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Am Anfang war die Erdbeere
Zusammenhalt
von Dieter Sieg
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Landbewohner und Fotograf



Heike Stute
1995: Die Landwirte Friedrich und Sabine Freymuth, Heiner und Heike Stute, Otto und Elke Thieße schließen sich zusammen, um neue Wege zu gehen.
Ackerbau und Viehzucht, aber anders: Hof plus Hofladen. Nähe, Frische, Qualität; Erdbeeren, Eier, Rindfleisch, grüner Spargel. Und noch mehr und immer weiter. Alles konventionell hergestellt, aber Qualität wie Bio, Ehrensache. Jetzt schon in der nächsten Generation. Hendrik und Henrike Brodthage: „Das ist hier etwas ganz Besonderes.“
STRY: Weißen Spargel habt ihr nicht. Schweine habt ihr nicht. Für einen Hof in Niedersachsen irgendwie komisch, oder?
„Mitte der 90er hatten wir von allem etwas, auch Schweine, so wie fast alle in der Region“, sagt Heike Stute, „dann haben wir uns gefragt, was wir sonst noch machen können – und was es noch nicht gibt. Das mit den Erdbeeren war eine Herzensangelegenheit.“


„In den Tunneln entwickelt sich ein eigenes Mikroklima, den Pflanzen tut das gut und auch geschmacklich ist alles top – wie eh und je“.
Heiner Stute lacht, schüttelt den Kopf: „Aber wir waren völlig blauäugig, haben einfach losgelegt – direkt auf 2500 m². Bewässerung per Feuerwehrschlauch, gegen den Löwenzahn keine Fräse, alles mit der Hand. Schinderei!“
STRY: Das Dorf hat zugeguckt und euch für bekloppt gehalten?
„Von wegen“, sagt Heiner, „das ist hier anders. Das ganze Dorf hat uns geholfen, ohne die Nachbarn hätten wir das niemals geschafft. Dafür sind wir dankbar, noch heute.“
Heike erinnert sich an die ersten Erdbeerfeste: „Da hatten wir alle rote T-Shirts an, haben nach harten Tagen am Lagerfeuer gesessen und Bier getrunken. Eine gute Zeit. Und was man nicht vergessen darf: Die Pflückerei hat vielen nebenher die Haushaltskasse aufgebessert. Also alles keine Spielerei. Es ging auch um was! Und es ging nach vorn, für alle.“

STRY: Und der Hofladen? Kommt man sich da mit so vielen Teilhabern nicht in die Quere?
„Wir beraten uns und jeder weiß, was der andere braucht. Liegt außer der Reihe etwas an, ist man ganz selbstverständlich zur Stelle. Wichtig: Wir alle haben keine Angst vor Arbeit“, erklärt Heike. Und Heiner sagt: „Man muss auch mal in Vorleistung gehen, nicht jeden Handschlag aufrechnen, muss gönnen können. Das ist eine Grundeinstellung bei uns allen.“
Hendrik Brodthage
„Bei uns gibt’s die Erdbeeren jetzt früher und länger.“

Plötzlich steht Otto Thieße in der Tür. Landwirt, Nachbar und Freund seit Kindertagen. Hat seinen Hof direkt neben dem Erdbeerfeld. Ottos Steckenpferd ist die Mutterkuhhaltung. Das Fleisch gibt’s im Hofladen. Langsam gewachsen. Eben wie Bio.
„Jaja, die Erdbeeren“, sagt er, „auch extrem viele Selbstpflücker am Anfang. Das ganze Feld voll, überall Autos. Da hab ich gesagt, das geht so nicht weiter, da müssen wir was machen. Und alle so: Hofladen! Aber nicht nur für Erdbeeren. Die Idee war damals noch ganz neu. Fanden auch manche komisch. Schnell waren wir für einige nur noch die Kolchose Rote Rübe. Hofladen – da haben die gelacht! Dabei hatten wir ja erstmal nur einen kleinen Verkaufswagen vor der Scheune von den Freymuths. Wenn da abends 50 Mark in der Kasse waren, haben wir uns gefreut. Das war was!“
STRY: Otto, wie viele Rinder hast du jetzt?
„So ungefähr 60 Mutterkühe Mutterkuh plus Kalb müssen auf 5000 m² laufen, das ist Vorschrift. Da muss ich schon fit sein, wenn ich den Kontrollgang mache. Nur die Leckerlis darf ich nicht vergessen, das macht den Umgang einfacher. Rinder auf der Wiese sind wild, nicht so wie die im Kuhstall, da muss ich auf zack sein.“
Hendrik Brodthage
STRY: Aber Milch gibt’s nicht im Hofladen. Warum nicht?

„Milchkühe abgeschafft“, sagt Otto, „schon lange. Alle immer zu mir: Otto, das muss größer. Otto, mehr Kühe. Otto, neue Melkanlage. Und ich so: Nö!“
Mittlerweile hat es auch Elke Thieße zum Interview geschafft. Auch das Hofleben geht nicht ohne To-Do-Listen und Prioritäten.
STRY: Wenigstens gibt’s Spargel!
„Grüner Spargel“, sagt Elke stolz, „den gab es in der Region damals gar nicht, ist jetzt aber etabliert. So beliebt, den gibt’s nicht nur im Hofladen, sondern auch im Supermarkt, selbst in Schwarmstedt und Nienburg.“
STRY: Elke, du verkaufst hier nicht nur, du kochst auch.
Elke betont die Hausmacher Art: „Im Hofladen gibt es Rouladen, Hochzeitssuppe, Gulasch und Saisonales. Aber die Idee dazu hatten eigentlich unsere Kunden. Nichts leichter als das! Kommt alles gut an.“
STRY: Was würdet ihr hier nie machen, nie anbieten?
„Wir wollen nur gute Produkte verkaufen“, sagt Elke, „kein Schickimicki, keine Deko, kein Tüttelkram. Überhaupt: Es soll hier aussehen wie bei Oma im Vorratskeller und Schluss. Im Mittelpunkt sehr gute Produkte. Am besten die, die wir selbst hergestellt haben, zu fairen Preisen für alle Seiten.“




