Messi – Leseprobe

Page 1

Luca Caioli

VERLAG DIE WERKSTATT

MESSI

Der Weg zur Legende


Inhalt 1 Rosario . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

5

Dezember 2007 2 Das

Garibaldi-Krankenhaus .

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

10

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

16

24. Juni 1987 3 Der

Kleinste von allen .

Ein Sommernachmittag im Jahr 1992 4 Rot

und Schwarz .

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

22

21. März 1994 5 Ein

echter Gardel .

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

29

Gespräch mit Adrián Coria, ehemaliger Jugendtrainer Newell’s Old Boys 6 Größe: klein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

32

31. Januar 1997 7 Über

den großen Teich .

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

37

17. September 2000 8 Vorläufige

Spielerlaubnis .

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

44

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

49

6. März 2001 9 Die

Maske von Puyol .

Gespräch mit Álex García, Jugendtrainer FC Barcelona 10

Das Debüt .

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

52

16. November 2003 11

Die Videokassette .

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

57

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

64

29. Juni 2004 12

Eine Seifenoper . 3. Oktober 2005

13

Spieler des Spiels .

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

71

22. Februar 2006 14

Keine einzige Minute .

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

77

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

88

30. Juni 2006 15

Der Teufel . 10. März 2007

16

Leo und Diego .

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

94

18. April 2007 17

Eine lange Karriere vor sich .

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

107

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

111

Gespräch mit Frank Rijkaard, ehemaliger Trainer FC Barcelona 18

Enttäuschung . 15. Juli 2007

19

Bronze und Silber .

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

116

17. Dezember 2007 20

Der lange Weg zum Gold .

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

122

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

137

22. Mai 2008 21

Glück .

27. Mai 2009 22

Aller guten Dinge sind drei . 1., 19. und 21. Dezember 2009

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

153


23

Ein Meer voll Tränen .

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

164

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

175

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

182

3. Juli 2010 24

Überraschung . 10. Januar 2011

25

Simply the best . 28. Mai 2011

26

Ein geplatzter Traum .

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

192

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

198

16. Juli 2011 27

Der Titelhamster .

14./17./26. August 2011 28

Hattrick .

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

201

9. Januar 2012 29

Rekordjäger .

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

204

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

218

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

229

7. Januar 2013 30

Unersetzlich . 19. Mai 2013

31

Barcelona .

Ein Gespräch mit Leo Messi 32

Eine turbulente Saison .

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

237

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

245

17. Mai 2014 33

Vizeweltmeister . 13. Juli 2014

34

Von Anoeta nach Berlin .

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

253

6. Juni 2015 35

Der Fluch der Nummer 10 .

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

264

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

270

4. Juli 2015 36

Der fünfte Ballon d’Or . 11. Januar 2016

37

Elf Jahre, acht Meisterschaften .

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

278

14. Mai 2016 38

Und sie lebten glücklich bis ans Ende ihrer Tage .

. . . . . . . . . . . . .

289

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

299 302 304

30. Juni 2017

Karrierebilanz . . . . . . . Bibliografie . . . . . . . . . Danksagung / Der Autor .

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .


Kapitel 3

Der Kleinste von allen Ein Sommernachmittag im Jahr 1992

Auf dem Fußballplatz von Grandoli gibt es beinahe keinen Rasen, nur ein paar Fleckchen Gras an der Seitenauslinie, ansonsten viel nackte Erde. Die Torpfosten sind in einem jämmerlichen Zustand, genau wie der Zaun und die Gebäude mit den Duschen und Umkleidekabinen. Im übrigen Viertel sieht es nicht viel besser aus: provisorische Autowaschanlagen an jeder Ecke der Straße Gutiérrez, Gebrauchtreifenhändler und Schilder mit der Aufschrift „Ankauf von Metallen“, mit anderen Worten: Schrott. Eine Papptafel weist sogar auf einen Hundefrisör hin. Im Hintergrund Hochhäuser, Typ sozialer Wohnungsbau. Sie sehen irgendwie verlassen aus, auch wenn sie es nicht sind. Daneben kleine, niedrige Häuser, die ihren einstigen Charme verloren haben. Aus den Rissen im Asphalt wachsen Pflanzen, in der Sonne schmort Müll vor sich hin, auf der Straße sind Männer und alte Menschen, die nichts zu tun haben, und Kinder auf zu kleinen Fahrrädern. „Die Leute in der Gegend haben sich verändert“, sagt der Älteste der Senioren und fügt hinzu: „Bei Nacht muss man hier Angst haben.“ Das Verbrechen hat sich eingenistet. Um drei Uhr nachmittags ist kaum eine Menschenseele zu sehen. Der Fußballplatz liegt verlassen da. Die Kinder aus den benachbarten Schulen, die im Sportzentrum „Instituto Superior de Educación Física Nº 8 Abanderado Mariano Grandoli“ – benannt nach einem Freiwilligen des Krieges von 1865, der für sein Land starb – Schulsport treiben, sind bereits fort. Die Fußballer kommen nicht vor fünf Uhr nachmittags. Die einzige Person auf dem Areal ist ein Lehrer in weißem T-Shirt, blauem Trainingsanzug und Sportschuhen. Er zeigt mir den ungefähr 150 Meter weiten Weg zum Haus von Señor Aparicio, dem ersten Trainer Lionel Messis. Mit nassen Händen öffnet Aparicio die Tür. Er bereitet gerade das Essen für seine blinde Frau Claudia zu, bittet den Gast aber dennoch, einzutreten und es sich gemütlich zu machen. Im kärglich eingerichteten Wohnzimmer, das von einem alten Fernseher dominiert wird, befinden sich vier Sessel sowie ein riesiger weißer Hund, und es riecht ein wenig muffig. Salvador Ricardo Aparicio ist 78 Jahre alt und hat vier Kinder, acht 16


