Programmheft/Programme booklet »Nurejew-Gala«

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nurejew gala




nurejew gala Pas de trois aus La Ventana August Bournonville Walzer & Pas de cinq aus Schwanensee 1. Akt Rudolf Nurejew Ramifications Martin Schläpfer Four Schumann Pieces Hans van Manen Wiener Blut Walzer Martin Schläpfer Grand Pas Classique Victor Gsovsky Pas de deux aus Die Kameliendame 3. Akt John Neumeier Pas de deux aus Dornröschen 2. Akt Martin Schläpfer Fandango & Grand Pas de deux aus Don Quixote 3. Akt Rudolf Nurejew Pas de deux aus Schwanensee 2. Akt Rudolf Nurejew Finale aus Études Harald Lander 29. JUNI 2024 WIENER STAATSOPER


über die heutige vorstellung Im Andenken an den die Wiener Ballettgeschichte so prägenden Rudolf Nurejew lädt die nach ihm benannte Gala des Wiener Staatsballetts auch heuer zu einem Fest für den Tanz. Neben den Solist*innen und dem Corps de ballet des Wiener Staatsballetts geben die Étoiles Valentine Colasante und Marc Moreau als Gäste des Ballet de l’Opéra de Paris, dessen Direktor Nurejew von 1983 bis 1989 war, ihr Debüt im Haus am Ring. Als Tänzer war Nurejew charismatisch wie kein anderer und nicht nur ein großartiger Interpret, sondern mit seinem vielfältigen Repertoire auch ein Überwinder von Fronten zwischen klassischem und zeitgenössischem Ballett. Als Choreograph verdichtete er die Klassiker durch Virtuosität und wertete die Männerrollen auf. Als Ballettdirektor war er Ermöglicher neuer Werke, von denen einige Tanzgeschichte schrieben. Das Programm der Nurejew-Gala 2024 bewegt sich auf diesen Spuren mit einer stilistischen Bandbreite vom 19. Jahrhundert bis heute. Aus Nurejews choreographischem Werk sind Ausschnitte aus Schwanensee und Don Quixote zu sehen. Den Pas de trois aus August Bournonvilles La Ventana tanzte Nurejew 1975 mit Cynthia Gregory und Erik Bruhn bei einer Gala des American Ballet Theatre New York. Für Erik Bruhn war er 1962 bei einer Gala des Stuttgarter Balletts in Victor Gsovskys Grand Pas Classique an der Seite von Yvette Chauviré eingesprungen – allerdings sein einziger Auftritt mit diesem Bravour-Stück. Über mehrere Jahre begleiteten ihn dagegen Hans van Manens Four Schumann Pieces. Ein Jahr nach der Uraufführung 1975 im Royal Opera House London machte er sich die Anthony Dowell auf den Leib geschriebene Solorolle zu eigen und begeisterte mit dem Werk des Niederländers nicht nur das New Yorker Publikum bei einem Gastspiel des National Ballet of Canada in der Metropolitan Opera, sondern auch mit Het Nationale Ballet und 1982 beim Royal Ballet London. Drei Werke Martin Schläpfers setzen eigene Akzente: Sein feines, Grenzen auslotendes Solo Ramifications stellt der Wiener Ballettdirektor neben eine Adaption seines beim Opernball 2023 gefeierten Wiener Blut Walzers und eine eigens für die Ersten Solisten Hyo-Jung Kang und Marcos Menha kreierte Gala-Version des Pas de deux aus dem 2. Akt von Dornröschen. Hinzu kommen mit dem »Black« Pas de deux aus John Neumeiers Die Kameliendame unter die Haut gehende Emotionen sowie mit dem Schlussteil aus Harald Landers Études ein die Grenzen des Virtuosen attackierendes Finale.

ÜBER DIE HEUTIGE VORSTELLUNG

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about today’s performance In memory of Rudolf Nureyev, who left such a special mark on the history of Viennese ballet, the Vienna State Ballet’s Gala, named after him, will once again be a celebration of dance. In addition to the soloists and corps de ballet of the Vienna State Ballet, the Étoiles Valentine Colasante and Marc Moreau make their debut at the Haus am Ring as guests of the Ballet de l’Opéra de Paris, where Nureyev was director from 1983 to 1989. As a dancer, Nureyev was charismatic like no other and not only a great interpreter, but with his diverse repertoire he also broke down the barriers between classical and contemporary ballet. As a choreographer, he intensified the classics with virtuosity and enhanced the male roles. As a ballet director, he made possible new works, some of which have gone down in dance history. The programme for the Nureyev Gala 2024 follows in these footsteps with a stylistic range from the 19th century to the present day. From Nureyev’s choreographic œuvre, excerpts from Swan Lake and Don Quixote will be shown. The Pas de trois from August Bournonville’s La Ventana Nureyev danced with Cynthia Gregory and Erik Bruhn at an American Ballet Theatre gala in 1975 in New York. As a stood-in for Erik Bruhn he danced Victor Gsovsky’s Grand Pas Classique alongside Yvette Chauviré at a Stuttgart Ballet gala in 1962 – his only appearance in this bravura work. On the other hand, Hans van Manen’s Four Schumann Pieces accompanied him for several years: After its premiere at London’s Royal Opera House in 1975, he made Anthony Dowell’s custom-made solo role his own, delighting New York audiences with the Dutchman’s work not only during a guest performance by the National Ballet of Canada at the Metropolitan Opera, but also with Het Nationale Ballet and, in 1982, at the Royal Ballet London. Three of Martin Schläpfer’s works set their own accents: the Viennese ballet director places his delicate, boundary-exploring solo Ramifications alongside an adaptation of his Wiener Blut Walzer, premiered at the 2023 Opera Ball, and a gala version of the pas de deux from the second act of Sleeping Beauty, created especially for the first soloists Hyo-Jung Kang and Marcos Menha. In addition, the highly emotional »Black« Pas de deux from John Neumeier’s Lady of the Camellias will get under your skin, and the finale of Harald Lander’s Études is an attack on the boundaries of virtuosity.

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ABOUT TODAY’S PERFORMANCE


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Schwanensee Masayu Kimoto (Prinz Siegfried, Mitte), Timoor Afshar, Alice Firenze, Aleksandra Liashenko, Arne Vandervelde (Gefährt*innen des Prinzen), Ensemble, Komparserie



Don Quixote Ketevan Papava (Eine Straßentänzerin), Eno Peci (Espada)


Ioanna Avraam (Kitri), Arne Vandervelde (Basil)


Schwanensee Marc Moreau (Prinz Siegfried), Valentine Colasante (Odette)


RUDOLF NUREJEW

»Für mich war das Pure der Bewegung nicht genug. Ich brauchte Ausdruck, mehr Intensität, mehr Geist.«


pas de trois la ventana AUGUST BOURNONVILLE

»Wie alle schönen Künste hat auch der Tanz seinen Ursprung in der Natur. Er entwickelt sich aus einem warmen Herzen, einer gesunden Vorstellungskraft; sein Tun drückt Freude und Vergnügen aus. Der Körper wird beredt und sagt genau das, was Worte nicht ausdrücken können. Die Wirkung ist wohltuend, und der Geist neigt zur Poesie.«

PAS DE TROIS LA VENTANA

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Der Name August Bournonville ist nicht nur untrennbar mit dem Königlich Dänischen Ballett, dessen Direktion er beinahe 50 Jahre innehatte, verbunden, sondern steht auch für den Dänischen Stil, den er begründete. In diesem werden bravouröser Tanz und ausdrucksstarke Pantomime in Leichtigkeit, Harmonie und natürlicher Anmut vereint. »Einige der signifikanten Merkmale in der Bournonville-Sprache sind vor allem das Épaulement, bei dem der Oberkörper in der Regel dem arbeitenden Fuß zugewandt ist, die schnelle Fußarbeit ohne sichtbare Anstrengung und große Sprünge, die in einer zurückhaltenden Weise ausgeführt werden. Die Arme sind immer vor dem Körper platziert, und es sollte ein sichtbarer Kontrast zwischen der Geschwindigkeit der Beine und der Bewegung der Arme bestehen. Man könnte sagen, die Beine sind der Rhythmus und die Arme sind die Musik«, so Johnny Eliasen, ehemaliger Erster Solist im Königlich Dänischen Ballett und renommierter Einstudierer von Bournonville-Balletten, über den Stil des dänischen Choreographen. »Wenn ich mit Tänzer*innen arbeite, die nicht mit dem Bournonville-Stil aufgewachsen sind, konzentriere ich mich normalerweise auf die Bewegung der Arme. Das ist sehr wichtig, da es ungewöhnlich ist, die Arme in einem anderen Tempo als die Beine einzusetzen.« Zur Musik von Hans Christian Lumbye und Wilhelm Christian Holm choreographierte Bournonville 1854 eine erste Fassung von La Ventana. Er schuf das Kammerballett für die Tänzerin Juliette Price, Mitglied einer berühmten englischen Zirkusfamilie, die er verehrte. Zwei Jahre später überarbeitete er seine Kreation für das Königlich Dänische Ballett und erweiterte sie um eine Seguidilla, die er von Paul Taglioni entlehnte, und einen Pas de trois. Ausgangspunkt für die Handlung ist eine junge spanische Frau, die von einem Mann träumt, den sie zuvor kennengelernt hat: »Ich war nicht blind für die schönen und romantischen Qualitäten des spanischen Charakters. Aber hier, wie bei allem anderen, war es eine Frage, zu bestimmen, was auf die Bühne gehört, die richtige Wahl des Materials zu treffen und dann die geeignetste Art und Weise zu finden, es zu verwenden. Ich wollte zeigen, wie man das Bild, ohne es seiner nationalen Physiognomie zu berauben, idealisieren und in die dramatische Sphäre ziehen kann. Nun liest man in spanischen Romanen immer, dass die erste Liebeserklärung vor dem Fenster der Schönheit stattfindet, während sie selbst – hinter den geschlossenen Jalousien verborgen – den Seufzern ihres Liebhabers lauscht, die von den geheimnisvollen Klängen einer Gitarre oder einer Mandoline begleitet werden. Eine Blume oder eine Schleife, die vom Balkon herabgeworfen wird, ist ein Zeichen, dass diese Huldigung angenommen wurde, und die Romanze beginnt«, schreibt Bournonville in seinen Memoiren My Theatre Life über La Ventana und verweist so auch auf seine Intentionen und Inspiration, den spanischen Nationaltanz mit klassischer Balletttechnik zu verweben. »La Ventana ist ein einaktiges Ballett in zwei Szenen mit spanischer Note. Es ist ein unterhaltsames Divertissement mit einigen schönen Bournonville-Schritten«, erläutert Eliasen, der mit den Tänzer*innen des Wiener Staatsballetts den berühmten Pas de trois einstudiert hat: »Der Pas de trois ist ein gutes Beispiel für Bournonvilles Stil. Die Interaktion zwischen den drei Tänzer*innen zeigt, worin Bournonville gut ist, und das Publikum kann die Leichtigkeit als Qualität des Tanzes genießen.« 11

PAS DE TROIS LA VENTANA


nurejew im heute

SOLIST*INNEN DER NUREJEW-GALA IM GESPRÄCH

Rudolf Nurejews Schaffen als Tänzer und Choreograph wirkt bis heute tief in die Ensembles, mit denen er gearbeitet hat. Die Auseinandersetzung mit seinem Künstlertum durch immer wieder neue Generationen führt nicht nur sein Erbe lebendig fort, sondern es werden auch seine tänzerische Raffinesse und Ausdruckskraft wie seine Forderungen an die Ballettkunst spür- und erfahrbar. Mit dem Ballett der Wiener Staatsoper verband Nurejew eine intensive Beziehung. Nicht nur als Tänzer in mehr als hundert Vorstellungen, sondern u.a. auch durch seine bis heute lebendigen Wiener Choreographien von Schwanensee und Don Quixote. Ein weiteres Ensemble, das einen wichtigen Stellenwert in Nurejews künstlerischer Biographie darstellt, ist das Ballet de l’Opéra de Paris, dessen Direktor er von 1983 bis 1989 war. Werke wie La Bayadère oder Cinderella, aber auch der von der Wiener Fassung ausgehende Schwanensee gehören zu den wichtigen Pariser Kreationen Nurejews. Über den Stellenwert, den Nurejew und seine Werke für die Compagnien und das eigene Künstlertum haben, sprach Nastasja Fischer mit den Étoiles der Pariser Oper Valentine Colasante und Marc Moreau sowie mit den Ersten Solist*innen und Solisten des Wiener Staatsballetts Ioanna Avraam, Ketevan Papava, Masayu Kimoto, Eno Peci und Arne Vandervelde.

