Programmheft »Die Fledermaus«

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Johann Strauß


INHALT

Die Handlung

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Synopsis in English

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Über dieses Programmbuch

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Vom Vaudeville zur Fledermaus → Franz Mailer

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» Jeder hat sein Leicherl im Keller « → Interview mit Otto Schenk

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Vergleich Le Réveillon – Die Fledermaus 26 Johann Strauß Sohn → Franz Endler

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Kleiner Versuch über die Fledermaus → Hans Weigel

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Die Musik der Fledermaus → Iván Eröd

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Die Fledermaus-Uraufführung im Spiegel der Rezensionen 48 Was geschah im Jahr der Fledermaus-Uraufführung 60 Die Fledermaus in Wien → Michael Jahn

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Lügen à la Eisenstein → Oliver Láng

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Nachruf auf Johann Strauß → Eduard Hanslick

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Wiener Klangstil? → Heinz Zednik

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Glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist! Alfred, Rosalinde, 1. Akt


DIE FLEDERMAUS → Komische Operette in drei Akten Musik Johann Strauß Text Carl Haffner & Richard Genée

Vorlagen Le Réveillon von Henri Meilhac und Ludovic Halévy sowie Das Gefängnis von Julius Roderich Benedix Orchesterbesetzung 2 Flöten, 1 Piccoloflöte, 2 Oboen, 2 Klarinetten, 2 Fagotte, 4 Hörner, 2 Trompeten, 3 Posaunen, Pauken, Schlagwerk, Harfe, Violine I, Violine II, Viola, Violoncello, Kontrabass Spieldauer 3 1/2 Stunden (inkl. 2 Pausen) Autograf Wienbibliothek im Rathaus (Inv. Nr. 12000) Uraufführung 5. April 1874, Theater an der Wien Erstaufführung an der Wiener Hofoper 28. Oktober 1894




DIE HANDLUNG Die Handlung rankt sich um den Ball beim Prinzen Orlofsky. Zu ihm werden im 1. Akt alle handelnden Personen, mit Ausnahme Alfreds, des in Rosalinde verliebten Tenors, der kometengleich am Rande des Geschehens dahinwandelt, magnetisch hingezogen: Das Stubenmädchen Adele wird, wie sie glaubt, durch ihre Schwester Ida dorthin eingeladen und muss eine rührende Geschichte von einer kranken Tante erfinden, um nach einigem Hin und Her Ausgang zu bekommen, und ihr Brotherr, der Rentier Eisenstein, wird durch seinen Freund Dr. Falke überredet, sich mit ihm bei Orlofsky zu amüsieren, statt eine Gefängnisstrafe anzutreten, die ihm wegen einer Amtsehrenbeleidigung zugemessen wurde – freilich verfolgt Dr. Falke damit seinen eigenen Plan, denn Eisenstein hat ihn einmal vor der ganzen Stadt blamiert, als er ihn nach einem Maskenball betrunken und als Fledermaus verkleidet durch die Straßen nach Hause gehen ließ. Nun sieht Falke die Gelegenheit zur Rache gekommen. Darum lädt er zum Schluss auch Eisensteins Gattin Rosalinde zum Ball ein. Diese gerät vorher noch in beträchtliche Verwirrung, als nach Eisensteins vermeintlichem Abgang in den Arrest ihr früherer Verehrer Alfred auftaucht, ihr Herz bedrängt, aber vom Gefängnisdirektor Frank an Eisensteins Stelle verhaftet wird. Frank begibt sich nach dieser Amtshandlung befriedigt ebenfalls zum Ball bei Orlofsky. Beim Ball des Prinzen Orlofsky geraten alle von Dr. Falke arrangierten Verwicklungen aufs Beste. Eisenstein begegnet zu seiner Verblüffung seinem Stubenmädchen Adele, die ihre Identität frech leugnet, schließt Freundschaft mit dem Gefängnisdirektor und verliebt sich schließlich in seine eigene, als ungarische Gräfin kostümierte und maskierte Gattin. Der 3. Akt löst die Knoten wieder. Er spielt im Gefängnis, welches eine dubiose Note durch den niemals nüchternen Gerichtsdiener Frosch erhält. Alle finden sich dort nach und nach ein: nach dem verkaterten Direktor Frank zunächst Adele, die einen Mäzen zur Ausbildung ihres dramatischen Talents sucht, nebst ihrer Schwester Ida, dann Eisenstein, der zu seinem Erstaunen erfährt, dass er ja bereits die ganze Nacht eingesperrt war; als auch Rosalinde erscheint und gemeinsam mit dem verhafteten Alfred eine Unterredung mit einem Notar fordert, setzt Eisenstein sich verkleidet an die Stelle des Notars Dr. Blind und kommt so hinter die Ereignisse des vergangenen ← Abends. Zum Glück lässt er sich schließlich überzeugen, dass auch diese ein Vorherige Seiten: 2. Akt Teil von Dr. Falkes Racheplan waren, und so geht alles gut aus, um so mehr, Szenenbild, → KS Bernd Weikl als als Adele im Prinzen Orlofsky tatsächlich ihren Mäzen findet. Eisenstein und KS Walter Berry als Falke, 1979

DIE H A N DLU NG

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SYNOPSIS All the principal characters seem to be drawn as if by a magnet to Prince Orlofsky’s ball, with the exception of the tenor Alfred, who makes fleeting appearances an the fringe of events. Adele, a housemaid, is invited (or so she thinks) by her sister Ida and has to make up a heartrending story about a bedridden aunt in order to be given the night off. Her employer Eisenstein, a gentleman of ample means, is persuaded by his friend Dr. Falke to enjoy himself at Orlofsky’s instead of starting a spell in prison to which he has been sentenced for insulting an official. In doing so Falke is pursuing a plan of his own, for on one occasion Eisenstein had made him look a fool in public by getting him drunk at a masked ball and then letting him find his way home dressed as a bat. Now is Falke’s chance of revenge. He therefore also invites Eisenstein’s wife Rosalinda to the ball. Rosalinda is in a flurry because as soon as Eisenstein has gone off a former admirer of hers named Alfred turns up, pays court to her, and is then arrested by the governor of the prison, Frank, in mistake for Eisenstein. Preening himself over making this arrest, Frank too goes to the ball. All Dr. Falke’s schemes go smoothly. Eisenstein comes upon his housemaid Adele, who stoutly denies who she is. Then he makes friends with Frank, and finally falls in love with his own wife disguised as a Hungarian Countess. The third act brings the customary dénouements. It opens in a prison cell made even more murky by the antics of the gaoler Frosch, who is never sober. At one time or another all the characters find their way here: first Frank, with a shocking hangover; then Adele, who is on the look-out for a patron to develop her talent for the stage, together with her sister Ida; and then Eisenstein, who learns to his astonishment that he has been in prison all night. When Rosalinda appears upon the scene and makes an appointment with Alfred, still under arrest, to visit a lawyer, Eisenstein impersonates the lawyer Dr. Blind and thus finds out what really happened the night before. Fortunately, he is eventually persuaded that it was all part of Dr. Falke’s plan of revenge, and all is well in the end, especially as Adele finds an enthusiastic and wealthy patron in the person of Prince Orlofsky.

← KS Alfred Šramek als Frank, 2011

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SY NOPSIS


ÜBER DIESES PROGRAMMBUCH Kaum ein anders Werk für das Musiktheater wird weltweit so sehr mit Wien assoziiert wie Johann Strauß’ Die Fledermaus – und das obwohl die Donaumetropole nicht einen einzigen Moment lang als Schauplatz der Handlung fungiert, sondern die kleine Kurstadt Baden. Warum sich diese Operette, die in atemberaubender Schnelligkeit geschaffen wurde, trotz aller widrigen Umstände von Anfang an als Erfolgsstück etablieren konnte, beschreibt Franz Mailer ab Seite 12. Wie sehr Johann Strauß neben seinem musikalischen Talent auch ein Gespür für effektives Marketing besaß und es überdies fertigbrachte, sogar große Komponistenkollegen für die Verbreitung seiner Werke einzuspannen, arbeitet Franz Endler, der ehemalige Doyen der österreichischen Musikkritik, heraus (Seite 32). Auf Analogien zwischen der Musik der Fledermaus und Mozarts Da Ponte-Opern weist der Komponist Iván Eröd in seinem Beitrag hin und unterstreicht zugleich die Modernität der Partitur, die in manchen Aspekten sogar die Zweite Wiener Schule vorwegnahm (Seite 42). Der österreichische Schriftsteller und scharfzüngige Feuilletonist Hans Weigel sieht das Besondere an der Fledermaus im Widerspruch zwischen ihrem Erfolg und dem vollständigen Mangel an Aktion. Zugleich stellt er die Frage, inwieweit gerade die Leugnung der Realität die Zeitlosigkeit des Werkes sichert und dem Publikum paradoxerweise ermöglicht, sich mit den Charakteren auf der Bühne zu identifizieren (Seite 38). Oliver Láng arbeitet ab Seite 70 die vielfältigen Variationen von Lüge und bewusster Unschärfe als Grundthema der Fledermaus heraus und Michael Jahn steuert eine kurze Wiener Rezeptionsgeschichte dieser so populären Operette bei (Seite 63). Abschließend weist Staatsopern-Ehrenmitglied KS Heinz Zednik auf die Besonderheit des Wiener Klanges hin, der sich dem allgemeinen Trend des Verlusts eines spezifischen, unverwechselbaren Lokalkolorits entgegenstellte (Seite 84).

→ Folgende Seiten: Szenenbild, 1. Akt

Ü BER DIE SE S PROGR A M MBUCH

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Richard Strauss (1925)

» Johann Strauß ist von allen Genies für mich der liebenswürdigste Freudenspender. Dieser erste, allgemeine Satz mag etwa als Motto der Gefühle gelten, die ich für diese wunderbare Erscheinung hege. Insbesondere verehre ich in Johann Strauß die Ursprünglichkeit, die Urbegabung. In einer Zeit, wo sich schon alles ringsum mehr dem Komplizierten und Gedachten zugewandt hatte, erschien dieses Naturtalent mit der Fähigkeit, aus dem Vollen zu schöpfen. Er gilt mir als einer der letzten, der primäre Einfälle hatte. «




Franz Mailer

VOM

VAUDEVILLE ZUR FLEDERMAUS

Die Entstehungsgeschichte der Fledermaus


Im Sommer des Jahres 1873 war die Stimmung der Wiener alles andere als beschwingt und fröhlich. Die erste internationale Leistungsschau von Industrie, Gewerbe und Handel auf dem Boden der Reichshaupt- und Residenzstadt der Donaumonarchie, die großangelegte Weltausstellung, brachte der Bevölkerung Wiens nur Nachteile: So waren etwa die Preise der Lebensmittel und die Wohnungsmieten derart stark angestiegen, dass bereits lange vor der Eröffnung der Ausstellung – sie fand am 1. Mai in der neuen Rotunde im Prater statt – eine förmliche Flucht aus den Innenbezirken in die Vororte und aufs Land einsetzte. Und kaum war die Eröffnungszeremonie vorüber, kam es am 9. Mai – dem Schwarzen Freitag – zum Zusammenbruch der Wiener Börse: Der Krach bedeutete den Ruin zahlreicher Schwindelunternehmen, aber auch vieler unsolid finanzierter Firmen. Hunderte und aberhunderte Spekulanten, aber auch gutgläubige Geldgeber aus allen Schichten der Bevölkerung – Dienstpersonal ebenso eingeschlossen wie Hochadel und Generalität! – wurden in den Strudel des » Fallierens « hineingezogen. Die Zahl der Selbstmorde wagte niemand exakt zu registrieren. Auch die Hoffnung auf eine rasche Besserung wurde durch die extrem schlechte Witterung im Frühjahr 1873 vollständig zunichte gemacht: Bis in den Juli hinein regnete es beinahe täglich, und die Temperatur stieg nur selten über fünf Grad. Die Folge war, dass der sehnsüchtig erwartete Zustrom von Gästen aus aller Welt nach Wien vorerst ausblieb. Bald stand fest, dass das stolze Unternehmen Weltausstellung mit katastrophalen Verlusten enden musste. Selbstverständlich wurden die Theater der Donaumetropole von der allgemeinen Misere besonders schwer in Mitleidenschaft gezogen. Die Direktoren suchten hektischer denn je nach Erfolgsstücken, die das Publikum auch unter solchen widrigen Verhältnissen an die Kassen ihrer Bühnen locken sollten. Der Leiter des Theater an der Wien griff daher sofort zu, als ihm der agile Bühnenagent Gustav Lewy einen Schlager offerierte: Das Vaudeville Le Réveillon der beiden Offenbach-Librettisten Henry Meilhac und Ludovic Halévy; es war am 10. September 1872 im Pariser Théâtre du Palais-Royal zum ersten Male aufgeführt worden und behauptete sich dort souverän im Spielplan. Direktor Maximilian Steiner ließ das Stück besorgen und gab es einem seiner Hausdichter, dem routinierten Possenschreiber Carl Haffner, zur Übersetzung. Es stellte sich sehr rasch heraus, dass die beiden Franzosen die Grundzüge der Handlung von Réveillon nicht selbst erfunden, sondern dem Lustspiel Das Gefängnis des Berliner Schriftstellers Roderich Benedix entnommen hatten. Das deutsche Lustspiel stammte aus dem Jahre 1851 und war auch in Wien wohlbekannt. Aber dieser Umstand hätte Direktor Steiner kaum gestört: Meilhac und Halévy hatten aus dem biederen Schwank ein » pikantes Stück mit typischem Pariser Flair « gemacht, das durchaus Chancen hatte, auch in Wien zu gefallen. Bei eingehendem Studium des Textes und der Schauplätze der Hand 13

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lung ergab sich jedoch, dass Le Réveillon mit zahlreichen Details angereichert worden war, die nur einem Franzosen wohl vertraut und ohneweiters verständlich waren. Und Carl Haffner – er hieß eigentlich Carl Wilhelm Schlachter und stammte aus Königsberg – war nicht imstande, in seiner Übertragung diesen für das Publikum des Theaters an der Wien gravierenden Nachteil zu beseitigen. Maximilian Steiner gab daher das aus Paris bezogene Stück an seinen Rivalen vom Carltheater, Franz Jauner, weiter: Diese Bühne räumte ja in ihrem Spielplan dem französischen Repertoire breiten Raum ein. Dort mochte das Vaudeville Le Réveillon eher Verständnis finden. Doch Direktor Jauner lehnte das Stück ebenfalls ab und stellte das Buch dankend zurück. In dieser Lage fand Gustav Lewy einen Ausweg: Er schlug Steiner vor, aus dem Vaudeville das Textbuch einer Operette für Johann Strauß herstellen zu lassen. Der Direktor des Theaters an der Wien war ja vertragsgemäß dazu verpflichtet, seinem Komponisten Strauß Textbücher zur Auswahl anzubieten. Maximilian Steiner griff die Anregung Lewys sofort auf und übertrug seinem Kapellmeister Richard Genée die Ausführung des Projekts. Strauß wurde von Lewy – die beiden waren Schulfreunde gewesen – für den Plan gewonnen. Der als Librettist wie als Komponist mit der Operettensphäre bestens vertraute Genée wusste sofort, was zu tun sei. » Ich las das Buch « – so erzählte er später –, » fand es unmöglich und erbat mir am nächsten Morgen das französische Original. Von der Haffner’schen Posse benutzte ich nur die Namen der Personen. Auch vom Original musste ich in Szenen und Charakteren weit abweichen. Um den altbewährten Schriftsteller Haffner nicht zu kränken, wurde er mit meiner Zustimmung auf dem Theaterzettel als Mitarbeiter genannt. Ich selbst habe Haffner nie gesehen. « Als Richard Genée sich ans Werk machte, ging der Sommer des Missvergnügens bereits zu Ende. Im August hatte der erhoffte Trubel rings um die Weltausstellung endlich eingesetzt: Im stabilen Schönwetter der folgenden Wochen kam das heitere » Wiener Leben « immer entschiedener in Schwung, und wer vom Krach des Schwarzen Freitags verschont geblieben war, gab sich nun mit besonderem Behagen der neu gewonnenen Lebenslust hin. An der Finanzkatastrophe war nichts mehr zu ändern – man musste sie so rasch wie möglich vergessen, um wieder glücklich zu sein, und trachten, aus der durchlittenen Misere das Beste zu machen! Der Stimmungsumschwung in Wien floss auch in die neue Operette ein, und Johann Strauß war sogleich fasziniert, als Direktor Steiner und Kapellmeister Genée ihm das Textbuch brachten: Von Le Réveillon waren nur der erste und dritte Akt in großen Zügen beibehalten worden, dazwischen lag aber nun ein turbulentes Fest mit einem großen Ball – es war genau das Sujet, wie Strauß es brauchte, vor allem aber ein Milieu, das den Komponisten geradezu herausforderte: ein fashionabler Badeort, reiche Nichtstuer, das Quiproquo des sorglosen Treibens in besten Kreisen, einer jener Großfürsten, wie Strauß sie von St. Petersburg her kannFR A NZ M A ILER

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te – das war etwas für seine Fantasie! Leichtigkeit lag in der Handlung, Leichtlebigkeit in dem gewichtlosen, nur parodistisch ans Tragische streifende Geschehen, selbst das Gefängnis gab sich fidel! Strauß stürzte sich in die Arbeit. Noch während der Schlussveranstaltungen der Weltausstellung lebte er in der neuen Operette: Er brauchte eine Komposition für ein Wohltätigkeitskonzert zu Gunsten der Opfer einer in Ungarn ausgebrochenen Epidemie: Das kam wie gerufen; im zweiten Akt des von Genée geschickt arrangierten Stückes konnte man eine Einlage brauchen – am besten einen Csárdás. Strauß komponierte ihn für Gesang und Orchester, die Diva des Theaters an der Wien trug ihn beim Konzert am 25. Oktober 1873 im Musikverein vor. Und ein paar Tage später stand es in allen Zeitungen: » Die Arbeit an einer neuen Strauß-Operette hat begonnen. Sie wird wahrscheinlich Doktor Fledermaus heißen! « Vielleicht wurde Strauß noch einmal aufgehalten: Er musste nach Graz, um dort sein vorhergegangenes Werk Der Carneval in Rom vorzustellen, und hatte auch dem ehrenvollen Ruf nachzukommen, mit den Wiener Philharmonikern im Musikverein Stücke von Joseph Lanner und seinem Vater sowie – zum ersten Male! – seine Walzer An der schönen blauen Donau aufzuführen. Aber dann gab es für ihn nichts mehr als die neue Operette: Strauß schrieb die Partitur in seinem Hause in Hietzing (damals Hetzendorfer Straße, heute Maxingstraße Nr. 18) in einem Zuge nieder. Genée stand ihm stets getreulich zur Seite, und wenn die Einfälle des Librettisten einmal versagten, um die besondere Sphäre dieses Spieles in Worte zu kleiden, dann half Strauß bereitwillig aus (» O je, o je, wie rührt mich dies «). Genée revanchierte sich dafür als Arrangeur: » Die Beschaffenheit des Autografs « – schreibt Fritz Racek – » gestattet es, sich den Arbeitsprozess etwa so vorzustellen, dass Strauß Genée zunächst die Skizze einer Nummer oder eines Teilstückes zukommen ließ, dieser danach ein Partiturgerüst verfertigte, darin das von Strauß Erhaltene eintrug und die Blätter dann zur Instrumentationsergänzung und Endredaktion an den Komponisten zurücksandte. Dabei konnte es auch vorkommen, dass Strauß die Ausgestaltung potpourriähnlicher Wiederholungen – wie zum Beispiel Entreact und Melodram – ganz seinem Mitarbeiter überließ. Jeder abgeschlossene Partiturteil wurde sodann durch Genée sofort an die Kopisten weitergereicht. « Diese Art und Weise des Hand-in-Hand-Arbeitens erklärt auch, wieso die Komposition der gesamten Operette – einer glaubhaften Überlieferung zufolge – » in 42 Tagen und Nächten « im Wesentlichen abgeschlossen werden konnte. Die Direktion des Theaters an der Wien hatte allerdings weit größere Mühe, das fertige Werk, das schließlich den Titel Die Fledermaus erhielt, auf die Bühne zu bringen. Es zeigte sich nämlich, dass die Folgen des Börsenkraches vom Frühjahr 1873 gerade von den Wiener Vorstadttheatern nur sehr schwer zu überwinden waren. Solange man hoffen konnte, der drohenden Finanzkrise Herr zu werden, hatte man die Uraufführung der neuen Strauß 15

