Prorgammheft »La fanciulla del West«

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GIACOMO PUCCINI

LA FANCIULLA DEL WEST


INHALT S.

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DIE HANDLUNG S.

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ÜBER DIESES PROGRAMMBUCH S.

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DAS FRAGEZEICHEN HINTER DEM SONNENUNTERGANG GESPRÄCH MIT DER DIRIGENTIN SIMONE YOUNG S.

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EINE NEUARTIGE OPER GESPRÄCH MIT REGISSEUR MARCO ARTURO MARELLI S.

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DAVID BELASCO ANDREAS LÁNG S.

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BRIEFE S.

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KEINE WESTERN-OPER ANDREAS LÁNG S.

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MINNIE KOMMT VOM BROADWAY KARL LÖBL S.

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ATMOSPHÄRE UND SOZIALE IDENTITÄT VOLKER MERTENS

S.

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ÜBER DAS »GEFALLEN« & »DÜRFEN« BEIM OPERNSCHREIBEN OTTO BRUSATTI S.

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UND JERITZA WURDE OHNMÄCHTIG ANDREAS LÁNG S.

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DAS BESTE ORCHESTER DER WELT S.

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DAS REINE HERZ ROTRAUD A. PERNER S.

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MINNIE UND DER SINN DES LEBENS OLIVER LÁNG S.

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DIE MODERNE RICHTUNG DER OPER GIACOMO PUCCINI S.

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ALLES BANDITEN UND SPIELER KONRAD PAUL LIESSMANN S.

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MR. LYNCH AT THE OPERA! WERNER OGRIS S.

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BURGENLÄNDISCHE ARIEN UND ATONALE MUSIK IN EUROPA MICHAEL LANDAU S.

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IMPRESSUM


Il bandito che fu è già morto lassù, sotto il mio tetto. Voi non potete ucciderlo! Der Bandit, der er war, ist schon dort oben gestorben, unter meinem Dach. Ihr könnt ihn nicht töten! MINNIE, 3. AKT


GIACOMO PUCCINI

LA FANCIULLA DEL WEST OPER in drei Akten Text GUELFO CIVININI & CARLO ZANGARINI Nach The Girl of the Golden West, Schauspiel von David Belasco

ORCHESTERBESETZUNG 3 Flöten / 1 Piccoloflöte 3 Oboen / 1 Englischhorn 3 Klarinetten / 1 Bassklarinette 3 Fagotte / 1 Kontrafagott 4 Hörner / 3 Trompeten 3 Posaunen / 1 Bassposaune Schlagwerk / 1 Celesta / 2 Harfen Violine I / Violine II / Viola Violoncello / Kontrabass BÜHNENMUSIK Röhrenglocken / Windmaschine Harfe / Fonica oder Vibrafon

AUTOGRAPH Verlagsarchiv Ricordi URAUFFÜHRUNG 10. DEZEMBER 1910 alte Metropolitan Opera, New York WIENER ERSTAUFFÜHRUNG 24. OKTOBER 1913 Wiener Hofoper SPIELDAUER

2 H 45 MIN

INKL. 1 PAUSE




L A FA NCI U LL A DEL W E ST

DIE HANDLUNG Feierabend in einem amerikanischen Camp von Minenarbeitern. Nick, der Barkeeper öffnet den Ausschank, die Arbeiter kehren von ihrem Tagewerk zurück und warten auf Minnie, die Chefin des Beisels und auch die einzige Frau im Camp. Dabei vertreiben sie sich die Zeit mit Whisky, Kartenspiel und Raufereien. Um sie abzulenken, lässt Nick ein Lied aus der fernen Heimat spielen, Larkens hält es vor Heimweh nicht mehr aus und die Kumpel sammeln Geld, um ihm die Heimreise zu ermöglichen. Der selbsternannte Sheriff Jack Rance, der hinter Minnie her ist, brüstet sich vor allen, dass Minnie bald seine Frau werden wird; darüber gerät er in Streit mit Sonora, der ebenfalls heftig in Minnie verliebt ist. Mitten in diesen Kampf trifft Minnie ein und weist alle in die Schranken. Sie betreibt nicht nur die Wirtschaft, sondern versucht den rauen Kerlen im Winter Schulunterricht zu geben und sorgt mit einer Bibelstunde für etwas Einkehr und Besinnung. Ashby, der Chef einer Transportfirma besucht das Camp. Er ist auf der Suche nach einem Banditen namens Ramerrez, der seit einiger Zeit die Gegend unsicher macht. Die Post trifft ein und durch eine Depesche wird Ashby von einer dubiosen Frau über den angeblichen Aufenthaltsort von Ramerrez aufgeklärt. Als Jack mit Minnie allein ist, versucht er ihre Liebe zu erringen, indem er ihr viel Geld anbietet. Brüsk weist sie ihn ab, indem sie ihm vom armen, doch glücklichen Leben und der Liebe ihrer Eltern erzählt. Da betritt ein Fremder das streng bewachte Camp, Jack schöpft Verdacht, ruft die Arbeiter zusammen und stachelt sie gegen den Unbekannten auf. Doch Minnie bürgt für den Fremden, der sich als Mister Johnson aus Sacramento ausgibt. Minnie und er erinnern sich an eine frühere Begegnung. Mit einem kleinen Walzer wird der Unbekannte in die Gemeinschaft auf­genommen. Alarm ertönt, die Arbeiter schleppen Castro, ein Mitglied aus der Bande von Ramerrez, herbei. Er ist gekommen, um alle Arbeiter mit falschen Angaben über Ramerrez’ Aufenthalt aus dem Camp zu locken, um so seinem Anführer (denn der unerkannte Dick Johnson ist in Wahrheit Ramerrez) die Möglichkeit zu geben, das Camp auszurauben.

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DIE HANDLUNG

Alle machen sich auf die Jagd nach Ramerrez, Minnie bleibt allein mit Dick zurück. Die aufkeimenden Gefühle für Minnie machen es Dick unmöglich, diese Frau, die zurückgeblieben ist, um die versteckten Goldvorräte mit ihrem Leben zu verteidigen, zu überwältigen und auszurauben. Bevor er sie verlässt, verabreden sie sich für den späten Abend in ihrer Behausung oben am Berg. In ihrer Behausung bereitet sich Minnie auf Dicks Besuch vor. Als dieser eintrifft, berichtet sie ihm zutraulich von ihrem Leben, doch er verschweigt ihr seine wahre Identität. Sie gestehen einander ihre Gefühle, doch die Idylle wird abrupt durch den Besuch von Jack und einigen Arbeitern unterbrochen. Diese klären Minnie über die wahre Identität Johnsons auf und warnen sie vor ihm, dem Kriminellen. Enttäuscht stellt Minnie Dick zur Rede, er versucht sich zu verteidigen: Nicht freiwillig sei er Bandit geworden, vielmehr hat er nach dem Tod seines Vaters dessen Räuberbande übernehmen müssen. Doch das Zusammentreffen mit Minnie habe ihm den Weg für ein neues Leben gezeigt. Als er merkt, wie tief Minnie von seinem Vertrauensbruch getroffen ist, versucht er zu gehen, doch kaum ist er draußen, trifft ihn die Kugel Jacks, der ihm aufgelauert hat. Minnies Liebe erwacht erneut, sie öffnet ihm die Tür und verbirgt den Verwundeten. Doch einige Tropfen Blut verraten dem zurückkehrenden Sheriff, der sich ungestüm an Minnie vergreifen will, sein Versteck. Da beginnt Minnie für das Leben von Dick zu kämpfen. Eine Partie Poker soll über ihr und Johnsons Schicksal entscheiden. Sollte der Sheriff gewinnen, will sie sich ihm hingeben und ihm Johnson ausliefern, sollte sie gewinnen, gehöre der Geliebte ihr alleine. Nachdem sie Jack sein Ehrenwort abgenommen hat, gewinnt sie die Partie mit falschen Karten. Jack hat sein Ehrenwort gegenüber Minnie gebrochen und setzt alles daran, Dick zu fangen. Bei anbrechendem Tag beginnt die Verfolgung, doch Dick scheint zunächst zu entkommen. Aber schließlich gelingt es Ashby, ihn zu fassen. Jack will mit seinem Rivalen schnell kurzen Prozess machen, er hetzt die Meute auf, und schon wird Dick die Schlinge um den Hals gelegt. Doch die Hinrichtung stoppt, als Minnies Rufe zu hören sind. Sie nutzt die allgemeine Überraschung und stellt sich schützend vor ihren Geliebten. Nach und nach gelingt es ihr, den Hass und die Mordlust der Männer zum Versiegen zu bringen und sie zu überzeugen, ihren Geliebten zu begnadigen. Minnie und Dick machen sich auf, um anderswo ein neues Leben anzufangen.

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UBER DIESES PROGRAMM BUCH Nachdem Giacomo Puccini David Belascos Stück The Girl of the Golden West in Amerika gesehen hatte, erwarb er sich die notwendigen Rechte, um das Schauspiel zur Oper umarbeiten zu dürfen. Aus dem vieraktigen kalifornischen Goldgräber-Melodram rund um Minnie und ihrem Geliebten, den gesuchten Räuber Ramerrez alias Dick Johnson, schuf Puccini gemeinsam mit den Librettisten Guelfo Civinini und Carlo Zangarini die dreiaktige Oper La fanciulla del West. Die Uraufführung an der New Yorker Metropolitan Opera unter der Leitung von Arturo Toscanini und in der Regie David Belascos geriet zu einem Sensationserfolg. An der Wiener Staatsoper kam es bereits drei Jahre später zur Wiener Erstaufführung. Über die Besonderheit dieser Partitur innerhalb von Puccinis Schaffen sprechen die Dirigentin Simone Young ab Seite 9 und Andreas Láng ab Seite 29. Wie schon bei seiner Madama Butterfly und später bei der Turandot, trachtete Puccini auch in der Fanciulla danach, originale oder scheinbar originale Musik des Handlungsschau-

platzes in die Partitur einzubeziehen. Inwiefern nun Fanciulla del West eine dezidiert amerikanische Musik aufweist, darüber befindet Volker Mertens in seinem Beitrag ab Seite 37. Der herbere, neuartige Stil, den Puccini bei dieser Oper aufnahm, inspirierte Otto Brusatti ab Seite 43 zu einem Beitrag über das »Gefallen« und »Dürfen« beim Opernschreiben. Für die Inszenierung der aktuellen Produktion zeichnet Staatsopernehrenmitglied Marco Arturo Marelli verantwortlich. Auch ihn bestachen das Milieu und die Andersartigkeit des Stoffes, verglichen mit früheren Puccini-Opern. Daher verlegte er, wie er in einem Gespräch ab Seite 14 erläutert, die Handlung ins Heute und konzentrierte sich auf die soziale Welt der mittellosen Minenarbeiter, die auf der beschwerlichen Suche nach ihrem Lebensunterhalt die Suche nach etwas Glück nicht vergessen haben. Der österreichische Philosoph Konrad Paul Liessmann beschäftigt sich – in Hinblick auf die zentrale dramatische Pokerszene im zweiten Akt der Fanciulla – mit der Sucht, das eigene

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ÜBER DIESES PROGRAMMBUCH

Schicksal dem Spielglück anzuvertrauen (Seite 66), der Rechtswissenschaftler Werner Ogris schreibt über die blutige Tradition der amerikanischen Lynchjustiz (Seite 75). Gedanken Michael Landaus über jene, die ihre Heimat in der Hoffnung verließen, andernorts das menschenwürdige Leben zu finden, das ihnen bis dahin

verwehrt geblieben ist (Seite 81), Überlegungen über die »Mutter-Funktion« von Frauen innerhalb einer reinen Männergesellschaft von Rotraud A. Perner (S. 54) sowie eine StaatsopernAufführungsgeschichte von Fanciulla del West (ab Seite 48) runden das Angebot dieses Programmbuches ab.

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SIMONE YOUNG IM GESPRÄCH

DAS FRAGEZEICHEN HINTER DEM SONNEN- UNTERGANG Puccinis Œuvre lässt sich in zwei Gruppen gliedern: Auf der einen Seite stehen die unzerstörbar populären Werke La bohème, Madama Butterfly, Tosca, Turandot, und auf der anderen Seite die ungerechtfertigterweise etwas vernachlässigten Stücke wie Manon Lescaut, Trittico oder Fanciulla del West (an der Wiener Staatsoper allesamt im Repertoire!). Insbesondere Das Mädchen aus dem goldenen Westen, wie die Fanciulla hierzulande hieß, ehe die Originalsprachigkeit Einzug hielt, hat einen besonders schweren Stand. Und das, obwohl namhafte Persönlichkeiten wie Anton Webern oder Heinrich Mann eine Lanze für die Partitur brachen. Auch die weltweit gefeierte Dirigentin Simone Young gehört zu den absoluten Bewunderinnen dieses späten Puccini-Opus, das sie seit Beginn ihrer Karriere begleitet. Anlässlich der Wiederaufnahme der hochgelobten Marelli-Produktion 2024 sprach sie mit Andreas Láng über diese im amerikanischen Goldgräber-Milieu angesiedelte »Western-Oper«.

al

Giacomo Puccini selbst war stolz auf seine Fanciulla del

KS NINA STEMME als MINNIE

West, sah in ihr seine bis dahin gelungenste Oper. Trotzdem blieb das Werk bis heute eine Rarität. Warum? sy Puccini hatte absolut Recht, die Fanciulla kommt meines Erachtens gleich nach der Bohème! Das Problem ist, dass das Werk schwer zu besetzen ist – man benötigt nämlich gleich drei ebenbürtig hochkarätige Sänger für die enorm herausfordernden Hauptpartien Minnie, den Räuber Dick Johnson und den Sheriff Jack Rance. Herausfordernd sind aber auch die vielen kleineren Rollen, die aus dem Ensemble besetzt werden müssen, genauso der Herrenchor und der hoch komplexe Orchester par t. Kurzum: Anders als etwa die erwähnte Bohème, die auch in kleineren Häusern auf einem guten Stadttheater-Niveau realisierbar ist, bleibt die Fanciulla aufgrund der Anforderungen immer eine Aufgabe für die allerersten Bühnen. Dazu kommt, dass sich auch die Regisseurinnen und Regisseure 9


IM GESPRÄCH MIT SIMONE YOUNG

schwer tun mit der Geschichte: Das beginnt mit dem Spaghetti-Western-Ambiente, dem man nicht zu sehr anhängen sollte, und endet bei Details wie den beiden amerikanischen Ureinwohnern Billy Jackrabbit und Wowkle, die heute keinesfalls mehr billigen Klischeebildern entsprechen dürfen. Meine erste Fanciulla habe ich in Los Angeles dirigiert – mit unter anderem Plácido Domingo, Catherine Malfitano und Wolfgang Brendel – da ging es hoch her mit zahlreichen, auf echten Pferden reitenden Cowboy-Statisten aus Hollywood, die entweder effektvoll aus den Logen purzelten oder sich als versierte Scharfschützen produzieren konnten. Wildwest pur! So etwas wirkt heute nur mehr unfreiwillig komisch und verstellt zudem den Blick auf die eigentlichen, großen Themen, die hier transportiert werden sollen. Regisseur Marco Arturo Marelli gelang in der aktuellen Staatsopernproduktion der Spagat, einerseits die Geschichte zu erzählen und andererseits das Essenzielle herauszuarbeiten. Das Publikum ist hier nicht der passive Zuschauer eines John-Wayne-Films, sondern fühlt sich, nicht zuletzt durch die zeitliche Versetzung der Handlung, unmittelbar angesprochen. al Was macht denn nun die besondere Qualität dieser Oper aus? sy Eine der großen Stärken Puccinis liegt in seiner Fähigkeit, mit nur wenigen Takten eine bestimmte Atmosphäre auf die Bühnen zu zaubern. Viele kennen den Beginn des dritten Bilds in der Bohème: Flöte, Harfe und ein bisschen Pizzicato der Strei-

cher – scheinbar nichts Aufregendes, und trotzdem fühlt und riecht jeder im Publikum augenblicklich den Schneefall, der auf der Bühne zu sehen ist. Ähnliches finden wir hier in der Fanciulla. Allein die Wirkung, die Puccini am Beginn des dritten Aktes mit den simplen, aber dennoch illustrativen Kontrabassfiguren erreicht, ist für sich gesehen schon genial. Vergleichbares finden wir erst bei Benjamin Brittens Sommernachtstraum wieder. Oder die Pokerszene im zweiten Akt, die ganz viel moderne Filmmusikdramaturgie vorwegnimmt – mit dieser Passage schreibt Puccini Musiktheatergeschichte. Überhaupt ist der Orchestersatz insgesamt phänomena l: Hier transparent kammermusikalisch mit dem feinsten Einsatz diverser Soloinstrumente, was an den späten Strauss oder Korngold erinnert, dort ein reich ausgefüllter, im positiven Sinn wolkenhafter Klang, der aber dennoch im Pianissimo zu erklingen hat, dann wieder die gesamte, beeindruckende Wucht des Orchesterapparats. Und auf einmal duftet es wieder von Debussy und Ravel inspiriert impressionistisch. Es ist die Arbeit eines reifen Genies, die in Tabarro und Suor Angelica ihre Fortsetzung findet. Dazu kommt eine geradezu Shakespeare’sche Charakterisierungskunst: Es gibt kein SchwarzWeiß, jeder hat Fehler und Vorzüge. Der eine ist bestechlich, der andere behandelt seine Wohltäterin Minnie wie eine fühllose Ware. Alle können selbstlos hilfsbereit gegen den einen und im selben Augenblick unfassbar unbarmherzig gegen den anderen sein. Rance ist sicherlich ein guter Sheriff, der für Ordnung sorgt, aber 10


DAS FRAGEZEICHEN HINTER DEM SONNENUNTERGANG

seine Brutalität, seine Vergeltungssucht sind beängstigend. Der Tenorheld Dick Johnson ist wiederum trotz allem nur ein Räuber – ob er wirklich nie jemanden umgebracht hat, wie er behauptet, sei dahingestellt. Selbst Minnie, das Vorbild aller, zeigt sich in der Pokerszene als gewiefte Falschspielerin. Und all diese Vielschichtigkeit, diese Ambivalenz finden wir in den dunklen Farben der Partitur wunderbar wieder, in den stetig wechselnden Phrasen und Figuren, den Rubati, dem unentwegten Stop-and-Go in der Musik, die dafür sorgt, dass nur selten mehr als zwölf Takte in einem Tempo durchlaufen. Mit anderen Worten: Die szenische Aktion und die Musik sind so eng verzahnt, dass ich mir eine konzertante Aufführung der Fanciulla gar nicht vorstellen kann. al Die Tenor-Arie im dritten Akt »Ch’ella mi creda« ist gewissermaßen von Puccini nachgereicht worden. Wirkt dieser »Einschub« nicht wie ein Fremdkörper? sy Finde ich gar nicht. Puccini war nicht nur ein genialer Komponist, sondern auch ein genialer Musikdramaturg. Die Arie ist gut platziert – nach der hektischen Jagd auf Dick und vor dem dramatischen Wiederauftritt Minnies – und gibt dem Publikum einen zweieinhalb Minuten dauernden Ruhepol, der sich noch dazu als Schlager eignet. al Fanciulla del West ist keine typische Puccini-Tragödie, ebensowenig eine Komödie à la Gianni Schicchi oder ein Märchen wie Turandot. Was ist es dann? Immerhin haben wir ein Happy End.

sy Aber ein Happy End mit einem sehr großen Fragezeichen. Sicher, Dick Johnson und Minnie reiten – hier in Wien schweben sie – gewissermaßen in den Sonnenuntergang davon. So weit, so gut. Was aber mit ihnen weiter passiert, ob sie nicht sehr bald zugrunde gehen, weiß niemand. Und all die anderen, die ganze Goldgräber-Community inklusive des unglücklich liebenden Sheriffs, verlieren mit Minnie ihre Lichtgestalt, die alles zusammengehalten hat, die jedem Hoffnung gespendet hat. Nicht umsonst hört man vom Chor am Ende dieses »mai più, mai più« – denn Minnie kommt nicht wieder. Ich finde es übrigens beeindruckend, dass Puccini es in der damaligen Zeit gewagt hat, in der Fanciulla einmal kein ganz junges Mädchen als Heroine auf die Bühne zu stellen. Das war absolut unüblich! al Wie amerikanisch ist nun Fanciulla del West? Puccini stellt in einem der Interviews zu diesem Stück fest, den Geist des amerikanischen Volkes eingefangen zu haben. sy Was ist amerikanisch? Wie amerikanisch kann ein Europäer sein? Er kann bestenfalls ein europäischer Amerikaner sein. Sicher haben diese unendlich scheinenden Horizonte der Prärien, die es bei uns so nicht gibt, viele Künstler beschäftigt. Maler, Schriftsteller, Komponisten – denken wir nur an Dvořáks Symphonie Aus der neuen Welt. Aber es war immer der Blick des Europäers, der das ihm ungewohnte Land mit seinen Geheimnissen, den ungewohnten Lichtstimmungen, den 11


DAS FRAGEZEICHEN HINTER DEM SONNENUNTERGANG

unbekannten Völkern kulturell verarbeitet hat. Das Thema der importierten europäischen Kultur beschäftigt uns in Australien natürlich ebenfalls. Ich arbeite dort auch mit Künstlerinnen und Künstlern zusammen, die von den australischen Ureinwohnern abstammen, wobei wir darauf achten, keinerlei kulturelle Übernahme zu betreiben. Diese Möglichkeiten hatte Puccini zu seiner Zeit freilich noch nicht. Eines ist Fanciulla del West aber zu 100 Prozent: Ein echter Puccini. Ein Puccini, der aber so manches vor-

weggenommen hat, was uns ein bis zwei Generationen später als amerikanischer Sound in den zahllosen Western-Filmmusiken auf niedrigerem Niveau wiederbegegnet. Und an dieser Stelle sollte vielleicht auch noch erwähnt werden, dass Andrew Lloyd Webber sich in seinem Musical Das Phantom der Oper sehr eindeutig aus Fanciulla del West bedient hat. Das heißt, viele, die dieses Musical kennen, wissen gar nicht, dass sie zugleich schon eine zentrale Melodie aus einer Puccini-Oper gehört haben.