NUREJEW IM HEUTE

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Schwanensee ist ein wichtiges Werk in Nurejews Œuvre. Was macht seine Choreographie und Inszenierung aus? MM

Nurejews Choreographie bringt die psychologische Tiefe der Figuren, insbesondere des Prinzen Siegfried, zum Vorschein und verleiht der Geschichte eine zusätzliche emotionale Ebene. VC

Außerdem ist der Schwan in Nurejews Version eher eine Frau als ein Vogel, was die menschliche Dimension und die Tragödie von Odettes Charakter hervorhebt. Nurejew hat den Schwanensee in Wien choreographiert und getanzt. Man erkennt, was er selbst gerne auf der Bühne gezeigt hat. Prinz Siegfried steht im Fokus der Inszenierung, was man auch daran sieht, dass der Tänzer der Partie viel mehr zu tun hat als in anderen Versionen. Zum Beispiel hat Nurejew den Pas de cinq im ersten Akt neu konzipiert. Es macht sehr viel Spaß diesen zu tanzen, denn es geht hier um Freunde, die gemeinsam feiern, und tatsächlich hat der Prinz es ein wenig leichter als die Gefährt*innen (lacht). Die langsame Variation im Anschluss tanze ich sehr gerne, sie ist unglaublich berührend und ich kann mich dieser ganz hingeben. MK

An Balletten wie Schwanensee und Don Quixote erkennt man, dass es Nurejew daran gelegen war, den männlichen Part aufzuwerten. AV

Zu seiner Zeit war er einer der besten Tänzer, die es gab. In seinen eigenen Balletten tanzte er oft die Hauptrolle. Dies führte zu sehr anspruchsvollen Choreographien auf höchstem technischen Niveau. Nurejew veränderte die Wahrnehmung des Balletttänzers und gab ihm viel mehr Möglichkeiten. Dafür werde ich ihm immer dankbar sein. MK

Das kann ich nur bestätigen. Nurejew hat für den männlichen Tänzer in seinen Choreographien mehr Variationen und technisch schwierige Schritte kreiert. EP

Nurejew wollte sich immer zeigen! So wird der Tänzer in seinen Arbeiten dominanter und gleichwertig mit der Ballerina betrachtet. Für die damalige Zeit war sein Denken sehr fortschrittlich. Wie würdet ihr seine Version von Don Quixote beschreiben? Nurejews Don Quixote ist ein weiterer Beweis für sein Genie als Tänzer und Choreograph. Er schuf ein Gleichgewicht zwischen technischem Können und emotionaler Tiefe. Er kreierte eine Produktion, die für ihre Energie, Lebendigkeit, Eleganz und dramatische Wirkung gefeiert wird. Es gibt virtuose Soli, kompliIA

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NUREJEW IM HEUTE


zierte Fußarbeit und anspruchsvolle Hebungen, dieEIKELS man auch im Grand Pas de deux KAI VON im dritten Akt erkennen kann. Zugleich besticht das Ballett aber auch durch die Ensembleszenen, das Feiern der Gemeinschaft und die Liebesgeschichte zwischen Kitri und Basil, die Nurejew zugänglich und fesselnd für das Publikum gestaltet hat, ohne dabei die Essenz von Cervantes’ Roman zu verlieren. AV

Es ist ein sehr lebendiges, humorvolles und energiegeladenes Ballett. Für mich liegt der Schwerpunkt auf der Integration der spanischen Charakteristika, aber auch darauf, dem Publikum eine Geschichte zu erzählen. Worin liegt die Besonderheit im Fandango? KP

Der Fandango ist von Nurejew bemerkenswert inszeniert. Er ist ein traditioneller spanischer Tanz. Die Szene zeichnet sich durch ihre leidenschaftliche und rhythmische Dynamik aus, die die spanische Atmosphäre perfekt einfängt. Nurejew gelang es, den Fandango so zu gestalten, dass er die tänzerischen Fähigkeiten des Ensembles herausstellt und gleichzeitig eine intensive expressive Wirkung erzielt. EP

Für Espada hat Nurejew den Bewegungsstil eines Toreros in sein Ballett integriert und viele Schritte, die exakt auf die Musik getanzt werden müssen, hinzugefügt. Für mich ist aber vor allem die Interpretation der Rolle, die mir sehr viel Spaß macht, interessant. Man muss verstehen, welchen Charakter man spielt. Welche Rolle spielt Nurejew für euer Künstlertum und eure Karriere als Tänzer*innen? VC

Mit seiner bis heute für das Ballet de l’Opéra de Paris so großen geistigen Präsenz hat er unser künstlerisches Leben tiefgreifend beeinflusst. Seine Hingabe an sein Handwerk, sein unermüdliches Streben nach Spitzenleistungen und seine Fähigkeit, durch den Tanz starke Emotionen zu vermitteln, sind eine unglaubliche Quelle der Inspiration. MM

Nurejews Vermächtnis beeinflusst auch weiterhin unsere Herangehensweise an den Tanz und treibt uns an, sowohl nach technischer Meisterschaft als auch nach tiefem emotionalen Ausdruck zu streben. AV

Ohne ihn würde das Ballett heute anders aussehen. Ich erinnere mich, dass ich ein Buch über Nurejew gelesen habe, als ich etwa zwölf Jahre alt war. Ich war erstaunt über das, was die Menschen über ihn schrieben und über die Dinge, die er durch das, was er liebte, das Tanzen, erreichte. Ich ahnte nicht, dass ich einmal seine Choreographien auf jener Bühne tanzen würde, auf der er selbst aufgetreten ist.

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KP

Nurejew hat für mein tänzerisches Leben und meine Karriere eine sehr große Bedeutung. Seine Choreographien fordern mich technisch und künstlerisch heraus, was mir geholfen hat, mich als Tänzerin weiterzuentwickeln und meine Fähigkeiten auf allen Ebenen zu verfeinern. Nurejews ausdrucksvolle Inszenierungen inspirieren mich dazu, neue Formen der Darstellung zu erkunden und tiefer in die Rollen einzutauchen. Das Studium seiner Werke hat mir nicht nur geholfen, meine technische Genauigkeit zu verbessern, sondern auch meine Möglichkeiten zu erweitern, Emotionen und Geschichten durch Tanz zu vermitteln. IA

Auch für mich ist Nurejew ein großes Vorbild und das Tanzen seiner Werke wie Don Quixote, Schwanensee, Raymonda und Der Nussknacker hat mir die Chance gegeben, meine technischen und dramatischen Talente zu vertiefen, zu präsentieren und mein Repertoire auszudehnen. Sein eigener Ansatz in der Choreographie fördert meine intellektuelle Neugier und ermutigt mich zur kreativen Erforschung der Kunstform. Was sind die Herausforderungen beim Tanzen seiner Choreographien? MK

Er hat alle Stücke so viel schwieriger gemacht als die traditionellen Versionen. Das ist immer eine Herausforderung, an der wir wachsen und uns verbessern können. AV

Technisch gesprochen, gibt es viele, aber für mich persönlich wäre es die schnelle Fußarbeit und die Fähigkeit, alle Schritte sowohl auf der rechten als auch auf der auf linken Seite auszuführen wie zum Beispiel Pirouetten und Doubletour en l’air. EP

Mit Nurejew persönlich habe ich nicht gearbeitet, aber mit Michael Birkmeyer, für den Nurejew eine Art Mentor war. Birkmeyer war Direktor der Wiener Ballettakademie, als ich dort studierte. Auch mit anderen Tänzer*innen aus Nurejews Zeiten wie Karl Musil, Susanne Kirnbauer oder Brigitte Stadler war ich im Kontakt. Sie haben immer davon erzählt, wie genau und präzise Nurejew war. Außerdem wollte er alles sehr schnell getanzt haben im Gegensatz zur russischen Schule, wo der Tanz eher langsam gestaltet wird. Dynamik bei gleichzeitiger Präzision in der technischen Ausführung sind also zwei der großen Herausforderungen, wenn ich seine Choreographien tanze. KP

Es gibt viele komplizierte Sprünge, schnelle Drehungen und energiegeladene Bewegungen, die jeweils akkurat ausgeführt werden müssen. Aber nicht nur die Präzision und Dynamik, sondern auch eine sehr gute Ausdauer ist wichtig, um Nurejews Choreographien tanzen zu können.

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IA

Wegen dieser technischen Komplexität und der Forderung nach überzeugender Verkörperung von Emotionen und der Persönlichkeit der Figuren müssen sich die Tänzer*innen auf lange, konditionell anstrengende Proben einstellen. Seine Pas de deux und Ensembles beinhalten oft komplizierte Partnertechniken, die Koordination, Vertrauen, Kraft, Timing und hervorragende Kommunikation zwischen den Tänzer*innen erfordern. Außerdem verlangen seine Choreographien nach einem ausgeprägten musikalischen Feingefühl. Man muss komplexe Rhythmen und Phrasierungen interpretieren, um die von Nurejew gewünschte dramatische Wirkung zu erzielen. Um es zusammenzufassen: Es geht bei seinen Werken nicht nur um außergewöhnliches Können und Training, sondern auch um ein tiefes Verständnis für die künstlerische und expressive Dimension des Tanzes. Welche Bedeutung hat Nurejew für die Pariser Oper und ihre Ballettcompagnie? MM

Nurejew nimmt in der Geschichte der Pariser Oper und unserem Ensemble einen besonderen Platz ein. Seine Amtszeit als künstlerischer Leiter hat das Ensemble verändert und ihm ein neues Niveau an künstlerischer Exzellenz und internationaler Anerkennung gebracht. VC

Nurejews Choreographien und seine Betonung des dramatischen Erzählens sind zu einem wesentlichen Bestandteil der Identität des Ensembles geworden. Wie sieht es in Wien aus? MK

In Wien kennt auch heute fast jede*r seinen Namen, auch Menschen, die nicht wirklich etwas mit Ballett zu tun haben. Deshalb ist es so besonders, ein Nurejew-Ballett oder die Gala zu tanzen. Ich denke allerdings nicht zu viel darüber nach, welche Erwartungen das Publikum haben könnte, da ich mich ganz auf das Tanzen und die Erfüllung von Nurejews Forderungen auf der Bühne konzentrieren möchte. IA

Nurejews Ruhm und Engagement haben die künstlerischen und technischen Standards an der Wiener Staatsoper und die Gesamtqualität der Aufführungen verbessert. Nurejews Vermächtnis wirkt in Wien weiter und inspiriert uns immer noch und so wird es bestimmt auch künftigen Generationen von Tänzer*innen gehen. KP

Das Publikum ist bis heute von seinen Werken begeistert.

EP

Was Nurejew für die Staatsoper erreicht hat, ist eine große Bereicherung für diese Institution.

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Als Ballettdirektor in Paris programmierte Nurejew nicht nur die großen traditionsreichen Klassiker, sondern auch Werke moderner Choreograph*innen wie Karole Armitage, Caroline Carlson, Lucinda Childs, Merce Cunningham, William Forsythe, Jiří Kylián, John Neumeier oder Twyla Tharp. Als Tänzer war er stets auch daran interessiert, den eigenen Horizont zu erweitern und tanzte in Werken von u.a. Maurice Béjart, Flemming Flindt, Hans van Manen, Paul Taylor oder Glen Tetley. Wie wichtig ist das zeitgenössische Repertoire für euch? EP

Das Klassische ist stets die Basis und von immenser Wichtigkeit, aber von dieser kann man in andere und verschiedene Richtungen schauen. Man muss mit der Zeit weitergehen, neues lernen und erfahren. Das Zeitgenössische hat einen wichtigen Anteil an der eigenen Weiterentwicklung als Künstler. Für mich ist die Danse d’école die Tradition, die es lebendig zu bewahren gilt. Man sollte allerdings aufpassen, dass man nicht in dieser steckenbleibt, sondern nach vorne schaut und alles ausprobiert. Wenn ich verschiedene Stile tanze, dann bekomme ich auch stets andere und neue Inspirationen für die unterschiedlichen Tanzsprachen. Sie helfen sich sozusagen gegenseitig. So kann das Klassische Ballett von modernen Einflüssen profitieren und umgekehrt – für Nurejew eine Selbstverständlichkeit. Er kam aus dem Klassischen und auch seine Choreographien waren klassisch angelegt, aber vielleicht hat er durch die Auseinandersetzung mit anderen Stilen seine so individuelle und spezielle Ausdrucksform im Klassischen gefunden. VC

Das Tanzen von Stücken zeitgenössischer Choreograph*innen ist für unsere künstlerische Entwicklung entscheidend. Es fordert uns heraus, uns an verschiedene Stile anzupassen und unsere technischen und expressiven Grenzen zu erweitern. Das Aufführen eines so vielfältigen Repertoires, wie wir es in Paris tun, ermöglicht uns, neue Ausdrucksformen zu erkunden und mit der sich entwickelnden Tanzlandschaft in Verbindung zu bleiben.