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Operette für den Spätherbst 1874, also für die günstigste Theaterzeit des Jahres, angesetzt. Diese Disposition war durchaus verständlich: Für die laufende Spielzeit war ja bereits eine Stagione der damals auf dem Höhepunkt ihrer Popularität angelangten Opernprimadonna Angelina Patti anberaumt. Anschließend sollte ein lustiges, dem Bedürfnis des Publikums nach abwechslungsreicher Unterhaltung entsprechendes Quodlibet zur Sommerpause überleiten. Doch je weiter die Saison fortschritt, desto ungünstiger gestaltete sich die Lage des Theaters an der Wien, und schließlich glaubte vor allem die zusammen mit Maximilian Steiner als Mit-Direktorin des Hauses wirkende Sängerin Marie Geistinger, das Risiko nicht mehr bis in den Herbst hinein tragen zu können. Ende Februar wurde daher beschlossen, die Premiere der Operette Die Fledermaus doch noch im Frühjahr 1874 herauszubringen. Aber gleich die erste Leseprobe am 28. Februar ergab, dass das Ensemble des Thea­ ters für das Werk gar nicht ausreichte, so dass für die Rolle der Adele ein Gast herbeigeholt und manche Partien mit Darstellern zweiter Wahl besetzt werden mussten. Dann wurden in aller Eile neben dem ins Trudeln geratenen, durch die Patti-Stagione zusätzlich belasteten Tagesbetrieb die Proben angesetzt und etwas mühsam vorangetrieben. Man stand unter Erfolgszwang und war dementsprechend nervös. So meinte Marie Geistinger, die dem Fledermaus-Ensemble als Rosalinde angehörte, bei der Einrichtung des dritten Aktes, das Melodram zu Beginn könnte entfallen: » Wenn so lang nichts geredet wird, das wird fad. « Strauß war auch sofort zu dem verlangten Strich bereit, aber der Einspruch Genées rettete die köstliche und kostbare Szene. Die Uraufführung der Operette Die Fledermaus wurde schließlich auf einen anerkannt schlechten Theatertag, den Ostersonntag (5. April), verlegt. Weil damals an den hohen Kirchfesten – wie Ostern – nur zu wohltätigen Zwecken Theater gespielt werden durfte, ging die Operette » zum Besten der KaiserFranz-Joseph-Stiftung für das Kleingewerbe « zum ersten Male über die Bretter. Das Haus war ausverkauft, Strauß selbst dirigierte. Werk und Aufführung erreichten unzweifelhaft und eindeutig einen vollen Erfolg. Das Kleingewerbe hatte für den Ertrag von mehr als 1.500 Gulden zu danken.

→ Folgende Seiten: Rudolf von Alt: Palais Dumba, Wien, Arbeitszimmer

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Egon Friedell

» Ihren Gipfel erreicht die Operette auf deutschem Boden in der Fledermaus, die über eine Fülle reizender musikalischer Einfälle verfügt, aber über gar keine Weltanschauung. «




» JEDER HAT SEIN LEICHERL IM KELLER « Otto Schenk, der Regisseur der Staatsopernproduktion der Fledermaus, im Gespräch mit Oliver Láng

Grundsätzlich: Was macht das Genre der Operette heute so schwer? Vielleicht die Tatsache, das sie oftmals in schrecklichen Zeiten geboren wurde und ein Ausweg in ein helleres, leichteres, schöneres Leben war. Sie war ein Aufatmen, das hat Karl Kraus der Lustigen Witwe ja – zu Unrecht – vorgeworfen. Heute gibt es so viele andere Ausweichmöglichkeiten aus den Schwierigkeiten des Lebens. Abgesehen davon gibt es sehr wenig erste Sänger, die Operette singen können: ein Vilja-Lied ist einfach schwer zu singen. OTTO SCHENK

Wie oft haben Sie die Fledermaus schon inszeniert? SCHENK Sechsmal. In Wien, Berlin, Düsseldorf, Dortmund, New York und fürs Fernsehen.

» J EDER H AT SEIN LEICHER L IM K ELLER «

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Inszenieren Sie Operette für Wien anders? SCHENK Nein, ich passe mich nicht an die Stadt an, sondern verwende jedes Mal die Persönlichkeiten der Sänger. Dadurch ändert sich viel, aber die Intention ist immer dieselbe.

Kommen wir zur Fledermaus: Von welchen Kräften wird diese Operette getrieben, gibt es eine Grundstimmung, in der sie stehen muss, damit das Spiel ablaufen kann? SCHENK Die Fledermaus hat zwei Motoren. Der eine ist die Sentimentalität, das Sich-Hingeben einer fast hypochondrisch übertriebenen Stimmung. Eine reine Liebelei – das ist nicht unbedingt Sache der Fledermaus. Der andere Motor ist die Blamage, die in Musik übersetzte Blamage. Diese Blamage wird hervorgerufen durch eine geradezu satanische Unterhaltungssucht aller Beteiligten. Einmal ein » verfluchter Kerl « sein, wie es schon bei Nestroy heißt. Vom Eisenstein bis zu Adele, vom kleinen russischen Prinzen bis zu Rosalinde, vom ersten Takt der Ouvertüre sind alle darauf aus, sich fanatisch zu unterhalten, und das um jeden Preis. Es muss aber schiefgehen, weil der Mensch zu einem solchen Unterhalten-um-jeden-Preis einfach nicht geschaffen ist. Immer wenn einer das versucht, » passiert « etwas. Das ist der große Antrieb, der hinter der Fledermaus steckt und zu der Pseudo-Katastrophe führt.

Pseudo-Katastrophe bedeutet, dass es im Grunde dann doch nicht so schlimm kommt? SCHENK Wenn man sich eine Eintrittskarte für eine Operette kauft, dann begibt man sich in eine Welt – mit einigen wenigen Lehár-Ausnahmen –, in der es die Garantie gibt, dass alles letztendlich gut ausgeht. Was auch geschieht, es darf einen amüsieren, auch wenn es sich in die Nähe einer Tragödie begibt. Denn eine wirkliche Tragödie findet nicht statt. Das Jammern, zum Beispiel, das einmal ja in einem geradezu tschaikowskihaft aufgebauten Terzett ausartet, dieses berühmte » O je « schwappt bald über in einen geradezu läppischen Tanz und wird zu » O je, O je, wie rührt mich dies «.

Gibt es dennoch Momente, die ein tragisches Moment in sich tragen? SCHENK Ja. Dort etwa, wo die Laune ins unerhört Wehmütige umschlägt, wo das Du-Wort zum Duidu wird. Da ist die Kraft, fröhlich zu werden, plötzlich verschwunden. Es ist beinahe ein Adieu ans scheidende 19. Jahrhundert. Auch wenn diese Stimmung nicht lange hält, zeigt Strauß, dass er auch über tragische Energien verfügt.

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OT TO SCHEN K U N D OLI V ER LÁ NG IM GE SPR ÄCH


Im zweiten Akt wird zu Johann Strauß’ Unter Donner und Blitz getanzt. Sind Donner und Blitz hier auch im übertragenen Sinne zu verstehen? SCHENK Diese Einlage habe ich herangezogen, weil ich Eisenstein in eine fast venusbergartige bürgerliche Tanzorgie versetzen wollte, die in einem fanatischen Tanz ausartet und alle Teilnehmer zuletzt wie Dominosteine umfallen. Das hat vielleicht ein bisschen symbolischen Charakter...

Auffällig ist bei der Fledermaus, dass es keine einzige unsympathische Figur gibt. Selbst die Intrige hat heitere Züge. SCHENK Auf der anderen Seite gibt es aber auch keine Nur-Anständigen. Jeder hat sein Leicherl im Keller. Rosalinde blickt auf eine Vergangenheit zurück, die ihr fast ein bisschen gefährlich wird. Falke ist ein Intrigant. Frank will mit Adele anbandeln und sie ausbilden lassen, das bedeutet: sie bezahlen. Sie wiederum möchte beim Theater unterkommen und ist dafür bereit, allerhand Erotisches zu leisten. Es ist schon eine leicht fiese Gesellschaft, und das schimmert immer durch.

Ist Frosch ein Teil dieser leicht fiesen Gesellschaft? SCHENK Frosch ist ein Gebilde der Monarchie. Ich sehe ihn als einen gestrandeten oder steckengebliebenen Militaristen, der aber wahrscheinlich gar nicht so ungern stecken geblieben ist. Es gibt im Feldherrenhügel von Roda Roda einen Korporal, der davor zittert, befördert zu werden, weil er eine Position hat, in der er gut tachinieren kann. Das ist der Charakter von Frosch. Er ist übrigens auch keiner, der richtig besoffen ist, sondern bleibt ein Mann mit Pegel, ein » Verträger «: eine österreichische Eigenschaft! Er lebt davon, dass er dem Direktor auf die Nerven geht; ich habe die Rolle über einhundertmal gespielt und war immer von einem Gefängnisdirektor abhängig, dem ich auf die Nerven gehen konnte. Mit jedem Satz, jeder Geste. Sehr froh bin ich, dass die Rolle bei der Wiederaufnahme mit Peter Simonischek besetzt ist und nicht mit einem reinen » Komödianten «, denn so kann das Verhatscht-Miliärische besser zur Geltung kommen. Frosch spricht ja auch keinen Kanaldialekt, sondern einen angemessenen Dialekt, der dem Direktor gebührt. Was bei allem Lachen nicht vergessen werden darf: Es ist eine der schwersten Rollen, die es überhaupt gibt. Schon darum, weil die Erwartungshaltung seitens des Publikums sehr groß ist.

Die berühmten, traditionellen Frosch-Witze bleiben erhalten?

» J EDER H AT SEIN LEICHER L IM K ELLER «

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SCHENK Die sogenannten blöden Witze, die ich alle für heilig erkläre, gehören dazu. Sie sind haarsträubend dumm beim Lesen, erhalten ihre Berechtigung aber dadurch, dass Frosch einer ist, der einfach solche Scherze macht. Die Shakespeare’schen Narren leben auch davon, dass sie schlechte Witze machen, amüsant wird es nur, wenn man den Charakter so spielt, dass er eben diese Sorte an Humor hat.

Dann ist Frosch kein rein Wienerisches Phänomen, sondern Welttheaterbewohner? SCHENK

Ja, vielleicht. Aber im Wienerischen angesiedelt. Wie die gesamte Fledermaus...

SCHENK Wienerisch ist dieses Sich-Blamieren, dieses Auf-die-Seife-Steigen. Wienerisch sind auch der Tanz, die Musik. Aber die Darsteller müssen nicht Wienerisch Jodeln, es geht einfach darum, dass sich die Darsteller im Wienerischen heimisch fühlen. Es ist ja geradezu das Schöne an Wien und damit am Wienerischen, dass hier so viele zu Hause sind.

Gibt es bei diesem Stück besondere Fallstricke, eine Rache der Fledermaus? Zunächst ist es ein schweres Stück, schwer zu inszenieren. Man muss jeden mit der Tanzwut, mit der Intrigenlust, mit der Sucht nach Unterhaltung anstecken, Solisten wie Chor. So sehr anstecken, dass es überschäumt, aber nicht in eine Outrage kippt: Die Hypochondrie der Blamage muss immer echt sein. Und das Gefährliche bei diesem Werk ist weiters, dass es auch in schlechten Aufführungen wirkt: Das ist die Bedrohung der Fledermaus. Das Gute hat zwar eine Chance, aber es genügt schon – wie zum Beispiel auch bei der Zauberflöte – eine schlechte Aufführung, um das Werkl in Schwung zu bringen. Die Fledermaus verlangt allererste Sänger und Komödianten, es genügt nicht, wenn man nur singen kann und die Koloraturen beherrscht oder nur spielen kann. Die Fledermaus fordert alles! Um das Klassische herauszubringen, bedarf es einer großen Mozart-Kenntnis und eines ebenso großen Offenbach-Verständnisses. Denn zwischen diesen beiden liegt Johann Strauß, insbesondere die Fledermaus. Deshalb soll diese Operette nur von einem Dirigenten der ersten Liga geleitet werden, alles andere bekommt ihr nicht. SCHENK

Soll man am Ende Mitleid mit Eisenstein haben?

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OT TO SCHEN K U N D OLI V ER LÁ NG IM GE SPR ÄCH


SCHENK Nein, eigentlich nicht. Er ist einfach einer, der an der Kippe steht, kein junger Hallodri, sondern einer, der den zweiten Frühling genießen möchte. Man darf ihn ruhig ein wenig belachen!

Die Bitte um Verzeihung am Ende – ist es ein ehrliches Einverständnis, ein erster Schritt zur Besserung? Sein finaler Kniefall entspricht ein bisschen dem perdono vom Grafen im Figaro. Eisenstein glaubt im Moment durchaus, was er sagt. Er hat Rosalinde letztlich gern und denkt auch an keine Scheidung. Knapp vorm Arrest wollte er halt noch einmal feiern. SCHENK

Wie wird die Geschichte weitergehen? SCHENK Das weiß man bei einem Happy-End nie. Die beiden werden wahrscheinlich goldene Hochzeit feiern, irgendwann. Er wird sie ein paar Mal betrügen – wenn ihm das überhaupt gelingt. Man weiß ja nicht einmal, ob Eisenstein Rosalinde wirklich betrügen oder nur einen Flirt haben wollte, ob er den Mut zur Sünde gehabt hätte.

→ KS Edita Gruberova als Adele, 1979

» J EDER H AT SEIN LEICHER L IM K ELLER «

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KOLUMN EN T IT EL


VERGLEICH LE RÉVEILLON – DIE FLEDERMAUS

Das Libretto der Fledermaus basiert auf Le Réveillon von Henri Meilhac und Ludovic Halévy (Uraufführung: 1872 im Théâtre du Palais-Royal Paris), das wiederum auf das Lustspiel Das Gefängnis von Roderich Benedix (Uraufführung: 1851 am Königlichen Schauspielhaus Berlin) aufbaut. Inhaltlich sind zwischen Le Réveillon und Die Fledermaus – zumindest zum Teil – große Parallelen zu finden. Im Folgenden ein Vergleich des Beginns beider Werke: V ERGLEICH LE R ÉV EILLON – DIE FLEDER M AUS

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Le Réveillon Der Vorhang hebt sich, die Bühne ist leer; von außerhalb hört man eine Violine, die eine Fantasie über La Favorite spielt. schnell eintretend, ein Brief in der Hand: Zum Teufel mit dieser Fidel... (Pernette geht zum Fenster und schaut.). Wo versteckt er sich? Ich sehe ihn nicht. – (Sie steigt herab und liest den Brief von neuem). Heute Abend um acht Uhr wird er auf mich warten... Das ist eine Idee, über die müsste man... Wenn ich Madame um Erlaubnis bitte, heute Abend ausgehen zu dürfen, und wenn ich ihr den Grund dafür sage, dass ich mit meinem Geliebten den Silvesterabend verbringen möchte, wird sie wahrscheinlich ablehnen... man sollte einen anderen Grund finden... (Lauter Geigenton) Ich werde aber keinen finden, solange diese Unglücksfidel nicht endlich aufgehört hat, mir auf die Nerven zu gehen... (Aus dem Fenster sprechend.) Hallo, dort unten... Können Sie nicht endlich bald damit aufhören, Sie dort unten?... Fanny tritt ein. FANNY beiseite, sehr aufgeregt: Ich habe ihn wiedererkannt, niemand spielt wie er... Er ist es!... Ich bin mir sicher, er spielt seine Arienvariation Nr. 3... seine Fantasie über La Favorite... Ich verstehe, was dies bedeuten soll. Er macht mir Vorwürfe, ich habe sie verdient... PERNETTE Madame, meine Tante ist krank... FANNY beiseite: Aber wie ist es möglich, dass ich ihn hier in Pincornet-les-boeufs wiedergefunden habe, vier Jahre, nachdem ich ihn in Paris, in der rue du Petit-Carreau, verlassen habe? PERNETTE Sie ist aber sehr krank, meine Tante!... FANNY beiseite: Was ist wohl aus ihm während dieser vier Jahre geworden? Erinnert er sich an unsere Schwüre? Wird er mich wohl noch lieben?... PERNETTE Madame!... FANNY mit Ungeduld: Was wollen Sie, Pernette? PERNETTE Ich würde gerne heute Abend eine Stunde... oder zwei... bei meiner Tante verbringen... sie ist ja sehr krank!... FANNY Das ist unmöglich! PERNETTE

Oh! Madame! Ich habe nein gesagt! PERNETTE Madame ist schlecht gelaunt... ich verstehe das, aber es ist PERNETTE FANNY

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V ERGLEICH LE R ÉV EILLON – DIE FLEDER M AUS


nicht meine Schuld, wenn Monsieur vor Gericht gerufen wurde... FANNY Lassen Sie mich! PERNETTE Bei meiner Tante werde ich nicht lange bleiben... FANNY sehr lebhaft: Lassen Sie mich, sage ich Ihnen... Sehen Sie denn nicht, dass ich...! (Pernette geht hinaus). Gehen Sie, los, gehen Sie... (Ein letzter schriller Geigenton) Ah!... ah!... Die Geige spielt nicht mehr.

