17 und 13 Jahre alt. Claudio studiert in Leicester, England. Antonella geht in München zur Schule, sie möchte später in der Filmproduktion arbeiten, vielleicht Regisseurin werden. Gianluca wird vielleicht Fußballer. Er spielt in München, wo die Familie lebt, beim TSV Grünwald. Aber nicht als Stürmer, sondern als Torwart. Ist es für die Kinder schwierig, einen so prominenten Vater zu haben? Karla und er hätten da immer sehr aufgepasst, erzählt „Pizza“ im Januar 2019 der „DeichStube“: „Ich wollte nicht, dass sich meine Kinder in meinem Erfolg verlieren. Wir haben viel mit ihnen darüber gesprochen, denn wir wollten, dass sie auf dem Boden bleiben.“ Wenn die Familie in Peru ist, will Claudio junior nicht Pizarro heißen, er trägt dann seinen zweiten Nachnamen Salcedo, also Karlas Familiennamen. „Claudio will nicht, 147


dass ihn die Leute anders angucken, wenn sie den Namen Pizarro hören. Das mag er nicht.“ Anders als viele seiner Kollegen hat Pizarro seine Familie so weit wie möglich vor einem neugierigen Publikum abgeschirmt. Klatschgeschichten oder sogenannte „Homestory“ aus dem Hause Pizarro sind nicht bekannt. Und nur vergleichsweise wenige öffentlich zugängliche Fotos zeigen das Paar oder die Familie gemeinsam: Claudio und Karla auf dem Münchner Oktoberfest – er in Lederhosen, sie im Dirndl. Claudio und Karla bei der Meisterfeier in München. Claudio und Karla beim Besuch eines Basketballspiels. Claudio und Karla auf einer Pferderennbahn. Claudio und Karla in einem S.O.S.-Kinderdorf. Die ganze Familie auf dem Oktoberfest oder bei der traditionellen Weihnachtsfeier von Werder Bremen. Schließlich Claudio, wie er mit seinem großen Sohn Claudio junior auf dem roten Teppich bei der Verleihung des Fernsehpreises „Bambi“ 2018 posiert. Auch seiner Herkunftsfamilie ist „Pizza“ eng verbunden geblieben, regelmäßig stattet er Mutter Patricia Bosio und Vater Claudio Pizarro Dávila in Lima Besuche ab. Am 8. März 2018 schreibt „Pizza“ auf Instagram: „Glückwünsche zum Internationalen Frauentag. An meine großartige Mutter, meine wunderschöne Frau, meine vergötterte Tochter und an alle anderen außergewöhnlichen Frauen für ihre Kraft, ihr Mitgefühl, ihren Mut und ihren unermüdlichen Kampf für eine bessere Welt.“ Die Familie teilt Claudios Leidenschaft für Sport, zumindest ein bisschen. Der jüngste Sohn Gianluca kickt zeitweise in der D3-Jugend von Werder Bremen. „Er ist mir sehr ähnlich“, sagt „Pizza“ über den Jungen. „Er verliert nicht gern, er ist sehr empfindlich.“ Tochter Antonella trainierte zeitweise bei einem kleinen Klub. „Sie könnte Torfrau werden“, zitiert „11 Freunde“ im Oktober 2017 den Vater. „Aber das ist noch viel zu früh, um irgendwas sagen zu können.“ Wichtige Sportereignisse schaut die Familie gemeinsam im Fernsehen. 148


