LA CLEMENZA DI TITO → Opera seria in due atti Musik Wolfgang Amadeus Mozart Text Pietro Metastasio, in einer Bearbeitung von Caterino Tommaso Mazzolà
Orchesterbesetzung 2 Flöten, 2 Oboen, 2 Klarinetten, 1 Bassetthorn, 2 Fagotte, 2 Hörner, 2 Trompeten, Pauken, Violine I, Violine II, Viola, Violoncello, Kontrabass, Hammerklavier
Spieldauer 2 Stunden 30 Minuten (inkl. 1 Pause) Uraufführung 6. September 1791, Gräflich Nostitzsches Nationaltheater in Prag Erstaufführung im Haus am Ring 27. Jänner 1880
DIE HANDLUNG Tito opfert seine Liebe dem Willen des Volkes. Er trennt sich von seiner Geliebten, der Jüdin Berenice, und ist bereit, eine römische Patrizierin zur Gattin zu nehmen. Vitellia, die Tochter des gestürzten Kaisers Vitellio, erhebt Ansprüche auf den Thron. Sie versucht sich Sesto, einen Freund des Kaisers, als Werkzeug ihres Machtwillens gefügig zu machen. Sie verspricht ihm ihre Gunst, wenn es ihm gelänge, den Kaiser zu töten. Sesto, schwankend zwischen der Freundschaft zum Kaiser und der Liebe zu Vitellia, erklärt sich bereit, sich der Verschwörung des Lentulo anzuschließen und das Attentat zu wagen. Annio, ein junger Patrizier, berichtet von der Verabschiedung der Berenice. Da fasst Vitellia neue Hoffnung und gebietet Sesto, die Tat noch einmal aufzuschieben. Annio bittet seinen Freund Sesto um die Einwilligung zur Hochzeit mit dessen Schwester Servilia. Zur Krönung Titos versammelt sich der Adel Roms auf dem Kapitol. Das ihm dargebotene Geschenk bestimmt der neue Imperator jedoch zur Linderung der Not der Opfer des jüngsten Vesuvausbruchs. Um Sesto mit seiner Freundschaft auszuzeichnen, will er dessen Schwester Servilia zur Kaiserin erheben. Tugend und Freundschaft zu fördern, erachtet er als Sinn seiner Herrschaft. Annio, der bereit ist, sich dem Wunsch des Kaisers zu unterwerfen, eröffnet seiner Braut Servilia, dass sie von Tito zur Gemahlin erwählt worden sei. Sie jedoch will sich nicht fügen, bekräftigt ihre Liebe zu Annio und gesteht Tito ihre Liebe zu Annio, worauf dieser großmütig auf ihre Hand verzichtet und selbst das Glück der Liebenden begründen will. Vitellia, die unterdessen von der beabsichtigten Erhebung Servilias zur Kaiserin Kenntnis erlangt hat, fühlt sich in ihrem Stolz verletzt und drängt Sesto von Neuem zur Tat. Widerstrebend lässt dieser sich überreden, den Anschlag nun endgültig durchzuführen. Kaum jedoch ist er aufgebrochen, erfährt Vitellia von dem neuen Plan Titos, nunmehr sie selbst zur Gemahlin ← zu erwählen. Vorherige Der Aufstand des Lentulo hat begonnen. Vergebens bemüht sich Vitellia, Seiten: Serena als ihm Einhalt zu gebieten. Das Schicksal nimmt seinen Lauf. Das Kapitol steht Malfi Annio, KS in Flammen, und wehklagend sucht das Volk sich zu retten. Sesto kehrt zu- Elīna Garanča Sesto und rück in der Überzeugung, Tito getötet zu haben. Alle beklagen den Tod des als Juliane Banse als Vitellia, 2012 gütigen Herrschers. DIE H A N DLU NG
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Annio berichtet dem verzweifelten Sesto, dass der Kaiser in dem Aufruhr unversehrt geblieben ist. Ein anderer sei vom Dolch getroffen worden. Nun bekennt Sesto seine Schuld. Vitellia drängt ihn zu eiliger Flucht, während Annio rät, auf die Gnade des Kaisers zu vertrauen. Publio lässt Sesto als den erwiesenen Attentäter verhaften. Der erkennt nun, dass er irrtümlich seinen Mitverschworenen Lentulo, welcher sich triumphierend bereits mit dem Krönungsmantel geschmückt hatte, mit dem Dolch getroffen hat. Der durch glückliche Fügung dem Tode entronnene Tito zeigt sich seinem Volk und sucht dessen Leid nach dem Brand der Stadt zu lindern. Der Senat hat über Sesto das Todesurteil gesprochen, der Kaiser aber zögert, das Urteil zu unterzeichnen. Er will allein mit dem Freund sprechen, der ihn verriet. Sesto gibt das Geheimnis seiner Tat nicht preis. Er ist bereit, zu sterben. Obwohl ihm das Schweigen seines schuldigen Freundes ein Rätsel bleibt, beschließt Tito, das Todesurteil aufzuheben. Vitellia, durch Servilias Bitten bestürmt, entschließt sich endlich doch, Sesto durch ein Geständnis zu retten. Reumütig wirft sie sich dem Kaiser zu Füßen. Tito sieht sich von allen verraten. Aber er will der Rache nicht das letzte Wort lassen. Er schenkt den Attentätern und Verschwörern Leben und Freiheit. Das Volk preist das Glück dieses historischen Augenblicks.
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ÜBER DIESES PROGRAMMBUCH Anlässlich der Feierlichkeiten zur Krönung Kaiser Leopold II. zum König von Böhmen erhielt Wolfgang Amadeus Mozart den Auftrag, in relativ kurzer Zeit eine neue Oper zu schreiben. Er und sein Librettist Caterino Tommaso Mazzolà schufen auf Basis des oft vertonten dreiaktigen Librettos von Pietro Metastasio eine zweiaktige Opera seria. Eine präzise Rekonstruktion der Krönungsfeierlichkeiten sowie der ersten Aufführung von La clemenza di Tito hat Rudolph Angermüller ab Seite 56 vorgenommen – er rundet die Beschreibung der Feierlichkeiten auch durch kurze Biografien der renommierten Sängerinnen und Sänger der Uraufführung ab (ab Seite 64). Der Musikwissenschaftler Herbert Seifert, ein Spezialist auch für die Musik am Wiener Kaiserhof, schreibt über die Habsburgischen Krönungsopern seit dem frühen 17. Jahrhundert (ab Seite 78), der Germanist Herbert Zeman leuchtet ab Seite 46 die Handlungsdramaturgie des Werkes aus, Wilhelm Sinkovicz wirft ab Seite 40 Schlaglichter auf einzelne musikalische Aspekte der Oper. Ein Gespräch mit Louis Langrée (ab Seite 8), dem Dirigenten der Premiere des Jahres 2012, führt noch tiefer in den musikalischen Kosmos dieser späten Mozart-Oper ein, Gedanken zur szenischen Interpretation sind in einem Interview mit dem Regisseur Jürgen Flimm ab Seite 14 zu finden. Die Figur des historischen Kaisers Titus (ab Seite 28) wird ebenso umrissen wie jene seiner Geliebten Berenice (ab Seite 34), die in der aktuellen Inszenierung eine große Rolle spielt. Einen Blick in die Geschichte gewährt auch der Rechtswissenschaftler Werner Ogris ab Seite 84, der sich mit historischen Theorien zu Herrschertugenden auseinandersetzt. Wie sich Kaiser Leopold II. zu diesen Tugenden verhielt – auch das ist in einer kurzen biografischen Skizze auf Seite 27 nachzulesen. Peter Dusek schreibt über die Freundschaft Mozarts mit der Familie Duschek (ab Seite 89), Michael Jahn fächert ab Seite 72 die Wiener Aufführungsgeschichte gekonnt und detailreich auf.
→ Véronique Gens als Vitellia, 2014
Ü BER DIE SE S PROGR A M MBUCH
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» WENN MOZART IN GROSSBUCHSTABEN SCHREIBT « Oliver Láng im Gespräch mit dem Premieren-Dirigenten Louis Langrée
La clemenza di Tito liegt in der Wiener Aufführungsgeschichte weit hinter anderen Mozart-Opern, wie zum Beispiel Don Giovanni, Le nozze di Figaro oder Zauberflöte. Worauf fußt eine solche Zurückhaltung? LOUIS LANGRÉE Das ist nicht nur in Wien so, sondern überall. Ich sehe als
Gründe durchaus noch Nachwirkungen historischer Vorurteile. Man weiß, dass Mozart die Oper sehr schnell verfassen musste und nur wenig Zeit für die Fertigstellung hatte. Und vor allem, dass er zur Opera seria zurückkehrte, was vielen nicht zusagt. Warum? Weil die Opera seria den Ruf hat, altmodisch zu sein, das heißt in der Form starr und unbeweglich. Ich denke, das alles ist falsch. Wenn man bei Clemenza di Tito genau zuhört, das Werk studiert, es vielleicht dirigiert, singt, spielt, dann entdeckt man, was für ein wunderbares Meisterwerk es ist. Eines der besten! Aber die Clemenza ist weniger verführerisch als die Da Ponte-Opern oder die Zauberflöte oder Idomeneo. Man darf nicht vergessen, dass zum Beispiel Idomeneo zu seiner Uraufführungszeit eine echte Revolution war. Ein weiterer Aspekt kommt noch dazu: Das Textbuch von Mazzolà – von dem Mozart übrigens begeistert war – basiert ja auf einer älteren Libretto-Fassung von Metastasio. Diese wurde im Laufe der Jahrzehnte sehr oft vertont, zum Beispiel von Caldara, Hasse, Wagenseil, Gluck... Dadurch, dass diese Vorlage älter ist, kommt auch Mozarts Komposition in diese Atmosphäre des Gestrigen. Mein Rat wäre: Niemand sollte dieses Meisterwerk ignorieren, am besten sollte man alle Vorurteile beiseite lassen und vergessen, was man Negatives im Vorfeld gelesen hat... DIR IGEN T LOU IS LA NGR ÉE IM GE SPR ÄCH
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Hinzu kommt wahrscheinlich auch die helfende Hand Franz Xaver Süßmayrs bei den Secco-Rezitativen, die für gewisse Voreingenommenheiten sorgt. Die Secco-Rezitative sind ja bekanntlich nicht von Mozart – und sie sind nicht auf demselben hohen künstlerischen Niveau wie die Arien und Ensembles. Manchmal verwendet Süßmayr unübliche, ja beinahe verbotene harmonische Wendungen. Manchmal verwendet er sechs Takte lang denselben Akkord. Spannend zu erleben wäre für mich, was Mozart aus den Rezitativen gemacht hätte! Ich habe mit Jürgen Flimm über diese Rezitative, besonders über die Möglichkeit, sie zu kürzen, ausführlich geredet. Ergebnis: Wir haben in den Rezitativen – natürlich nicht in den Arien und Ensembles – Kürzungen vorgenommen. Aber nicht zu viele! Denn wenn man sie nur noch als Brücke zwischen zwei Arien verwendet, dann führt das zu abrupt hintereinander gestellten Stimmungen. LANGRÉE
Wieweit ist La clemenza di Tito nun tatsächlich ein »Rückschritt« zur Opera seria? Ich denke nicht, dass Mozart in allen Aspekten zur Opera seria zurückkehrte, vielmehr würde ich die Oper als eine Art Hommage an die Opera seria bezeichnen. Mozart verwendet Referenzen zur Barockmusik, blickt aber gleichzeitig ins nächste Jahrhundert. Es ist eine Mischung aus Ausblick und Rückerinnerung, mit einem unglaublichen Sinn für Struktur und Form. Mozart baut eine faszinierende Architektur auf, indem er zum Beispiel den Beginn und das Ende miteinander verknüpft. Die Ouvertüre steht in C-Dur, ebenso der Abschluss der Oper. Und auch das musikalische Material und die Phrasierung sind eng verwandt. Das bedeutet: Im Anfang ist bereits das Ende enthalten – und umgekehrt. Zum Beispiel: LANGRÉE
Ouvertüre
Finale
Letzte Takte der Ouvertüre und letzte Takte der Oper
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Wie geht Mozart nun in dieser Hommage an die Opera seria heran? Ein Beispiel: Die Koloraturen sind in der Clemenza – im Gegensatz zur frühen Opera seria – auf keinerlei Effekt ausgerichtet, sondern stehen immer in einer engen Verbindung zur jeweiligen Situation. Natürlich ist das Werk nicht eines mit sehr viel »Action«. Aber stellt das ein Problem dar? Was Mozart interessiert hat, war: Wie sieht die Situation der Figuren aus? Welche Gefühle empfinden sie? Und: Wie beschreibt man das in der Musik? Um das umzusetzen, benötigt es eine ganz spezielle Form im Singen und Spielen. Die Opera seria nach Lucio Silla lautet bei Mozart: Weniger Arien, mehr Ensembles, gekürzte Da Capos. So wirkt die Form viel lebendiger. LANGRÉE
Wieweit ist das Ende der Oper musikalisch ein Happy End? Das Ende des Ersten Aktes wirkt wie eine Versteinerung der gesamten Situation: Es fällt einem beinahe schwer, danach überhaupt zu applaudieren. Das Ende der Oper wiederum ist ein bisschen wie die C-Dur-Messe von Beethoven, es steht etwas Heiliges im Raum. Das ist kein übliches, fröhliches Happy End, in dem mit Feuer und Freudigkeit jubiliert wird. Nein, es gibt am Ende eine Art Tragödien-Ausdruck: Wenn man die Geschichte dieser Oper erlebt, dann braucht es am Ende viel Würde, ja Erhöhung in musikalischer Hinsicht, nach all dem Desaster, versuchten Mord, der verratenen Freundschaft. Es ist einfach nicht möglich, eine ausgelassene Fröhlichkeit zu zeigen. Man spürt auch eine Erhabenheit. Der Klang erinnert uns an Marmor. Alles, was in dieser Partitur ausgesprochen wird, ist gewissermaßen in Großbuchstaben geschrieben. LANGRÉE
Greift Mozart in der Clemenza zu musikalischen Charakterisierungen einzelner Figuren oder Situationen? Ich möchte an dieser Stelle ein Beispiel für die musikalische Sprache Mozarts anführen, für mich einer der besten Momente der gesamten Operngeschichte. Als Vitellia erfährt, dass Tito sie heiraten möchte, bricht sie in Panik und Ratlosigkeit aus. Wie drückt das Mozart aus? In dem Terzett Nr. 10 – das eigentlich kein Terzett, sondern eine Arie mit einem Duett ist – lässt er 39-mal dieselbe Phrase erklingen: LANGRÉE
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Er setzt radikale Dynamikwechsel ein, Synkopen, zahlreiche Modulationen, die zu keinem Ziel führen – ähnlich wie Vitellia, die ratlos ist. Sie muss ein hohes d singen, stammelt nur einzelne Worte Vengo – Aspettate – Sesto, bildet aber keine Phrase: Mozart spielt auch mit der Struktur. Das Ganze dauert nur zwei Minuten, ist aber faszinierend bis ins letzte Detail. Zu Clemenza di Tito gibt es kaum Aufzeichnungen seitens des Komponisten. Empfinden Sie dies als interpretierender Künstler als Mangel oder Freiheit? Grundsätzlich: Unsere Bibel ist die Partitur. Da steht die gesamte Wahrheit niedergeschrieben. Allerdings… Bei Idomeneo haben wir von Mozarts Hand viele Briefe, die sehr viel erläutern. Bei vielen Komponisten wie Beethoven kennen wir Werk-Skizzen und können nachvollziehen, wie ein Stück entstanden ist. Dieser Prozess wäre natürlich auch bei Clemenza di Tito sehr aufschlussreich. Im Endeffekt ist es aber nur ein zusätzliches Wissen und würde nichts ändern, denn jede Note, die Mozart in der Clemenza schrieb, ist perfekt. LANGRÉE
Gibt es für Sie eine Passage, in der man die Eile spürt, in der Mozart das Werk schrieb? LANGRÉE
Nein. Man hört es in keiner einzigen Note. Mozart schrieb Clemenza in enger zeitlicher Nähe zur Zauberflöte und zum Requiem. Lassen sich musikalische Parallelen heraushören?
Es gibt eine Verwandtschaft zwischen Pamina und Servilia. Faszinierend finde ich aber, dass diese beiden letzten Opern, die praktisch gleichzeitig entstanden sind, musikalisch letztlich so weit auseinanderliegen; einen ähnlicher Fall gibt es bei der g-Moll-Symphonie KV 550 und der Jupiter-Symphonie: gleichzeitig entstanden, aber unterschiedlich im Ausdruck. LANGRÉE
Das Gespräch fand 2012 statt.