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ramifications Eine Tänzerin schreibt ihre Bewegungen in den leeren Raum, erschafft eine Architektur der Linien und Kurven, Zwischenräume, imaginäre Räume. Ihr Körper wächst weit über seine eigentliche Größe hinaus, wirkt gestreckt, wie verlängert – und dann auch wieder ganz klein. Seine Grenze ist aus der Innenperspektive unbestimmbar. Niemand kann sie ihm vorschreiben. Die Bewegung erscheint total gebändigt und offenbart doch zugleich ein Maximum an Energie, das jederzeit ausbrechen, ja »explodieren« könnte. In höchster technischer Anforderung, die sich für den Betrachter in eine paradoxe Leichtigkeit transformiert, erforscht Martin Schläpfer in einer Spannungskurve aus Werden und Vergehen in Ramifications Bewegung und Raum zwischen gegensätzlichen Polen: klar und vage, stehend und bewegend, leer und voll, flach und tief, beschränkt und weit, hart und weich, groß und klein, dunkel und hell, dicht und durchlässig, oben und unten. Bekanntes erscheint als Fremdes, Entfremdetes. Und umgekehrt. Tänzerin und Musik suchen einander und brechen gegeneinander aus. Der Körper wirkt wie eine lebende Skulptur, aber nicht als Abbild von etwas Perfektem, Schönem, Klassischem, sondern eher wie eine Frage, Ausdruck einer Sehnsucht nach anderen Zuständen. In einer Zeit, in der die Tanzbühne von einer kaum mehr überschaubaren Vielzahl an Stilen und Entwicklungen geprägt wird, zeigt Martin Schläpfer mit seinem Solo Ramifications auf György Ligetis (1923–2006) gleichnamige Komposition auf hochkonzentrierte Weise, dass auch für das heutige Choreographieren das Vokabular des akademischen Balletts von großer Inspirationskraft sein kann. Bis heute ist es die Basis seines Tanzverständnisses und seiner Körperarbeit. Als zeitgenössischer Künstler unterzieht er es allerdings neuen Belastungsproben, betrachtet sein »Gewebe« wie unter einem Vergrößerungsglas und gewinnt aus dem zwischen tradiertem Ideal und gegenwärtigem Blick sich auftuenden Riss Energien, in denen das Vertraute unvertraut erscheint. Im Fall von Ramifications berührt sich diese Arbeitsweise aufs Engste mit der Kompositionsweise Ligetis, die dieser selbst mit den Worten umschrieb: »Mit Lauten einer toten Sprache wird eine neue Sprache gesprochen.« Im Gegensatz zu anderen Hauptrichtungen der musikalischen Nachkriegs-Avantgarde, die meist eine maximale Klarheit der Strukturen anstrebten, beschäftigte sich Ligeti intensiv mit der Erforschung des »Unreinen« der Materie: mit der inneren Vernetzung und den Verästelungen eines Klangs, der sich in der Zeit ausbreitet. Seine 1968/69 komponierten Ramifications beschrieb er als »Endpunkt« seiner musikalischen Erforschungen »der Entwicklung von ›Dicht und Statisch‹ zu ›Durchbrochen und Beweglich‹«. Der Titel – auf Deutsch »Verästelungen« – weist auf die das Stück prägende polyphone Technik der Stimmführung hin, die »in einem Knäuel zusammengebundener Einzelstimmen sich divergent bewegen lässt«, wie

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GYÖRGY LIGETI

»Ramifications ist – wie das Pulver auf den Schmetterlingsflügeln. Es ist ein Nichts. Wenn ich komponiere, denke ich nicht in ästhetischen Kategorien. Ich denke in Kategorien von Form, Konsistenz, Farbe und Licht, in Klang, der gleichzeitig Farbe und Licht ist. Ich will eine schmutzige Musik, eine irisierende Musik.«

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»Lianen, die in rotierende Räderwerke hineinwachsen«, so der Komponist. Hinzu kommt eine hyperchromatische harmonische Grundidee: Das Instrumentalensemble – wahlweise zwölf Solostreicher oder Streichorchester – ist in zwei Gruppen mit unterschiedlicher Grundstimmung (a’=453 Hz und a’=440 Hz, also einer Differenz von etwas mehr als einem Viertelton), aufgeteilt. Ligeti schrieb hierzu: »Durch von selbst sich einstellende Unterschiede beim Greifen der Saiten entsteht eine Tonhöhenfluktuation, sodass man nie exakt Vierteltonabstände hört. Viertelton-Cluster treten nur annäherungsweise an einigen dichten Stellen auf; eine ganz neue Art von ›unsicherer‹ Harmonik erscheint hier, als ob die Harmonien ›verdorben‹ wären. Sie haben einen ›goût faisandé‹.« Der sich annähernd gleichende Tonvorrat und die Stimmführung der beiden Streichergruppen sind derart minuziös gegeneinander verschoben, dass Tonhöhenprofile und rhythmische Figuren unscharf und die gesamte Komposition so in eine einheitliche Atmosphäre klanglicher Verschwommenheit getaucht erscheint – ähnlich, so die Musikwissenschaftlerin Monika Lichtenfeld, den »Konturen eines leicht verrutschten Mehrfarbdrucks«.

MARTIN SCHLÄPFER

»Ramifications ist ein skulpturales, nicht zu fassendes Solo, das überall ist: innen wie außen.« Für Martin Schläpfer wurde Ligetis Schaffen bereits mehrfach zu einer wichtigen Quelle der Inspiration: Nach seinem 2003 zur gleichnamigen Komposition entstandenen Ballett Musica ricercata für das ballettmainz, folgte 2005 für die Tänzerin Marlúcia do Amaral das Solo Ramifications, das längst zum Repertoire weiterer Interpretinnen zählt. 2009 erlebte dann der Pas de six Lontano seine Uraufführung mit Het Nationale Ballet im Amsterdamer Muziektheater. »Für mich war das Thema und die Herausforderung eine Frage von: ›Wie kann ich die Atmosphäre dieser Komposition in Besitz nehmen und wie komme ich an die Essenz heran, ohne der Musik Note für Note zu folgen?‹«, beschrieb Martin Schläpfer seine Fragestellung in der Auseinandersetzung mit Ligetis Musik, deren Welten, Formen, Strukturen und Emotionen er in einem Prozess der hörenden und physisch spürenden Anverwandlung mit einer Gegenwelt beantwortet. Die Tanzwissenschaftlerin Stephanie Schroedter prägte für diese Vorgehensweise den Begriff der »kinästhetischen Hörpoetik«, mit der Musik »in ihrer ungreifbaren Physis sehr unmittelbar physisch erspürt wird, um sie dann künstlerisch ausdifferenziert körperlich umsetzen zu können, mehr noch: um sie fernab schlichter Visualisierungen musikalischer Strukturen feinnervig zu verkörpern (wofür die Kenntnis der musikalischen Strukturen zweifellos eine Voraussetzung ist).«

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Ramifications Sonia Dvořák


Four Schumann Pieces Ensemble



Four Schumann Pieces Davide Dato


Hyo-Jung Kang, Davide Dato


four schumann pieces Sein Stil ist unverkennbar und einzigartig. Und doch ist sein Schaffen so unerschöpflich, dass man bei jedem Werk wieder staunend davorsteht, um diesem äußerst kreativen Kopf dabei zu folgen, wie er uns in seiner einmal gefundenen Bewegungssprache in immer neuen Variationen vor Augen führt, was die Grundelemente menschlicher Begegnungen sein können. Im Juli 2024 feiert Hans van Manen seinen 92. Geburtstag. Seine bisher letzten Werke entstanden 2014: Im April des Jahres für Het Nationale Ballet die Dances with Harp (2019 zu Dances with Piano »uminstrumentiert«), im Oktober 2014 in Düsseldorf uraufgeführt für Martin Schläpfer als Tänzer Alltag. Das Lebenswerk, das sich vor uns ausbreitet, besteht fast nur aus Meisterstücken und zeigt einen Choreographen, der als einer der wenigen der Gegenwart – dem Codex des klassischen Balletts durchaus vergleichbar und aus der Verschmelzung von Neoklassik, Modern Dance und der natürlichen Gestik des Alltags gewonnen – sich in konsequenter Klarheit ein System aus Bewegungsformen geschaffen hat, die, Vokabeln gleich, seine Tanzsprache bilden: die fragend, vorwurfsvoll oder aufgebracht in die Luft geworfenen Arme, die gespreizten Hände, angewinkelten und angespannten Glieder, die so typischen Balancen und OffBalancen, tiefen Pliés, den Raum durchschneidenden geometrischen Bewegungslinien und charakteristischen Blicke – an ihnen lässt sich jedes Werk Hans van Manens sofort identifizieren. Mit Four Schumann Pieces kann das Wiener Staatsballett – seit seiner Premiere am 4. Juni 2022 im Rahmen des Programms Kontrapunkte in der Volksoper Wien – ein Werk zu seinem Repertoire zählen, das eher selten zu sehen ist, obwohl es in die Reihe der »großen klassischen Arbeiten« gehört, wie Jochen Schmidt die in den 1970er Jahren entstandene Serie mehrerer Ballette bezeichnete, die sich durch eine für Hans van Manen bis dahin ungewöhnliche Musikwahl auszeichnet. Hatte er sich zuvor so gut wie nie mit Komponisten jenseits der klassischen Moderne des 20. Jahrhunderts beschäftigt, so fällt ein besonderes Interesse an Musik der Wiener Klassik und Romantik in diese Jahre: 1971 und 1973 entstehen die beiden bahnbrechenden Ballette Große Fuge und Adagio Hammerklavier zu Ludwig van Beethovens Großer Fuge op. 133, der Cavatina aus dem

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Streichquartett op. 130 sowie dem Adagio aus der Hammerklaviersonate op. 106, 1974 choreographiert Hans van Manen in Quintett zu Musik Wolfgang Amadeus Mozarts, 1975 folgen die Four Schumann Pieces zu Robert Schumanns Streichquartett op. 41 Nr. 3, 1977 bilden Felix Mendelssohn Bartholdys Oktett op. 20 sowie eine Auswahl aus den Liedern ohne Worte des Komponisten die Basis für die beide gleichnamigen Ballette. Vermehrt kommt in dieser Zeit aber auch der Spitzenschuh zum Einsatz, was mit Hans van Manens Wechsel von Den Haag nach Amsterdam zusammenhängt: Nach starken Differenzen in der Führung des Nederlands Dans Theaters, dessen Entwicklung Hans van Manen nicht nur maßgeblich mitgeprägt, sondern das ihm auch einen reichen künstlerischen Nährboden für seine eigenen Werke geboten hatte, war er nach einer zweijährigen Zeit der Suche und Neuorientierung 1973 als Hauschoreograph zu Het Nationale Ballet gewechselt, wo ihm nun eine starke klassische Compagnie als Partner zur Verfügung stand. Zu den wenigen Werken, die Hans van Manen nicht für eines dieser beiden niederländischen Ensembles schuf – ans NDT kehrte er bald schon als Choreograph auch wieder zurück –, zählen die am 31. Jänner 1975 im Royal Opera House Covent Garden uraufgeführten Four Schumann Pieces. Sie sind nicht nur seine erste und einzige originale Arbeit für das Londoner Royal Ballet, sondern ein Stück, in dem Hans van Manen den Fokus ganz auf den herausragenden Principal Dancer der Compagnie Anthony Dowell richtete und aus dieser dramaturgischen Setzung heraus eine Choreographie in vier Bildern entwickelte – vier Nachtstücke, die man überschreiben könnte mit: »Ich und die Welt«, »Träume und Fantasien«, »Begegnungen«, »Finale dansante«. Anthony Dowell tanzte die ihm auf den Leib geschriebene Choreographie über acht Jahre lang mit dem Royal Ballet. Dass es sich bei Hans van Manens Werk um eine herausragende Arbeit für einen männlichen Tänzer handelt, erkannte schnell aber auch ein anderer: Rudolf Nurejew. Bereits ein Jahr nach der Londoner Uraufführung begeisterte er als Solist der Four Schumann Pieces auf einem Gastspiel des National Ballet of Canada das New Yorker Publikum in der Metropolitan Opera, war in dieser Rolle auch mit Het Nationale Ballet in New York zu erleben und im November 1982 beim Royal Ballet London. Neben Anthony Dowell und Rudolf Nurejew machten sich weitere Solisten die Hauptrolle schon bald zu eigen, darunter Han Ebbelaar, Wayne Eagling, Matthew Golding, Boris de Leeuw – sowie beim Wiener Staatsballett Davide Dato und Masayu Kimoto. »Jede Einstudierung war anders«, verriet Hans van Manen während seiner Proben in Wien – »nicht nur wegen der verschiedenen Persönlichkeiten der Tänzer. Eine Rolle wie diese kann, nein muss sich mit der Zeit verändern.« Wenn der Vorhang sich hebt, steht der Solist in einem hellen Lichtkegel alleine auf der Bühne. Er ist ganz in seiner eigenen Welt und wenn ihn auch die nach und nach im Hintergrund an ihm vorbeiziehenden Paare aus fünf Männern und Frauen bald schon dazu animieren, nicht nur in den Tanz einzusteigen, sondern diesen anzuführen, gibt es zwischen ihm und den anderen während des gesamten ersten Satzes doch keine direkte Berührung: Im ebenso raffinierten wie schlichten Übereinanderschieben von Unisono-Sequenzen zeigt sich Hans van Manens Meisterschaft im Bauen von Übergängen, doch weder ein Blick- noch ein Körperkontakt, selbst dann nicht, wenn sich der 27