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KS NINA STEMME als MINNIE & KS JONAS KAUFMANN als DICK JOHNSON




ANDREAS LÁNG IM GESPRÄCH MIT MARCO ARTURO MARELLI

EINE NEUARTIGE OPER al

Wo lag der Reiz, ein Werk wie die Fanciulla anzunehmen? Das, was man landläufig vom Werk weiß – vor allem der WildwestHintergrund – ist ja nicht gerade etwas, was den üblichen Marelli’schen feinen, intellektuellen, vielschichtigen Inszenierungen entgegen kommt? mam Ich muss gestehen, dass ich das Werk kaum kannte, doch hat mich beim ersten Kennenlernen die raue Kernigkeit der Musik sofort fasziniert und tief beeindruckt. Es ist ein in jeder Hinsicht außergewöhnliches Werk, voller neuer Orchesterfarben, packend dramatisch, doch ohne je »schmalzig« zu sein oder wie Heinrich Mann es formuliert, mit Fanciulla habe Puccini »angefangen, herb und ungefällig zu werden«. Dann bestach mich das Milieu, die Andersartigkeit des Stoffes, verglichen mit den früheren Werken und die musikalische Sprache, die Puccini für dieses Werk entwickelt hat. Sie spiegelt genau die soziale Welt der mittellosen Minenarbeiter, die auf der beschwerlichen Suche nach ihrem Lebensunterhalt die Sehnsucht nach etwas Glück nicht vergessen haben. Ich habe noch nie ein Werk des Verismo inszeniert und so war diese MARCO ARTURO MARELLI

Aufgabe für mich neu und auch doppelt reizvoll. al Ist die Adaptierung der Handlung ins Heute notwendig, um das Werk von seinem WesternHautgout zu befreien oder ist es überhaupt die einzige Möglichkeit, dem Stoff beizukommen? mam Ich denke auf jeden Fall. Der Titel lässt ja, besonders in der deutschen Übersetzung, einen »Westernfilm« erwarten, ein Opus aus einem künstlerisch meist nicht allzu hochwertigem Genre, dem sich die amerikanische Filmindustrie später, lange nach dem Entstehen dieser Oper, auch mit großem Erfolg gewidmet hat. Doch mit Karl May oder Bonanza und anderen Western hat das Werk nichts zu tun, da sind keine abenteuerlichen Cowboys auf der Bühne zu sehen und mit den beiden amerikanischen Ureinwohnern ist es auch nicht weit her. In den Jahren um 1850, in denen das Stück nach den Angaben der Autoren spielen sollte, gab es in Europa tausende von mittellosen Menschen, die der Goldrausch nach Kalifornien lockte. Es war die existenzielle Not und die Armut in ihren Heimatländern, auch hervorgerufen durch die einsetzende Mechanisierung

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IM GESPRÄCH MIT MARCO ARTURO MARELLI

und Industrialisierung der Landwirtschaft, die sie zu diesem Aufbruch in ein fremdes Land zwang. Doch bringt diese historische Ferne eine unnötig verklärende Romantik in das Werk, deshalb habe ich mich entschieden, die Handlung in unsere Zeit zu verlegen. Haben sich auch die Gründe bei den heutigen Emigrantenströmen und dem modernen »Goldgräbertums« verändert, die Situation bleibt die gleiche, begleitet von einer Entwurzelung und einem Verlust von Heimat. al Inwieweit soll das Bühnenbild atmosphärisch die Herbheit diese Fanciulla-Musiksprache widerspiegeln? mam Das Personal dieser Oper ist so rau wie das Klima der Musik, und so soll auch die Szene sein. Männer in einem Camp, abgesondert und fernab der Zivilisation, Menschen in einer Containersiedlung, ähnlich einem Lager in einem Zustand der Isolation und des Entzugs. Also keine Typen, wie es ein »Western« vermuten lässt. Ärmliche Minenarbeiter, die in diesen extremen Arbeitssituationen neben der täglichen Schufterei abends von etwas Glück und Wohlstand träumen. Die Oper beginnt mit einem weinenden Mann, Larkens, der es in diesem trostlosen Camp vor Heimweh nicht mehr aushält und endet mit vielen weinenden Männern. Auch dies ist entspricht kaum dem Klischee hinsichtlich der harten Kerle eines Westerns sondern gleicht eher einem Tabubruch. al Wenn Puccini kein Wort Englisch konnte, was hat ihn dann am Belasco-Stück interessiert, dass er es als Opernstoff annahm? mam Puccini wurde nicht nur in Italien von der hochgebildeten Kritikerschaar

wegen seiner Libretti oft getadelt, er könne keine literarischen hochwertigen Texte in Musik setzen. Und so wurde er oft gegen seinen damals viel gespielten Rivalen Alberto Franchetti, der heroische und historische Stoffe bevorzugte, ausgespielt. Nach der exotischen Madame Butterfly prüfte Puccini an die dreißig Libretti, unter anderem auch literarische Stoffe von Oscar Wilde und Gabriele D’Annunzio, auch eine Marie Antoinette war dabei, doch dann griff er schlussendlich zu diesem, etwas kolportagehaften Stück von Belasco, welches er in New York gesehen hatte und von dem er, da er, wie Sie schon bemerkten, der englischen Sprache nicht mächtig war, kaum etwas verstanden haben kann. Ihn faszinierte die Andersartigkeit des Stoffes. In Paris hatte Debussys Pelléas et Mélisande bei Puccini einen tiefen Eindruck hinterlassen. »Nun reicht’s mir mit Bohème , Butterfly und Co.; auch mir hängen sie zum Halse heraus!« schrieb er an seinen Verleger Tito Ricordi. Er suchte nach einem Stoff, bei dem er mit seiner musikalischen Sprache neue Wege begehen konnte und Fanciulla ist das Ergebnis dieser Entwicklung. Anton Webern zeigte sich Schönberg gegenüber begeistert: »Eine Partitur von durchaus ganz originellem Klang, prachtvoll, jeder Takt überraschend… keine Spur von Kitsch… Ich muss sagen, dass es mir sehr gefallen hat.« al Wie würden Sie die Gattung der Oper bezeichnen? Handelt es sich am Schluss nun um ein Happy End, oder doch nicht? mam Sicher ist es eine Oper, doch eine äußerst neuartige. Gewiss war sich Puccini der emotionalen Wirkung seiner Musik bewusst, »zu Tränen rühren« war auch sein Ziel, dem er vieles unter-

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EINE NEUARTIGE OPER

ordnete. Darin war er ein typischer Komponist der italienischen Tradition, denn schon Bellini bekannte: »Im Musikdrama muss der Gesang zu Tränen, zum Entsetzen, zum Sterben rühren«. Doch fehlen in dieser Oper die großen, gefälligen Arien. Auffällig ist die bisweilen impressionistische Instrumentierung; die Autonomie des Orchesters gegenüber der Singstimme hat sich weiter ausgebildet, der gesangliche Gestus hat sich mit genauesten psychologischen Feinheiten weiterentwickelt. Es ist ein Werk der Zuspitzung und der Verdichtung, voller jäher Kontraste. Neuartig sind auch die Grenzüberschreitungen bei der Behandlung der Singstimmen. Bezeichnend sind da Puccinis zahlreiche äußerst genaue Vortragsbezeichnungen wie »quasi gesprochen« bis »geschrienen«, oder »roh« und »allegro brutale«, solches ist in seinen früheren Partituren nicht zu lesen. Wie kann die Liebeserklärung von Jack Rance an Minnie besser ausgedrückt werden als mit diesem stockenden, armseligen Arioso: da gibt es keine richtig groß ausschwingende Melodie mehr, sondern der musikalische Duktus kommt nicht richtig von der Stelle und bricht dauernd ab; wir sehen Puccinis tiefen, sezierenden Blick in das Innenleben dieses Mannes, mit dem er demonstriert, dass Jack gefühlsunfähig ist, indem er ihn keine eigene Melodie finden lässt. Noch zum Happy End: Es ist sehr einfach, dem Ende ironisch zu begegnen. Doch Puccini hat da nicht auf das »Gefühlspedal« getreten und schrieb behutsam ein sehr verhaltenes, zartes und leises Ende, fast wie eine Utopie, alles ist wie in die Ferne gerückt, in etwas dünnere Luft... ich habe versucht, diese Musik in einem poetischen Bild umzusetzen.

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Hat Puccini mit den drei Hauptfiguren überhaupt realistische Figuren geschaffen? Zumindest Minnie, die Halbheilige, und Dick, der edle Räuber, der nie jemanden getötet hat, sind doch in dieser Form eher geschönte Charaktere? mam Da haben Sie sicher recht, besonders bei Minnie in den ersten Szenen. Doch ab Mitte des zweiten Aktes erfolgt in ihr eine große Veränderung: In der erwachenden Liebe zu Dick wirft sie ihr moralisch-religiöses Ich über Bord, vergisst die Religiosität der Bibelszene. Vor dem Pokerspiel fallen die Masken und der Kampf um eine neue Existenz beginnt. Da macht Minnie vor Jack reinen Tisch: »Machen wir uns doch nichts vor! Dick ist ein Gauner und du bist ein armseliger Sheriff, ein Falschspieler, ich jemand, die in der Kneipe Whisky ausschenkt und vom Gold und Kartenspiel lebt, was ist das für ein Leben...« Jetzt will sie nicht mehr die Heilige in einer Männergemeinschaft spielen. Ihre Sehnsucht nach einem neuen Leben und nach einer realen Liebe zu einem einzigen Mann, die sie im Namen eines sozialen Zusammenhalts in der Gemeinschaft mit allen Minenarbeitern nicht ausleben konnte, ist stärker. al Manche Dirigenten meinen, dass es sich um eines der am schwersten zu dirigierenden Werke des italienischen Repertoires handelt. Wie schaut es diesbezüglich in Bezug auf die Regie aus? mam Auch vom regielichen Handwerk ist es ein heikles Stück. Zunächst müssen die vielen kleinen Genreszenen des ersten Aktes (oft werden da ja Striche gemacht) glaubhaft organisiert werden, dann ist es ein Werk der jähen Kont-

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IM GESPRÄCH MIT MARCO ARTURO MARELLI

raste und der abrupten Wendungen, die psychologischen Entwicklungen sind nur holzschnittartig knapp angedeutet, es gibt keine sich langsam anbahnende Entwicklungen. al In der Fanciulla passiert vieles und Wesentliches im Orchester – wie kann man als Regisseur darauf eingehen? mam Indem ich versuche, möglichst genau auf die Musik zu hören. al In der Partitur gibt es viele Piano- und Pianissimo-Passagen – wie sieht eine »leise« Inszenierung, aus, also eine Inszenierung die den dynamischen Vorgaben der Musik entspricht? mam Die leisen, verhaltenen Szenen wirken ja erst im Kontrast zu den eruptiven Magma-Ausbrüchen in der Partitur, erst dadurch entwickelt das Werk jene packende Dramatik. Von Minnie erwartet Puccini beides, mädchenhaft Lyrisches wie Hochdramatisches und so gehört die Partie zu den schwierigsten überhaupt. al Wenn Fanciulla offenbar kein gefälliges Werk ist – heißt das, dass die anderen Puccini-Opern »billiger« sind? mam Nein, keinesfalls, sie sind nur anders, doch mit Fanciulla begann Puccini neue Wege zu beschreiten. al Warum hat Puccini den vierten Akt, dieses abgeschiedene Zusammensein von Minnie und Dick, nicht verkomponiert? mam Er hat diese Szene beim Finale seines dritten Aktes nur knapp angedeutet und das reicht völlig aus. Der vierte Akt bei Belasco entbehrt jeder Dramatik und verkommt in einem banalen Idyll, ich denke, Puccini glaubte nicht daran und zum Glück hat er uns diese Szene auch erspart.

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Wo liegen für Marco Arturo Marelli die zentralen Höhepunkte des Werkes? mam Da gibt es viele. Extrem modern und wegweisend, vor allem für die Filmmusik, ist die Pokerszene, diese leise stockende Musik, die unheimlichen Töne der Holzbläser, dann die bedrohlichen Sechzehntelbewegungen in den Bässen, die unregelmäßigen Pausen dazwischen, darüber nur wenige Melodiefetzen und der teils nur gesprochene Dialog erzeugen auch heute noch eine unheimliche, atemberaubende Spannung, dies sogar auf jeder Probe al Liebt Minnie Dick wirklich oder projiziert sie in diese Beziehung nur Liebe hinein, weil sie endlich eine Veränderung in ihrem Leben möchte? mam Ich denke: Beides und es werden für sie sicher noch harte Prüfungen folgen. al Was ist wesentlicher in der Fanciulla: Liebe oder Hoffnung? mam Sicher beides, die Begriffe »Liebe und Hoffnung« führen direkt zu Turandot, Puccinis letztem Werk, einem Stoff, von dem er sich versprach sein Lebensthema endgültig auszudrücken: die unstillbare Sehnsucht nach Liebe, darstellt in einer Art Parabel. Dort ist »Hoffnung« die Lösung des ersten Rätsels der Turandot und »Liebe« die Antwort Liùs nach der Frage von Turandot, was sie denn unter der Folter so stark mache. Charakteristisch für Puccinis Menschenbild in seinen Werken ist die Einheit von Liebe und Tod. Liebe wird in allen anderen Opern des Komponisten fast ausschließlich als tragische Verstrickung erfahren, die zwangsläufig in den Tod mündet. Von Anfang an war es die Psyche der Frau, des rätselhaften, bewunderten, wie auch verachteten

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EINE NEUARTIGE OPER

Wesens, das Puccini, als Zeitgenossen Freuds, fesselte. Für fast alle seine Frauengestalten gilt, was der Liedverkäufer in einer Episode des Tabarro singt »Chi ha vissuto per amore, per amore

si morì« (»Wer für die Liebe gelebt hat, wird an der Liebe sterben«). Doch nicht so in Fanciulla und da wären wir wieder bei der »Hoffnung«.

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ANDREAS LÁNG

DAVID BELASCO Was Theaterinstinkt, Abenteuerlust und Draufgängertum betrifft, hätte David Belasco ein jüngerer Bruder von Da Ponte oder Beaumarchais sein können. Als hart arbeitender Tausendsassa war er darüber hinaus ein typisches Beispiel des amerikanischen Selfmademans. Der älteste Sohn zweier aus London eingewanderter Emigranten (die Vorfahren entstammten einer alten, ursprünglich aus Portugal nach England geflohenen, ursprünglich Valasco genannten jüdischen Familie) hatte es letztlich aus eigener Kraft geschafft, zu einem der wesentlichen Größen des amerikanischen Theaters zu werden. Als er am 25. Juli 1853 in San Francisco das Licht der Welt entdeckte, stand es nicht gerade rosig um die finanzielle Situation seiner Eltern. Der Vater, ein ehemaliger umherziehender Schauspieler, hatte das Gewerbe gewechselt und schlug sich mehr schlecht als recht als Geschäftsmann durch. Die eindeutig gebildetere, liberalere und offenherzigere Mutter, der David Belasco Zeit seines Lebens eng verbunden blieb, dürfte, was den intellektuellen Hintergrund betrifft, einen deutlich größeren Einfluss auf den Sohn ausgeübt haben: Sie erzog ihn zu einem äußerst disziplinierten, selbstbewussten Menschen, der größten Wert darauf legte, das bereits erworbene Wissen ständig zu erweitern. Dass der extrem bibliophile David Belasco eine Theaterlaufbahn einschlagen würde, zeigte sich schon in frühester Jugend. Wo es nur ging, besuchte er Theatervorstellungen und nahm Kontakt zu Schauspielern auf, denen er mitunter beim Erlernen der Rollen half. Seine ersten Stücke schrieb er bereits mit zwölf Jahren, sein unstetes, nomadenhaftes Wesen kam dem wechselvollen und unplanmäßigen Dasein eines Theatermenschen entgegen. Aus der Klosterschule, in die ihn seine Eltern steckten, floh er, um sich für einige Wochen einem Wanderzirkus anzuschließen und als Clown zu verdingen, ehe er von seinen Eltern wieder nach Hause gebracht wurde. Viele der Stoffe seiner späteren Stücke entnahm er, der in seiner Jugend Berichte über Morde, Unfälle, Raufereien und sonstiger Sensationen an diverse Zeitungen verkauft hatte, selbst Erlebtem. Kaum der Schule entwachsen war er Zaungast in zahllosen Unterweltlokalen, Polizeistationen, DAVID BELASCO

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DAV I D B E L A S C O

Krankenhäusern. Es existierte praktisch kein Menschenschlag, den er nicht aus nächster Nähe kennenlernte. Seinen darbenden Eltern half er teils im Haushalt aus, teils finanziell – neben seiner journalistischen Tätigkeit arbeitete er in einem Tabakgeschäft und einer Bücherei. Unabhängig davon gründete er bald seinen eigenen Hausstand, heiratete mit 18 Jahren seine von ihm geliebte Cecilia Loverich (aus der Ehe entstammten zwei Töchter) und kämpfte sich in der Theaterwelt durch, bis ihm endlich erste Rollen an unterschiedlichen Häusern anvertraut wurden. Sein Bühnentalent, seine Charakterisierungskunst und sein Charisma führten bald dazu, dass er sich zu einem führenden Schauspieler mit einem stilistisch breiten Repertoire emporarbeiten konnte. Doch David Belasco gab sich damit nicht zufrieden und begann praktisch am Fließband enorm erfolgreiche Stücke zu schreiben – zwei von diesen, nämlich Madam Butterfly und The Girl of the Golden West – wurden von Puccini bekannterweise zu Opern umge­arbeitet. Als Regisseur war Belasco seiner Zunft weit voraus, sein Umgang mit Beleuchtungseffekten ließ alles bis dahin Dagewesene hinter sich. Auf seine Anregungen hin wurden in einigen Theatern die Bühnenmaschinerien in einem Maße modernisiert, die Theatereffekte ermöglichten, von denen andernorts nur geträumt werden konnte. Es war daher nur eine Frage der Zeit, ehe David Belasco eigene Theater unterhalten konnte. Das Publikum wusste also: Wo Belasco draufstand, da war ein außergewöhnlicher Theaterabend garantiert. Jahrelang war der Broadway, an dem er rund 100 Stücke produzierte, ohne ihn nicht mehr denkbar. Schauspielgrößen wie Sarah Bernhardt standen in engem Kontakt mit ihm. Die nach und nach aufkommende Filmindustrie stürzte sich regelrecht auf seine Stücke. Dass Belasco – der gelegentlich als amerikanischer Max Reinhardt bezeichnet wird – auch noch Tourneen in Europa organisierte sowie Übersetzungen von Werken anderer Dramatiker ins Englische verfertigte, sei nur am Rande erwähnt. Von allen geehrt, starb er am 14. Mai 1931 in New York.

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Cover des Klavierauszuges des LATERNENTANZES – ein populäres Musikstück in BELASCOS THE GIRL OF THE GOLDEN WEST




BRIEFE GIACOMO PUCCINI AN DAVID BELASCO

7. März 1907

Es tut mir außerordentlich leid, dass ich New York verlassen musste, ohne Sie noch einmal gesehen zu haben. Ich habe sehr intensiv über Ihr Stück The Girl of the Golden West nachgedacht, und bin überzeugt davon, dass es mit einigen Veränderungen leicht für die Opernbühne zu bearbeiten wäre. Wären Sie so freundlich, mir eine Kopie des Stückes nach Torre del Lago zu schicken? Ich könnte es dann übersetzen lassen, sorgfältiger studieren und Ihnen meine weiteren Eindrücke schreiben. Ich vermag meine Bewunderung für Ihr Talent kaum in Worte fassen, ebenso wenig den großartigen Eindruck von diesem Drama, das ich an Ihrem Theater sah.