Die Fledermaus (Textfassung Otto Schenk) (singt außen): Täubchen, das entflattert ist, stille mein Verlangen... ADELE Wer singt denn da? ALFRED (singt weiter): Täubchen, das ich oft geküsst, lass Dich wieder fangen... ADELE Mir scheint, da singt ein Sänger. Wieso singt denn da ein Sänger? ALFRED (singt weiter): Sehnsuchtsvoll gedenk ich Dein, holde Rosalinde! ADELE Rosalinde? Das ist ein Verehrer und nicht einmal von mir sondern von meiner Gnädigen. Den muss ich mir von der Nähe anschauen! ROSALINDE Das ist er! Der Alfred! Jetzt kommt er daher, jetzt wo ich verheiratet bin. Na das gibt einen Skandal, oder ein Duell, oder beides. Ist mir schlecht. Ich glaub ich muss ein Pillerl nehmen. O Gott, o Gott, o Gott... ADELE Weg ist er. Ah, meine Gnädige. Jetzt heraus mit der Geschichte; sie ist kurz aber rührend. ROSALINDE Adele! Was ist denn? ADELE Meine Tante! ROSALINDE Was ist mit deiner Tante schon wieder? ADELE Krank ist die Tante. ROSALINDE Krank ist die Tante. Mein Gott, Du kannst ihr auch nicht helfen. ADELE Oja. Ich könnte hinfahren, fragen: Wie geht’s, wie steht’s? Noch immer fidel und munter? ROSALINDE Die kranke Tante? ADELE Ja, darum bitte ich Sie aus Rücksicht auf meine nichtige Liebe heute Abend freien Ausgang zu gewähren. ALFRED

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ROSALINDE Heute? Unmöglich! Du weißt genau, dass mein Mann heute

seine Arreststrafe antreten muss. Aber ich kann doch nix dafür. ROSALINDE Kann ich was dafür, dass man in diesem Land fünf Tage Arrest kriegt nur weil man einen Polizisten einen Esel nennt? ADELE Und ihm ein paar Watschen gibt... ROSALINDE Adele! ADELE Pardon, Ohrfeigerl... Aber der gnädige Herr haben ja heute Berufung eingelegt. ROSALINDE Das wird ihm eher schaden als nützen. Er muss in den Arrest und Du – bleibst zu Haus. ADELE Oh, meine arme, arme Tante. So werde ich dich wohl nie wiedersehen auf Erden! ADELE

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Franz Endler

JOHANN STRAUSS SOHN

Der 1825 geborene Johann Strauß Sohn wurde unmittelbar nach der Trennung der Eltern Kompositionsschüler bei dem in Wien angesehenen Raimund-Komponisten Joseph Drechsler und gründete 1844 seine erste Kapelle, mit der er bei Lebzeiten » gegen den Vater « antrat... Was von den Zwistigkeiten zwischen Vater und Sohn in der Legende immer wieder Inhalt von Operetten oder Romanen wurde, kann seriös schwer nachgewiesen werden. Gewiss muss Strauß Sohn darunter gelitten haben, ohne Vater aufwachsen und seine Mutter leiden sehen zu müssen. Gewiss hat er auch » gegen « seinen Vater musiziert. Doch für die Nachwelt dürfte es viel faszinierender sein, einmal nachzuhören, wie sich Strauß Sohn erst langsam von den Walzern seines Vaters löst und wie lang er braucht, um so populär drauflosschreiben ← Seiten: zu können wie sein väterlicher Konkurrent, dem immerhin noch ganz zuletzt Vorherige Rudolf von Alt: Wiener Salon der Makart-Zeit eine Komposition vom Format des Radetzkymarsch gelang. FR A NZ EN DLER

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Als 1848 auch in Wien die Revolution ausbrach, erwies sich Strauß Vater als der treue Untertan und hielt sich vor allem ruhig. Strauß Sohn jedoch spielte für sehr kurze Zeit den jungen wilden Mann, suchte die Stimmung auch zu nutzen, indem er hier und da die Hymne der französischen Revolution, die Marseillaise, spielte. Als aber mit Ende des Jahres Kaiser Franz Joseph I. die Regierung übernommen und so gut wie allen Widerstand ausgemerzt hatte, erkannte Strauß Sohn, dass er falsch gehandelt hatte. Falsch vor allem für einen Musiker, der auf die Unterstützung der allerhöchsten Kreise, auf Ehrenposten und auf klingende Titel aus war. Noch viele Jahre später erinnerte man sich am Kaiserhof, dass der junge Strauß längst nicht so » brav « gewesen war wie sein Vater, und nur der sichtbare Weltruhm des Walzerkomponisten ermöglichte es ihm, nicht nur beim Publikum, sondern auch bei seinen adeligen Gönnern schließlich als der neue und zuletzt als der einzige Walzerkönig anerkannt zu sein. Als Strauß Vater 1849 starb, und zwar nicht im Kreise seiner Familie, sondern bei seiner offiziellen Geliebten, mit der er ja auch mehrere uneheliche Kinder hatte, ergriff Strauß Sohn die Initiative – er veröffentlichte eine berühmt gewordene Anzeige in einer Wiener Zeitung und bat um die Gunst all der Freunde seines Vaters. In Wahrheit aber wurde endlich und für lange Zeit die Witwe, also die Mutter von Johann Strauß jr., die bestimmende Persönlichkeit. Trotzdem, mit seinen Erfolgen in Wien und auf einigen Reisen durch Europa hätte Johann Strauß Sohn nie die Popularität erlangt, die er bei Lebzeiten wahrlich noch genießen sollte. Es mussten einige besondere Engagements zustandekommen und einige außerordentliche musikalische Bekanntschaften mithelfen: Aus Russland kam rechtzeitig eine Einladung an Strauß, den ganzen Sommer über an der Endstelle einer neu errichteten Eisenbahnlinie Promenadenkonzerte zu geben. Strauß nahm an und wurde fern seiner Heimat ein musikalischer Heros. Er spielte für die wichtigen und reichen St. Petersburger, die die besagte Eisenbahn benützten, er spielte nebstbei auch in St. Petersburg selbst, und er brachte Ruhm und viel Geld heim, als er wiederkehrte. Mit diesem einen Auslandserfolg, den er für viele Sommer wiederholte, holte er sich auch die Anerkennung der Wiener. Und mit seiner guten Gepflogenheit, bei Konzerten in Wien nicht nur eigene Kompositionen, sondern auch die jeweils allerneuesten Werke seiner Zeitgenossen vorzustellen und außerdem die beliebtesten Opern in Form von Konzertbearbeitungen anklingen zu lassen, gewann er sich auch die Sympathie von sehr bedeutenden Musikern, die in aller Welt für ihren Wiener Propagandisten warben. Richard Wagner zum Beispiel, dessen noch revolutionär wirkende Musik vom StraußEnsemble ziemlich regelmäßig gespielt wurde, war ein Bewunderer, der für den Walzerkomponisten wichtig war. Hector Berlioz, schon mit Strauß Vater befreundet und bei Konzerten in Paris auch finanziell im Bund, war zwar wahrlich ein Gegenspieler Wagners, jedoch in seiner Begeisterung für Strauß 33

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völlig eins mit dem Erfinder des Musikdramas. Johannes Brahms wurde, als er schließlich nach Wien übersiedelte, ein Gast im Hause Strauß und hat seine Freundschaft, die auf Achtung vor der Musikalität des Johann Strauß basierte, immer wieder bewiesen. Die Reihe der Komponisten wäre fortzusetzen, immer wieder müsste man dabei erwähnen, dass sie untereinander meist uneins waren, sich jedoch in ihrer Freude an den Walzern von Johann Strauß, ob sie wollten oder nicht, trafen. Mehr als dreihundert Kompositionen, darunter auch die populärsten aller Strauß-Walzer, waren freilich schon komponiert, als sich Strauß dazu bestimmen ließ, eine Operette zu schreiben: Die großen Erfolge von Jacques Offenbach in Wien und der Ehrgeiz seiner Frau waren nach allgemeiner Ansicht die Triebfedern zur Eroberung dieses für den Tanzkomponisten neuen Genres. Und scharfe Kritiker schrieben von Anfang an, auch alle Strauß-Operetten seien im Grunde nur erweiterte Tanz- oder Walzerfolgen und nur Erfolge, wenn entsprechende große Walzer aus ihnen zu ziehen wären. In dieser Kritik liegt mehr als ein Korn Wahrheit; was immer die neuere Musikgeschichte an dem Genre Operette auszusetzen hat, das findet sich in den meisten Werken von Johann Strauß in Reinkultur. Die seltsame bis völlig unlogische Handlung, die grausame Behandlung der Sprache, die absurde Sucht, Situationen zu finden, in denen entweder eine große Komikerszene oder eine Tanzeinlage stattfinden könne – Strauß hat höchst erfolgreich den Nachweis geliefert, dass er mit wunderbarer Musik die albernsten Operetten füllen konnte und das Publikum seiner Zeit nie mit dem jeweiligen Stück, sondern immer mit einigen Hauptnummern anlockte und zufriedenstellte. Heute behauptet man, ausschließlich Die Fledermaus und Der Zigeunerbaron seien Ausnahmen. Doch ist das sehr ungerecht allen anderen StraußOperetten gegenüber, und wenn man genauer sezieren möchte, muss man – in Übereinstimmung mit Karl Kraus – auch diese beiden Werke als typische Operetten und also sehr oberflächlich gezimmerte Bühnenstücke abtun. Sie haben nur die allermeiste Fülle von Melodien, in allen anderen Strauß-Operetten sind die sogenannten Juwelen etwas sparsamer eingelegt – das ist der ganze Unterschied. Und der Nachweis dafür, dass es immer nur am Inhalt, am Libretto lag, ist selbstverständlich auch mit einer Strauß-Operette zu führen: Eine Nacht in Venedig wurde zuerst in Berlin ein totaler Misserfolg, dann bei der Wiener Aufführung aus patriotischer Reaktion auf die böse Berliner Erfahrung ein Achtungserfolg – und sehr viel später eine Operette, an der unzählige Bearbeiter verdienten, weil zuletzt die Musik von Johann Strauß immer wieder für den Jubel des Publikums sorgte, gleichgültig, was auf der Bühne geschah. 479 Opuszahlen weist das Werkverzeichnis von Johann Strauß Sohn auf, beinahe alle seiner Kompositionen erhielten vor ihrer Abfassung oder sofort nach der ersten Aufführung einen eigenen Titel, und dass sie alle entweder FR A NZ EN DLER

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→ Folgende Seiten: Salon im Stil der Makart-Zeit, um 1880; Foto: Georg Friedl

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einem bestimmten Anlass oder Verein oder einer bekannten Persönlichkeit gewidmet waren, half, sie zu unterscheiden, sie im Gedächtnis zu haben, von ihnen zu schwärmen. Strauß Vater, der nicht nur als Komponist, sondern auch als ein Meister der Eigenwerbung in die Musikgeschichte eingegangen ist, hat in seinem Sohn nicht einen Nachfolger, sondern einen genialen Fortsetzer gehabt. Allein mit seinen Methoden, Publikum und Förderer zu gewinnen, Notenmaterial zu verkaufen und aus seiner bloßen persönlichen Anwesenheit bei einem Konzert auch Kapital zu schlagen, war Johann Strauß in seiner Zeit ein Genie, wie es die Musikwelt seither nicht mehr hervorgebracht hat. Alle die heute von der Kommerzmusik erprobten Tricks bis hin zu den bombastischen Reisen als Promotion einer neuen Langspielplatte sind läppische Versuche, die neuen Ideen von Johann Strauß zu variieren. Und bleiben im Verhältnis auch in ihrer Wirkung weit hinter der von Strauß erzielten zurück. Ohne alle die Mittel der modernen Kommunikation, ohne Rundfunk, ohne Fernsehen, ohne Schallplatte brachte es Johann Strauß zuwege, mit seinen Kompositionen weltweit bekannt zu sein und gegen alle lokalen Größen, die es natürlich zu seiner Zeit auch gab – Walzerkomponisten in Paris, Unterhaltungsmusiker in Berlin, Gilbert & Sullivan für die angloamerikanische Welt –‚ mühelos aufzutrumpfen. Die entsprechende Anerkennung wurde ihm nicht verweigert. Er hatte in der großen österreichisch-ungarischen Monarchie eine Stellung, die beispiellos war, und konnte es sich leisten, als Hofballmusikdirektor aus eigenem Antrieb zurückzutreten und von seinem Kaiser die entsprechende Auszeichnung zu fordern: In dem erhalten gebliebenen Ansuchen um den Orden resümierte Johann Strauß, was er alles bereits für Wien und das Kaiserhaus geleistet habe, und bei allem geforderten höfischen Ton kann man doch aus jedem Satz das Selbstbewusstsein des Musikers lesen, der in einer Kaiserstadt der Walzerkönig war. Sein Tod 1899 war eine Schreckensnachricht für die Welt, sein Leichenbegängnis war ein letzter Triumphzug durch Wien, ein Großteil seines Erbes ging an die Gesellschaft der Musikfreunde, und viele seiner Manuskripte sind in deren Archiven wohl behütet. Sein Nachruhm setzte nicht erst Jahrzehnte später ein, sondern war da, als man ihn zu Grabe trug, und erhielt sich über Generationen bis auf den heutigen Tag. Und das keineswegs nur in Kreisen des dankbar weiterhin Walzer tanzenden Publikums, sondern auch bei allen Komponisten, die nach Strauß kamen und die die Musik ein gutes Stück weitertrieben. Auch Arnold Schönberg und seine Schule anerkannten widerspruchslos die Genialität von Johann Strauß. Auch die Komponisten der Gegenwart in aller Welt haben sich mit Strauß auseinandergesetzt – wenn sie eine Gelegenheit finden, dann huldigen sie ihm mit einem Versuch, einen Walzer zu komponieren, wie Luciano Berio, oder sie übersetzen eine Komposition in ihre eigene Orchestersprache, wie das Dmitri Schostakowitsch mehrfach getan hat. JOH A N N ST R AUS S SOHN




Hans Weigel

KLEINER VERSUCH ÜBER DIE FLEDERMAUS

Nicht dass die Handlung der Sinnfälligkeit und Übersichtlichkeit ermangelt, macht den Erfolg der Fledermaus so überraschend. Auch im Troubadour kennt man sich nicht aus – die Ring-Geschichte in Minna von Barnhelm können bestenfalls Regisseure, die das Lustspiel inszeniert haben, oder Germanisten aus dem Stegreif nacherzählen – und wer sich im Kräftefeld von Tristan-Tantris-Morold-Isolde wirklich auskennt, werfe den ersten Stein auf das Kräftefeld Blind-Falke-Frank-Eisenstein! H A NS W EIGEL

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Nein, nicht die Fledermaus-Geschichte ist das Besondere an der Fledermaus-Handlung und ihrem Triumph über die Zeiten, sondern ihr Mangel an jener Form von Aktion, welche das Publikum im Theater anzutreffen gewöhnt und berechtigt ist. Das Buch der Fledermaus flirtet nur mit der Aktion, konsumiert sie aber nicht. Sie wird nur vorbereitet, nicht vollzogen. Die Fledermaus ist Exposition bis tief in den zweiten Akt hinein, dann wird gesungen, getrunken, getanzt. Das Eigentliche findet nicht statt. Gewiss wird die Liebe auch sonst auf der Musikbühne nur angedeutet, aber sie wird unmissverständlich stilisiert: Im ersten Akt des Tannhäuser, im zweiten Akt des Tristan, in den Cancans bei Offenbach, im großen Maskenball-Duett – in der Fledermaus hingegen kulminiert die Erotik in den Zeilen: » Hab ein Wimmerl auf der Nase « – » An das Wimmerl glaub ich nicht «. Und wenn vorher der Feuerstrom der Reben die Gäste in Stimmung gebracht hat, vereinigen sie sich miteinander nur als » Brüderlein und Schwesterlein «. Dass die ungetreue Gattin schließlich zurück zum ungetreuen Gatten findet, ist uralte Bühnen-Konvention. Worin aber bestand hier die Untreue? Der Gatte verliert seine Uhr und gewinnt nichts – die Gattin ist mit dem Liebhaber allein zu Hause, er aber greift sofort zu Schlafrock und Kappe, er vereinigt sich mit ihr, aber nur zu einem Duett, welches nicht die Wonnen der Liebe, sondern nur die Vorzüge des Alkoholkonsums besingt. In einigen Schlüssel-Gesangsnummern der Fledermaus wird die Realität negiert: In diesem Trink-Duett » Glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist «, dann im Couplet der mit Eisenstein verheirateten Rosalinde, die behauptet, dass Alfred ihr Gatte ist, dann im Couplet der Kammerjungfer Adele, die behauptet, dass sie keine Kammerjungfrau ist – vor allem aber vorher in der Abschiedsszene des ersten Akts: Die Gatten gehen auseinander und beklagen in wehmütigen Worten die Trennung, doch die Musik mit ihrem galoppierenden Brio dementiert die Wehmut des Textes und verwandelt das » o je « in einen Triumphgesang: Die Szene wird zum Sittenbild der bürgerlichen Moral im 19. Jahrhundert. Man kann ein Leben lang darüber nachdenken, warum gerade diese Fledermaus hundert Jahre evergreen geblieben ist, man wird es nur ahnen und über Vermutungen nicht hinausgelangen. Erfolge lassen sich nicht vorausberechnen, bestenfalls nachträglich interpretieren – und nie ist es im Musiktheater die Musik allein; irgendein Besonderes, eine Art » Botschaft « in dem Libretto, muss dazukommen. Und was ist dieses Besondere, was ist die » Botschaft « in der undramatischen Fledermaus-Handlung? Vielleicht fasziniert eben diese vielfache Leugnung der Realität seit hundert Jahren alle fünf Kontinente; sie erhebt vielleicht das Buch in die Zeitlosigkeit und darf als modern bezeichnet werden: die allgemeine Lebenslüge in der Nähe einer großen Stadt. 39

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Die Fledermaus kennt keinen positiven Helden, keine positive Heldin, keinen positiven Charakter, keine Unschuld, wie sie bis tief in unser Jahrhundert zum Inventar der Oper und Operette gehören. Alle, die da agieren, sind verlogen, unwahrhaftig, hochstapelnd. Ein Längsschnitt durch die Welt der Fledermaus zeigt den degenerierten Prinzen mit brutalen Gewohnheiten (» dem werfe ich ganz ungeniert die Flasche an den Kopf «), ein sittlich angestochenes Bürgertum, ein nicht minder demoralisiertes Personal, dies alles in einem Staat, dessen Institutionen und Organe der dritte Akt im Stand weit fortgeschrittener Zersetzung zeigt. An der Spitze der Pyramide befindet sich der regierende Souverän namens » Champagner der Erste «, als sein Statthalter beherrscht weiter unten der » scharfe Schnaps Slibowitz « die Szene. Eine Komödie ohne Liebe und ohne Ethos, ein Drama ohne Dramatik, ein Werk des Musiktheaters ohne Theatermusik in ausreichender Quantität, viel zu wenig Durchkomponiertes, nur (im dritten Akt) ein Ensemble im Stil des großen Vorbilds Jacques Offenbach. Offenbachs musikalische Form war die Buffo-Oper, seine Bücher waren stets bewusst zeitkritisch und satirisch, er zeigte die Welt in allerlei Verkleidungen und meinte immer das Frankreich des dritten Napoleon. Ein einziges Mal, in seinem größten Wurf, waren die Figuren auf der Bühne mit den Parisern im Theatersaal identisch: in Pariser Leben. Johann Strauß, dem Theater zeitlebens fremd, ermangelte der dramatischen Ader; seine kompositorische Begabung erfüllte sich im Instrumentalen, im Lyrischen. Er war Dramatiker wider Willen. Seine Librettisten wollten zweifellos eine Art wienerisches Pariser Leben schreiben, sie legten der Fledermaus auch ein Lustspiel der Offenbach-Autoren Meilhac und Halévy zugrunde, doch der zweite Aufguss wurde keine zeitkritisch-satirische Abwertung des österreichisch-ungarischen Kaiserreichs. Die Majestät bleibt anerkannt, nicht nur die Majestät des Champagners, das Bestehende wird nicht negiert, es wird in heiterer Resignation hingenommen: Ein ganzes Kaiserreich von Nichtstuern ist im repräsentativen Querschnitt des Personenverzeichnisses vereinigt, niemand übt seinen Beruf ordentlich aus, der junge Eisenstein lebt von seinen Renten, die Kammerjungfrau wird » für das Theater ausgebildet «, man sucht Vergessenheit im Trinken, man tanzt, man lügt, das Losungswort heißt » Amusement «. Wie in Paris sollte auch an der Wien jeder Theaterbesucher sich auf der Bühne wiederfinden können – das war allerdings ein traditionswidriger Plan, denn die Operette lebt vom Kostüm, von der Ferne, von der Unwirklichkeit, von der Märchenhaftigkeit. Diesmal wurde aber die Unwirklichkeit nicht vom Milieu her dargestellt, sondern im » heutigen « Milieu von den Trägern der Handlung (» Glücklich ist, wer vergisst «) als Lebenshaltung vorgelebt. Österreichische Parallelen dieser Haltung in der Literatur sind zahlreich, von Grillparzers Traum ein Leben bis zum Schwierigen von Hofmannsthal, der ein Österreich zeigt, das es nicht gegeben hat, mit dem sich aber trotzdem – oder eben drum – die Zeitgenossen identifizieren sollten. H A NS W EIGEL

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So war es vorgesehen, als die Fledermaus geschrieben und komponiert wurde. Die Umrisse der dargestellten Welt waren vorhanden. Man konnte sich zu ihr bekennen. Als aber die Fledermaus zum ersten Mal gespielt wurde, befand sich zwischen dem Theatersaal und der Bühne keine imaginäre Brücke mehr, sondern ein Abgrund. Der katastrophale Schwarze Freitag hatte die Welt verändert, ein Börsenkrach, der eine Wirtschaftskrise, allgemeine Unsicherheit, Unruhe und soziale Unrast auslöste. Das Niemandsland von Rausch, Illusion, verspielter Lüge und Wohlleben ohne Arbeit war versunken. Dem Rausch folgte der Kater. Nun zeigte, obwohl die Kostüme noch stimmten, auch diese Operette traditionsgerecht ein fernes, märchenhaftes Milieu. Die Welt von gestern war in ein verlorenes Paradies verwandelt, von dem die harte neue Zeit träumen, nach dem jede folgende Gegenwart sich sehnen konnte, ungeachtet der Erkenntnis, dass die Krönung der Majestät Champagner indirekt die Entthronung der Habsburger vorbereitete und dass der Weg vom fidelen Gefängnis über die zentraleuropäische Katastrophe von 1873 zum » Zerfall der Werte « unseres Jahrhunderts geführt hat.