Dorf und Familie – in Wendenbostel einfach was ganZ Besonderes.
Ganz ruhig waren bisher Friedrich Freymut und seine Frau Sabine, die Finanzminister der Hofladen GbR. „Finanzen – trockenes Thema. Im Herzen bin ich ja eher Ackerbauer“, sagt Friedrich.
„Rauf auf den Trecker und los. Wenn alles aus der Erde kommt, das ist so klasse. Aber wenn auf dem Acker gleichzeitig 1000 Weißkohlköpfe hochkommen und du kannst im Hofladen nur 80 Stück verkaufen bevor der Rest auf dem Feld vergammelt und du alles wieder unterpflügen musst, dann ist das verdammt frustrierend. Sabine hat uns dann immer die ernüchternden Zahlen hingelegt.“
Sabine schmunzelt: „Ja nun… heute kaufen wir Kohl in erstklassiger Qualität zu. Ist einfach besser zu kalkulieren und macht für uns am meisten Sinn.“
STRY: Viele harte Entscheidungen musstet ihr treffen. Jetzt überlasst ihr das der nächsten Generation. Schwierig?
„Naja“, sagt Sabine, „es sind sanfte Übergänge.“ Alle nicken. Next Generation. Hendrik und Henrike Stuhte, Landwirte mit Herz, mit Studium, neuen Ideen. Eine dieser Ideen: Erdbeer-Tunnel. In den Tunneln entwickelt sich ein eigenes Mikroklima, den Pflanzen tut das gut und geschmacklich alles top – wie eh und je“, sagt Hendrik. Henrike nickt: „Und wir sind sicher nicht angetreten, um jetzt hier alles umzuschmeißen. Wir bleiben zum Beispiel bei unserer angestammten Erdbeer-Sorte. Süß und besonders. Nicht so robust für lange Lagerung, aber die robusten, nicht ganz so süßen, ganz so besonderen Erdbeeren gibt es ja auch schon: In jedem Supermarkt. Aber wir sind ja Hofladen und so soll es auch schmecken.“
STRY: Ihr habt ja auch noch einige Geschwister und Beteiligte in den Familien, wie kommen die damit klar, dass gerade ihr die Nachfolger seid?
„Viel reden“, sagt Henrike, „über alles, auch Geld, Zuständigkeiten und so weiter.“ Hendrik ist dankbar für die breite Unterstützung: „Wir haben so viele gute Tipps und Ratschläge bekommen. Das Dorf und die Familie, das ist hier in Wendenborstel einfach etwas ganz Besonderes. Zuletzt sind wir sogar vom Bauernverband angesprochen worden, ob wir nicht anderen beibringen könnten, wie eine Hofladen GbR so lange und so erfolgreich funktionieren kann.“
Story: Dieter Sieg PHOTOgraphy: Dieter Sieg


Friedrich „Fritze“ Freymuth (links) und Heiner Stute
Sabine Freymuth und Otto Thieße (unten links)







„Im Hofladen gibt es Rouladen, Hochzeitssuppe, Gulasch und Saisonales. Aber die Idee dazu hatten eigentlich unsere Kunden. Nichts leichter als das! Kommt alles gut an.“
Elke Thieße
„Man ist hier Teil von etwas, das größer ist als man selbst, und wir werden sehen, was die Zukunft bringt!“


„Talent, Das ist Glaube an sich selbst, an die eigene Kraft.“
Maxim Gorki eigentlich Alexei Maximowitsch Peschkow russischer Schriftsteller (1868 –1936)
Seit Jahren machen wir in Dänemark Urlaub. Nordseeseite, Hennestrand, nördlich von Blavand, südlich vom Rinkøbing-Fjord.
Irgendwann begannen unsere Kinder damit, am Strand flache Steine zu sammeln und sie zu bemalen – Sonne, Fische, Dänemarkflagge, Boote, Leuchttürme, manchmal auch Monster und Ritter – und sie dann vor unserem Haus an der Straße unserer Ferienhaussiedlung zu verkaufen. Auf einem Stuhl oder Hocker wurde die kleine Steinesammlung in einer Kiste präsentiert, kleine Steine 2 Kronen, große 5 und ganz besondere 10. Am Abend lagen dann oft einige Münzen auf einer Untertasse im Verkaufsstand und ein paar Steine waren weg. Und die Kinder stolz.
Am nächsten Tag haben sie sich dann immer im Ishuset ein Eis vom selbstverdienten Geld gekauft. Selbst verdient, selbst was von gekauft!
Heute sind unsere Jungs 17 und 20 Jahre alt. Sie sammeln keine Steine mehr und bemalen sie auch nicht. Und wie es aussieht, wollen sie auch nicht mehr mit uns in Urlaub verreisen. Sie machen jetzt ihre eigenen Sachen.

Vielleicht nehmen sie uns ja später mal mit, wenn sie eigene Kinder haben und nach Dänemark wollen. Oder woanders hin, wo man Steine sammeln und bemalen kann. Dann kaufe ich wieder welche am Straßenrand. Story: Bernd Rother Photography: Bernd Rother