Enkel und vier Urenkel. Sein Gesicht trägt die Züge des Alters und den Schatten eines Bartes; sein Körper ist verdreht wie ein Stück Stacheldraht, und seine Stimme und Hände sind zittrig. Er hat sein Leben lang bei der Eisenbahn gearbeitet. Als junger Kerl spielte er mit der Nummer 4 für den Club Fortín, und seit mehr als 30 Jahren trainiert er auf dem 7,5 mal 40 Meter großen Platz von Grandoli den Nachwuchs. Er hat Aberhunderte von Nachwuchsspielern ausgebildet, darunter auch Rodrigo und Matías. Der Älteste der Messis war ein schneller und kraftvoller Mittelstürmer, während der Zweitälteste in der Abwehr spielte. Jeden Dienstag und Donnerstag begleitete Großmutter Celia sie zum Training. Und eines Sommernachmittags hatten sie Leo im Schlepptau. „Mir fehlte noch einer, um eine Jahrgang-86-Mannschaft voll zu kriegen. Mit dem Trikot in der Hand wartete ich auf den letzten Spieler, während die anderen sich schon aufwärmten. Aber er kam nicht. Dafür war da dieser kleine Junge, der fortwährend den Ball gegen die Tribüne kickte. Die Uhr tickte, und ich sagte mir, verdammt noch mal … Keine Ahnung, ob der schon Fußball spielen kann, aber … Also ging ich hinüber, um mit dieser wirklich fußballverrückten Großmutter zu reden, und sagte zu ihr: ‚Leih ihn mir für eine Weile aus.‘ Sie wollte ihn nämlich auf dem Platz sehen und hatte mich schon oft gebeten, ihm eine Chance zu geben. Immer wieder erzählte sie mir vom Talent des kleinen Mannes. Doch die Mutter oder die Tante, das weiß ich nicht mehr so genau, wollten nicht, dass er spielt: ‚Er ist so klein, und die anderen sind so riesig.‘ Um sie zu beruhigen, versprach ich: ‚Ich stelle ihn hier hin, und wenn sie auf ihn losgehen, werde ich das Spiel unterbrechen und ihn wieder vom Platz nehmen.‘“ So jedenfalls lautet Señor Aparicios Version der Geschichte. Die Familie Messi-Cuccittini stellt die Ereignisse etwas anders dar. „Celia brachte Apa dazu, ihn aufzustellen, als er einen Spieler zu wenig hatte. Dem Trainer schmeckte das nicht, weil er so klein war. Aber Großmutter bestand darauf und sagte: ‚Stell ihn auf, du wirst schon sehen, wie gut der kleine Junge spielt.‘ ‚Alles klar‘, entgegnete Apa, ‚aber ich stelle ihn in der Nähe der Seitenlinie auf. Wenn er heult, kannst du ihn selbst wieder herunternehmen.‘“ Über das, was dann geschah, sind sich aber alle einig. Der alte Trainer dazu: „Nun denn, ich gab ihm das Trikot, und er zog es an. Der erste Ball kam in seine Richtung, er starrte ihm hinterher und … nichts.“ 17


Don Apa, wie er hier genannt wird, erhebt sich aus seinem Stuhl und imitiert Messis überraschten Gesichtsausdruck. Dann setzt er sich wieder und erklärt: „Er ist ein Linksfüßer. Deshalb hat er den Ball auch nicht angenommen.“ Apa fährt fort: „Der zweite kam auf seinen linken Fuß. Er nahm ihn an, ging am ersten Mann vorbei, dann am nächsten und am übernächsten. Ich rief: ‚Schieß, schieß!‘ Er hatte Angst, dass ihm jemand weh tun könnte, aber er lief weiter und weiter. Ich weiß nicht mehr, ob er ein Tor geschossen hat – so etwas hatte ich noch nie zuvor gesehen. Ich sagte mir: ‚Der da wird niemals ausgewechselt.‘ Und ich habe ihn auch nie heruntergenommen.“ Señor Aparicio verschwindet im Nebenraum und kommt mit einer Plastiktüte zurück. Er durchstöbert seine Lebenserinnerungen und findet schließlich das Foto, nach dem er gesucht hat: ein grüner Rasen und eine Kindermannschaft in roten Trikots. Genau vor dem deutlich jünger aussehenden Aparicio steht der Kleinste von allen: die weißen Hosen fast bis zu den Achseln gezogen, das Trikot viel zu groß, der Gesichtsausdruck sehr ernst, die Beinchen krumm. Es ist Lionel, und er sieht wie ein kleines Vögelchen aus – oder wie ein Floh, wie ihn sein Bruder Rodrigo gern nannte. „Er war Jahrgang ’87 und spielte in der 86er-Mannschaft. Er war der Jüngste und auch körperlich der Kleinste, aber er stach wirklich heraus. Dafür musste er einiges über sich ergehen lassen. Er war ein ganz besonderer Spieler und hatte ein übernatürliches Talent, er ist mit diesem Ballgefühl schon auf die Welt gekommen. Fuhren wir zu einem Spiel, kamen die Leute in Massen, um ihn zu sehen. Bekam er erst einmal den Ball, begann er sein Vernichtungswerk. Er war unglaublich, und keiner konnte ihn aufhalten. Er schoss vier oder fünf Tore pro Spiel. Gegen Club de Amanecer macht er eines, wie man es sonst nur in der Werbung sieht. Ich erinnere mich noch genau, wie er an allen, einschließlich Torwart, vorbeiging. Wie seine Spielweise war? Genau wie heute – frei. Wie er sich benahm? Er war ein ernsthaftes Kind und stand immer schweigend neben seiner Großmutter. Er hat sich nie beschwert. Tat man ihm weh, weinte er gelegentlich, aber er stand jedes Mal wieder auf und lief weiter. Deshalb gerate ich mit jedem in Streit, der behauptet, dass Leo zu eigennützig ist oder nichts Besonderes oder gierig, und verteidige ihn.“ Aus dem Zimmer nebenan ruft seine Frau. Señor Aparicio verschwindet kurz und kehrt mit weiteren Erinnerungen im Gepäck zurück. 18


