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Samstagnacht bei Burger King

Sicherheit

von André Moch

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Nachtschwärmer & Texter

6 Stunden am langweiligsten Ort der Welt Samstagnacht bei Burger King

Prolog:

Hamburg, Reeperbahn, das Jahr 2006. Samstagnacht, Zeit für Burger. Der Laden ist voll, 30 Minuten anstehen, der Müll liegt kniehoch, alles klebt. Kein Platz mehr frei, wir schlingen im Stehen. Jemand beatboxt. Leute klettern auf Tische, elektrische Luft. Schluckt, schluckt, sagt ein Freund, zum Kauen ist keine Zeit. Sparticket, Zugbindung. Dann liegt er am Boden. Tabletts fliegen. Laute Schreie. Fäuste. Reizgas. Die Fresse brennt. Sprung hinter den Kassentresen. Wir scheißen uns in die Hose, haben Hauen nie gelernt, haben Bürojobs. Reeperbahn: Wir wollten doch nur mal gucken und plötzlich der ganze Laden kaputt und Gesichter kaputt und wir aber am Ende glücklich raus. Es war das Chaos, aber es war was. Appetite for destruction. Lust for life. Wir waren dabei und wir waren am Leben.

Hannover, 2018:

Mitternacht, Samstagnacht. Vollmond. Sodbrennen. Unten auf der Straße grölen Leute. Ich wasche meine Haare, suche meine Hose, gehe runter, werde angepöbelt.

Ich latsche zur Stadtbahn. Rolltreppe kaputt, jemand pisst in den Fahrstuhl, ich nehme das Treppenhaus. Es ist eng und dunkel. Ich hätte ein Taxi nehmen sollen. Stelle mir vor, wie mich jemand absticht. Stelle mir vor, wie ich stürze. Stelle mir vor, wie mein Kopf zerplatzt. Stelle mich an den Bahnsteig.

Warte auf die Bahn. Ich warte mit Anton und Lena. Anton und Lena sind jung und schön und schlank und ihre Haare glänzen und sie sind sehr betrunken und sie schreien sich gegenseitig an und Lena will den Anton nicht mehr. Es ist aus, sagt Lena, und Anton schluchzt und weint und es bricht ihm das Herz und mir.

Als die Bahn kommt, sind sie weg. Ich steige ein, zwei alte Frauen starren mich an, ich starre zurück, gucke genau: Es sind junge Männer, mager, keine Zähne. Einer hat sich einen verlumpten Teppich um die Schultern geschlagen, der andere trägt sein Resthaar wie ein keckes Hütchen. Crystal Meth ist keine Lösung.

Hauptbahnhof, ich steige aus, stehe in Kotze und Scherben. Eine Polizistin kniet über einer jungen Frau, Leute kommen vorbei, machen Fotos oder wanken mit letzter Kraft zum Aufgang und weiter zur Back-Factory und sie stöhnen heiser und sie tragen Trikots von Hannover 96 und dann stolpert jemand und ein Bein fällt ihm ab.

Ich stelle mich vor den Burger King, gucke Leute an. Es ist 1 Uhr. Ich gehe eine Runde, alle tippen ins Smartphone, ich gehe noch eine Runde, alle Displays gesplittert, ich gehe noch eine Runde, Instagram ist das neue Facebook. Instagram gehört Facebook. Zuckerberg ist schon clever, aber er wohnt verdammt weit weg von hier.

Vor dem Burger King Eingang steht Burger King Security. Im Burger King putzen Burger King Putzkräfte. Ein Burger King Sozialarbeiter weist Tische zu, räumt Müll weg, bringt Servietten, weckt Leute auf. Freundinnen fummeln sich gegenseitig Gurke aus dem Haar, jemand hat ihnen Rosen gekauft, der Burger King Sozialarbeiter zeigt den Waschraum, bewacht die Blumen, Adel verpflichtet. Ich hole mir Kaffee, ich kriege einen großen Tisch. Alle reden von Achtsamkeit. Hier ist sie wirklich geworden. In der ganzen Stadt Elend, ich sitze im Spa. Die Putztruppe wischt den kompletten Laden, ich nehme die Füße hoch.

2 Uhr. Im Burger King läuft Ed Sheeran, manchmal Joris. Drehen Halbstarke ihren BluetoothLautsprecher auf, kommt einer von der Burger King Security. Labern Halbstarke laut los: Burger King Security. Nehmen die Halbstarken für den Wischmopp die Füße nicht hoch: Burger King Security.

3 Uhr. Sodbrennen. Ich beobachte vier Typen. Geht schief. Sie winken, setzen sich zu mir. Es sind die langweiligsten Menschen der Welt, sie fragen die langweiligsten Fragen der Welt. Sie kommen aus Bremen, sie finden Hannover schön, sie finden Burger King lecker. Der ganze Laden wird gewischt, wir müssen die Füße hochnehmen. Ich erzähle von 2006, einer wird nervös, will sofort los. Glück gehabt.

4 Uhr. Anton und Lena. Sie holen sich Shakes, sie setzen sich, sie küssen. Love hurts. Aber jetzt nicht mehr. Burger King. Der ganze Laden wird gewischt, sie nehmen die Füße hoch.

5 Uhr, jetzt ganz anderes Publikum. Traurige Männer mit kleinen Rollkoffern, frisch verlassen. Eine Reisegruppe Ü70, die Damen exzellent frisiert. Hier fliegt heute kein Tablett, hier kotzt heute keiner mehr. Burger King. Der ganze Laden wird gewischt.

6 Uhr. Ich stehe auf, gehe raus, drehe eine Runde. Partyvolk macht Selfies mit Polizisten. Burger King. Drinnen wischt jemand.

7 Uhr. Hole frische Brötchen vom Bäcker. Alles ein Witz. Gehe nochmal zurück. Die Security macht Feierabend. Fühle mich alt, stelle mich vor den Eingang.

Natürlich wird gewischt, ich mache ein Foto. Kein Sodbrennen mehr. Der Burger King Sozialarbeiter nickt mir zu, lächelt, zeigt beide Daumen hoch.

So sehen Sieger aus.

Story: André Moch Photography: André Moch

STRY ist ein Gemeinschaftsprojekt von André Moch, Bernd Rother, Dieter Sieg und David Schwarzfeld. STRY erscheint als digitales Magazin unregelmäßig 2-3x/Jahr.

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Veröffentlichung im Oktober 2018 © Moch, Rother, Sieg, Schwarzfeld 2018

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