Nach der Familie und nach dem Fußball kommen bei Pizarro die Rennpferde. Dieses Hobby könnte ihm Manfredo Bosio eingeimpft haben. Der Großvater mütterlicherseits, so erzählt „Pizza“ 2017 im großen „Cosas“-Interview, habe ihn als Kind häufig auf die Pferderennbahn in Lima mitgenommen: „Aber daran erinnere ich mich nicht mehr, ich war noch zu klein.“ „Pizza“ ist 22 Jahre alt und seit kurzem Nationalspieler, als die unbewusste Vorliebe zur aktiven Leidenschaft wird. Sein damaliger Mannschaftskollege und Zimmernachbar im peruanischen Team, José „Chemo“ del Solar, besitzt damals schon ein paar Pferde. Eines Tages schlägt er Claudio vor, gemeinsam ein Tier zu kaufen. „Unser erstes Rennpferd hieß ‚Wilde Furie‘, es lief bei zwei oder drei Rennen, dann verletzte es sich. Wir hatten Pech.“ Er habe, so „Pizza“, danach niemals wieder ein Pferd zusammen mit del Solar gekauft, „ich habe damit alleine weitergemacht“. „Als Erstes habe ich ein paar argentinische Rennpferde gekauft. Die Stute habe ich dort gelassen, nur den Hengst habe ich nach Peru gebracht. Das war ein Ungeheuer. Er hat alles gewonnen.“ Ein „Scheich aus Dubai“ bietet 800.000 Dollar für das Pferd, will es aber zunächst untersuchen lassen. Der damit beauftragte Tierarzt, ein Mann namens Adam Driver, findet im Blut des Hengstes ein Bakterium, der Scheich zieht sein Angebot zurück. „Aber dann tauchte ein anderer Scheich aus Saudi-Arabien auf. Er bot mir 500.000 Dollar und kaufte ihn.“ Veterinär Driver wird später Claudios Renn-Manager in England. In der Folge investiert Pizarro in großem Rahmen in Rennpferde. Er kauft in Peru Ländereien und baut in der Provinz Chincha südlich von Lima ein Gestüt mit Rennbahn auf. Die Anlage heißt „Haras el 14“. El Catorce, die 14, das ist beim FC Bayern und bei Werder über Jahre Pizarros Rückennummer. Einmal im Jahr gibt es auf dem Gestüt eine Auktion. „Ich züchte Pferde und verkaufe sie anschließend wieder“, sagt Claudio. „Pferde sind imposante Tiere, ein bisschen wie wir. 149


Sie sind kräftig und haben Power. Das gefällt mir“. Er betreibe das, „weil ich der Pferdezucht in Peru helfen will. Ich bin mehr Züchter als Käufer.“ In den Weihnachtstagen 2016 kann die Polizei in Peru offenbar einen Überfall auf die Finca verhindern. Vier Männer seien festgenommen worden, meldet „La República“. Bei der Bande seien zwei Pistolen, Munition und Werkzeug sichergestellt worden. Und eine präzise Skizze des Landgutes. Auch in Deutschland und England züchtet, kauft und verkauft „Pizza“ Pferde. Kollegen von Werder Bremen und Bayern München steigen bei einigen Tieren als Mitbesitzer ein. „Drei Tage vor dem 143. Deutschen Derby in Hamburg-Horn strotzt Black Arrow – zu Deutsch: schwarzer Pfeil – vor Kraft und Energie“, schreibt am 28. Juni 2012 die „Hamburger Morgenpost“. „‚Er hat prima trainiert, die Derbystrecke wird ihm entgegenkommen‘, prophezeit Trainer Andreas Wöhler.“ „Black Arrow“ gehört Pizarro und Tim Borowski. Beide Spieler sind vor Ort, als der dreijährige Hengst drei Tage später als Fünfter durchs Ziel geht und immerhin noch 10.000 Euro gewinnt. Zuvor ist das Pferd bei fünf Starts dreimal Sieger und zweimal Zweiter geworden und hat dabei 50.000 Euro eingaloppiert. 60.000 britische Pfund, umgerechnet 75.112 Euro, hatten „Pizza“ und „Boro“ für den damals noch namenlosen Jährling auf einer Auktion in England bezahlt. Nach dem Derby ist er ein Vielfaches wert. Mit Borowski und Bayern-Spieler Thomas Müller, ebenfalls ein Pferdenarr, hat „Pizza“ schon vor Jahren die Besitzergemeinschaft „Gute Freunde Partnership“ gegründet – in Anlehnung an Franz Beckenbauers Hit „Gute Freunde kann niemand trennen“. Ihr erfolgreichstes Pferd war bisher die Stute „Mia san Triple“ – 2013 gewannen Müller und Pizarro mit dem FC Bayern das Triple. Die Gemeinschaft besitzt auch den Galopper „El tren“. „El tren“ – der Zug – wurde auch der frühere Bayern-Stürmer Adolfo Valencia genannt. 150