Etwa an jenes Video, das er anscheinend nicht wiederfinden kann. Auf dem Band sind einige Spiele des Wunderkinds zu sehen. „Ich habe es immer den Kindern gezeigt, damit sie lernten, was man mit dem Ball am Fuß so alles anstellen kann.“ Oder daran, wie er Leo bei dessen erstem Besuch zu Hause nach seinem Wechsel nach Spanien besuchte. „Als die mich sahen, sind sie alle durchgedreht. Ich kam morgens, und als ich ging, war es ein Uhr nachts. Wir haben die ganze Zeit über den Fußball drüben in Spanien geplaudert.“ Oder wie einmal die Nachbarschaft zu Ehren Lionels eine Feier organisiert hatte. „Sie wollten am Grandoli-Platz eine Gedenktafel für ihn enthüllen. Am Ende konnte Leo doch nicht kommen. Er rief später an und sagte: ,Dankeschön, vielleicht nächstes Mal.‘“ Bei dem alten Fußballlehrer ist keine Spur von Bitterkeit zu spüren. Ganz im Gegenteil spricht er voller Liebe über den kleinen Jungen, den er vor so vielen Jahren trainierte. „Als ich sein erstes Tor im Trikot von Barcelona im Fernsehen sah, da musste ich weinen. Meine Tochter Genoveva, die im Zimmer nebenan war, fragte: ‚Was fehlt dir, Papa?‘ ‚Nichts‘, sagte ich. ‚Mit mir gehen bloß gerade die Gefühle durch.‘“ Aparicio holt ein weiteres Juwel aus seiner Plastiktüte. Noch ein Foto des kleinen, blonden Jungen mit zu großem Trikot und zu kurzen Beinen. Er hält einen Pokal in der Hand, den ersten, den er je gewonnen hat. Die Trophäe ist fast so groß wie der Junge selbst. Leo ist noch keine fünf Jahre alt, als er auf dem Grandoli-Platz bereits die ersten Tore und Erfolge genießt. Während seines zweiten Jahres hat er sogar das Glück, seinen Vater zum Trainer zu haben. Jorge nimmt das Angebot des Vorstandes an und betreut die 87er-Mannschaft. Sie spielen in der Afi, einem von vielen Wettbewerben in der Stadt. Und sie gewinnen alles: „Wirklich alles, alles: die Meisterschaft, Turniere, Freundschaftsspiele …“, erinnert sich Jorge Messi, eher stolzer Vater als stolzer Trainer, an die Zeit zurück. Außer dem Fußball gibt es noch die Schule. Leo geht auf die Schule Nummer 66 General Las Heras, in der Buenos Aires Nummer 4800. Auf dem Weg begleiten ihn entweder seine Mutter Celia, seine Tante Marcela oder die Nachbarin Silvia Arellano, Mutter seiner besten Freundin Cintia. Sie gehen quer über das offene Gelände oder laufen entlang der Fußballplätze der Kaserne des Fernmelde-Bataillons 121. In gut zehn Minuten ist das Schultor erreicht. 19


