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#1 Fuck oFf Rhododendron
Fuck oFf Rhododendron
Mut & Demut
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von Dieter Sieg
Schottlandreisender und Fotograf
Torridon Estate
Schottland
Fuck off Rhododendron
Ein paar Tage frei, ein paar Tage raus. Ich lande in Glasgow und fahre die N500 nach Torridon. Im Blick das Meer, die Flüsse, die Seen, die Highlands, den Himmel. Und Rhododendren. Rhododendren überall.
Ich erreiche Torridon Estate, bin zu Gast bei Felix und Sarah. Bei Abenteurern, die weg sind aus Deutschland, bin Gast bei Menschen mit Mut, Anmut, Demut. 2015 haben sie das Estate gekauft. 15 Hektar Land, ein Landsitz, drei kleine Cottages und das Ganze zusammen in einer waldartigen Parkanlage. Alles von Grund auf zu sanieren und zu erhalten – eine Lebensaufgabe, die Arbeit hat gerade erst begonnen und geht nicht aus.
Felix und Sarah glauben an Tradition: tradition with heart and vision. Sie setzen alles daran, den ursprünglichen Look ihres Estates zu erhalten. Sie sanieren, förstern und gärtnern behutsam.
Der Rhododendron ponticum, wie er mit vollem Namen heißt, wurde inzwischen zum „Staatsfeind No. 1“ erklärt.
Das Ende. Oder zumindest sein Anfang...
Ich frage Felix aus. Warum Schottland, warum Torridon und wo zum Teufel kommen die ganzen Rhododendren her?
„Aus Spanien, 1763.“ Damals waren sie das Nonplusultra für die Gestaltung weitläufiger Parkanlagen, der Adel hat die Dinger geliebt, sagt Felix. „Dann wuchs das Zeug wie Unkraut, wucherte überall und tut es bis heute. Heimische Pflanzen werden erstickt.“
Schottischer Boden, saurer Boden – perfekt für Rhododendren. Schöne Blüten denke ich, klar, aber auch ganz schön scheiße. „Andererseits“, sagt Felix, „beim rhody bashing gehts dann richtig ab.“ Weil die schottischen Förster die Situation kaum noch in den Griff kriegen, packen die Locals ein Mal im Jahr mit an und schreddern die Rhododendren kurz und klein. Umweltschutz mit Astschere, Hacke, Spaten.
Dann ein kräftiger Schluck aus der Pulle, Musik und Haggis mit Neeps und Tatties – Steckrüben und Kartoffeln. „Die geschredderten Rhododendren wären eigentlich perfekt für eine Kompostheizung, so einen kleinen Biomeiler könnten wir hier schnell realisieren und die Verrottungswärme effizient nutzen.“ Felix tüftelt weiter an einer Lösung, gibt sich nicht geschlagen. Ja, denke ich, so Leute braucht die Welt.
LASS’ DIR WAS EINFALLEN. DU BIST SCHON GROß.
Und fällt dir nichts ein, geh’ erstmal um den Block. Um den Block gehen, das heißt hier in Torridon: Wandern, klettern und sich ablegen beim leuchtgelben Ginster am See; das heißt losziehen, lernen und den Schatten seltener Kiefern genießen; das heißt, in den Himmel gucken, in die Wolken fallen und alles abwerfen, um neu zu denken, neu zu sehen.
Ich nehme meinen Rucksack, verschwinde in der Landschaft, breche auf in die Torridon Hills zum Liathach dem „Grauen“, 1055 Meter hoch und als Munro ausgewiesen. Wolkenschatten wischen über Gipfel und Senken, Konturen changieren, die Sonne hat Saft, ich will weiter und will es nicht, will im nächsten Leben ein Munro sein.
www.torridonestate.com
Munro werden die Berge in Schottland genannt, die höher als 3000 ft (914,4 m) sind und deren Berggipfel eine „Eigenständigkeit“ aufweisen.
Genauer definiert ist diese Eigenständigkeit jedoch nicht.
All Inclusive macht die Natur krank.
Der National Trust of Scotland bewahrt die Kultur- und Naturdenkmäler der Schotten, die Kathedralen und Burgen, die Munros und die Küsten und nicht zuletzt historische Parkanlagen wie Inverewe Garden, einer der nördlichsten botanischen Gärten weltweit. Ich staune über Eukalyptusbäume, den Blumengarten, exotische Palmen und riesige hymalaische Rhododendren.
Kein Unkraut diesmal, diesmal perfekt gepflegte Pracht. Der Golfstrom trägt dazu bei, liegt Inverewe Garden doch auf einer Höhe mit der kanadischen Hudson Bay, wo sich Eisbär und Polarfuchs an kargen Ufern gute Nacht sagen.
Zurück nach Torridon geht es vorbei an rauen Felsen, von Moos und Flechten überwachsen. Ich treffe Felix und Sarah, sie grüßen und laden mich ein, wir haben eine gute Zeit, sitzen am Kamin, kommen ins Plaudern, ich erzähle meinen Tag, Felix nickt, er schaut ins Feuer, wirkt nachdenklich, wird ernst.
„Reisen weitet den Blick, ist aber eine Frage der Einstellung.“ Felix glaubt an sanften Tourismus, an ein einfaches Leben. „All inclusive macht mich krank, all inclusive macht die Natur krank. Mit viel Ressourcen-Aufwand fixe Reisepakete schnüren, die Leute in Bussen und Flugzeugen durch die Gegend karren und Personal von links nach rechts scheuchen – das führt ins Nichts, das passt hier nicht her, das wäre das Ende.“ Er schildert den Zusammenhalt in Torridon, spricht über die Nachbarschaft im Distrikt, enge Freundschaften und dass es nur miteinander geht. Miteinander und mit der Natur.
Wir trinken darauf, dass Klimaschutz im Kleinen beginnt, trinken auf den Regen, den Wind und den Schnee, darauf dass Schottland bitte niemals zur sonnigen Riviera wird und dass Italien die Zitronenblüte gerne behalten kann.
Torridon House Entrance
Inverewe Gardens
Story: Dieter Sieg PHOTOgraphy: Dieter Sieg
wesuell.de
Blick nach Torridon