GIACOMO PUCCINI AN GIULIO RICORDI

15. Juli 1907 Ich hatte schon an Maxwell geschrieben, er möchte Belasco nach seinen Bedingungen fragen und gleich hinzufügen, dass man von seinem Drama eine Menge streichen und das ganze umarbeiten und neu gestalten müsste. Sollten seine Bedingungen unannehmbar sein, so würde ich erst gar nicht anfangen. Ich schicke Ihnen Akt 3 und Akt 4. Aber sie taugen wenig. Man muss sie ganz und gar umarbeiten. Dann wird man auch einige gute Einfälle hervorheben können. Da ist die »Schulstunde«, die mit bestimmten Vorbehalten beibehalten werden kann. Den vierten Akt würde ich zusammendrängen, indem ich die Liebenden vom freien Felde her auftreten ließe; man lässt die Szene dann geteilt halb drinnen und halb draußen spielen. Der Platz vor dem Haus mit einem großen Wetterdach. Aber es ist Winter! Und da pflegt man seine Angelegenheiten nicht im Freien abzumachen! Wie kann man sich da helfen? Wenn Sie das Drama gelesen haben, geben Sie’s doch bitte Zangarini. Kurzum: lesen Sie, und sagen Sie mir bald Ihre Ansicht. Eigenhändige Skizze PUCCINIS zur FANCIULLA

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BRIEFE

GIACOMO PUCCINI AN GIULIO RICORDI

14. September 1907 Zangarini schreibt mir ununterbrochen, und in einigen Tagen kommt er mit dem Material zu mir. Ich schlafe nicht, meine Begeisterung für den »Westen« lässt nicht nach, im Gegenteil! Ich denke darüber nach und bin gewiss, dass es eine zweite Bohème wird, wenn mein Gehirn und meine Kräfte mich nicht im Stich lassen.

GIACOMO PUCCINI AN GIULIO RICORDI

2. Februar 1908 Ich lese das »Mädchen« und finde, dass Zangarini gut gearbeitet hat. Natürlich wird es noch mancher Änderungen szenischer und literarischer Art bedürfen; ich werde meine Anmerkungen an den Rand schreiben. Ich freue mich schon auf den Augenblick, wo ich mich endlich an die Arbeit machen kann. Noch nie habe ich so wie jetzt danach gefiebert!

GIACOMO PUCCINI AN GUELFO CIVININI

11. April 1908 Sie werden von Tito Ricordi gehört haben, dass man sich über Ihre Mitarbeit freut. Ich reise heute nach Torre del Lago. Unsere erste Aussprache erwarte ich voller Ungeduld. Können Sie nach Torre kommen? Inzwischen können Sie, da Sie ja eine Kopie haben, anfangen, ihre Anmerkungen zu machen; achten Sie auf eine ökonomische Bearbeitung des ersten Aktes, der mir zu lang erscheint, besonders in der Spielszene, und suchen Sie ihn mir klarer zu gestalten, lebendig und überzeugend.

GIACOMO PUCCINI AN GUELFO CIVININI

31. Mai 1908 Ich warte auf die korrigierten Entwürfe des ersten Aktes. Hast Du das Manuskript mit dem Text bekommen? Im ersten Akt können wir noch ein paar kleine Kürzungen vornehmen, findest Du nicht, Nick könnte es ruhig unterlassen zu sagen, dass die Burschen das Gold nachts bewachen, da es doch nachher gesagt wird?

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BRIEFE

GIACOMO PUCCINI AN GIULIO RICORDI

13. Juli 1908

[...] Ich streiche, so viel ich kann und versuche weiterzukommen. Dieses »Girl« ist eine furchtbare und schwierige Arbeit (ich nenne sie niemals »Fanciulla«, schon wegen der letzten beiden Silben, weil ich Angst habe, sie könnten mir gelten [Ciulla = Bödsinn]) [...]

GIACOMO PUCCINI AN GUELFO CIVININI

21. September 1908 Achte im dritten Akt auf die Reime der beiden ersten Verse: Rance (Rense) mit mance, das muss geändert werden [...]

GIACOMO PUCCINI AN GIULIO RICORDI undatiert Sie haben recht! Diese Librettisten! Der eine ist verschwunden, und der andere antwortet nicht auf meine Briefe! Und ich sitze hier und versuche zurechtzukommen! Aber allein kann ich’s kaum schaffen. Dieser erste Akt ist lang und voller Details, die nur von untergeordnetem Interesse sind!

GIACOMO PUCCINI AN GIULIO RICORDI 28. Juli 1910 Die Oper ist beendet! Ich habe einige Kürzungen vorgenommen und einige hübsche, aber nutzlose Sachen aus dem Textbuch entfernt, in zwölfter Stunde; Sie dürfen mir glauben, dass jetzt alles voller Leben ist; das letzte Bild ist der schöne Abschluss einer Arbeit von nicht geringem Umfang.

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ANDREAS LÁNG

KEINE WESTERNOPER Denken Wiener Opernbesucher an Puccini, so meist an Bohème, Butterfly, Tosca oder Turandot, in weiterer Folge an Manon Lescaut und Gianni Schicchi, eventuell noch an den Mantel. Aber an Fanciulla del West? Nun, die meisten haben dieses Werk schon das eine oder andere Mal erlebt, vielleicht sogar in den späten 70er- und den späten 80er-Jahren hier an der Wiener Staatsoper mit Carol Neblett oder Mara Zampieri, Franco Bonisolli, Plácido Domingo oder Giuseppe Giacomini. Aber es wird sogar im opernbegeisterten Wiener Publikum gar nicht so wenige geben, die Puccinis, wie er selbst meinte, »am besten gelungene Oper« nur vom Hörensagen her kennen. Schnell fallen im Small-Talk Schlagworte wie: Wildwest-Oper, Happy End, weiterentwickelter Puccini-Stil, heutzutage schwer inszenierbar. Aber konkreter? Wer könnte, Hand aufs Herz, die genaue Handlung sogleich genauso präzise nacherzählen wie jene der Tosca? Wer weiß, was es mit dem weiterentwickelten Puccini-Stil tatsächlich auf sich hat? Und wer vermag das sogenannte Wilder-Westen-Hafte des Werkes festzumachen? Die mit der geringeren Popularität verbundene KS JONAS KAUFMANN als DICK JOHNSON

weitverbreitete Unkenntnis des Werkes – Puccini sprach übrigens immer nur vom »Girl«, nie von der Fanciulla – hat mehrere unterschiedliche Ursachen. Zunächst hat die Oper mit einem Klischee zu kämpfen, das erst durch die, Jahrzehnte nach ihrer Entstehung aufgekommene, Wildwest-Trivialisierung mit den einander bekämpfenden und herum galoppierenden Cowboys und Indianern entstanden ist. Von derartigen Revolver-Storys ist Fanciulla del West meilenweit entfernt. Im Grunde hatte Puccini in Bezug auf die Sujetwahl ja nichts anderes gemacht, als bei der Butterfly oder der Turandot: Er hat einen, von Europa aus gesehenen, entfernten, zeitlich vergangenen und durch die Fremdheit exotisch angehauchten Schauplatz ausgesucht und mit lokalkoloritischen musikalischen Anstrichen – in diesem Fall mit Melodiezitaten originär amerikanischer Musik – aufgeladen. Die späteren Wildwest-Filme haben aber dem US-amerikanischen 19. Jahrhundert bald jeden Exotismus ausgetrieben. Eine Oper, die im Wilden Westen spielt, leidet heute fast zwangsläufig unter der Revolverrauch-Stigmatisierung, auch wenn sie sich in einem

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KEINE WESTERNOPER

ganz anderen Fahrwasser befindet. In der Fanciulla geht es nicht um tapfere und wagemutige romantisch verbrämte Helden, sondern um Entwurzelte, Gestrandete, die, von der Not getrieben, die Heimat verlassen haben, in die Fänge des Goldrausches gelangt sind und als Minenarbeiter ein hartes, wenig frohes Dasein fristen. Doch dieser Umstand wird durch das WildwestMascherl, das diesem Werk gerne umgehängt wird, leicht übersehen. Musikalisch unterscheidet sich Fanciulla tatsächlich klar von den davor geschriebenen Puccini-Opern: So verzichtete der Komponist großteils bewusst auf die ausgedehnten Arien, das Melodiöse findet über weite Strecken nicht auf der Bühne, sondern im Orchester statt, wodurch die anspruchsvollen Gesangspartien im Allgemeinen weniger Applaus entzündend wirken als etwa in einer Tosca. Nicht umsonst sagte bereits Heinrich Mann, dass Puccini mit der Fanciulla angefangen habe »herb und ungefällig zu werden«, Puccinis österreichischer Komponistenkollege Anton Webern schlug gar noch euphorischere Töne an: »Eine Partitur von durchaus ganz originellem Klang, prachtvoll, jeder Takt überraschend… keine Spur von Kitsch… Ich muss sagen, dass es mir sehr gefallen hat.« Und Puccini-Kenner Volker Mertens schrieb: »Puccini hat die harmonischen und instrumentatorischen Errungenschaften von Debussy, Strawinski und Richard Strauss rezipiert und die raffinierten und diffizilen Klänge zur psychologischen Verdeutlichung der Personen und Situationen eingesetzt.« Puccinis oben erwähntes Selbsturteil, er hätte mit der Fanciulla seine am besten gelungene Oper geschrieben, findet unter Kennern ganz allgemein Zustim-

mung. Genau genommen hatte Puccini mit der späteren Turandot im Vergleich zur Fanciulla sogar einen Entwicklungsrückschritt begangen, denn unter seinen Werken kann lediglich das Triptychon – und hier vor allem der Gianni Schicchi – in puncto Modernität mit der Fanciulla mithalten. Inwieweit die Komplexität und Differenziertheit der Fanciulla-Partitur letztlich einer allzu schnellen Verbreitung im Wege stand, wird und wurde oft diskutiert. Tatsache ist allerdings, dass die Uraufführung an der New Yorker Metropolitan Opera im Jahre 1910 einen triumphalen Publikumszuspruch erlebte und nur die konservativeren Kritiker zu besserwisserischem Nasenrümpfen verleitete. Zwar wird gelegentlich aufgeworfen, Puccini hätte in der Fanciulla mit der allzu heiligenmäßigen aber zugleich zu wenig fragilen Minnie einen für ihn unüblichen Frauentyp auf die Bühne gestellt und auch damit manchen berufsmäßigen Kritiker vor den Kopf gestoßen – doch ist diese Theorie bei näherem Hinsehen kaum stichhaltig: Eine Liù ist kaum weniger heiligenmäßig und eine Tosca wohl kaum fragiler. Nein, die geringere Popularität rührt mit Sicherheit vom falschen Westernklischee her, das der Fanciulla nachhängt und von der mit Sicherheit großen inszenatorischen Herausforderung, die jeden Regisseur erwartet, der sich dem Stück stellt. Denn dem Fehler, den nicht vorhandenen Kitsch der Partitur durch eine kitschige Szenerie zu ersetzen, sind in der Vergangenheit einige erlegen. Nicht von ungefähr trachtete der Regisseur der aktuellen Fanciulla-Produktion, Marco Arturo Marelli danach, eine der Partitur entsprechende Umsetzung auf der Bühne zu gewährleisten. KS NINA STEMME als MINNIE & KS JONAS KAUFMANN als DICK JOHNSON



KARL LÖBL

MINNIE KOMMT VOM BROADWAY Wir blenden zurück ins Jahr 1910. Die Partitur von La fanciulla del West war fertiggestellt, da erschien im Juni der erste große Artikel in der New York Times. Er wies darauf hin, dass im Dezember das amerikanische Publikum als erstes das neueste Werk des führenden italienischen Opernkomponisten hören sollte. Und es fehlte auch nicht an Details. »Die Handlung«, wurden die Leser informiert, »enthält eine realistische Lynchszene in einem Wald«, und der Chor »besteht aus Hilfspolizisten, Cowboys, Schurken, und alle singen italienisch.Wahrscheinlich«, glaubte die New York Times ein halbes Jahr vor der Premiere prophezeien zu können, »sind alle diese Personen ebenso romantisch wie die Roma, Banditen, Druiden, Bauern, Ägypter und Nubier in den früheren Opern«. Da hatte der Autor das Opernpersonal Bellinis, Verdis und Puccinis ein bisschen willkürlich durcheinandergemischt. Puccini selbst, seit November im Zuschauerraum der Metropolitan Opera Zeuge von Arturo Toscaninis intensiver Probenarbeit, schrieb am 7. Dezember an seine Frau Elvira, die nicht nach New York mitgekommen war: »Die Oper wird großartig. Der 1. Akt ist ein wenig lang, aber der zweite herrlich und der dritte grandios. Caruso ist in seiner Partie (Dick Johnson – Anm.) großartig, die Destinn (als Minnie – Anm.) nicht schlecht, aber sie braucht noch mehr Feuer. Ich bin zufrieden mit meiner Arbeit und hoffe das

Beste – aber wie schrecklich schwierig das alles ist, diese Musik und diese Inszenierung!« Während der Probenzeit hatte Puccini zahlreiche Interviews gegeben. Darin findet man sehr aufschlussreiche Anmerkungen zum neuen Werk. »Ich habe«, meinte der Komponist in einem der Gespräche, »für dieses Drama eine Musik komponiert, die, wie ich glaube, den Geist des amerikanischen Volkes spiegelt – vor allem die starke, kraftvolle Wesensart des Westens. Ich bin zwar nie im Westen gewesen, habe aber so viel über das Land gelesen, dass ich es genau kenne, und die Empfindungen meiner Gestalten habe ich so intensiv miterlebt, dass ich glaube, ein getreues musikalisches Porträt geschaffen zu haben. Bis auf wenige Ausnahmen habe ich keine amerikanischen Motive übernommen. Es ist trotzdem amerikanische Musik, zugleich aber meine Erfindung, also echter Puccini.« Das Interesse an der neuen Oper war gewaltig, der Schwarzhandel mit Eintrittskarten drohte das Ordnungssystem der »Met« zu gefährden. Es wurden zwei öffentliche Generalproben für geladene Gäste eingeschoben. Bereits diese waren ein großer Erfolg. Der wiederholte sich bei der Premiere am 10. Dezember 1910. Zwischen dem 2. und 3. Akt brachte »Met«-Direktor Gatti-Casazza den Komponisten vor den Vorhang, der Schlussapplaus dauerte 15 Minuten.

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M I N N I E KO M M T VO M B ROA DWAY

Von den keineswegs nur positiven Zeitungskritiken ist jene der New York Times die interessanteste. Dort schrieb Richard Aldrich: »Welchen Platz die Musik in einem Drama wie diesem einnehmen soll, ist nicht leicht zu sagen. Jedenfalls hat sich Mr. Puccini hier einer Aufgabe unterzogen, die man noch vor wenigen Jahren für undurchführbar gehalten hätte, weil allen Auffassungen vom Musikdrama widersprechend… Puccini ist auf dem Weg übermäßiger Intervalle und dissonanter Akkorde weitergeschritten … Man merkt die Vorliebe für einen Stil, der momentan besonders mit dem Namen Debussy verknüpft ist.« Die Kritiken interessierten Puccini wenig. Er war gewohnt, von ihnen zurückhaltend oder negativ beurteilt zu werden. Die Begeisterung des Publikums war ihm wichtiger. Am 28. Dezember 1910 trat er die Heimreise an, im Gepäck jener Silberkranz, den ihm Gatti-Casazza vor dem »Met«-Vorhang bei der Premiere übergestülpt hatte. Ein anderes Mitbringsel musste er sich nachschicken lassen. In einem MarineShop hatte er ein Motorboot entdeckt und dafür 3.000 Dollar bezahlt. Er war ein reicher Komponist geworden. La fanciulla del West wurde nach der New Yorker Uraufführung in den folgenden beiden Jahren in elf Städten gespielt – auch in polnischer, französischer, englischer und ungarischer Sprache. In deutscher Übersetzung wurde das Stück erst ab 1913 aufgeführt – zunächst in Berlin, Riga, Prag und Wien (wo es allerdings zwischen 1915 und 1925 nicht auf dem Spielplan stand). In der Titelrolle dominierte in Wien Maria Jeritza, die sogar nach 1945 die Minnie hier noch zweimal gesungen hat – doch da galt Ljuba Welitsch bereits unbestritten als ihre Nachfolgerin.

Erst spät entstand die erste StudioAufnahme der Fanciulla – 1950 bei der RAI in Mailand. Aufregend vier Jahre später der Live-Mitschnitt aus Florenz (damals als LP bei Cetra, jetzt auf CD bei mehreren Labels) mit Mitropoulos als Dirigent. Auf CD kann man (bei EMI) auch nacherleben, wie Birgit Nilsson 1958 in Mailand die Minnie mit stimmlicher Attacke in eine Wildwest-Heroine verwandelt hatte. Aus demselben Jahr (Decca) eine römische Aufnahme mit Renata Tebaldi und Mario del Monaco. Stückgerecht die Londoner Aufnahme (1978 – CD der Deutschen Grammophon) mit Carol Neblett und Plácido Domingo, weil Dirigent Zubin Mehta die in der Musik vorhandenen Amerikanismen unaufdringlich, aber unüberhörbar verdeutlicht. In den Listen alter und neuer Aufnahmen der Fanciulla erkennt man schnell, dass Domingo innerhalb von zwei Jahrzehnten die meistbegehrte Besetzung für den Dick Johnson war. (Auch an der Wiener Staatsoper hat er die Rolle sieben Mal gesungen.) Und vergleicht man etwa im Internet die Interpretationen der Tenorarie von Aragall, Björling, Corelli bis Zambon, dann ist klar, dass Domingos Fähigkeit, eine dramatische Situation innerhalb von zwei, drei Minuten vokal glaubhaft zu machen, diese Begehrlichkeit rechtfertigte. Mit ihm kann man auf DVD unterschiedliche Inszenierungen erleben. Jene von Giancarlo del Monaco war an der New Yorker »Met« 1992 mit Barbara Daniels und Domingo besetzt (Deutsche Grammophon). Domingo begegnen wir ebenfalls in London, wieder mit Carol Neblett als Minnie, diesmal mit Nello Santi am Pult. Regie führte

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M I N N I E KO M M T VO M B ROA DWAY

Piero Faggioni (bei Warner Classics). Und nochmals Domingo, bei Opus Arte aus der Mailänder Scala, mit Mara Zampieri als Minnie und Lorin Maazel am Pult. Wer auf die Inszenierung von Jonathan Miller verzichten will, kann diese Konstellation auch auf einer Sony-CD hören. Die Amsterdamer Inszenierung von Nikolaus Lehnhoff ist – wie fast

immer bei diesem Regisseur – werkgerecht, in manchen Details angenehm zurückhaltend. Eva-Maria Westbroek und Zoran Todorovich sind gute Singschauspieler. Diese DVD bei Opus Arte stammt aus dem Jahr 2009. Und auch die aktuelle Staatsopern-Produktion gibt es auf DVD.

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Die alte METROPOLITAN OPERA NEW YORK, der Uraufführungsort der FANCIULLA



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VOLKER MERTENS

ATMOSPHARE UND SOZIALE IDENTITAT AMERIKANISCHE MUSIK IN FANCIULLA

ATMOSPHÄRE New York, Jänner 1907: Puccini, immer auf der Suche nach Stoffen für das nächste Libretto, besucht David Belascos neuen Broadway-Erfolg The Girl of the Golden West. Dessen Madam Butterfly hat ihm sieben Jahre zuvor die Basis für seine Erfolgsoper um die japanische Geisha Cio-Cio-San gegeben. Seine Hoffnung, auch jetzt eine entscheidende Anregung zu erhalten, wird zunächst nicht erfüllt. Das Drama findet er enttäuschend: »nichts Schlüssiges, Solides, Vollständiges. Die Atmosphäre gefällt mir, jedoch in allem, was ich gesehen habe, habe ich lediglich hier und da eine passende Szene gefunden. Keine schlichte Zeile, alles durcheinander, mitunter schlechter Geschmack und alte Scherze« schreibt er an seinen Verleger Tito Ricordi. In Belascos Stück spricht ihn lediglich die Gestalt des fahrendes Sängers Jake Wallace im Goldsucher-Camp an, der gleich zu Beginn das sentimentale Lied Echoes from Home singt. Das fasziniert ihn. Es ist vor allem die barbarisch-urtümliche »Atmosphäre« um die Goldsucher von 1849, die »Forty-niner«, die nicht zuletzt durch dieses und etwa ein Dutzend weiterer Lieder geschaffen wird. EMMY DESTINN, die erste MINNIE & ENRICO CARUSO, der erste DICK JOHNSON

Sie werden teils von den Akteuren, teils im Orchestergraben mehrstimmig gesungen oder instrumental musiziert. Obwohl das Englisch Puccinis bestenfalls rudimentär ist, entgehen ihm die dramaturgischen Schwächen, die ungenügenden Motivationen des Theaterstücks nicht. Allein die evokative Musik, die die Gesellschaft glaubhaft zu machen versteht, ist es, die ihn anzieht. Daher lässt er eine Gruppe schwarzer Musiker in seine Hotelsuite kommen und sich Spirituals und weltliche Lieder vorsingen. Dann schreibt er, nach Italien zurückgekehrt, bereits im Juli an seine Seelenfreundin Sibyl Seligman, sie möge ihm »frühe amerikanische Musik«, aber auch moderne schicken. Sie besorgt ihm »indianische Lieder«, weitere Noten bestellt er in Amerika. Sein Ziel ist es, seinen Eindruck von der Musik der schwarzen Sänger festzuhalten und zu vertiefen, eine spezifische musikalische »Atmosphäre« aufzufassen. So macht er sich mit amerikanischer Musik vertraut, ähnlich wie er es im Fall von Madama Butterfly mit der japanischen gehalten hat. Er braucht noch eine Weile, bis er die parallelen Projekte verwirft: Maria Antoinetta, deren Libretto schon weit gediehen war, die jedoch eine unoriginelle Ancien-ré-

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VOLKER MERTENS

gime-Einfärbung erfordert hätte sowie La femme et le pantin nach Pierre Louys, ein ebenfalls musikalisch abgebrauchtes »spanisches« Sujet. Neue Fremdheit verspricht der Stoff des »Girl«, also entscheidet er sich dafür. Länger dauert es, bis das Libretto seinen Vorstellungen entspricht, vor allem am (bei Belasco besonders schwachen) 3. Aufzug müssen die Librettisten noch viel arbeiten.