→ folgende Seiten: KS Michael Schade als Tito, 2012
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» MACHT UND ABGRUND « Andreas Láng im Gespräch mit dem Regisseur Jürgen Flimm
Mozart hat Clemenza di Tito für einen bestimmten Anlass geschrieben – als Teil der Feierlichkeiten zur Krönung Leopolds II. zum böhmischen König. Nun ist dieser ursprüngliche Zweck ja mittlerweile zwangsläufig abhanden gekommen. Muss man dem Werk daher einen neuen Sinn geben? Es wird ja, meines Erachtens nach zu Recht, immer wieder darüber diskutiert, inwieweit Mozart mit der Clemenza tatsächlich nur eine Huldigungsoper geschrieben hat. Für mich persönlich handelt es sich viel eher um ein Werk, das die Formen, Mechanismen und Möglichkeiten von Macht thematisiert, als um ein Stück, das die Vorzüge der aufgeklärten Monarchie feiert. Demjenigen, der sich mit der Handlung der Clemenza beschäftigt, drängen sich daher fast automatisch Fragen auf, wie »Was fängt einer mit seiner Macht an, wie nützt er sie?« und »Wie ist es um die angebliche Toleranz dieses Mächtigen bestellt?«. Ich glaube, dass es mit der Toleranz des Tito nicht sehr weit her ist. Liest man das Libretto ein wenig genauer, horcht man bewusst auf die Musik, wird deutlich, wie ungeduldig dieser Kaiser in Wahrheit ist – und wie gefährlich! JÜRGEN FLIMM
Aber immerhin ringt er sich letztendlich zu einer Milde, zu einer Clemenza durch. 15
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Die Milde möchte ich sehr anzweifeln, da die Atmosphäre, die am Ende vorherrscht, im Grunde von der merkwürdigen »repressiven Toleranz« des Tito geprägt ist. Was für ein Kaiser ist er denn eigentlich? Einer, dem sein Volk, also die Römer, zwar die Herrscherwürde zugestanden haben, nicht aber die Frau, die er in Wahrheit liebte, nämlich jene jüdische Prinzessin Berenice, die er aus Palästina mitgebracht hatte. Und ich bin überzeugt, dass dieser erzwungene Liebesverlust zu einem Trauma bei Tito geführt hat, zu einem Beziehungsproblem – nicht umsonst spricht er am Beginn der Oper von einer »noch blutenden Wunde, einem noch nicht vergangenen Schmerz«. Alle weiteren Frauen, die er später an seiner Seite sehen möchte, sind aus bloß dynastischen Überlegungen heraus von ihm erwählt worden, die liebt er ja nicht wirklich. Und zu diesem Trauma gesellt sich schließlich noch die Erkenntnis, dass er auf seinen engsten Freund, nämlich Sesto, nicht zählen kann, dass dieser ihn zu töten imstande wäre. Keine schöne, aber eine sehr realistische Situation, in der sich Tito auf einem Mal wiederfindet. FLIMM
Wenn aber in der Clemenza nichts Utopisches gezeigt werden soll, kein hehres Vorbild, wie man als Mensch zu agieren hat, wenn man also ausklammert, dass Tito ein wirklich positiver Mensch ist: Was soll uns dann die Oper insgesamt sagen? Genau die Tatsache, dass es die Idealfigur, die so oft beschworen, gesucht und vermeintlich gefunden wird, gar nicht gibt. Wir wollen auf der Bühne Menschen in ihrer ganzen Widersprüchlichkeit zeigen, sei es nun Tito, Vitellia oder Sesto. Ich kann auf der Bühne schon deshalb keine Utopien zeigen, weil ich nicht weiß, wie die aussehen. Eine Utopie ist ein philosophischer, gedanklicher Vorgang, hat mit der Praxis erstmal nichts zu tun. Es wäre meiner Meinung nach auch langweilig, wenn Tito die ganze Zeit nett auf der Bühne säße und freundlich herumsäuselt – das will ja niemand. Wie heißt es so schön bei Büchner: »Jeder Mensch ist ein Abgrund: Es schwindelt einem, wenn man hinabsieht.« Und genau das kann man im Theater zeigen, genau deshalb machen wir Theater, auch Musiktheater. Wir zeigen, was mit den bedauernswerten Menschen los ist – zum Beispiel anhand von Clemenza di Tito. FLIMM
Spielt diese Oper bei Ihnen deshalb nicht im alten Rom? Als Shakespeare seine römischen Tragödien schrieb, gab es keine originalen Togen auf der Bühne, da die Elisabethaner keinen Begriff von Kostüm, von Bühnenbild hatten, es existierte ja auch kein Kostümbildner. Es gab Schauspieler, die über ein bestimmtes Repertoire verfügten, wie der Narr, der immer den Narren gespielt hat und seine Songs draufhatte. Wir wissen, dass die Kostüme, die diese Schauspieler anhatten, gar keine FLIMM
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waren, sondern die vom Patron der Truppe überlassenen Kleidungsstücke. Es war so, als ob ein heutiger, der Kunst sehr zugeneigter Politiker, Schauspieler mit den Worten zu sich einladen würde: »Da ist mein Kleiderschrank, nehmt die Sachen, die ihr brauchen könnt«. Man hat also damals nicht in historischen Kostümen gespielt, zur Zeit Mozarts ebenso wenig – jeder kennt die entsprechenden Stiche aus dem 18. Jahrhundert, auf denen die Darsteller mit zeitgemäßen Puderhaaren abgebildet sind – womit die Frage bleibt, warum wir heute in einer pseudoantiken Ausstattung spielen sollten, wo doch das Stück streng genommen mit der Antike gar nichts zu tun hat. Durch eine Verlegung ins Heute hofft man nebenbei, näher an die Geschichte heranzukommen und die zeitgenössischen Perspektiven zu schärfen. Man kann immer wieder lesen, dass es eine wirkliche Handlung in der Clemenza gar nicht gibt, dass vieles besprochen wird, aber das Eigentliche hinter den Kulissen passiert. Wer sagt denn so etwas? Gleich im ersten Rezitativ zwischen Vitellia und Sesto, da ist schon was los – die gehen auf eine ziemlich harte Weise miteinander um! Und schließlich geht es in dieser Debatte ja um nichts weniger als um den Mord am Kaiser. Also, wer da noch mehr Handlung will, muss sich schon einen Rambo anschauen. Aber im Theater passiert Handlung nun einmal durch Worte beziehungsweise in der Oper zusätzlich durch Musik. Ein Regisseur, eine Schauspielerin, ein Sänger liest den Text, analysiert ihn, schaut was zwischen den Halbsätzen, was im Beistrich passiert, wie und warum ein Satz umspringt, geht der Partitur auf den Grund, überlegt, wie das Rezitativ die Arie vorbereiten muss, wie man die Arie bebildert, welche Szenen man zuspitzt. Und das Ergebnis wird den Zuschauenden in seiner ganzen Komplexität dargeboten. FLIMM
Landläufig heißt es: In den Rezitativen geschieht die Aktion, in den Arien werden Emotionen vorgeführt. Hat der Regisseur folglich in den Rezitativen mehr Möglichkeiten als in den Arien? Nicht wirklich, im Einsatz ist kein Unterschied zwischen Rezitativen und Arie. Vielleicht sind die Rezitative einfacher, weil dort so viel geredet wird und es nah am Sprechen ist. Aber bei den Arien muss man genauso scharf draufschauen, um die Gefühle, die hier ausgedrückt werden, szenisch adäquat wiederzugeben, vielleicht auch das eine oder andere Mal einen gegenläufigen Kontrapunkt zu setzen. FLIMM
In den meisten Produktionen werden sogenannte Striche gemacht, also Kürzungen. Ist die Regisseurin oder der Dirigent in so einem Fall klüger als der Komponist? 17
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Das hat mit dem Komponisten nichts zu tun, man ist auch nicht klüger als die Schöpfer eines Werkes. Aber dennoch habe ich in der Clemenza einige Striche in den Rezitativen gemacht, weil sie, entsprechend der Entstehungszeit, sehr vieles detailliert erklären, was heute nicht mehr notwendig ist, da das Publikum eine ganz andere Bildung und Theatergewohnheit besitzt als jenes im 18. Jahrhundert. Geschult an den Realisten, an den Stücken von Tschechow oder Ibsen, kann man heute viel elliptischer vorgehen. Man muss nicht alles erklären, was hinter der Szene passiert, weil sich die Zuschauer vieles selber zusammenreimen können und die Sprünge mitdenken. FLIMM
Wie hält es denn der Regisseur und Intendant Flimm mit der Clemenza – schließlich sind beide Positionen mit viel Macht verbunden? Sowohl der Regisseur als auch der Theaterdirektor besitzt weit weniger Macht, als gemeinhin angenommen wird. Die Macht des Regisseurs hört genau in dem Moment auf, in dem er seinen Satz, seine Anweisung zu Ende gesprochen hat, denn dann muss die Sängerin, der Schauspieler diesen geäußerten Wunsch freiwillig umsetzen. Heute gibt es ja keine Sängerin, keinen Schauspieler mehr, der die Hände anlegt und »Jawohl!« sagt. Die Zeiten sind, Gott sei Dank, vorbei. Sie müssen als Regisseur in Wahrheit immer um ihren Einfall, um ihre Perspektive bei den Mitwirkenden buhlen. Und wenn Sie intelligente Interpreten vor sich haben, werden deren Rückfragen und Alternativvorschläge nicht ausbleiben. Der Regisseur hat lediglich das Recht auf den ersten Vorschlag, mehr nicht. Als Theaterdirektor ist es nicht unähnlich, weil sie einerseits von der normativen Kraft des Faktischen kontrolliert werden – es fällt jemand aus, es gibt ein Finanzproblem, es gibt ein politisches Problem – und von den Mitarbeitern, auf die sie angewiesen sind. FLIMM
Heute werden Buffo-Opern meist auch nicht mehr als rein komische Werke interpretiert. Wodurch unterscheidet sich dann aber, abgesehen von der Form, eine Seria- von einer Buffo-Oper? Ob seria oder buffo ist für mich ohnehin völlig uninteressant, weil ich ein Stück und kein Etikett inszeniere. Da kann die Gattung heißen, wie sie will. Ich sehe mir das jeweilige Werk genau an und versuche den Punkt herauszuarbeiten, der mich interessiert, bei dem ich einsteige. FLIMM
Sie wissen, wo Sie einsteigen, aber wohl nicht, wo die Reise hingeht, da Sie, wie eben angedeutet, während der Probenarbeit im ständigen Austausch mit den Interpreten stehen? R EGIS SEU R J Ü RGEN FLIM M IM GE SPR ÄCH
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Nein, das weiß man nicht. Man hat zunächst so eine Ahnung – im aktuellen Fall denkt man sich: Da ist die Geschichte mit diesem mildtätigen Tito. Aus diesen Überlegungen entwickelt sich nach und nach ein grobes Konzept. Es kann aber tatsächlich geschehen, dass der Ausgangspunkt, auf den die Inszenierung aufgehängt war, schlussendlich gar nicht mehr existiert, weil man längst einen anderen Weg gefunden hat. Da ich bei den Proben möglichst frei und offen für Anregungen sein möchte, passiert mir so etwas des Öfteren. FLIMM
Wenn man lange beim Theater ist, dürften einem die Mechanismen, die beim Publikum gewisse Reaktionen hervorrufen, doch bekannt sein. Nein, denn wenn diese bekannt wären, wären Erfolge erstens immer vorprogrammiert, zweitens derjenige, der solche »Mechanismen« beherrschte, ein steinreicher Mensch, da er sein Wissen teuer an Hollywood verkaufen könnte, und drittens keine Proben mehr notwendig. Denn gerade die Probe an sich ist ein Prozess der permanenten Veränderung, der Entwicklung, die eine künstlerische Interpretation erst möglich macht. FLIMM
Das Gespräch fand 2012 statt.
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Oliver Láng
DIE GEBURT EINER »WAHREN OPER «
Entstehungsgeschichte von Clemenza di Tito
Die Annäherung an die Entstehungsgeschichte der Clemenza lässt sich nicht ohne einige Fragezeichen, nicht ohne ein Eintauchen in die umfangreiche Forschungsgeschichte bewerkstelligen. Kriminalistische Neugierde zeichnet dabei manchen Wissenschaftler aus, wenn es darum geht, die Wege bis zur Uraufführung nachzuzeichnen. Am Anfang war der Kaiser – Leopold II. –, der zum König von Böhmen gekrönt werden sollte; entsprechend der auch repräsentativen Funktion des Musiktheaters sollte für die anstehenden Feierlichkeiten eine neue Oper geschrieben werden, die der Bedeutung des Anlasses nach Möglichkeit reibungsfrei entsprechen sollte. Doch Bedeutung hin oder her, die Zeit vom offiziellen Startschuss zum neuen Opernprojekt bis zum eigentlichen Krönungstermin war denkbar kurz: Die vertragliche Beauftragung des zuständigen Produzenten, des Impresarios Domenico Guardasoni – er hatte am Ständetheater in Prag 1786 Le nozze di Figaro herausgebracht und im nächsten Jahr die Uraufführung Don Giovannis initiiert – erfolgte am 8. Juli 1791, bereits zwei Monate später, am 6. September, sollte die Uraufführung stattfinden. Das erhaltene Vertragsdokument, das Domenico Guardasoni unterzeichnete, dient heute nicht nur der historischen Nachvollziehbarkeit des Entstehungsprozesses, sondern gibt auch Einblick in die Rangordnung der Bedeutung der einzelnen Aspekte eines solchen Ereignisses. An wesentlicher Stelle wird die finanzielle Gegenleistung genannt (6.000 beziehungsweise 6.500 Gulden). Dann: »Zum ersten verpflichte ich mich, einen Ersten Kastraten ersten Ranges zu engagieren wie z. B. Marchesini oder Rubinelli oder Crescentini oder Violani, oder einen anderen, aber immer von führender Qualität. Und gleichermaßen verpflichte ich mich, eine Prima Donna zu engagieren, ebenfalls ersten Ranges und jedenfalls die Beste in dieser Kategorie…« Unter zweitens wird die Abfassung des Librettos behandelt – entweder basierend auf einem von zwei Themen, die von Graf Heinrich Rottenhan vorgeschlagen werden, oder, falls das nicht möglich sein sollte, ein Rückgriff auf das bekannte Clemenza-Libretto Metastasios. In diesem Abschnitt kommt es erstmals – und das einzige Mal – zur Erwähnung der Musik, es sollte nämlich veranlasst werden, dass ein »berühmter Meister« sich an die Vertonung des Rottenhan’schen Themas macht. Man geht im Vertrag über zum Bühnenbild und Kostüm und zur festlichen Ausschmückung des Theaters. »Und viertens verpflichte ich mich, das Theater zu illuminieren und mit Girlanden zu versehen, jedes Detail besagter Oper in Szene zu setzen.« Zuletzt findet sich der Hinweis, wie im Falle eines Nichtzustandekommens des Projekts vorgegangen werden sollte, eine Art Ausstiegsszenario also, das für manche – wie für den großen Mozart-Forscher Robbins Landon – eine generelle Unsicherheit des Gesamtprojekts widerspiegelt. Von einem besonderen Komponisten, der die Oper schreiben sollte, war nicht die Rede. Also fragte Guardasoni zunächst beim Hofkapellmeister Antonio Salieri, der jedoch, aus komplex verketteten Gründen einer Arbeitsüberlastung, nicht 21
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annehmen konnte: Er musste nämlich ohne seinen Schüler Joseph Weigl auskommen, der wiederum für seinen in London weilenden Patenonkel Joseph Haydn bei Fürst Anton Esterházy eingesprungen war. »Und außerdem musste ich, ohne es zu bedauern, die Komposition der Oper ablehnen, die für die Krönung in Böhmen in Vorbereitung ist, für welche Oper der Impresario fünfmal von Prag nach Wien kam, um mir den Auftrag aufzunötigen, und mir sogar 200 Zechinen entgegenhielt, einen Auftrag, den ich nicht annehmen konnte, da ich mich allein den Angelegenheiten des Hoftheaters zu widmen hatte«, liest man in einem Brief Salieris an Fürst Esterházy. Mozart war also »zweite Wahl«. Als Bearbeiter des Metastasio-Clemenza-Textes – zu der »Librettisierung« und Vertonung der Vorschläge Rottenhans war es nicht gekommen – wurde Caterino Mazzolà herangezogen, der, aus Dresden kommend, kurzfristig die nach Lorenzo Da Pontes Abgang freie Stelle des Hofdichters bekleidete. Einen wichtigen Aspekt in der Clemenza-Rezeption stellt die Frage nach der Arie Non più di fiore bzw. des zweiten Teils dieser Nummer Infelice! Qual orrore! dar. Vor rund einem halben Jahrhundert hat der Musikwissenschaftler Tomislav Volek nachgewiesen, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Teil dieser Arie bereits vor dem Kompositionsbeginn der Clemenza aufgeführt (und zwar von der Mozart-Freundin Josepha Duschek am 26. April 1791 in Prag) und im Laufe der Arbeit an dem Werk in die Oper integriert wurde. Weiterführenden Thesen, dass Mozart bereits seit 1789 an einer ClemenzaOper arbeitete, fehlt es jedoch an Plausibilität. Soweit die Arbeit an dieser Oper heute noch nachzuvollziehen ist, kann davon ausgegangen werden, dass Mozart das Werk in kürzester Zeit schrieb. Abgesehen von der knappen Zeitspanne zwischen der Vertragsunterzeichnung Guardasonis und dem Uraufführungstermin trat noch erschwerend hinzu, dass der Impresario sich erst nach Italien aufmachen musste, um Sänger für die Produktion zu gewinnen. »Bevor Mozart wusste, wer sie sein würden und welchen Stimmumfang sie besäßen, konnte er schwerlich etwas für sie schreiben außer Ensemblenummern, in denen er Stimmumfänge voraussetzen konnte, die (sozusagen) für jeden Sopran oder jeden Tenor passend sein würden.… Die einzige Stimme, die Mozart gut kannte, war die des zukünftigen Titus – des Tenors Antonio Baglioni, der den Don Ottavio in Don Giovanni 1787 in Prag kreiert hatte. Abgesehen von der Musik für diesen einen Sänger glaubte Mozart, er könne nur einige Ensemblenummern zu schreiben riskieren, solange er die Stimmen nicht kannte, die singen sollten. Er konnte also mit Skizzen und Entwürfen für Nummern beginnen, in denen Vitellia, Sextus, Servilia und Annius mitwirkten; es stand ja laut Vertrag fest, dass Sextus ein Kastrat sein würde«, führte der genannte Mozart-Forscher Robbins Landon aus. Weiters errechnete Landon, dass Mozart erst ab dem 15. August 1791 die weiteren Teile komponieren konnte (da Guardasoni erst zu dieser Zeit mit den Namen der Sänger in Wien ankam); am 28. August OLI V ER LÁ NG
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erreichte Mozart Prag und arbeitete auf der Reise dorthin und in der Stadt selbst noch an der Fertigstellung der Oper. Um La clemenza di Tito noch termingerecht zu vollenden, übergab der Komponist die Ausführung der Secco-Rezitative (mit höchster Wahrscheinlichkeit) seinem Schüler Franz Xaver Süßmayr (der auch das Requiem vollendete). Kaum etwas über diese Oper ist von Mozart überliefert. Immerhin findet sich die Eintragung in seinem eigenhändigen Werkverzeichnis: »den 5:t September – aufgeführt in Prag den 6:t September. La Clemenza di Tito. opera Seria in Due Atti. per l’incoronazione di sua Maestà L’imperatore Leopoldo II. – ridotta à vera opera da Sig:re Mazzolà. Poeta di sua A: S: l’elettore di Saßonia.« Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auf »vera opera«, also wahre, richtige Oper: Für Mozart hatte Mazzolà offenbar aus Metastasios Clemenza-Libretto, einer veralteten Form von 1734, ein echtes, also zeitgemäßes Werk gemacht. Offen bleibt die Frage, wieweit der Komponist, für den ein gutes Libretto ein wesentliches Anliegen war, sich in die Mazzolà-Bearbeitung der Clemenza eingebracht hat. Der Uraufführung am 6. September 1791 im Ständetheater in Prag war kein großer Erfolg beschieden. Georg Nikolaus Nissen, zweiter Gemahl von Constanze Mozart und Verfasser einer frühen Mozart-Biografie, führte aus: »Diese Oper, die jetzt noch immer mit dem größten Entzücken gehört wird, gefiel bey ihrer ersten Vorstellung nicht so sehr, wie sie es verdiente. Ein Publicum, von Tanz, Ball und Vergnügen aller Art und dem prunkenden Geräusche des Krönungsfestes betäubt, konnte unmöglich für die einfachen Schönheiten Mozart’scher Kunst Sinn haben.« Und auch in der Mozart-Biografie Franz Niemetscheks von 1794 las man: »Tito wurde zur Krönungszeit als Freioper und dann einigemal noch gegeben; aber da es das Ungefähr so haben wollte, dass ein elender Kastrat und eine mehr mit den Händen als der Kehle singende Primadonna, die man für eine Besessene halten musste, die Hauptparten hatte; da der Stoff zu simpel ist, als dass er eine mit Krönungsfeierlichkeiten, Bällen und Illuminazionen beschäftigte Volksmenge hätte interessieren können, und da es endlich – Schande unserem Zeitalter – eine ernsthafte Oper ist, so gefiel sie minder im Allgemeinen, als sie es vermöge ihrer wahrhaft himmlischen Musik verdiente.« Der berühmte, angebliche Ausspruch Kaiserin Maria Ludovica, die Oper wäre »una porcheria tedesca« (eine deutsche Schweinerei), zählt zu den Highlights der anekdotischen Operngeschichte, ist aber nicht verbürgt. Tatsache ist jedenfalls, dass der Adel der Oper mit einiger Distanz entgegentrat, wie auch das restliche Publikum sich kaum begeistert zeigte, wenn auch Kaiser Leopold II. über Maria Marchetti-Fantozzi, die die Vitellia sang, »entousiasmé« gewesen war. Entsprechend die Enttäuschung des Impresarios Guardasoni in Bezug auf die wirtschaftliche Ausbeute. Erst die letzte Vorstellung am 30. September (am Uraufführungstag der Zauberflöte) wurde, wie Mozart am 23
DIE GEBU RT EIN ER »WA HR EN OPER«
7. Oktober 1791 an seine Frau nach Baden schrieb, zum großen Erfolg: »Das sonderbarste dabei ist, das den abend als meine neue Oper [Zauberflöte] mit so vielen beifall zum erstenmale aufgeführt wurde, am nemlichen abend in Prag der Tito zum leztenmale auch mit ausserordentlichen beifall aufgeführet worden. – alle Stücke sind applaudirt worden.« Die Nachfrage nach der Clemenza steigerte sich im Laufe der nächsten Jahre, zeitweise war sie – wie Helga Lühning ausführt – neben der Zauberflöte die beliebteste Mozart-Oper im deutschsprachigen Raum. Lühning führt im Mozart-Handbuch aus: »Und schließlich gab es auch immer wieder einmal seriöse Anlässe, zu denen Titus als Festoper eingesetzt wurde, so etwa als Benefizvorstellung für Mozarts Witwe Constanze 1794, 1795 und 1796 in Wien, Berlin und Graz. Selbst als Fürstenhuldigung wurde er weiter benutzt: beispielsweise 1802 in Mannheim bei der Übergabe pfälzischer Gebiete von Bayern an den Markgrafen Karl Friedrich von Baden oder 1824 in München zum 25. Jahrestag des Regierungsantritts von Max IV. Joseph.«
DIE GEBU RT EIN ER »WA HR EN OPER«
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» Die Mozart’sche Melodie ist – losgelöst von jeder irdischen Gestalt – das Ding an sich, schwebt gleich Platos Eros zwischen Himmel und Erde, zwischen sterblich und unsterblich – befreit vom › Willen ‹. « Richard Strauss
JOACHIM R EIBER
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Kaiser Leopold II.
Geboren: Gestorben: Verheiratet mit: Eheschließung:
5. Mai 1747 in Wien 1. März 1792 in Wien Maria Ludovica, Infantin von Spanien 5. August 1765 in Innsbruck
18. August 1765: 9. Oktober 1790: 15. November 1790: 6. September 1791:
Großherzog von Toskana Römisch-deutscher Kaiser König von Ungarn König von Böhmen
Leopold II. wurde als Sohn von Franz I. und Maria Theresia in Schönbrunn geboren. Nach dem Tod seines Vaters wurde er Großherzog von Toskana und übernahm die entsprechenden Regierungsgeschäfte. In dem knappen Vierteljahrhundert seiner Regentschaft in Florenz erlebte das Herzogtum eine Blütezeit in vielerlei Hinsicht: Leopold gelang es nicht nur, die Schulden seiner Vorgänger zu tilgen, sondern die Region wirtschaftlich auf solide Beine zu stellen. Eine Reihe von großen Reformprojekten wurde gestartet und durchgeführt: Die Bauern wurden aus der Feudalherrschaft und von Dienstbarkeiten befreit, das Zunftwesen aufgehoben, das Schulsystem verbessert, ein freier Handelsverkehr gefördert, Adelsprivilegien wurden aufgehoben, eine Religionsfreiheit ermöglicht. Von besonderem Gewicht war die Modernisierung und Humanisierung des Strafwesens – so schaffte Leopold etwa die Folter und Todesstrafe ab. Im Bereich der Kirche nahm er allerdings Freiheiten zurück: Um etwa Mönch oder Nonne zu werden, brauchte es nunmehr eine offizielle Genehmigung eines Ministers. Nach dem Tod seines Bruders Joseph II. wurde er am 9. Oktober 1790 zum – habsburgischen – Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation gekrönt. Ihm waren in dieser Funktion nur rund eineinhalb Jahre gegönnt, in denen er unter anderem eine gegenseitige Annäherung mit Preußen erreichte. Leopold war mit Maria Ludovika von Spanien verheiratet, die ihm zwölf Kinder gebar. Er starb am 1. März 1792 in Wien. Sein Wahlspruch lautete: »Pietate et concordia«. 27
K A ISER LEOPOLD II.