Geht man heute auf den Eingang zu, kann man die erste Klasse beim Malen beobachten. Zwei der Kinder tragen Messi-Trikots. Unter dem Dach eines riesigen Pavillons sind ein paar weiß gekleidete Kinder ganz in ein Fußballspiel vertieft. Es gibt zwar Tore, aber sie haben keinen Ball – also behelfen sie sich mit einer Kugel aus braunem Papier, das von Klebeband zusammengehalten wird. Die Kinder bewegen sich mit atemberaubendem Tempo und scheren sich nicht großartig um den scharfkantigen Boden aus grauem Schotter – sie schlagen Haken, täuschen an, dribbeln. Unter den Spielern befindet sich auch Leos Cousin Bruno Biancucchi. Er schwitzt stark, ist ganz rot geworden von seinem Einsatz, sein rabenschwarzes Haar schlägt ihm ins Gesicht, und er trägt einen weiß und pink gestreiften Ohrring. Seine Spielkameraden stellen schnell fest, dass er der Beste von ihnen ist. Die Presse hat Bruno schon eine Reihe von Artikeln gewidmet und preist ihn bereits als Leos Nachfolger. Seine Trainer sagen, dass er ein ausgezeichneter Dribbler ist und das gleiche Talent wie sein Cousin besitzt. Und er ist genauso schüchtern. Man kann ihm lediglich entlocken, dass er seinen Cousin um seinen Unternehmungsgeist beneidet und um seine Fähigkeit, Tore zu schießen. Auch Bruno ist Stürmer und will eines Tages das Trikot von Barça tragen. Um mich herum hat sich ein Kreis von Kindern gebildet. Alle wollen ihre Meinung über den Jungen loswerden, der bis vor wenigen Jahren auf ihre Schule ging. Der elfjährige Pablo hat überhaupt keinen Zweifel: „Er hat alles, was man braucht, um der Beste der Welt zu werden. Besser als Maradona. Am liebsten mag ich seine Geschwindigkeit, da ist er unglaublich.“ Eine Sache aber beschäftigt den neunjährigen Agustín wie viele seiner Landsmänner: „Maradona hat seine Karriere bei den Argentinos Juniors in Buenos Aires angefangen, und Messi … bei Barça.“ Keine Frage, das ist zu weit weg von hier. Auch die etwas verlegeneren Mädchen gesellen sich bald zu der Gruppe. Bei ihnen sind die Meinungen geteilt. Einige halten Leo für gutaussehend, anderen ist er zu klein. Es ist gerade Pause, und unter einem verwachsenen Stück Holz – einem uralten Baum – spielen die kleinen Schüler Fangen. Leo sprang gewöhnlich mit einem Papier- oder Plastikball unter dem riesigen Baumstamm hin und her. Seine schönsten Erinnerungen an jene Jahre sind genau diese Spiele mit allem, was ihm zwischen die Füße kam. Er gibt unumwunden zu, dass er den Unterricht nicht besonders mochte. 20


Mónica Dómina, seine Lehrerin von der ersten bis zur dritten Klasse, kann das nur bestätigen. „Nein, Leo war nicht besonders gut in der Schule, aber seine Leistung war auf akzeptablem Niveau. Am Anfang fiel ihm das Lesen schwer. Deshalb riet ich seiner Mutter, zu einem Sprachtherapeuten zu gehen. In anderen Fächern verbesserte er sich Schritt für Schritt, auch wenn er keine brillanten Ergebnisse erzielte. Er war ein schweigsames Kind, süß und schüchtern – einer der schüchternsten Schüler, die ich in meiner ganzen Laufbahn als Lehrerin je gesehen habe. Wenn man ihn nicht direkt ansprach, saß er still an seinem Tisch ganz hinten im Klassenzimmer. Er konkurrierte mit den älteren Kindern bei der Auswahl für Rosarios Schulturniere. Natürlich war er gut – er gewann reihenweise Pokale und Medaillen. Aber ich habe nie gehört, dass er damit herumgeprahlt hat, wie gut er spielte und wie viele Tore er schoss.“

21


Kapitel 36

Der fünfte Ballon d’Or 11. Januar 2016

Den Zuschauern im Camp Nou fährt der Schrecken in die Glieder. Es ist 16.03 Uhr am 26. September 2015, das Spiel gegen Las Palmas wurde soeben angepfiffen. Messi hatte bereits eine klare Torchance, jetzt aber liegt er, umringt von seinen besorgten Mitspielern, am Boden. Barças Teamarzt Ricard Pruna eilt herbei, um zu schauen, was passiert ist. Den Fans kommt es wie eine Ewigkeit vor, doch Leo bleibt nur wenige Sekunden unten, bevor er sich wieder aufrappelt. Falscher Alarm? Das Spiel läuft weiter, aber es ist nicht zu übersehen, dass etwas nicht stimmt. Sein linkes Knie bereitet ihm Probleme: Er kann nicht richtig am Spiel teilnehmen, und schließlich bleibt Luis Enrique nichts übrig, als ihn auszuwechseln und durch Munir El Haddadi zu ersetzen. Im Barça-Lager hofft man inständig, dass es nichts Ernstes ist, doch Leo spürt, dass er vielleicht eine ganze Weile ausfallen wird. „Mir war gleich klar, dass ich mich verletzt hatte. Das war nicht nur eine Lappalie, ich wusste, es war etwas Ernstes. Es fühlte sich anders an als andere Blessuren“, berichtet er später in einem Interview mit Yahoo. Wie sich herausstellt, hat er sich bei einem unglücklichen Zusammenstoß mit Verteidiger Pedro Bigas eine Muskelverletzung zugezogen. „Am Anfang befürchtet man immer das Schlimmste. Ich wusste, dass ich Geduld haben und auf die Diagnose warten müsste. Ich denke nicht, dass es mich allzu sehr getroffen hat. Ich musste es halt akzeptieren“, fährt er fort. Zum Glück ist keine Operation notwendig, nur Zeit für die Genesung. „Zunächst muss er sich ausruhen, und dann braucht er ein wenig Kinesiologie“, erläutert der Teamarzt der argentinischen Nationalmannschaft, Donato Villani, und fügt hinzu: „Leo ist so gestrickt, dass es ihn verrückt macht, wenn er nicht spielen kann. Daher weiß ich, dass er alles daransetzen wird, sich so schnell wie möglich zu erholen, denn er ist Profi durch und durch.“ Zwei große Fragezeichen hängen über seiner jüngsten Verletzung: Wird er rechtzeitig fit zum ersten Clásico der Saison gegen Real Madrid am 21. November? Und kann Barça in der Zwischenzeit ohne seinen Star bestehen? „Wir werden tun, was wir tun müssen“, beteuert der Trainer 270