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Solist am Ende des ersten Satzes unter die Gruppe mischt, verbindet die beiden Welten. Mehrfach wurde die erste Szene als Bild eines romantischen Künstlers – vielleicht des Komponisten Robert Schumann – und seiner Imaginationen gedeutet. In der selbstbewussten Kraft und Körperspannung, die den Solisten erfüllt, und der Art und Weise wie Hans van Manen sein unverwechselbares Bewegungsidiom der klassischen Tanztechnik, deren Formen und der mit ihr verbundenen Virtuosität anvermählt, lässt aber viel eher an einen nächtlichen Tanz jenes Gottes Apoll denken, der George Balanchine, den Hans van Manen immer wieder als Vorbild benannte, zu seinem ersten neoklassischen Meisterwerk inspiriert hatte. Ein solcher lässt aber die Imaginationen, die er rief, nicht so schnell wieder ziehen, sondern holt die fünf Paare mit der Kraft eines herausfordernden Blickes auf die leere Bühne zurück, schickt die Männer weg und versammelt die Frauen in einer schlichten fünften Position, bevor sie mit einem Tanz beginnen, der – zum eigentümlich gespenstisch-fahlen Beginn des zweiten Satzes mit seinen punktierten Rhythmen und die metrischen Schwerpunkte verschleiernden Synkopen – um Aufmerksamkeit werbend mit tiefen Pliés, fordernd ausgestreckten Armen und in die Hüften gestemmten Händen anhebt. Kurz gesellt der Solotänzer sich zu den Frauen, doch dann geschieht etwas Ungewöhnliches: Erschöpft stürzt er aus der Gruppe heraus und am linken Bühnenrand auf den Boden, um dort für den gesamten weiteren Verlauf des zweiten Stückes wie ein Faun im Mondlicht träumend liegen zu bleiben und zu den Variationen der Musik immer neue Variationen aus fließenden Pas de deux und schwingenden Ensembles zu beschwören, denen er erst am Ende, sich wieder aufrichtend, zuzuschauen beginnt und sich schließlich wieder involviert mit einem weiteren formalen Coup als Übergang in das dritte Schumann-Stück: Nach und nach löst sich die Gruppe auf, indem die Männer die Frauen mit einer sanften Hebung von der Bühne tragen, doch ein Paar bleibt übrig und von einem weiteren die Tänzerin, sodass sich erstmals im Verlauf der Choreographie eine symmetrische Konstellation aus zwei Frauen und zwei Männern ergibt, die allerdings nicht zu Harmonie, sondern zu einem raffinierten Wechselspiel führt. In einem schlichten Pas de deux mit der Tänzerin, deren Partner ebenfalls auf der Bühne geblieben ist, kommt es nun zu einer ersten direkten Begegnung, die von der zweiten Tänzerin abgelöst wird, nachdem der Solist diese wie Apoll seine Musen zu sich hergezogen hat. Was dann folgt ist einer der für Hans van Manen so typischen Tänze von Mann und Frau auf Augenhöhe, voller Erotik, hart, sexy und modern und von einer Spannung, in die Begehren und Zurückweisung zugleich eingeschrieben sind. Sie endet im Abgang der Tänzerin, ebenso wie ein weiterer Pas de deux, der den zunächst gesponnenen Faden aufgreift, von dem immer noch auf der Bühne anwesenden Mann aber durch eine Intervention beendet wird. Dies schafft Raum für einen der großen, von der Gleichberechtigung im Tanz und der Freiheit in der Paarung der Geschlechter ausgehenden Pas de deux zwischen zwei Männern. Doch keine dieser drei Beziehungen ist von Dauer – auch sie waren vielleicht nur die Fantasien eines alleine Zurückbleibenden, vom Tanz geradezu Besessenen, der nun im vierten Schumann Piece ein Finale beschwört, das sich en miniature mit den großen Divertissements der klassischen Ballette messen kann: Hierarchisch gestuft in eine

FOUR SCHUMANN PIECES

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Gruppe aus drei Paaren, die zwei Paare und den Solisten entfaltet sich ein purer Tanz, der sich mit immer höherem Tempo in eine atemberaubende Virtuosität steigert, für die der Solist am Ende strahlend mit einem Kniefall und ausgebreiteten Armen den Applaus des Publikums entgegennimmt. Für ein Hans van Manen-Stück ist dies ein höchst ungewöhnlicher Schluss, eine Verbeugung vor dem klassischen Ballett, eine hinreißende Hommage aber auch an einen großen Solisten – erblüht aus der unbestimmten Nähe eines nächtlichen Raumes, hingegeben den Erinnerungen und Fantasien, Sehnsüchten und Träumen, erschüttert und mit neuem Bewusstsein gefüllt durch die Gegenwart. Die Verschränkung formaler Strenge mit dramatischem Ausdruck in einer stets auf einem »less is more« beruhenden Konzeption führt auch in den Four Schumann Pieces zu jener faszinierenden Spannung, welche die meisten Werke Hans van Manens prägt – Werke, die mit dem klaren Blick des genauen Beobachters und unbestechlichen Puristen keine konkreten Geschichten erzählen, aber Schlaglichter auf den Menschen und sein Leben werfen, mit jedem Blick, jeder Geste zu uns sprechend.

SJENG SCHEIJEN

»Sicher, es gibt in Hans van Manens Balletten immer Swing, Drive, schöne Formen, und jeder gut ausgebildete Balletttänzer kann sie reproduzieren. Aber überwältigt werden wir durch einen plötzlichen Blick des Verstehens, die Art, wie die Hände in einem komplexen Pas de deux auf einmal zueinander finden, eine Berührung, eine Gruppe von Tanzkörpern, die eine gemeinsame, sanft schwingende Bewegung evozieren, Augenblicke, in denen sich in der brillanten, kühlen Form ein Moment der Intimität öffnet.«

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FOUR SCHUMANN PIECES


Hans van Manen mit Rudolf Nurejew bei einer Probe zu Four Schumann Pieces


Four Schumann Pieces Rudolf Nurejew und Ensemble Het Nationale Ballet u.a. mit Alexandra Radius, Henny Jurriëns, Sonja Marchiolli, Wade Walthall (1976)


La Ventana Erik Bruhn, Cynthia Gregory, Rudolf Nurejew – American Ballet Theatre (1975)


Schwanensee Rudolf Nurejew (Prinz Siegfried), Margot Fonteyn (Odette) – Ballett der Wiener Staatsoper (1964)


OTTO BRUSATTI

»Man hört wieder und wieder hin. Hört hinein in seine Musik. Hört zu. Und ist abermals verblüfft. Die Stereotypie des streng vorgegebenen Taktmaßes gilt nicht mehr. Die vergleichsweise einfache, aber doch immer wieder eskapierende Harmonik lässt nie Gewöhnung, sondern immer nur Spannung aufkommen. Die Kritik (seit hundert Jahren liebgeworden und in die verqueren Bahnen des Sinnen-Impotenten sich versteigend) wird sowieso still. Strauß, Sohn – ein Phänomen.«

WIENER BLUT WALZER

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wiener blut walzer Sie erweisen uns Zuseher*innen voller Noblesse und Ernst ihre Reverenz, geben sich verliebt ein Rendezvous, lassen sich – auf ihren Partner voll vertrauend – fallen, werfen sich aber auch mit dem jugendlichen Überschwang wagemutiger Sprünge und Drehungen hinein in den Tanz, durchkreuzen die Lüfte oder werden wie ein Spielball hin- und hergeworfen. Sie tanzen zu zweit, in Trios, formieren sich zu Ensembles, wechseln die Partner, kreiseln im Reigen ... Für dreißig Tänzer*innen des Wiener Staatsballetts choreographierte Martin Schläpfer 2023 seinen Wiener Blut Walzer und brachte ihn in der Eröffnung des 65. Opernballs zur Uraufführung. Für die Nurejew-Gala 2024 hat der Wiener Ballettdirektor das Werk nun für die Bühne der Staatsoper adaptiert. Musikalische Basis ist ihm einer der berühmtesten Walzer von Johann Strauß (Sohn): Wiener Blut op. 354, am 22. April 1873 erstmals vom Orchester der Hofoper bei einem Ball anlässlich der Vermählung von Erzherzogin Gisela von Österreich mit dem Prinzen Leopold von Bayern im Wiener Musikverein aufgeführt – ein Walzer »voller Saft, voller Kraft, voller Glut«, wie es in einem der ihm bald schon unterlegten Texte heißt. Musik, von einer hintergründigen Herrlichkeit, die uns schon in der kunstvollen Einleitung schwindeln lässt mit ihren geradezu süchtig machenden Seufzern, die eigentlich Juchzer sind, denn alles an diesem Walzer ist eine geniale Gratwanderung zwischen Freud und Leid, dionysischem Taumel und apollinischer Schönheit, Wildheit und Eleganz. »Mich fasziniert sehr, wie diese Walzer das vielfältige Leben und dessen Kipplagen so intensiv mittragen und auskosten und wie sie es zu ihrer Entstehungszeit vermochten, das ›Lebensgefühl‹ einer ganzen Generation über alle Schichten hinweg zu spiegeln«, beschreibt Martin Schläpfer die Anziehungskraft, welche die Musik der Strauß-Dynastie auf ihn seit langem ausübt. In Kostümen der Designerin Susanne Bisovsky, die unter dem Motto »Wiener Chic« experimentelle Verschränkungen von Haute Couture und traditioneller Tracht kreiert, holen seine Tänzer*innen in weit in den Raum greifenden, die physischen Grenzen des Körpers in Überstreckungen überwindenden Bewegungen Schwung aus den Verzögerungen des Walzer-Taktes, ziehen den »Geist« dieses Tanzes quasi aus der Luft, die sie atmen, und vergewissern sich im Streichen über ihre Lebensadern oder im Fassen ans Herz ihrer Identität – als Menschen von heute, als Künstler*innen des Wiener Staatsballetts. 35

WIENER BLUT WALZER


Wiener Blut Walzer Giorgio Fourés, Arne Vandervelde, Victor Cagnin, Masayu Kimoto – Wiener Opernball (2023)


Marcos Menha, Olga Esina


Grand Pas Classique Valentine Colasante


grand pas classique Eine Hommage an das klassische Ballett aus dem Geiste Marius Petipas ist der Grand Pas Classique, den Victor Gsovsky 1949 für Yvette Chauviré schuf. Die Danseuse Étoile der Pariser Oper hatte gerade wegen vertraglicher Differenzen die berühmte Compagnie verlassen und brachte den Grand Pas Classique am 12. November 1949 mit Vladimir Skouratoff als Partner in einem Programm von Gsovskys Ballets des Champs-Élysées zur Uraufführung. Im Schaffen des 1902 in St. Petersburg geborenen, ab 1925 vor allem in Deutschland, Frankreich und England tätigen Gsovsky nimmt das auf Musik von Daniel François Esprit Auber choreographierte Werk eine Sonderstellung ein, widmete der zunächst von der Tanzavantgarde der 1920er Jahre inspirierte Gsovsky sich als Choreograph und Lehrer doch vor allem dem Fortschreiben der klassischen Tanztechnik – dies aber im Bewusstsein, dass eine Erneuerung von Tradition nur durch sehr genaue Kenntnis dieser möglich ist. Der Grand Pas Classique begeistert seit seiner Uraufführung das Publikum und zählt wegen seiner immensen technischen Anforderungen zu den schwierigsten Pas de deux im Ballettrepertoire des 20. Jahrhunderts. Die Eröffnung macht ein Adage, dessen Kernmotiv das Balancieren ist, umspielt mit Arabesques und Attitudes. Die Solo-Variation des Tänzers besteht aus Jetés en tournant, Battements und Pirouetten. Die Ballerina überquert in ihrer Variation die Bühne u.a. in einer Folge von Relevés sur pointes mit raffinierten Ausschmückungen durch verschiedene Positionen des Spielbeins. Beide Variationen zeigen ein gemäßigtes Tempo, was dem Tanz eine präzise Kontrolliertheit verleiht, die erst in der knappen Coda einer gelösten Virtuosität weicht. »Man muss alles im richtigen Moment, im richtigen Rhythmus, mit der richtigen Zartheit, mit dem kleinsten Detail in der Fußarbeit (...) ›platzieren‹«, erläuterte Yvette Chauviré und betonte zugleich, dass es Gsovsky in diesem Grand Pas nie um reine Virtuosität ging: »Alles ist in dieser Choreographie drin: die Weiblichkeit – kapriziös, sich ihrer Schönheit, ihrer Verführungskunst bewusst. (...) Die große Diagonale ... kurz gesagt, sie ist der Triumph der Weiblichkeit. Wenn man durch die Technik spürt, was man sein soll, dann ist man ein Tänzer. So sollte man tanzen. Wenn nicht, sind viele andere Pas de deux effektvoller. Wenn man dem Grand Pas Classique seinen wahren Charakter gibt, bleibt er unerreicht.« 39