Sueton
TITUS FLAVIUS VESPASIANUS Titus, der seinen Beinamen (Vespasianus) nach seinem Vater führte, war die Liebe und Freude des menschlichen Geschlechts: So überreich ausgestattet war er, sei es durch die Natur oder durch Kunst oder an Glück, zur Gewinnung der allgemeinen Zuneigung, und zwar, was das Schwierigste ist, auf dem Thron, während er als Privatmann und selbst noch, als sein Vater bereits Kaiser war, nicht nur dem öffentlichen Tadel unterlag, sondern sogar förmlich gehasst wurde… Schon an dem Knaben traten die glänzenden Körper- und Geistesgaben hervor, die sich dann im Laufe der Zeit mit den fortschreitenden Altersstufen immer mehr und mehr entwickelten: Seine überaus schöne äußere Erscheinung, in welcher sich Würde und Anmut harmonisch verbunden zeigten; ein ausgezeichnet kräftiger Körper, obwohl sein Wuchs nicht hoch und sein Unterleib etwas stark war; ein wunderbares Gedächtnis, Geschick zu fast allen Künsten des Krieges wie des Friedens. In Führung der Waffen und des Rosses übertraf ihn keiner. Sowohl in der lateinischen wie in der griechischen Sprache war er ein fertiger Redner und Dichter, mit einer Leichtigkeit, die sogar bis zum Improvisieren ging. Ja, selbst in der Ausübung der Musik war er kein Fremdling, wie er denn anmutig und geschickt sang und das Psalterium spielte. T IT US FLAV I US V E SPASI A N US
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Als Kriegstribun diente er sowohl in Germanien als auch in Britannien und erwarb sich überall den Ruf eines ebenso tätigen wie uneigennützigen Mannes, wie dies die Menge der ihm in beiden Provinzen gesetzten Statuen, Bildnisse und Inschriften erweist. Aus dem Feld heimgekehrt, versuchte er sich als Sachwalter auf dem Forum, und zwar mehr in Sachen, wo Ehre zu gewinnen war, als dass er eine fortwährende Tätigkeit gesucht hätte. In dieselbe Zeit fällt auch seine Verheiratung mit der Arrecina Tertullo, deren Vater zwar nur römischer Ritter, aber früher Präfekt der kaiserlichen Leibwache gewesen war. Als sie starb, heiratete er die Marcia Furnilla aus glänzender Familie, von der er sich aber, nachdem sie ihm eine Tochter geboren, wieder trennte. Nachdem er hierauf die Quästur bekleidet hatte, erhielt er das Kommando einer Legion, in welcher Stellung er Tarichaeae und Gamala, zwei wohl befestigte Städte Juadaeas, unterwarf… Sein Vater ließ ihn in Juadaea zurück, um dessen Unterwerfung zu vollenden, wo er zuletzt bei der Belagerung von Jerusalem zwölf Feinde mit ebensovielen Pfeilschüssen tötete. Er eroberte die Stadt am Geburtstag seiner Tochter, und der Jubel und die Begeisterung seiner Soldaten für ihn war so groß, dass sie ihn bei seiner Beglückwünschung als »Imperator« begrüßten… Seitdem war und blieb er der Teilnehmer, ja, die Stütze der Regierung seines Vaters. Er triumphierte mit diesem und bekleidete die Zensur mit ihm zugleich, wie er auch sein Kollege in der tribunizischen Gewalt und in sieben Konsulaten war. Er übernahm fast alle Regierungsgeschäfte, diktierte sogar Briefe in seines Vaters Namen, verfasste die Edikte, verlas statt des Quästors die kaiserlichen Ansprachen im Senat und übernahm endlich auch das Oberkommando über die Garde, das bis dahin immer nur ein römischer Ritter innegehabt hatte, verfuhr aber in dieser Stellung sehr tyrannisch und gewalttätig. Dadurch machte er sich überaus verhasst, so dass man wohl sagen kann, dass nicht leicht ein Fürst mit so üblem Ruf und unter solcher allgemeiner Abneigung den Thron bestiegen hat. Außer seiner Grausamkeit hatte man ihn auch im Verdacht der Schwelgerei, weil er die Trinkgelage mit seinen liederlichen Genossen bis tief in die Nacht ausdehnte, und ebenso im Verdacht der Wollust, wegen des Schwarms von Lüstlingen und Verschnittenen um ihn her und wegen der heftigen Liebesleidenschaft für die Königin Berenice, der er, wie man allgemein sagte, sogar die Ehe versprochen hatte. Auch im Verdacht der Habsucht hatte man ihn, weil es bekannt war, dass er mit den richterlichen Entscheidungen seines Vaters einen Handel trieb und Bestechungen annahm. Mit einem Wort, man hielt ihn für einen zweiten Nero und nannte ihn offen auch so. Ihm aber kam dieser Ruf zustatten und verwandelte sich in die größte Bewunderung, da man an ihm als Kaiser nicht nur keines dieser Laster, sondern im Gegenteil die herrlichsten Eigenschaften fand… Die Berenice sandte er unmittelbar nach seiner Thronbesteigung aus Rom fort, so schmerzlich es ihn und sie auch ankam… Keinem Bürger entzog er SU ETON
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das Geringste; fremdes Eigentum hielt er heilig, wie kaum sonst jemand; ja, selbst die erlaubten und gewöhnlichen Geschenke nahm er nicht an. Und dennoch stand er keinem seiner Vorgänger an Freigebigkeit nach. Von Natur überaus wohlwollend, war er der erste Kaiser, der die vor ihm erteilten Gnaden samt und sonders durch ein einziges Edikt bestätigte, ohne sich darum bitten zu lassen… Bei allen an ihn gerichteten Bittgesuchen hielt er aufs strengste an dem Grundsatz fest, niemand ohne Hoffnung zu entlassen. Und wenn ihm seine Vertrauten erklärten, er verspreche mehr, als er leisten könne, gab er zur Antwort, es dürfe keiner, der mit dem Kaiser gesprochen, traurig hinweggehen. Ja, als ihm einmal bei Tafel einfiel, dass er an dem ganzen Tag niemand etwas Gutes getan habe, tat er jenen denkwürdigen und mit Recht gepriesenen Ausruf: »Freunde, ich habe einen Tag verloren!« Vornehmlich das Volk in seiner Gesamtheit behandelte er bei allen Gelegenheiten mit Leutseligkeit; er gewährte ihm alles, um was es bat, und forderte es ausdrücklich auf, alle seine Wünsche auszusprechen… Mehrere große Unglücksfälle ereigneten sich unter seiner Regierung; so der Ausbruch des Vesuvs in Campanien, ein Brand zu Rom, der drei Tage und drei Nächte anhielt, desgleichen eine Pest von solcher Furchtbarkeit, wie sie vielleicht sonst nie vorgekommen war. Bei diesen vielen großen Unglücksfällen bewies er nicht nur die Sorgsamkeit des Fürsten, sondern auch die in ihrer Art einzige Liebe eines Vaters. Hier sprach er durch Edikte Trost zu, dort brachte er, soweit seine Kräfte reichten, Hilfe. Er setzte eine aus den gewesenen Konsuln durchs Los erwählte Kommission ein, die sich mit der Wiederherstellung des in Campanien angerichteten Schadens beschäftigen musste. Das Vermögen der beim Ausbruch des Vesuvs Umgekommenen, von denen keine Erben vorhanden waren, wies er zur Wiederherstellung der von jenem Unglück heimgesuchten Städte an. Nach dem Brand in Rom erklärte er, dass der Schaden, welchen der Staat an öffentlichen Gebäuden erlitten, ihm allein zur Last falle, und verordnete, allen Schmuck der kaiserlichen Lustschlösser für die Wiederherstellung der öffentlichen Monumente und Tempel zu verwenden, und setzte zur Beschleunigung der entsprechenden Arbeiten eine Aufsichtskommission aus römischen Rittern ein. Um den Gesundheitszustand der Bevölkerung zu verbessern und die Kraft der Krankheiten zu brechen, ließ er kein Mittel der Religion und Arzneiwissenschaft unversucht, indem er alle Arten von Sühnopfern und Heilmitteln anwandte… Das Oberpontifikat nahm er seiner ausdrücklichen Erklärung zufolge nur darum an, um seine Hände rein von Blut erhalten zu können; und er hielt Wort. Denn von der Zeit an wurde niemand auf seinen Befehl oder auch nur mit seiner Einwilligung getötet. Und obwohl ihm mehrmals die Ursache zu solcher Strafe nicht fehlte, so versicherte er doch jedes Mal hoch und teuer, er wolle lieber sterben als andere verderben. Zwei Männer von patrizischer Familie waren überführt worden, nach dem Thron gestrebt zu haben. Titus 31
T IT US FLAV I US V E SPASI A N US
begnügte sich damit, sie zu ermahnen, von ihrem Vorhaben abzustehen, weil, wie er sagte, der Thron vom Schicksal verliehen werde; wünschten sie sonst etwas, so werde er es ihnen bewilligen. Und so schickte er denn auch auf der Stelle an die Mutter des einen, welche sich von Rom weit entfernt befand, seine Kuriere ab, um der bekümmerten Frau zu melden, dass ihr Sohn nichts zu fürchten habe. Ja, er zog beide nicht nur zu seiner eigenen Tafel, sondern ließ ihnen auch am folgenden Tag bei dem Gladiatorenspiel ihre Plätze mit Fleiß in seiner nächsten Umgebung anweisen. Mitten in so einer trefflichen Regierung raffte ein vorzeitiger Tod ihn dahin, mehr zum Unglück der Menschen als zu seinem… Er schied vom Leben in demselben Landhaus, in dem sein Vater gestorben war, am dreizehnten September, zwei Jahre, zwei Monate und zwanzig Tage, nachdem er seinem Vater in der Regierung gefolgt war, im einundvierzigsten Lebensjahr. Als die Kunde sich verbreitete, war es nicht anders, als ob die öffentliche Trauer aller ein Privattrauerfall jedes einzelnen sei.
Uwe Schweikert
→ Michèle Losier als Sesto, 2014
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BERENICE, DIE GELIEBTE VON KAISER TITUS
Berenice, Urenkelin Herodes des Großen und Tochter des Judäischen Königs Herodes Agrippa I., wurde um 28 n. Chr. geboren. Nach drei Ehen, die ihr jeweils politisch bedeutende Positionen gesichert hatten, wurde sie die Geliebte des späteren römischen Kaisers Titus, den sie als Feldherrn während der Vernichtung Judäas und der Zerstörung Jerusalems durch die Römer kennenlernte. Titus, der Berenice nachweislich liebte, nahm sie nach Rom mit, musste sich aber, als er die Kaiserwürde erlangte – wenn auch widerwillig – aus Staatsräson wieder von ihr trennen. Quellen zu Berenice finden sich unter anderem bei Tacitus, Flavius Josephus, Sueton und der Apostelgeschichte des Neuen Testaments. BER EN ICE , DIE GELIEBT E VON K A ISER T IT US
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Um diese Zeit war König Agrippa nach Alexandrien gereist… Berenice aber war damals gerade in Jerusalem anwesend und musste die Gräueltaten der Soldaten mit ansehen. Von innigem Mitleid ergriffen, sandte sie zu wiederholten Malen ihre Reiteroffiziere und Leibwächter zu Florus mit der Bitte, er möge doch dem Morden Einhalt gebieten… [Schließlich] erschien Berenice barfuß als Bittstellerin vor dem Richterstuhl des Florus, erfuhr aber nicht nur eine unehrerbietige Behandlung, sondern geriet auch obendrein noch in Lebensgefahr. (Flavius Josephus, Der jüdische Krieg, 2, 15)
Als Titus Nachricht vom Ende Galbas erhielt… prüfte er unter Beiziehung weniger Freunde… die Lage nach beiden Seiten: Reise er wirklich in die Hauptstadt weiter, werde er keinen Dank ernten… kehre er aber zurück, so werde der Sieger zweifellos gekränkt sein… Während er in diesen und ähnlichen Erwägungen zwischen Hoffnung und Furcht hin und her geworfen wurde, siegte die Hoffnung. Manche glauben, er sei aus Sehnsucht nach der Königin Berenice umgekehrt. Und wirklich, er schwärmte in seinem jugendlichen Herzen für Berenice, was aber kein Hindernis für sein tatkräftiges Handeln bildete. (Tacitus, Historien, 2, 2) Einige Tage später trafen König Agrippa und Berenice in Cäsarea ein, um Festus ihre Aufwartung zu machen. Sie blieben mehrere Tage dort. Da trug Festus dem König den Fall des Paulus vor… So kamen am folgenden Tag Agrippa und Berenice mit großem Gepränge und betraten die Empfangshalle, zusammen mit den Obersten und den vornehmsten Männern der Stadt. Auf Befehl des Festus wurde Paulus vorgeführt. Da erhoben sich der König und der Statthalter, auch Berenice und alle, die bei ihnen saßen. (Apostelgeschichte, 26,13-26,30)
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BER EN ICE , DIE GELIEBT E VON K A ISER T IT US
Jean Racine: Berenice → 4. Akt, 4. Szene
Titus (allein): Wohlan! – Titus, was soll geschehen? Willst Berenice du, Verwegener, nochmals sehen? Ist dein Abschied bereit? Hast du dich wohl befragt, Und wappnet Härte dich, vor der dein Herz nicht zagt? Denn, wahrlich, in dem Kampf, der jetzt sich vorbereitet, Genügt nicht standhaft sein; die Grausamkeit entscheidet. Ertrag ich ihren Blick, des liebreicher Gefahr Mein Innerstes bislang, mein Herz geöffnet war? Werd’ ich den Augen nahn, drin alle Reize spielen, Wenn sie nach meinem Blick mit ihren Tränen zielen, Was dann? Gedenk ich dann der traurigen, der Pflicht, Vermag ich’s dann und sag: » Wir sehn uns fürder nicht «? – Ein Herz, das mich verehrt und liebt, will ich verwunden. Und weshalb? – Wer befiehlt’s? – Ich selbst gab mich gebunden. Hat sich der Römer schon in vollem Ernst erklärt, Gleicht Rom schon einer Stadt, darin der Aufruhr gärt? Sehn wir bereits den Staat am Rand des Abgrunds schwanken, Muss es dies Opfer sein, dem wir die Rettung danken? – Alles schweigt. – Ich allein in übereilter Not, Beschleun’, anstatt hinauszuzögern, was mir droht. Wer weiß, ob fügsam nicht der Königin, der schönen Als einer Römerin der Römer lernt gewöhnen Und gibt durch seine Wahl der meinigen Gewicht? Nein, und noch einmal nein! Ich übereil es nicht. Mag Rom zu seinem Recht in seine Wagschal legen So viele Lieb und Treu und Tränen und dann wägen, Und es beschließt für uns. – Titus, was träumst du fort?
Blick um dich! Ist es nicht die Luft noch und der Ort, Da den verjährten Hass, mit Muttermilch gesogen, Nicht Furcht noch Liebe beugt? Gesteh dir’s unbetrogen: Rom, das die Könige traf, trifft deine Königin. Als Knabe wusstest du’s; nun kam dir’s aus dem Sinn? Verfolgte dies Geschrei dich nicht auf fernen Bahnen, Den Feldherrn vor dem Heer an Römerpflicht zu mahnen? Als Berenice hier auf deiner Spur erschien, Erfuhrst du nicht alsbald, was dich die Römer ziehn? Muss man dich nochmals denn mit Fingern darauf weisen? Ah, Weichling, schmachte fort und lass das Reich verwaisen! Geh, birg am Erdenrand die Schmach, die dich entstellt, Verlass dem Würdigern das Regiment der Welt! Wär’ dies das Ziel, des Ruhm und Majestät und Ehre Bewirken, dass dich einst ein jedes Herz verehre? Acht Tage herrsch ich schon. Und was – o Scham und Schmach! – Geschah für meinen Ruhm? Ich lief der Liebe nach. Gib Rechnung von der Zeit! Wie war dein Tun geartet? Wo bleibt das goldene Jahr, das man von dir erwartet? Welch Leid hast du gestillt? Aus welch zufriedenem Blick Gelangt die schöne Frucht der Wohltat dir zurück? Ist schon dem Weltenrund sein neuer Stern entglommen? Weißt du die Tage denn, die dir zu wirken frommen? Von der geringen Zahl, die dir vielleicht geliehn, Wie viele sind bereits, Unseliger, dahin! Kein Aufschub! Rüttle dich; und deine Ketten brechen! Der Ruhm befiehlt’s. – Wohlan!
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KOLUMN EN T IT EL
DIE VERTONUNGEN VON METASTASIOS » LA CLEMENZA DI TITO «
Antonio CALDARA (ca. 1670-1736) Francesco PELI (gest. 1740) Leonardo LEO (1694-1774) Johann Adolf HASSE (1699-1783) zweite Vertonung Vincenzo CIOCCHETTI (zwischen 1724 und 1736 in Genua nachgewiesen) Giovanni Maria MARCHI (gest. 1740) Francesco Maria VERACHINI (1690-1768) Giuseppe ARENA (1713-1784) Antonio PALELLA (1692-1761) Georg Christoph WAGENSEIL (1715-1777) »CLEMENZA«-V ERTON U NGEN
1734 Wien 1735 München 1735 Venedig 1738 Dresden 1745 Pesaro 1736 Genua 1737 Mailand 1737 London 1738 Rom 1739 Neapel 1746 Wien 38
Francesco CORSELLI (Daten unbekannt) Joseph Anton KAMMERLOHER (gest. 1743) Carlo Pietro GRUA (geb. um 1700 bis 1773) Antonio Gaetano PAMPANI (gest. 1769) Davide PEREZ (1711-1778) Francesco ARAIA (geb. um 1700) Christoph Willibald GLUCK (1714-1787) Andrea ADOLFATI (1711-1760) Niccolò JOMMELLI (1714-1774) Michelangelo VALENTINI (geb. um 1720) Vincenzo Legrenzio CIAMPI (1719-1762) Antonio Maria MAZZONI (1717-1785) Giuseppe SCARLATTI (1718-1777) Ignaz Jakob HOLZBAUER (1711-1783) Gioacchino COCCHI (ca. 1715-1804) Baldassare GALUPPI (1706-1785) J. PLATINA (Daten unbekannt) Andrea BERNASCONI (1706-1784) Pasquale ANFOSSI (1727-1797) Johann Gottlieb NAUMANN (1741-1801) Tommaso TRAETTA (1727-1779) Giuseppe SARTI (1729-1802) Josef MYSLIVECEK (1737-1781) Pietro GUGLIELMI (1728-1804) Johann Davon von APELI (1754-1832) Wolfgang Amadeus MOZART (1756-1791) Bernardo OTTANI (1736-1827) Antonio DEL FANTE (1770-1822) Marco Antonio PORTOGALLO (1762-1830) (Bearbeitung von Mozarts Oper) Heinrich MARSCHNER (1795-1863)
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»CLEMENZA«-V ERTON U NGEN
1747 Madrid 1747 München 1748 Mannheim 1748 Venedig 1749 Neapel 1751 Petersburg 1752 Neapel 1753 Genua 1753 Stuttgart 1753 Bologna 1754 Venedig 1755 Lissabon 1757 Venedig 1757 Mannheim 1760 London 1760 Turin 1767 Mailand 1768 München 1769 Rom 1769 Dresden 1769 Lodi 1771 Padua 1771 Venedig 1785 Turin 1785 Kassel 1791 Prag 1797 Livorno 1803 Florenz 1809 Neapel 1816
Wilhelm Sinkovicz
DIE MUSIK DER » CLEMENZA «
Man gab uns die überaus langweilige Oper La clemenza di Tito. Graf Zinzendorf, 1791 Die Kenner sind im Zweifel, ob Titus nicht noch sogar den Don Giovanni übertreffe... Franz Xaver Niemetschek, 1794
Die Meinungen über die Qualität von Mozarts Prager Krönungsoper gehen auseinander. Sie gehen recht weit auseinander. Kenner lieben die Arien und die Ensemblesätze. Unvoreingenommene Hörer finden das Stück als Ganzes oft »langweilig« wie der Graf Zinzendorf. Und Wissenschaftler können erklären, wie es dazu kommt: Die orchesterbegleiteten Nummern sind allesamt von Mozart komponiert, von Mozart auf der Höhe seiner gleichzeitig entstandenen Zauberflöte. Die handlungstragenden Rezitative aber hat ein Assistent verfasst. Vermutlich Franz Xaver Süßmayr. Jedenfalls sind sie nicht von Mozart. Und das merkt man. Zum einen herrscht in den Secco-Rezitativen des reifen Mozart viel mehr Flexibilität und Originalität als hier. In den Da-Ponte-Opern werden Stimmungen und Situationen viel kleinteiliger in musikalische Regungen umgemünzt. Überdies führen die Rezitative dort in der Regel harmonisch nahtlos zur nächstfolgenden orchesterbegleiteten Nummer. Tonale Brüche gibt es nur, wo die dramaturgische Situation sie verlangt. In der Clemenza aber steht manches Secco-Rezitativ völlig beziehungslos zwischen den Arien und Ensembles. Woraus wir schließen dürfen, dass Mozart seinem Adlatus nichts über den tonalen Plan seiner Oper verraten hat, sondern lediglich um die Erledigung der lästigen Füllarbeit gebeten hat. Woraus in weiterer Folge auch gemutmaßt werden könnte, es gäbe für die Clemenza – vielleicht mangels Vorbereitungszeit – gar keinen so stringenten harmonischen Architektur-Entwurf, wie er ganz offenkundig für Werke wie Don Giovanni oder Così fan tutte vorliegt. Für den Arrangeur der Rezitative jedenfalls schien manches, was seinen Beiträgen jeweils voranging oder folgen würde, selbstverständlich, manches aber war offenbar nicht zu erahnen. Mozarts Genialität andererseits zeigt sich in den Arien und Ensemble-Sätzen in der nämlichen Intensität wie in der Zauberflöte. Da sind sich beinah alle Kommentatoren – der Graf Zinzendorf ausgenommen – ziemlich einig. Clemenza war bei der Uraufführung kein fulminanter Erfolg und in der Folge nicht einmal annähernd so gut besucht wie zuvor Figaro oder Don Giovanni. Das muss freilich keineswegs mit der Musik zu tun haben. Interessant ist in diesem Zusammenhang eine Anmerkung des Grafen Hartmann, der sich einer Petition des Impresarios, Domenico Guardasoni, annahm, ihn für seinen finanziellen Misserfolg schadlos zu halten. Der Graf führte das vergleichsweise schwache Interesse des Publikums der Clemenza keineswegs auf die Musik zurück, sondern bemängelte die Ausstattung. Man hatte sich für die Krönungsoper doch prächtigere Kostüme und Bühnenbilder erhofft, Guardasoni aber hätte »Decorationen und Kleidungen nicht mit dem einem solchen Feste angemessenen Glanze hergestellt…« 41
W ILHELM SIN KOV ICZ
Die Musik also, exkulpiert?