auf einer Pressekonferenz. „Ein Spieler wie Leo Messi ist nicht zu ersetzen, aber falls Sie sich entsinnen, kamen wir in der Vorbereitung auch ohne ihn und ohne Neymar zurecht. Wir zogen unser gewohntes Spiel durch, nur eben mit anderen überragenden Spielern. Es ist eine große Herausforderung, sich auch ohne seinen Topstar an der Spitze zu behaupten, aber es ist eine reizvolle Aufgabe, und wir werden ihr gewachsen sein. Wir halten uns an das, was wir am besten können, nur mit anderen Spielern in der Führungsrolle.“ Luis Enrique weist darauf hin, dass Leo wegen der Copa América als einer der letzten Spieler ins Training eingestiegen war. Erst am 3. August, nur 20 Tage vor dem Saisonauftakt gegen Athletic Bilbao im Stadion San Mamés, kehrte er zurück, und der Trainingsrückstand ist ihm in der Partie deutlich anzumerken. Barça gewinnt 1:0, doch für ihn persönlich ist es ein Spiel zum Vergessen, und er vergibt sogar einen Elfmeter. Kein guter Tag. Nur eine Woche später ist die schwache Leistung abgehakt. Am 27. August erfährt er, dass sein Tor gegen Bayern München im Viertelfinale der Champions League – ein Chip über Torwart Manuel Neuer hinweg, nachdem er zuvor Jérôme Boateng vernaschte – von fast 40 Prozent der 200.000 User, die sich an der der offiziellen Online-Abstimmung der UEFA beteiligt hatten, zum schönsten des Jahres gewählt wurde. Cristiano Ronaldo wird Zweiter mit 24 Prozent für sein Tor gegen Liverpool an der Anfield Road. Den dritten Platz belegt der Waliser Aaron Ramsey vom FC Arsenal mit neun Prozent. Am gleichen Tag erhält Leo den Preis für den besten Spieler Europas, gewählt in einer Live-Umfrage unter Journalisten aus den 54 Mitgliedernationen der UEFA. Präsident Michel Platini überreicht ihm die Trophäe in Monaco im Anschluss an die Auslosung der Gruppenphase der Champions League 2015/16. „Ich bin sehr glücklich“, erklärt der strahlende Messi, als wäre es seine erste Auszeichnung. „Ich möchte meinen Mitspielern danken, denn sie hatten alle ihren Anteil daran – ohne sie wäre ich nicht hier. Es war ein überragendes Jahr. Ich weiß nicht, was unser Geheimnis ist, aber ich weiß, dass wir alles getan haben, um zu gewinnen, als geschlossene Einheit, in der sich alle voll und ganz vertrauen.“ 2015 hält in sportlicher Hinsicht reichlich schöne Momente für ihn parat, aber abseits des Platzes erlebt er Freuden, an die keine Trophäe, kein Preis, kein Tor oder Sieg heranreicht. Am 11. September bringt Antonella 271


den zweiten Sohn des Paars zur Welt, Mateo. Der Floh hat noch immer keinen Twitter-Account, also ist seinem Bruder Matías die Ehre vorbehalten, die gute Nachricht zu verbreiten: „Hallo zusammen, MATEO IST DA! Er ist bezaubernd. Weitere Details später, erst einmal freuen wir uns einfach!!! Danke euch allen!!!“ Antonella postet auf Instagram das erste Foto des Kleinen, eine Schwarzweißaufnahme der Hände von Mutter und Kind, dazu die goldige Zeile: „Willkommen mein kleiner Junge! Wir sind überglücklich, dich bei uns zu haben! Wir lieben dich! Papa, Thiagui und Mami #familyof4.“ Leo hat das Training sausen lassen, um bei der Geburt dabei zu sein, aber schon am nächsten Tag ist er wieder im Einsatz, um im Calderón gegen Atlético anzutreten. Zum ersten Mal seit dem Debakel im Anoeta sitzt er nur auf der Bank, aber diesmal liegt es zumindest nicht an einem Missverständnis mit dem Trainer. Er kommt in der letzten halben Stunde beim Stand von 1:1 aufs Feld, und plötzlich ist es ein ganz anderes Spiel. Atlético lässt sich von seiner Gegenwart einschüchtern, und 16 Minuten später erzielt er den Siegtreffer. Als Gruß an seinen Nachwuchs feiert er mit dem Daumen im Mund. Die nächsten Auftritte sind weit weniger erbaulich. In der Champions League kommen die Blaugrana im Gruppenspiel gegen AS Rom im Olympiastadion nicht über ein 1:1 hinaus. Kein Vergleich zu Leos Auftritt 2009 an gleicher Stätte, als er eine überragende Leistung zeigte, die in einem fulminanten Kopfball gegen Edwin van der Sar gipfelte und Cristiano Ronaldos Manchester United den Europapokal entriss. Bis heute sein liebstes Tor. Unterdessen läuft es auch in der Liga durchwachsen. Am 20. September schlagen die Katalanen Levante mit 4:1, auch dank zweier Treffer von Leo, der allerdings wieder einen Strafstoß verschießt. Seine Elfmeterbilanz ist eine seiner Schwachstellen: Er hat 15 von 65 vergeben. Das ist auch der Presse nicht entgangen, aber wie üblich stellt sich der Klub eisern hinter den Stürmer. „Leo Messi ist der beste Spieler der Welt“, sagt Barça-Präsident Josep Maria Bartomeu. „Er hat gespielt, wie er immer spielt, gedribbelt, gepasst, Tore geschossen … Dass er einen Elfmeter verschossen hat, fällt nicht ins Gewicht.“ Trainer Luis Enrique sieht es ähnlich: „Es ist ja nicht so, dass Messi ‚menschlicher‘ würde, weil er einen Elfmeter verschossen hat – er hat außerdem zweimal getroffen und ein Tor vorbereitet. Sehr wenig an ihm ist ‚menschlich‘.“ Damit ist die Lobeshymne des Trainers noch nicht beendet; als er gefragt wird, ob die 272