GRAND PAS CLASSIQUE


pas de deux die kameliendame Mit seinem auf wahren Begebenheiten beruhenden Roman La dame aux camélias über die tragisch endende Liebe der Kurtisane Marguerite Gautier zu Ar­mand Duval schuf Alexandre Dumas d. J. 1848 ein Werk, das bis heute Künstler*innen verschiedener Genres inspiriert. Im Tanz ist es vor allem John Neumeiers Adaption, die 1978 mit dem Stuttgarter Ballett Premiere feierte und seither einen wichtigen Stellenwert im Ballettkanon einnimmt. Mit Die Kameliendame, seit der Premiere im März 2024 auch im Repertoire des Wiener Staatsballetts, ist dem Choreographen allerdings nicht nur eine der spannendsten und bemerkenswertesten Interpretationen der Geschichte gelungen, sondern vor allem eines der bedeutendsten Handlungsballette des 20. Jahrhunderts. Dumas’ d. J. Roman als Basis nehmend erzählt Neumeier die Geschichte vom Ende her und verweist so auf die fragmentarische Art des Rückblicks und die Perspektiven wechselnde Erzählweise des Romans. Zur Musik Frédéric Chopins besticht das Ballett neben jenen diversen Ebenen und »Theater im Theater«-Szenen vor allem durch die intensive Gestaltung der Figuren, die es vermögen, ihre Motivationen und Gefühle ganz mit den Mitteln des Tanzes und der Bewegung zu erzählen. Zu den Höhepunkten des Balletts zählen die drei Pas de deux, die die Entwicklung der Beziehung zwischen Marguerite Gautier und Armand Duval zum Ausdruck bringen: Das Duett im ersten Akt ist geprägt von Armands Leidenschaft und Hingabe für Marguerite. Diese fühlt sich zwar geschmeichelt, aber hält ihre eigenen Gefühle noch zurück. Der Pas de deux »auf dem Land« im zweiten Akt wird durch eine intensive Innigkeit und Zuneigung der beiden Liebenden charakterisiert, die darin begründet liegt, dass sich Marguerite öffentlich zu Armand bekennt und ihre Gefühle nun vollends zulässt. Auf diese kurze Zeitspanne des Glücks folgt der »Black« Pas de deux aus dem dritten Akt zu Chopins Ballade g-Moll op. 23. Nach ihrer Begegnung mit Armands Vater, Monsieur Duval, beschließt Marguerite, ihren Geliebten zu verlassen. Unwissend über die tatsächlichen Gründe demütigt

PAS DE DEUX DIE KAMELIENDAME

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Die Kameliendame Ketevan Papava (Marguerite Gautier), Timoor Afshar (Armand Duval)


Armand Marguerite, in dem er öffentlich einer anderen Kurtisane – Olympia – Avancen macht. In dem finalen Pas de deux kommen die beiden ein letztes Mal zusammen, bevor Marguerite einsam stirbt. Jede Bewegung, jede Faser der beiden Körper des Paares ist durchdrungen von Leidenschaft und Schmerz, Liebe und Verletzlichkeit. Expressive und technisch herausfordernde Hebungen entwickeln sich dabei aus Umarmungen und einem Nicht-Loslassen-Können. Durch seine anspruchsvolle Choreographie und die tiefgehenden Emotionen, die die Tänzer*innen fühlen und vermitteln müssen, zählt dieser Pas de deux zu den außergewöhnlichsten und aufwendigsten der jüngeren Ballettgeschichte.

JOHN NEUMEIER

»Marguerite ist eine sehr emanzipierte Frau. Sie weiß, wie sie ihr Leben führen will und bestimmt alles. Sie ist sich ihres Sterbens bewusst und arrangiert ihr Leben so, dass sie die Zeit, die sie noch hat, voll ausleben kann. Diese Frau kontrolliert ihre Emotionen rational. Das gelingt ihr allerdings nicht mehr, als sie von der Liebe überwältigt wird. Dass diese Liebe wahr ist, merkt man daran, dass Marguerite Armand verlässt. Insofern ist sie für mich eine starke Persönlichkeit.«

PAS DE DEUX DIE KAMELIENDAME

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KAI VON EIKELS

»Der Virtuose erfüllt nicht geltende Standards, ehe er sie überschreitet, sondern er geht von der Überschreitung, von einem primären Mehr aus, überspringt das Solide und kommt auch niemals darauf zurück. Es gibt keine Virtuosität ohne die Anwesenheit anderer, die sie bezeugen. Und ein Publikum kann Virtuosität nur dann bezeugen, indem es selbst in seinen Reaktionen ebenso exzessiv ist wie die Performance. Virtuosität bewahrheitet sich nie in einer stillen, bescheidenen, zurückhaltenden Achtung und Zustimmung. Sie erfährt Anerkennung als Virtuosität erst in der überschäumenden Begeisterung, braucht einen Applaus, der nicht enden will.«

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KOLUMNENTITEL


Dornröschen Hyo-Jung Kang (Prinzessin Aurora), Marcos Menha (Prinz Désiré)


pas de deux dornröschen Hundert Jahre sind vergangen, seit sich Aurora an der Spindel der Carabosse gestochen hat und in jenen tiefen Schlaf gefallen ist, aus dem sie nur ein Prinz erwecken kann, der ihr ewige Liebe schwört. Immer dichter ist die Rosenhecke um das Schloss gewachsen, undurchdringbare, ja tödliche Dornen für all jene, die nicht auserkoren sind, die Königstochter von ihrem Fluch zu erlösen. In ihren Träumen muss Aurora immer und immer wieder ihren Befreier imaginiert haben – ein Motiv, das sich durch viele Märchen und Sagen zieht. Endlich macht sich der Richtige auf den Weg: Prinz Désiré. Nach langem Irren durch viele Landschaften zeigt ihm eine Fee in einem tiefen Wald schließlich das Schloss, er durchschlägt die Hecke, findet die schlafende Schöne und weckt sie mit einem Kuss. Was danach passiert ist das Glück des vollständig erfüllten Augenblicks. Mit der Uraufführung im Oktober 2022 hat Martin Schläpfer dem Wiener Staatsballett eine eigene Version des Dornröschens geschenkt, basierend auf Piotr Iljitsch Tschaikowskis 1890 in St. Petersburg uraufgeführter Partitur und geschaffen aus der intensiven Auseinandersetzung mit der Essenz der legendären Choreographie Marius Petipas, um aus den Wurzeln dieser Tradition einen eigenen Weg zu gehen. Sehr viel mehr als eine Randnotiz des abendfüllenden Handlungsballetts ist der für Hyo-Jung Kang und Marcos Menha kreierte, für sich stehende Pas de deux von Aurora und Prinz Désiré, von Martin Schläpfer choreographiert auf die Tschaikowskis zweiten Akt beschließende Entreacte-Musik mit ihrem grandiosen lyrischen Violinsolo. Zwei Menschen begegnen sich, umkreisen sich. Wie zwei scheue, verletzliche Tiere nähern sie sich behutsam an. In ihren Blicken, in ihren Bewegungen liegt eine Verwunderung, ein Staunen, das die Welt still stehen lässt. Sie versuchen einander zu fassen, müssen das vollständige Vertrauen aber erst noch gewinnen – eine Prinzessin aus einem vergangenen Jahrhundert und ein Prinzen von Heute. Vergangenheit und Gegenwart durchdringen sich in der Choreographie auf einzigartige Weise: Reminiszenzen an die Ballettwelten Marius Petipas, Echos aus einer längst nicht mehr existenten Zeit erfüllt mit jener für die Tanzkunst Martin Schläpfers so typischen psychologischen Feinheit, Raffinesse und Tiefe. Eine wundersame Begegnung zweier Geschöpfe, Mann und Frau, der das Wissen, dass alles Glück letztlich endlich ist, ihre melancholisch vibrierende Menschlichkeit verleiht. 45

PAS DE DEUX DORNRÖSCHEN


finale études Dass das Ballett sich und seine Grundlagen selbst reflektiert und darin zur Choreographie wird – dafür finden sich in der Geschichte des Tanzes eine ganze Reihe herausragender Beispiele. Bereits August Bournonville hatte 1849 in seinem Ballett Konservatoriet (Konservatorium) eine Ballettclass, wie er sie während seines Paris-Aufenthaltes in den 1820er Jahren bei Auguste Vestris besucht hatte, nachgestellt. Es wird aber auch berichtet, dass es ein in ein Tanzstudio einfallendes Sonnenlicht gewesen sein soll, das George Balanchine zu jenem magischen Beginn seiner 1934 für die Studierenden der neu gegründeten School of American Ballet kreierten Serenade inspiriert haben soll, die gerade die Erste Position eingenommen hatten, als sie intuitiv die Augen mit einer Hand gegen das grelle Licht abschirmten. Die Beobachtung des Tänzers Edward Villella, der – vom nachmittäglichen Licht umspielt – seine Dehnübungen an der Stange mit einer wohl animalischen Kraft verübte, soll 1953 Jerome Robbins zu seinem Afternoon of a Faun angeregt haben: Ein Miniaturballett, in dem sich eine Beziehung zwischen einer Tänzerin und einem Tänzer im schlichten Setting eines Ballettstudios entspinnt und Robbins damit nicht zuletzt der Gefahr, mit Vaclav Nijinskys bahnbrechender Choreographie zu Debussys gleichnamiger Komposition verglichen zu werden, auf raffinierte Weise auswich. In einem Ballettsaal spielt auch die 1964 in Paris uraufgeführte The Private Lesson des Dänen Flemming Flindt – eine Übertragung von Eugène Ionescos düsterem Einakter La Leçon ins Ballettmilieu, in welchem eine Unterrichtsstunde zwischen einem Lehrer und einer Schülerin in Machtmissbrauch und Unterwerfungsfantasien eskaliert und schließlich im Mord an der Schülerin endet. Und auch der Direktor des Wiener Staatsballetts Martin Schläpfer ließ sich in einer seiner großen Arbeiten – dem 2013 für das Ballett am Rhein kreierten, 80-minütigen Nacht umstellt – auf Tänze Franz Schuberts zu einem akademisch strengen Prolog inspirieren, der, so der Choreograph, »gespickt ist mit technisch sehr schwierigen Elementen aus der Class, die eigentlich keiner auf der Bühne zeigen möchte: total ausgestellt und völlig unspektakulär«. Durch die Verkehrung von Virtuosität ins Innere wird das Übungsmaterial zur Basis eines Psychogramms von drei Menschen, deren Gang in drei verschiedene Richtungen hinein in die Nacht zum Auslöser des eigentlichen Balletts wird.

FINALE ÉTUDES

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Das Ideal eines klassischen Trainings inspirierte auch den Dänen Harald Lander, der in Choreographien wie Football zu Musik von Francis Poulenc (1933), Die Sieben Todsünden zur Musik von Kurt Weill (1936) oder der von grönländischer Folklore inspirierten Quarrtsiluni (1942) eine ganz andere, zeitgenössische Handschrift zeigte, 1948 zu seinem Ballett Études. Als Ballettdirektor des Königlich Dänischen Balletts hatte sich Lander nicht nur in der weiteren Pflege des Bournonville-Œuvres, sondern auch der Erneuerung des Repertoires ab 1932 einen Namen gemacht. Künstlerisch war es ihm gelungen, die traditionsreiche Compagnie wieder in die erste Reihe zu bringen – nicht zuletzt durch eine ganze Riege herausragender Solist*innen. Das Erreichte in einer tänzerisch höchst anspruchsvollen Choreographie zu präsentieren, war die Idee seiner Études, denen auch musikalisch Übungen zugrunde liegen. Der Däne Knudåge Riisager, der als Schüler Albert Roussels sowie der Pariser Komponistenvereinigung Groupe de Six und Igor Strawinski nahe stehend vom französischen Neoklassizismus der 1920er Jahre beeinflusst war, fertigte ein eigenes Orchester-Arrangement von Klavieretüden Carl Czernys im Auftrag Landers an. Die Choreographie, ihren Anfang nehmend mit Übungen an der Stange, öffnet sich mit immer weiteren Steigerungen zunächst zum Centre Work mit Battements, Ronds de jambe und Port de bras. Es folgt das Adage, ein Abschnitt mit u.a. Pirouetten, Relevés, Hebungen, Développés, Fouettés und Entrechats sowie nach einem Pas de Mazourka schließlich das Allegro-Finale, das in der heutigen Gala zu sehen ist, mit reichen Variationen an Sprüngen. Und wie in der klassischen Trainingsordnung schließt auch Lander sein Stück mit der Révérence. Über die dem Trainingsaufbau abgeschaute Dramaturgie hinaus zeigen die Études aber noch eine weitere, tanzhistorische Dimension, wie Erik Aschengreen schreibt: »Von den Positionen, die Pierre Beauchamp, der Ballettlehrer König Ludwigs XIV., festgeschrieben hat, über das romantische Ballett bis zu dem italienisch-russischen Stil, der sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts in Petersburg entwickelte.« Lander überarbeitete seine erste Version des Balletts mehrfach, zuletzt für eine Einstudierung in Paris. Von seinem Œuvre ist es vor allem dieses Werk, das sich bis heute im Repertoire zahlreicher Compagnien erhalten hat.