Ein weiteres Rennpferd von Pizarro und Müller, es steht in London, nannten die beiden „Don Jupp“, das ist der Spitzname des langjährigen Bayern-Trainers Jupp Heynckes. Pferde in Peru taufte Claudio schon auf die Namen „Teamgeist“, „El Kaiser“, „Oktoberfest“ und „Merkel“. Im April 2016, der SV Werder steckt tief im Abstiegskampf, schlägt ihm ein „Sky“-Moderator vor, sein nächstes Pferd doch „Klassenerhalt“ zu nennen. „Pizza“ stimmt sofort zu: „Gute Idee, das mache ich.“ Als Jugendlicher hat Claudio auch Leichtathletik betrieben und Tennis gespielt. Und auch in diesen Disziplinen durchaus Talent gezeigt, sich dann aber doch dem Fußball verschrieben. Erst im fortgeschrittenen Kicker-Alter hat er seine Leidenschaft für das Golfen entdeckt. Ein am 7. Oktober 2017 aufgenommenes Foto zeigt ihn in grellgrüner Karo-Hose samt passender Schottenmütze auf dem Rasen des Golfklubs München Valley – ein echter Hingucker. Auch an Basketball und American Football hat Pizarro Interesse, allerdings nur als Zuschauer. Beim American Football begeistert ihn die Ähnlichkeit zum Fußball: „Jeder hat seine eigenen Stärken und Vorstellungen. Aber nur zusammen können sie Erfolg haben. Alle müssen sich auf ein Ziel ausrichten und zu einer Einheit werden. Das ist bei so viel Kraft in einer Mannschaft nicht so einfach. Und das fasziniert mich.“ Besonders die Seattle Seahawks haben es ihm angetan, aus einem bestimmten Grund. „Ich war vor einigen Jahren mal mit dem FC Chelsea in Seattle zu Gast, und wir haben damals auf dem Trainingsgelände der Seahawks trainiert“, sagt „Pizza“ in einem Interview mit dem Fanklub „German Sea Hawkers“. „Zum Abschluss unseres Besuches haben wir jeder ein Trikot mit unserem Namen und unserer Nummer bekommen. Seitdem bin ich Seahawks-Fan!“ Schnelle Autos, schicke Kleidung: Pizarro, das bestätigen viele seiner Wegbegleiter, ist eitel. „Er ist eine Primadonna“, sagte 2015 sein Kumpel Giovane Elber. „Claudio hat immer schon auf 151


sein Erscheinungsbild geachtet, seine Klamotten, seine Haare. Für ihn war es nicht lustig, wenn wir ihm durch die Haare gewuschelt haben, weil er immer wollte, dass sie richtig sitzen.“ Kino und Musik gehören ebenfalls zu „Pizzas“ Freizeitprogramm, am liebsten hört er Salsa und HipHop. Auch in Museen wurde er schon gesehen. „Ich habe nicht so viel Ahnung von Kunst“, erzählte er „Cosas“. „Ich fange erst an, mir diese Welt ein wenig zu erschließen.“ Im Herbst 2017 stolpert Claudios damaliger Verein, der 1. FC Köln, von einer Niederlage in die nächste. Da sind Abwechslung und Aufheiterung gefragt. „Pizza“ findet sie als Synchronsprecher, im Trickfilm „Coco – Lebendiger als das Leben“ leiht er einem Skelett seine Stimme. Das Skelett ist ein Grenzgänger, der zwischen der Welt der Lebenden und der Welt der Toten hin und her wandert. Im Film möchte es, na klar, ein Fußballspiel im Diesseits besuchen. Als die Anfrage kommt, zögert Claudio zunächst, schließlich hat er so etwas noch nie gemacht. „11 Freunde“ erzählt er: „Als meine drei Kinder gehört haben, dass ich demnächst in einem Disney-Film zu hören sein werde, haben sie sofort gesagt: ‚Papa, da gibt es nichts zu überlegen. Das musst du machen!‘“ Im Nachrichtenportal „Derwesten.de“ sagt Pizarro: „Am Anfang war das ein bisschen schwierig für mich, ich war auch etwas nervös. Ich hab so etwas noch nie gemacht, aber mit der Zeit wurde es immer besser. Es gab sehr viele Momente, die sehr lustig waren.“ Obwohl er vor einigen Jahren seine Ernährung umgestellt und Zucker und Kohlenhydrate weitgehend aus dem Speiseplan gestrichen hat, isst Claudio gerne. Und gerne gut. Sein Lieblingsgericht, erzählt er, ist Ceviche: „Das ist klein geschnittener, roher Fisch. Mit vielen Zwiebeln, viel Zitrone garniert und ein bisschen scharf.“ Am 28. Juli 2016, dem peruanischen Nationalfeiertag, postet Pizarro ein Foto aus dem peruanischen Restaurant „Nasca“ in 152