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Iván Eröd

DIE MUSIK DER FLEDERMAUS

Will man einen Komponisten vom Komponieren abhalten, beauftragt man ihn am besten damit, dass er über einen anderen Komponisten schreibt. So ist es mir passiert. Tag und Nacht tönen mir die Melodien der Fledermaus im Ohr, was natürlich die kreative Arbeit unmöglich macht. Also versuche ich wenigstens, diese ungewöhnliche und ehrenvolle Aufgabe, im Programmheft der Wiener Staatsoper einen Artikel über die Musik der Fledermaus zu schreiben, anständig zu erfüllen. I VÁ N ERÖD

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Vom Anfang bis zum Schluss genial, ohne Mängel oder Schwachstellen: Es gibt sonst keine Operette – vielleicht mit Ausnahme von Orpheus in der Unterwelt – von der man es guten Gewissens behaupten könnte. Mögen andere, spätere Werke dieser Gattung zündende Musik, einschmeichelnde Melodien, schwungvolle Tänze enthalten, allen haftet eine gewisse Verlogenheit an, die immanent im Wesen der Gattung liegt. Die Fledermaus ist nicht verlogen, sie nimmt sich nur nicht ernst. Diese ironische Distanz, die alle Personen des Stückes auch zu sich selber haben – und die späteren Operetten abgeht – spiegelt sich auch in der Musik von Johann Strauß. Doch ist diese Musik viel mehr als ironisch; Strauß adelt sie durch seine Genialität und durch sein Verständnis für die menschlichen Schwächen, er verwandelt sie stellenweise sogar in beinahe transzendente Schönheit. Das Ensemble Brüderlein und Schwesterlein erinnert mich deswegen an eine andere Musik, die in einer ähnlichen dramatischen Situation erklingt: an den Quartett-Kanon im zweiten Finale der Così fan tutte. Es sind nicht nur die verblüffenden Analogien zu Figaro und Così, die an Mozart erinnern. Es ist auch der unerschöpfliche Erfindungsreichtum und im Handwerklichen die Instrumentation. Es gibt keinen Komponisten nach Mozart, außer Mendelssohn, der Leichtigkeit und durchsichtigen Orchesterklang mit so einer differenzierten Kombinationsfülle, besonders bei den Holzbläsern, verbindet. Was bei Strauß noch dazukommt, ist die individuelle Verwendung der Trompete und die häufige Einsetzung der Schlaginstrumente und der Harfe. Und über allem steht natürlich Strauß’ eigenes Instrument, die Violine. Strauß’ Erfindung ist in erster Linie instrumental. Obwohl er Buffo-Elemente der italienischen Oper übernimmt (bei Dr. Blind), finden wir keine Spuren von Belcanto. Dafür sind die Einflüsse der alpenländischen Volksmusik offensichtlich: Jodler und auch die Harmonik der vokalen Mehrstimmigkeit. Strauß liebt den Dominantennonenakkord und löst ihn oft auf den, durch die Sext erweiterten Tonikadreiklang auf. Diese tonikale » sixte ajoutée « ist ja ein erster Schritt zur » Emanzipation der Dissonanz « und wird angeblich erst bei den französischen Impressionisten alltäglich. Deswegen führte man aus Unverständnis immer wieder » Korrekturen « durch, z. B. wurde in » Brüderlein... « ein » unpassendes » d « auf » c « verändert. Der erste frei eintretende Dominantseptnonenakkord ist übrigens bei Schubert anzutreffen beim Seitensatz im Finale der großen C-Dur-Symphonie (ein frühes, einmaliges Beispiel ist eine Stelle im Trauermarsch des Saul von Händel). In der Melodieführung treffen wir unentwegt auf große Sept-, Oktav- und sogar Nonensprünge, die den Vokalpart einigermaßen erschweren, weil die Sänger dauernd zwischen den verschiedenen Stimmlagen hin und her springen müssen. Die Komponisten der Zweiten Wiener Schule (allesamt große Bewunderer von Johann Strauß) haben sich oft auf diese Sprünge berufen, wenn sie ihre eigene sprunghafte Behandlung der Singstimme historisch 43

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begründen wollten. Sehr charakteristisch bei vielen Melodien von Strauß ist die untere, alterierte appoggiatura (» Glücklich ist, wer vergisst «). Der Leitton, der laut konventioneller Harmonielehre nach oben aufgelöst werden sollte, ist hier oft der melodische Höhepunkt (» Spiel ich die Unschuld vom Lande «). Als nächstes muss die Bedeutung der Tanzmusik in der Fledermaus erwähnt werden. Ein Großteil der Nummern haben Tanzcharakter: Walzer, Polka, Cancan, Galopp, Csárdás. Beinahe das ganze europäische Tanzrepertoire finden wir hier, auch spanische, russische, polnische Tänze. Damit erweist sich Strauß als kosmopolitischer Europäer. Außer Mozart und vielleicht Liszt gab es keinen Komponisten, der für die Musik der verschiedenen europäischen Kulturen so empfänglich war; und auch deshalb ist er heute so aktuell. Hier möchte ich aus einem meiner Lieblingsbücher zitieren. Salvador de Madariaga, der große, heute fast vergessene spanisch-baskische Philosoph und Historiker schrieb 1950 im Exil in seinem Porträt Europas: » Dieser... Charakter des Geistes von Wien scheint es für die Rolle, die Hauptstadt Europas zu sein, zu prädestinieren. Denn hier finden alle Neigungen und Spielarten des europäischen Geistes bereitwillige Aufnahme. Deutsch und italienisch, französisch und orientalisch, durch die Geschichte mit der Rheinmündung und mit Spanien verbunden – der Wiener Hof sprach fast zwei Jahrhunderte lang spanisch –, so jüdisch wie nur je eine europäische Hauptstadt, ist Wien jetzt schon ein europäischer Mikrokosmos. Möge bald seine Freiheit wiederhergestellt sein und mit ihr die des europäischen Kontinents, dessen natürlicher Mittelpunkt es ist. « Heute ist die Freiheit Wiens und des europäischen Kontinents wiederhergestellt. Wäre es nicht an der Zeit, dass im Finale des 2. Aktes der Fledermaus wieder das Original-Ballett mit spanischen, schottischen, russischen, » böhmischen « und ungarischen Tänzen aufgeführt wird? Ich erlaube mir, noch einige Beobachtungen über den organischen Aufbau des Werkes hinzuzufügen. Die ersten drei Abschnitte der Ouvertüre bringen Musik aus dem letzten Terzett (Eisensteins » Ja, ich bin’s « und das Thema bei Alfreds » Was wollen diese Fragen hier «), weiters aus dem Finale des 3. Aktes (Thema bei der Klärung des Fledermaus-Spiels). Dadurch wird eine Art Klammer um das ganze Werk gesetzt. – Die Ouvertüre übrigens hat, trotz allen Behauptungen, keine Sonatenhauptsatzform. – Die Orchestermelodie bei Eröffnung des Fests (» Ein Souper uns heute winkt «) taucht » leitmotivisch « bereits im ersten Akt bei Adele und Alfred auf, wenn sie über das Fest reden. Der » Hauptwalzer « hat die für alle Strauß-Walzer charakteristische, zweiteilige » A-B «-Form, wobei hier, wie auch sonst häufig, der A-Teil auf der dritten Stufe schließt und der B-Teil auf der vierten Stufe anfängt – also auch hier anders als die, in der herkömmlichen Formenlehre vorgeschriebene Modulation zur Dominante. I VÁ N ERÖD

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Großartig sind die Ensembles, auch wenn in ihnen die persönliche Charakterisierung der Personen vernachlässigt wird; Rosalinde und Eisenstein singen die gleiche Melodie zu völlig gegensätzlichen Aussagen, ein Beweis, dass die musikalischen Einfälle von Strauß nicht aus dem Wort geboren sind. Alle Hauptakteure haben ihre Einzelnummern – meistens eingebettet in größer angelegte Teile –, mit einer Ausnahme: Eisenstein. Warum? Er ist der Gefoppte, ein passiver Charakter, mit dem alle anderen ihre Spiele spielen. Er trumpft erst gegen Ende auf (» Ja, ich bin’s «) und übernimmt dadurch die Initiative. Bemerkenswert ist, dass die Männerpartien keine eigentlichen » Fächer « haben, alle in Violinschlüssel (!) notiert werden und dass selbst die Damenrollen austauschbar sind. Anscheinend hat die Stimmqualität einzelner Sängerinnen und Sänger den Komponisten, in Gegensatz zu Mozart oder Verdi, gar nicht inspiriert. Auf die Geschichte der Aufführungspraxis der Fledermaus kann man hier nur kurz eingehen, wenn auch die Diskussionen darüber immer die Gemüter erhitzt haben. Es ging um Tempi, Rubati, Fermaten, Zäsuren, Werktreue oder interpretatorische » Tradition « (laut Mahler » Schlamperei «); die Zuhörer haben trotzdem immer die Musik von Strauß zu hören bekommen. Manchmal allerdings haben sie die Handlung auf der Bühne kaum mehr wiedererkannt; es war freilich eine andere Art von Aufführungspraxis... Zum Schluss sei mir noch eine sehr persönliche, nicht nur ironisch gemeinte Anmerkung gestattet. Die Nummer » Brüderlein und Schwesterlein « hat die sexuelle Emanzipation, zumindest auf der Bühne, bereits 1874 verwirklicht. Echt österreichisch ist diese Musik auch, alle kennen sie und sie entspricht gewiss der Mentalität unserer Spaßgesellschaft. Warum wird sie nicht als Nationalhymne verwendet, statt sich in jahrelange, unsägliche Diskussionen über » Töchter und Söhne « einzulassen?

→ Folgende Seiten: Bühnenbildentwurf zur Uraufführung, 1874

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DIE MUSIK DER FLEDER M AUS




DIE FLEDERMAUSURAUFFÜHRUNG IM SPIEGEL DER REZENSIONEN


WIENER SONN- UND MONTAGS-ZEITUNG, 6. APRIL 1874

» Triumph! Sieg auf allen Linien! Wie die Wiener ihren Johann Strauß bewillkommt haben? Nun, wie es zu erwarten war, mit einem Beifallstosen, der das Haus erzittern machte. Von dem Momente an, da Johann Strauß am Dirigentenpulte erschien, bis zum Schlusse der Oper gab es ununterbrochene Applaussalven für den glücklichen Triumphator. Außerordentliche Anerkennung fand und verdiente auch die Darstellung. In allerallerster Linie ist da wieder Frl. Geistinger zu nennen. Wir wollen nicht davon sprechen, daß diese Künstlerin ein Geheimniß besitzt, um das sie alle Frauen der Welt beneiden können, das Geheimniß, schön zu bleiben. Sie sah gestern wieder verführerischer aus als je. Was wir speciell hervorheben wollen, das ist ihre Darstellungs- und Gesangskunst, die ihr in der Rolle der › Rosalinde ‹ stürmischen Beifall einbrachte. Sehr großen Erfolg erzielte Frau Charles-Hirsch, deren sympathische Stimme und virtuose Gesangstechnik schon gelegentlich ihres Auftretens im Carneval in Rom gebührende Anerkennung fanden. Als Dritte im Damenbunde ist Frl. Nittinger (Fürst Orlofsky) zu nennen, die ihre nicht übergroße Partie trefflich zur Geltung brachte. Von den Darstellern ist diesmal Herr Szika (Eisenstein) mit der größten Rolle bedacht. Der Sänger hat sich mit dieser ersten bedeutenden Parthie, die er mit großem Glück selbstständig geschaffen, den vollen Dank des Publikums verdient und wurde ebenso, wie Herr Friese für seine köstliche Leistung als › Polizeidirector ‹, auf das Ehrendste ausgezeichnet. In den kleineren Parthien sind die Herren Rüdinger, Rott, Schreiber und Lebrecht anerkennendst zu erwähnen. Wie viele Nummern gestern wiederholt, wie oft Johann Strauß, die Darsteller und Director Steiner hervorgerufen wurden, haben wir nicht gezählt, wir freuen uns nur, den schönen Erfolg überhaupt constatiren zu können. Herr Steiner hat die Operette sehr splendid ausgestattet und mit großem Geschmack in Scene gesetzt. Der zweite Act mit dem Garten-Maskenfest gehört in Bezug auf Pracht der Costume und Arrangement zu dem Schönsten, was wir im Theater an der Wien gesehen. Hier fand auch das Ballet Gelegenheit, sich hervorzuthun und aus dem von Frau Kilanni sehr hübsch arrangirten internationalen Tanz-Quodlibet heben wir das Solo der allerliebsten, kleinen feurigen Bonesi und eine Polka, die auf stürmisches Verlangen wiederholt werden mußte, hervor. Einen der herrlichsten Kalauer des Stückes, unzweifelhaft ein Product Richard Genée’s, können wir uns übrigens nicht versagen, unsern Lesern mitzutheilen. › Sprechen Sie russisch?‹ frägt der Fürst das ihm als Schauspielerin vorgestellte Stubenmädchen. › Nein, das ist mir zu kalt! ‹ antwortet die Pseudokünstlerin. O Genée, das thut weh! « THOMAS GRIMM

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DIE FLEDER M AUS-U R AU FF Ü HRU NG IM SPIEGEL DER R EZENSION EN


DIE PRESSE, 7. APRIL 1874

» Im Theater an der Wien ging Sonntag Johann Strauß’ Operette Die Fledermaus in Scene. Der Erfolg war ungewöhnlich groß. Wie viel davon dem Guten der Operette und wie viel der Beliebtheit des Componisten sowie dem sich stark äußernden Localpatriotismus, der einem Wiener Product gegenüberstand, zuzuschreiben ist, darüber wird noch des Ausführlicheren gesprochen werden. Was an dem Compositeur lag, musikalische Reichthümer zu häufen, das hat er in fast verschwenderischer Weise gethan. Der Walzer dominirte und zündete. Der Applaus war stürmisch; er galt in erster Linie Herrn Johann Strauß, in zweiter Linie den Darstellenden. Strauß wurde gleich bei seinem Erscheinen aufs Lebhafteste empfangen. Die Heißsporne unter den Localpatriotischen ließen sichs nicht nehmen, schon während der Overture ihren Enthusiasmus für einen darin enthaltenen Walzer kundzugeben. Nach jedem Acte wurden Strauß und die Darsteller gerufen; nach dem zweiten Acte auch Director Steiner. Von den Darstellenden heben wir besonders Fräulein Geistinger und Frau Charles-Hirsch hervor. Fräulein Geistinger entfaltete ihr reiches und vielseitiges Talent in vollstem Maße, nicht minder ihre luxuriösen Toiletten. Sie wußte den gesanglichen Theil durch feine Poin­ tirung zu veredeln und interessant zu machen. Ihre schauspielerische Gewandtheit ist bekannt; am Sonntag war sie besonders animirt, was den guten Eindruck bedeutend erhöhte. Einige Anzüglichkeiten aus ihrer Rolle, welche ohnedies überhört wurden, sollten gestrichen werden. Herr Szika verdient zunächst lobenswerth genannt zu werden. Die Herren Rüdinger, Rott, Friese und Schreiber wirkten in bester Absicht, die Operette lebendig zu gestalten, zusammen. Der Abend verlief zwischen Musik und geräuschvollen Beifallsäußerungen. « » S. «

WIENER ABENDPOST, 7. APRIL 1874

» Meilhac, Halévy und Johann Strauß, das wäre in der That eine Combination, wie sie der so sehr an Librettonoth leidende Johann Strauß nur wünschen könnte, besonders seit die beiden Pariser Autoren Jacques Offenbach ihre Freundschaft und ihre Federn gekündigt haben. Aber diesmal haben die Herren J. Strauß und Director Steiner oder vielmehr Steiner und Strauß noch nicht ganz das Richtige getroffen; vielleicht thun sie nächstens einen Schritt weiter und bemühen sich, ein echtes und rechtes Libretto, als solches gedacht und ausgeführt, von Paris zu beziehen. Réveillon zu einem Libretto umzugestalten, das ist nämlich den Herren Meilhac und Halevy nicht in ihren kühnsten Träumen eingefallen und wir sehen, von Wien aus, die anfänglich erstaunten Gesichter, welche die Herren gemacht haben mögen, als man sie um Erlaubniß bat: das Wagniß in Wien DIE FLEDER M AUS-U R AU FF Ü HRU NG IM SPIEGEL DER R EZENSION EN