MUSIKALISCHER ROHSTOFF Puccini nutzt die im Hören und im Notenstudium aufgenommenen »amerikanischen« Melodien und ihre Charakteristika in Harmonik und Rhythmik auf zweifache Weise: einmal als musikalischen Rohstoff, mit dem er immer wieder einmal der Partitur eine fremde Farbe verleiht. Dann übernimmt er leitmotiv­artig eine Originalmelodie der amerikanischen Ureinwohner. Lieder wie die bei Belasco verwendet er nur in kunstvoll verarbeiteten Fragmenten, denn er will ausdrücklich keine »amerikanische« Oper schreiben, sondern die Besonderheiten der Musik aus der Neuen Welt als charakterisierendes Medium einer Gemeinschaft von »einfachen« Menschen einsetzen. Sie war für die damaligen Europäer wie für die reiche Bildungsschicht der OstküstenAmerikaner kaum weniger exotisch als das Japan der Madama Butterfly. Er zeigt eine archaische Gesellschaft von weißen »edlen Wilden«, die »einfache« Empfindungen haben, das Gesetz in die eigenen Hände nehmen, rächen, strafen, aber auch verzeihen können und sich um Institutionen, wie sie der Sheriff Jack Rance verkörpert, letztlich nicht kümmern. Dieses Milieu, das die soziale Wahrheit der Figuren wie der Handlung garantiert, ist in den Ameri-

kanismen der Musik akustisch Gestalt geworden. Das Vorspiel beginnt mit der Vorstellung der Konflikte, zeigt sie »europäisch« mit debussynahen Akkorden (»Rettungsmotiv«), gefolgt von einem sentimentalen (Liebes-)Thema. Dann aber setzt der Komponist eine »amerikanische« Farbe ein, einen Cakewalk in Blechbläsern und Schlagzeug. Dieser verweist auf den amerikanischen Helden und seine hispanische Identität, seinen kecken Übermut und seine Todesverachtung. Der Vorhang öffnet sich und zeigt den »Polka-Saloon«, über dessen Fenster in großen Lettern zu lesen ist: »A real home for the boys«. Der erste Aufzug eröffnet mit den selektiv verarbeiteten amerikanischen Liedern: Violinen und Holzbläser spielen fortissimo das rhythmisch akzentuierte Kopfmotiv und Teile des Refrains von »Belle of the Barber’s Ball« von George Michael Cohan, für den Tanz von Joe und Bello gibt ein Lied von 1850, »Camptown Races (Camptown Ladies)« von Stephen Foster, den Refraintext »Dooda dooda day« und eine kurze (nicht dazugehörige) Melodiefloskel. Mit wenigen kräftigen Pinselstrichen zeichnet Puccini das Milieu. RagtimeKlänge charakterisieren immer wieder die Miner, auf weitere Melodiezitate verzichtet der Komponist. Puccinis kalifornische Boys haben hingegen eine mit Hilfe spezifischer musikalischer Mittel, doch fern trivialer Zitate konstruierte amerikanische Identität. Selbst die Musik der beiden Indianer, Billy Jackrabbit und Wowkle, die zu Beginn des 2. Akts die fremde Gesellschaft charakterisiert, ist nicht ge-, sondern erfunden mit den typischen »indianischen« Markern; pentatonische Melodien von geringem Umfang mit

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ATMOSPHÄRE UND SOZIALE IDENTITÄT

Quintenbegleitung. Das aus nur vier Tonstufen gebaute Wiegenlied (»Il mio bimbo è grande e piccino«) soll durch die tiefe Lage exotisch wirken (bei Belasco singt Wowkle mit besonders hoher nasaler Stimme als Zeugnis ihrer »kindlich-einfachen« Natur »My days are um grass«).

LIED DER HERZEN Eine einzige Melodie ist in ihrer ganzen Länge übernommen: für das Lied des Jake Wallace. Schon zu Beginn ertönt es von einer »Baritonstimme aus der Ferne«. Es handelt sich jedoch nicht um die Goldgräber-Weise, die Puccini in der Aufführung von Belascos »Girl« gehört hat, sondern um den »Festlichen Sonnentanz der Zuni«, den der Komponist einer (wohl von Sibyl Seligman übersandten) Notenausgabe (1904 von Carlos Troyer) entnommen hat. Auf diese Weise vermeidet er nicht allein die Nähe zur Broadway-Aufführung, sondern verleiht dieser Szene eine besondere Fremdheit auch für die Ohren seines amerikanischen Publikums, denn es ist eigentlich eine »falsche« Melodie für den fahrenden Sänger, wie der Opernimpresario Jack Savage kritisierte, der einen Ragtime für allein passend erklärte. Doch der Komponist will gerade diesen platten Realismus vermeiden, vielmehr symbolische Fremdheit schaffen. Der nostalgische Gesang des Jake Wallace spielt im Ablauf der Oper eine bedeutungstragende und strukturierende Rolle ähnlich wie ein Wagnersches Leitmotiv: er stellt das »weiche Herz« der rauen Gesellen vor und verklanglicht so die allgemeine Sehnsucht nach einem erfüllten und besseren Leben, er markiert den Abschluss

der (auf Puccinis Betreiben eingefügten) Schlüsselszene der Bibelstunde, die auf die Vergebung von Johnsons Verbrechen durch die Miner am Ende vorausweist, und er steht in Abwandlung hinter dem großen Liebesduett Minnie – Johnson im 2. Akt. Vor allem aber prägt er den versöhnlichen, glücklichen Schluss. Als der fahrende Sänger mit einem Banjo (das mittels einer mit Papierstreifen zwischen den Saiten gedämpfte Harfe imitiert wird) in der »Polka« auftritt, singt er auf die Zuni-Melodie sein Lied »Che faranno i vecchi miei a lontano« (»Was machen meine Eltern in der Ferne«). Die Boys stimmen ein, ihre Emotionen werden geweckt und heftiges Heimweh ergreift sie, so dass sie sich in ihrer Unbehaustheit nach Heim und Herd ihres Elternhauses sehnen. Bürgerliche Wünsche schlummern in ihnen, doch schnell können sie auch zur Gewalt gegen den Betrüger Sid umschalten. Am Ende der Oper appelliert Minnie an diese »weiche Stelle« ihrer Herzen, indem sie die Sehnsuchtsmelodie anklingen lässt, wenn sie die zur Hinrichtung Johnsons Entschlossenen beschwört, sie Harry mit der Erinnerung an sein Schwester Maud zu Tränen rührt und schließlich alle »Brüder ihres Herzens« um Gnade für den Geliebten bittet. Puccini nutzt für seine Schlüsse gern die Erinnerung an bedeutsame musikalische Phrasen, so in Tosca, wenn das Orchester das einprägsame Thema von Cavaradossis Lebensabschiedsarie schmettert. Hier ist es eben die Zuni-Melodie, die als letztes im Ohr bleibt: als Minnie und Johnson auf ihr enthusiastisches Liebesthema aus dem 2. Akt (»Ch’io non ti lascio più«, das bereits aus dieser entwickelt war), zu neuem Glück nach

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ATMOSPHÄRE UND SOZIALE IDENTITÄT

Osten reiten, klingt es in der Klage der Boys um den endgültigen Abschied ihrer »Mutter« Minnie: »Niemals wirst du wiederkehren!« Aber auch auf deren Zukunft fällt ein leiser Schatten, denn sie hat ihre Heimat und ihre soziale Existenz aufgegeben, das Paar wird einsam bleiben ebenso wie die Miner, niemals mehr wird die »Polka« »A real home for the boys« sein können.

AMERIKANISCH? ITALIENISCH? Puccini konnte zu Recht sagen, er habe mit Erfolg viel Atmosphäre geschaffen, ohne volkstümliche »schwarze« Melodien eingesetzt zu haben. Ihre Farbe, ihr Kolorit aber blieb ihm für charakterisierende Akzente wichtig. Amerikanismen in Melodieführung und Harmonik waren noch nicht gängige Ware, zumindest nicht im alten Europa, sie konnten glaubwürdig Fremdheit vermitteln. Der Rezensent

der Berliner Erstaufführung im Jahre 1913 hielt daher die Personen für »unverständlich wie Marsmenschen«, er hat eben diese Fremdheit gespürt und konnte mit dem Milieu nichts anfangen. Die soziale Bedingtheit von Figuren wie der »eisernen Jungfrau« Minnie und den gleichzeitig brutalen wie gefühlvollen Boys sowie von ihren von ihrer Situation geprägten Aktionen wird durch die fremde Tönung der Musik plausibel. Das kalifornische Setting aber bleibt letztlich äußeres Mittel zum eigentlichen Zweck: der Darstellung menschlicher Gefühle. La fanciulla del West ist, worauf Puccini insistierte, gar keine »amerikanische«, sondern eine »rein italienische« Oper – und er meint: eine unmittelbar dem Gefühl zugängliche, die mittels der fremden Farbe nur die unalltäglichen Handlungen und Personen legitimiert. Letztere aber sind in ihren Verstrickungen, Leidenschaften und Sehnsüchten menschlich »wahr«.

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PASQUALE AMATO, der JACK RANCE der Uraufführung an der New Yorker Met, 1910


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OTTO BRUSATTI

UBER DAS »GEFALLEN« & »DURFEN« BEIM OPERNSCHREIBEN Ausnahmsweise darf in so einem Essay (es mag sich dann, vereinbarungsgemäß, ganz brav zum hintergründigen oder zu einem, ob der fabulösen Opernmusik ja doch staunenden Programmheftbeitrag auswachsen), es darf also jetzt bei sich selbst begonnen werden. Beim Autor. Pro domo sozusagen. Sich an der Genese einer Anfrage festhaltend, Assoziationen und Erinnerungen zulassend, vielleicht sogar mit Erfahrungen und schließlich einem MusikEthos prunkend. Also, nach so vielen scheuen Partizipialkonstruktionen frisch erzählt. Die Dramaturgie der Wiener Staatsoper klopfte an: »Heinrich Mann hat zur Fanciulla positiv angemerkt, dass Puccini hier angefangen habe ‚herb und ungefällig zu werden’. Andererseits ist die Fanciulla nicht eben Puccinis populärste Oper geworden. Hätten Sie Lust zu einem Programmheftbeitrag mit dem Arbeitstitel ‚Wie viel musikalische Gefälligkeit muss eine Oper mindestens aufweisen?’.« Die Antwort war spontan, freudig, zustimmend. Aber dann. Welch eine KS JOSÉ CURA als DICK JOHNSON

Assoziationskette zwischen Exempel und Verweigerung tat sich sofort auf! (Das passiert zwar bei jeder ästhetischen Beschäftigung mit Musik, insbesondere bei den Operngenres; trotzdem, ein diesbezügliches Wissen macht es auch nicht leichter. Schon Zitat und Fragestellung würden bald Google-Kataloge und zugleich deren Problematisierung nach sich ziehen.) Was mag denn »positiv« daran sein, beim Opernschreiben (beim Inszenieren, Singen, Spielen) herb und ungefällig zu werden? (Außer damit die individuellen und kantigen Vorstellungen Heinrich Manns zu bedienen.) Was ist überhaupt eine »populäre« Oper außer im merkantil-quantitativen Sinne des Publikums-, Massenund Medienerfolges mit gehörigen Verdienstmöglichkeiten aus Fabel, Melodien, Scheinwelt. Und überhaupt? Derart generalisierend? Eine Oper »muss«, eine Oper »weist auf«; eine »musikalische Gefälligkeit« noch dazu, mit das Heikelste und Gefährlichste zugleich, das ein Musiktheater zu bieten hat?

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OTTO BRUSATTI

Flucht wie befürchtet, zu Assoziationen, Erinnerungen, sogar Erfahrungen. Was war an den Soldaten des Bernd Alois Zimmermann und der Salzburger Festspiele 2012 gefällig? Dennoch breiteten sich kaum sonst je vernommene Klangerlebnisse und dramatische Wucht aus. Gefällig war es nicht; gefallen aber hat sie in einem überhöhten Sinn ungemein – diese noch immer neue Oper, vielleicht die aufwändigste der letzten Dezennien. Dann, andererseits, wir besuchen – wieder einmal – Le nozze di Figaro, Wolfgang Amadé Mozarts quasi UnErschöpflichkeit. Wir erinnern uns währenddessen an eine vor Jahren gelesene Studie (damals, als man der Musik mit den neuen Mitteln der Sozial-Psychologie u.ä. nun endlich einmal auf den Grund zu gehen hoffte und trachtete). Wir schauen ausnahmsweise nicht auf die Bühne oder in den Orchestergraben, sondern blicken uns um. Bei den lieben und viel gehörten (gern nachgesungenen) Stellen. Beim Cherubino-Schmachten also, im Martialischen der Titelfigur, während der fast beklemmend geschmeidigen Ensembleszenen. Die meisten Leute rundum verraten in ihren Gesichtszügen und in der Körperhaltung Anflüge von Lustempfinden. Ist ein so beinahe schon voyeuristisches Verhalten Gefallen an einer Gefälligkeit, ist es Glückssuche, Ergebnis einer gezielten Überrumpelung der Sinne (der Seelen gar?) vor allem durch Musik? Oder! Richard-Wagner-Jahr 2013. Die Opern zählen zum Meistgespielten in der Königsklasse weltweit. Ob ihres Umfangs in Besetzung, Dauer, Musikaufwand und Bühnennotwendigkeit wird jede Wagner-Produktion

auch zum Teuersten. Bei weitem nicht alle Menschen, die Musik irgendwie mögen, sich mit ihr Divertissements suchen oder geistige Höhenflüge antreten, mögen aber den Wagner. Im Gegenteil. Trotzdem, jene zehn Hauptmonstren für die Bühne zählen zum Weltkulturerbe Nr.1. Aber niemand würde beim Reden über Wagner-Musik mit »gefällig« oder »herb« zu argumentieren beginnen. Man darf von Märchenhysterien zwischen Holländer, Tannhäuser und Lohengrin sprechen, von Eros-Analysen zwischen Tristan und Isolde, von den archaischen Weltkriegsszenarien im Ring des Nibelungen gegenüber gestellt einem nicht minder gefährlichen Meistersinger-Kleinbürgertum, sowie vom Jugendstil-Erfinden im Parsifal. Doch »schöne Stellen« dort überall, sind sie nicht auch bei Wagner Gefälliges und später Œuvre-Hauptbestandteil in Wunschkonzerten oder CD-Medleys? Sowie (Gegenteil?) – scheu – zusätzlich zitiert der zweite befeierte Großmeister 2013, Giuseppe Fortunio Francesco Verdi: Hat(te) gerade er nicht Erfolg besonders beim spontan Bewegenden, Beeindruckenden und eben Gefälligen zwischen TraviataSchmerz, Rigoletto-Verführung und Aida-Triumph? Was uns allerdings direkt zum angeblichen Nachfolger zurückbringt. Es gibt den bösen, ironischen und zugleich liebevoll gemeinten Ausspruch Erich Kästners, in den PucciniOpern gehe es zumeist zu, als ob es Bonbons regnete. Was uns gleich direkt zum Thema im engen Sinn zurückbringt. Musik-Gefälligkeit kommt von Gefallen, also auch vom Erzeugen von Gier, vom Vermitteln desiderierter

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Genüsse, vom oft banalen Sich-Erlauben wohliger Körperlichkeiten im Zuseherraum. Gefälligkeit kommt quasi aus dem Erwachen heiterer Gefühle bei der Ankunft in den erwarteten, bekannten, heimlich erbettelten Musikstrecken. Zugegeben, der Giacomo Antonio Michele Secondo Maria Puccini, der verstand sich ganz prächtig auf solche Offerte. Er wickelte seine großen Opern in spezielle musikalische Gefälligkeiten mit jeweils besonderen Klang-, Szenario- und Ornament-Raffinessen ein. In Manon Lescaut wird mit Französischer Vorrevolutions-Nostalgie und der Bilderbuch-Ferne im Pseudo-Amerika und in wilden Wüsten agiert, sowie der fein-gefällige Verismo auf einen Höhepunkt gebracht. La Bohème prunkt mit dem wärmsten Dauerfrost der Opernhistorie und damit, dass man sozusagen ein Über-DrüberSpontan-Liebesduett schlussendlich als Sterbeszene wie aus einer Illustrierten-Schmonzette musikalisch atemabschlagend weiterführen kann. Tosca agiert mit der – pardon – Süße von Folter, Mord und Selbstmord; Madama Butterfly mittels dem, damals gerade aufkommenden Schein-Exotismus, mit den Imperialismus-Sehnsüchten Europas und einem frühen Weltmusik-Verschnitt; und in Turandot bekommt das alles noch monumentale CinemascopeZüge. Die kleineren Opernpiecen sind – nach höchstem Puccini-Maßstab – Typisierungen aus der höchsten Musikdramaturgie der Romantik. Puccini bediente zuvorderst die Sehnsüchte der Jahrzehnte um 1900 – nein, er formte sie wesentlich und genial mit. Er liefert bis heute, erwünscht und nachvollziehbar, ja gar schlau zum Sich-Berauschen vorgesehen, den Mixup aus Klangereignis und

musikalischer Auszier eingebettet in Schaudergeschichten wie solche sein bürgerliches Publikum sowieso nie erleben würde, ja sich nie nur marginal öffentlich gestattete. Allein, das tat Lehár auch (oft parallel sogar), denken wir nur an die Breite der Palette zwischen einer Lustigen Witwe und dem Land des Lächelns. – Einspruch Nummer 1. Werden mit solchen Überlegungen nicht unsere Spontanassoziationen sowieso gleich ad absurdum geführt? Lautend zum Beispiel: Gefällige Musik ist gewinnbringende Musik. Oder: Die Masse heult nur in Dreiklangsketten mit. Oder: Herb und ungefällig zu schreiben und dennoch damit Erfolg zu haben ist bloß (Wienerisch nun und salopp geschrieben) ein guter Schmäh im schlimmen Hinauszögern der musikalischen, assoziativer Erfüllungen und von Hör-Kleinorgasmen. – Einspruch Nummer 2 als Flucht in die Philosophie. Das Schöne wirkt doch als Ergebnis einer besonderen Kopulation von Sinnlichkeit und Intellekt? Aber natürlich auch von Kitsch, von Denkmühen, Überrumpelung, Erwartetem und Ausgefallenem (beginnend sogar im Herben und Ungefälligen)? – Einspruch Nummer 3 im Nebenweg. Gerade aber wieder U-Musik reicht weit bis in die Hohlwege des Volkstümlichen. Sie ist ohne gezielte, brutal gesetzte, hinterhältige, bigotte Gefälligkeiten weder denkbar noch ein Millionengeschäft. Was tun jetzt mit diesen unseren, dergestalt so auch leicht beschmutzten Begriffen? – Das Musiktheater ist für fast alles Glück und Ende. Schon die Nachfrage »Wie viel musikalische Gefälligkeit