München. Auf dem Tisch steht eine große Schüssel mit Ceviche. „Heute ist ein besonderer Tag für alle Peruaner“, schreibt Claudio dazu. „Auf einen glücklichen 28. Juli. Es lebe Peru!“ Exakt zwei Jahre später zeigt ein kurzes Video auf Instagram Claudio junior an der Ceviche-Tafel. Da ist dann auch die peruanische Tageszeitung „Ojo“, die den Stürmer in der Vergangenheit oft kritisiert hat, wieder versöhnt: „Wie es sich für einen guten Peruaner gehört, begeht der ‚Anden-Bomber‘ den Feiertag mit einem leckeren Ceviche im Kreis seiner Familie.“ Aber auch deutsche Gerichte haben es ihm angetan. Schweinshaxe zum Beispiel steht bei Claudio beim Oktoberfest immer auf dem Speiseplan. Für diesen Leckerbissen begeistert er auch Kollegen: Einmal, Pizarro kickt gerade beim 1. FC Köln, entführt er den Bayern-Spieler James Rodriguez zum HaxenEssen nach Bad Tölz. Größere Mengen Alkohol wie zu seinen frühen Zeiten bei Bayern München trinkt „Pizza“ nicht mehr, nur „auf Wein verzichte ich nicht, das kann ich einfach nicht sein lassen“. Per Twitter empfiehlt er seiner Fangemeinde auch schon mal einen bestimmten Tropfen, am 10. August 2017 etwa einen teuren katalanischen Weißwein vom Weingut Clos Erasmus: „Pruebe este vino. Le doy 5 de 5 estrellas“– „Probiert diesen Wein, dem gebe ich fünf von fünf Sternen“.

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KAPITEL 13

Er will doch nur spielen: Ein Blick in die Zukunft

Claudio Pizarro ist ein Süchtiger. Er ist süchtig nach Fußball. Und nach allem, was dazugehört: den Fans, dem Wettkampf, dem Ball, dem Rasen, den Mitspielern, der Atmosphäre im Stadion. Er will sich messen, an Grenzen gehen, sich beweisen, sich verbessern. Er will Fußball spielen, solange der Körper mitmacht. Im November 2018 sagt er: „Mein Körper fragt mich ständig: ‚Wo ist der Ball? Wo ist der Platz? Du gehörst dahin!‘“ Spaß am Fußball jedenfalls hat er auch noch mit 40 Jahren. „Der Spaß ist immer da, den werde ich immer haben. Das steckt einfach in mir drin.“ Klar, das Training sei anstrengend, „manchmal Schmerzen hier, Schmerzen da. Aber wenn der Ball erst einmal da ist, habe ich das vergessen.“ Gegenüber der „Welt“ erklärt Pizarro schon im Herbst 2016: „Ich spiele so lange, wie ich kann, dabei bleibe ich. Die Einzige, die mich davon abbringen könnte, wäre meine Tochter. Wenn sie kommt und sagt, dass Papa mehr zu Hause sein soll, dann würde ich meine Entscheidung noch mal überdenken.“ Und „Pizza“ sagt auch: „Mikaël Silvestre, mein ehemaliger Mitspieler, hat mir erzählt, dass Sir Alex Ferguson ihm riet: ‚Spiel, solange du kannst, denn das schwierige Leben beginnt danach.‘ Ein guter Satz. Genau das werde ich machen.“ 179