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vollziehen zu dürfen, und hören das Gekicher und Gelächter, als sie sich von ihrer Ueberraschung erholt hatten. Réveillon, das hier bearbeitete Stück der Pariser Autoren, ist nämlich eine verwickelte Situationsposse echtester Pariser Art, die im Beginne großer Aufmerksamkeit von Seite der Zuhörer bedarf, um die Voraussetzungen, die im Fluge vorüberhuschen, festzuhalten, sollen die sich daraus ergebenden Complicationen wirken, besonders komisch wirken, eine Eigenschaft, die ihnen ohnedies nur in geringem Grade eigen ist. Nun denke man sich ein Stück dieser Art von Musik gedeckt und überdies von unseren Operettensängern, die zumeist schlecht aussprechen, vorgetragen! Wie sehr muß es darunter leiden, da doch das Genre auf breiter Grundlage, auf einfacher Textur möchten wir sagen, ruhen soll, um allgemein verständlich zu sein, zu wirken. Das Pariser Stück beruht zumeist auf dem zweiten Acte, welcher das Schmarotzerthum der Pariser und besonders der Pariser Theaterkreise geißelt, jener Kreise, welche Tischgenossen steinreicher Fremden sind und sich von diesen alle Sottisen an den Kopf werfen lassen. Sie lassen sich verspotten und verhöhnen, um Champagner trinken, Fasane essen zu können oder eine Goldrolle, hie und da auch Brillanten einzusacken. Letztes, wenn sie Frauen sind, was nicht ausschließt, daß die Mädchen auch Champagner mittrinken und Fasane mitessen oder daß die Männer auch Gold nehmen, wenn sie es bekommen. Nun, in Réveillon ist es ein junger, blasirter russischer Fürst, den zu unterhalten ein Pariser Notar es unternimmt: die Pariser titelsüchtige Bourgeoisie und die Halbkünstlerinnen des Theaters zu prostituiren. Man denke sich nun unsere Choristinnen als Pariser Schauspielerinnen und ein Fräulein Nittinger als russischen Fürsten! Wie soll das wirken, wie soll da die Intention der Autoren, auf die sie das ganze Stück gründeten, und deren größten Reiz die Charakteristik des greisen russischen Jünglings bildet, zum Ausdrucke gelangen? Die Idee, Réveillon als Operettentext behandeln zu lassen, war, wie man sieht, nicht besonders glücklich. Was hat nun Johann Strauß für eine Musik dazu geschrieben? Die Partitur muß nicht sehr umfangreich sein. Der persönlich dirigirende Compositeur rührte oft, lange Zeit hindurch, keine Hand; so viel Raum ist den Worten ohne Lieder eingeräumt. Plötzlich ergiebt sich eine passende oder unpassende Gelegenheit, daß eine oder die andere Person einen oder den andern Partner oder mehrere freundlich auffordert: die Liebenswürdigkeit zu haben, ein Lied zu singen, und so hören wir einige Polkas, Walzer und sogar einen Bravour-Csardás – das Stück ist nämlich von Paris nach Wien verlegt – und zwar drei bis vier recht schöne Polkas und Walzer, da auch ein › Gleiches Recht für Alle-Ballet ‹ eingelegt ist, ein Ballet nämlich von der vor vielen Jahren beliebten Gattung, in der jede Nationalität durch einen Tanz repräsentirt wird. Operette also ist das Stück eigentlich nicht so ganz, es ist mehr Posse mit Tanzmusik. Strauß’sche Tanzmusik aber hört man immer gerne, ob sie für 51

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ein Carnevalsorchester oder für den Chor des Männergesangvereines oder für das Theater an der Wien geschrieben ist. Strauß ist Tanzmusik und Tanzmusik braucht die Welt. Da schließlich bei allen Kunstbestrebungen Strauß’ immer einige ausgezeichnete, die Welt bewegende, zum Tanzen bewegende Polkas und Walzer als charmanter Bodensatz übrig bleiben, so lassen wir uns auch Operetten von J. Strauß gefallen und Operettentexte, die eigentlich keine sind, und, was allerdings nicht ganz leicht fällt, russische Lebemänner von Fräulein Nittinger dargestellt und Tenorpartien von Herrn Szika gesungen, der zwar herculisch gebaut ist, aber keine Rolle tragen kann und noch immer Herrn Swoboda nicht vergessen gemacht hat im Theater an der Wien, u. s. w., u. s. w. Wäre Fräul. Geistinger nicht gewesen und Frau Charles-Hirsch, beide vorzüglich in ihrer Art, so hätte man wahrlich die Frage stellen können: wer denn eigentlich singt in dieser Operette und ob überhaupt gesungen wird! Der Erfolg war übrigens unbestritten, da die besten Nummern zum Schluß der Acte fallen und Johann Strauß durch sein Erscheinen allein das Publicum elektrisirt. Menschenfüße sind noch dankbarer als Herzen und Dankbarkeit der Füße drückt sich durch den Applaus der Hände aus. J. Strauß wurde also lebhaft applaudirt und von dem überfüllten Hause mit den Mitgliedern der Direction oft gerufen. Wir freuen uns schon heute auf das Erscheinen der drei oder vier Tanzpiecen. Sie werden diesen Sommer die Klaviere in allen Landaufenthalts-Orten beherrschen und die Erinnerung an die Operette Fledermaus erwecken. «

NEUE FREIE PRESSE, 8. APRIL 1874

» Die musikalische Genußfähigkeit der verschiedenen Nationen kennzeichnete ein Schriftsteller des vorigen Jahrhunderts mit folgenden Worten: › Der Italiener kostet, der Franzose ißt, der Engländer verschlingt, der Deutsche allein verdaut die Musik. ‹ Hätte der gute Mann in unseren Tagen gelebt, vielleicht würde sein Ausspruch, was uns Deutsche betrifft, ganz anders lauten. In keinem Lande wenigstens gibt es eine Stadt, deren Musikleben so üppige Blüthen triebe und an Genüssen zu bieten vermöchte, was Wien dieser Tage uns geboten. Wollen wir auch nur die verflossene Woche überblicken, so haben wir eine solche Fülle von Concert- und Opernaufführungen zu verzeichnen, daß London und Paris einen vollen Monat lang ihr musikalisches Leben davon fristen könnten. Da begegnen wir zwei Händel’schen Oratorien, dem Messias und dem Salomo ; Opernfragmenten von Mozart, Cherubini und Spontini; Pianisten-Concerten im Uebermaß; Productionen der Sing-Akademie und der Horak’schen Clavierschule; nebenher liefen die Alltagsleistungen zweier Opernhäuser und dazwischen klangen, gleich goldenen Leuchtkugeln über das Tongetriebe sich emporhebend, die Triller und Läufer DIE FLEDER M AUS-U R AU FF Ü HRU NG IM SPIEGEL DER R EZENSION EN

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der göttlichen Patti – was Wunder, wenn unser ständiger Referent auf den Gedanken kam, vor dieser Sündfluth sich zu retten und in den Gefilden Italiens musikloser Muße zu pflegen. Bei solcher Uebersättigung hört das Vergnügen auf und beginnt die Unverdaulichkeit. Mit der Charwoche, hofften wir, würde auch die Leidensgeschichte eines stellvertretenden Referenten ein Ende haben, allein der Sturm hat sich noch nicht ausgetobt, und kaum ist Ostern ins Land gegangen, so haben wir auch schon von zwei musikalischen Ereignissen zu berichten, die, grundverschieden ihrem Wesen nach, unser Interesse fast in gleichem Maße herausfordern: Am Ostersonntag ist im Theater an der Wien eine neue Operette von Johann Strauß in Scene gegangen – am Ostermontag hat Franz Liszt im fürstlich Auersperg’schen Palais › zu wohlthätigen Zwecken ‹ Clavier gespielt. Die Fledermaus gibt uns zunächst eine Klage in den Mund, welche, zum Ekel wiederholt, nachgerade eine banale, in allen Opern-Recensionen stereotypirte Phrase geworden ist. Was nur gegen die jämmerlichen Libretti unserer Zeit gesagt und geschrieben wurde, ist vollgiltig für Johann Strauß’ neuestes Bühnenwerk. Situationen, die man zur Noth nur musikalische nennen kann, sind hier durch einen Dialog voll haarsträubender Geschmacklosigkeiten aneinandergereiht, und schlechte Witze und schlechter Kalauer jagen sich wie Ungeziefer am unreinlichen Orte. Uns ist vollkommen klar, daß den patentirten Faiseurs des Theaters an der Wien die Erkenntniß des Möglichen und Unmöglichen, des Passenden und Unpassenden gänzlich abhanden gekommen ist, wenn sie dieselbe überhaupt je besessen haben. In welchem Rothwälsch diese Sprachvergifter ihre Verse gedichtet haben, läßt sich kaum sagen; so etwas muß in seiner Naturschönheit genossen werden. Auf Schritt und Tritt wird man von Reimen geohrfeigt, wie: Komm’ mit zum Souper, Es ist ganz in der Näh; oder: Wie, du kannst noch leugnen, Mann! Hast doch meinen Schlafrock an – Ein unlösbares Räthsel bleibt es uns, daß man für solche Worte Musik haben kann, daß nicht der Tongedanke, welcher im Kopfe des Componisten entsteht, lieber in Nichts verhallt, ehe er derlei Platituden sich anschmiegt. Und wiederum waren die Librettisten unfähig gewesen, ihre seichten Einfälle aus eigener Erfindung zu schöpfen, wiederum bedurften sie eines französischen Vorbildes, an welchem sie die Umrisse der Handlung abzeichneten. Die Fledermaus ist nach einem Schwanke des Palais-Royal-Theaters gearbeitet, nach der vielgespielten Posse Le Réveillon von Meilhac und Halévy. Indeß genügt wohl eine flüchtige Andeutung des Inhalts, um unseren Lesern zu beweisen, daß das französische Original kein Original, sondern eben nur die Pariser Ausgabe eines bekannten Lustspiels von Benedix ist. Herr v. Eisenstein hat einen Gerichtsdiener geprügelt und soll dafür auf 53

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acht Tage in den Thurm wandern. Die Frist, welche dem Verurtheilten gewährt wurde, ist längst abgelaufen; noch eine Nacht will er in fröhlicher Gesellschaft auf dem Balle zubringen und dann mit dem grauenden Morgen seine Strafe antreten. Kaum ist er weggegangen, so installiert sich ein Fremdling in Eisenstein’s Wohnung, benützt seinen Schlafrock, trinkt seine Weine und verführt um ein Kleines seine Frau. Im Augenblicke, wo die Gefahr am größten, erscheint glücklicherweise der Gefängniß-Director und arretirt in höflichster Weise den kühnen Liebhaber, welchen er für den authentischen Herrn v. Eisenstein hält. So weit der erste Act… Der zweite Act führt uns auf einen Maskenball, in eine ganz tolle Welt, wo Alles falsche Namen trägt, Eisenstein als Marquis, der Gefängniß-Director als Chevalier figurirt und Beide zwischen Opernratten und Champagnerflaschen den Bund der Freundschaft schließen. Auch Eisenstein’s Frau erscheint sorgfältig maskirt auf dem Balle, tanzt incognito als ungarische Gräfin und wird von ihrem Gemal ahnungslos mit aufdringlicher Zärtlichkeit verfolgt. Der Morgen kommt, für den PseudoMarquis und den Pseudo-Chevalier die Zeit, das Gefängniß aufzusuchen… Der dritte Act entwirrt die roh geschlungenen Fäden des Imbroglio und bringt die unvermeidlichen Erkennungsscenen. Eisenstein wundert sich nicht wenig, daß bereits ein Anderer seine Zelle bewohnt; er wüthet, als er hört, unter welchen Umständen dieser Doppelgänger verhaftet wurde; um Alles zu erfahren, stülpt er Perücke und Brille eines Advocaten auf Kopf und Nase und tritt unter dieser Maske zwischen seine Frau und ihren vermeintlichen Liebhaber. Ist die Gattin von jeder Schuld nicht freizusprechen, so wird der Gatte hingegen des thatsächlichen Versuches ehelicher Untreue überführt, und wo beide Theile der Nachsicht bedürfen, kommt die Versöhnung leicht zu Stande. Eine Fledermaus-Episode, welche im Verlauf des Stückes erzählt wird, steht zu der Handlung in keinerlei Bezug. Die ganze Theater-Literatur besitzt schwerlich ein Opus, das seinen Titel weniger verdiente, als der Operntext der Herren C. Haffner und Richard Genée. Zu diesem Stücke, dessen Lebensnerv die verbrauchteste aller Theaterschablonen: das Quidproquo, hat Johann Strauß Töne gesetzt. Der Musiker warf duftende Blumen auf die Sünden der Librettisten, er gab dem verwachsenen Kinde eine so reiche musikalische Mitgift, daß es der Liebhaber nicht ermangeln wird. Von einer Oper zu berichten, die trotz des elenden Textes alle stelle ginge, ist selten möglich. Diesmal sind wir’s im Stande… Nennt man den Namen einer Strauß’schen Operette, so ist damit bereits gesagt, daß in derselben eine Fülle reizender Walzer und Polkas enthalten ist, dieselbe eigentlich nur aus einer Kette anmuthiger Tänze besteht. Wie könnte dies auch anders sein, und warum sollte man darob klagen? Ist der Tanz nicht der Urquell aller Musik, zu dem wir immer zurückkehren müssen, so oft wir erlauschen wollen, wie ein Volk in Tönen fühlt und denkt? Wo anders pulsirt denn zur Stunde Gemüth und Gemüthlichkeit des Wieners, weht jene laue Wiener Luft, die ehedem so viele schöne Lieder zum Blühen DIE FLEDER M AUS-U R AU FF Ü HRU NG IM SPIEGEL DER R EZENSION EN

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brachte, wo anders als in einem Strauß’schen Walzer? Strauß verleiht seinen Tänzen eine eigenthümliche Poesie: leichtes Blut, das verschriene Wiener Blut, quirlt in seinen Weisen, ganz gewiß; wie oft aber trifft er den Ton wärmster Empfindung, inniger Reflexion, wie oft weiß er, unbeirrt durch den drängenden Rhythmus, träumerisch sinnende, gemüthvolle Klänge anzuschlagen! Ein Tanz so guter Art, von so ausdrucksfähiger Melodik hat auch ein Anrecht auf die Bühne. Und wie gesagt, bei Strauß ist es nun einmal anders nicht möglich: sein Blut rollt im Walzer-Rhythmus durch die Adern, seine Gedanken trippeln polkalustig im Zweiviertel-Texte durch den Kopf, und es ist ganz begreiflich, daß einem solchen Menschen auch jede dramatische Situation zum Tanze wird. Man erzählt von Thorwaldsen, daß er, mit einem Freunde disputirend, im Zimmer heftigen Schrittes auf und ab ging; zwischen den Fingern knetete er ein Stück weichen Brotes, das er im Eifer der Rede plötzlich in die Ecke warf; der Freund hob es auf, und siehe da, aus dem Teige war ein wunderschöner Frauenkopf mit griechischem Profil geworden. Unbewußt, gedankenlos hatte der Künstler seine Kunst geübt. So ungefähr, denke ich mir, producirt unser Strauß: er will einen Seesturm malen, und siehe da, es wird ein Walzer daraus. Für den Musiker ist es eine Freude, zu sehen und zu hören, wie der Componist mit seinen Tanzrhythmen hantirt, wie er mit zwei- und dreitheiligen Textarten sein gewandtes Spiel treibt und merklos, ehe man sich’s versieht, aus einer Polka in einen Walzer überspringt. Das Finale des zweiten [recte: ersten] Actes ist typisch für dies anmuthige Wechselspiel contrastirender Rhythmen. › Mein Herr, was denken Sie von mir? ‹ singt die Geistinger im neckischen Polkatacte, und bevor man Zeit gefunden, der zierlichen Melodie sein Wohlgefallen auszudrücken, hat sie sich zum Walzer-Refrain zugespitzt: › So ennuyirt und so blasirt kann nur ein Eh’mann sein. ‹ In diesem ersten Acte wäre übrigens noch manche Blume zu pflücken. Adele, das Stubenmädchen (Frau Charles-Hirsch), singt eine hübsche, von zarten Orchesterfiguren umsponnene Brief-Arie; seitdem Offenbach in Périchole einen Brief componirt und in La Duchesse de Gérolstein die Gazette de Hollande in Musik gesetzt, ist das musikalische Ablesen von Schriftstücken in allen Operetten so stereotyp geworden, wie Trinklied, Gebet und Jägerchor in den Opern der guten alten Zeit. Erwähnenswerth scheint uns noch ein Terzett (Geistinger, Szika und Lebrecht [recte: Hirsch]), das, langsam beginnend, wiederum zu einer pikanten Polka sich entwickelt, und ein Trinkduett (Geistinger und Rüdinger), dieses wegen seines übermäßig populären Rundreims: › Glücklich ist, wer vergißt, was nicht mehr zu ändern ist. ‹ Man bewundere im Vorübergehen die üppigen Reime!… Der zweite Act enthält einige Trivialitäten, die Couplets des russischen Prinzen (Fräulein Nittinger) zum Beispiel und das Champagnerlied, welches durchaus nichts Prickelndes und Moussirendes hat, sondern höchstens zur Verherrlichung Kleinoscheg’s dienen kann. Ein Duett: › Dieser Anstand, so manierlich! und die Taille, wie so zierlich! ‹ (und die 55

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Verse, wie possierlich!) erinnert stark an Auber; der ungarische Csárdás aber ist bereits bekannt und durch die Geistinger zur Concertberühmtheit geworden. Den Glanzmoment des Actes und der ganzen Oper bildet das Finale, welches mehrere Tanzperlen enthält. Der Kuß- oder Schmolliswalzer – ich weiß nicht, wie das Publicum ihn taufen wird – bietet auch scenisch ein anziehendes Bild; es ist gar lieblich anzuschauen, wie die reich costümirten Paare hin- und herschweben, von kosenden Melodien gewiegt, vom Hauche warmer Sinnlichkeit belebt. Daß ein Wiener in solchen Momenten nicht zu zähmen ist, sondern in lärmvollen Beifall ausbricht, versteht sich von selbst… Der dritte Act beginnt mit einem pantomimisch-symphonischen Satze, gleichsam einem Aquarellbildchen, in welchem die Scenen des zweiten Actes flüchtig wieder aufleben. Der Gefängniß-Director kommt im Champagnerrausche nach Hause; die Stimmen der Nacht werden wieder laut und melden, was der Leichtsinnige vollbracht: die Oboë sagt es der Clarinette, die Flöte bläst es der Violine ins Ohr, es ist ein seltsam Flüstern, Säuseln und Kichern, das, plötzlich vom Brummtone eines Fagots durchschnarcht, in komisch realistischer Weise sich austönt. Von der geistreichen, discreten, echt künstlerischen Manier, mit welcher Strauß seine Partituren instrumentirt, legt diese Nummer bestes Zeugniß ab. Der dritte Act ist indeß an musikalischen Schönheiten nicht überreich; wir erinnern uns nur an eine von Frau CharlesHirsch gesungene Ariette und an ein scenisch äußerst wirksames Terzett (Geistinger, Szika, Rüdinger). Über Aufführung und Ausstattung der Operette ist vorwiegend Angenehmes zu berichten. Die Geistinger (Frau v. Eisenstein) spielt mit der Frische einer jungen Debutantin und singt mit der Fertigkeit einer reifen Künstlerin; Herr Rüdinger, der falsche Eisenstein, ist etwas hölzern und verschnupft, Herr Szika (Eisenstein) dagegen gut bei Stimme und gewandt im Spiel; Herr Friese (Gefängniß-Director) und Herr Schreiber (Gerichtsdiener) sind sehr komisch, nähern sich aber jener fatalen Grenze, wo das Komische oftmals gegen den Schauspieler sich kehrt; Frau CharlesHirsch (Adele) ist eine Sängerin von Bildung und Geschmack. Fräulein Nittinger hat Stimme und Fräulein Angelina Bonesi belebt mit ihrer Jugend und Grazie das Tanzdivertissement des zweiten Actes. Johann Strauß darf mit dem Abende zufrieden sein. Wir wollen seine Operette nicht in den Himmel heben, sondern hübsch auf Erden bleiben, daß der Mann nicht übermüthig werde. Sein Talent ist beschränkt und seine Musik eine musichetta; immerhin aber mag er mit dem französischen Poeten sagen: › Mon verre est petit, mais c’est le mien! ‹« HUGO WITTMANN → KS Elīna Garanča als Orlofsky 2003 Folgende Seiten: Hans Makart: Studie, 1884

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KOLUMN EN T IT EL




WAS GESCHAH IM JAHR DER FLEDERMAUSURAUFFÜHRUNG?


