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Blickpunkt: Antonín Dvořák
Die Tschechische Philharmonie widmet sich unter der Leitung ihres Chefdirigenten Semyon Bychkov an zwei Konzertabenden Werken von Antonín Dvořák, einem Komponisten, der eng mit der Entstehungsgeschichte des Orchesters verbunden ist
VON HARTMUT SCHICK
Er wird wechselweise als »der böhmische Brahms« oder als tschechischer Nationalkomponist charakterisiert. Beides wird dem 1841 geborenen Antonín Dvořák kaum gerecht: Zum einen sahen und sehen die Tschechen selber weit mehr in Bedřich Smetana ihren Nationalkomponisten als in dem stilistisch eher international ausgerichteten Dvořák, zum anderen unterscheidet diesen von Brahms, den er verehrte und mit dem er befreundet war, dass er sich zeitlebens ganz wesentlich als Opernkomponist verstand und auch eine ganze Reihe von symphonischen Dichtungen schrieb – also Programmmusik, wie sie von der Gegenpartei, den »Neudeutschen« um Franz Liszt, Richard Wagner und Richard Strauss propagiert, von Johannes Brahms, Eduard Hanslick und ihren Anhängern aber vehement abgelehnt wurde.
Wie Brahms hat sich Dvořák mit seinen Orchesterwerken und seiner Kammermusik in den Konzertsälen der Welt längst durchgesetzt. Selten freilich werden ganze Konzerte mit seiner Musik bestritten, wie an den beiden Abenden im Wiener Konzerthaus am 10. und 11. März 2024 mit der Tschechischen Philharmonie unter der Leitung von Semyon Bychkov: die Konzertouverturen »In der Natur« und »Karneval«, das Klavierkonzert und das Violinkonzert sowie die letzten beiden Symphonien, die Achte und die Neunte, Dvořáks Gruß »Aus der Neuen Welt«. Überwiegend etablierte Hauptwerke des reifen Komponisten sind das. Eigenartigerweise immer noch nicht im Repertoire verankert und vielen Konzertgänger:innen ganz unbekannt ist freilich das Klavierkonzert g-moll op. 33, obwohl insbesondere Sir András Schiff sich für dieses Werk, das er über alles schätzt, seit langem engagiert.
Weshalb steht dieses Klavierkonzert, obwohl es mit wunderschönen Themen aufwartet und exquisit instrumentiert ist, bis heute so im Schatten?
Komponiert hat Dvořák es 1876, drei Jahre vor seinem internationalen Durchbruch mit den »Slawischen Tänzen« und noch bevor er sich ein eigenes Klavier leisten konnte. Anders als Beethoven, Mendelssohn, Schumann, Liszt oder Brahms war er kein Klaviervirtuose, er war ausgebildeter Organist und professioneller Bratschist. Der Klavierpart seines Konzerts ist technisch anspruchsvoll – nur eben nicht virtuos in dem Sinne, dass sich damit beim Publikum viel Eindruck machen ließe.
Den ganzen Tag verbringe ich meistens in meinem Garten, den ich so schön pflege und liebe wie die göttliche Kunst, und dann bummle ich im Wald.
Antonín Dvořák
Die Musik kann es an Einfallsreichtum, lyrischem Ausdruck und rhythmischer Prägnanz mit jeder Symphonie von Dvořák aufnehmen. Aber das Publikum erwartete im späten 19. Jahrhundert (und erwartet wohl auch heute noch) von einem Klavierkonzert vor allem die Demonstration pianistischer Brillanz. »Sie behandeln das Klavier, Beethoven ähnlich, in enger Verschmelzung mit dem Orchester, und es ist fraglich, ob das den heutigen Konzertspielern sehr willkommen ist«, schrieb der Verleger Lienau, der damals wie viele andere eine Drucklegung des Konzertes ablehnte. (Nebenbei hatte genau dies auch viele Jahre lang den Erfolg des 1. Klavierkonzerts von Brahms verhindert.)
Und auch die Pianist:innen fremdelten von Anfang an mit dem Werk, so Anna Grosser, der die Komposition »nicht dankbar genug« war: »Wohl ist sie wunderbar orchestriert und instrumentiert, aber der Pianist geht in dem Werk unter. Anstatt dass das Orchester sein Spiel umrahmt, macht es ihm den Rang streitig.« Was nebenbei nicht stimmt: Das Soloinstrument fügt sich eher als primus inter pares ein, konzertiert gleichsam in kammermusikalischer Haltung mit dem Orchester.