Nummer 10 der beste Spieler sei, den er je trainiert habe, zögert er keine Sekunde: „Der beste Spieler, den ich trainiert habe? Keine Frage. Messi ist nicht nur der beste der Welt. Er ist der beste aller Zeiten.“ Sechs Tage später ereilt ihn das Verletzungspech. In den Wochen darauf ist sein Name weiter in der Presse, aber aus Gründen, die nichts mit Fußball zu tun haben. Alles, was ihn oder seine Familie betrifft, ist eine Nachricht wert. Am 6. Oktober ist es sein Bruder Matías, der die Schlagzeilen bestimmt, nachdem er mit einer nicht registrierten Pistole Kaliber .22 im Auto erwischt wurde. Berichten in argentinischen Medien zufolge hatte er sich zunächst geweigert, bei einer Routineüberprüfung seines Audi A5 seine Papiere vorzuzeigen. Es kam zu einem kurzen Handgemenge, bei dem er und ein Polizist ein paar Kratzer und Prellungen davontrugen. Es ist so etwas wie ein Déjà-vu, denn schon 2008 war Matías in Rosario wegen unerlaubten Waffenbesitzes verhaftet worden. 2011 feuerten Unbekannte mehrere Schüsse auf das Haus seiner Familie im Viertel Saladillo ab. Dieser jüngste Zwischenfall bringt ihn erneut auf die Titelseiten. Am 12. Oktober taucht ein Foto von ihm auf, das ihn mit namhaften argentinischen Drogenhändlern zeigt, die zudem eingefleischte Newell’s-Fans sind. Da steht er, Seite an Seite, mit einem Flüchtigen und einem Mordverdächtigen. Matías gilt seit langem als das „schwarze Schaf“ der Familie Messi. Jorges und Celias Erstgeborener ist Manager von Rosarios bekanntem Fitnessstudio Casa Amarilla und betreibt die Bar seines Vaters, VIP. Doch trotz seines schicken Lebensstils scheint er in zwielichtigen Kreisen zu verkehren. Aber er ist nicht der Einzige in der Familie, den juristische Probleme plagen. Leos und Jorges Streit mit den spanischen Behörden wegen mutmaßlicher Steuervergehen ist weiterhin im Gange. Zwar glaubt die Anklage den Beteuerungen des Spielers, keine Kenntnisse von den Aktivitäten des Vaters gehabt zu haben, dennoch schaltet sich im Oktober die Steuerbehörde ein und verlangt, dass Leo sich persönlich vor Gericht verantwortet. Sollte er für schuldig befunden werden, drohen ihm bis zu 22 Monate Haft – trotz der mildernden Umstände, dass Leo sich geständig zeigte und die hinterzogenen Gelder bereits zurückgezahlt hat. Am 2. Juni, zwei Tage nach dem Beginn der Copa América Centenario, einer Sonderausgabe zum 100-jährigen Jubiläum der Südamerika-Meisterschaften, die in den USA ausgetragen wird, sitzen beide auf der Anklagebank. 273


Der Klub steht in dieser schwierigen Phase wie gewohnt voll hinter Messi. Im Lager der Katalanen ist man überzeugt, dass der Spieler durch unselige äußere Umstände, die vor langer Zeit ihren Anfang nahmen und von der Welt des Fußball völlig losgelöst sind, in die missliche Lage geraten ist. Die einzige gute Nachricht für Messi ist, dass der Fall um den angeblichen Betrug rund um seine Stiftung fallengelassen wird, nachdem er vom Verdacht freigesprochen wurde, in den Jahren 2012 und 2013 Benefizspiele in Lateinamerika zur Geldwäsche genutzt zu haben. Unterdessen sind es nur noch zehn Tage bis zum heiß erwarteten Duell mit Real Madrid. Leo setzt alles daran, rechtzeitig fit zu werden. Er will keine unnötigen Risiken eingehen, möchte aber auch nicht eines der wichtigsten Spiele des Jahres verpassen. Ohne den Argentinier hat seine Mannschaft in der Liga vier Siege eingefahren und einmal verloren, alle drei Spiele in der Champions League gewonnen und in der Copa del Rey ein 0:0 erreicht. Im Großen und Ganzen entwickeln sich die Dinge positiv, doch besteht kein Zweifel, dass er vermisst wird, wenngleich Luis Enrique nicht möchte, dass sich alles nur um ihn dreht: „Wir sind stärker mit Messi, keine Frage. Aber wir haben eine tolle Mannschaft und Spieler, die in die Bresche springen können. Jeder hat eine Schippe draufgelegt.“ Insgesamt haben sie 21 Tore in allen Wettbewerben erzielt, 18 davon durch Leos Sturmpartner Neymar und Luis Suárez. Trotzdem sehnt man die Wiedervereinigung des MSN-Dreigestirns herbei – dieser unaufhaltsamen Tormaschine, die auf und neben dem Platz noch immer perfekt harmoniert. „Ich weiß nicht, ob wir die Besten sind, aber wir machen einen ganz guten Job. Wir verstehen uns unheimlich gut, was gewiss hilft. Ich hoffe, dass wir noch viele Jahre so weitermachen“, erklärt Neymar gegenüber dem brasilianischen TV-Sender BeinSports. „Mit Suárez und Neymar zu spielen, ist etwas Besonderes, weil sie so hochkarätige Spieler sind und weil zwischen uns eine solche Chemie herrscht – das ist eine herrliche Sache“, sagt Leo in der Doku Mehr als ein Triple, die im gleichen Monat veröffentlicht wird und unbearbeitetes Material vom Floh und seinen Teamkollegen zeigt, die sich zur historischen Saison 2014/15 äußern. Am 21. November ist Messi wieder zurück auf dem Platz. Seine Beharrlichkeit hat sich bezahlt gemacht, er ist bereit, sich der Prüfung im Santiago Bernabéu zu stellen. Aber er lässt es locker angehen und kommt erst in der zweiten Halbzeit. Er ist der einzige aktuelle Spieler beider Mannschaften, 274