← KS Michael Schade als Tito, 2012
Die Entstehungsgeschichte der Clemenza gehört zu den Mozart-Mythen wie jene des Requiems oder der Ouvertüre zum Don Giovanni. Dass das Werk in äußerst kurzer Zeit und unter höchst unbequemen Umständen – zum Teil tatsächlich auf der Reise von Wien nach Prag – komponiert wurde, scheint nicht zu bezweifeln. H. C. Robbins Landon, der alle subjektiven Berichte von Zeitgenossen und die Fakten zusammengetragen hat, der auch Alan Tysons akribische Studie der Papiersorten ausgewertet hat, auf denen die Fragmente der Clemenza-Partitur notiert sind, geht davon aus, dass die Legende, Mozart hätte lediglich zweieinhalb Wochen vom ersten Entwurf bis zur fertigen Oper benötigt, »der Wahrheit nahe genug« komme, »um heute noch Erstaunen auszulösen«. La clemenza di Tito war auf jeden Fall ein gigantisches Puzzlespiel. Die einzelnen Abschnitte entstanden in ungeordneter Reihe, die Ensemblesätze zuerst, die Arien – mit einer Ausnahme – zuletzt. Denn Mozart komponierte nach Möglichkeit niemals Solo-Nummern, ohne die Stimme des vorgesehenen Uraufführungs-Sängers genau zu kennen. Vertraut war ihm, als er mit seinem Puzzle-Spiel begann, der Titelheld. Impresario Guardasoni hatte Antonio Baglioni als Titus engagiert, Don Ottavio der Don Giovanni-Uraufführung von 1787, jener Mann also, der mit jener Arie brillieren konnte, die später vom lyrischen ersten Wiener Ottavio, Franceso Morella, abgelehnt wurde: der heldischen, mit Koloraturen geschwängerten B-Dur-Arie Il mio tesoro. Das wirft ein Licht auf die Beschaffenheit der Titelpartie der Clemenza, vor allem auf den martialischen Ton der großen Arie vor dem Finale (Nr. 20), wo die Koloratur-Brillanz zu kraftvoller HerrscherAttitüde gebündelt werden will. Die Sängerin der Vitellia lernte der Komponist erst in Prag kennen: Maria Marchetti-Fantozzis Stimme muss, so schließt Robbins Landon, »den enormen Umfang vom a bis zum d’’’ gehabt haben«. Und die Stimme scheint in allen Lagen schön und ausdrucksvoll geklungen zu haben. Darauf lässt jedenfalls die Ausarbeitung der Vitellia-Szenen schließen, deren großer Primadonnen-Auftritt im zweiten Akt, Non più di fiori als erste Solo-Nummer der Partitur im Voraus entstanden ist. Und zwar nicht für die UraufführungsInterpretin der Oper. »Ein Rondo von Herrn Mozart mit obligatem Bassetthorn« wird bereits für eine Akademie im April 1791 angekündigt, gesungen von Josephine Duschek, dirigiert von Mozart selbst – es kann sich dabei nur um die Vitellia-Arie gehandelt haben, erste Frucht der Auseinandersetzung mit dem von Caterino Mazzolà »zu einer echten Oper reduzierten« Metastasio-Libretto zur Clemenza. Nun war nicht die mit einer satten Tiefe begabte Duschek, sondern Marchetti-Fantozzi die Uraufführungs-Interpretin. Sie war imstande, Non più di fiori zu singen, doch bediente Mozart mit Lust auch die höheren Register,
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DIE MUSIK DER CLEMENZA
die der Primadonna zu Gebote standen, und trieb die Tessitura bis über das hohe C hinaus. Und zwar dort, wo die Erregung aufgrund der schicksalhaften Verstrickungen ein unerträgliches Maß annimmt. Das Terzett (Nr. 10) zwischen Vitellia, Annio und Publio ist ein gewaltiges Beispiel musikdramatischer Charakterisierungskunst wie das vergleichbare Quartett (Nr. 9) im Don Giovanni, in dem sich Donna Elvira gegenüber Donna Anna und Don Ottavio gegen die himmelschreiende Verleumdung Giovannis zur Wehr setzen muss, »verrückt« zu sein. Je mehr sie sich erregt, desto glaubwürdiger wird Giovannis Aussage. Auch Vitellia findet sich in diesem Moment in einer Ausnahmesituation. Hat sie doch soeben den verliebten Sesto so weit gebracht, den kaiserlichen Freund zu verraten, als sie von den Heiratsplänen des Tito erfährt. Sie kann Sesto nicht mehr zurückhalten – die Intrige kehrt sich unentrinnbar gegen sie selbst. Folgerichtig verliert sie beinah den Verstand, jedenfalls die Fähigkeit, klare Gedankengänge zu fassen und verständliche Sätze zu bilden. Sie stößt einzelne Wörter hervor – die Melodik scheint fragmentiert, die Koloraturen nehmen geradezu panischen Charakter an – die Antithese zu den beinah zur gleichen Zeit komponierten, berechnenden, präzis kalkulierten Attacken der Königin der Nacht in der Zauberflöte. Auch im letzten der Terzette (Quello di Tito è il volto!, Nr. 18) steigert sich die Erregung ins Unerträgliche. Diesmal beobachtet lediglich Publio und schöpft Hoffnung: Wenn der Kaiser dermaßen bewegt ist, dann liebte er den Attentäter Sesto wohl weiterhin. Sesto und Tito aber stehen einander gegenüber, jeder studiert das Mienenspiel des andern: Die Ratlosigkeit spiegelt sich in der Musik, die, scheint’s, alle Formprinzipien »vergessen« hat und ungeordnet unterschiedliche Stadien zitternder Erregung durchmisst. Solch geradezu anarchischen Klang-Gemälden benachbart finden sich formal gebändigtere, teils klassisch geformte Solo-Nummer, etwa Annios Tu fosti tradito, entfernt verwandt mit Fiordiligis »Felsenarie« aus Così fan tutte, doch angereichert mit ungemein geschmeidig modellierten Moll-Passagen: »bedenke unsern Schmerz«, lautet der Appell an den betrogenen Herrscher und Richter. Die Gestalt der Servilia findet sich in diesem Verwirrspiel der Seelen wie eine Lichtgestalt. Der mild abgeklärte volksliedhafte Ton der Zauberflöte ist um sie – vor allem im Duett mit Annio (Nr. 7), wo sich die Melodik von Sarastro »Priestermarsch« mit jener des noch »unschuldigen« Duetts der Schwestern am Beginn der zweiten Szene von Così fan tutte zu vereinen scheint. Die orchesterbegleiteten Nummern in der Clemenza di Tito sind also reich an emotionalem Gehalt und dabei von eminenter Vielfalt, ihr Attraktionspotenzial beschränkt sich keineswegs auf die beiden von Anbeginn populären Arien des Sesto, von denen Parto, parto – wie das Rondo der Vitellia – mit einer obligaten Instrumentalstimme für Mozarts Freund Stadler versehen W ILHELM SIN KOV ICZ
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ist: Der weiche Klang von Klarinette und Bassetthorn, in den sich der Komponist gerade verliebt hatte, verschwistert sich da aufs Eleganteste mit den Singstimmen. Eine moderne Wiederbelebung barocker Prinzipien, deren Korsett das Finale der Oper nicht entkommt – es ist kürzer und, für den späten Mozart ungewöhnlich, durch Rezitative gegliedert. Metastasios Vorlage ließ eine breitere Anlage des Schlusses offenbar nicht zu. Am Ende des ersten Aktes freilich griff die »Reduktion zu einer wahren Oper«, als die der Komponist Caterino Mazzolàs Bearbeitung rühmte: Hier gelingt in Zusammenführung der Solostimmen und des Chors ein gewaltiges Tableau, das – wie übrigens auch die kräftig bewegten Schlusstakte der Oper – ahnungsvoll auf fernere musikdramatische Regionen vorausweist.
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DIE MUSIK DER CLEMENZA
Herbert Zeman
MOZARTS » LA CLEMENZA DI TITO «
» Ridotta à vera opera dal Signore Mazzolà «
Kompositionsauftrag und Entstehungsbedingungen Die böhmischen Stände wollten als einen Höhepunkt der Krönungsfeierlichkeiten Kaiser Leopold II. zum böhmischen König eine Oper in Auftrag geben. Ihre Wahl fiel auf Pietro Metastasios Libretto La clemenza di Tito. Metastasios Text stammte aus dem Jahr 1734, daher bearbeitete Caterino Mazzolà, damals Hofdichter zu Dresden und vorübergehend für den Wiener Hof tätig, das Stück für den neuen Zweck. Vermutlich um die Mitte des Monats Juli 1791 erhielt Mozart den Auftrag zur Komposition. Am 6. September, also eineinhalb Monate später, sollte die Premiere im Prager Nationaltheater stattfinden, und sie fand statt. Die Wahl des Stoffes war kein Zufall. Kaiser Leopold II. galt vielen Zeitgenossen als Inbild eines gütigen, weisen Monarchen. Schon bevor er seinem älteren Bruder Joseph II. auf dem Kaiserthron nachfolgte, wurde Leopolds wohltätige Regentschaft in der Toskana europaweit gerühmt. Dass er im wahrsten Sinne des Wortes ein aufgeklärter Volksfreund war, wusste jedermann, und weithin bekannt war seine Vorliebe für die »Clemenza« des römischen Kaisers Titus. Diese Güte des römischen Kaisers sprach beispielsweise auch Joseph von Sonnenfels gleich am Beginn seiner berühmten Lobrede auf Marien-Theresien (1762) an, und sie blieb Generationen von Schülern in den wiederholten Drucken des Schulbuchs Sammlung Deutscher Beyspiele zur Bildung des Styles bis ins 19. Jahrhundert ebenso gegenwärtig wie aus der Lektüre der Kaiserviten des Sueton im Lateinunterricht. Noch im Jahr 1817 berichtete Joseph Freiherr von Hormayr von Leopolds gern gepflegten Hinweisen auf die überlieferten Ansichten des Titus (siehe Hormayrs Allgemeine Geschichte der Zeit, Wien 1817, Bd.1, S.163): »Es war kein leerer Gemeinplatz, sondern es kam aus der Fülle seines Herzens, als er einstens das Bedauern eines gerechten Bewunderers, daß der seiner segensreichen Hand anvertraute Staat nicht größer seye, mit jener bekannten Rede des milden Titus erwiederte: ›Lieber Freund, es gibt ja noch Unglückliche genug, in diesem kleinen Staate‹.« Solche und andere Details aus der Regierungskunst des Titus kannte die gebildete Öffentlichkeit durch die Überlieferung der römischen Geschichtsschreiber, vorab von den Vitae Caesarum des Sueton. Der Literaturkundige hatte außerdem die berühmte Tragödie Jean Racines Bérénice vor Augen und die gleichzeitig etwa um 1670 entstandene heroische Komödie Tite et Berenice des Pierre Corneille. Aber während Corneille und Racine an der Entsagungsproblematik der beiden Liebenden, des römischen Kaisers und der jüdischen Königstochter, interessiert waren, sah Pietro Metastasio – sechzig Jahre später – die Chance, mit seinem Libretto der Opera seria La clemenza di Tito für Antonio Caldara (aufgeführt 1734) einen huldigenden Fürstenspiegel 47
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auf die Bühne zu bringen. Sein für die Vertonung bestimmtes Drama setzt dort ein, wo Corneilles und Racines Handlungen enden: Titus hat Berenice entsagt, und nun beginnen die Prüfungen, denen sich der Kaiser stellt und die er glänzend bewältigt. Dieses Werk, zum Geburtstag Kaiser Karls VI. verfasst, fand eine reiche Nachfolge: Bis zu Mozarts Zeit wurde das Sujet über dreißig Mal von verschiedenen Komponisten aufgegriffen. Bei dieser Beliebtheit des Stoffes darf es nicht verwundern, dass die böhmischen Stände dem »Titus« ihrer Zeit, Leopold II., eine weitere Titus-Oper widmen wollten. Nachdem Antonio Salieri abgelehnt hatte, übernahm Mozart etwa sechs Wochen vor den Huldigungsfeierlichkeiten den ihm vom Impresario des Ständetheaters, Domenico Guardasoni, vermittelten Auftrag, La clemenza di Tito, textlich redigiert von Caterino Mazzolà, in Musik zu setzen. Penibel trägt Mozart in das von ihm handschriftlich angelegte Werkverzeichnis den Abschluss, das Uraufführungsdatum und den Titel samt Besetzung der soeben vollendeten und präsentierten Oper ein: »den 5:t September [1791]. – aufgeführt in Prag den 6:t September. La clemenza di Tito. opera seria in Due Atti. Per l’incoronazione di sua Maestà l’imperatore Leopoldo II. – ridotta á vera opera dal Sig:re Mazzolá. Poeta di sua A:S: l’Elettore di Saßonia.« Wie gestalten nun der Komponist – man nimmt aufgrund der ethischen Profilierung des Textes mit Recht weitgehende Eingriffe Mozarts an – und der Librettist die literarische Grundlage dieser »vera opera«?
Charakter, ethisches Profil und dramaturgische Funktion der Titelrolle: Die Güte des Herrschers löst am Ende alle Konflikte Tito: Olà, Sesto si sciolga: abbian di nuovo Lentulo, e suoi seguaci e vita, e libertà: sia noto a Roma, ch’io son lo stesso, e ch’io tutto so, tutti assolvo, e tutto oblio.
Titus: Wohlan, befreit Sextus: von neuem sollen Lentulus und seine Gefährten Leben und Freiheit haben: Rom soll erfahren, dass ich derselbe bin und dass ich alles weiß, allen vergebe und alles vergesse.
← Chen Reiss als Servilia, 2012
Was ist das für ein Herrscher, mehr noch, was ist das für ein Mensch, der zwar um allen seelischen und allen politisch-öffentlichen Verrat weiß, ja diesen selbst durchlitten hat, und trotzdem allen Beteiligten vergibt, der bereit ist, alles zu vergessen? Wie schwer wird es Tito, seinen Mitmenschen Verständnis
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MOZA RTS » LA CLEMENZA DI TITO «
entgegenzubringen und ihre Vergehen zu verzeihen? Welche inneren Kämpfe hat er zu bestehen und welches innere Regulat darf er beanspruchen, um die Wohltätigkeit des Monarchen zu üben? Schon die von Annio mitgeteilte Vorgeschichte macht darauf aufmerksam: Unter größtem seelischen Schmerz entsagte Tito seiner innigen Liebe zur jüdischen Königstochter Berenice, um der Staatsräson, vor allem aber der Erwartung seines geliebten Volkes willen. Und hier erkennt man schon: Die Regungen des Herzens entfalten sich vor dem Ethos tugendhafter Einsicht. Die Instanz des Herzens korreliert mit der Tugend des Verstands. Berenice versteht das Opfer und – die Größe ihres Geliebten bewundernd – nimmt bewegten Abschied. Niemals vorher war sie zarter, sagt Annio, und er berichtet weiter: Eh, si conobbe, che bisognava a Tito
Ach, man wusste, Dass Titus seinen ganzen Heldenmut brauchte, tutto l’eroe per superar l’amante: Um den Liebenden zu besiegen. vinse, ma combattè; Er gewann, aber er kämpfte; non era oppresso, Er war nicht bedrückt, ma tranquillo non era; Aber ruhig war er nicht; ed in quel volto Und in diesem Antlitz (dicasi per sua gloria) (Zu seiner Ehre sei es gesagt) si vedeva la battaglia, e la vittoria. Sah man den Kampf und den Sieg. Die Überwindung seiner selbst und – Tito ebenbürtig – jene von Berenice macht den großen Menschen. Die starken Regungen des Herzens und des Geistes spiegeln sich in den Mienen des Antlitzes. Dass das Gesicht sprechender Ausdruck der seelischen Kultur eines Menschen ist, daran glaubte das Zeitalter Mozarts, das auch jenes von Goethe ist: Von Johann Kaspar Lavaters physiognomischen Unternehmungen bis zur Bild-Erkenntnis Charlottes von Stein durch Goethe und – ins Künstlerische gehoben – bis zur Bildnis-Arie Taminos spannt sich ein weiter Bogen der Faszination des 18. Jahrhunderts an den Möglichkeiten der Erkenntnis des Mensch-Seins. Es ist recht bezeichnend, dass der Beginn der zehnten Szene des zweiten Aktes von La clemenza di Tito diesem Thema gewidmet ist und auch später das »sprechende« Antlitz immer wieder aufgerufen wird. Die seelische Kultur ist es, die die Würde des Menschen ausmacht. Annio stellt fest: »Tito ha l’impero e del mondo, e dise« – »Titus beherrscht die Welt und sich selbst.« Das nun war die große menschheitsgeschichtliche Botschaft, die man namentlich durch künstlerische Werke den aktuellen Zeitereignissen entgegenstellte. Das Bekenntnis, um das es etwa Goethe, Schiller und hier auch Mozart ging, hieß: Die innere Revolution, die zur Balance, zur humanen Harmonie des gebildeten Verstandes mit dem ebenso gereiften Herzen führt, HER BERT ZEM A N
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kann nur die Grundlage eines wünschenswerten Gemeinwesens im privaten Familienkreis wie im öffentlichen Leben sein. Nicht alle bedeutenden Geister der Zeit wie etwa Johann Gottfried Herder, Karl Friedrich Reichhardt oder Georg Forster, die vom äußeren Aufbruch der Französischen Revolution von 1789 hingerissen waren, begrüßten den humanitären Gegenentwurf. Aber was in Weimar und Jena mithilfe des deutschen Idealismus Schillers späte Dramen, Goethes Wilhelm Meister und Faust zeitigte, das erreichten in Wien aus aufgeklärter Überzeugung auf ähnliche Weise Mozarts Opern, Haydns Oratorien und letztlich auch Beethovens Fidelio und die Neunte Symphonie mit ihren humanen Utopien. Mozarts und Mazzolàs Opera seria kreist um die »clemenza«, die sich angesichts verschiedener Daseinslagen zu bewähren hat. Am Anfang steht – nur durch den Botenbericht des Annio mitgeteilt – die Prüfung der Ansprüche individuell-partnerschaftlicher Liebe zu Berenice gegen die menschheitsgeschichtlich begründbare zum römischen Volk; sie führt zu Trennung und Entsagung. Am Schluss lässt die zweite Prüfung zunächst beide Entscheidungen offen – einerseits die Bestrafung des Verrats der Freundschaft und die Anzettelung des politischen Aufruhrs, andererseits die Verzeihung um der Güte und Menschenliebe willen. Die Entscheidung fällt zugunsten der Begnadigung der Hochverräter, fällt zugunsten des Fortlebens der Freundschaft und Liebe. In diesem ethischen Rahmen verläuft nun das Spiel um Leidenschaft, Hass, Rache, Falschheit, Verrat einer- und Wahrheit, Güte, Verzeihung, Treue, Freundschaft und Liebe andererseits.
Dramaturgie und Ethos – die Oper als Lehrstück La clemenza di Tito spielt an einem Ort, findet an einem Tag statt und folgt einer Handlung, das heißt, die beiden Akte (zu je 14 bzw. 17 Szenen) sind unter Wahrung der drei dramaturgischen Einheiten gestaltet. Der Ablauf der Szenen des ersten Aktes ist recht einfach konzipiert: Auf einen Auftritt folgt in Inhalt und Aussage kontrastiv der nächste.
I. Akt I/1: Ehrgeiz, Machtstreben und Eifersucht auf Berenice treiben Vitellia dazu, das ihr vermeintlich entzogene »Erbe« des römischen Thrones durch die revolutionäre Beseitigung des Tito zu erlangen. Sesto, Vitellia liebeshörig, aber auch Tito zutiefst freundschaftlich verbunden, soll und will schließlich Vitellias Wünsche erfüllen. Im Widerstreit der Empfindungen endet dieser Auftritt: 51
MOZA RTS » LA CLEMENZA DI TITO «
A Due: Fan mille affetti insieme battaglia in me spietata. Un’ alma lacerate più della mia non v’è.
Beide: Tausend Gefühle zugleich liegen In mir in wildem Kampf. Eine gequältere Seele Als die meine gibt es nicht.