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FINALE ÉTUDES



ensemble & biographien


tänzerinnen & tänzer

Ioanna Avraam Erste Solotänzerin

Davide Dato Erster Solotänzer

Olga Esina Erste Solotänzerin

Kiyoka Hashimoto Erste Solotänzerin

Hyo-Jung Kang Erste Solotänzerin

Masayu Kimoto Erster Solotänzer

Liudmila Konovalova Erste Solotänzerin

Marcos Menha Erster Solotänzer

Ketevan Papava Erste Solotänzerin

Alexey Popov Erster Solotänzer

ENSEMBLE

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Brendan Saye Erster Solotänzer

Claudine Schoch Erste Solotänzerin

Yuko Kato Senior Artist

Timoor Afshar* Solotänzer

Elena Bottaro Solotänzerin

Sonia Dvořák Solotänzerin

Alice Firenze Solotänzerin

Rebecca Horner Solotänzerin

Aleksandra Liashenko Solotänzerin

Eno Peci Solotänzer

Arne Vandervelde Solotänzer

Daniel Vizcayo Solotänzer

Géraud Wielick Solotänzer

Rashaen Arts Halbsolist

Natalya Butchko Halbsolistin

Jackson Carroll Halbsolist

Iliana Chivarova Halbsolistin

Calogero Failla Halbsolist

Lourenço Ferreira Halbsolist

Giorgio Fourés Halbsolist

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ENSEMBLE


Gaia Fredianelli Halbsolistin

Sveva Gargiulo Halbsolistin

Alexandra Inculet Halbsolistin

Gala Jovanovic Halbsolistin

Helen Clare Kinney Halbsolistin

François-Eloi Lavignac Halbsolist

Eszter Ledán Halbsolistin

Anita Manolova Halbsolistin

Tomoaki Nakanome Halbsolist

Duccio Tariello Halbsolist

Andrey Teterin Halbsolist

Zsolt Török Halbsolist

Benjamin Alexander Corps de ballet Staatsoper

Alisha Brach Corps de ballet Staatsoper

Marie Breuilles Corps de ballet Staatsoper

Victor Cagnin Corps de ballet Staatsoper

Laura Cislaghi Corps de ballet Staatsoper

Vanessza Csonka Corps de ballet Staatsoper

Giovanni Cusin Corps de ballet Staatsoper

Andrés Garcia Torres Corps de ballet Staatsoper

ENSEMBLE

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Javier González Cabrera Corps de ballet Staatsoper

Adi Hanan Corps de ballet Staatsoper

Trevor Hayden Corps de ballet Staatsoper

Isabella Knights Corps de ballet Staatsoper

Zsófia Laczkó Corps de ballet Staatsoper

Phoebe Liggins Corps de ballet Staatsoper

Gaspare Li Mandri Corps de ballet Staatsoper

Sinthia Liz Corps de ballet Staatsoper

Meghan Lynch Corps de ballet Staatsoper

Tatiana Mazniak Corps de ballet Staatsoper

Godwin Merano Corps de ballet Staatsoper

Katharina Miffek Corps de ballet Staatsoper

Igor Milos Corps de ballet Staatsoper

Kirill Monereo de la Sota Corps de ballet Staatsoper

Junnosuke Nakamura Corps de ballet Staatsoper

Laura Nistor Corps de ballet Staatsoper

Hanno Opperman Corps de ballet Staatsoper

Ella Persson Corps de ballet Staatsoper

Kristián Pokorný Corps de ballet Staatsoper

Nicola Rizzo Corps de ballet Staatsoper

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ENSEMBLE


Alaia Rogers-Maman Corps de ballet Staatsoper

Iulia Tcaciuc Corps de ballet Staatsoper

Helena Thordal-Christensen Corps de ballet Staatsoper

Gloria Todeschini Corps de ballet Staatsoper

Chiara Uderzo Corps de ballet Staatsoper

Céline Janou Weder Corps de ballet Staatsoper

Gabriele Aime Corps de ballet Volksoper

Dominika Ambrus Corps de ballet Volksoper

László Benedek Corps de ballet Volksoper

Vivian de Britto-Schiller Corps de ballet Volksoper

Nina Cagnin Corps de ballet Volksoper

Roman Chistyakov Corps de ballet Volksoper

Kristina Ermolenok Corps de ballet Volksoper

Tainá Ferreira Luiz Corps de ballet Volksoper

Riccardo Franchi Corps de ballet Volksoper

Kevin Hena Corps de ballet Volksoper

Tessa Magda Corps de ballet Volksoper

Dragos Musat Corps de ballet Volksoper

Keisuke Nejime Corps de ballet Volksoper

Aleksandar Orlić Corps de ballet Volksoper

ENSEMBLE

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Matilda Poláková* Corps de ballet Volksoper

Olivia Poropat Corps de ballet Volksoper

Marie Ryba Corps de ballet Volksoper

Natalie Salazar Corps de ballet Volksoper

Francesco Scandroglio Corps de ballet Volksoper

Marta Schiumarini Corps de ballet Volksoper

Mila Schmidt Corps de ballet Volksoper

Gleb Shilov Corps de ballet Volksoper

Felipe Vieira Corps de ballet Volksoper

Martin Winter Corps de ballet Volksoper

Una Zubović Corps de ballet Volksoper

*Karenzvertretung

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ENSEMBLE


Foto © Florian Moshammer

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WOLFGANG HEINZ – Musikalische Leitung Wolfgang Heinz wurde in Wiesbaden geboren und wuchs in München auf. Nach einer Assistenzzeit an der Bayerischen Staatsoper bei Giuseppe Patané studierte er an der Musikhochschule Köln Dirigieren und Klavier. Als Kapellmeister an den Theatern in Essen, Detmold, Plauen und Pforzheim sowie als Gast in Hagen, Magdeburg und Dessau erarbeitete er sich ein breites Opernrepertoire. Nach einem Engagement als Musikdirektor der Schlossfestspiele Ettlingen wechselte er 1999 an das Staatstheater Stuttgart und dirigiert dort seither Opern- und Ballettvorstellungen. Von 2002 bis 2006 hatte er die Musikalische Leitung der Jungen Oper der Staatsoper Stuttgart, seit 2008 ist er Stellvertretender Musikdirektor des Stuttgarter Balletts, wo er für ein breites Repertoire verantwortlich zeichnet und die Compagnie auf zahlreichen internationalen Gastspielen begleitet. Gastengagements führten Wolfgang Heinz seit 2004 außerdem u.a. zum Bayerischen Staatsballett München, an die Opernhäuser in Ankara und Mexiko Stadt, die New Israeli Opera Tel Aviv, das Teatro Real Madrid, das Teatro São Carlos Lissabon, die Semperoper Dresden, die Staatsoper Unter den Linden und die Deutsche Oper Berlin, das Badische Staatstheater Karlsruhe, die Königlich Schwedische Oper Stockholm, die Opéra National du Rhin Strasbourg sowie die Opera Vlaanderen in Antwerpen. Seit 2009 ist er ständiger Gastdirigent des Birmingham Royal Ballet. Zu den Orchestern, mit denen Wolfgang Heinz arbeitete, zählen das New City Orchestra Tokyo, West Australian Symphony Orchestra, Orchestre Colonne Paris, Prime Orchestra Seoul, Symphony Orchestra Osaka sowie das Staatliche Orchester des Bolschoi-Theaters Moskau. Er dirigierte Konzerte der Südwestdeutschen Philharmonie Konstanz, des Hessischen Staatsorchesters Wiesbaden oder der Württembergischen Philharmonie Reutlingen. Am Pult des Wiener Staatsopernorchesters gab Wolfgang Heinz 2023/24 mit Giselle sein Debüt beim Wiener Staatsballett.

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BIOGRAPHIEN


AUGUST BOURNONVILLE – Choreographie Pas de trois aus La Ventana Der Tänzer, Choreograph, Lehrer und Ballettdirektor August Bournonville (1805–1879) war der einflussreichste dänische Choreograph des 19. Jahrhunderts. Er wurde nach der französischen und italienischen Tanztradition von seinem Vater Antoine Bournonville sowie von Vincenzo Galeotti an der Königlich Dänischen Ballettschule ausgebildet und ging anschließend nach Paris, um bei Auguste Vestris zu studieren. Nach Engagements an der Opéra national de Paris und in London kehrte er 1829 an das Königliche Theater in Kopenhagen zurück. 1830 wurde Bournonville Ballettdirektor und trat bis zu seinem Rückzug von der Bühne im Jahr 1848 weiterhin als Tänzer mit der Compagnie auf. Neben künstlerischen Aufenthalten an der Wiener Hofoper (1855–1856) und drei Jahren an der Oper in Stockholm (1861–1864) verbrachte er den Rest seiner Karriere in Kopenhagen. Er ging 1877 in den Ruhestand, nachdem er das Königlich Dänische Ballett zu einer der weltweit führenden Compagnien aufgebaut hatte. Seine zahlreichen Ballette bildeten die Grundlage für ein einzigartiges Repertoire. In seinen Choreographien orientierte sich Bournonville an den eigenen künstlerischen und tänzerischen Qualitäten und vereinte bravourösen Tanz mit ausdrucksstarker jedoch natürlicher Pantomime. Er schuf einen Stil, der von der romantischen französischen Balletttradition beeinflusst, aber dennoch ganz und gar sein eigener war: Eleganz und Anmut dominieren in seinen Balletten ebenso wie Präzision, Leichtigkeit und Fröhlichkeit. Er schuf außerdem eine Tradition des dänischen Männertanzes von höchster Virtuosität, die das Königlich Dänische Ballett auf ein internationales Niveau hob und ihm gleichzeitig eine einzigartige nationale Qualität verlieh, die bis heute ein unverwechselbares Merkmal ist. Thematisch sind Bournonvilles Ballette von seinen Jahren in Paris und dem aufkommenden romantischen Ballett beeinflusst. Einer seiner ersten großen Erfolge war eine Version von La Sylphide (1836) mit einer neuen Partitur von Herman Severin Løvenskjold. Zu Balletten wie z.B. Napoli (1842) ließ sich Bournonville von anderen Kulturen, die er auf seinen zahlreichen Reisen kennenlernte, inspirieren. Stücke wie A Folk Tale (1854) zeigen sein Interesse an nordischer Folklore und Geschichte. Bournonville schuf fast 50 Ballette, von denen einige bis heute Teil des Repertoires des Königlich Dänischen Balletts sind.

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RUDOLF NUREJEW – Choreographie Schwanensee- & Don Quixote-Auszüge Rudolf Nurejew wurde am 14. oder 17. März 1938 bei Irkutsk in einem Zug der Transsibirischen Eisenbahn geboren. Er erhielt seine Ausbildung in Ufa sowie am Leningrader WaganowaInstitut u.a. bei Alexander Puschkin. Sein erstes Engagement als Solist des Kirow-Balletts machte ihn 1958 über Nacht zu einem der bekanntesten Tänzer der Sowjetunion. 1959 trat er bei den Weltjugendfestspielen in Wien auf, 1961 entschied er sich während eines Gastspiels in Paris zum »Absprung« in den Westen. Nach einer Saison 1961/62 beim International Ballet of the Marquis de Cuevas führte ihn seine Karriere zu allen großen Ballettcompagnien. Aber auch mit Modern Dance Künstlern arbeitete er, darunter die Ensembles von Martha Graham und Paul Taylor. Eine besonders enge Beziehung pflegte er – neben dem Royal Ballet London – zum Wiener Staatsopernballett, mit dem er zwischen 1964 und 1988 mit 22 Rollen in 167 Vorstellungen im Haus am Ring, der Volksoper Wien sowie bei In- und Auslandsgastspielen zu erleben war. Mit seinem Touring-Ensemble Nureyev & Friends präsentierte er außerdem seine eigenen Programme. Als Choreograph konnte sich Nurejew sowohl mit eigenen Arbeiten als auch Adaptionen großer Handlungsballette profilieren. An der Wiener Staatsoper kam 1964 sein Schwanensee nach Petipa und Iwanow heraus. Es folgten bis 1967 Dornröschen für die Scala di Milano und Der Nussknacker für das Königlich Schwedische Ballett. Kompositionen Tschaikowskis lagen auch den auf Werken von Lord Byron und Shakespeare basierenden Balletten Manfred und The Tempest zugrunde. Für Washington Square nach Henry James wählte Nurejew Musik von Ives, nachdem er sich für Tancredi an der Wiener Staatsoper mit Henzes gleichnamiger Partitur bereits von Musik eines Zeitgenossen hatte inspirieren lassen. Daneben erfuhren mit Prokofjews Romeo und Julia und Cinderella auch zwei Klassiker des 20. Jahrhunderts Neuinterpretationen. Der für Wien entstandene Schwanensee gehört heute ebenso wie Dornröschen, Der Nussknacker und Raymonda sowie der ebenfalls für Wien geschaffene Don Quixote zum Repertoire vieler Compagnien. Von 1983 bis 1989 war Nurejew Direktor des Balletts der Pariser Oper. Als Darsteller wirkte er auch in Film(Valentino, 1977) und Musicalproduktionen (The King and I, 1989) mit. Am 6. Jänner 1993 verstarb Nurejew in Levallois-Perret in der Nähe von Paris an Aids. Sein Vermögen bildete die Basis der Nurejew-Stiftung. Die Verdienste, die er sich in Wien erworben hatte, führten 1982 zur österreichischen Einbürgerung. Die Wiener Staatsoper ernannte ihn 1988 zum Ehrenmitglied. Seit 1999 gibt es in Wien eine Rudolf-Nurejew-Promenade.