der in einem Clásico einen Dreierpack erzielen konnte – tatsächlich waren es sogar zwei: 2007 im Camp Nou und 2014 in Madrid. Diesmal trifft er zwar nicht, dafür kann er sich über einen klaren 4:0-Erfolg freuen. Das Team verteidigt seine Führung in der Meisterschaft; unterdessen erhält Leo eine weitere individuelle Auszeichnung: bester Spieler und bester Stürmer der Liga in der Saison 2014/15. „Ich widme diesen Preis meinem Sohn Thiago, der immer sauer ist, wenn ich das Haus verlasse, und fragt, ob ich ‚wieder zum Tor‘ gehe!“, sagt er, als er die Trophäe entgegennimmt. Messis Strahlkraft reicht weit über die Welt des Fußballs hinaus. Auch NBA-Star Stephen Curry ist ein Fan des kleinen Argentiniers: „Wir pflegen beide eine sehr kreative Spielweise. Ich versuche, hübsche Dinge mit meinen Händen anzustellen, so kreativ zu sein wie Messi. Ich liebe es, ihn spielen zu sehen.“ Zur Feier von Messis 30-millionstem Follower auf Instagram überreicht er ihm ein Trikot mit der 30, seiner Nummer bei den Golden State Warriors. Leo antwortet ihm über das gleiche Netzwerk und verspricht: „Wenn du die zehn Millionen vollmachst, schicke ich dir mein Trikot!“ Gesagt, getan: Vier Monate später lädt er ein an Curry gerichtetes Video mit der folgenden Mitteilung hoch: „Hallo Maestro @ stephencurry30, wie versprochen schicke ich dir hier mein Trikot mit der Nummer 10. Es ist mir eine Ehre, dir mein Trikot zu überreichen, und eine Freude, dir zuzuschauen. Ich hoffe, dich noch viele Jahre spielen sehen zu können, und wünsche dir allen erdenklichen Erfolg. Dicke Umarmung!“ Kurz vor Weihnachten wartet auf Barcelona noch eine letzte Herausforderung in diesem unvergesslichen Jahr 2015: die Klub-WM in Japan. „Sie ist ein wunderbarer Wettbewerb, einer meiner liebsten, zum einen, weil er so großartig ist, zum anderen aber auch, weil er uns daran erinnert, dass wir die Champions League gewonnen haben. Er gibt uns die Chance, das Jahr mit einem echten Highlight zu beschließen“, sagt Leo im Interview mit Fifa.com. „Unser Plan ist, den Titel zu holen und dann die Weihnachtsferien zu genießen, denn auch die Liga macht Pause. Es schien abwegig, auch nur daran zu denken, dass wir jemals das Jahr würden toppen können, in dem wir mit Guardiola alles gewonnen haben. Wir wussten nicht, ob wir in der Lage wären, das zu wiederholen, aber wir haben’s geschafft.“ Aber ist es wirklich das gleiche Barça wie damals? „Wir haben uns darauf verlegt, ein direkteres Spiel zu spielen, weniger Tiki-Taka. Wir 275


haben uns nicht von der Idee des Ballbesitzfußballs verabschiedet, das ist unser Markenzeichen und hat weiter Priorität: das Spiel zu kontrollieren und so viel Ballbesitz wie möglich zu haben. Aber wir haben unser Spiel um die Komponente ergänzt, sich über wenige Stationen Richtung gegnerisches Tor zu bewegen. Zuvor haben wir unsere Angriffe in einer weitaus aufwendigeren Weise vorgetragen.“ Und was ist mit Leo, hat auch er sich verändert? „Jeder entwickelt sich im Laufe der Zeit weiter, sowohl auf als auch neben dem Platz, man stellt sich auf veränderte Gegebenheiten ein. Wenngleich mein Stil im Wesentlichen gleich geblieben ist, habe ich mein Spiel in den letzten Jahren um einige neue Elemente ergänzt.“ Barcelona startet am 17. Dezember mit dem Halbfinale gegen den chinesischen Vertreter Guangzhou ins Turnier, das sie dank eines Dreierpacks von Suárez mit 3:0 gewinnen. Messi versäumt das Schützenfest, denn er muss wegen einer Nierenkolik das Bett hüten. Rechtzeitig zum Finale gegen River Plate drei Tage später meldet er sich aber wieder zurück. Es ist das zweite Mal in seiner Karriere, dass er in diesem Wettbewerb auf einen argentinischen Klub trifft – zuvor war es Estudiantes im Finale der Klub-WM 2009. „River Plate ist eine hervorragende Mannschaft, die es mit jeder anderen auf der Welt aufnehmen kann. Ich glaube, das wird ein schönes Spiel.“ Damit behält er recht, woran er persönlich großen Anteil hat. Er eröffnet den Torreigen in der 36. Minute, als er ein Zuspiel von Neymar mit dem linken Außenrist zum 1:0 verwandelt. Zwei Treffer von Suárez in der zweiten Halbzeit sorgen für ein am Ende klares 3:0, und Barça krönt sich zum erfolgreichsten Verein in der Geschichte des Wettbewerbs. Leider endet die Reise mit einem Wermutstropfen: Am Flughafen Tokio Narita wird Leo von River-Plate-Fans wüst beschimpft. Er will ihnen entgegentreten, doch Trainer und Mitspieler schreiten ein, um die Situation zu entschärfen. Dass er nach seinem Treffer entschuldigend die Hand hob, hat seine Landsleute offenbar nicht besänftigen können. Nach der Klub-WM steht die Weihnachtspause an, anschließend am 11. Januar 2016 die Verleihung des FIFA Ballon d’Or in Zürich. Nachdem er in den letzten beiden Jahren seinem Rivalen Cristiano Ronaldo den Vortritt lassen musste, ist Messi diesmal der Favorit, die Trophäe zum fünften Mal zu gewinnen. „Ich bin nicht überrascht, hier zu sein, aber Leo hat die Nase vorn, denn sein Team hat alle Titel geholt“, räumt der Portugiese auf der Pressekonferenz vor der Veranstaltung ein. Seitdem sie sich bei 276