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muss eine Oper mindestens aufweisen?« führt Begriffe und Gedankenstränge auseinander, um dann sogleich die entstandenen Lücken wieder mit neuem Nachschub zu füllen; herbem, ungefälligem, schmeichelndem und vor allem überraschendem. Wir sitzen ja doch wiederum ungeschützt mittendrin, gerade in dieser Oper, welche in einer geglätteten Titel-Übersetzung leicht krude von einem angeblichen Mädchen aus dem goldenen Westen handelt. Spezialistinnen und Spezialisten jetzt einmal, bitte, weggehört. Allein, wer vermag aus dem Stück mehr als eine halbe, gefällige Melodie nachzusingen, geläufig geworden, eine à la Bohème/Tosca/Butterfly/Turandot? Das als amerikanische Nationaloper gescheiterte Stück blieb trotz seiner hymnisch gefeierten Uraufführung in New York, trotz Destinn/Caruso/ Toscanini vor 115 Jahren, schon wegen dieses Entzuges ein wenig unpopulär. Zugegeben, die Jammer-Arie des Räuberhauptmanns klingt noch irgendwie Puccini-gewohnt. Aber sonst? Herbes und Ungefälliges überwiegt hier in einer Entstehungszeit, die daneben etwa mit dem Rosenkavalier, Mahlers Achter im herumschmeichelnden Goethe-Verschnitt oder dem Feuervogel prunkte. Ein »herb und ungefällig« birgt vielleicht also spontan größeren Gefahren von Repertoire-Schwierigkeiten in sich als gezielt ausgestaltete ParadeMusik? Zugegeben und eine Bühnengestaltungs-Falle sogar, das West-Mädchen kann sich problematisch als anachronistischer Western, wie eine Old Shatterhand-Verfilmung und überhaupt als Karl May ereignen (in dessen Spätroman, Der Ölprinz, ja in der Nebenhandlung tatsächlich auf

den Opernbetrieb vor 1900 Bezug genommen wird – ein Kantor emeritus schließt sich einem Treck in den Südwesten an, allerdings um Stoff für eine, dem Wagner-Ring ebenbürtige Tetralogie zu erleben, wo Winnetou Arien singt, während er sich am Bauch anschleicht, oder wo die Westmänner und Indianer sich so verhalten, wie man das aus dem herben Fanciulla-Plot auch herbeiinszenieren könnte.) Vielleicht begegnet man dem Stück mit solchen Vorsichten wiederum leichter, weil es Säuberungen hin zum Zeitgemäßen zulässt, eines mit schildernder, aktuell-italienischer Musik, kaum mit Anklängen an Folklore-Amerikanismen oder damals schon ziemlich ausgeprägter Westernbar-U-Musik; ein bisschen Jazz-Verschnitt kommt vor, mehr nicht. Denn die Handlung wäre ohne die manchmal »herbe« und nicht immer »gefällige« Musik sowieso oft skurril zu nennen. Es gibt Bibelstunden, ein Urwald-Schafott, ziemlich kindisch-seltsame Goldgräbertypen und, in so einem heißblütigen Stück, herbe und ungefällig verquer laufende A-Sexualität, dabei die Gefälligkeiten der Nummernoper und geliebte Puccini-Exotismen vermeidend. Noch einmal zur Frage zurück. Wann lassen wir scheinbar Herbes und nicht so sehr (spontan) Gefälliges doch zu? Gefällt uns denn das Herb-Ungefällige dann, wenn wir uns mit ihm gleichsam eine Auszeit von perfekten aber oft simpel aufgebauten Kompositionen gewähren, somit in der Fanciulla doch einiges aus Tosca/Butterfly wieder erkennen, wohl dabei wissend, dass es bald auch einen Wozzeck geben wird? Vielleicht ist der sprachliche Ansatz einfacher, umgelegt später auf die schier unendliche Vielfalt von Musik

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und das von ihr offerierte Empfindungstablett (denn auch das Herbe und Ungefällige zählt dort dazu)? Ein »gefallen«, das ist schließlich so ein Wort des Vielfachen, wie es z.B. ein »aufbrechen« ist als starten und öffnen oder ein »aufheben« als hochnehmen, verwahren oder gesetzlich erlauben/ verbieten. Allein, mehr noch hier, »gefallen« umfasst schließlich: akzeptieren, gar

bejubeln, aber auch hingestolpert, sozial abgestiegen; es bereitet, sich selbst finalisierend, auch jenes ausgefallen, also selten, besonders, fremd vor. Heinrich Mann mit seinem Diktum hat La fanciulla del West jedenfalls, ein wenig unbeabsichtigt wohl, aus einer ganz anderen Betrachtungsweise spannend gemacht.

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ANDREAS LÁNG

UND JERITZA WURDE OHNMACHTIG 1909 ging ein Brief aus der Wiener Hofoper an den Verleger Albert Ahn nach Köln, in dem sich der damals amtierende Staatsoperndirektor Felix von Weingartner – ganz allgemein gehalten – nach »einer neuen Oper« von Puccini erkundigte. »Sie würden mich sehr verpflichten, wenn Sie sich so weit mit ihm in Verbindung setzen sollten, dass er das Erstaufführungsrecht Wien, wenn möglich das deutsche Uraufführungsrecht der Hofoper überlässt.« Es sollte die Fanciulla del West werden – und wenn auch nicht das »deutsche Uraufführungsrecht«, so doch die österreichische Erstaufführung. Aber wie so oft, erntete ein anderer, was zuvor gesät worden war. Nicht Weingartner, sondern sein Nachfolger Hans Gregor konnte die Oper tatsächlich am Haus am Ring herausbringen. Zunächst hatte dieser sogar noch abgewartet, weil er nicht an das Werk glauben wollte, doch schließlich kam es zum Aufführungsvertrag. Die österreichische Zensur erteilte am 25. Juni 1913 ihre Bewilligung und verlangte keinerlei Änderungen, ebenso wenig die Generalintendanz der k.k.Hoftheater am darauf folgenden Tag. Eine Woche zuvor war ein Kostenvoranschlag erstellt worden: Die Ausstattung machte eine Summe von 21.950 Kronen aus, dazu kamen später noch rund 5.500

Kronen für allerlei weitere technische Aufwände wie eine Windmaschine – in heutiger Kaufkraft umgerechnet etwas über 125.000 Euro. Max Kalbeck fand auch in diesem »amerikanischen« Werk das Italienische wieder. »Trotz aller Mühe, die Puccini sich manchmal gibt, eine möglichst barbarische, aus primitiven Rohstoffen verfertigte, ›naturwahre‹ Musik zu machen, bringt er uns doch wieder eine neue süße Kanzone von der Art, wie wir sie schon von seiner Manon Lescaut her kennen und lieben«. Auch diesmal war Puccini, wie schon bei der Staatsopern-ButterflyErstaufführung in Wien und nahm mit größtem Engagement an den Proben teil, was durchaus zu Spannungen im Ensemble führte. »Die Oper wurde von Hofoperndirektor Gregor inszeniert und es hatten bereits massenhaft Proben stattgefunden, als Puccini in Wien eingetroffen war. (Gregor liebt den Realismus auf der Szenerie: Auf der Bühne mussten stets eine Vielzahl an Menschen und Tieren zu sehen, naturgetreue Geräusche parallel zur Musik zu hören sein.) Nun muss man wissen, dass Puccini ein glänzender Regisseur war, den niemand zufriedenzustellen vermochte. So warf er denn auch damals alles über den Haufen und studierte sozusagen ganz von neuem. Das

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irritierte die Hauptdarstellerin, die inzwischen zu internationaler Berühmtheit gelangte Marie Jeritza und unseren glänzenden Tenor Alfred Piccaver, die beide bereits so wütend waren, dass sie mit Streik drohten«, erinnert sich Richard Specht in seiner Puccini-Biografie über die Premieren-Vorbereitungen. Und Jeritza dazu: »Er ging die Musik Schritt für Schritt, Takt für Takt mit mir durch, hat mich geformt. Manchmal machte er mich so wütend, dass ich am liebsten geweint hätte. ›Jeritza‹, pflegt er zu sagen, ›wenn ich dich einmal um drei Uhr früh wecke und verlange, dass du ein hohes C singst, dann wirst du ein hohes C singen‹«. Schließlich sank sie, wie das Fremdenblatt berichtete, bei der Hauptprobe vor Erschöpfung und Anspannung in Ohnmacht. Doch alle Konflikte konnten beigelegt werden – und am 24. Oktober 1913 kam es endlich zur umjubelten Premiere. Die Produktion wurde bis 1933 gespielt und kam immerhin auf 54 Aufführungen – eine Zahl, die das oft gehörte Vorurteil, Fanciulla würde sich nicht im Repertoire halten können, Lügen strafte. Und nach nur drei Fanciulla-losen Jahren kam es am 18. Mai 1936 bereits zur zweiten Staatsopern-Premiere dieses Werkes. In der Inszenierung von Lothar Wallerstein und unter der Leitung Hans Duhans folgte eine weitere hochgelobte Umsetzung: »Wallerstein gewinnt aus zarten und grellen Farbmischungen echt und exotisch anmutende Bühnenbilder … Vera Schwarz überzeugt in der Darstellung von Unschuld, Wärme und Leidenschaftlichkeit … Alfred Piccaver betritt mit dem Johnson gewissermaßen heimatliche Gefilde. So ist er der richtige Sänger des »amerikanischen«

Puccini … eine großartige Figur ist der Sheriff Alfred Jergers: kalt und überlegen, ein Dämon mit roten Haaren und schwarzen Instinkten«, schrieb etwa die Neue Freie Presse. Nach dem Zweiten Weltkrieg wartete man die Wiedereröffnung der Wiener Staatsoper gar nicht erst ab, sondern setzte im Ausweichquartier Volksoperngebäude 1952 eine weitere Fanciulla-Produktion an. Mit niemand geringerem als Ljuba Welitsch in der Titelpartie, die einen echten persönlichen Triumph ersingen konnte: Welches Lob konnte eindrucksvoller sein, als die Feststellung im Neuen Österreich, dass »Ljuba Welitschs Leistung als Minnie nicht hinter der historischen Maria Jeritza (die übrigens für zwei Vorstellungen erneut als Mädchen aus dem Goldenen Westen zu hören war) zurücksteht«? Und der Schlusssatz dieser Besprechung bezeugt in wenigen Worten den insgesamten Erfolg der Produktion (mit Josef Gostič als Dick Johnson und Karl Kamann als Sheriff): »Zahlreiche Vorhänge und stürmischer Beifall bürgen dafür, dass der goldene Westen nun auch Wien umfasst.« Keinen guten Dienst erwies Lofti Mansouris Karl-May-artige Staatsopern-Inszenierung im Mai 1976, die mit dafür sorgte, dass Puccinis Fanciulla als Wildwest-Oper abgetan wurde. Eine gesundheitlich angeschlagene Carol Neblett als Minnie und ein mit der Partie des Dick Johnson ringender Franco Bonisolli taten ein Übriges, um diese Produktion zum Misserfolg werden zu lassen. Franz Endlers Fazit: »Der Herrenchor und einige Pferde waren ganz in Ordnung.« Als die Inszenierung acht Jahre später am 12. April 1988 wieder aus dem Fundus geholt und mit Plácido Domingo und Mara

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Zampieri besetzt wurde, stimmte immerhin der vokale Aspekt, an der Regie änderte die neue Rollenverteilung freilich nichts. Und so dauerte es 25 Jahre, ehe das Werk wieder den Weg auf die Bühne der Wiener Staatsoper fand. Diesmal, in der aktuellen Produktion, verschwand in der Inszenierung Marco Arturo Marellis der szenische Kitsch und machte einer neuen Sicht Platz, die »Männer in einem Camp, ab-

BÜHNENBILDENTWÜRFE für die Wiener Erstaufführung der FANCIULLA DEL WEST an der WIENER HOFOPER, 1913

gesondert und fern ab der Zivilisation, Menschen in einer Containersiedlung, ähnlich einem Lager in der heutigen Zeit« zeigt. In der Premiere am 5. Oktober 2013 sangen unter der Leitung des damaligen Generalmusikdirektors Franz Welser-Möst unter anderem KS Nina Stemme (Minnie), KS Jonas Kaufmann (Dick Johnson) und KS Tomasz Konieczny (Jack Rance).

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»DAS BESTE ORCHESTER DER WELT« Puccinis neue Oper Das Mädchen aus dem goldenen Westen erlebt in den nächsten Tagen ihre Erstaufführung an unserer Hofoper, und begreiflicherweise steht der Maestro bis dahin im Mittelpunkt des musikalischen Interesses unserer Stadt. Einer unserer Mitarbeiter hat Puccini in seinem Hotel aufgesucht und mit ihm eine halbe Stunde angeregter Konversation geführt. Puccini kennt natürlich Wien von wiederholten Besuchen. »Das erste Mal war ich in Wien vor 15 Jahren, als meine Bohème im Theater an der Wien aufgeführt wurde. Das war damals eine im ganzen zweitklassige Vorstellung, doch erinnere ich mich, dass die führenden Rollen dennoch vorzüglich besetzt waren. Seitdem war ich ungefähr so häufig in Wien, als Premieren meiner Opern stattfanden. Ich liebe Wien, ich liebe es, in den Straßen Wiens zu bummeln, Einkäufe zu machen, die Wiener Theater zu besuchen.« »Wie sind Sie mit dem Gang der Proben zu Ihrem Mädchen aus dem

goldenen Westen zufrieden? Werden unsere Wiener Sänger allen gesangstechnischen Anforderungen Ihres Stils gerecht?« »Im Großen und Ganzen kann ich diese Frage glatt bejahen. Piccaver ist vorzüglich und, obwohl ein Amerikaner, beherrscht er den Belcanto, als ob er ein Italiener wäre. Fräulein Jeritza scheint mir gleichfalls ein großes Talent. Aber vor allen kommt bei Ihnen das Orchester, für mein Empfinden das Beste der Welt.« Nun kam Puccini auf New York und die dortigen Theaterverhältnisse zu sprechen, die er enthusiastisch schildert. Die New Yorker Aufführung des Mädchen aus dem goldenen Westen mit der Destinn und Caruso in den Hauptrollen und Toscanini als Dirigenten bezeichnet er als schlechthin vollendet. New York ist in seinen Augen die führende Musikstadt der Welt. Wien, meint Puccini, allerdings im Ton hoher Anerkennung, habe sich kommerzialisiert, sei eine große Geschäftsstadt geworden, was es früher nicht war.

AUSSCHNITT aus einem Artikel der österreichischen Zeitung DIE ZEIT, 19. Oktober 1913

ALEKSANDRS ANTONENKO als DICK JOHNSON & Emily Magee als MINNIE

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ROTRAUD A. PERNER

DAS REINE HERZ Schaffe in mir, Gott, ein reines Herz, und gib mir einen neuen, beständigen Geist. Psalm 51, 12

Wenn man das Textbuch von La fanciulla del West liest, könnte man fürs erste meinen, es sollte bewusst eine Idylle vorgeführt werden, um von den dunklen, den »höllischen« Seiten des Glücksrittertums Mitte des 19. Jahrhunderts abzulenken. Da »folgen« wilde Kerle im Goldgräberland weitab der Zivilisation einer jungen Frau, liefern brav ihr Gold bei ihr ab, spielen und tanzen und sind sofort als Hilfssheriffs gestellt, wenn es gilt, Gesetzesbrecher dingfest zu machen. Sie lassen sich von ihr sogar in Reih und Glied zum Bibelunterricht verpflichten und abprüfen wie Schuljungen – wohingegen man doch eher vermuten würde, dass der eine oder andere im Triebstau über sie herfallen möchte. Aber nichts dergleichen geschieht. Wieso? Die tiefenpsychologische Antwort lautet: die Goldgräber haben das resolute Mädchen Minnie quasi an Mutterstelle »adoptiert« – so wie die Grauganskücken Konrad Lorenz.

»Muttern«, schreibt die kalifornische Soziologieprofessorin Nancy Chodorow in Das Erbe der Mütter, ist eine soziale Tätigkeit, unabhängig vom Geschlecht oder Alter. Sie besteht in konstanter Fürsorge und einer bestimmten Qualität dieser Zuwendung. Der Wirtsberuf gehört zu den Elternersatzberufen. Er beinhaltet folgende Parallelen zu Kinderstube und Kindergarten: es ist immer jemand da, den man nur zu rufen braucht, man wird freundlich versorgt und umsorgt, meist hört einem jemand zu (oder tut zumindest so), man kann auch spielen, singen, tanzen und – sparen. Das erinnert an die auch um die Mitte des 19. Jahrhunderts in deutschsprachigen Gebieten entstandenen Sparvereine meist metallischen Sparschränken, wie man sie heute noch in manchen Dorfgasthäusern antrifft. Dieser kindliche Aspekt in den Sehnsüchten und Bedürfnissen der Goldgräber zeigt sich auch im Heimweh, das sowohl im Lied als auch im Geplän-

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DAS REINE HERZ

kel angesprochen wird und sich auf die Eltern bezieht – oder den Hund, nicht aber auf eine Braut. Sehnsucht nach einer fernen Geliebten wäre Ausdruck einer erwachsenen Beziehung mit einer Zukunftsperspektive ein Familienleben aufzubauen – hier aber zeigt sich der nostalgische Rückblick auf die Herkunftsfamilie, ein häufiges Phänomen von Entwurzelung: man sucht die verlorene »Bindung« und fühlt sich wieder wie einst als Kleinkind. Minnie ist aber keine gutmütige Matrone im Alter der realen Mütter der Stammgäste, der man das Regiment über die Glücksritter zutrauen würde, sondern ein Mädchen. Auch der Name – eine Verkürzung von Wilhelmina – mildert von vornherein etwaige Autoritätsansprüche. Dennoch setzt sich Minnie durch. Sie kann das, weil sie »über« den Goldgräbern »steht« und nicht »unter« einem von ihnen »liegt«.

REINHEIT Mutterfiguren haben asexuell und unerreichbar zu sein. Sie sollen ja ihr Wohlwollen gleichmäßig auf alle »Kinder« verteilen. Ein präsenter Vater, der seine Rechte einfordert, würde die Idylle der Kinder stören – man könnte sagen: eine Form des klassischen ödipalen Konflikts. So bezeichnete Sigmund Freud das Phänomen, dass männliche Kleinkinder von fünf, sechs Jahren ihre Mutter als Heiratsobjekt definieren und oft recht verbissen den männlichen Rivalen Vater (oder Vaterersatz) bekämpfen. Sie wachen dann über die verlangte Unnahbarkeit der Mutter und können im Falle des Misslingens später durchaus Trauma-Symptome

aufweisen. Minnie ist, wenn man dem Textbuch folgt, eine »brave« Mutter. Auch wenn der eine oder andere ihrer »Jungs« der Wirtin schöne Augen macht, weiß sie alle auf Distanz halten – und das wird auch von ihr erwartet. Dieses Motiv von Reinheit kehrt in Minnies Bibellesung wieder: die Bitte an Gott um ein reines Herz und einen beständigen Geist in Psalm 51 hat nicht nur Bedeutung für die Männer, sondern auch für Minnie selbst: sie entspringt dem Bewusstsein der tagtäglichen Gefährdung, unredlich zu handeln oder schon allein zu denken.

DIE BEDEUTUNG VON PSALM 51 Psalm 51 gewinnt im Laufe der Spielhandlung besondere Bedeutung, lauten doch die – im Text nicht zitierten – Folgeverse: »Ich will die Übertreter deine Wege lehren, dass sich die Sünder zu dir bekehren.« Und weiter: »Errette mich von Blutschuld, / Gott, der du mein Gott und Heiland bist, dass meine Zunge deine Gerechtigkeit rühme.« Die Bitte um Errettung von der Blutschuld war bereits unmittelbar vor der versuchten Bibelstunde schon dringend erforderlich, als die Goldgräber den Falschspieler Sid lynchen wollen – und auch als der gefangen genommene Räuber Castro in die Wirtsstube geschleppt wird, ertönt sofort die Aufforderung ihn zu lynchen. So zeigt sich zum zweiten Mal die losbrechende Gewaltbereitschaft auf Verdacht hin zu töten. Psychoanalytisch könnte man von »Verschiebung« der sexuellen, Leben schaffenden Impulse auf destruktive, Leben vernichtende Aktivität sprechen wie man sie oft bei Menschen beobFolgende Seiten: KS NINA STEMME als MINNIE & KS JONAS KAUFMANN als DICK JOHNSON




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achten kann, die aus welchen Gründen auch immer keine befriedigenden stabilen sexuellen Beziehungen leben können oder dürfen – zum Beispiel Jugendliche. Diese Bereitschaft zur Gewalt wird immer wieder erkennbar – auch bei dem Sheriff, der wie ein eifersüchtiger Sohn »Mutter« Minnie auf plumpe Weise kontrolliert und als quasi »Oberhaupt der Wirtshaus-Familie« für sich allein haben möchte. Als plötzlich der Fremde in diese »geschlossene Familie« eindringt, reagieren die Kinder zuerst irritiert, lassen sich aber von der »Mutter« beruhigen – nur Sheriff Rance wittert nicht zu Unrecht erfolgreichere Konkurrenz. Er übertritt damit »seinen Weg«: seine Aufgabe ist es, im Rahmen außen für Ruhe und Ordnung zu sorgen, aber nicht in Innerlichkeitsbeziehungen Unruhe und Unordnung zu schaffen. Während Minnie und der Fremde vorsichtig beginnen, eine zärtliche Beziehung aufzubauen, merkt man beim Sheriff keinerlei Anzeichen einer Herzensbeziehung zu Minnie. Er scheint eher zu meinen, als Vaterfigur stünde ihm klarerweise das Recht auf die einzige Frau zu. Seine Erfolglosigkeit würde zusätzlich zu seinem berechtigten Misstrauen die ablehnende Haltung gegenüber dem Fremden erklären. »Johnson« aber, wie sich der Fremde nennt, »erkennt« Minnie – »erkennen« hier im biblischen Sinn gemeint, als Begegnung von Herz zu Herz. Er erkennt ihre »reine Seele«. Offensichtlich bewirkt die Seelenreinheit Minnies bei »Johnson« auch eine Veränderung – nicht nur in seinen Absichten – an das Gold heran zu kommen – sondern auch an seinen langfristigen Plänen. Doch kaum offenba-

ren die beiden ihre Liebe, kommt die erste Treueprobe: die Goldgräber dringen in Minnies Haus und präsentieren ihr die dunkle Seite von »Johnsons« Vorleben: Minnie steht vor der Wahl, zu ihrem reinen Herzen zu stehen oder sich durch die Übelrede der Goldgräber »anstecken« zu lassen. Von Eifersucht auf das offensichtlich gewordene Verhältnis mit einer anderen Frau schickt Minnie ihren ersten Geliebten weg – hinaus in den Schnee und vor die Schusswaffe des ebenso eifersüchtigen Sheriffs Rance: sie wechselt quasi von der Seite der Liebe zur Seite der Rachsucht. Die vergeht ihr, als »Johnson« alias Ramerrez, wie er nun identifiziert ist, verwundet vor ihrer Tür hinfällt. Sie holt ihn herein und weist ihm ein sicheres Versteck vor den Nachspürenden. Rance wechselt auch: von der Rolle des Verehrers zur Rolle des Unterwerfung fordernden Sheriffs und wieder zurück zum bedrängenden verschmähten Liebhaber. Als das Versteck Johnsons/ Ramerrez in Minnies Haus durch die herabfallenden Blutstropfen offenkundig wird, triumphiert Sheriff Rance und lässt seine Maske fallen: die Habgier auf die Frau tritt ebenso klar zu Tage wie das Begehren, den erfolgreicheren Rivalen auf Dauer zu beseitigen – er lässt ihm nur scheinbar großzügig die Wahl zwischen der ehrenhafteren Pistole und dem unehren­haften Strang. Minnie aber sieht plötzlich wieder klar: jeder trägt seine Schuld, jeder hat seine dunkle Seite – sie selbst auch. In dieser Sündersolidarität bietet sie dem Sheriff eine sünderkonforme Alternative an: das Glücksspiel – quasi ein Gottesurteil. Siegt er, soll er den Banditen und sie dazu erhalten, gewinnt

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sie, gehört Johnson ihr und behält sein Leben. Minnie gewinnt durch einen Falschspieltrick.