Kompositionen Anton Bruckner schreibt die 1. Fassung seiner 4. Symphonie (Die Romantische). Modest Mussorgski komponiert seinen Klavierzyklus Bilder einer Ausstellung, sein Boris Godunow wird am 27. Jänner 1874 uraufgeführt. Giuseppe Verdis Messa da Requiem wird am 22. Mai 1874 in Mailand unter der Leitung des Komponisten uraufgeführt. Richard Wagner vollendet am 21. November 1874 seine Götterdämmerung.

Geburtstage und Todesfälle Der österreichische Komponist Arnold Schönberg wird am 13. September 1874 in Wien geboren. Die österreichische Opernsängerin Selma Kurz wird am 15. Oktober 1874 in Bielitz geboren. Der deutsche Komponist Peter Cornelius stirbt am 26. Oktober 1874 in Mainz. Der österreichische Komponist Franz Schmidt wird am 22. Dezember 1874 in Pressburg geboren.

Premieren an der Wiener Staatsoper Erstaufführung von Schumanns Genoveva im Haus am Ring am 8. Jänner 1874. Erstaufführung von Meyerbeers Nordstern (L’étoile du nord) im Haus am Ring am 9. März 1874. Erstaufführung von Verdis Aida im Haus am Ring am 29. April 1874.

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WAS GE SCH A H IM JA HR DER FLEDER M AUS-U R AU FF Ü HRU NG?


Michael Jahn

DIE FLEDERMAUS IN WIEN

Im September 1872 erwarb Maximilian Steiner, der Direktor des Theaters an der Wien, die Rechte an dem Pariser Lustspiel Le Réveillon, ein Stück der uns als Autoren des Carmen-Librettos bekannten Franzosen Henri Meilhac und Ludovic Halévy, denen das Lustspiel Das Gefängnis von Roderich Benedix als Vorlage gedient hatte. Steiners Begeisterung für das Libretto ging jedoch verloren, er gab die Rechte an seinen Direktoren-Kollegen Franz Jauner vom Carl-Theater weiter, der von Karl Haffner eine deutsche Übersetzung anfertigen ließ. Nun übernahm wieder Steiner das Projekt und verpflichtete Richard Genée, ein Libretto für Johann Strauß einzurichten. – Wie wir heute wissen, hat Genée den Walzerkönig auch bei der Komposition und Orchestration unterstützt. MICH A EL JA HN

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Die Fledermaus war das dritte musikdramatische Werk des Johann Strauß, vorangegangen waren Indigo und die 40 Räuber (1871) und Carneval in Rom (1873), später sollten u. a. Cagliostro in Wien (1875), Das Spitzentuch der Königin (1880), Der lustige Krieg (1882), Eine Nacht in Venedig (1883), Der Zigeunerbaron (1886) und Jabuka (1894) folgen. Die heute von der Fledermaus eingenommene Sonderstellung war nach der Premiere noch nicht abzusehen, insbesondere das Libretto wurde von vielen Kritikern als Schwachpunkt des Werkes angesehen. Bald jedoch sollte das Werk im Ausland neben der Walzerfolge An der schönen blauen Donau zu einem Synonym für Wiener Musik werden sollte. – Die Floskel, Wien habe an der Fledermaus ebenso mitkomponiert wie an Mozarts Zauberflöte, Beethovens Pastorale und Schuberts CDur-Symphonie, begegnet uns in den überlieferten Rezensionen mehrmals. Johann Strauß dirigierte die Uraufführung seiner Fledermaus am 5. April 1874 im Theater an der Wien selbst, die Dekorationen (neue wurden übrigens nur für den ersten und zweiten Akt angefertigt) stammten von Alfred Moser, die Kostüme wurden vom Obergarderobier Schulze angefertigt und die Möbel von den Erben des k. k. Hoflieferanten Rudolf Kitschelt zur Verfügung gestellt, wie wir dem Theaterzettel entnehmen dürfen. Die Tänze wurden von der Ballettmeisterin Therese von Kilany arrangiert, als Ort der Handlung wurde ein nicht genauer definierter Badeort in der Nähe einer großen Stadt angeführt. » Star « des Abends war als Rosalinde Marie Geistinger, die Primadonna und Mit-Direktorin des Theaters an der Wien. Die Adele sang Caroline Charles-Hirsch, der Prinz Orlofsky (auf dem Theaterzettel der Uraufführung » Orlofski «, später auch » Orlowski « oder » Orlowsky «) war Irma Nittinger. Der ungarische Tenor Jani Szika war der Eisenstein, Carl Adolf Friese der Gefängnis-Direktor Frank, Alfred Schreiber der Frosch, Hans Rüdinger und Carl Matthias Rott sangen Alfred und Dr. Blind und der wenige Monate nach der Premiere verstorbene 25-jährige Bariton Ferdinand Lebrecht den Dr. Falke. In der fünfteiligen, verschiedenen Nationalitäten entsprechenden (Spanisch – Schottisch – Russisch – Polka – Ungarisch) und heute zu Unrecht in Vergessenheit geratenen Ballettmusik fiel insbesondere ein Solo der jungen Tänzerin Angelina Bonesi auf. Der kräftigste Applaus erklang laut zeitgenössischen Berichten nach der Ouvertüre, dem Beginn des Terzetts im ersten Finale (» Mein Herr, was denken Sie von mir «), dem Csárdás der Rosalinde (den Frau Geistinger bereits am 25. Oktober 1873 in einem Wohltätigkeitskonzert im Musikverein vorgestellt hatte) und dem Kuss-Walzer (» Brüderlein und Schwesterlein «) im zweiten Finale; aber auch die Soli der Adele und des Orlofsky, das Duett zwischen Rosalinde und Eisenstein sowie der Champagner-Chor im zweiten und das (von Genée stammende) Melodram sowie das Rache-Terzett im dritten Akt wurden mit heftigem Beifall aufgenommen. – Innerhalb von 65 Tagen wurde Die Fledermaus 49 Mal gespielt; die 100. Aufführung des Stückes (das auf dem Theaterzettel der Uraufführung als » komische Operette «, von kri 63

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tischen Rezensenten jedoch als » musikalisches Lustspiel « oder als » Posse mit Tanzmusik « bezeichnet wurde) am Theater an der Wien fand im Jahre 1876 statt, die 200. Vorstellung 1888 und die 300. in Strauß’ Todesjahr 1899. Zwei Jahrzehnte nach der Uraufführung, als die Fledermaus längst als Meisterwerk seiner Gattung anerkannt war, wurde das Stück im Rahmen einer zum » Vorteil des Pensionsfonds der Hofoper « abgehaltenen Nachmittagsaufführung (Beginn 14 Uhr) im Rahmen der Feierlichkeiten zu Strauß’ 70. Geburtstag am 28. Oktober 1894 (also während der Direktionsära von Wilhelm Jahn) an der Wiener Hofoper gezeigt. Trotz stark erhöhter Preise war die von Hofkapellmeister Johann Nepomuk Fuchs geleitete Vorstellung bald nach ihrer Ankündigung ausverkauft. Paula Mark sang die Rosalinde, Ellen Forster die Adele, Lola Beeth den Orlofsky, Josef Ritter den Frank, Benedikt Felix den Falke, Andreas Dippel den Alfred, Anton Schittenhelm den Blind. Die Solotänzerin Karoline Skoffitz spielte die Ida, der vielseitig einsetzbare August Stoll den Frosch und der Chorist Thomas Koschat den Iwan. Der Tenor Fritz Schrödter fand als Eisenstein eine neue Paraderolle, die er bis 1920 etwa 120 Mal an der Hofoper interpretieren sollte. In der BallGesellschaft des zweiten Aktes versammelten sich damals Größen des Wiener Opernensembles wie Ernest van Dyck oder (für spätere Aufführungen belegt) Hermann Winkelmann, Georg Müller, Theodor Reichmann und Carl Grengg. Das zweite Finale musste wiederholt werden, und eine Reprise der gesamten Aufführung wurde allgemein gefordert. In den nächsten Jahren wurden immer vereinzelte Darbietungen der Fledermaus zu Gunsten des Pensionsfonds auf den Spielplan der Hofoper gesetzt – zumeist im Rahmen von Nachmittagsvorstellungen. Die Partie der Rosalinde übernahmen Georgine von Januschofsky, Marie Renard, Jenny Pohlner und Marie Ottmann, die Adele sang u. a. Julie Kopacsi-Karczag als Gast vom Carl-Theater, den Orlofsky Irene Abendroth, den Alfred Franz Naval und als Ida war mit Elise Elizza eine spätere Rosalinde und Adele der Hofoper zu bewundern. Als Gustav Mahler die musikalische Leitung des Werkes übernahm, avancierte Die Fledermaus am 31. Oktober 1897 zum ersten Mal zur Abendvorstellung, in welcher der berühmte Bass Wilhelm Hesch der neue Gerichtsdiener Frosch war. In späteren Aufführungen übernahmen Josef Hellmesberger die musikalische Leitung und der beliebte Komiker Alexander Girardi die Partie des Frosch, während am 22. Mai 1899 Johann Strauß als Dirigent der Ouvertüre seinen letzten umjubelten öffentlichen Auftritt als Orchesterleiter absolvierte. Nur zweieinhalb Wochen später, am 9. Juni 1899, stand Die Fledermaus schon wieder auf dem Spielplan der Hofoper, diesmal – unter der Leitung von Hellmesberger – als Trauerfeier für den wenige Tage zuvor verstorbenen Komponisten. Dieses Datum markiert auch die Übernahme des Werkes in das reguläre Repertoire des Hauses; allein bis Ende 1899 fanden 13 WiederMICH A EL JA HN

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holungen statt. Die Besetzung des auf dem Theaterzettel nunmehr als » komische Oper « bezeichneten Werkes war bereits bekannt, neu war jedoch die Einlage des Donau-Walzers, der damals allerdings noch konzertant vor dem zweiten Akt gespielt wurde. In späteren Jahren änderten sich die Einlagen in der Ballszene des 2. Aktes; Auftritte von beliebten Sängern wechselten mit Tanzdarbietungen des Opernballetts wie etwa der Walzerfolge G’schichten aus dem Wienerwald ab. – Am 31. Dezember 1900 gab es die erste der heute beinahe als selbstverständlich angesehenen Silvesteraufführungen der Fledermaus an der Wiener Oper. Am 31. Mai 1915 wurde Fritz Schrödter, der großartige Interpret des Eisenstein, nach einer Aufführung der Fledermaus aus dem Ensemble der Hofoper verabschiedet, um allerdings fünf Jahre später in dem nun zum einfachen » Operntheater « degradierten Haus noch einmal seine Paraderolle darzustellen. Stand das Werk im Jahre 1915 unter der musikalischen Leitung des späteren Operndirektors Franz Schalk (mit Maria Jeritza als Rosalinde und Carola Jovanović als Adele), so dirigierte am 26. Dezember 1920 Richard Strauss. Neben der Jeritza und Schrödter standen diesmal der gefeierte Leo Slezak als Alfred, Elisabeth Schumann als Adele, Karl Zeska als Frank und Ferdinand Maierhofer als Frosch auf der Bühne. Und im Jahre 1922 hatte die Wiener Oper mit Vera Schwarz als Rosalinde, Richard Tauber als Eisenstein und Slezak als Alfred eine Idealbesetzung aufzubieten, die durch die Schumann als Adele, Olga Bauer von Pilecka als Orlofsky, Alfred Jerger als Frank und Karl Norbert als Frosch ergänzt wurde. Eine Neueinstudierung in den alten Bühnenbildern des Jahres 1894 fand am 11. Oktober 1924 statt; unter der musikalischen Leitung von Hugo Reichenberger sangen die Damen Schwarz und Schumann nochmals Rosalinde und Adele, Tauber war wieder der Eisenstein und Norbert der Frosch. Die Partie des Alfred übernahm nun Karl Aagard Oestvig, den Frank Hans Duhan, den Orlofsky Marie Olszewska und den Falke Karl Renner; unter den Solotänzern ragten Willy Fränzl und Tilly Losch hervor. Die berühmte Lotte Lehmann sang die Rosalinde an der Wiener Oper ein einziges Mal; an diesem 27. Mai 1930 stand das Werk unter der musikalischen Leitung von Bruno Walter, Karl Ziegler war der Eisenstein, Karl Hammes der Falke. Am 31. Dezember 1937 erfolgte eine szenische Neugestaltung der Fledermaus durch Alfred Jerger; Josef Krips war der Dirigent, Margit Bokor die den Csárdás ungarisch singende Rosalinde (später übernahmen u. a. Else Schulz, Esther Réthy und Maria Reining diese Partie), Adele Kern die Adele, Rosette Anday der Orlofsky, der gefeierte Palestrina-Darsteller Josef Witt der Eisenstein, Richard Sallaba der Alfred, William Wernigk der Falke und Hans Duhan der Frank. Der ungarische Komiker Szöke Szakáll befremdete das Publikum als Frosch, Richard Tauber hingegen wurde nach einer Einlage im zweiten Akt bejubelt. Willy Fränzl sorgte für die Choreographie des Donau-Walzers, Stella Junker für die neuen Kostüme. 65

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Auch an der Stätte ihrer Uraufführung, dem Theater an der Wien, gab es viele interessante Aufführungen der Fledermaus, von welchen hier nur vier erwähnt werden sollen: 1900 war die australische Koloratursopranistin Ada Colley im Ballsaal des Orlofsky zu Gast und entzückte das Publikum mit Musik von Wilhelm Ganz und Friedrich von Flotow sowie mit dem wiederholt erklingenden dreigestrichenen as; 1901 wurde die Direktionsära von Wilhelm Karczag und Georg Lang in einem festlich geschmückten und glanzvoll renovierten Theater mit der Fledermaus eröffnet ( Julius Spielmann war der Eisenstein, Eduard Binder der Frank, Ludmilla Gaston der Orlofsky, Karl Meister der Alfred, Betty Stohan die Adele, Aurelie Révy die Rosalinde, Max Garrison der Falke und Eduard Steinberger der Frosch). Am 1. April 1905 leitete Kapellmeister Robert Bodanzky die erste Aufführung der Fledermaus in der neuen » Pariser Einrichtung «, deren Neuerung allerdings in erster Linie aus der Anfertigung von Kostümen in der Mode des » Zweiten Kaiserreichs « bestand. Vor der Vorstellung sprach Adolf Weisse einen Festprolog von Ignaz Schnitzer, nach der Aufführung wurde Strauß’ früher Walzer Sinngedichte (op. 1) gespielt. Karl Streitmann stand als Eisenstein an der Spitze eines Ensembles, dem die Damen Wolff (Rosalinde), Walde (Adele) und Wünsch (Orlofsky) angehörten. Am 11. Jänner 1930 gab es eine Festvorstellung zu Ehren des Regisseurs Karl Tuschl, in welcher Hubert Marischka als Eisenstein, Luise Helletsgruber als Rosalinde, Rita Georg als Adele, Luise Kartousch als Orlofsky und Ferdinand Maierhofer als Frosch zu erleben waren. Am 25. Jänner 1907 nahm Direktor Rainer Simons die Fledermaus in das Repertoire des Kaiserjubiläums-Stadttheaters (der nachmaligen Volksoper) auf. Die Darbietung des später an diesem Haus so oft und in ausgezeichneter Qualität aufgeführten Werkes enttäuschte trotz der vortrefflichen musikalischen Einstudierung durch Alexander von Zemlinsky. Karl Waschmann war der Eisenstein, Helene Oberländer die Rosalinde, Emmy Petko die Adele, Rudolf Hofbauer der Frank und Gusti Stagl der Orlofsky. – Kuriosa wie eine Aufführung der Fledermaus am Wiener Carl-Theater (22. November 1883), die noch während der Ouvertüre auf Grund eines Defekts des eisernen Vorhangs abgebrochen werden musste, oder die beiden Auftritte des Leo Slezak in der Partie des Alfred an einem einzigen Tag (11. Jänner 1930) sowohl im Theater an der Wien als auch an der Staatsoper runden die Höhepunkte der Geschichte der Fledermaus-Aufführungen vor dem Zweiten Weltkrieg ab. Nach dem Krieg konnte das Werk zunächst nur im Ausweichquartier der zerstörten Staatsoper, im Volksoperngebäude, gezeigt werden (1945 bis 1955, u. a. mit Josef Witt und Fred Liewehr als Eisenstein, Sena Jurinac, Hilde Güden und Gertrude Grob-Prandl als Rosalinde, Wilma Lipp und Rita Streich als Adele, Rosette Anday, Marta Rohs als Orlofsky, Anton Dermota und Kurt Preger als Alfred, Hans Braun und dem jungen Eberhard Waechter als Falke sowie Alfred Poell, Alfred Jerger und Richard Eybner als Frank). In der 1950 MICH A EL JA HN

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erfolgten Neuinszenierung übernahm mit Rudolf Christ auch erstmals ein Tenor die Partie des Orlofsky. In die 1955 eröffnete Staatsoper zog Die Fledermaus mit einer glanzvollen Premiere der Inszenierung von Leopold Lindtberg am 31. Dezember 1960 ein – unter der musikalischen Leitung von Direktor Herbert von Karajan waren Waechter (nun als Eisenstein), Güden (Rosalinde), Streich (Adele), Gerhard Stolze (Orlofsky), Giuseppe Zampieri (Alfred), Walter Berry (Falke), Erich Kunz (Frank), Peter Klein (Blind), Elfriede Ott (Ida) und Josef Meinrad (Frosch) ebenso zu erleben wie ein Auftritt von Giuseppe Di Stefano beim Ball des zweiten Aktes. Die 71 Aufführungen in dieser Inszenierung (bis 1. Jänner 1979) wurden von der derzeitigen Produktion von Otto Schenk bereits um mehr als das Doppelte übertroffen; in der Premiere am 31. Dezember 1979 traten unter der musikalischen Leitung von Theodor Guschlbauer Künstler wie Bernd Weikl (Eisenstein), Lucia Popp (Rosalinde), Edita Gruberova (Adele), Brigitte Fassbaender (Orlofsky), Josef Hopferwieser (Alfred) und Helmut Lohner (Frosch) auf, Walter Berry und Erich Kunz waren wieder Falke und Frank. Mit wenigen Ausnahmen wurde nach dem Zweiten Weltkrieg die Tradition der Silvester-Aufführungen der Fledermaus gepflegt; dies gilt nicht nur für die Staatsoper, sondern umso mehr für die Volksoper, wo 2011 eine Inszenierung in der Einstudierung von Heinz Zednik auf dem Programm stand. – Ein Meisterwerk wie die Fledermaus wird in der Stadt seiner Uraufführung zu Recht oft und gerne gezeigt.