I/2: Wie so anders erscheint nun im Bericht des hinzutretenden Annio, Sestos jugendlichem Freund, die menschliche Größe des Tito im Lichte des Verzichts auf Berenice. I/3: Anders nun wieder das Beispiel einer ungetrübten (bürgerlichen) Liebesbeziehung zwischen Servilia, der Schwester des Sesto, und Annio: Bald soll die Ehe stattfinden. I/4: Nun wieder ein Auftritt von öffentlicher Bedeutsamkeit: Tito setzt einen Akt der Wohltätigkeit, indem er das Geld für den Bau eines ihm geweihten Tempels zur Linderung der verheerenden Folgen des Vesuv-Ausbruchs bestimmt. Als Tito überraschend von der Absicht spricht, Servilia, eine quasi Bürgerliche zu heiraten, verschweigen sowohl Sesto, als auch Annio feige die Wahrheit. Sesto traut dann seinen Ohren nicht, denn Annio preist tatsächlich Servilia, das geliebte Mädchen, dem Kaiser an. Das ist Verrat an der echten Liebe, die I/5: Servilia selbst durch ihr erneuertes von Annio selig erwidertes Liebesbekenntnis rettet. I/6: Hier wird dem Publikum eine Szene von öffentlichem Interesse nahegebracht – unerschüttert im Glauben an Menschlichkeit und Tugend pardonniert Tito der Majestätsbeleidigung Angeklagte. I/7: Nun tritt der Wechsel im jeweils verschiedenen Anspruch der Charaktere auf Liebe ein. Servilia gesteht reinen Herzens die Wahrheit ihrer Liebe zu Annio. Die Instanz des Herzens siegt im Zeichen der Wahrheit, denn Tito selbst will »einen so würdigen Bund flechten, und das Vaterland soll dann Bürger haben, die euch gleichen.« (Io voglio / stringer nodo si degno, e n’abbia poi / cittadini la patria eguali a voi.) Man könnte sagen, das, was sich hier im Bereich des Für und Wider zur Findung des rechten Weges abspielt, ist nicht nur allgemein aufklärerisch, sondern spezifisch josephinisch gedacht; jedenfalls passt es in diese zeitgenössischen Ansichten. I/8: Vitellia nimmt nun – misstrauisch, wie sie ist – irrtümlich an, dass Tito sich Servilia zugewendet hat und I/9: bewegt nun Sesto endgültig, die Revolution in die Wege zu leiten. Politik und persönliche Betroffenheiten werden hier korreliert. Da erfährt Vitellia durch Publio, dem Präfekten der Prätorianer und auf der Bühne der nötige Stichwortbringer, dass Tito ihr die Ehe anbieten will. I/10: Nun erkennt sie ihre von Vorurteilen, Misstrauen und daher von wirren Affekten geleiteten Entscheidungen. Angst und Entsetzen ob der daraus erwachsenen Schuld erfassen sie zu Recht, denn I/11: der Brand des Kapitols samt dem Aufruhr sind nicht mehr aufzuhalten. Sesto muss unter HER BERT ZEM A N
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seelischen Qualen und verspäteter Reue sehen, dass dem Untergangsszenario nicht mehr Einhalt zu gebieten ist. I/12: Angst und Schrecken erfassen nun auch Servilia, Annio und Publio, die die Zusammenhänge nicht kennen und fassungslos sind. I/13: Vitellia bangt um Sesto; nun richtet sie den Hass gegen sich selbst. I/14: Vergeblich fragen Servilia, Annio und Publio nach dem Urheber des Geschehens. Vitellia, möglicherweise um sich und Sesto Auswege zu retten, überredet ihren verführten Freund, der vom angeblichen Tod des Tito berichtet, zu schweigen. So endet also der erste Akt in vollständiger Verwirrung. Mit großer Spannung darf das Publikum den zweiten Aufzug erwarten. Man sieht: Um die großen Szenen des Tito, die eine gütige Menschlichkeit offenbaren, rankt sich das unstete Spiel der Affekte Vitellias und das unsichere, die Herzensregungen nicht kontrollierende, letztlich verderbliche Agieren des Sesto. Selbst Annio gerät ins Wanken, und nur Servilia ist unter diesen Figuren eine Lichtgestalt. Dass Tito ihr die unstandesgemäße Ehe anbieten und Sesto in die Nähe des Thrones erheben will, ist ein für Mozarts Zeit gewagtes Angebot im Zeichen aufgeklärter Humanität vor dem Hintergrund des aufstrebenden Bürgertums und des damaligen Menschenverständnisses. Die Dramaturgie des Stückes, das ist bisher klar geworden, stellt nicht auf äußere (Handlungs-)Wahrscheinlichkeit ab, sondern auf die innere Wahrhaftigkeit der von ihrem Herzen und ihrem Verstand bewegten oder getriebenen Figuren. Lehren sollen am szenischen Beispiel gegeben und in ihrer Stichhaltigkeit erwiesen werden.
II. Akt Das Wechselspiel zwischen unberechtigtem Hass bzw. Rachegefühlen aus Vorurteilen einer- und Großmut, reiner Herzensgröße fast bis zum Tragischen Ende des Helden andererseits hat der Zuschauer im ersten Aufzug erlebt. Davon unterscheidet sich der zweite Akt grundsätzlich. Denn nun geht es darum, die Konflikte zu lösen, das heißt, die in Schuld Geratenen gleichsam Schritt für Schritt zur Einsicht, zur Reue, zu sich selbst zu führen und auf eine neue Daseinsebene zu leiten. Das erfordert eine andere, aufeinander folgende Stadien darbietende Auftrittsdramaturgie. II/1: Annio teilt Sesto, der glaubte, den Fall des Tito miterlebt zu haben, mit, dass der Kaiser lebt. Sesto eröffnet dem Annio verzweifelt seine Untat. Annio versucht aus seiner ebenfalls unsicheren, aber weichlich-nachgiebigen Haltung, für Sesto Brücken zu bauen. Sein positives Argument ist entscheidend – wohl auch für die Motivation des letzten Urteilsspruchs: Das »Bild der Tugend« stünde doch noch immer im Herzen des Freundes. Unerwogen bleibt das Einbekenntnis der Schuld Tito gegenüber. Wie seelisch gelähmt agieren Vitellia und Sesto während der nächsten drei Auftritte, ohne den Weg zur Überwindung ihres humanen Defektes, nämlich das Eingeständnis der 53
MOZA RTS » LA CLEMENZA DI TITO «
Schuld und die Reue dem Kaiser gegenüber, zu finden. II/2: Vitellia und Sesto sind in heilloser Verwirrung – sie will als Anstifterin der Gewalttat nicht entdeckt werden, und er weiß nicht, ob er bleiben oder fliehen soll. II/3: Wenigstens zum Schuldbekenntnis vor dem Senat ringt sich Sesto durch. II/4: Vitellia erkennt nun die verzweifelt-hingebungsvolle Liebe des Sesto; der drohende Tod des Tito gegenüber Abtrünnigen zerreißt ihr aber – wie sie sagt – das Herz. Zum Handeln im Sinn der Wahrheit ist sie jedoch immer noch nicht fähig. II/5: Tito glaubt noch immer an die Unschuld seines Freundes. II/6: Annio bittet – typisch für seinen weichen Charakter – um Gnade für Sesto. II/7: Jetzt erst erfährt Tito durch Publio, dass Sesto die Tat eingestanden hat. Erschüttert nimmt Tito das Unglaubliche zur Kenntnis. II/8: Unkontrollierbare Empfindungen jagen nun auch durch das Herz des Kaisers. Zunächst ist er bereit, das Todesurteil zu unterzeichnen, dann will er den abtrünnigen Freund noch einmal sprechen, um dessen Beweggründe zu erfragen. Während Sesto geholt wird, hängt Tito, bewegt durch den Schicksalsschlag, seinen Gedanken nach. Es ist die berühmte Stelle des großen »Recitativo accompagnato«, die ganz dem Geist josephinischer Aufklärung anzugehören scheint: Tito meint zu wissen, dass dem einfachen Landmann eher Menschen begegnen, deren Herz sich unverfälscht im Antlitz widerspiegelt, als dem Mächtigen oder Reichen in der Stadt und bei Hofe, so »die Hoffnung oder die Angst / im Antlitz eines jeden den Ausdruck des Herzens fälscht« (la speranza o il timore / sulla fronte d’ognun trasforma il core.) II/9: Publio kündigt das Kommen des Sesto an. Beide Freunde sind zutiefst bewegt. Im Antlitz des Tito sucht Sesto vorerst vergeblich die Güte, im Antlitz des Sesto nimmt Tito Veränderung durch das Verbrechen und die Schuldgefühle wahr. Es ist eine große Szene der Sprache der Herzen. II/10: Tito beschwört die alte Freundschaft, als ahnte er, dass Sesto in höchster verführerischer Bedrängnis nur zum Verräter wurde, und er erkennt die Reue des Freundes. In Sesto aber siegt die Liebe. Opferbereit verbirgt er die Wahrheit, um Vitellia zu schützen. Nur das erfährt Tito: Nicht Ehrgeiz war es, sondern Schwäche wurde Sesto zum Verhängnis. Der Kaiser führt die Auseinandersetzung zu Ende. II/11: Die Milde, die sein Wesen regiert und seinen Herrscherstil ausmacht, siegt. II/12: Das Herz hat gesprochen, und der Kaiser bekennt: Se all’impero, amici Dei, Necessario è un cor severo; O togliete a me l’impero, O a me date un altro cor. Se la fè de’ regni miei Coll’amor non assicuro: D’una fede non mi curo, Che sia frutto del timor.
Wenn für die Herrschaft, freundliche Götter, Ein strenges Herz vonnöten ist, Nehmt mir entweder die Herrschaft ab, Oder gebt mir ein anderes Herz. Wenn ich die Treue meiner Reiche Nicht mit Liebe gewinnen kann, Liegt mir nichts an der Treue, Die eine Frucht der Angst wäre.
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Die seelischen Prüfungen steuern nun ihrem letzten Höhepunkt zu. Vitellia, die eigentliche Urheberin der bösen Tat, versucht sich zu Liebe und Reue durchzuringen. II/13: Sie erfährt durch Publio von der Unterredung Tito / Sesto und II/14: schließt, vom Vorurteil gepeinigt, dass Sesto sie verraten habe. Von Servilia und Annio jedoch hört sie, dass der Kaiser Vorbereitungen zur Hochzeit mit ihr treffen lässt und erkennt daraus die Treue des Sesto. Nun erst beginnt ihre Einkehr und – durch Servilia aufgefordert – reift der Entschluss II/15: zur Selbstanklage. »Hoffnungen auf Herrschaft und Hochzeit, lebt wohl!« (D’impero e d’imenei, speranze, addio); der Tod scheint ihr gewiss. II/16: Annio und Servilia glauben, dass über Sesto das Todesurteil gefällt sei und flehen um Gnade. II/17: Als der Kaiser das Urteil für Sesto verkünden will, tritt Vitellia dazu und klagt sich selbst an. Sie ist bereit, die doppelte Schuld, Verrat am Kaiser und Missbrauch der Liebe, zu sühnen. Hier nun liegt ihre Rettung: Nur die Reue aus Selbsterkenntnis ergibt die menschenwürdige Sühne und nicht die Vollstreckung eines Todesurteils. Tito verzeiht und verzichtet erneut: Damit gewährt er neues Leben in Frieden und Eintracht. Diese »vera opera«, die in einzelnen Bildern die clemenza des Titus an den verschiedenen Sphären des öffentlichen und privaten Lebens demonstriert oder vielmehr erweist, ist ein Lehrstück der Humanität im Sinn der Herzensund Geistesbildung. Diesem ethischen Ziel entsprechen die dramaturgisch gestaltete Abfolge der beiden Akte und deren unterschiedlich konzipierte Szenenreihung. Man hat vor allem anhand der Rollen Ähnlichkeiten mit der gleichzeitig entstandenen Zauberflöte angemerkt: Tito – Sarastro, Vitellia – Königin der Nacht usw. Aber, was dort im burlesk-märchenhaften Spiel aufgelöst und tatsächlich als Handlung geschieht, das ist hier nur gegenwärtig in der seelischen Bewegung der Figuren. Es ist ein Lehrstück, durchwirkt von der Humanität bürgerlicher Aufklärung, die in die Herrscherverantwortung gehoben wird. Diese ethische Akzentsetzung konnte den höfischen Adel wenig begeistern, fand aber sehr bald zu begeistertem Zuspruch des bürgerlichen Publikums.
Zitiert wurde nach W. A. Mozart: La clemenza di Tito [...] wortgetreue Übersetzung von Erna Neunteufel, Textbuch italienisch-deutsch, Kassel, Basel, Tours, London (= Mozarts italienische Texte mit deutscher Übersetzung, Bd. 2) 1976. Aus der Forschungsliteratur seien Helga Lühnings zusammenfassende, sehr übersichtlich disponierte Ausführungen im Mozart-Handbuch – Mozarts Opern, Teilband 1, Laaber 2007, S. 240-259, Mozart-Handbuch, Bd. 3/1 – genannt.
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Rudolph Angermüller
» EIN TREUER DIENER GOTTES, EIN FÜRST DES FRIEDENS « Zur Prager Krönung Leopold II.
8. Juli 1791 (Freitag): Der Impresario Domenico Guardasoni (ca. 1731–1806) unterzeichnete mit den böhmischen Ständen einen Vertrag über die Krönungsoper La clemenza di Tito KV 621. Daraus geht hervor, dass diese Stände mit berühmten Kastraten und Primadonnen arbeiten wollten, der Komponist war ihnen gleichgültig. Mozarts Name wurde nicht einmal genannt. Auch eine Aufführung im September 1791 war am 8. Juli noch nicht sicher. Mozart hatte also mit der Komposition mehr als die oft in der Literatur behaupteten achtzehn Tage Zeit, um die Oper zu vollenden. Graf Heinrich Franz Rottenhan (1734–1809), Illuminat, der den Vertrag als Erster unterzeichnete, war seit Anfang 1791 böhmischer Oberster Burggraf, Baron Johann Marcell Hennet (1732–1814), ein leidenschaftlicher Musikliebhaber und -kenner, Caspar Hermann Graf Künigl (1745–1824) war, wie Mozart, Freimaurer. 3. August (Mittwoch): Vom Hofpersonal reiste zwischen 3. und 20. August nach Prag: 1 Hofpostreisewagen mit 4 Hoffourieren (4 Pferde), 1 Wagen mit dem Kammerfourier von Edlersberg (2 Pferde) verlassen Wien. 5. August (Freitag): Um 9 Uhr wurden die Insignien aus der k. k. Burg abgeholt und nach Prag gebracht. Aus der Schatzkammer wurden den Deputierten folgende Gegenstände übergeben: Die königliche böhmische Krone, das Zepter, der Reichsapfel, der königliche Mantel, ein atlassenes Kopfhäubchen, ein Gürtel, eine Stola. Dafür benötigte man 41 Pferde (sechs für den Hofwagen, 32 für acht Wagen der Deputierten, drei Pferde für den Wagen des Aktuars). 9. August (Dienstag): Die Deputation traf um elf Uhr in Prag ein. Der Zug ging durch das Neutor und den Pulverturm über die Karlsbrücke zum Dom. Bei jeder Pfarrkirche, an der die Insignien vorbeigeführt wurden, läuteten die Glocken, bis der Zug vorüber war. Zwischen 12 und 13 Uhr war man am Dom. Die Krönung Leopolds (1747–1790/1792) wurde auf den 6. September festgesetzt, die seiner Gemahlin Maria Ludovica (1745–1792) auf den 12. September. 16. August (Dienstag): 3 Kaleschen mit Hofköchen (12 Pferde) gingen nach Prag ab. 20. August (Samstag): Leopold II. reiste »in privatissimo« nach Prag, wo er am 23. in dem nahe Prag gelegenen Schloss eintraf, das der Prager Stadtgemeinde gehörte. Er wurde dort vom Obersthofmeister Ludwig Joseph Fürst Starhemberg (1762–1833) empfangen. Am 26. vormittags fuhr er um 8.30 mit seiner Hofsuite nach Pillnitz, kam von dort am 28. nachts um 2.30 Uhr zurück. Am 30. August nachmittags begab er sich nach Lieben (heute: Leben, Stadtteil von Prag). 57
RU DOLPH A NGER MÜ LLER
Die Hofsuite Seiner Majestät des Kaisers und Seiner königlichen Hoheit des Erzherzogs Franz (1768–1835) verließ Wien: 1 Leibwagen Seiner Majestät des Kaisers und Seiner königlichen Hoheit des Erzherzogs Franz (6 Pferde), 1 Hofkalesche mit den k. k. Generaladjutanten (4 Pferde), 1 Kammerwagen (6 Pferde), 1 Küchenkalesche (6 Pferde). Die Hofsuite Seiner königlichen Hoheit des Erzherzogs Ferdinand Karl (1754–1806) fuhr mit 1 Leibkalesche mit Seiner königlichen Hoheit und dem Herrn Baron von Wernsdorf (6 Pferde), 1 Hofkalesche für die Kammer (6 Pferde), 1 Küchenkalesche (6 Pferde) von Wien in die Moldau-Metropole. Um den 25. August (Donnerstag): Mozart reiste mit seiner Frau Constanze und seinem Schüler Franz Xaver Süßmayr (1766–1803) nach Prag und kam dort am 28. an. Die Mozarts wohnten teils in der Stadt, teils in der Villa Bertramka bei den Duscheks. Die Reiseroute von Wien nach Prag war folgende: Niederösterreich: Stammersdorf, Wolkersdorf, Gaunersdorf, Wülfersdorf, Poysdorf. Mähren: Nikolsburg, Mariahilf, Laaz, Brünn, Bosarschütz, Wischau, Prosnitz, Olmütz, Mährischneustadt, Müglitz, Grünau, Zwittau. Böhmen: Leitomischel, Hohenmaut, Wostrzetin, Beyschtie, Königgrätz, Jaromirz, Pleß, Horschitz, Gitschin, Sobotka, Münchengrätz, Hühnerwasser, Niemes, Leutmeritz, Theresienstadt. 30. August (Dienstag): Die Kaiserin kam mit Erzherzog Joseph Anton (1776– 1847) und zwei Erzherzoginnen (Maria Anna und Maria Clementine) nach Schloss Lieben. Die Prager Oberpostamtszeitung meldete im Journal der angekommenen Fremden, dass »Herr Mozart k. k. Kapellmeister« das Neutor passiert habe. Eine Reisebegleitung wurde nicht erwähnt. 31. August (Mittwoch): Ein prunkvoller Aufzug mit Hochamt fand im VeitsDom statt. Die musikalische Umrahmung wurde von Mitgliedern der Wiener Hofkapelle unter Hofkapellmeister Antonio Salieri (1750–1825) bestritten. Beim festlichen Einzug in den Dom – mit allem militärischen und bürgerlichen Pomp – spielten Trompeten und Pauken auf dem Chor. Danach wurde die Antiphon Ecce mitto Angelum durch die k. k. Hofmusikkapelle abgesungen. 1. September (Donnerstag): Der König hielt vom 1. bis 3. September jeweils eine öffentliche Tafel im Rittersaale mit jeweils hundert Gedecken. Die Tafel wurde mit einer vortrefflichen Musik eröffnet. Die königliche Familie speiste mit Mitgliedern des Hofstaates und mit in- und ausländischem Adel. 2. September (Freitag): Aus dem Tagebuch der böhmischen Königskrönung: »Heute wird im Altstädter Theater aufgeführt: Il dissoluto Punito ossia: Il D. Iovanni. Der gestrafte Ausschweifende oder: Don Jeann. Ein komisches SingRU DOLPH A NGER MÜ LLER
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spiel in 2 Aufzügen. Die Musik ist von Hrn. Mozart.« Die Aufführung fand »auf höchstes Verlangen« statt und wurde von den Majestäten »mit Ihrer höchsten Gegenwart« beehrt. Mozart dirigierte, von den Sängern der Uraufführung wirkten noch Teresa Saporiti (1763–1809?) (Donna Anna) und Caterina Bondini (Zerlina) mit. Im Königlichen Altstädter Nationaltheater führte die Deutsche kurfürstlich-sächsische Schauspielergesellschaft des Herrn Franz Bartholomäus Seconda (1755–1831) das Lustspiel in vier Aufzügen Die Eifersüchtigen oder: Keiner hat Recht nach dem Englischen des Arthur Murphy (1727–1805) von Friedrich Ludwig Schröder (1744–1816) auf. Im Tagebuch der böhmischen Königskrönung findet sich am 3. September folgender Passus: »Abends beehren Ihre kais. kön. Majestäten mit Dero durchlauchtigsten Prinzen und Prinzessin k. H.H. das hiesige Altstädter Nationaltheater mit Ihrer höchsten Gegenwart, wo auf höchstes Verlangen die italiänische Oper: Il dissoluto punito, oder Il Don Iovanni gegeben wird. Das Theater ist stark mit Lustern beleuchtet, und die kais. Logen verziert.« 3. September (Samstag): Leopold II. eröffnete die Ständeversammlung. Abends fand im spanischen Saal und dem damit verbundenen kleineren Hofsaal ein Hofball statt, »wobei die appartementmäßigen Kavaliere und Damen, alle landesständischen Mitglieder des Herren- und Ritterstandes ohne Billete, welche ihnen theils durch ihre Präsidenten und Vorgesezten, theils unmittelbar von dem Landespräsidium zukamen, den Zutritt erhielten. Die ganze Nacht wurde man mit Speisen und Erfrischungen bewirthet; die Herablassung, mit welcher Seine Majestät der König mitten unter seinen treuen Böhmen umhergieng, hatte Höchstdemselben, wenn es nicht schon eher geschehen wäre, alle Herzen gewonnen. Die Zahl der Ballgäste kann man auf zwei bis drei tausend annehmen.« 4. September (Sonntag): Im Veits-Dom wurde der Eid auf die böhmische Krone geschworen. Die Stände von Böhmen, Mähren und Schlesien huldigten dem König. Die Hofkapelle nahm an diesem Gottesdienst teil. 5. September (Montag): Mozart beendete die Komposition seiner Opera seria La clemenza di Tito. 6. September (Dienstag): Leopold II. wurde in einer feierlichen Zeremonie im Veits-Dom zum König von Böhmen gekrönt. Die Musik zu den Krönungsfeierlichkeiten wurde von Antonio Salieri geleitet. Abends: Uraufführung der Clemenza di Tito im Prager Nationaltheater (Nostitzsches Theater). Mozart, der 200 Dukaten für das Werk bekam, dirigierte in Gegenwart des Kaisers Leopold II. und seiner Gemahlin Maria Ludovica. Im Orchester wirkte der Klarinettist und Logenbruder Mozarts, Anton Paul 59