„Ich glaube, er ist ein Typ, den es auch wirklich wurmt, wie das die letzten zwei Jahre gelaufen ist“, sagt „Mein Werder“-Reporter Marc Hagedorn. „Dass er viel verletzt war, dass er seinen Mannschaften auch nicht wirklich helfen konnte. Er ist das erste Mal abgestiegen mit 39 Jahren, er hat in seiner letzten Saison hier und in Köln jeweils nur ein Tor geschossen, und nur die Hälfte der Spiele gemacht zu haben, weil er verletzt war oder auf der Bank saß, das passt nicht zu seinem Selbstbild, damit abzutreten. Ich glaube, der hat sich auch ganz klar gesagt, so kann und will ich nicht abtreten. Das ist bei ihm aktuell noch mal ein ganz, ganz starker Antrieb.“ Er habe sich schon oft gefragt, so Pizarro, wie das wohl sein werde mit dem Spaß am Fußball, wenn er eines Tages nicht mehr Profi sei. Werde es ihm dann auch Spaß machen, nur noch mit den Alten zu kicken, den Veteranen der All-Star-Mannschaften? Das Abschiedsspiel für Per Mertesacker am 13. Oktober 2018 in Hannover, bei dem ja vor allem nicht mehr aktive Spieler mitkickten, hat ihm die Antwort darauf gegeben. Denn: „Da hatte ich richtig Spaß. 15 Minuten gespielt, ein Tor geschossen, es war die reine Freude.“ „Ich glaube“, sagt „Pizza“, „ich werde immer weiterspielen. Mit Freunden, einfach nur zum Spaß.“ Abschiedsspiele und Spiele mit Freunden aber sind, allenfalls, etwas für zwischendurch. Eine berufliche Perspektive bieten sie nicht. Was wird „Pizza“ also beruflich machen? Dem Fußball will er auf jeden Fall verbunden bleiben. Vielleicht als Markenbotschafter, als Repräsentant für den FC Bayern, räsoniert er im Oktober 2018 in einem Interview mit der peruanischen Zeitschrift „Cosas“. Er habe in dem Bereich in München auch schon Erfahrungen gesammelt, bei einem von Bayern-Sponsor Telekom ausgerichteten Abendessen etwa. „Oder als Sportdirektor, vielleicht auch beim Scouting.“ Ein Sportdirektor entscheide zum Beispiel über Transfers und Verträge, das sehe er als Möglichkeit für sich, wenn er einmal nicht mehr spiele, so „Pizza“. Er könne sich auch vorstellen, die 180


Mannschaft auf Auslandsreisen zu begleiten. „Ich spreche vier Sprachen und habe Beziehungen in Europa und nach Südamerika“, lässt sich Claudio vom Sportmagazin „Socrates“ zitieren. Der Trainerberuf kommt für ihn wohl nicht in Frage – „obwohl ich glaube, ich wäre ein guter Trainer“. Zu viel Arbeit sei das, sagt er, viel mehr Arbeit, als ein Spieler hat: „Ich wäre immer da, Gegneranalyse, Büroarbeit, Gespräche, Planung – das wäre zu viel für mich.“ Claudio will künftig mehr Zeit für sich haben, für seine Hobbys, seine Freunde, seine Familie. Die hat sich längst für München als Lebensmittelpunkt entschieden, kam 2017 weder mit nach Köln noch ein Jahr später zum bislang letzten Engagement nach Bremen. Auch für ihn, sagt Pizarro, ist München eine der Städte mit der weltweit größten Lebensqualität. Dort gebe es so viele Möglichkeiten, so viele gute Restaurants. Obwohl er Diät hält: „Ich esse gern gut und trinke gern guten Wein. Ich gehe gern in die von Michelin ausgezeichneten Restaurants.“ Und zurück nach Peru? „Derzeit nicht, nein“, antwortet er auf die Frage der „Cosas“-Reporterin: „Vielleicht später, wenn ich mich mit 60 oder 70 Jahren zur Ruhe setze.“ Er liebe das Meer, „dann werde ich vielleicht in Piura leben. Oder ich ziehe mich nach Urubamba zurück.“ Piura liegt an der Küste, Urubamba im peruanischen Hochland, wo auch viele der alten Inka-Stätten liegen.

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ALLE LIEBEN

„PIZZA“

Dieser Mann ist ein Phänomen. Der am häufigsten eingesetzte ausländische Spieler und erfolgreichste ausländische Torschütze in der Bundesliga. Rekordtorschütze des SV Werder Bremen, ältester Torschütze der Liga und mit 40 Jahren noch immer auf höchstem Leistungsniveau. Dazu ist „Pizza“ ein Liebling der Fans, ob in Bremen, Köln oder München. Reimar Paul skizziert Claudio Pizarros Weg vom streng erzogenen Sohn eines Marineoffiziers in Lima auf die glitzernden Bühnen des Weltfußballs.

„Ich habe mein Hobby zum Beruf gemacht. Etwas Schöneres kann es nicht geben.“

ISBN 978-3-7307-0451-6

VERLAG DIE WERKSTATT


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