ERRETTUNG VON DER BLUTSCHULD Das Gottesurteil geht weiter: der flüchtende Johnson wird umzingelt und gefangen. Da er nicht dabei war, sieht sich der rachsüchtige Sheriff nicht genötigt, entsprechend seiner Abmachung mit Minnie das Leben des Gefangenen zu schonen. Die Goldgräber reagieren wie üblich: sie streben nach Aufhängelust. Verteidigung lassen sie nicht zu – obwohl Johnson heftig protestiert, die vorgeworfenen Untaten nicht begangen zu haben. Dabei verraten die Männer ihren wahren Antrieb: Johnsons Verbrechen ist sein Erfolg bei Minnie: Die Kinder wollen den Herzensdieb zerstören, der wagte, ihnen die beanspruchte Mutterliebe zu stehlen und schnell muss es gehen, damit ja keine ehrbare Gerichtsbarkeit möglich wird. Als Johnson um die übliche »letzte Gunst« bittet: Minnie nichts von seiner

Todesart zu sagen, schlägt ihm Rance voll brutaler Rachsucht die Faust ins Gesicht. Damit löst er den Kippeffekt aus: Er hat neuerlich den ehrenhaften Weg verlassen. Die Hochstresserregung, die sich im Lynchen auflösen sollte, beginnt abzuflauen und erstarrt, als Minnie, durch Nick von den Geschehnissen informiert, herbeistürmt. Das war nicht vorgesehen: Die Mutterfigur ist plötzlich da und ruft die Kinder zur Ordnung. In einem emotionalen Plädoyer für Abstand von der Blutschuld macht sie deutlich: Wenn Mord, dann auch an ihr – denn so wie ihr Herz wieder rein ist wie vor der Verwirrungen durch Eifersucht und Rachsucht, die Sheriff Rance neuerlich zu säen versucht, ist es das von Johnson auch geworden. Das bewies seine Gottergebenheit in sein Schicksal – so wie er sagte: »Denn es gibt Frauen, um deren Liebe für eine einzige Stunde man freudig sterben möchte.« Eigentlich bräuchte Minnie die Männer gar nicht daran zu erinnern, was sie ihnen alles Gutes getan hat – das Miterleben ihrer großen Liebe verändert auch deren Herzen.

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MINNIE UND DER SINN DES LEBENS In der Kunstproduktion trifft man sie so gerne an: Zwei, die auf Gedeih und Verderb, auf Lieben und Lassen miteinander verbunden sind. Mit allen Hindernissen freilich, die in erzählenden Formen einem Liebespaar nur zustoßen können, mit allen Weigerungen des Schicksals, das anzuerkennen, was es offenbar ja selbst so eindrucksvoll festgelegt, gewollt und bestimmt hat. Nämlich: Dass es eben zwei gibt, die auf irgendeine, scheinbar übermenschliche, geheimnisvolle, jedenfalls immer auch ein wenig transzendentale Weise miteinander verbunden sind, dieses auch wissend und vor allem: fühlend. Oder sagen wir es einfacher: Für einander bestimmt sind. In der Oper, im Schauspiel, im Lied oder in jedem anderen Objekt berichtender menschlich-künstlerischer Produktion, wird häufigst von diesem Zustand berichtet; und in aller seiner medial verbreiteten Trivialität in der heutigen Zeit und der multimedialen Massenproduktion von Bildern, Klängen und Texten scheint es doch auch ein ganz ehrlicher Urwunsch zu sein, ein Gegenüber zu finden, das, wie von höherer Stelle, für einen ausgewählt wurde; oder noch intensiver und poEVA-MARIA WESTBROEK als MINNIE & KS TOMASZ KONIECZNY als JACK RANCE

etischer: dass man selbst ausgewählt wurde, ein solches Gegenüber zu haben. Gar kein eigener Wille mehr, »es war ein Müssen, war ein Zwang«, singt Eva in den Meistersingern, mit anderen Worten also: das Schicksal. Von diesem ist auch in der Fanciulla die Rede, es ist Minnie, die Dick drängt: »È destino« – »Es ist Schicksal«, jene Minnie, die nicht verstehen kann, dass man einen Menschen nur für eine einzige Stunde lieben kann, denn es muss für mehr sein… Jene Minnie, die eine große Romantikerin ist, die ihren ersten Kuss aufgespart hat und die wie geblendet wirkt von der großen Liebe ihrer Eltern. Eine Projektion auf das eigene Empfinden steht dahinter, ein Bild einer makellosen Liebe, das sie nun auch zu erreichen trachtet. In ihrem Fall vielleicht demnach eine etwas a posteriori-Gefühlswelt, weil der Erfahrungsschatz dahintersteht, und sie aus dem Wissen, was ihre Eltern besaßen, schöpft. Wobei der angesprochene Wunsch, allgemein gesehen, dann doch tatsächlich als a priori angesehen werden kann. Denn jeder Mensch hat ihn, selbst hartnäckige Zyniker werden sich erinnern, in ihrem Leben so empfunden, so gehofft zu haben. Und tun

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OLIVER LÁNG

es in einer hinteren Herzkammer immer noch. Wenn doch selbst ein Georg Kreisler, der mit einer scharfen Zunge gesegnet war, zu singen wagte: »Und fast für jeden Menschen lebt ein ihm gemäßer zweiter – irgendwo«. Dass nun aber gerade auf dem Theater, in der Literatur dieser Topos so eindringlich wiederholt wird, zeugt nicht nur davon, dass es den jeweiligen Erschaffern ein Anliegen war, diesen Lebensaspekt abzuarbeiten, vielleicht auch zu kompensieren, sondern vor allem auch, dass es ein sehr williges Publikum gibt, dass genau diese Geschichten erleben will. Immer und immer wieder. Auch wenn, oder besser: gerade weil sie etwas vereinfacht wiedergeben, was dann doch, siehe oben, offenbar jedem Menschen vertraut ist. Mitunter spinnt man nach einem solchen Abend den Gedankenfaden weiter, fragt sich etwa, wie denn die Geschichte mit Minnie und Dick weitergehen wird. Wird es ein jähes Aufwachen geben? Wenn erst einmal die Lebensgefahr ausgeräumt ist, wenn erst einmal die sichere Ferne nicht mehr fern, sondern da und allgegenwärtig ist? Alltag ist? Irgendwann muss Minnie sicherlich ihre Träume mit der Realität abgleichen, und das wird wahrscheinlich auch der Moment sein, in dem sie sich erinnert, dass auch ihre Eltern nicht nur im Sonnenschein miteinander verkehrt hatten. Irgendwann, das wissen wir alle, wird sie Dick sein Raubrittertum schon noch vorwerfen, nicht nur einmal, sondern doch immer wieder, und spätestens als Antwort darauf wird Dick ein bisschen von diesen wilden Tagen auch träumen. Wird es so sein? Einerlei! Denn Kunstfiguren sollen ganz bewusst Alltägliches und Zukünftiges

ausblenden, um allgemeingültig sein zu können. Was sich das Publikum bei solchen, nennen wir es romantischen, Verkürzungen nämlich in Wahrheit abholt, ist eine klare, von Nebenaspekten unbelastete Geschichte. Diese hat Modellcharakter, weil sie etwas abbildet, was im Kern zwar allgemein bekannt ist, so in der tatsächlichen Wirklichkeit aber nicht vorkommt. Nämlich: Dass es ein perfektes Gegenüber gibt, mit dem eine perfekte Gegenwart und eine ebensolche Zukunft erlebt werden kann. Perfektes Gegenüber: das ja. Perfekte Gegenwart: auch. Aber die Zukunft wäre natürlich bei den erdachten Traumpaaren ebenso mit Stolpersteinen versehen wie in jedem anderen Leben auch. (Was der Perfektion letztlich ja keinen Abbruch tut!) Was diese Theatermodelle aber bieten, und gerade das scheint eines der großen Geheimnisse und besonderen Fähigkeiten des Theaters zu sein, ist, dass sie durch die Reduktion auf einen Kern, auf ein Grundgefühl, dieses so schlackenlos und störungsfrei zeigen können, dass die Zuschauerin sich wiedererkennen und dadurch, und das war bereits im antiken Griechenland bekannt, ihre eigene, persönliche Gefühlswelt auf- und entladen kann. Durch die modellhafte Einfachheit, mit der Grundsituationen gezeigt werden, gelingt eine fokussierte Wahrnehmung und eine hundertprozentige Abgleichung mit einer eigenen Situation. Das ist der Grund, warum sich Menschen durch Opern, Lieder, Texte »verstanden« fühlen, warum sie den Eindruck haben, dieser oder jener Künstler habe etwas geschaffen, was ganz ihre Situation abbildet und verstehe sie auf eine magische Art und Weise, beziehungsweise umgekehrt, sie verstünden genau das, was

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MINNIE UND DER SINN DES LEBENS

die erdachte Figur durchmacht und sie verstünden sogar den Dichter, Komponisten, seien Seelenverwandte. Was aber nicht zynisch oder übertrieben aufklärerisch, weil man sich der Wahrheit so verpflichtet fühlt, abgetan werden darf: ist es doch eine der großen heilenden und magischen Fähigkeiten der Kunst, den Zuschauer die Möglichkeit zu geben, sich im Leben erfundener Figuren wiederzufinden und seine eigenen Lebensinhalte gleichsam zu verarbeiten. Dass so viele sich in dem Erleben Minnies, nämlich im Finden eines absoluten Dus, ihrerseits wiederfinden, ist demnach kein Ausfluss einer romantischen Unreife, sondern deutet vielmehr auf die Allgemeingültigkeit dieses Zustandes hin. Und, um weiter zu folgern, wenn so viele, wahrscheinlich alle, einen solchen Ur-Wunsch nach dem perfekten Gegenüber haben, dann kann das ja Abdruck dessen sein, dass es diesen oder diese tatsächlich

gibt, so wie aus dem allgemeinen Gefühl des Durstes, dem Bedürfnis nach Trinken geschlossen werden kann, dass es ein Trinken ja auch geben muss. Denn seltsam wäre es, wenn sich alle nach etwas sehnten, was es so nicht, oder nur in der Kunst, gäbe? So ist gerade die unbedingte und verklärende Liebe, die in der Fanciulla zu erleben ist, wie auch in den zahllosen anderen künstlerischen Werken, eine schöne Ermunterung, an dieses Du zu glauben. Noch einmal Georg Kreisler, diesmal um ein paar Verse länger: »Und fast für jeden Menschen lebt ein ihm gemäßer zweiter / Irgendwo. Eines Tags kommt der Moment / Wo er den ganz klar er­kennt – / Das Erkennen nennt man Liebe! / Diese ist zwar meist vergebens – / Aber doch der Sinn des Lebens.« Immerhin: Der Sinn des Lebens. Ein doch schöner Befund! Und im Falle der Fanciulla ja nicht einmal vergebens...

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GIACOMO PUCCINI

DIE MODERNE RICHTUNG DER OPER Was soll ich von der Zukunft sprechen? Ich habe keine Libretti, genauer gesprochen, keine Libretti, die mir etwas sagen würden, die mein Blut in Wallung brächten … Bei mir ist das keine Phrase, sondern wirklicher Mangel an Büchern, wie ich mir sie wünsche. Ich hätte unendlich gerne Gabriel D’Annunzio zum Textdichter gehabt, und meine Verhandlungen um ein Buch waren mit ihm schon sehr weit gediehen. Im letzten Augenblick zerschlug sich die Sache. Schwierigkeiten finanzieller Natur waren nicht im Spiel! Wie ich über die sogenannte moderne Richtung in der Opernmusik denke und ob ich glaube, dass sich die Oper in dieser modernen, symphonischen Richtung weiterentwickeln wird? Wenn ich aufrichtig sein soll: nein! Ich glaube, all diese Opern der »neuen Richtung« haben einen gemeinsamen großen Fehler: das Publikum verwechselt sie untereinander … Pelléas et Mélisande von Debussy ist ja allerdings ein bedeutendes, hochinteressantes Werk. Aber das ist eine Ausnahme. Debussy selbst hat auf dem Gebiet der Oper nichts Ähnliches mehr hervorgebracht. Die Regel ist, dass das Publikum ermüdet und sozusagen mit leeren Ohren aus dem Theater geht. Meiner Meinung nach muss zwischen symphonischer und szenischer Musik streng geschieden werden. Musik, die für den Konzertsaal geschrieben ist, taugt nicht für die Bühne. Die Bühne verlangt Repertoireopern, die das Publikum mitnehmen und sein Gehör mit markanten Melodien beschäftigen kann.

AUSSCHNITT aus einem Artikel der österreichischen Zeitung DIE ZEIT, 19. Oktober 1913

GIACOMO PUCCINI

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KON R A D PAU L LIE S SM A N N

ALLES BANDITEN UND SPIELER Ü BER POK ER PA RT IEN, W Ü R FEL , W ET T EN UND DIE FRAGEN AN DAS SCHICKSAL

Die Szene ist an Dramatik kaum zu überbieten: »Es ist furchtbar zu denken, dass von der Partie Poker ein Menschenleben abhängt«. Im Finale des 2. Aufzugs von Giacomo Puccinis Oper La fanciulla del West spielt Minnie mit Sheriff Jack Rance um das Leben ihres Geliebten, des Banditen Dick Johnson. Die Ausgangslage ist klar: Gewinnt der Sheriff, ist Johnson ihm verfallen und er bekommt zudem noch Minnie, die er leidenschaftlich begehrt. Gewinnt Minnie, dann gehört ihr Johnson »für immer«. Was treibt die Menschen in dieser Oper dazu, ihr eigenes und das Schicksal anderer dem Spiel anzuvertrauen? Für Minnie ist es die letzte Chance, das Leben des schwer verwundeten Banditen, den sie liebt, zu retten. Für Rance ist es die Verlockung, nicht nur den gesuchten Verbrecher in seine Hand zu bekommen, sondern auch seine Begierde nach Minnie zu befriedigen, bei der er ansonsten keine Chance hätte. Vor allem aber weiß Minnie, dass es der Reiz des Spiels selbst ist, dem Rance verfallen ist. Sie kennt die Menschen: Alle sind gleich schlecht, alle sind Banditen und Spieler. Das gibt ihr auch das moralische Recht, überhaupt um das Leben eines

Räubers zu spielen und ihn dadurch möglicherweise der Gerichtsbarkeit zu entziehen. Natürlich weiß Minnie, dass sie gegen den abgebrühten Sheriff leicht verlieren kann. Dem Schicksal muss also nachgeholfen werden. Sie macht genau das, wofür ein anderer Goldgräber am Beginn der Oper fast gelyncht worden wäre: Sie spielt falsch. Sie betrügt, um ihre Chance auf Leben und Liebe zu wahren. Gleichzeitig aber verlässt sie sich darauf, dass der von ihr verachtete Sheriff in Spielangelegenheit genau der Ehrenmann (»Signore«) ist, als der er sich darstellt. Tatsächlich akzeptiert, zumindest vorerst, Rance seine Niederlage im Spiel und verschont Minnie und ihren Geliebten. Dass im Wilden Westen, wie auch in Puccinis Fanciulla, gepokert wird, gehört zum Bild, das wir uns von dieser Zeit und ihren Menschen zu machen pflegen. Die vor allem im Genre des Films immer wieder strapazierten Mythen des Wilden Westens produzierten dann auch klassische Spielertypen, wie etwa Doc Holliday, den lungenkranken Gefährten des legendären Sheriffs Wyatt Earp. Dieser Typ des Spielers symbolisiert allerdings eine Mischung als Risikobereitschaft, Kälte

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ALLES BANDITEN UND SPIELER

und Können, die fast so etwas wie ein postheroisches, weil amoralisches Heldentum inauguriert: gleich schnell mit den Karten wie mit dem Revolver. Aber bei diesen Spielen geht es immer um Geld. Was aber, wenn man kein Geld mehr hat, um ein Spiel fortzusetzen und vielleicht doch noch zu gewinnen? Die bildhübsche Schauspielerin Angela Rossini, Mitglied einer eher dubiosen Wandertruppe, die im Wilden Westen ihr Glück versucht, steht in George Cukors Filmklassiker Die Dame und der Killer (Heller in Pink Tights) aus dem Jahre 1960 genau vor diesem Problem: Die Schöne, hinreißend verkörpert von Sophia Loren, sitzt am Pokertisch einem zynisch grinsenden, aber zugegeben attraktiven Auftragsmörder (Steve Forrest) gegenüber, hat alles verloren, will aber, um das Verlorene zurückzugewinnen, weiterspielen, und sieht dafür nur eine, allerdings etwas frivole Möglichkeit: Sie bietet sich selbst, also ihren Körper als Einsatz an. Die Karten werden verteilt, die Dame verliert, und nur ein gnädiges Schicksal bewahrt sie davor, den Preis mit allen Konsequenzen bezahlen zu müssen. Am Ende gewinnt sie nicht der Killer, sondern doch der etwas biedere, aber grundanständige Theaterdirektor (Anthony Quinn). Darf man mit dem Leben, dem eigenen oder dem anderer Menschen, spielen? Darf man es im wahrsten Sinn des Wortes aufs Spiel setzen? »Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.« Dieser emphatische Satz Friedrich Schillers, der das Spiel als Ausdruck der Freiheit des Menschen, seiner Phantasie und Imaginationskraft feierte, verliert sofort seine Kraft, wenn man das Spiel als jene Leiden-

schaft versteht, die den Menschen dazu treibt, sein Leben dem Zufall anzuvertrauen oder das Schicksal durch ein Kartenspiel herauszufordern. Der Spieler wurde in der Literatur und in der Oper dann auch zu einem Typus, der nicht Freiheit, sondern Abhängigkeit, nicht Souveränität, sondern Unterwerfung symbolisiert. Natürlich: Vor allem beim Glücksspiel ist die Aussicht, rasch an das große Geld und damit in die große Welt zu kommen, ein bestimmendes Motiv, und das Kasino als gleichermaßen glamouröser wie schicksalsträchtiger Ort ist auch aus der Kunst nicht wegzudenken. Dem Spiel mit dem Zufall aber buchstäblich sein Leben und seine Liebe zu opfern, verleiht dem Spieler allerdings durchwegs pathologische und destruktive Züge. Hermann, der kartensüchtige Offizier aus Alexander Puschkins Erzählung Pique Dame, die Tschaikowski als Vorlage für seine gleichnamige Oper diente, mag dafür ebenso als Beispiel genannt sein wie Aleksej, der sich in Fjodor Dostojewskis autobiographisch angehauchtem Roman Der Spieler im Kasino eines deutschen Kurortes zugrunde richtet. Was aber, wenn nicht um Geld, sondern um Lebenschancen und Lebensentscheidungen gespielt wird? Was bedeutet es, eine existentielle Frage nicht aufgrund von Überlegungen oder Emotionen, sondern auf Basis eines Spiels zu fällen? Das Spiel wird dann zu einer Frage an das Schicksal, das als Ausflucht, als letzte Rettung oder aber als Möglichkeit fungiert, sich seiner Verantwortung zu entledigen. Wer mit dem Schicksal spielt, gibt sich zumindest der Illusion hin, dieses auch bezwingen und seinem Leben eine Wendung geben zu können.