→ Folgende Seiten: Rudolf von Alt: Die Bibliothek in der Wohnung des Grafen Lanckoronski in Wien

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Oliver Láng

LÜGEN À LA EISENSTEIN

Eine Topografie der Unwahrheit in der Fledermaus OLI V ER LÁ NG

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Verstellung, Verkleidung, Vertuschung, Verdrehung... allesamt Kinder eines etwas weniger freundlichen Überbegriffs, genannt die Lüge, bereits im Alten Testament in den Zehn Geboten nachdrücklich verboten, je nach Beschaffenheit, Ausführendem, Situation und Folgen gesellschaftlich unterschiedlich bewertet. Abgesehen von ihrer spezifischen Wirksamkeit in der Realität ist die Lüge in den genannten und zahlreichen weiteren Unterkategorien der Motor im heiteren Musiktheater schlechthin. Oftmals in Kombination mit einer Liebesgeschichte bildeten sich bereits früh Typen und beliebig zu variierende Formen heraus, die oftmals durchaus auch auf eine positive Bewertung zählen durften. Die Übertölpelung eines ältlichen ungeschickten Liebhabers durch ein junges Paar zählt zu den Unterhaltungsstandards, der gewitzten junge Frau, Mündel oder Magd, die mit Schalk und Raffinesse auf Umwegen der Wahrheit zum Ziel kommt, gehört stets die Sympathie. Hier bedient sich das Musiktheater auch der vorgefertigten Typen der Schauspielkomödie, die beim Publikum ja bereits gut eingeführt und bestens bekannt sind. Gäbe es die Verkleidung und Verstellung nicht, gäbe es nicht die geschickt gebaute Intrige, all jene Fallstricke und Verstellungen, all die Konstruktionen der Halb- und Unwahrheiten, in die der Zuschauer auch eingeweiht ist, so wäre kaum Theater, heiteres Theater, zu spielen. Denn gerade das An-der-Nase-Herumführen, das Einverständnis mit dem Publikum, die labilen und gefährdeten Lügengebäude machen im Theater besonders Spaß, vor allem aber immer wieder auch – Schadenfreude! – die Verselbständigung einer einmal losgetretenen Unwahrheitslawine, die die Figuren in Bedrängnis bringt. » Fallacia alia aliam trudit « (» Ein Betrug zieht einen anderen nach sich «) wusste Terentius, oder wie Martin Luther es moralisch erweiterte: » Eine Lüge ist wie ein Schneeball, je länger man ihn rollen lässt, desto größer wird er «. Lawinengefahr also! Die Fledermaus, ihrerseits vom deutschen und später französischen Schauspiel kommend, lebt nicht nur von der Dynamik der Verstellung, ja Lüge, wird nicht nur von ihr angetrieben und gesteuert, sondern ist ganz Produkt einer solchen. Die Fledermaus ist das Lügenstück schlechthin. Warum? Zunächst, weil der Plot eine reine Rache-Intrige ist, also der Abend nur als ein Vollzug derselben gestaltet wird. Es geht diesmal sogar so weit, dass auf ein zentrales Liebespaar (siehe oben) verzichtet wird, die Grenze zwischen positiv konnotierter Hauptperson und gegenspielender, weniger sympathischer Nebenfigur durchlässig ist und verschwimmt. Soweit die makro-dramaturgische Sicht. Die mikro-dramaturgische: Abgesehen von der Hauptintrige bieten sich allerlei Schleichwege der Unwahrhaftigkeit auf, jeder hat sein Lügenleicherl im Operettenkeller, meistens sogar mehrere. Vor allem: Fast jeder wechselt seine Identität, schlüpft in eine andere Haut und verstellt sich. Und nur weil das Schwindeln zur Grundausstattung der Figuren gehört, kann der eigentliche Intrigen-Plan Falkes funktionieren, durch das individuelle Täuschen, Umgehen und Vorgaukeln finden alle zur finalen Gemeinschaftslüge zusammen. 71

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Doch gibt es unterschiedliche Arten der Lüge in dieser Fledermaus? Gibt es das sympathische Schwindeln, die Notlüge, die kalkulierte Verstellung zum Zwecke der Wahrheitsfindung? Gibt es ein weibliches, ein männliches Lügen? Und wo ist die Wahrhaftigkeit? Begeben wir uns auf die Suche... Es fängt an mit einer Vorbereitung zum Hörnen des Konkurrenten. Die ersten Töne, die gesungen werden, sind zwar an sich wahr (» Täubchen, das entflattert ist «), sollen aber bewirken, dass das » Täubchen « Rosalinde, immerhin seit Jahren mit Gabriel von Eisenstein verheiratet, das Verlangen des Tenors Alfred stillt. Anstiftung zum Ehebruch also. Und es tut sich bereits eine Unschärfe in den Aussagen auf: Alfred: » Täubchen, das ich oft geküsst/ Lass Dich wieder fangen! « Rosalinde, etwas später: » Er ist’s! Alfred, der mich vor vier Jahren anbetete, als ich noch frei war! « Angebetet klingt freilich weniger intim als oft geküsst. Übertreibt Alfred in männlicher Vergrößerungsmanier? Oder verkleinert Rosalinde, um gesellschaftlichen Sittlichkeitsmaßstäben zu entsprechen und vor der Ehe mit Gabriel keine erotische Erfahrung gehabt zu haben? Als erste sichtbare Person erscheint Adele auf der Bühne, dramaturgisch korrekt liest sie jenen Brief, der aus Falkes Intrigenwerkstatt stammt. Und just geht sie in die Falle (Falke muss ein guter Menschenkenner sein!). Nun wird richtig geschwindelt, eine Tante als krank erklärt, um einen Abend frei zu bekommen. Adele als flinkes und gewitztes Stubenmädl, steht freilich in der Tradition der oben erwähnten raffinierten weiblichen Komödienfigur, nur geht es nicht mehr direkt ums zu erringende Liebesglück im Laufe der Handlung. Hingegen kann ehrenrettend für Rosalinde eingeworfen werden: Sie versucht, je nach inszenatorischer Auslegung, mehr oder minder ehrlich, ihren einstigen Bewunderer Alfred los zu werden und ziert sich auch im weiteren Verlauf der Aktes vor allzu intim-erotischen Zugeständnissen. Ein wenig Vorfreude auf Alfred, der nach der vermeintlichen Inhaftierung des störenden Ehemannes Gabriel zum Rendezvous in die Wohnung kommen darf, ist allerdings nicht zu übersehen: » O je, o je, wie rührt mich dies « singt auch sie... Weit her ist’s mit der ehelichen Treue dann auch auf weiblicher Seite nicht. Eisenstein im ersten Akt: » Denn als Katze schleich ich selbst/Aus dem Hause mich «. Er will, angeleitet von Falke, Jagd auf die » Ballettratten « machen, statt ins Gefängnis zu gehen. Erstens also: Er tritt seine Haft nicht an. Zweitens: Er behauptet vor seiner Ehefrau, diese anzutreten, geht aber stattdessen auf einen Ball. Drittens: Er plant, auf dem Ball allerlei Außereheliches zu vollbringen. Viertens: Er plant zu diesem Behelfe, wie offenbar mehrfach zuvor, seine attraktive Repetieruhr einzusetzen – als » Rattenfänger «: Diese verspricht er unterschiedlichen Damen, um sie zu verführen, behält sie letztlich aber doch. Fünftens: Auch bei ihm der » O je, o je, wie rührt mich dies «-Gesang beim Abschied von seiner Gattin. Schwindeln im Minutentakt! OLI V ER LÁ NG

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Alfred, der außer dem geplanten handfesten Flirt mit Rosalinde eine ehrliche Seele zu sein scheint, lügt in diesem Akt kaum. Er setzt zwar das Mittel der Erpressung ein (» Schwöre, dass ich wieder kommen darf, wenn Du alleine bist «), und erzwingt sich so den Zutritt ins Haus Rosalindes. In Angesicht des auftauchenden Gefängnisdirektors Frank, der Eisenstein ins Gefängnis geleiten will, spricht er zunächst sogar die Wahrheit (» Ich bin nicht Herr von Eisenstein/Bin nicht der, den Sie suchen! «), um dann im Terzett zu singen: » Mit ihr so spät im Tête-à-tête... Kann nur allein der Gatte sein « und sich alsdann konkludent zustimmend abführen zu lassen. Man denke an Ludwig Marcuse: » Die Unwahrheit liegt oft nicht in dem, was man sagt, sondern in dem, was man nicht sagt «. Darüber hinaus lässt sich Alfred dieses Schwindeln bezahlen: mit einem Abschiedskuss Rosalindes. Immerhin weniger zweisam, als er für den Abend eigentlich geplant hätte. Ob er nur aus Diskretion in seiner Rolle bleibt oder auch ihm das Schlüpfen in eine andere Haut Spaß macht, das Eintauschen des Single-Daseins gegen jene des gemütlichen Ehemanns in Hausmantel und Pantoffel ist eine andere Geschichte und ein Fall für einen Theaterpsychologen. Im zweiten Akt, beim Fest Prinz Orlofsky, geht es mit Verkleidungen und Verstellungen los: Adele, unterstützt von ihrer Schwester Ida, gibt sich als Künstlerin Olga aus und kaschiert so ihr Dienstmädchendasein; das auch noch in einem angeeigneten Kleid von Rosalinde. In Konfrontation mit dem sie erkennenden Eisenstein bekräftigt sie diesen Zustand sogar mit einem Couplet und demütigt ihn. Eisenstein wiederum gibt sich als Marquis Renard aus, Frank als Chevalier Chargrin, was bei Letzterem besonders schwer ins Gewicht fällt – ist er als Gefängnisdirektor doch zu einer erhöhten Sorgfaltspflicht in puncto Wahrheit verpflichtet, ganz abgesehen von einem entsprechenden Berufsethos... Die ebenfalls beim Fest eingekehrte Rosalinde, die ihren Mann, informiert von Falke, in flagranti zu ertappen hofft, hat nicht nur in Sachen Nationalität, sondern sogar optisch die Identität gewechselt. Denn sie kommt nicht als gekränkte Ehefrau, sondern maskiert und verkleidet als ungarische Gräfin, um ihren eigenen Ehemann zu ver-, und ihn so der Untreue zu überführen. Auch sie unterstreicht ihre Scheinidentität durch eine musikalische Nummer, den berühmten Csárdás. Arglistige Täuschung, also, wenn auch verständlich. Die kleine Episode mit dem inzwischen eingekerkerten Alfred hat sie in ihrem Ärger offenbar verschwitzt: » Man wird moralisch, sobald man unglücklich ist « (Marcel Proust). Beim Zusammentreffen mit der ungarischen Gräfin lügt Eisenstein munter weiter. Auf ihre Frage » Sind Sie zerheiratet? « antwortet er prompt: » Ich? Wie können Sie so etwas glauben? « Da fällt das Schwindeln Rosalindes schon fast nicht mehr auf, als Eisenstein sie als ungarische Gräfin um die Abnahme der Maske bittet: » Hab ein Wimmerl auf der Nase/Drum verberg ich mein Gesicht «. 73

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Nur eine Hauptfigur lügt inmitten dieser Turbulenzen nicht: Prinz Orlofsky, der ganz offen zu seinem Charakter steht: Chacun à son goût! Doch in Anbetracht der Tatsache, dass Falke ihm zur Belustigung (und natürlich zur eigenen Rache-Kühlung) die Fledermaus-Intrige veranstaltet und Orlofsky wissend mitspielt, ist es mit dieser Ehrlichkeit auch nicht weit her. Im dritten Akt dann endlich die einzige Person, die keine explizite Lüge ausspricht: der Gefängniswärter Frosch. Er hat’s (diesmal) nicht nötig, weil er ist, wer er ist – und wie er ist. Zwar dient er auch nicht unbedingt als Berufsethos-Vorbild, aber Frosch ist einer, dem – mitunter beim Extemporieren – sogar aktuelle wie zeitlose politische Wahrheiten in den Mund gelegt werden. Aber auch er ist nicht unbelastet von allerlei Übel, man denke nur an Bestechlichkeit oder Faulheit. Und wenn es zur Bequemlichkeit oder für einen persönlichen Vorteil nötig wäre, dann griffe auch er zur Lüge. Im Zuge der großen Konfrontation zwischen Gabriel und Rosalinde im Finale setzt Gabriel zur Wahrheitsfindung dasselbe Mittel ein wie zuvor Rosalinde: Er verkleidet sich. Es kommt allerdings nicht zur großen Katastrophe, sondern zum allgemeinen (Operetten-)Wohlgefallen. Um diesen zu erreichen, muss nicht nur Gabriel von Eisenstein um Verzeihung bitten, sondern die Wahrheit ein letztes Mal verändert werden. Zwar spielten Falke und Orlofsky bei der Intrige mit, nicht aber Adele, schon gar nicht Alfred und Rosalinde: Doch besser darum keinen großen Wind machen (» War auch grad nicht alles so/Wir wollen ihm den Glauben/Der ihn beglückt, nicht rauben! «). Und nachdem Frank Adele beim Ball nicht nur die Hände geküsst hat, sondern, wie Adele feststellt, » Den Mund ja auch! «, ist sein Angebot, sie » als Freund und Vater/Bilden lassen für Theater « in Bezug auf Ehrlichkeit in Sachen Beschränkung auf » Freund und Vater « mit Vorsicht zu genießen. Standesgemäß wird die Fledermaus mit einer großen Lüge abgeschlossen, die quasi als Generalabsolution alles unter einen Teppich kehrt und auch künftige Schwindeleien mit einbindet: Der Champagner hat’s verschuldet. Nur fair also, dass ihm (der » uns auch Wahrheit « gab) die letzten Worte der Operette gehören: » Jubelnd wird Champagner der Erste genannt! «. Unleugbar jedoch, dass all dies immer mit einem Augenzwinkern stattfindet, dass letztlich nichts passiert und jede Lüge im Harmlosen bleibt: Wirklich tragisch ist nichts, man kann über alles hinwegsehen. Was ist denn schon passiert? Ein kleiner Flirt hier, ein ausgeborgtes Kleid da, ein halber Kuss, ein alkoholumnebelter Scherz. Um an den Anfang und die Frage nach den unterschiedlichen Arten der Lüge zurückzukehren: Alles bunt gemischt! Und alles halb so wild. Lügen, um die Umstände ein wenig charmanter, leichter zu machen – selbst wenn jeder weiß, dass es sich um eine Lüge handelt. Vielleicht ist das gerade das Wienerische? Eine extensive Deutung von Sigmund Freuds Feststellung » Es gibt ebenso wenig eine hundertprozentige Wahrheit wie hundertprozentigen Alkohol «? Noch einmal passt Marcel Proust, wenn auch aus dem Zusammenhang gerissen und von ihm nicht auf OLI V ER LÁ NG

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diese Situation und Verhältnisse gemünzt: » Die Lüge ist das wichtigste und meistverwendete Werkzeug der Selbsterhaltung. « In Wien? Vielleicht. Sicher aber in der Wiener Fledermaus. PS: Als letzte Anmerkung zum Thema Unschärfe: Die Fledermaus, die Wienerischste aller Operetten, spielt – nicht in Wien. Selbst das stimmt also nicht. Sie spielt in einem Badeort in der Nähe einer großen Stadt, wohl also in Baden bei Wien. Alles andere wäre zu wahr gewesen...

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Eduard Hanslick

NACHRUF AUF JOHANN STRAUSS

Als wir vor fünfzig Jahren den älteren Johann Strauß begruben, schloss ich einen Nachruf mit der Klage, Wien habe seinen talentvollsten Komponisten verloren. Das Wort verdross allerlei Musiker und Laien, die nicht begreifen wollten, dass ein schulgerechtes, physiognomieloses Kirchen- oder Konzertstück weniger Talent, das heißt geringere Naturkraft, offenbare als ein melodienreicher, origineller Walzer. In diesem Sinne müssen wir auch heute, am Grab des jüngeren Johann Strauß, die Klage wiederholen, es sei mit ihm das ursprünglichste Musiktalent in Wien hinübergegangen. Seine melodische Erfindung quoll so köstlich wie unerschöpflich; seine Rhythmik pulsierte in lebendigem Wechsel; Harmonie und Form standen rein und aufrecht. Liebes- ← Vorherige Seiten: lieder nannte er eine seiner schönsten Walzerpartien. Sie alle hätten so hei- Szenenbild, 3. Akt EDUA R D H A NSLICK

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ßen dürfen: kleine Herzensgeschichten von schüchternem Werben, schwärmerischer Neigung, jubelndem Glücksgefühl, dazwischen auch ein Hauch leichtgetrösteter Wehmut. Wer könnte auch nur die reizendsten von Strauß’ zahlreichen Tanzstücken aufzählen! Schade nur, dass jede Ballsaison schonungslos wie Kronos ihre eigenen Kinder aufzehrt, um nachfolgenden Platz zu machen. So kennen wir tatsächlich die frühesten, besten Walzer von Strauß heute so wenig, als stammten sie aus der Zeit Maria Theresias. Sie sind nicht veraltet, nur verdrängt und vernachlässigt. Eine Walzerpartie aus Hunderten will aber gerade heute ausdrücklich genannt und gerühmt sein, weil sie etwas wie monumentale Bedeutung erlangt hat: An der schönen blauen Donau. Es braucht nur – so schrieb ich davon vor Jahren – irgendwo das Anfangsmotiv auf den drei Staffeln des D-Dur-Dreiklanges emporzusteigen, so färbt Begeisterung alle Wangen. Nicht bloß eine beispiellose Popularität, der Donauwalzer hat auch eine ganz einzige Bedeutung erlangt: die Bedeutung eines Zitates, eines Schlagwortes für alles, was es Schönes, Liebes und Lustiges in Wien gibt. Ein patriotisches Volkslied ohne Worte. Neben Haydns Volkshymne, welche den Kaiser und das Herrscherhaus feiert, besitzen wir in Strauß’ Blauer Donau eine andere Volkshymne, welche unser Land und Volk besingt. Wo immer in weiter Ferne Österreicher sich zusammenfinden, da ist diese wortlose Friedens-Marseillaise ihr Bundeslied und Erkennungszeichen. Wo immer bei einem Festmahl ein Toast auf Wien, auf Österreich ausgebracht wird, fällt das Orchester sofort mit der Schönen blauen Donau ein. Und das ist die denkwürdige Bedeutung, welche diese Komposition, jedem Volkslied zum Trotz, allmählich erlangt hat: Ihre Melodie wirkt wie ein Zitat. Unser Johann Strauß hat den von seinem Vater geschaffenen Wiener Walzer erweitert, bereichert, modernisiert. Strauß hat Schule gemacht, und sie ist fast zum unwiderstehlichen Zwang geworden. Was heute in Walzerform erklingt, ist meist nur durchtönender Strauß. Unsere Operetten-Komponisten mögen sich noch so sehr zusammennehmen, nach ein paar Takten im Walzertempo haben sie unwillkürlich Strauß kopiert. Das heutige Wien ist der Tanzmusik abgünstig. Bis vor wenigen Tagen stand sie noch auf zwei Augen; seitdem diese sich geschlossen, haben wir nicht nur unseren besten, wir haben unseren einzigen Walzerkomponisten verloren. Nachdem Strauß durch volle 25 Jahre seine Melodienfülle verschwenderisch als Tanzkomponist ausgeströmt, fühlte er sich doch etwas ermüdet und unbefriedigt von so enger Form. Er versuchte es mit dem Theater und schrieb 1871 seine erste Operette Indigo. Der Übergang zur dramatischen Komposition fiel ihm nicht leicht. Der regelmäßige Walzer- und Polka-Rhythmus steckte ihm noch zu fest im Blut. Indigo strotzte von Melodien, aber man merkte ihnen an, dass sie nicht aus dem Text heraus geboren waren. Strauß selber hat mir gestanden, dass meine Vermutung richtig gewesen und dass 79