der Gala im Vorjahr begegnet sind, kommen die beiden Superstars besser miteinander zurecht. Die Anspannung von früher ist verflogen. Als CR7 gefragt wird, welche der Fähigkeiten des Argentiniers er gerne hätte, wenn er es sich aussuchen könnte, scherzt er: „Sein linker Fuß ist nicht schlecht. Vermutlich etwas besser als meiner.“ Beide grinsen. Und wie um letzte Zweifel zu vertreiben, fügt der Argentinier hinzu: „Wir hatten immer ein gutes Verhältnis. Wir sind Kollegen, nur haben wir keinen täglichen Kontakt, weil wir für verschiedene Klubs spielen. Aber es herrscht seit jeher Respekt und Bewunderung auf beiden Seiten.“ Während der Zeremonie sitzen sie nebeneinander, und es ist keine Überraschung, noch gibt es negative Reaktionen, als Leo als Sieger verkündet wird. Der Argentinier holt 41 Prozent der Stimmen, Cristiano 27 und Neymar 7. In einem wesentlich dezenteren Anzug als bei früheren Gelegenheiten betritt er die Bühne, um die Trophäe von Kaká, dem Preisträger des Jahres 2007, entgegenzunehmen. Leo hat die schrillen Outfits von Dolce & Gabbana gegen einen klassischen Zwirn von Armani eingetauscht – ein reiferer Look, ganz wie auf dem Platz. „Weil ich nervös und aufgeregt bin, fällt es mir schwer, vor so vielen Leuten zu sprechen. Es ist etwas ganz besonderen, diesen Preis erneut in Händen halten zu dürfen, insbesondere da Cristiano ihn in den letzten beiden Jahren gewonnen hat“, sagt er, die Trophäe umklammernd. „Kaum zu glauben, dass dies bereits meine fünfte ist, das ist viel mehr, als ich mir als Kind je erträumt hätte.“ Dann ist es an der Zeit für ein paar Danksagungen: „Ich möchte allen danken, die für mich gestimmt haben, außerdem meinen Teamkollegen, denn wie ich immer wieder betone, wäre dies ohne sie nicht möglich. Ich möchte dem Fußball generell danken für alles, was zu erleben er mir ermöglicht hat – die guten wie die schlechten Zeiten, denn beide haben mir geholfen zu wachsen.“ Er hat den Preis nun fünfmal gewonnen: 2009, 2010, 2011, 2012 und 2015 – öfter als jeder andere Spieler und öfter, als man einem einzelnen Spieler je zugetraut hätte. Aber Leo gibt offen zu, dass es etwas gibt, das ihn noch immer bekümmert: „Ich würde fünf Ballon d’Ors dafür eintauschen, einmal die WM zu gewinnen. Ganz klar. Titel mit der Mannschaft sind viel wichtiger, und die WM ist für jeden Spieler das Größte.“

277


Lionel Messi ist bereits jetzt eine Legende. Mit seiner unglaublichen Technik und Spielfreude begeistert er Fußballfans in aller Welt und feiert unzählige Titel und Rekorde. Zweifellos ist er

einer der besten Spieler, die der Fußball je hervorgebracht hat. Dieses Buch erzählt seine Geschichte: von der Kindheit in Argentinien über die Jugend an der Fußballakademie in Spanien bis hin zu den großen Erfolgen mit dem FC Barcelona. Interviews mit Messis Familie, ehemaligen Trainern, Mannschaftskollegen und Gegenspielern zeichnen darüber hinaus ein ganz persönliches Bild dieses außergewöhnlichen Fußballers. Ein spannendes und aufschlussreiches Buch über den Mann, der zu Recht als Nachfolger von Pelé und Maradona gilt.

„Ich habe niemals einen Spieler wie ihn gesehen. Einmal werde ich meinen Enkeln erzählen können, dass ich Leo Messi trainiert habe.“ (Pep Guardiola)

6., AKTUALISIERTE AUFLAGE ISBN 978-3-89533-746-8 VERLAG DIE WERKSTATT


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.