Um das Konzert doch noch zu »retten«, arbeitete der tschechische Pianist Vilém Kurz 1919 den Solopart zu einer effektvollen, pianistisch auftrumpfenden Virtuosenstimme um. Und so wurde das Konzert dann auch jahrzehntelang gespielt – bis Swjatoslaw Richter und andere (neuerdings auch Pierre-Laurent Aimard und eben Sir András Schiff) eine Lanze für die Originalgestalt brachen. Vergleicht man das Werk nicht mit den Konzerten von Chopin, Liszt oder Rachmaninoff, sondern nimmt man wahr, wie es sich mit Beethoven auseinandersetzt, und hört man es gleichsam als Symphonie mit obligatem, oft für zauberhafte Effekte eingesetztem Klavier – dann erschließt sich einem der Reiz dieser Komposition, die einen festen Platz im Repertoire verdient hätte.
Der Verleger Simrock hatte kein Interesse gezeigt, das Klavierkonzert zu publizieren, doch nach dem großen Erfolg von Dvořáks »Klängen aus Mähren« und den »Slawischen Tänzen« bat er 1879 den Komponisten: »Wollen Sie mir ein Violinkonzert schreiben? Recht originell, kantilenenreich und für gute Geiger?« Dvořák erfüllte die Bitte bereitwillig und folgte auch dem Wunsch, dem Werk ein slawisches Kolorit zu geben: Den Finalsatz des Konzerts in a-moll op. 53 schrieb er in Anlehnung an den tschechischen Furiant in einem Dreiermetrum, das raffiniert von Zweiermetren durchkreuzt wird.
Der berühmte Geiger Joseph Joachim übernahm es, den Violinpart spieltechnisch zu optimieren und drängte auch darauf, den üppigen Orchestersatz auszudünnen, was Dvořák allerdings ablehnte. Die Erfolgsgeschichte des Konzerts gab ihm recht: Das Soloinstrument hat hier keineswegs Mühe, sich gegenüber dem farbenreichen symphonischen Orchester durchzusetzen – und setzt sogar schon im fünften Takt mit selbstbewusster Geste ein, noch vor dem üblichen Orchestertutti.
Dvořáks Konzertouverturen opp. 91 und 92 aus dem Jahr 1890 haben sich schnell und dauerhaft im Konzertrepertoire etabliert. Wobei sie eigentlich mit der Ouverture »Othello« op. 93 eine Trias bilden und im Zusammenhang gespielt quasi eine Programmsymphonie aus einem pastoralen ersten, einem scherzohaften zweiten und einem dramatisch-tragischen dritten Satz ergeben. Ausgesprochen pastoral gefärbt sind auch weite Teile der 1889 komponierten 8. Symphonie, die Dvořák die Ehrendoktorwürde der University of Cambridge einbrachte, während die berühmte Neunte musikalisch von der vielfältigen Bevölkerung New Yorks inspiriert ist, wohin Dvořák 1893 als Konservatoriumsdirektor berufen worden war – nicht zuletzt auch, um (mit Erfolg) den Grundstein für eine eigenständige amerikanische Musikkultur zu legen.
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So, 10/03/24, 19.30 Uhr · Großer Saal
Tschechische Philharmonie · Hadelich · Bychkov
Augustin Hadelich, Violine
Semyon Bychkov, Dirigent
Antonín Dvořák: Konzertouverture »In der Natur« op. 91 · Konzert für Violine und Orchester a-moll op. 53 · Symphonie Nr. 8 G-Dur op. 88
Karten: https://konzerthaus.at/konzert/eventid/60844
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Mo, 11/03/24, 19.30 Uhr · Großer Saal
Tschechische Philharmonie · Schiff · Bychkov
»Aus der Neuen Welt«
Sir András Schiff, Klavier
Semyon Bychkov, Dirigent
Antonín Dvořák: Karneval. Ouverture op. 92 · Konzert für Klavier und Orchester g-moll op. 33 · Symphonie Nr. 9 e-moll op. 95
+ 18.00 Uhr · Schönberg-Saal
Musik im Gespräch
Hartmut Schick im Gespräch mit Erwin Barta
National versus international? Antonín Dvořák im Spannungsfeld Prag – Wien – Berlin – New York
Karten (Restkarten nach Verfügbarkeit): https://konzerthaus.at/konzert/eventid/60847
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