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» Es wäre meiner Meinung nach auch langweilig, wenn Tito die ganze Zeit nett auf der Bühne säße und freundlich herumsäuselt – das will ja niemand. Wie heißt es so schön bei Büchner: › Jeder Mensch ist ein Abgrund: Es schwindelt einem, wenn man hinabsieht.‹ « Jürgen Flimm
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Stadler (1753–1812), mit. Den Text schrieb Caterino Mazzolà (1745–1806) nach Pietro Metastasio (1698–1782). Er richtete durch folgende Kunstmittel die Metastasianische La clemenza di Tito zur »vera opera« ein: – Er kürzte den Text etwa um ein Drittel. – Den zweiten Akt strich er wegen einer für die Actio bedeutungslosen Nebenhandlung fast völlig. – Arien und Ensembles entstanden vielfach durch Neudichtung oder Poetisierung vorhandener Rezitative und Arien. – Mazzolà kürzte die Rezitative, da für ihn und Mozart geschlossene musikalische Formen wichtiger sind. Wesentliches wird ausgesagt. Nebensächliches gestrichen. – Das Metastasianische Grundprinzip eines Dramas, die Folge von Rezitativ und Arie, wurde durchbrochen. An seine Stelle trat die Reihung von Rezitativ-Arie-Ensemble mit ausgedehntem Finale. Mazzolà lockert den Arienschematismus Metastasios auf: · Metastasio: 25 Arien und 4 Chöre. · Mozart: 11 Arien, 3 Duette, 3 Terzette, 1 Quintett, 1 Sextett, 5 Chöre. – Der Charakter einer Person wird bei Mozart weniger im Text als in der Musik dargestellt. – Mazzolà rafft, um die Gegenspieler besser zu konturieren und zu kontrapunktieren. – Er schafft, wie es zeitüblich war, zwei große Finali, sehr auf Wirkung und Schau (Brand des Kapitols im ersten Finale) bedacht. Metastasio hingegen beschließt Akt I und II mit einer Arie, Akt III mit einem Chor. – Wenn Dramatik und Actio es erfordern, streicht Mozart Abgangsarien, lässt sie direkt in andere Szenen übergehen (No. 23 in 24). Damit setzt er sich über das alte Strukturprinzip hinweg, gönnt aber so dem Sänger wenig Applaus. Für ihn ist allein der theatralische Effekt von Bedeutung. Die Festvorstellung, die ausschließlich höhere Gesellschaftskreise (Hofsuite, Adel, Fremde, aus- und inländische Honoratioren, Angehörige der Universität) besuchten, wurde kein glänzender Erfolg. Auffallend ist, dass Leopold II. Mozart in Prag nicht empfangen hat, hatte er ihm doch 1770 als Großherzog von der Toskana in Florenz – wie Leopold Mozart in seinem Brief vom 3. April 1770 schrieb – »eine gute Viertlstunde« eine Audienz gewährt, war »ungemein gnädig«. Die Äußerung der Kaiserin Maria Ludovica, eine geborene Spanierin, Mozarts Oper sei eine »porcheria tedesca« ist quellenmäßig nicht belegt – diese Behauptung stammt aus dem 19. Jahrhundert. Das Sujet ist auf die Regierungseigenschaften des neuen Herrschers zugeschnitten: Leopold II., der 25 Jahre die Toskana regierte, installierte dort einen Musterstaat der europäischen Aufklärung, er betrieb eine effektive Neutralitätspolitik, schaffte Folter und Todesstrafe ab, milderte die 61
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Strafen des josephinischen Gesetzbuches (Anschmieden, Schiffsziehen). Mit dem Frieden von Sistowa (4. August 1791) beendete er den Türkenkrieg, sein Ehrenname wird »Il Re pastore«. In Reden und Sinngedichten auf den Tod Leopold II. wird immer wieder auf Titus angespielt. Titus ist Sinnbild der übernationalen österreichischen Kultur des 18. Jahrhunderts geworden. Titus und Leopold II. sind, um mit Sueton zu reden, »amor et deliciae generis humani«. Metastasios La clemenza di Tito, am 4. November 1734 mit der Musik von Antonio Caldara (1670–1736) zum ersten Mal im Beisein der »augustissimi sovrani« im großen Wiener Hoftheater vorgestellt, ist ideale Hofoper schlechthin, Oper des aufgeklärten Absolutismus. Weitere 45 Vertonungen lassen sich von 1734 bis 1839 nachweisen. Die vornehmste Kaisertugend seit Seneca ist die clementia, eine Tugend, die auch die casa austriaca für sich in Anspruch nimmt. Karl VI. (1686–1740), der damalige Herrscher und der letzte Alt-Habsburger, aber auch der erste Deutsch-Habsburger seit zwei Jahrhunderten, regierte über weite Teile Italiens, seine italienischen Untertanen nannten ihn Cesare, als Nachfolger der römischen Imperatoren. Vor allem Voltaire hat das Werk Metastasios gelobt und es populär gemacht. Titus ist »eine ewige Lehre für alle Könige und Entzücken für alle Menschen, würdig eines Corneille, wenn er nicht deklamiert, und eines Racine, wenn er nicht schwach ist«. Über die Aufführung konnte man lesen: »Die Stände hatten das von dem bisher unerreichten italienischen Operndichter, Abbate Metastasio, verfaßte Singspiel: La Clemenza di Tito gewählt, und die Musik hiezu von dem Kompositor am k. k. Hofe, Wolfgang Mozart, dessen Namen jeder Musikkenner mit Ehrfurcht nennet, verfertigen lassen. Die ersten drei Dekorationen dankte man der Erfindung des Peter Travaglia, welcher bei Seiner fürstlichen Gnaden, dem Herrn Anton Fürsten v. Esterházy, in Diensten stand, die vierte aber hatte ( Johann Adam) Preisig (1766–1831) aus Coblenz erfunden. Die Kleidung zeichnete sich durch Neuheit und Reichthum aus, und war von Cherubin Babbini, aus Mantua, angegeben. Um 7 Uhr gieng die Aufführung dieses ernsthaften italienischen Singspiels vor sich. Die gewöhnliche Theaterwache war verdoppelt, eine Division Karabiniers besetzte die angemessenen Posten, und die Feuerlöschanstalten waren vermehret. Ihre Majestäten der König und die Königinn sammt der k. Familie beehrten das Nazionaltheater, das bis zur Vermeidung eines Gedränges ganz angefüllt war, und wo man aus Prag’s bekannter Gefälligkeit, den Fremden die ersten Plätze überließ, mit Ihrer Gegenwart, und wurden mit Jubel empfangen. Das Singspiel selbst ward mit dem Beifalle, welchem Verfasser, Kompositor, und die Singstimmen, besonders die rühmlich bekannte Todi (1753–1833), aus vollem Grunde verdienten, aufgenommen, und es schien, daß Ihre Majestäten mit Zufriedenheit das Schauspielhaus verlassen haben.«
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7. September (Mittwoch): Folgender Eintrag findet sich im Tagebuch der böhmischen Königskrönung: »[Am 6.] Abends war Freyopera, in welche sich Se. Majestät mit der durchlauchtigsten Familie und dem Hofstaate in die für Höchst dieselben zubereiteten Logen nach 8 Uhr begaben, wohin dieselben ein allgemeines freudiges Vivatrufen durch alle Gassen begleitete, mit welchem Höchstdieselben auch im Theater empfangen wurden.« Der zweite Hofball fand statt. 9. September (Freitag): Auf allerhöchstes Begehren wurde von der Secondaschen Schauspielergesellschaft Der Herbsttag und der Weibliche JakobinerKlubb gegeben. 10. September (Samstag): Die zweite Aufführung der Clemenza di Tito fand wahrscheinlich an diesem Tage statt. 12. September (Montag): Maria Ludovica wurde zur Königin von Böhmen gekrönt. Abends: Freiball und Volksfest im Nationaltheater. Während des Soupers sang Josepha Duschek (1754–1824) in Gegenwart der Majestäten Leopold Anton Kozeluchs (1747–1818) Huldigungskantate, die ebenfalls von den böhmischen Ständen bestellt wurde. Von 37 Damen und 37 Herren wurde ein figurierter Kontretanz vorgestellt. 13. bis 15. September: Große Tafel teils bei Hofe, »theils bei den Herrn Fürsten Erzbischöfen von Prag und Olmütz, bei dem Herrn Oberstkanzler, dem Herrn Hofkammerpräsidenten und dem Herrn Oberstburgrafen. Einige Male jedoch speiste die königliche Familie allein. Die Abende wurden theils mit Hofbällen en masque, theils mit Bällen bei dem Herrn Oberstkanzler, dem Herrn Fürsten und Regierer des Hauses von und zu Liechtenstein, und dem Herrn Fürsten Erzbischofs zu Prag, theils mit Besuch der Theater zugebracht.« 15. September (Donnerstag): Allmähliche Abreise des Hofstaates. Die Mozarts fuhren ebenfalls in der Mitte des Monats nach Wien zurück. 16. September (Freitag): Leopold II. jagte auf dem fürstlich Liechtenstein’schen Schloss Kolodieg. 3. Oktober (Montag): Abreise Seiner Majestät des Königs, der Königin und des Erzherzogs Franz.
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Rudolph Angermüller
STARS DER URAUFFÜHRUNG
Die Sänger der Erstaufführung der Clemenza di Tito
Antonio Baglioni (vor 1765 Rom bis nach 1796, tätig 1786-1794) sang den Tito Antonio Baglioni, Tenor, Sohn des seit 1740 bekannten Bassisten Francesco (tätig 1729 bis 1762) war nicht nur Sänger, sondern auch ein gesuchter Gesangslehrer und Komponist. Er begann seine Karriere 1786 in Bologna, 1786/87 trat er in Venedig als »secondo buffo di carattere« auf. Von 1787 bis 1792 in Prag engagiert, war er am 29. Oktober 1787 der erste Don Ottavio in Mozarts Don Giovanni. 1790 gastierte er in Warschau. – Lorenzo Da Ponte (1749–1838) sagte ihm großen musikalischen Geschmack und musikalisches Können nach. – Bis 1794 stand er immer wieder in Venedig auf der Bühne. Baglioni veröffentlichte Stimmübungen (Mailand). Ein Duett Sommo ciel (Venedig), ein dreistimmiges Ave Regina und die Arie Come aboro fu deciso sind handschriftlich überliefert. Die Personalliste des Prager Theaters 1792 notierte über ihn: »Hr. Baglioni, Erster Tenorist. Gewiß verdient er mit Recht Beifall. Seine Stimme hat sich ausgebildet, ist wohlklingend, rein und voll Ausdruck, so dass wenig Theater sich eines solchen Tenoristen werden rühmen können. Wir haben seit langer Zeit seines Gleichen nicht gehört. Seine Hauptrolle ist Colloardo in La molinara [= L’Amor contrastato von Giovanni Paisiello, 1740-1816]. Hier verbindet er Gesang und Spiel auf das Meisterhafteste.« Sein Stimmumfang reichte bis zum zweigestrichenen b. Als Gesangslehrer unterrichtete er unter anderen Giulietta Da Ponte, Lorenzos Nichte. Er heiratete Clementina Poggi, Tochter des Sängers Domenico Poggi (vor 1740 bis nach 1790), der den Sergeanten Simone in der nicht zustande gekommenen Wiener Aufführung von Mozarts La finta semplice KV 51 singen sollte. Baglioni wurde im Jahre 1786 zum ersten Mal in einem Libretto genannt. In Bologna sang er am 2. Mai im Teatro Zagnoni den Ramiro in Angelo Tarchis (um 1760 bis 1810) Dramma per musica in tre atti Ariarate. Im Herbst dieses Jahres kreierte er dann in Venedig den Don Pasquinello im Teatro Giustiniani di S. Moisè in der Erstaufführung von Giuseppe Gazzanigas (1743–1818) Dramma giocoso in due atti Le Donne fanatiche. In Prag stellte er sich am 29. Oktober 1787 als Don Ottavio in der Uraufführung von Mozarts Dramma giocoso in due atti Don Giovanni (Text: Lorenzo Da Ponte) vor. Im November 1793 zeigte er sich im Teatro Venier di San Benedetto in Venedig. Am 11. Dezember 1794 ließ er sich im Wiener Burgtheater hören.
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Maria Vincenza Marchetti-Fantozzi (1766/67 Neapel bis nach 1816) sang die Vitellia Maria Vincenza Marchetti-Fantozzi war seit 1788 die Gattin des Tenors und Baritons Angelo Fantozzi (*1760, tätig 1782 bis 1800). Nach Reichsgraf Karl Christian Heinrich Zinzendorf (1739–1813) soll die Marchetti-Fantozzi in La clemenza di Tito ausgezeichnet gesungen haben, aber langweilig gewesen sein. Leopold II. hat die Sängerin aber ausnehmend gut gefallen. »Ihre schöne, starke und volle Stimme füllte das ganze Opernhaus, ohne ins Schreyen auszuarten. Der Umfang derselben zeichnete sich unterdessen weder durch außerordentliche Höhe noch Tiefe aus; vom ein= bis dreigestrichenen c war alles, was sie geben konnte, aber diese Töne waren alle gleich gut. Ihre Fertigkeit war hinreichend zum guten deutlichen Vortrage, doch ohne Bewunderung zu erregen. Destomehr aber rührte sie durch ihren empfindungsvollen Vortrag und durch ihre meisterhafte Aktion. Ihr äußerer Anstand entsprach ihren Rollen vollkommen, indem sie bey ihrer edlen Bildung, schwarzen Augen und Haaren von der Natur selbst zur Heldin gebildet zu seyn schien. Sie schien 1797 in dem Alter von 30 Jahren zu seyn, und sang noch 1802 daselbst.« Die Marchetti trat zum ersten Mal am 3. Februar 1781 im Teatro Grande alla Scala auf. Im Frühjahr des gleichen Jahres war sie im Nuovo Teatro in Proprietà de’ Quattro Cavalieri Patrici della regio-inclita città di Pavia zu sehen. Zur Oktobermesse des Jahres 1781 sang sie im Teatro della città d’Alessandria, später in Modena, Treviso, Cremona, Reggio, Livorno, Florenz, Neapel, Turin, Padua, Treviso, Genua, Triest. Die Künstlerin muss Prag nach ihrem Auftritt in La clemenza di Tito bald verlassen haben, denn bereits im Herbst dieses Jahres stellte sie sich im nobilissimo Teatro Venier in San Benedetto in Venedig vor. Von Venedig wechselte sie nach Triest und von 1793 bis 1800 ließ sie sich am Berliner Nationaltheater hören.
Antonia Campi (10. Dezember 1774 Lublin bis 1. Oktober 1822 München) sang die Servilia Über Mozarts »Signora Antonini« sind wir erst seit 1998 durch einen Aufsatz von Walther Brauneis Wer war Mozarts »Sig[no]ra Antonini in der Prager Erstaufführung von La clemenza di Tito KV 621. Zur Identifikation der Antonia Miklasiewiecz als Interpretin der Servilia in der Krönungsoper am 6. September 1791« bestens informiert. Die Mozart-Forschung wusste bis zu diesem Jahr so gut wie nichts über diese renommierte Sängerin. Ein Grund für diese RU DOLPH A NGER MÜ LLER
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Benennung war wahrscheinlich der schwer aussprechbare Mädchenname Miklasiewiecz. So wurde der Vorname genommen und auf »Antonini« als Hausname verballhornisiert. Antonia Campi, geb. Miklasiewiecz, im Prager Libretto von 1791 nur »Signora Antonini« genannt, erhielt bei ihrem Vater, der Musikdirektor war, ersten Unterricht. Am 2. Februar 1792 heiratete sie in Prag den Bassisten Gaetano Campi – aus dieser Ehe gingen 17 Kinder hervor, davon viermal Zwillinge und am 23. Februar 1800 Drillinge. Der Impresario Domenico Guardasoni lernte die Sängerin in Warschau kennen, wo sie am Hofe König Stanislaus II. August Poniatowski (1732–1798) als Kammersängerin debütierte. 1785 war die Sängerin in Leipzig verpflichtet, 1788 wurde sie polnische Kammersängerin. In ihrer Blütezeit sang sie vom kleinen g bis zum dreigestrichenen f, somit fast drei Oktaven. Ihre besten Töne lagen in der mittleren und in der hohen Lage. Ihre Stimme war nicht nur kraftvoll, sondern auch äußerst biegsam. Sie erfreute das Publikum durch Deutlichkeit, Bestimmtheit und Reinheit des Vortrags. Ihre Triller sollen unübertrefflich gewesen sein. Sie modellierte Töne, die sich vom Pianissimo bis zum Fortissimo entwickelten. Ihr Staccato, ihre Koloraturen und ihr Portamento waren vollkommen. Nach ihrem erfolgreichen Debüt in Prag als Servilia übernahm die Campi 1793 die Funktion einer Prima Donna im Guardasoni’schen Ensemble in der Moldau-Stadt. Hier konnte sie als Gräfin in Mozarts Le nozze di Figaro und als Donna Anna in Don Giovanni große Erfolge verbuchen. Ihre Königin der Nacht in der Zauberflöte begeisterte allgemein. Das in Brünn erscheinende Allgemeine europäische Journal schrieb über sie: »[...] ihre Stimme ist hell, rund und stark. Wenn sie damit etwas mehr und bessere Akzion, eine einfachere Methode im Vortrage, und mehr Geschmack im Anzuge (der sicher nichts Unwesentliches ist) – verbände, so wäre sie eine vortreffliche Theatersängerin.« Selbstverständlich war sie auch bei der großen Musikalischen Akademie für Mozarts Witwe am 15. November 1797 im Prager Altstädter Nationaltheater zu bestaunen. Sie gab eine Bravourarie zum Besten. Bereits am 9. März 1798 wurde Mozarts Così fan tutte als Benefizvorstellung für sie gegeben. Daneben brillierte sie im italienischen Repertoire; bis 1799 war sie bei der Opera buffa beschäftigt. Am 13. Juni 1801 nahm sie Emanuel Schikaneder (1751–1812) im neu erbauten Theater an der Wien unter Vertrag, wo sie am 4. Jänner 1802 erfolgreich die Königin der Nacht darstellte. Ignaz Franz von Castelli (1781–1862) darüber in seinen Memoiren: »Frau Campi, ebenfalls Italienerin [!] und eine der ausgezeichnesten Koloratursängerinnen. Ihre Kehlengeläufigkeit war wirklich wunderbar, sie konnte alles damit machen was sie wollte, ja, selbst wenn sie etwas heiser war, konnte sie 67
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noch die schwersten Passagen singen; sie besaß keine Brust=, sondern eine spitze Kopfstimme. Gehaltene Töne waren bei ihr weder voll noch schön, aber das musikalische Feuerwerk brennt sie bewunderungswürdig ab. Sie sang den Part der Königin der Nacht in der hohen Tonart, in welcher ihn Mozart ursprünglich schrieb, und das Stakkato klang wie springende Perlen. [...] Mit Virtuosität sang sie die Donna Anna im Don Juan, und die Konstanze in der Entführung.« Am 6. Dezember 1806 gab sie die Vitellia im Kärntnertortheater italienisch, am 2. Jänner 1811 in Deutsch. Der Rezensent der Allgemeinen musikalischen Zeitung wusste über sie zu berichten: »[...] Mad[ame Campi] als Vitellia sang mit Anstrengung [...]; denn kaum erkannte man die Partie, sowie Mozart sie geschrieben, vor Ueberladung.« Wenig später hieß es in der Wiener allgemeinen musikalischen Zeitung: »Mad[ame] Campi als Vitellia entzückte die enthusiastischen Freunde ihres an Rouladen und Schnörkeln überhäuften Gesanges, befriedigte aber die Verehrer der reinen Mozart’schen Musik gar nicht, da diese bey so vielen willkürlichen Veränderungen des Grundgesanges und den endlosen Verzierungen kaum eine Stelle des Original-Satzes erkannten.« Das war aber in der Branche zeitüblich. 1818 kam die Campi als erste Sängerin zur k. k. Hofoper, 1820 erhielt sie ein mit einem Pensionsdekret verbundenes Anstellungsdekret. Am 25. April 1820 notierte Franz Xaver Wolfgang Mozart (1791–1844) in seinem Reisetagebuch: »Die alte Campi, singt noch [in der Entführung aus dem Serail KV 384] zum Erstaunen.«
Carolina Perini (um 1760 bis nach 1800, tätig 1780-1795) sang den Annio Carolina Perini wird zum ersten Mal in einem Libretto in Venedig erwähnt. Im Karneval 1790 ließ sie sich im nobile Teatro Giustiniani in San Moisè hören. Bereits im Herbst 1792 stellte sie sich in Venedig in zwei Produktionen vor. 1793 konnte man sie in Genua bewundern. Außerdem trat sie dreimal an der Mailänder Scala auf. Im Karneval 1794 war sie im Regio Teatro di Corte in Parma engagiert und sang als Gast zweimal im Frühjahr 1794 in Genua. Im nächsten Karneval konnte man die Sängerin in Modena bestaunen, viermal war sie anschließend in Neapel.