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MARTIN SCHLÄPFER – Choreographie Ramifications, Wiener Blut Walzer & Dornröschen Pas de deux Martin Schläpfer ist seit 2020/21 Ballettdirektor und Chefchoreograph des Wiener Staatsballetts sowie Künstlerischer Leiter der Ballettakademie der Wiener Staatsoper. Geboren in Altstätten (Schweiz), studierte er bei Marianne Fuchs in St. Gallen und an der Royal Ballet School in London. Als Mitglied von Heinz Spoerlis Basler Ballett avancierte er ab 1977 schnell zu einem der charismatischsten Solisten. Ein Engagement ins Royal Winnipeg Ballet führte ihn für eine Spielzeit nach Kanada. 1990 gründete er die Basler Schule Dance Place. Als Direktor und Chefchoreograph formte Schläpfer mit dem Berner Ballett (1994 bis 1999), ballettmainz (1999 bis 2009) sowie Ballett am Rhein (2009 bis 2020) drei unverwechselbare Compagnien. Nach der viermaligen Auszeichnung des Balletts am Rhein als »Kompanie des Jahres« kürte das renommierte Magazin tanz das Wiener Staatsballett zum »Glanzlicht des Jahres 2022«. Schläpfers Schaffen umfasst über 80 Werke, die für seine Compagnien, das Bayerische Staatsballett, Het Nationale Ballet Amsterdam sowie Stuttgarter Ballett entstanden und u.a. in Einstudierungen des Ballett Zürich zu erleben waren. Für das Wiener Staatsballett schuf er seit 2020 die großformatigen Werke 4, Sinfonie Nr. 15, Die Jahreszeiten und Dornröschen, das Beethoven-Ballett In Sonne verwandelt sowie Kreationen für das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker, den Opernball und die Jugendkompanie der Ballettakademie. Seine enge Verbindung mit Hans van Manen führte 2014 zur Uraufführung Alltag, in der Schläpfer – wie bereits zwei Jahre zuvor in The Old Man and Me des Niederländers – nochmals als Tänzer auf die Bühne zurückkehrte. Nachdem er 1977 den Prix de Lausanne als »Bester Schweizer Tänzer« gewonnen hatte, folgten für den Choreographen und Direktor Schläpfer der Kunstpreis des Landes Rheinland-Pfalz (2002), der Tanzpreis der Spoerli Foundation (2003), der Prix Benois de la Danse (2006), die Gutenbergmedaille der Stadt Mainz (2009) sowie 2009 und 2012 Der Faust. 2013 erhielt er den Schweizer Tanzpreis und 2014 den Taglioni – European Ballet Award in der Kategorie »Best Director« durch die Malakhov Foundation. Sein Ballett DEEP FIELD auf eine Auftragskomposition Adriana Hölszkys war für den Prix Benois nominiert, 2015 erhielt er den Musikpreis der Stadt Duisburg. Das Magazin tanz kürte ihn 2010 zum »Choreographen des Jahres«, 2018 und 2019 folgte dieselbe Auszeichnung durch Die Deutsche Bühne, 2022 erneut eine Nominierung durch tanz. Seit 2017 ist Schläpfer Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und Künste. 2018 wurde er mit dem Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet, 2019 mit dem Großen St. Galler Kulturpreis. 2023 war er Mitglied der Jury des Prix de Lausanne.

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HANS VAN MANEN – Choreographie Four Schumann Pieces Der Niederländer Hans van Manen zählt zu den bedeutendsten Choreographen unserer Zeit. Seine Karriere begann 1951 als Tänzer in Sonia Gaskells Ballet Recital, gefolgt von Engagements im Nederlandse Opera Ballet und der Compagnie von Roland Petit in Paris. 1960 schloss er sich dem neu gegründeten Nederlands Dans Theater an, zunächst als Tänzer und Choreograph, von 1961 bis 1971 als Künstlerischer Direktor. 1973 wurde er als Choreograph ans Het Nationale Ballet in Amsterdam berufen. Ab 1988 war er als Hauschoreograph erneut dem NDT verbunden, bevor er 2003 in dieser Funktion ans Het Nationale Ballet zurückkehrte. Hans van Manens Œuvre umfasst über 120 Werke, von denen ein jedes die unverwechselbare Handschrift seines Schöpfers trägt. Seine Ballette gehören zum Repertoire vieler namhafter Compagnien weltweit. Neben seinem choreographischen Schaffen erlangte er ein hohes Renommee als Fotograf. 2003 gründete er die Stiftung Hans van Manen. Er erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter 1991 den Sonia-Gaskell-Preis für sein Gesamtwerk und den Choreographie-Preis der Vereinigung der Direktionen von Schouwburg und Concertgebouw Amsterdam. 1992 schlug Königin Beatrix der Niederlande ihn zum Offizier des Ritterordens von Oranien-Nassau. Ein Jahr später wurde ihm der Deutsche Tanzpreis verliehen. Die niederländische Menschenrechtsorganisation COC ehrte ihn mit der Bob Angelo Medaille. 1997 nahm er den Gino Tani International Prize entgegen. 1998 widmete ihm das Edinburgh Dance Festival eine große Retrospektive, die mit der Verleihung des Herald Arcangel Award ihren Höhepunkt fand. Es folgten 2000 der Erasmus-Preis, 2004 der Musikpreis der Stadt Duisburg und im Bolschoi Theater Moskau der Prix Benois de la Danse für sein Lebenswerk, 2005 der Grand Pas Award. 2007 ehrte Amsterdam den Künstler zu dessen 75. Geburtstag mit der Ernennung zum Commandeur in de Orde van de Nederlandse Leeuw sowie einem dreiwöchigen Festival. 2013 wurde er zum Patron of the National Ballet Academy ernannt, erhielt den Golden Age Award und einen weiteren Prix Benois. 2017 folgte mit dem Titel Commandeur des Arts et des Lettres die höchste Auszeichnung des französischen Staates im Bereich der Künste. 2023 erschien die von Sjeng Scheijen verfasste Biographie Gelukskind. Het Leven van Hans van Manen. Mit dem Wiener Staatsopern- bzw. Staatsballett waren seit der Erstaufführung von Adagio Hammerklavier und Twilight im Jahr 1977 eine Reihe von Werken van Manens zu erleben, darunter Five Tangos, Lieder ohne Worte, Große Fuge, Bits and Pieces, Black Cake, Solo, Trois Gnossiennes sowie zuletzt Live, Four Schumann Pieces und Concertante.

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VICTOR GSOVSKY – Choreographie Grand Pas Classique Victor Gsovsky, 1902 in St. Petersburg geboren und bei Jewgenija E. Sokolowa zum Tänzer ausgebildet, prägte als einer der angesehensten Ballettmeister seiner Generation den Tanz im 20. Jahrhundert maßgeblich. 1924 heiratete er seine Kollegin Tatjana Issatschenko und ging mit ihr 1925 nach Berlin, wo er Ballettmeister an der Staatsoper wurde, als Tänzer und Mimiker auftrat und mehrere Opern-Ballette choreographierte. Zusammen mit seiner Frau eröffnete er 1928 eine eigene Schule und gründete die Compagnie Ballet Gsovsky. Von 1930 bis 1933 kreierte er Choreographien für Filme der UFA. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten verließ Gsovsky Deutschland. 1937 war er als Ballettmeister für das Markova-Dolin Ballet in London tätig. 1938 eröffnete er in Paris eine Schule, aus der u.a. Irène Skorik, Colette Marchand, Violette Verdi und Serge Perrault hervorgingen. 1945 inszenierte er mit großem Erfolgt den zweiten Schwanensee-Akt an der Pariser Opéra, 1946 La Sylphide für die Ballets des Champs-Elysées, deren Ballettmeister er – nach einem Engagement beim Metropolitan Ballet London – 1948 wurde. 1950 kehrte er mit seiner Frau Tatjana Gsovsky, die längst zu den wichtigsten Choreographinnen Deutschlands zählte, in die Bundesrepublik zurück. Von 1950 bis 1952 war Victor Gsovsky Ballettdirektor an der Münchner Staatsoper, wo er neben Klassiker-Inszenierungen und Prokofjews Aschenbrödel auch die Uraufführungen Hamlet (Musik: Boris Blacher), Pas de cœur (Musik: Gottfried von Einem) und Pas d’action (Musik: Hans Werner Henze) choreographierte. 1952 ging er nach Paris zurück und choreographierte dort u.a. 1953 das Marguerite YourcenarBallett Antinous (Musik: Louis Nicolaou) für das Grand Ballet du Marquis de Cuevas und 1954 Aschenbrödel (Musik: Sergej Prokofjew) für die Opéra de Paris. Als sein repertoirebeständigstes Stück erwies sich sein Grand Pas Classique (Musik: Daniel François Esprit Auber) von 1949. Von 1957 bis 1961 unterrichtete Victor Gsovsky alljährlich bei der Sommerakademie des Tanzes in Krefeld/Köln. Für das Wiener Staatsopernballett schuf er 1962 eine Nussknacker-Version, die bei den Bregenzer Festspielen getanzt wurde. Weitere Positionen als Ballettmeister führten ihn von 1964 bis 1967 an die Deutsche Oper am Rhein in Düsseldorf und von 1978 bis 1970 an die Staatsoper nach Hamburg, wo er 1974 verstarb.

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JOHN NEUMEIER – Choreographie Pas de deux aus Die Kameliendame John Neumeier wurde in Milwaukee (Wisconsin) geboren und erhielt seinen Ballettunterricht in seiner Heimatstadt sowie später in Kopenhagen und an der Royal Ballet School London. An der Marquette University Milwaukee absolvierte er außerdem den Bachelor of Arts in Englischer Literatur und Theaterwissenschaften. 1963 engagierte ihn John Cranko ans Stuttgarter Ballett. Nach vier Jahren als Ballettdirektor in Frankfurt am Main, wo er mit Neudeutungen von Der Nussknacker und Romeo und Julia auf sich aufmerksam machte, entwickelte er ab 1973 das Hamburg Ballett zu einer der weltweit führenden Compagnien und die 1978 eröffnete Ballettschule zu einer renommierten Ausbildungsstätte. Seit 1993 steht er dem Hamburg Ballett als Intendant vor. 2006 errichtete er die Stiftung John Neumeier. 2011 gründete er das Bundesjugendballett. In seinen Choreographien sucht Neumeier nach zeitgenössischen Formen für das abendfüllende Ballett – sei es dramatisch oder symphonisch – und stellt sie bei seinen Neufassungen von Handlungsballetten wie Der Nussknacker, Illusionen – wie Schwanensee, Dornröschen, Giselle oder der für das Ballet de l’Opéra de Paris geschaffenen Sylvia in den Kontext der klassischen Tradition. In seinen Neuschöpfungen, darunter Literaturballette wie Die Kameliendame, Endstation Sehnsucht, Peer Gynt, Die Möwe, Die kleine Meerjungfrau, Tod in Venedig oder Tatjana sucht er eigene Erzählstrukturen. Aber auch seine Choreographien zu Symphonien Mahlers sowie zu sakraler Musik Bachs, Händels und Mozarts finden weltweite Anerkennung. Zu seinen jüngsten Kreationen zählen Ghost Light, Hamlet 21, das Beethoven-Projekt II sowie Dona Nobis Pacem zu Bachs h-Moll-Messe. Als Gastchoreograph arbeite Neumeier u.a. mit dem American Ballet Theatre, Royal Ballet London, Tokyo Ballet, Mariinski-Ballett, Bayerischen Staatsballett, Stuttgarter Ballett, Königlich Schwedischen Ballett und National Ballet of Canada. In Fernsehaufzeichnungen, auf DVD und Bluray ist sein Schaffen umfangreich dokumentiert. Zu seinen Auszeichnungen zählen u.a. das Bundesverdienstkreuz, Ritterkreuz des Dannebrogorden, die von Königin Margrethe II. verliehene Ehrenmedaille »Ingenio et arti«, der Chevalier des Arts et des Lettres, Ehrendoktor der Marquette University, der Deutsche Tanzpreis und der Prix Benois de la Danse. Neumeier ist Professor der Hansestadt Hamburg und wurde 2007 zu ihrem Ehrenbürger ernannt. Seine langjährige Zusammenarbeit mit dem Wiener Staatsballett geht auf die Uraufführung seiner Fassung der Josephs Legende 1977 zurück, auf die zahlreiche weitere Einstudierungen sowie mehrere Choreographien für das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker folgten. 63