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KON R A D PAU L LIE S SM A N N

Es verwundert so wenig, dass es vor allem die dunklen Mächte sind, die durch ein Spiel herausgefordert werden, die sich aber auch nur zu gerne darauf einlassen: Der Tod und der Teufel. In Igor Strawinskis Geschichte vom Soldaten, komponiert im Jahre 1917, lässt sich ein betrunkener Teufel auf ein Kartenspiel ein, das allerdings seinem menschlichen Kontrahenten nur einen zweifelhaften Erfolg beschert. Immerhin kann ein guter Kartenspieler sich gegen einen Teufel, der nicht mehr Herr seiner Sinne ist, gewisse Chancen ausrechnen, denn anders als das Roulette stellt das Kartenspiel eine Mischung aus Zufall und Können dar. Noch besser ist es, wenn man seinem transzendenten Kontrahenten zu einer Partie Schach verführen kann, denn dieses königliche Spiel kommt völlig ohne die Komponente des Zufalls aus und eröffnet dem Spieler die Chance, allein kraft seiner strategischen Fähigkeiten das Schicksal zu zwingen. In Ingmar Bergmans berühmten Film Das siebente Siegel aus dem Jahre 1957, der in der Zeit der Kreuzzüge angesiedelt ist, kann der Ritter Antonius Block, eindrücklich gespielt von Max von Sydow, den Tod überreden, ihm für die Dauer eines Schachspiels eine Frist zu gewähren. Natürlich kann auch der Ritter, der ein hervorragender Schachspieler ist, dem Tod nicht entrinnen, aber dieser muss sich eines üblen Tricks bedienen, um seinen menschlichen Gegner schachmatt zu setzen. Auch der Tod spielt falsch. Dass auch der Teufel gerne spielt, wissen wir übrigens aus der Bibel selbst. Die Urform dieser Spiele mit dem Leibhaften wird von Gottvater selbst gespielt, es ist die Wette. Im Buch Hiob lässt sich Gott von Satan dazu überreden, auf die Glaubenskraft Hiobs zu

wetten. Goethe wird sich davon zu einer doppelten Wette in seiner Faust-Tragödie inspirieren lassen. Zuerst wettet auch hier Gott mit Mephistopheles um die Verführbarkeit des Dr. Faust, dann wettet dieser mit Mephisto darauf, dass es keinen Augenblick im Leben geben kann, der es wert wäre, für immer festgehalten zu werden. Topp, die Wette gilt. Die Wette auf einen Menschen gilt auch in Mozarts Oper Così fan tutte. Hier ist es der gleichermaßen abgebrühte wie zynische Philosoph, der mit jungen, lebensunerfahrenen Männern auf die Verführbarkeit ihrer Geliebten wettet. Es ist dies eine sichere Bank, denn diese Wette gewinnt man (fast) immer. Unbedenklich ist sie deshalb aber nicht. Denn die Wette ist eine besondere Form des Spiels – sie antizipiert die Zukunft und versucht, aus einer Prognose Gewinn zu schlagen. Je unwahrscheinlicher das Ereignis, das eintritt, desto größer der Gewinn. Das ist bei Sportwetten harmlos, wer aber auf die Verführbarkeit und damit womöglich auf das Unglück von Menschen oder auf steigende Nahrungsmittelpreise wettet, und seinen Gewinn davon abhängig macht, dass mehr Menschen hungern und verhungern, hat sich wohl schon in die moralischen Fallstricke existentieller Spiele verstrickt. Sein Leben aufs Spiel setzen: das kann man nicht nur beim Russischen Roulette, bei dem man sofort sein Leben verlieren oder viel Geld gewinnen kann, sondern dass kann man auch dann, wenn man anstehende Entscheidungen bewusst dem Zufall überlässt: Aleatorik nicht als ästhetische, sondern als soziale Praxis! Niemand hat dieses Modell und seine Konsequenzen so intensiv herausgearbeitet wie der amerikanische Autor George

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KS TOMASZ KONIECZNY als JACK RANCE




ALLES BANDITEN UND SPIELER

Cockcroft. Unter dem Pseudonym Luke Rhinehart hat Cockcroft im Jahre 1971 den Roman Der Würfler (The Dice Man) veröffentlicht, der sofort zum Kultbuch avancierte. Dem Ich-Erzähler, einem durchaus erfolgreichen Psychoanalytiker, kommt nach einem Pokerabend in geselliger Runde ein furchtbarer Gedanke: Unter einer achtlos hingelegten Karte, einer Pik-Dame übrigens, vermutet er einen Würfel. Zeigt dieser Würfel die Eins, so schießt es ihm durch den Kopf, wird er die beste Freundin seiner Frau vergewaltigen. Er entfernt die Karte: Eins! Die Würfel sind gefallen. Er tut, was der Würfel ihm befahl. Bei dem Analytiker löst diese Erfahrung nun eine völlig neue Organisation seines Lebens aus: Er überlässt nun alle Entscheidungen, die banalsten und die schrecklichsten, dem Würfel, und er kreiert, als besondere Pointe, sogar eine Würfeltherapie, mit der er durchaus Erfolg hat, bis er sich durch diese Strategie in eine ausweglose Situation hineinwürfelt. Dieser Roman zeigt schlagartig, was es bedeutet, sein Leben einem Spiel, in dem der Zufall die Hauptrolle spielt, anzuvertrauen: Es geht darum, Entscheidungen zu delegieren und sich damit letztlich aller moralischen Verantwortlichkeit zu entledigen. Anstelle der Freiheit des Handelns tritt das Zufallsprinzip, anstelle des überlegten und bewussten Willens die reine Willkür, anstelle der Emotionen und Motive das nackte Kalkül. Weder subjektive Gründe noch soziale Normen bestimmen das Handeln, es gelten nur die Regeln eines Spiels, das aller Humanität, die das Spiel bei Schiller noch kennzeichnete, Hohn spricht. Aber genau diese radikale Deutung zeigt, was geschieht, wenn aus dem Spiel als Spiel Ernst wird. TITELBLATT eines historischen FANCIULLA-Klavierauszuges

Manchmal ist es deshalb auch besser, solch ein Spiel rechtzeitig abzubrechen. In Arthur Schnitzlers Szenenfolge Anatol hat der Protagonist die Möglichkeit, an einem amüsanten Gesellschaftsspiel teilzunehmen. Seine Geliebte lässt sich hypnotisieren, und Anatol könnte sie nun endlich fragen, was ihm seit er sie kennt auf der Zunge liegt: Ob sie ihn liebt, ihm treu ist oder ob es noch andere Männer in ihrem Leben gibt. Lange zögert er – dann entschließt er sich, diese »Frage an das Schicksal« doch lieber nicht zu stellen. Es gehört auch zu einem spielerischen Umgang mit dem Spiel, dass man weiß, wann man ein Spiel beenden sollte. Diese wenigen Beispiele mögen zeigen, dass die Herausforderung des Schicksals durch ein Spiel gleichermaßen faszinierend wie abstoßend sein muss. Faszinierend, weil durch das spielerische Moment der Ernst des Lebens gerade dadurch, dass dieses aufs Spiel gesetzt wird, konterkariert erscheint: Es ist ja nur ein Spiel. Abstoßend, weil solch ein Spiel den Menschen als moralisches Subjekt, das für seine Handlungen verantwortlich ist, weil diese auf Überlegungen und Gründe zurückgeführt werden können, seiner Würde beraubt: Er wird zu einem reinen Objekt, zu einem Jeton. Puccinis Minnie weiß um die Frivolität dieses Spiels. Sie benutzt die Spielleidenschaft des Sheriffs, um das Lebens ihres Geliebten und ihr gemeinsames Glück gerade nicht dem Zufall anzuvertrauen. Sie spielt falsch. Sie betrügt im Spiel, um der Wahrheit ihrer Liebe in der Wirklichkeit zum Durchbruch zu verhelfen. Das verstößt zwar gegen die Spielregeln; aber es bewahrt Minnie, ihren geliebten Räuber und uns vor Schlimmerem. Es gibt ein richtiges Spiel im falschen.

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WA S P U C C I N I N IC H T V E RT ON T H AT

WAS PUCCINI NICHT VERTONT HAT DER VON PUCCINI NICHT VERTONTE 4. AKT VON DAV I D B E L A S C O S THE GIRL OF THE GOLDEN WES T.

Die endlose Weite der Prärie. Auf dem Weg nach Osten, Morgendämmerung, eine Woche später. Der Vorhang geht auf, die Bühne ist dunkel. Johnson liegt im Gras und raucht eine Zigarette. Minnie schläft in einem Zelt. Nach und nach wird die Bühne heller. In dem Moment, in dem die Umrisse deutlicher hervortreten, kommt Minnie aus dem Zelt. MINNIE Dick, bist du wach? JOHNSON dreht sich zu ihr Ein weiterer Tag … der Morgen bricht an. MINNIE schaut in Richtung der Berge am Horizont Ein weiterer Tag... schau zurück... Die Berge sind immer weiter weg... jeden Tag noch ein Stückchen weiter weg... Wenn ich eines Nachts schlafen gehe und zurückschaue... werden sie nicht mehr da sein... rot leuchtend. Das war das gelobte Land. JOHNSON sich erhebend Wir müssen nach vorne schauen, Mädchen, nicht zurück. Das gelobte Land ist immer vor uns. Die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne beleuchten die Umrisse der Berge. MINNIE Immer vor uns... Ja, so muss es sein. (Sie geht näher zu Dick) Dick: all die Leute vom Camp... wie weit entfernt sie schon sind... wie Schatten in einem Traum. Noch vor wenigen Tagen habe ich ihre Hände ge-

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WA S P U C C I N I N IC H T V E RT ON T H AT

schüttelt, sah ihre Gesichter... ihre geliebten Gesichter! Und jetzt verblassen sie. In dieser kurzen, kurzen Zeit habe ich sie verloren... habe ich sie verloren. (Ihre Stimme erstickt in Tränen) JOHNSON Durch dich ist mein altes Leben verblasst. Ich habe das verloren. MINNIE: Schau! Sie zeigt nach rechts, da sie den Sonnenaufgang bemerkt Der Morgen bricht an... dort im Osten... weit, weit vor uns... klar und hell. JOHNSON Ein neuer Tag... Vertrau mir. (Streckt seine Hand nach ihr aus) vertrau mir... ein neues Leben! MINNIE Ein neues Leben. (Reicht ihm die Hände) Oh, meine Berge... ich verlasse euch... oh, mein Kalifornien... ich verlasse dich... oh, mein geliebter Westen... meine Sierras... ich verlasse euch... oh, meine... (dreht sich zu Johnson, geht zu ihm und schmiegt sich an seine Brust)... meine Heimat. Vorhang

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WERNER OGRIS

MR. LYNCH AT THE OPERA! Puccini hat bekanntlich das amerikanische Goldgräber-Milieu aus der Mitte des 19. Jahrhunderts mit Bedacht für die an der New Yorker Met geplante Uraufführung (1910) seiner Oper Das Mädchen aus dem Goldenen Westen gewählt und dabei so etwas wie »Kinodramatik« mit dem Textbuch übernommen. Dazu zählen auch zwei Episoden, die deutlich an Akte der Lynchjustiz erinnern: einmal das Vorgehen einer Kartenrunde gegen einen Falschspieler im 1. Akt und dann das doch recht summarisch anmutende Verfahren gegen Ramerrez/Johnson, den Räuberhauptmann und Geliebten der Schankwirtin Minnie, im 3. Akt. Wenn der Komponist sich auch offensichtlich nicht leicht damit tat, das amerikanische Justizsystem operngerecht zu transformieren, so ist doch die Anspielung auf Mister Lynch keineswegs aus der Luft gegriffen. Eigenmächtige Justizpflege durch Pöbelhaufen (mob law) gegen echte oder vermeintliche Übeltäter wie Räuber, Falschspieler und Pferdediebe, Vergewaltiger, Kuppler und Mörder, aber auch entlaufene Sklaven oder sonst politisch oder »rassisch« missliebige Personen waren damals an der Tagesordnung, vor allem in den amerikanischen Südstaaten und im »Wilden Westen«, wo lange Zeit eine Art Pionier- und Grenzlandstimmung (frontier conditions) herrschte, die wenig Rücksicht auf legale Vorgangsweisen nahm. Das trifft besonders auf das Kalifornien der Jahre 1849/50 zu, in denen DaKS JONAS KAUFMANN als DICK JOHNSON

vid Belasco sein Goldgräber-Melodram spielen lässt. Der heute nach Alaska und Texas flächenmäßig drittgrößte Staat der USA befand sich damals in einem Zustand staatlicher Ohnmacht. Die mexikanische Herrschaft und ihr folgend einige kurzlebige amerikanische Militärregimes waren praktisch nicht effektiv, und der Eintritt in die Union geschah erst durch Beschluss des Kongresses vom 9. September 1850. In dieser Übergangszeit und noch weit darüber hinaus ging es, salopp gesprochen, im Golden State drunter und drüber; von einer öffentlichen Ordnung, die diese Bezeichnung verdient hätte, konnte nicht die Rede sein. Die Situation wurde noch verschärft durch den Goldrausch, der, ab Jänner 1848 von Sutters Mill bei Sacramento ausgehend, das Land in ein organisatorisches Chaos stürzte. Gerichte und sonstige Rechtspflegeorgane, soweit überhaupt noch vorhanden, hörten auf zu funktionieren, nicht zuletzt deshalb, weil viele ihrer Mitglieder dem Goldfieber erlagen. Stattdessen schossen halblegale oder illegale Gerichte, lokale Regierungen und Kriegsherren (war lords), Bandenchefs und Bürgerwehren aus dem Boden, die Justiz oder was sie dafür hielten nach Gutdünken übten. Lynching war unter diesen Umständen ein probates und weitgehend als legitim und als unverzichtbar angesehenes Mittel, die Ordnung halbwegs wieder herzustellen. (Nur in Klammern sei in diesem Zusammenhang festge-

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WERNER OGRIS

halten, dass Kalifornien damals von einer fast reinen Männergesellschaft beherrscht wurde. Der Frauenanteil betrug 1850 gerade einmal 8%, in den Schürfgebieten lediglich 2%. Diesem Befund entspricht es, dass La fanciulla del West, also Minnie, als Frau im Goldgräberlager ganz allein auf weiter Flur stand.) Woher die Bezeichnung lynchen (Lynchjustiz, Lynchsystem, Lynch Law, Mr. Lynch, Judge Lynch) stammt, ist unklar. Mehrere Gentlemen kommen als Namenspatron in Betracht. Als Favorit dürfte Charles Lynch (1736-1796) gelten, der als Farmer und als Patriot, als Oberst sowie als Friedensrichter und als Politiker bekannt wurde, sich insbesondere aber einen Namen durch seinen irregulären Gerichtshof machte, der während der Amerikanischen Revolution (besonders 1780) extra legem gegen Diebe, Outlaws und vor allem Royalisten vorging, als Strafen allerdings meist nicht den Tod, sondern »nur« Vermögensverfall, Gefängnis, Auspeitschen oder Zwangsrekrutierung verhängte. Immerhin sah sich Virginias Parlament 1782 veranlasst, diese Aktionen im Nachhinein zu legitimieren – dabei ausdrücklich feststellend, dass die Aktionen des Richter-Obersten und seiner Genossen zwar eindeutig illegal, aber unter den konkreten Umständen verständlich und gerechtfertigt gewesen seien. Eine gefährliche Aussage, die als Lynch’s Law bekannt und von anderen »Richtern von eigenen Gnaden« gern zur Erklärung und Rechtfertigung von Handlungen herangezogen wurde, die zu begehen oder auch nur zu rechtfertigen deren möglichem »Taufpaten« wohl kaum in den Sinn gekommen wäre.

Wie auch immer! Jedenfalls versteht man unter Lynchjustiz die durch eine empörte (und häufig durch Agitatoren aufgeputschte) Menschenmenge vorgenommene Tötung oder Misshandlung eines Menschen meist ohne vorherige ordentliche/legale Gerichtsverhandlung als ungesetzliche Bestrafung für etwas, was dieser begangen hat oder auch nur begangen haben soll – stets in der Überzeugung oder zumindest unter dem Vorwand, Gerechtigkeit zu üben beziehungsweise eine herrschende Gewohnheit oder Konvention zu schützen. Manchmal wird von Lynchen allerdings nur gesprochen, wenn das Opfer dabei den Tod fand. Die »Strafe« bestand meist im Hängen oder im Erschießen oder im Verbrennen bei lebendigem Leibe, oft nach Verstümmelung (etwa Entmannung), Brennen mit glühenden Eisen oder Schleifen hinter einem Pferd oder Auto. Häufig kam auch das Teeren und Federn vor, dem in der Kolonialzeit bevorzugt Steuereintreiber und Zollbeamte unterzogen wurden. Dieses tarring and feathering war nicht unbedingt tödlich, jedenfalls dann nicht, wenn der damals übliche Holzteer verwendet wurde, der keine oder nur leichte Verbrennungen nach sich zog; das nachfolgende Spicken mit Hühnerfedern sollte wohl das Opfer als vogelfreien Outlaw markieren. Später, vor allem in den 1920er-Jahren, zählten sogenannte tar-and-feather-parties zu »einem beliebten Zeitvertreib« des 1915 neu gegründeten rassistischen KuKlux-Klans, um ihnen missliebige Personen einzuschüchtern, zu erniedrigen und zu foltern. Als Lynch-Täter kamen in der Regel Männer in Betracht, nur ausnahmsweise Frauen. Auch die Opfer waren

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in der weitaus überwiegenden Zahl männlichen Geschlechts, gelegentlich wurden aber auch weibliche Personen, Jugendliche und Kinder entweder allein oder als Mitglieder einer Familie Opfer des Lynchens. Vollzogen wurde der illegale Akt meist von kleinen Gruppen, häufig im Schutze der Dunkelheit, oft aber auch ohne besonderes Bemühen um Geheimhaltung. Im Gegenteil: Nicht selten nahmen die Morde den Charakter einer öffentlichen Hinrichtung und/oder eines zirkusartigen Massenspektakels an, das in der Lokalzeitung angekündigt und von Reportern in Wort und Bild festgehalten wurde. Makabres Beispiel dafür ist das Lynching des schwarzen Teenagers Jesse Washington in Waco/Texas 1916, dem über 10.000 Zuschauer beiwohnten, darunter städtische Honoratioren und Polizeioffiziere. Bei dieser und anderen derartigen Gelegenheiten erwies sich der Verkauf von Fotos für Postkarten als lukratives Geschäft. Eine Karte, die den verkohlten Leichnam des Jesse Washington zeigte, wurde von einem begeisterten Zuseher mit dem Text verschickt: This is the barbecue we had last night. […] Your son, Joe. Die genaue Zahl der Lynchopfer ist kaum festzustellen, da es an durchgehenden Statistiken fehlt. Für die amerikanischen Südstaaten, schon vor dem Sezessionskrieg als land of lynching bekannt, hat man für die zwei Dezennien 1840 bis 1860 nicht weniger als 300 Fälle registriert; davon betrafen rund 10% Afroamerikaner, die große Mehrheit Weiße, die allerdings meist ebenfalls indirekt Opfer der »Rassenfrage« wurden, da es sich bei ihnen um Personen handelte, die für die Sklavenbefreiung eintraten (abolitionists) und/oder entlaufenen Sklaven Hilfe gewährten. Zwischen

1868 und 1876 ereigneten sich im Süden jährlich 50-100 Lynchmorde. Von 1882 bis 1951 wurden in den USA 4.736 Personen gelyncht, davon 3.442 Afroamerikaner und 1.294 Weiße (darunter auch Angehörige anderer Ethnien wie Mexikaner, Italiener, Iren, Chinesen, Ureinwohner), mit Spitzen zwischen 1892 und 1920. Seither, besonders seit der Mitte der 1930er-Jahre, ging die Zahl der Lynchings drastisch und kontinuierlich zurück. Immerhin gab es noch 1981 in Alabama und 1998 in Texas derartige Vorfälle. Zur Rechtfertigung oder doch zumindest zur Erklärung der Lynchjustiz wird meist auf die mangelhafte Justizorganisation in den Front- und Siedlungsgebieten hingewiesen, in denen es an Gaunern und Verbrechern aller Arten keinen Mangel gab. In jenen rauen Zeiten, in denen behördliche Hilfe nicht oder nur nach langer Zeit und/oder in völlig unzureichendem Maße zu erlangen war, blieb der gefährdeten Bevölkerung oft tatsächlich oder vermeintlich nichts anderes übrig, als die Justiz in die eigenen Hände zu nehmen und mit Gesetzesbrechern und solchen, die man dafür hielt, kurzen Prozess zu machen. So weit, so gut oder zumindest verständlich, obgleich der Hinweis auf das mangelhafte und ineffektive Justizsystem oft nicht sehr überzeugend wirkt: zumindest dann nicht, wenn das Opfer, wie es oft geschah, aus dem Gemeindekotter oder dem County Jail oder einer laufenden Gerichtsverhandlung gewaltsam herausgeholt und »hingerichtet« wurde. So wird man vor allem bei jener Lynchjustiz, die lange nach Etablierung einer funktionierenden staatlichen Strafrechtspflege stattfand, mit dem Hinweis auf nicht vorhandene