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Domenico Bedini (ca. 1745 Fossombrone bis nach 1800, tätig 1762-1795) sang den Sesto Domenico Bedini sang über dreißig Jahre auf renommierten Bühnen. Seine Karriere begann 1762 im Teatro del Sole in Pesaro. Er trat dann in Rom, Venedig, Alessandria, Turin, Siena, Lucca, Bologna, München, Macerata, Neapel, Florenz, Livorno, Mailand (Scala), Reggio, Treviso, Senigaglia, Perugia, Genua und Triest auf. Im Karneval 1792 ließ er sich dann zwei Mal im Teatro di Via della Pergola in Florenz bewundern. Ein Jahr später verkörperte er die Titelrolle in Sartis Giulio Sabino. Weitere Stationen: Verona, Ascoli.
Gaetano Campi, buffo (1766 bis 10. Juli 1826 Wien, tätig 1782-1796) sang den Publio Die Prager Personalliste notierte über Campi 1792: Er war »ein sehr braver Sänger, dessen Stimme rein, hell und durchdringend ist, der die schwersten Passagen mit Leichtigkeit hervorbringt und einen überaus angenehmen Ton hat. Auch besitzt er das Verdienst, dass er sie nie überschreit. Sein Spiel ist wahrhaft komisch und nie übertrieben, daher gefällt er auch unserem Parterre nicht ganz.« Der Bassbuffo begann seine Karriere im Frühjahr 1782 in Pavia. Im Karneval 1783 stellte er sich zwei Mal in Casale Monferrato vor. Er war dann in Brescia, Monza, Varese, Mailand, Reggio, Cremona und Bologna engagiert. Im Karneval 1796 befand sich Campi wieder in Italien (Bologna).
→ folgende Seiten: Chen Reiss als Servilia und Juliane Banse als Vitellia, 2012
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» LA CLEMENZA DI TITO « IN WIEN
»Die k. k. oberste Theatralhofdirektion hat der Unterzeichneten gnädig erlaubt, in gegenwärtiger Adventzeit eine musikalische Akademie zu ihrem Vortheile zu geben. Sie bestimmet hiezu eines der beßten und letzten Werke ihres, für sie und für die Kunst, zu früh verstorbenen Mannes, des seel. k. k. Hofkammerkompositors Wolfgang Amade Mozart, nämlich die von ihm auf die Metastasische Oper: La Clemenza di Tito, geschriebene, hier noch nicht aufgeführte Musik. Der allgemeine Beyfall, womit Mozarts musikalische Produkte jederzeit aufgenommen worden sind, macht sie hoffen, das verehrungswürdige Publikum werde auch die Aufführung eines seiner letzten Meisterstücke mit seiner Gegenwart beehren.« Mit diesen Zeilen ließ Mozarts Witwe Constanze in der Wiener Zeitung vom 13. Dezember 1794 die erste Wie» LA CLEMENZA DI T ITO « IN W IEN
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ner Darbietung der 1791 in Prag uraufgeführten Opera seria La clemenza di Tito ankündigen. Die konzertante Aufführung fand am 29. Dezember 1794 im Kärnthnerthortheater statt; der große Erfolg des Unternehmens veranlasste Constanze, bei der »Obersten Theaterhofdirektion« um eine Wiederholung in der Fastenzeit des folgenden Jahres anzusuchen: »Innigst gerührt« vom ungeteilten Erfolg bedankte sich Constanze am 18. März 1795 (abermals in der Wiener Zeitung) beim Wiener Publikum für den »öfters seither geäußerten Wunsch«, diese Oper wieder zu hören. – Am 31. März 1795 fand die zweite (wieder im Rahmen einer sogenannten »Akademie« in konzertanter Form, diesmal jedoch im »Kaiserlich Königlichem Hoftheater nächst der Burg« stattfindende) Aufführung des mit »zahlreichem Zuspruch« aufgenommenen Werkes statt; genau sechs Jahre später sollte eine dritte »zum Vortheile der Hoftheatral-Armen« gegebene folgen. Mit Maria Theresia Rosenbaum (geb. Gassmann) als Vitellia, Maria Anna Willmann Galvani als Sesto, Antonio Pasqua als Tito und Ignaz Saal als Publio waren 1801 die führenden Kräfte des Wiener Hofopernensembles beschäftigt; zwischen den beiden Akten wurde nach damaligen Usancen übrigens ein Oboenkonzert (von dem heute in Vergessenheit geratenen Komponisten Antonio Casimir Cartellieri) dargeboten. – Die Ouvertüre und Sestos Arie Parto! mit obligater Klarinette erfreuten sich in den nächsten Jahren besonderer Beliebtheit und wurden in Wien gerne in diversen Konzertveranstaltungen aufgeführt. Unter dem Titel Titus. Eine große Oper in zwey Aufzügen fand am 22. September 1801 in dem im selben Jahr unter der Direktion Emanuel Schikaneders eröffneten Theater an der Wien die erste szenische Wiener Aufführung in der deutschen Übersetzung von Joseph von Seyfried statt – wenn auch der Erfolg des Werkes nicht mit jenem von Schikaneders »Dauerbrenner« Zauberflöte zu vergleichen war, so ist die Zahl von 33 Aufführungen bis 1809 doch einigermaßen beeindruckend. Am 12. April 1804 wurde Titus als La clemenza di Tito. Die Langmuth des Titus als »große heroische Oper in zwey Aufzügen« in Dekorationen von Lorenzo Sacchetti, Mitglied des freien Kollegiums der Malerei zu Venedig und in Diensten der »k. k. Hof-Theatral-Direktion«, zum ersten Mal in szenischer Form an den Hoftheatern (zunächst im Kärnthnerthortheater, später auch im Burgtheater) aufgeführt. Die Schwestern Marianne und Viktoria Sessi waren Sesto und Vitellia, Ignaz Saal sang wieder den Publio. In der Titelpartie erlebten die Wiener den berühmten Antonio Brizzi, einen europaweit aufgrund seiner ausdrucksvollen Darstellungskunst anerkannten Künstler, für den die originalen Mozart’schen Arien durch eine Soloszene aus der Feder von Kapellmeister Joseph Weigl und eine weitere (mit Chor) des gebürtigen Bayern und späteren Donizetti-Lehrers Giovanni Simone Mayr ersetzt wurden. Über Brizzis Interpretation des Mozart’schen Tito lesen wir im Morgenblatt für gebildete Stände aus dem Jahre 1807 u. a.: »Der berühmte Sänger Brizzi sang die Rolle des Titus mit königlichem Anstand und der imponirenden Sicherheit und Kraft des vollendeten Meisters. Sein Recitativ 73
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war eben so rund, so bestimmt, so deutlich und wahrhaft declamatorisch, als durchdringend und herzergreifend sein Gesang. Zwar gelingt ihm das Große, Heroische besser, als das Sanfte und Schmelzende; ein Heldenkarakter besser, als ein girrender Liebhaber, oder ein sanfter Herrscher; demungeachtet wußte er sein energisches Talent dieser Rolle sehr wohl anzupassen, und stellte ganz die Majestät eines Beherrschers der Welt dar. Brizzi ist noch ein Mann in seinen besten Jahren, und stellt auf dem Theater eine sehr edle, einnehmende Gestalt dar. Seine Stimme ist stark, männlich, durchgreifend, dabey angenehm und sehr melodisch. Er singt bekanntlich Baritontenor und greift mit Leichtigkeit ins Gebiet des Basses. Seine höhern Fisteltöne stehen zwar beträchtlich gegen die mittlern und tiefen zurück; doch schlagen sie um so mehr durch, da sogleich, selbst im gedrängtesten Publikum, lautlose Stille herrscht, so wie dieser Meister den Mund öffnet.« – Die Wiener erlebten Brizzi und Die Langmuth des Titus innerhalb von neun Monaten 18mal; einen erschütternden Eindruck hinterließ insbesondere das Finale des ersten Aktes mit dem Chor aus dem Bühnenhintergrund O nero tradimento. Am 2. Jänner 1811 wurde das Werk zum ersten Mal im Kärnthnerthortheater (dem nunmehrigen »K. K. Hof-Operntheater«) unter dem Titel Titus der Gütige in deutscher Sprache gegeben, neben den Primadonnen Kathinka Buchwieser (Sesto) und Antonia Campi (Vitellia) war mit Giuseppe Siboni ein italienischer Tenor in der Titelpartie zu erleben, der alle sprachlichen Hürden überwand und immer wieder in deutschen Aufführungen mitwirkte – seine Glanzrolle war der Licinius in Gaspare Spontinis Erfolgsoper Die Vestalin. Bis 1830 stand Titus der Gütige 42mal auf dem Spielplan der Hofoper, zu erleben waren u. a. die Gesangstars Therese Grünbaum und Marianne Katharina Ernst als Vitellia, Katharina Waldmüller (die Gattin des Malers Ferdinand Waldmüller) und Sabine Heinefetter als Sesto oder Karoline Unger (die bei Mozarts Schwägerin Aloysia Weber-Lange Gesang studiert hatte) als Annio. Den heutigen Opernbesucher muten einige Besetzungen der Titelpartie wohl sonderbar an: So war etwa Marianne Schönberger-Marconi als Tito zu hören, eine Künstlerin, die von Salieri ausgebildet worden war und neben dem Tito auch Tamino und Belmonte im Repertoire hatte; oder Anton Forti, eigentlich ein Bass-Bariton, der neben Don Juan, Papageno, Pizarro, Kaspar und sogar Sarastro auch Tenor-Partien wie Spontinis Cortez oder Rossinis Otello interpretierte. Als Forti in einer Wiederaufnahme 1817 in Titus der Gütige debütierte, wurde das Werk nicht wie üblich mit begleiteten Rezitativen aufgeführt, sondern mit gesprochenem Dialog; die Einlagearien von Weigl und Mayr blieben jedoch erhalten und wurden sogar noch um ein Duett zwischen dem Kaiser und Sesto (ebenfalls von Weigl) bereichert. – 1830 wurde die Titelpartie von dem berühmten Tenor Franz Wild interpretiert, der übrigens auch den Don Juan im Repertoire hatte. Als Titus der Gütige im Jahre 1849, nach einer Pause von mehr als 18 Jahren, wieder in den Spielplan des Kärnthnerthortheaters aufgenommen wurde, MICH A EL JA HN
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standen mit Alois Ander (später Wiens berühmter Lohengrin) als Tito, Maria Anna van Hasselt-Barth als Sesto und Anna Zerr als Vitellia zwar ausgezeichnete Künstler zur Verfügung, die nur allesamt einen kleinen Mangel aufwiesen: Sie kannten die Tradition des alten italienischen Opera seria-Stils nicht mehr. Obwohl sie auch Mozart-Partien zu ihrem Repertoire zählten (Ander war ein hervorragender Belmonte und Tamino, die Hasselt-Barth eine würdige Donna Anna und Konstanze, die Zerr eine berühmte Königin der Nacht), so waren doch Meyerbeers Raoul und Valentine, Johann von Leyden und Bertha, Donizettis Lucia und Edgardo, später auch Wagners Lohengrin ihr eigentliches Metier. Das Publikumsinteresse an Titus der Gütige reichte 1849 jedenfalls nur aus, um fünf Aufführungen über die Runden zu bringen; Mozarts Opera seria galt bereits als »veraltet«, gerade drei Nummern (die Ouvertüre, das Terzett Vengo, aspettate und das Finale des ersten Aktes) durften noch als Kompositionen eines Meisters gelten. In die 1869 mit einer wesentlich beliebteren Mozart-Oper (Don Juan) eröffnete Neue Hofoper am Ring zog Titus (dem im Titel seine Güte abhanden gekommen war) am 27. Jänner 1880 (dem Geburtstag des Komponisten) ein. Es handelte sich um den siebenten und letzten Abend einer »ersten GesamtAufführung von Mozart’s Opern«, die der damalige Hofoperndirektor Franz Jauner bewerkstelligte, und die unter seinem Nachfolger Wilhelm Jahn eine Fortsetzung fand. Von einer Darstellung aller Opern Mozarts konnte natürlich keine Rede sein, einzig die sieben »großen« Werke wurden aufgeführt, und somit auch die lange Zeit vernachlässigten Idomeneo und Titus. Letzterer wurde von einem »dramatischen Epilog« in fünf Bildern mit dem Titel Salzburgs größter Sohn aus der Feder von Josef Weilen eingeleitet; die einzelnen Szenen zeigten u. a. Mozart als Knabe am kaiserlichen Hof zu Schönbrunn (1762); Mozart führt seine Braut Konstanze Weber zur Trauung in die Stefanskirche (1782) oder Mozart lauscht dem Requiem, das seine Freunde ihm vorsingen (1791). – Titus erwies sich als unglücklicher Abschluss des Mozart-Zyklus, der etwa auf den berühmten Musikkritiker Eduard Hanslick »unmittelbar nach der herrlichen Zauberflöte erkältend, um nicht zu sagen niederschlagend« wirkte. Als Juwel der Oper empfand man 1880 wie schon 1849 das Finale des ersten Aktes. – Trotz berühmter Solisten unter der Leitung Willhelm Gerickes (darunter wieder die führenden Kräfte der Hofoper wie Gustav Walter als Titus, Bertha Ehnn als Vitellia und Amalie Friedrich-Materna – später Rosa Papier und Marianne Brandt – als Sesto) war das Interesse an Mozarts Oper wieder sehr gering; bis 1883 gab es nur vier Aufführungen, welchen am 16. Dezember 1891 eine letzte in neuer Besetzung (der WagnerTenor Hermann Winkelmann in der Titelpartie, Antonie Schläger als Vitellia und Luise Kaulich als Sesto) folgen sollte. Dass diese Darbietung nicht unbedingt den höchsten Ansprüchen gerecht werden konnte, dürfen wir einigen strengen Sätzen aus einer zeitgenössischen Rezension der Presse entnehmen: »Unsere Hofbühne hat heute mit einer beispiellos leichtfertigen Aufführung 75
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des Mozart’schen Titus ihre Würde preisgegeben. Eine Mozart-Oper, und sei es selbst das schwächste Werk, zur Schülerproduction… zu degradiren, ist doch unverantwortlich. Wozu dann dieser unselige Mozart-Cyclus, wenn er das Andenken des Meisters nicht ehrt und auch der Hofoper nichts weniger als Ehre bringt? Wir achten unser Opern-Institut zu hoch, um der heutigen Vorstellung jene Censur zu ertheilen, welche sie verdient. Die Prosa der Darsteller, welche in der arg verstutzten Oper leider vorherrschte, trieb das Publicum zum Lachen; das Singen trieb die Hörer vorzeitig zum Ausgange.« Als Titus im 20. Jahrhundert von Wissenschaftlern und ausführenden Musikern gesteigerte Aufmerksamkeit entgegengebracht wurde, eigneten sich auch die Interpreten den lange vernachlässigten Stil der Opera seria wieder an. Sei es in der Nachkriegszeit 1949 im Theater an der Wien (auf Deutsch) unter Josef Krips mit Julius Patzak (Tito), Hilde Zadek (Vitellia) und Marta Rohs (Sesto), sei es in italienischer Sprache während der Direktionsära Seefehlner (1977), als eine Festwochenproduktion aus dem Theater an der Wien an die Staatsoper übernommen wurde (unter Julius Rudel mit Werner Hollweg als Tito, Marita Napier als Vitellia und der herausragenden Teresa Berganza als Sesto), sei im Mozart-Jahr 1991 in einer Inszenierung des damaligen Direktors Drese (unter Sylvain Cambreling mit Dénes Gyulás in der Titelpartie, Roberta Alexander als Vitellia und Ann Murray als Sesto), die Clemenza di Tito wurde dennoch in keiner Inszenierung öfter als neunmal an der Staatsoper gespielt. 1997 wurde das Werk auch an der Volksoper einstudiert (unter Arnold Östmann mit Kurt Azesberger als Tito, Silvana Dussmann als Vitellia und Heidi Brunner als Sesto), und im Mozart-Jahr 2006 brannte das Kapitol wieder einmal im Theater an der Wien (unter der musikalischen Leitung von Paolo Carignani sang neben Kurt Streit als Tito Elīna Garanča den Sesto). Die Premiere der aktuellen Produktion fand 2012 statt. Es sangen u. a. Michael Schade (Tito), Elīna Garanča (Sesto), Juliane Banse (Vitellia) und Chen Reiss (Servilia).