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HARALD LANDER – Choreographie Finale aus Études Harald Lander wurde 1905 in Kopenhagen geboren, an der Königlich Dänischen Ballettschule zum Tänzer ausgebildet und 1923 Mitglied des Königlich Dänischen Balletts. Während sich die Compagnie vor allem mit der Bewahrung des Erbes ihres früheren Direktors August Bournonville beschäftigte, war Lander offen für neue Einflüsse. 1926 ging er nach New York, um bei Michel Fokine zu studieren. 1929 kehrte er als Solist zum Königlich Dänischen Ballett zurück und wurde 1932 zum künstlerischen Leiter ernannt. Während seiner 20-jährigen Amtszeit als Direktor bereicherte er das Repertoire mit Produktionen von Fokines Meisterwerken wie Les Sylphides, Petruschka, Fürst Igor und Le spectre de la rose, restaurierte aber auch zahlreiche Bournonville-Ballette, darunter Napoli, La Sylphide, Blumenfest in Genzano, Le Conservatoire, Far from Denmark, La Ventana, Folk’s Tale, The Kermesse in Bruges und King’s Volunteers on Amager. Für seine eigenen Kreationen arbeitete Lander mit zahlreichen Künstlern zusammen, darunter der Schriftsteller Kjeld Abell, der Maler Svend Johansen und vor allem der Komponist Knudåge Riisager, mit dem er 1948 sein Meisterwerk Études entwickelte. Zu seinen weiteren Projekten gehörten Football (1933), Boléro (1934), den er zusammen mit seiner Frau Margot Lander aufführte, Die kleine Meerjungfrau (1936), Die sieben Todsünden (1936), Der Zauberlehrling (1940), The Waltz (1940), Fool’s Paradise (1942), Qarrtsiluni (1942) und Quasi una Fantasia (1954). Von 1953 bis 1963 war Lander Ballettmeister des Balletts der Pariser Oper und Direktor der dortigen Ballettschule. Er wurde 1956 französischer Staatsbürger, eröffnete 1964 ein Studio in Paris und arbeitete mit Compagnien wie dem Grand Ballet du Marquis de Cuevas, London Festival Ballet, American Ballet Theatre, Teatro Municipal do Rio de Janeiro, Het Nationale Ballet Amsterdam, Finnischen Nationalballett sowie den Ballettcompagnien von Köln, Hamburg, München, Wien und Mailand. Er wurde u.a. zum Ritter des Dannebrog-Ordens ernannt, erhielt die Ehrenmedaille der Stadt Paris und 1969 die dänische Verdienstmedaille Ingenio et arti von König Frederik IX. von Dänemark. Harald Lander starb 1971 in Kopenhagen. In der Wiener Staatsoper waren Harald Landers Études zwischen 1967 und 1974 sowie von 2013 bis 2015 am Spielplan.

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VALENTINE COLASANTE – Étoile des Ballet de l’Opéra de Paris Grand Pas Classique & Pas de deux aus Schwanensee Valentine Colasante erhielt ihre Ausbildung an der École de Danse de l’Opéra national de Paris. 2006 wurde sie Mitglied des Balletts der Pariser Oper. 2010 erfolgte ihre Ernennung zur Coryphée, 2011 zur Sujet, 2013 zur Première danseuse und 2018 zur Étoile. Zu ihren wichtigsten Partien gehören u.a. die Titelrollen in Rudolf Nurejews Cinderella und Raymonda, Kitri in Don Quixote, Odette/Odile in Schwanensee sowie Nikiya in La Bayadère, Myrtha in Giselle (nach Jean Coralli & Jules Perrot), Effie in Pierre Lacottes La Sylphide, Lescauts Geliebte in Kenneth MacMillans L’Histoire de Manon sowie Prudence Duvernoy in John Neumeiers Die Kameliendame. Zudem tanzte sie in Werken von George Balanchine, Jean-Guillaume Bart, Pina Bausch, Merce Cunningham, Anne Teresa De Keersmaeker, Mats Ek, William Forsythe, Emanuel Gat, Jiří Kylián, Sol León & Paul Lightfoot, Éduard Lock, José Martínez, Wayne McGregor, Benjamin Millepied, Justin Peck, Roland Petit, Jerome Robbins oder Sasha Waltz. Auf Tournee war sie mit dem Ballett der Pariser Oper in Australien, China, Russland, Malaysia, den USA und in Spanien zu erleben. Im Rahmen der Nurejew-Gala 2024 gibt Valentine Colasante ihr Debüt in der Wiener Staatsoper.

MARC MOREAU – Étoile des Ballet de l’Opéra de Paris Grand Pas Classique & Pas de deux aus Schwanensee Marc Moreau erhielt seine Ausbildung zum Tänzer ab 1999 an der École de Danse de l’Opéra national de Paris und wurde 2004 Mitglied des Corps de ballet des Balletts der Pariser Oper. 2009 wurde er in den Rang Coryphée befördert, 2011 zum Sujet und 2019 zum Premier danseur. Nach seinem Auftritt als Erster Solist in George Balanchines Ballet Impérial erfolgte im März 2023 seine Ernennung zum Danseur Étoile. 2010 erhielt er den AROP Dance Prize. Zu seinen wichtigsten Rollen gehören u.a. Colas in La Fille mal gardée (Frederick Ashton), der Bauern-Pas de deux in Giselle (nach Jean Coralli und Jules Perrot), Prinz Siegfried in Schwanensee sowie Benvolio und Mercutio in Roméo et Juliette (Rudolf Nurejew), Lenski in Onegin (John Cranko), Des Grieux in Die Kameliendame (John Neumeier), der Tschaikowski-Pas de deux, die Solorolle in Serenade, der Phlegmatiker und Sanguiniker in The Four Temperaments sowie Oberon in A Midsummer Night’s Dream (George Balanchine). Außerdem tanzte er zentrale Rollen in Werken – darunter auch Uraufführungen – von JeanGuillaume Bart, Trisha Brown, Sidi Larbi Cherkaoui, Damien Jalet, Anne Teresa De Keersmaeker, Nacho Duato, Mats Ek, Michel Fokine, William 65

BIOGRAPHIEN


Forsythe, Marco Goecke, Jiří Kylián, Sol León & Paul Lightfoot, Wayne McGregor, Benjamin Millepied, Ohad Naharin, Justin Peck, Roland Petit, Crystal Pite, Angelin Preljocaj, Alexei Ratmansky, Saburo Teshigawara oder Christopher Wheeldon. Im Rahmen der Nurejew-Gala 2024 gibt Marc Moreau sein Debüt in der Wiener Staatsoper

SHINO TAKIZAWA – Klavier Pas de deux aus Die Kameliendame Die Pianistin Shino Takizawa wurde in Osaka geboren und schloss ihre Ausbildung an der Toho Gakuen School of Music in Tokyo ab. Sie gewann 1. Preise bei renommierten Klavierwettbewerben wie die Sakai Piano Competition und die PTNA Piano Competition. Von 2004 bis 2011 war sie beim National Ballet of Japan engagiert, seit 2011 ist sie als Korrepetitorin für das Wiener Staatsballett tätig und in den Aufführungen der Compagnie in der Wiener Staatsoper und Volksoper Wien immer wieder auch solistisch zu erleben, bisher u.a. mit Klavierkonzerten von Johann Sebastian Bach, Edvard Grieg, Wolfgang Amadeus Mozart, Piotr I. Tschaikowski, Franz Liszt sowie das Adagio aus der »Großen Sonate für das Hammerklavier« von Ludwig van Beethoven, sowie zuletzt dem Klavierpart in Frank Martins Petite Symphonie Concertante. Für den japanischen Produzenten Shinshokan spielte Shino Takizawa die drei CDs Dramatic Music for Ballet Class ein.

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Das Wiener Staatsballett ist Teil der Wiener Staatsoper & der Volksoper Wien

Informationen & Karten +43 1 513 1 513 oder wiener-staatsballett.at

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impressum Nurejew-Gala Bournonville / Nurejew / Schläpfer / van Manen / Gsovsky / Neumeier / Lander Spielzeit 2023/24

HERAUSGEBER Wiener Staatsoper GmbH, Opernring 2, 1010 Wien Direktor: Dr. Bogdan Roščić Kaufmännische Geschäftsführerin: Dr. Petra Bohuslav Direktor & Chefchoreograph Wiener Staatsballett: Martin Schläpfer Kaufmännische Leiterin Wiener Staatsballett: Mag. Simone Wohinz Redaktion: Mag. Anne do Paço, Nastasja Fischer, MA Gestaltung & Konzept: Fons Hickmann M23, Berlin Bildkonzept Cover: EXEX, Wien Layout & Satz: Mag. Anton Badinger / badinger.cc, Wien Hersteller: Print Alliance HAV Produktions GmbH, Bad Vöslau AUFFÜHRUNGSRECHTE Die Rechte für die Choreographien liegen bei den Choreographen. Die Aufführung des Ausschnitts aus Harald Landers Études erfolgt mit besonderer Genehmigung von Lise Lander. Piotr Iljitsch Tschaikowski: Schwanensee. Aufführungsmaterial: Alkor Edition Kassel GmbH György Ligeti: Ramifications. © Universal Edition AG Wien Robert Schumann: Streichquartett A-Dur op. 41 Nr. 3 in einer Fassung für Streichorchester von © Martin Yates. Daniel François Esprit Auber, Arrangement von Daniel Stirn. © Musikverlag Hans Sikorski GmbH Berlin im Auftrag von Mario Bois, SA Paris Ludwig Minkus: Fandango und Grand Pas de deux aus Don Quixote. © Musikverlag Hans Sikorski GmbH Berlin im Auftrag von Mario Bois, SA Paris Knudåge Riisager: Études. © Boosey & Hawkes · Bote & Bock GmbH, Berlin VERWENDETE EINSPIELUNG György Ligeti: Ramifications, Kammerkonzert, 2. Streichquartett, Aventures, Lux aeterna. Ensemble Intercontemporain, Leitung: Pierre Boulez © 1988 Deutsche Grammophon TEXTNACHWEISE Über die heutige Vorstellung / About Today’s Perfor­ mance, das Interview Nurejew im Heute und die Texte zu La Ventana und Die Kameliendame von Nastasja Fischer sowie die Texte zu Grand Pas Classique, Dornröschen und Études von Anne do Paço sind Originalbeiträge für dieses Programmheft. Die Texte zu Ramifications und Four Schumann Pieces basieren auf Originalbeiträgen von Anne do Paço für die

Programmhefte des Wiener Staatsballetts Promethean Fire (Spielzeit 2022/23) und Kontrapunkte (Spielzeit 2021/22). Der Text zum Wiener Blut Walzer erschien erstmals im Programmheft der Wiener Staatsoper zum Opernball 2023. Nachdruck nur mit Genehmigung des Wiener Staatsballetts/Dramaturgie. Umschlagklappe: Alastair Macaulay: Nureyev Remembered. In: The Times Literary Supplement. London, 9. Mai 2003 / S. 9: Rudolf Nurejew zitiert nach nureyev.org (aus dem Englischen übersetzt von Nastasja Fischer) / S. 10: August Bournonville: My Theatre Life. Translated by Patricia N. McAndrew. Middletown 1979 (aus dem Englischen übersetzt von Nastasja Fischer) / S. 19: György Ligeti zitiert nach: »Träumen Sie in Farbe?« György Ligeti im Gespräch mit Eckhard Roelcke. Wien 2003 sowie »Ich will eine schmutzige Musik, eine irisierende Musik …«. György Ligeti über die Krise der modernen Musik, musikalische Allusionen und kulturellen Extremismus im Gespräch mit Marina Lobanova. In: Neue Zeitschrift für Musik, Heft 3, Mai/Juni 2003 / S. 29: Sjeng Scheijen: Gelukskind. Het leven van Hans van Manen. Amsterdam 2023 (Zitat aus dem Niederländischen übersetzt von Anne do Paço) / S. 34: Otto Brusatti: Zwischen Radetzky-Marsch und Parsifal. In: Ders., Günter Düriegl & Regina Karner (Hrsg.): Johann Strauß. Unter Donner und Blitz. Katalog zur 251. Sonderausstellung im Historischen Museum der Stadt Wien. Wien 1999 / S. 42: John Neumeier während eines Gesprächs zur Wiener Einstudierung von Die Kameliendame / S. 43: Kai von Eikels: Virtuosen-Herrschaft. Überlegungen zu Ausnahme-Performances und Macht – vom Bühnenstar des 19. Jahrhunderts bis zu den Souveränitätsversprechen des Postfordismus. In: Ders., Gabriele Brandstetter & Bettina Brandl-Risi (Hrsg.): Szenen des Virtuosen. Bielefeld 2017 / S. 62: Biographie Victor Gsovsky nach: Reclams Ballettlexikon. Hrsg. v. Horst Koegler & Helmut Günther. Stuttgart 1984. BILDNACHWEISE S. 4–7, 21–25, 36, 37, 41: © Ashley Taylor / S. 8: © Ann Ray/ Opéra national de Paris / S. 31: © Jean-Paul Vroom / S. 32: © Jorge Fatauros/Het Nationale Ballet / S. 33: © Bil Leidersdorf / S. 34: © Elisabeth Hausmann / S. 38: © Julien Benhamou/Opéra national de Paris / S. 44 © Michael Pöhn / S. 50–55, 60 & 66: © Andreas Jakwerth / S. 57: © Roman Novitzky / S. 58 & 62: Archiv Wiener Staatsballett / S. 59: © Josef Pálffy / S. 61: © Sebastien Galtier / S. 63: © Kiran West / S. 64: z.V.g. / S. 65: © Opéra national de Paris Rechteinhaber, die nicht zu erreichen waren, werden zwecks nachträglicher Rechtsabgleichung um Nachricht gebeten.


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