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sein Textdichter zu meist fertigen Musikstücken nachträglich die Worte gut oder übel unterlegen musste. Von dieser dilettantischen Methode hat Strauß in seinen späteren Operetten sich größtenteils befreit – nicht ohne einige Anstrengung. Er blieb doch jederzeit mehr der rein musikalisch erfindende als der dramatisch schaffende Opernkomponist. Ein Unglück für Indigo war das unglaublich alberne, ordinäre Textbuch, ein Unglück, das in Strauß’ Bühnenlaufbahn leider nicht allein geblieben ist. Strauß verfuhr in der Auswahl seiner Librettos zu nachsichtig und zu unselbständig, hörte willig auf verschiedene Ratgeber, deren letzter dann meistens recht behielt. Von seinen fünfzehn Operetten sind manche ihrem schlechten Textbuche zum Opfer gefallen und trotz zahlreicher musikalischer Schönheiten rasch von den Bühnen verschwunden. Wie wenig beachteten diese Textdichter die spezifische Natur von Strauß’ Talent, das durchaus heitere, lebensvolle Stoffe brauchte und am freiesten atmete in heimatlicher Luft. Stattdessen drängten sie ihn in exotische Abenteuer, auf italienischen, spanischen, französischen Boden. Strauß’ Meisterwerk Die Fledermaus verdankt ihren anhaltenden, außerordentlichen Erfolg gewiss zumeist der reizvollen Musik, aber diese war nicht denkbar ohne die durchaus lustige, auf Wiener Boden übertragene Handlung. Die Flut der Strauß’schen Melodie strömt da in einem engen Bette, aber sie füllt es bis an den Rand. Wo, wie in der Fledermaus, Scherz und Frohsinn den ganzen Stoff durchdringt und Tanzrhythmen emporwachsen lässt, da spendet Strauß sein Bestes und Echtestes. In sentimentalen oder gar tragischen Szenen stockt sein Puls, und er wird leicht gezwungen, uninteressant, banal. Das beweist manches Stück im Zigeunerbaron, nächst der Fledermaus wohl seiner beliebtesten Operette. Das Textbuch bringt einige neue charakteristische Figuren und interessante Situationen; die Musik ist vortrefflich, solange sie nicht in Sentimentalität oder gar in tragischer Leidenschaft sich ergeht wie im zweiten Finale. Von den früheren Operetten scheinen mir Das Spitzentuch und Der lustige Krieg doch gar zu schnell aus dem Repertoire beseitigt, von den späteren der Waldmeister. Der Text des letzteren ist, bei aller Dürftigkeit der Handlung, durchweg heiter und harmlos, also gerade recht für Strauß, der eine sehr anmutige, wenngleich nicht überall auf früherer Höhe stehende Musik dazu gespendet hat. Was selbst in seinen weniger erfindungsreichen Operetten den musikalischen Hörer fesselt und erfreut, ist die echt musikalische Empfindung, der natürliche Fluss des Gesanges, endlich der herrliche Orchesterklang. In der Premiere des Waldmeister äußerte Brahms zu mir, das Strauß’sche Orchester erinnere ihn an Mozart. Gegen Ende seiner Laufbahn fühlte sich Strauß von dem sehr begreiflichen, aber unheilvollen Ehrgeize gestachelt, ein größeres Werk für die Wiener Hofoper zu schaffen. Er nahm einen gewaltsamen Anschwung und komponierte den dreiaktigen Ritter Pázmán. Des Wiener Publikums war er sicher, und auf die lustigsten seiner Operetten durfte er stolz sein. Aber jede Macht ist an eine Ohnmacht gebunden. Seine Macht lag in den kleinen Formen, den EDUA R D H A NSLICK

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Tanzrhythmen, dem Frohsinn; seine Ohnmacht in den breiten Ensembles, der dramatischen Charakteristik, dem leidenschaftlichen Gefühlsausdruck. Merklich reagierte seine Natur gegen die matte, konventionelle Handlung, die lauter ernsthafte Personen in sentimentalen, oft ans Tragische streifenden Situationen zueinander führt. Unser Johann Strauß musste sich verleugnen, sich umzwingen – und das führt selten zu gutem Ende. Mit einer wirklich komischen Oper älterer Form, wie etwa Zar und Zimmermann, würde Strauß auch im Hofoperntheater durchgedrungen sein. Aber die langgestreckten, durch keine Rezitative oder Prosastellen unterbrochenen, durchaus gesungenen Verse zwangen den Komponisten zu einem fortlaufenden Arioso, aus dem abgerundete Musikstücke sich nur selten scharf herausheben. Man bewunderte die Geschicklichkeit, womit Strauß in diesen ihm bisher ganz fremden Stil und fremden Ton sich hineingearbeitet hatte. Aber das ist nicht unser Strauß! hörte man während der zwei ersten Akte im Publikum murmeln. Da kam gegen Ende des dritten Aktes etwas Unerwartetes: eine prächtige Ballettmusik, die weithin glänzende Perle des Ganzen! Mit den ersten Takten des Balletts scheinen Strauß plötzlich die Flügel zu wachsen; mit jugendlicher Kraft und Freudigkeit schwingt er sich in die Lüfte; Textbuch und Dichter verschwinden vor seinen Augen – » jetzt bin ich allein Herr! « Diese köstliche Ballettmusik erneuerte in mir einen alten, wiederholt öffentlich ausgesprochenen Wunsch: Strauß möchte ein vollständiges Ballett für die Hofoper schreiben, er, der einzige deutsche Komponist, der dies mit starker Wirkung und spielender Leichtigkeit vermochte: Lange wollte er nichts davon hören. Da, wenige Monate vor seinem Tod, schien er sich plötzlich mit dem Gedanken zu befreunden. Fast als wolle er sich selbst jede Umkehr abschneiden, schrieb er einen bedeutenden Preis aus für das beste Libretto zu einem heiteren Ballett. Ich hege ein durch Erfahrungen vollauf begründetes Misstrauen gegen Preisausschreibungen. Sie kosten viel Geld, machen unsägliche Mühe und bringen selten den gehofften Schatz zutage. Eine Sintflut von sieben- bis achthundert Ballettentwürfen ergoss sich verheerend in die Igelgasse. Aus den relativ besten wählte Strauß ein ins Moderne übertragenes Aschenbrödel, das wenigstens im letzten Akt (einem Ballfest) seiner glänzenden Spezialität entgegenkam. Hier, glaubte ich, hätte Strauß den Anlass und das Recht gehabt, eine Anzahl seiner halbvergessenen schönsten Tänze zu neuem, erhöhten Leben zu erwecken. Verdankt doch das überaus siegreiche Ballett Wiener Walzer seinen Erfolg zumeist den eingeflochtenen alten Walzern von Lanner und den beiden Strauß. Warum sollte er, der Erfinder, nicht selber tun, was ein fremder Bearbeiter tun durfte? Ich denke, dass Strauß, mit dem ich in Ischl und zuletzt in Wien eingehend über das neue Ballett sprach, schließlich seine Skrupel wegen solcher Auffrischungen überwunden hätte. Fröhlich machte er sich an den Anfang seines letzten, lustigsten Werkes – da klopfte ihm, wie man auf alten Bildern sieht, der Tod mit dem Fiedelbogen auf die Schulter. Das Leben ein Tanz – das Leben ein Traum. 81

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Mit Johann Strauß ist nicht bloß ein glänzendes Talent, ein Herold des Wiener musikalischen Ruhmes von uns geschieden, sondern auch ein überaus liebenswerter, wahrhafter und wohlwollender Mensch. Es ist nicht möglich, bescheidener von sich selbst zu sprechen und zu denken, als Strauß es tat. Seine von den Jahren ungebeugte, elastische Gestalt mit dem vollen Haarbusch und den blitzenden Augen, sie wird in Wien schmerzlich vermisst werden. Ein letztes Wahrzeichen aus fröhlichen, gemütlichen Tagen, das herüberleuchtete in unsere unfrohe, zerklüftete Gegenwart. Wir lesen eben von dem Projekt eines Doppeldenkmals für Lanner und Alt-Strauß. Unser Johann Strauß darf darauf nicht fehlen; er erst wird den hellen Dreiklang vollständig machen. Lange Zeit war in Wien ein Gesamtdenkmal für Haydn, Mozart und Beethoven geplant; es scheiterte, wenn ich nicht irre, an der technischen Schwierigkeit, zu den dreien später auch noch Schubert zu gesellen. Wäre ähnliche Besorgnis denkbar für ein Monument Lanners mit den beiden Strauß? Keine Angst, es wird kein vierter kommen!

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Richard Strauss an Johann Strauß (1894)

» Möchten Sie ein Millionstel von dem Glück genießen und der Fröhlichkeit stets teilhaftig sein, die Sie in der langen Zeit Ihrer künstlerischen Tätigkeit allen Menschen und nicht zuletzt dem ergebenen Schreiber dieser Zeilen durch Ihre genialen Kompositionen erleben ließen. «


Heinz Zednik

WIENER KLANGSTIL? Das viel zitierte » Musikland Österreich «, die international gepriesene eigenständige Musiktradition: Gibt es das alles wirklich? Kann es das in einer vernetzten Welt, in einem mehr und mehr zusammenwachsenden Europa überhaupt geben? Oder anders gefragt: Spielt ein Wiener einen Wiener Walzer wirklich wienerischer? Ich denke: ja. Das bisserl » Schlamperte, der besonders süße Geigenklang, die um eine Spur verzögerten Auftakte: Das alles macht den typischen, eben auch aus der böhmischen, ungarischen und jüdischen Musizierweise gespeisten, Stil aus! Und unsere großen Wiener Orchester besitzen diese Tradition, die ihnen zweifellos eine ganz spezifische Eigenart und Farbe verleiht und die sie bis heute pflegen und weitergeben. Allerdings ist weltweit eine nicht ungefährliche Entwicklung festzustellen, die ein Angleichen der Musizierstile zur Folge hat. Die scharfen Grenzen zwischen lokalen Besonderheiten verschwimmen immer mehr, die Orchester, Instrumentalisten sowie Sängerinnen und Sänger klingen einander immer ähnlicher. Spezifisches geht verloren, und wir bewegen uns mehr und mehr in die Richtung eines » Weltklanges «, der in allen großen Musikzentren zu hören ist. Dies hat mehrere Gründe: Erstens natürlich gibt es heute die Möglichkeit für Künstler, quer durch die Welt zu reisen. Das fixe Sänger-Ensemble, an das man für lange Zeit gebunden ist, gibt es ja schon fast nicht mehr. Wenn man sich die Besetzungen anschaut, singen eine Handvoll Sänger an den wichtigen Häusern dieselben Partien. Heute in Tokio, morgen in New York – das ist schon längst kein Problem mehr. Dazu kommt, dass auch HEINZ ZEDN IK

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die Regisseure und Dirigenten herumreisen. Dadurch können sich eigene Traditionen in den Opernhäusern nur noch schwer entwickeln. Und auch die großen Orchestererzieher sind mobil geworden, was dazu führt, dass die von ihnen betreuten Klangkörper jeweils einen sehr ähnlichen Ton haben. Früher war es kein Problem, ein französisches, ein deutsches und ein amerikanisches Orchester voneinander zu unterscheiden. Aber heute? Das ist kaum noch möglich! Nur einzelne Persönlichkeiten, wie zum Beispiel James Levine an der Met oder Zubin Mehta mit dem Israel Philharmonic Orchestra, pflegen nach wie vor einen eigenen Klangstil. Auch Wien ist – und das freut mich besonders – noch eine Ausnahme. Noch dazu mit einem fantastischen Staatsopernorchester, an dem zum Großteil Musiker der Wiener Philharmoniker engagiert sind. Das ist wirklich ein Privileg unserer Wiener Opernwelt!... Gerade für einen Sänger ist ja vor allem dieses Miteinander-Musizieren und Aufeinander-Eingehen auch besonders wichtig! Und zu wissen, dass man sich auch in heiklen Situationen auf ein Orchester verlassen kann, ist durchaus keine Selbstverständlichkeit... Das ist das Besondere am Wiener Staatsopernorchester, dieses Miteinander-Können, so etwas habe ich weltweit kein zweites Mal erlebt. Aber zurück zur internationalen Klangkultur: Neben der intensiven Reisetätigkeit hat auch der CD-Markt zu einer Vereinheitlichung der Spielweise geführt. Denn die große Verbreitung von Aufnahmen unterstützt die Entwicklung von gewissen Standards, die den Markt bestimmen und die Hörgewohnheiten prägen. Das Publikum erwartet sich dadurch in der Folge im Konzertsaal oder auf der Opernbühne genau das, was es von der Aufnahme kennt. Auf Eigenheiten will es nicht mehr so eingehen und nimmt lieber die » Stangenware «. Leider habe ich aber das Gefühl, dass es heutzutage immer mehr um das Event, das Ereignis und immer weniger um die Freude an der Oper oder am Theater geht. Ob sich das mittel- oder langfristig wieder ändern wird und ob es für die Entwicklung der Oper gut ist, kann ich nicht beurteilen. Ich glaube aber, dass wir alle den Mut haben sollten – ich bin ja ein von erster Minute an wirklich überzeugter Anhänger des Vereinten Europas –, unsere regionalen Eigenheiten nicht zu verstecken und dabei auch ein bisschen stolz sein dürfen auf das, was uns ausmacht!

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W IEN ER K LA NGST IL?


Die OMV unterstützt die Wiener Staatsoper schon seit langem als Generalsponsor und wir sind stolz, diese herausragende österreichische Kulturinstitution in eine neue Ära begleiten zu dürfen. Wir freuen uns mit Ihnen auf bewegende Inszenierungen. Alle Sponsoringprojekte finden Sie auf www.omv.com/sponsoring


KLANGVOLLE EMOTIONEN

LEXUS LC CABRIOLET Dank des schallabsorbierenden Interieurs und optimierter Aerodynamik, die den Luftstrom bei geöffnetem Verdeck am Fahrzeug vorbei leitet, genießen Sie das sinnliche Klangbild des perfekt abgestimmten V8-Motors gänzlich ohne unerwünschte Nebengeräusche. Das Lexus LC Cabriolet zu hören, heißt es zu fühlen.

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NORMVERBRAUCH KOMBINIERT: 275G/KM EMISSIONEN KOMBINIERT: 11,7L/100KM. SYMBOLFOTO.


Impressum Johann Strauß DIE FLEDERMAUS Spielzeit 2021/22 (Premiere der Produktion: 31. Dezember 1979) HERAUSGEBER Wiener Staatsoper GmbH, Opernring 2, 1010 Wien Direktor: Dr. Bogdan Roščić Musikdirektor: Philippe Jordan Kaufmännische Geschäftsführerin: Dr. Petra Bohuslav Redaktion: Sergio Morabito, Andreas Láng, Oliver Láng Basierend auf dem Programmheft der Premiere von 1979 und auf dem Programmheft der Wiederaufnahme 2011 Gestaltung & Konzept: Fons Hickmann M23, Berlin Layout & Satz: Anton Badinger Bildkonzept Cover: Martin Conrads, Berlin Druck: Print Alliance HAV Produktions GmbH, Bad Vöslau TEXTNACHWEISE Die Handlung (Übernahme aus dem Fledermaus-Programmheft der Wiener Staatsoper 1979), englische Übersetzung von Andrew Smith – Andreas Láng: Über dieses Programmbuch – Franz Mailer: Vom Vaudeville zur Fledermaus (Übernahme aus dem Fledermaus-Programmheft der Wiener Staatsoper 1979) – Otto Schenk, Jeder hat sein Leicherl im Keller (Übernahme des Interviews aus dem Fledermaus-Programmheft der Wiener Staatsoper 2011) – Vergleich Le Réveillon – Die Fledermaus (Übernahme aus dem Fledermaus-Programmheft der Wiener Staatsoper 2011; die Übersetzung von Le Réveillon stammt von Annette Frank) – Franz Endler: Johann Strauss Sohn, in: Musik in Wien – Musik aus Wien, erschienen im Österreichischen Bundesverlag – Hans Weigel, Kleiner Versuch über die Fledermaus (Übernahme aus dem Fledermaus-Programmheft der Wiener Staatsoper 1979) – Iván Eröd, Die Musik der Fledermaus (Übernahme aus dem Fledermaus-Programmheft der Wiener Staatsoper 2011) – Die Zeitungskritiken zur Uraufführung der Fledermaus wurden von Michael Jahn zusammengestellt (Übernahme aus dem Fledermaus-Programmheft der Wiener Staatsoper 2011) – Michael Jahn, Die Fledermaus in Wien (Übernahme aus dem Fledermaus-Programmheft der Wiener Staatsoper 2011) – Oliver Láng, Lügen à la Eisenstein (Übernahme aus dem Fledermaus-Programmheft der Wiener Staatsoper 2011) – Eduard Hanslick, Nachruf auf Johann Strauß, in: Neue Freie Presse, 9. Juni 1899 – Heinz Zednik, Wiener Klangstil, in: Mein Opernleben, Edition Steinbauer 2007

BILDNACHWEISE Coverbild: Bacchus-Maske; Foto: DEA / A. DAGLI ORTI/ De Agostini Szenenbilder Seite 2, 3, 6, 76, 77: Michael Pöhn / Wiener Staatsoper GmbH Szenenbilder Seite 10, 11, 57: Axel Zeininger / Wiener Staatsoper GmbH Szenenbilder Seite 5, 25: Archiv der Wiener Staatsoper Seite 46, 47: Österreichisches Theatermuseum Seite 18, 19, 30, 31, 36, 37, 58, 59, 68, 69: akg-images Nachdruck nur mit Genehmigung der Wiener Staatsoper GmbH / Dramaturgie Kürzungen werden nicht extra gekennzeichnet. Rechteinhaber, die nicht erreicht werden konnten, werden zwecks nachträglicher Rechteabgeltung um Nachricht gebeten.


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