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Polizeikräfte und nicht funktionierende Gerichte kaum überzeugend argumentieren können. In diesen Fällen ging es offensichtlich nicht oder jedenfalls nicht primär um die Bestrafung konkreter Verbrechen – die natürlich weiterhin als Anlass und/oder Vorwand herhalten mussten – als vielmehr um die Austragung sozialer und wirtschaftlicher Interessenskonflikte mit Immigranten oder anderen Personengruppen, denen man den geschäftlichen Erfolg und/oder den sozialen Aufstieg neidete und deren Konkurrenz man fürchtete. Beispiele dafür sind das mass lynching von wenigstens achtzehn Amerikanern chinesischer Herkunft in Los Angeles 1871 und von elf italienischen Einwanderern in New Orleans 1892, die man mit der Mafia in Zusammenhang brachte. Speziell nach dem verlorenen Sezessionskrieg erschien die Lynchjustiz gegen Afroamerikaner in den Südstaaten als gezielt eingesetztes Instrument, um die politische, wirtschaftliche und soziale Vormachtstellung der weißen Bevölkerung zu dokumentieren und zu sichern. Vor allem der Ku-Klux-Klan und ähnliche Gruppierungen, dann Bürgerwehren und Sicherheitsausschüsse (vigilantes) aller Spielarten machten es sich zur Aufgabe, die afroamerikanische Bevölkerung durch Lynchakte zu terrorisieren, in Furcht und Schrecken zu versetzen und sie (so) zu unterdrücken und von der Wahrnehmung ihrer Bürgerrechte, besonders vom Wahlrecht, abzuhalten. Auch Weiße wurden leicht zu Opfern, wenn sie sich für die Rechte der Afroamerikaner einsetzten oder ihnen Schutz gewährten. Um einen Vorwand waren die Täter nicht verlegen: Mord und Mordversuch, Vergewaltigung oder auch nur Belästigung

weißer Frauen oder Mädchen, Brandstiftung oder ganz einfach Verletzungen des Sittenkodex, wie er in den die Rassentrennung zementierenden so genannten Jim-Crow Laws in den Jahren 1876 bis 1964 festgelegt wurde, kamen am häufigsten vor. Praktisch konnte alles oder nichts – wie etwa die Benützung eines für Weiße reservierten Sitzplatzes in einem Bus – zum auslösenden Faktor werden. Auf diesem kulturellen Hintergrund wuchs sich Lynchjustiz gleichsam zu einem halboffiziellen Sanktionensystem aus, das neben der staatlichen Justiz von weiten Bevölkerungskreisen als legitim anerkannt wurde. Strafverfolgungen des Mobs oder wenigstens der Rädelsführer fanden nur in wenigen Fällen statt und führten kaum jemals zu einer Verurteilung, zumal viele der Beamten Teil oder doch Sympathisanten des Systems waren. Widerstand gegen die Lynchjustiz begann sich nur langsam zu formieren, wobei es nicht an gewaltsamen Ausbrüchen fehlte. Entscheidend aber waren der Wandel der öffentlichen Meinung durch diverse Kampagnen und politische Bewegungen wie die National Association for the Advancement of Colored People (NAACP) und The American Civil Rights Movement (für die das unten abgedruckte Gedicht Strange Fruit so etwas wie eine inoffizielle Hymne wurde). Die Gesetzgebung sowohl des Kongresses wie der einzelnen Bundesstaaten hat trotz zahlreicher Anläufe erst in jüngster Zeit Anti-Lynching Statutes erlassen. Sie qualifizieren Lynchen als Verbrechen (felony), dabei oft zwischen Lynchen mit Todesfolge (first degree) und solchen ohne Todesfolge (second degree) unterscheidend.

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Der Begriff Lynchjustiz ist eng mit der Geschichte der amerikanischen Kolonien und dann der meisten Unionsstaaten verbunden. (Nur Massachusetts, Vermont, New Hampshire und Rhode Island haben insofern eine weiße Weste.) Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch anderswo lynchartige Akte vorkamen. Man denke etwa an die Ermordung des österreichischen Kriegsministers

Grafen Latour am 6. Oktober 1848 in Wien oder an die Tötung abgeschossener alliierter Piloten durch über die Bombardierung empörte Zivilbevölkerung in Deutschland während des Zweiten Weltkrieges. Heute dürfen wir mit Genugtuung feststellen, dass dieser Schandfleck menschlichen Sozialverhaltens sich weitgehend verflüchtigt hat. Wollen wir hoffen, dass es dabei bleibt.

Strange Fruit Southern trees bear strange fruit Blood on the leaves and blood at the root Black bodies swinging in the southern breeze Strange fruit hanging from the poplar trees Pastoral scene of the gallant south The bulging eyes and the twisted mouth Scent of magnolias, sweet and fresh Then the sudden smell of burning flesh Here is fruit for the crows to pluck For the rain to gather, for the wind to suck For the sun to rot, for the trees to drop Here is a strange and bitter crop ABEL MEEROPOL 1939, interpretiert u. A. von BILLIE HOLIDAY

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BURGEN- LANDISCHE ARIEN UND ATONALE MUSIK IN EUROPA Die Burgenländer hatten Glück. Sie verließen zur richtigen Zeit den für sie falschen Ort, um andernorts ein neues Leben zu beginnen. Mit wenigen Besitztümern im Gepäck machten sie sich auf den Weg. Sie kehrten dem Neusiedler See den Rücken, zogen Richtung Westen, passierten zahlreiche Grenzen, überquerten den Atlantik und landeten am Ende einer langen und Kräfte zehrenden Reise in den Vereinigten Staaten von Amerika. Sie verdingten sich im Mittelwesten als Bauern oder als Industriearbeiter in den großen Städten wie Chicago oder New York. Mehr als 50.000 von ihnen haben ihre Heimat zwischen Mitte des 19. und Mitte des 20. Jahrhunderts verlassen. In den USA waren sie willkommen. Dass Demokraten oder Republikaner mit dem Slogan »New York darf nicht Eisenstadt werden« Wahlkampf gemacht hätten, ist nicht überliefert. In den USA bekamen auch die »Wirtschaftsflüchtlinge« aus dem Burgenland eine Chance und viele von ihnen nutzten sie. Sie wurden Teil der amerikanischen Erzählung. Heute wird die Zahl der Exil-Burgenländer bzw. deren

Nachkommen auf dem amerikanischen Kontinent auf rund 100.000 Menschen geschätzt. Mit dem Ergebnis, dass heute etwa in Chicago mehr Burgenländer leben als in Eisenstadt.

ORTE DER VERHEISSUNG Und wer weiß: Vielleicht hatten Guelfo Civinini und Carlo Zangarini auch Exil-Burgenländer vor Augen als sie das Libretto für Pucinis Oper La fanciulla del West verfassten – als sie das Schicksal der Goldgräber am Fuße der Wolkenberge in Kalifornien nachzeichneten. Goldgräber, die in der aktuellen Inszenierung an der Staatsoper als Minenarbeiter auftreten. Menschen auf der Suche nach Glück und Wohlstand. Entwurzelte Emigranten bei dem Versuch, neue Wurzeln zu schlagen. Little Burgenland in Amerika. Die USA waren damals, was heute auch auf Europa zutrifft: Ein Kontinent der Verheißung. Ein Sehnsuchtsort für all jene, die vom Wohlstand der vergangenen Jahrzehnte nichts gespürt haben – für sehr viele Menschen also. Die jüngste Geschichte Europas ist die

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Geschichte eines enormen Aufstiegs. Nach zwei brutalen Kriegen, die nicht nur den Kontinent, sondern auch den Rest der Welt in Unglück, Tod und Verderben stürzten, gelang nach 1945, was damals wohl nur wenige für möglich gehalten hätten: Marschall-Plan. Wiederaufbau. Wachstum. Jahre der Vollbeschäftigung. Sozialstaat. Ein Leben in Wohlstand, an dem noch immer viele Menschen teilhaben können. Wem könnte man es übelnehmen, wenn er nach seiner Rolle in dieser Erfolgsgeschichte suchen würde – sei es, weil er in seiner Heimat Hunger leidet, weil er keine Perspektiven kennt oder weil er Krieg, Verfolgung und Tod ausgesetzt ist?

INSEL DER SELIGEN? Aus unserem Jetzt erwächst Verantwortung. Kardinal König prägte das Wort: »Wir leben auf einer Insel. Früher hieß diese Insel Österreich, dann Europa, heute umfasst sie die ganze Welt.« Wir haben eine Verantwortung dem Nächsten gegenüber, ganz gleich, in welcher Gestalt er vor uns tritt: Sei es als Flüchtling aus Somalia, der wie die Burgenländer vor mehr als 100 Jahren heute versucht, seinen Lebensumständen zu entfliehen und dabei auf der Flüchtlingsinsel Lampedusa strandet. Sei es als syrischer Flüchtling, der ein Land zurücklässt, in dem in den letzten beiden Jahren bereits mehr als 100.000 Menschen ermordet wurden. Sechs Millionen Menschen sind in der Region auf der Flucht. Unsere Nächsten treten uns aber auch in Gestalt von Asylwerbern gegenüber, die etwa in Häusern der Caritas in Wien und in ganz Österreich untergebracht werden – sie führen heute ein Leben

in der Warteschleife. Ohne Anrecht auf ein selbstbestimmtes Leben. Ohne Möglichkeit zur Arbeit und in eine ungewisse Zukunft blickend. All diese Menschen eint, dass sie sich an einem anderen Ort als ihrer Heimat ein besseres und sichereres Leben erhoffen. Vor diesem Hintergrund ist auch der Protest der Flüchtlinge im Wiener Servitenkloster zu sehen. Erstmals traten in Österreich Flüchtlinge selbst für ihre Anliegen ein. Ähnliche Proteste fanden und finden auch in Städten Deutschlands und Frankreich statt. Als Caritas sind wir für unser Engagement oft und von vielen Seiten kritisiert worden. Es ist unbestritten, dass in Österreich niemand über dem Gesetz stehen kann und nicht alle, die Asyl beantragen, auch Asyl erhalten werden. Und dennoch sind wir überzeugt: Die Kritik der Flüchtlinge ist in manchen Punkten berechtigt. Die Protestierenden legen ihre Finger in vielen Punkten zu Recht in die Wunden der heimischen Asylpolitik. Auch wir fordern faire und qualitätsvolle Verfahren. Und auch wir würden uns wünschen, dass Asylwerber ihr Leben selbstbestimmt leben können, dass ihnen nach einer gewissen Zeit Zugang zum Arbeitsmarkt gewährt wird. Unsere tägliche Arbeit als Caritas zeigt deutlich: Kein Mensch flieht freiwillig. Kein Mensch lässt Hab und Gut, seine Freunde und Bekannten, oft auch die Familie gerne zurück. Und es sind viele Menschen, die von der Sehnsucht nach einem Leben in Sicherheit getrieben sind. Laut UNHCR sind derzeit knapp 45 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht. Und laut Schätzungen von Experten sind in den vergangenen 25 Jahren etwa 20.000 Menschen auf der Flucht im Mittel-

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meer ertrunken. Menschen, die ihr Leben riskierten und schließlich verloren. Papst Franziskus fand hierfür zuletzt sehr deutliche Worte. Er warnte uns bei einem symbolträchtigen Besuch auf Lampedusa vor einer »globalisierten Gleichgültigkeit« und davor, »dass wir uns an das Leid der anderen gewöhnt haben«. Wer weint um die Ertrunkenen? Wo bleibt die öffentliche Empörung über diese unvorstellbare Tragödie? Wo das Bestreben der Politik, eine Lösung für das unermessliche Leid zu finden? Auch hier fand Franziskus klare Worte: »Wir leben in einer Gesellschaft, die die Erfahrung des Weinens vergessen hat.« Das Schicksal der Flüchtlinge bestimmt auch unser Schicksal. Ihre Geschichte bedeutet Verantwortung für Österreich, bedeutet Verantwortung für ganz Europa.

WETTBEWERBSVORTEIL: MENSCHLICHKEIT Das menschliche Antlitz unseres Kontinents wird auch daran gemessen we r d e n mü s s e n , w ie m it d e n Schwächsten und mit Menschen auf der Flucht umgegangen wird. Am Ende wird sich der Erfolg Europas nicht nur daran messen lassen, ob wir in wirtschaftlicher Hinsicht mit den USA, China oder Indien mithalten können. Der Erfolg der Europäischen Idee hängt auch sehr stark davon ab, ob es gelingt, sozial schwächere Länder und Personengruppen an den Vorteilen der europäischen Integration teilhaben zu lassen; ob es gelingt, auch für jene Menschen Anlaufstelle zu sein, die in Not geraten. Der Europäische Wettbewerbsvorteil im weltweiten Konkurrenzkampf um den besten Wirtschaftsstandort muss die Menschlichkeit sein!

Als Caritas sind wir sehr froh darüber, dass sich Österreich dazu entschlossen hat, rasch und unbürokratisch 500 syrische Flüchtlinge aufzunehmen. Andere EU-Staaten müssen dem Beispiel folgen. Wir glauben aber auch, dass angesichts dieser humanitären Katastrophe weitere Hilfsaktionen dringend folgen müssen – auch in Österreich. Es darf nun nicht so getan werden, als wäre bereits alles menschlich Mögliche unternommen worden, um der österreichischen Verantwortung in Syrien Genüge zu tun. Schweden nimmt im Rahmen von Resettlement etwa 15.000 Flüchtlinge aus dem Krisen geschüttelten Land auf. Und zur Erinnerung: Zur Zeit der Ungarnkrise 1956 nahm sich Österreich in einem ersten Schritt 180.000 Menschen an. Und nach Einmarsch der WarschauerPakt-Truppen in die damalige Tschechoslowakei flüchteten Ende der 60er Jahre 162.000 Menschen nach Österreich. Die meisten konnten in ihre Heimat zurückkehren. Lediglich 12.000 Menschen ließen sich in Österreich nieder. Dieses Land darf zu Recht stolz auf seine humanitäre Tradition sein. Es gilt aber, dieser Tradition auch in Zukunft gerecht zu werden.

DREI AKTE EIN- UND DERSELBEN OPER Die syrischen Kriegsflüchtlinge, die protestierenden Kloster-Flüchtlinge und die tragischen Schicksale, die auf ihrer Reise nach Europa ertrunken sind, können stellvertretend für drei Akte ein- und derselben Oper stehen – einer Oper, die von den verantwortlichen Politikerinnen und Politikern in Wien, in Berlin, in Rom und in Brüssel mehr schlecht als recht dirigiert wird. Alle

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drei Akte – jeder für sich und alle gemeinsam – machen deutlich: Wir brauchen in Flüchtlingsfragen mehr Europa, nicht weniger. Wir benötigen eine europäische Antwort auf die Frage, wie wir mit Menschen auf der Flucht umgehen wollen; welche Rolle wir auf dieser »Insel, die heute die ganze Welt umfasst« spielen wollen. Es geht nicht darum, der Zuwanderung nach Österreich und nach Europa Tür und Tor zu öffnen. Worum es geht ist, jenen Menschen Schutz zu gewähren, die diesen dringend benötigen. Es geht darum, einheitliche Standards zu definieren, die für alle Schutzsuchenden in Europa gleichermaßen gelten; es geht darum, Menschen Perspektiven und Hoffnung zu geben. Perspektiven, wie sie auch den Auswanderern aus dem Burgenland gewährt wurden. Nach einer 15-jährigen Verhandlungszeit hat sich die Europäische Union zuletzt auf eine Harmonisierung ihrer Asylpolitik geeinigt. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte Nachricht lautet, dass dabei einmal mehr Grundlegendes verabsäumt wurde. Auch in Zukunft werden die Länder im Süden Europas von den EU-Ländern im Norden in der Flüchtlingsfrage im Stich gelassen. Allein in Süditalien sind seit Jahresbeginn 21.870 Flüchtlinge eingetroffen. Im Vergleichszeitraum 2012 waren es noch 7.981. Die meisten dieser Menschen stammen aus Eritrea, Somalia und Syrien – darunter 230 nicht begleitete Kinder. Länder wie Italien, Griechenland oder Spanien benötigen angesichts dieser Herausforderung dringend Unterstützung. Flüchtlinge müssen fair auf die einzelnen Mitgliedsstaaten aufgeteilt werden. Das Dublin-System muss dringend reformiert, die Aufnahme-

und Verfahrensbedingungen müssten in allen europäischen Ländern angeglichen werden – und zwar nicht als Nivellierung nach unten. Es kann nicht sein, dass die Schutzwürdigkeit eines Menschen davon abhängt, in welchem europäischen Land er um Asyl ansucht.

HITS UND ALTE LIEDER Es heißt, Pucinis Oper La fanciulla del West würde selten an großen Opernhäusern gespielt, weil sie echte Hits wie in La Bohème oder Madame Butterfly vermissen ließe. In der Asylpolitik verhält es sich ganz ähnlich: Politiker meiden das Thema, weil es sich nur bedingt oder im populistischen Sinn dazu eignet, Wähler für sich zu gewinnen. Ich finde es schön und richtig, dass sich die Staatsoper dennoch oder vielleicht auch gerade deshalb dazu entschlossen hat, dieses wunderbare Werk aufzuführen. Und ich denke, auch die Wähler würden es honorieren, wenn sie von Politikern nicht immer dieselben alten Lieder hören würden; wenn sie auf Politiker stoßen würden, die für die beschriebenen Herausforderungen mutige und menschenwürdige Lösungen finden würden. Von den Burgenländern bzw. deren Nachfahren, die heute in den USA leben, heißt es übrigens, dass sie bis heute ein reges Vereinsleben pflegen würden. Von ehemaligen Krankenunterstützungs- bis hin zu Sport- und Gesangsvereinen ist die Rede. In einem Zeitungsartikel wird ein Emigrant mit den Worten zitiert. »Viele Auswanderer sind Amerikaner geworden, aber Burgenländer geblieben.« Ein Wort, das vielleicht auch jene Gelassenheit zum Ausdruck bringt, die in den laufenden, oft hysterisch geführten Migrationsdebatten hilfreich sein könnte.

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LIBRETTOENTWURF der FANCIULLA mit Eintragungen von PUCCINI

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IMPRESSUM GIACOMO PUCCINI

LA FANCIULLA DEL WEST SPIELZEIT 2023/24 Herausgeber WIENER STAATSOPER GMBH, Opernring 2, 1010 Wien Direktor DR. BOGDAN ROŠČIĆ Musikdirektor PHILIPPE JORDAN Kaufmännische Geschäftsführerin DR. PETRA BOHUSLAV Redaktion SERGIO MORABITO, ANDREAS LÁNG, OLIVER LÁNG Gestaltung & Konzept EXEX Layout & Satz IRENE NEUBERT Druck PRINT ALLIANCE HAV PRODUKTIONS GMBH, BAD VÖSLAU TEXTNACHWEISE Alle Texte – bis auf das Interview mit Simone Young – wurden dem Premierenprogrammheft der Wiener Staatsoper 2013 entnommen. ORIGINALBEITRÄGE Marco Arturo Marelli: Die Handlung / Andreas Láng: Über dieses Programmbuch / Das Fragezeichen hinter dem Sonnenuntergang – Andreas Láng im Gespräch mit Simone Young / Eine neuartige Oper – Andreas Láng im Gespräch mit Marco Arturo Marelli / Andreas Láng: David Belasco / Andreas Láng: Keine Western-Oper / Karl Löbl: Minnie kommt vom Broadway / Volker Mertens: Atmosphäre und soziale Identität / Otto Brusatti: Über das »Gefallen« & »Dürfen« beim Opernschreiben / Andreas Láng: Und Jeritza wurde ohnmächtig / Rotraud A. Perner: Das reine Herz / Oliver Láng: Minnie und der Sinn des Lebens / Konrad Paul Liessmann: Alles Banditen und Spieler / Werner Ogris: Mr. Lynch at the Opera! / Michael Landau: Burgenländische Arien und atonale Musik in Europa ÜBERNAHMEN Giacomo Puccini: Briefe / Giacomo Puccini: »Das beste Orchester der Welt«, aus: Die Zeit, 19. Oktober 1913 / Giacomo Puccini: Die moderne Richtung der Oper, aus: Die Zeit, 19. Oktober 1913 / BILDNACHWEISE Coverbild: Feifei Cui-Paoluzzo / GettyImages / Bildkonzept Cover: Martin Conrads, Berlin / Alle Szenenbilder: Michael Pöhn / Wiener Staatsoper GmbH / akg images: S. 20, 24, 35, 36, 41 / Österreichisches Theatermuseum: S. 50 / Privatarchiv Andreas Fischer: S. 70, 85

Nachdruck nur mit Genehmigung der Wiener Staatsoper GmbH / Dramaturgie. Rechteinhaber, die nicht erreicht werden konnten, werden zwecks nachträglicher Rechtsabgeltung um Nachricht gebeten.



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