→ KS Elīna Garanča als Sesto, 2012
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Herbert Seifert
HABSBURGS KRÖNUNGSOPERN Opern wurden seit etwa 1590 in Italien aufgeführt, wo es zu dieser Zeit und noch Jahrhunderte danach keine Krönungen gab. Da Mozart seine Clemenza di Tito für die Krönung eines Habsburgers komponierte, sollen hier Opern betrachtet werden, die anlässlich von Krönungen von Habsburgern oder deren Ehepartnern verfasst wurden, und zwar meist zu Königen oder Königinnen der von ihnen regierten Reiche Ungarn und Böhmen. Schon bald wurden vollständig gesungene italienische Musikdramen auch diesseits der Alpen gespielt, zuerst in Salzburg unter der Herrschaft von Fürsterzbischof Marcus Sitticus von Hohenems zwischen 1614 und 1618, aber auch schon am Hof von Kaiser Matthias, als er sich 1617 längere Zeit in Prag aufhielt. Sein Nachfolger Ferdinand II. heiratete 1622 Eleonora Gonzaga aus Mantua, die dort Opern miterlebt hatte, vor allem Claudio Monteverdis Orfeo. Sie zog auch Künstler aus ihrer Heimat nach Wien, etwa den opernerfahrenen Tenor Francesco Campagnolo, der schon am Salzburger Hof mitgewirkt hatte. Als nun das Kaiserpaar im Sommer 1622 beim ungarischen Landtag in Ödenburg/Sopron weilte, ließ man die Stephanskrone holen und die neue Kaiserin am 26. Juli zur Königin von Ungarn krönen. Für den nächsten Tag war eine »Commedia in musica« angesagt, die man mit hoher WahrscheinH A BSBU RGS K RÖN U NGSOPER N
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lichkeit als Oper deuten kann. Außer dem Mantuaner Tenor Campagnolo und den Musikern des Kaisers – zum Großteil Italiener – war auch der Florentiner Architekt Giovanni Pieroni zur Stelle und wahrscheinlich an dieser wohl ersten Krönungsoper beteiligt, als deren Librettist Graf Giovanni Sforza Porcia namhaft gemacht werden kann. Etwas besser sind wir über die Oper informiert, die fünf Jahre später im Prager Hradschin über die im Wladislaw-Saal errichtete Bühne ging. Die inzwischen auch dort zur Königin gekrönte Eleonora ließ am 27. November 1627, zwei Tage nach der Krönung ihres Stiefsohns Ferdinand III. zum König von Böhmen, die »Pastorale in musica« La Transformatione di Calisto von den kaiserlichen Musikern und Musikerinnen aufführen. Das Libretto war von Don Cesare Gonzaga, Prinz von Guastalla, einem Verwandten der Kaiserin, die Bühnenbilder und Maschinen zu der dreiaktigen Oper mit zwei Intermedien wieder von Giovanni Pieroni. Als Komponisten kommen der kaiserliche Hofkapellmeister Giovanni Valentini oder der Tenor Lodovico Bartolaia infrage. Nach Ungarn und Böhmen waren aber auch deutsche Städte Schauplätze von Musikdramen im Umkreis von Krönungen der Thronfolger zu Römischen Königen, so Anfang 1637 Regensburg, wo beim Reichstag Ferdinand III. und seine Frau Maria gekrönt wurden. Danach, am 4. Jänner, wurde im Rathaus eine szenische Einleitung zu einem Ballett gesungen, deren Text von dem Theologieprofessor und Kaplan der Kaiserin Valeriano Bonvicino stammte; der Komponist wird auch diesmal nicht genannt. Es handelte sich um eine rein allegorische Darstellung, in der die Erbländer dem neuen König huldigten und die in ein Ballett der Erzherzogin Cäcilia Renate mit 19 Hofdamen mündete. Glänzende Kostüme und Dekorationen sowie Bühnenmaschinen putzten die sonst eher bescheidene Darbietung auf; immerhin saßen ja die Kurfürsten im Publikum. Die nächste Gelegenheit, den Fürsten, Adeligen und Botschaftern die kulturelle und finanzielle Leistungsfähigkeit des Kaisers repräsentativ vorzuführen, ergab sich schon nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges, beim Reichstag in Regensburg 1653. Gekrönt wurden im Juni Erzherzog Ferdinand IV. und im August die zweite Frau Kaiser Ferdinands III., eine weitere GonzagaPrinzessin, Eleonora. Die Oper bei diesem Aufenthalt des Hofs wurde aber schon zum Ende des Faschings aufgeführt und war – diesmal ohne politische Allusionen – ganz nach dem damals hochmodernen venezianischen Schema von Liebesintrigen gebaut, hieß auch L’Inganno d’Amore und war von Benedetto Ferrari gedichtet, der 1637 an der Eröffnung des ersten kommerziellen Operntheaters in Venedig beteiligt gewesen war. Von dort war auch der Bühnenarchitekt Giovanni Burnacini engagiert worden, der für diesen Zweck ein hölzernes Theater bauen ließ, sechs verschiedene Szenendekorationen entwarf und für erstaunliche Maschineneffekte sorgte, die im Zentrum des Publikumsinteresses standen. Die wieder nur am Rande rezipierte Musik hat 79
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te der kaiserliche Hofkapellmeister Antonio Bertali komponiert, die Ballette der langjährige Hoftanzmeister Santo Ventura choreographiert. Bei dieser und den meisten weiteren der hier genannten Opern ist es diskutabel, ob man sie als »Krönungsopern« ansehen kann; immerhin wurden sie im zeitlichen Umkreis von Krönungen den zu diesem Anlass anwesenden, politisch bedeutenden Personen vorgeführt. So war das auch, als die dritte Frau Kaiser Leopolds I., Eleonore Magdalena Theresia, 1681 beim ungarischen Landtag – wieder in Ödenburg – zur ungarischen Königin gekrönt werden sollte. In die Zeit der Anwesenheit des Herrscherpaars fiel diesmal der Namenstag Leopolds, der 15. November. An diesem wurde L’Albero dal Ramo d’Oro gespielt, ein allegorisches Drama, in dem Siege des Kaisers über seine Feinde und die bevorstehende, aber noch nicht gesicherte Krönung vorhergesagt wurden, die dann wenige Wochen später stattfand. Wie so oft war die kleine Oper als Balletteinleitung deklariert; ihre Autoren waren der Hofpoet Nicolò Minato und der Hofkapellmeister Antonio Draghi sowie der Ballettkomponist Anton Andreas Schmelzer. Das Ballett führten die Erzherzogin Maria Antonia und Hofdamen aus. Der nächste ungarische Landtag fand 1687/88 in Pressburg/Bratislava statt und brachte dem erst neunjährigen Thronfolger Joseph am 9. Dezember die Stephanskrone ein. Diesmal fielen sogar zwei Familienfeste in die Aufenthaltszeit des Hofs in Ungarn, wieder der kaiserliche Namenstag und der Geburtstag der Kaiserin. Zum ersten gab es wieder eine allegorische Balletteinleitung mit politischer Handlung, La Fama addormentata e risvegliata, vom gleichen Leading Team wie acht Jahre zuvor kreiert, diesmal noch erweitert um den Bühnenbildner Lodovico Ottavio Burnacini, der ins Palais der Grafen Pálffy zwei Szenenbilder gebaut hatte. Im Schlussballett tanzten wieder eine Tochter des Kaisers und adelige Damen und Herren. Der Geburtstag der Kaiserin (6. Jänner) wurde mit einiger Verspätung im selben Palais durch die »Festa musicale« Il Marito ama più gefeiert. Wie bei so vielen anderen Opern seines Hofs hatte sich Kaiser Leopold selbst mit einigen Stücken an der Komposition beteiligt. Die Handlung über ein liebendes Ehepaar ist diesmal der römischen Geschichtsschreibung entnommen, doch die abschließende »Licenza«, die wie immer eine Brücke zwischen der Oper und der Huldigung an die zu ehrende Person herstellt, wird von allegorischen Personifikationen gesungen. Hier wird der neue ungarische König als junger Herkules angesprochen, als der er auch im folgenden Ballett auftritt. Zwei Jahre danach, 1689/90, ließ ihn Leopold I. vorsorglich von den Kurfürsten in Augsburg zum Römischen König wählen und am 26. Jänner 1690 krönen. Auf dieses bevorstehende Ereignis spielt in eindeutiger Weise wieder die Oper zum kaiserlichen Namenstag an. In einem Saal des Fuggerischen Hauses stellten die kaiserlichen Musiker Il Telemaco, overo Il Valore coronato auf die Bühne; die Krönung wird also diesmal sogar im Titel angesprochen. Der kaiserliche Kammerherr Ottavio Malvezzi hatte ein Libretto verfasst, das HER BERT SEIFERT
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die politische Lage der Zeit und die Person des jungen Thronfolgers durch die Geschichte der Heimkehr des Odysseus und die dabei von dessen Sohn Telemach gespielte Rolle darstellt. König Ludwig XIV., mit dem der Kaiser wieder einmal im Krieg lag und der die Wahl Josephs gerne verhindert hätte, kommt hier besonders schlecht weg, als einer der Freier um Penelope – die hier allegorisch für das Deutsche Reich steht – und in der Licenza als Inganno (Betrug). Als Höhepunkt tritt der Kronprinz selbst auf, besteigt einen Thron und tanzt wieder im Ballett mit dem Herzog von Württemberg und vier weiteren Herren des Hochadels. Der im Jänner 1690 gefeierte Geburtstag seiner Mutter sollte nun nach Jahrzehnten endlich wieder eine große, dreiaktige Oper im Umfeld einer Krönung auf die Bühne stellen, die von Burnacini mit fünf Bühnenbildern in das Fuggerische Haus in Augsburg gebaut wurde. La Regina de’ Volsci, von dem eingespielten Wiener Opernteam (Minato, Draghi, Schmelzer, Tanzmeister Domenico Ventura) samt dem mitkomponierenden Kaiser in exzeptioneller Qualität geschaffen, war für die Repräsentation der kaiserlichen Hofoper vor dem auswärtigen Publikum vorzüglich geeignet. Und wenn am Ende der Oper der Chor Vivat-Rufe für den neuen König (der Handlung) anstimmt, wird die Beziehung zur Krönung Josephs I. deutlich, der nach der Licenza im Schlussballett wieder mit dem württembergischen Herzog Castor und Pollux darstellte. Nachdem dieser Thronfolger schon nach kurzer Herrschaft 1711 gestorben war, wurde sein Bruder Karl VI. Kaiser. Im September 1723 wurde er zusammen mit seiner Frau Elisabeth Christine in Prag zum böhmischen Königspaar gekrönt. Wieder war es ein Geburtstag der Kaiserin in der Woche davor, der den direkten Anlass diesmal für eine Opernaufführung der Superlative bot: Costanza e Fortezza vom Hofpoeten Pietro Pariati und dem Hofkapellmeister Johann Joseph Fux verfasst und von Giuseppe Galli Bibiena in ein prächtiges Freilichttheater auf dem Hradschin gestellt. Zu dem auch sonst für große Opern zuständigen Team gehörten noch die Tanzmeister Pietro Simon Levassori della Motta und Alexandre Phillebois und der Ballettkomponist Nicola Matteis. Die dreiaktige »Festa teatrale« dauerte fünf Stunden und wurde von 100 Sängern – darunter neun Solisten – und angeblich über 200 Instrumentalisten bestritten, von denen viele aus Prager Kirchen- oder Adelskapellen kamen, aber auch aus Deutschland angereist waren, wie Johann Joachim Quantz, Carl Heinrich Graun und Silvius Leopold Weiss. Der Hofdichter Apostolo Zeno schätzte die Zahl der Zuschauer auf 4.000. Hinter dem Titel, der den Wahlspruch Karls VI. wiedergibt, verbirgt sich wieder einmal ein Plot aus der römischen Geschichte: Rom wird von den Etruskern belagert. Im symbolisch angedeuteten Hintergrund steht der längst beendete Spanische Erbfolgekrieg, die Etrusker stehen für die Franzosen, ihr König Porsenna für den verstorbenen Ludwig XIV. und der Anwärter auf die Herrschaft von Rom, Tarquinio, für Philipp d’Anjou, längst König von Spanien. 81
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Der weise römische Senator Publius Valerius Publicola ist Bühnenrepräsentant für den Kaiser. Damit hinkt die politische Botschaft dieser Oper der Realität weit nach, ist aber bezeichnend für die Geisteshaltung Karls VI., der sich noch immer als rechtmäßigen spanischen König sah. Urteilt man aber nach dem Aufsehen und der Resonanz, war Costanza e Fortezza sicherlich die bedeutendste habsburgische Krönungsoper. Sie wurde nur einmal wiederholt, vier Tage nach der Premiere. Als Maria Theresia 1741 in Pressburg zur Königin von Ungarn gekrönt wurde, gastierte die Operntruppe von Pietro Mingotti in der Stadt und spielte unter anderem Alessandro nell’Indie von Pietro Metastasio mit der Musik von Johann Adolph Hasse, allerdings ohne direkte Beziehung zur Krönung. In solchen Fällen kann also nicht von »Krönungsopern« die Rede sein, besonders, da die Königin sie nicht besuchte; ebenso war es 1745, als Franz Stephan von Lothringen in Frankfurt zum Kaiser gekrönt wurde und die Mingotti-Truppe zwölf Aufführungen zeigte. 1743 allerdings, zur böhmischen Krönung Maria Theresias in Prag, ließ diese den Pächter des Wiener Hoftheaters, Joseph Carl Selliers, mit seiner Truppe dort mehrere Opernaufführungen geben. Am Krönungstag konnte das sonst zahlende Publikum bei freiem Eintritt Semiramide riconosciuta besuchen und sich an der Anwesenheit der Königin erfreuen. Diese Oper war die Bearbeitung eines Librettos von Pietro Mestastasio mit Musik mehrerer nicht genannter Komponisten. Nachdem Kaiser Joseph II. von seiner Krönung in Frankfurt nach Wien zurückgekehrt war, wurde ihm am 24. April 1764 im neuen Burgtheater die aus diesem Anlass geschaffene Serenata Egeria von Metastasio und Hasse geboten, in der auch die Götter den neuen Kaiser als den Besten krönen. Das Publikum hatte auch diesmal freien Eintritt. Mit vollem Recht kann jedenfalls auch Mozarts Opera seria La clemenza di Tito als Krönungsoper bezeichnet werden, da ihre Aufführung im Prager Nationaltheater ausschließlich zur Feier der Krönung von Kaiser Leopold II. zum König von Böhmen stattfand, und zwar am Abend des Krönungstags. Der Auftrag dazu kam diesmal aber nicht vom kaiserlichen Hof selbst, sondern von den böhmischen Ständen, und die Ausführenden waren nicht Hofmusiker, sondern vom Leiter des Prager Theaters, Domenico Guardasoni, verpflichtet worden. So schließt sich also der Kreis: Zu Beginn, 1622 und 1627, waren die Opern direkt für die Krönungen bestimmt, dann folgen zahlreiche Aufführungen in deren zeitlichem Umkreis und meist auch mit inhaltlichen Allusionen auf sie, doch aus einem anderen traditionellen Anlass – Namensund Geburtstage oder Fasching – gewohnheitsmäßig angesetzt, und erst gegen Ende des Berichtzeitraums gibt es wieder einzelne nur zur Feier der → großen kirchlichen Zeremonie geschaffene Opern. KS Elīna Garanča als Sesto und Juliane Banse als Vitellia, 2012
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Werner Ogris
HERRSCHERTUGENDEN IM LAUFE DER GESCHICHTE
Die hab ich nicht – die Königstugenden, Wahrheit, Gerechtigkeit, Starkmut, Geduld, Ausdauer, Milde, Andacht, Gnade, Kraft, Mäßigkeit, Demut, Tapferkeit; von allen Ist keine Spur in mir – nein, Überfluss An jeglichem Verbrechen, ausgeübt In jeder Art. Ja, hätt ich Macht, ich würde Der Eintracht süße Milch zur Hölle gießen, Verwandeln allen Frieden in Empörung, Vernichten alle Einigkeit auf Erden. W. Shakespeare, Macbeth, 4. Aufzug/3. Szene
Was Malcom, der ältere Sohn des Schottenkönigs Duncan, in Shakespeares Macbeth an Königstugenden aufzählt (für sich selbst allerdings nicht in Anspruch nimmt), kommt in seiner Zusammenfassung schon recht nahe an das Idealbild eines Herrschers heran. Demgegenüber konzentrieren sich Metastasio / Mazzolà / Mozart in der Prager Krönungsoper von 1791 auf die clemenza des Kaisers Titus Flavius Vespasian (41-81, Kaiser 79-81 n. Chr.), auf dessen unwandelbare Güte und verzeihende Großmut, die dem neuen Monarchen Leopold II. als Huldigung und gleichzeitig als Vorbild und Richtschnur für seine Regierungsarbeit dienen sollten. Die clementia im Sinne von Milde und/oder ständiger Bereitschaft zur Vergebung nahm unter den zahlreichen Tugenden (virtutes), die ein Fürst haben sollte, von jeher einen prominenten Platz ein. Als leuchtendes Beispiel für diese edle Geisteshaltung galt und gilt vor allem Julius Caesar (100-44 v. Chr.), der seinen Gegnern gegenüber ein Maß an Güte und Vergebung an den Tag legte, das bis dahin in den Bürgerkriegen Roms unbekannt gewesen war. Ob es sich dabei freilich um einen tiefen und ureigenen Wesenszug des Juliers handelte oder lediglich um eine taktische Variante, um ehemalige Feinde auf seine Seite zu ziehen, ist fraglich und auch bei heutigen Althistorikern umstritten. Wahrscheinlich wirkte bei dem begnadeten Realpolitiker beides zusammen. Jedenfalls waren viele seiner Zeitgenossen, von den Verschwörern um Brutus einmal abgesehen, von der Politik der clementia durchaus angetan, weil sie Hoffnung auf eine bessere und freiere Welt nährte und Zulauf an Anhängern versprach. Folgerichtig wurde schon bald die Clementia Caesaris als Göttin verehrt, deren (wahrscheinlich niemals gebauter Tempel) immerhin anno 44 auf einer Münze dargestellt wurde. Verständlich, dass Milde als Herrschertugend auch von Caesars Nachfolgern gepflegt, zumindest in Anspruch genommen wurde. So etwa von Augustus (63 v.-14 n. Chr.) auf einem Ehrenschilde aus dem Jahre 27 v. Chr. Und auch Kaiser Titus scheint im Alter der Großherzigkeit gehuldigt zu haben, obwohl sie in der Geschichte nicht ganz so großartig war wie in der Oper. Immerhin ist sein Name mit der Zerstörung von Jerusalem und des Salomonischen Tempels verbunden, und auch sonst dürften seine Anfänge als Statthalter und Mitregent seines Vaters Vespasian durchaus nicht frei von Ausschweifung und sogar von Grausamkeit gewesen sein. All dies aber machte er offenbar wett durch zahlreiche Hilfeleistungen, mit denen er die Folgen des Vesuvausbruchs und eines Brandes der Stadt Rom zu lindern suchte, und durch zahlreiche sonstige Wohltaten. Insgesamt kann man daher wohl sagen, dass Mozarts Musik keinem Unwürdigen gewidmet war. Natürlich gab es neben der verzeihenden Milde noch andere, in ihrer Zahl nach oben hin praktisch unbeschränkte Tugenden, denen häufig die entsprechenden Laster gegenübergestellt wurden. Den vier klassischen virtutes der Antike, nämlich Klugheit/Weisheit, Besonnenheit/Mäßigung, Tapferkeit und Gerechtigkeit (prudentia, temperantia, fortitudo, iustitia) stellte die christliche Lehre Glaube, Hoffnung und Liebe (fides, spes, caritas) zur Seite, 85
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dazu gelegentlich noch Barmherzigkeit/Mitleid, Frömmigkeit, Gleichmut/ Gelassenheit und Hochherzigkeit (misericordia, pietas, aequitas, magnificentia) – jeweils in unterschiedlicher Zusammensetzung, Reihenfolge und Gewichtung. Die heilige Hildegard von Bingen zählte in ihrem Buch über die Vergeltung der Lebensverdienste nicht weniger als 35 Tugenden samt den entsprechenden Lastern auf. Welche Eigenschaften speziell als Herrschertugenden den Charakter und die Regierungshandlungen von Fürsten bestimmen sollten, war ebenfalls nicht eindeutig fixiert. Mit der Zeit kristallisierten sich, auch und besonders unter dem Einfluss des Christentums, das den Monarchen geradezu geistliche, manchmal sogar mönchische Lebensweise ans Herz legte, folgende Aufgaben und Eigenschaften heraus: die Förderung des christlichen Glaubens; der Schutz der Kirche, der Armen und der Schwachen, der Witwen und der Waisen; dann vorbildliche Frömmigkeit und mildes, freigebiges, gerechtes und friedensstiftendes Handeln; und, auf der anderen Seite, unnachgiebige Strenge und Härte gegen das Böse, der rigor iustitiae. Der ideale Herrscher sollte sich überdies auszeichnen durch Weisheit und Mäßigung, durch Tapferkeit, Treue und Gerechtigkeit sowie durch Ehre und Ritterlichkeit, möglichst auch durch Freundlichkeit und Menschenkenntnis. Gelegentlich wurde speziell die Befähigung zur Führung eines Heeres verlangt. Auch in diesem Bereich gab es, je nach den Umständen, zahlreiche Überschneidungen, Doppelgleisigkeiten und Variationen in der Rangordnung. An der Frage der Herrschertugenden entwickelte sich schon bald eine eigene Literaturgattung, die von der griechisch-römischen Antike her über viele kulturelle Veränderungen und politische Umbrüche hinweg bis in den Anfang des 19. Jahrhunderts hinein blühte und sich jeweils um die Sinndeutung von Fürstengewalt und Herrscheramt auf politisch-pädagogischer Ebene bemühte. Man nennt die einschlägigen Traktate im Anschluss an die mittelalterliche Terminologie meist Fürstenspiegel, weil sie in der Regel Real- und Idealbild eines Fürsten einander gegenüberstellen. Ältere Vorbilder dafür waren, neben anderen, Xenophon, Plutarch, Seneca, Marc Aurel und Augustinus. Eine mächtige Renaissance erlebte die Darstellung des idealen Herrschers im 12. Jahrhundert durch Johannes von Salisbury, der in seinem Polycraticus (1159) eine ethische Deutung der fürstlichen potestas im Sinne von Treue, Rechtswahrung und Freiheit vornahm. Seine Schrift war tonangebend und richtungsweisend bis zum Beginn der Neuzeit. Dann aber, seit dem 16. Jahrhundert zumal, erhielten die Fürstenspiegel eine deutlich andere inhaltliche und teleologische Ausrichtung, und zwar insofern, als sie sich zunehmend am humanistischen Bildungsideal orientierten, wofür nicht zuletzt Petrarca den Weg bereitete. Außerdem richteten sie sich nicht mehr primär an den König/Kaiser, wie das Mittelalter ihn kannte, als vielmehr an den (früh)neuzeitlichen Territorialherrn, dessen virtus sich im Regierungsalltag bewähren sollte. Dementsprechend traten Ausführungen zu W ER N ER OGR IS
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allgemeinen Staatstheorien zurück und praktische Verwaltungslehren und didaktische Erziehungsprinzipien in den Vordergrund. Im Grunde handelte es sich dabei weniger um wissenschaftliches Schrifttum als um Gebrauchsliteratur, als deren Verfasser neben Theologen und Pädagogen zunehmend fürstliche Räte und Berufsjuristen auftraten. Sie beschrieben die praktischen Notwendigkeiten und Erfordernisse der Herrschaftsausübung, ohne dabei allerdings allzu tief in juristische Fragen einzutauchen. Häufig waren es auch regierende Häupter höchstpersönlich, die ihren präsumtiven Nachfolgern gute Ratschläge in die Wiege legten oder auf den dornigen Regierungsweg mitgaben. Solche politischen Testamente, oft gleichzeitig Rechtfertigungsschriften eigenen Regierungshandelns, waren im 17. und 18. Jahrhundert groß in Mode (Richelieu, Maria Theresia, Friedrich II. u. a.). Von größerer Bedeutung freilich waren und blieben die diversen Traktate über Prinzenerziehung und Fürstenpflichten, die allenthalben in Europa erschienen und weite Verbreitung fanden. Zu nennen sind beispielsweise eine Unterweisung des englischen Kronprinzen durch John Fortescue (De laudibus legum Angliae, um 1470), ferner die Fürstenspiegel des Erasmus von Rotterdam (1516), des Konrad von Heresbach (1570) und des Justus Lipsius (1605). Auch Machiavelli ist hier zu erwähnen, der in seinem Principe (1513/14) in den Kapiteln XV bis XVII einige jener Eigenschaften anführt, wodurch die Menschen, insbesondere die Fürsten, Lob und Tadel erwerben. In ihrer Breiten- und Tiefenwirkung allerdings wurden alle diese und andere einschlägige Schriften von den Aventures de Télémaque des François de Fénelon (1699) übertroffen, der als Erzieher eines Enkels Ludwigs XIV. in Form eines Abenteuer- und Reiseromans eine politische Tugendlehre und das Idealbild eines Königtums entwarf, in dem Krieg, Luxus und Despotie nicht vorkommen. Es ist bezeichnend, dass die Abenteuer des Telemach bei der Erziehung Friedrichs II. verwendet wurden und auch dessen Jugendwerk Anti-Machiavel stark beeinflussten. Auch am Wiener Hof wurde Fénelons Fürstenspiegel bei der Prinzenerziehung herangezogen, wie denn hier überhaupt die Fürstentugenden hochgehalten und gepriesen wurden. So vor allem von Christian August von Beck in seinem Unterricht zum Natur- und Völkerrecht, den er dem späteren Joseph II. erteilte. Dessen Bruder Leopold dürfte von Karl Anton von Martini in gleicher Weise auf die für einen Regenten erforderlichen und vorteilhaften Eigenschaften eingeschworen worden sein, als da waren: ungeheuchelte Gottesfurcht, Gerechtigkeit, Großmut, Tapferkeit, Milde und Freigebigkeit, eine kluge Gelindigkeit und gemäßigte Strenge, auch Freundlichkeit und Leutseligkeit. Besonderes Gewicht aber scheint man damals im Hause Österreich auf iustitia et clementia gelegt zu haben. Sie wurden den jungen Prinzen und dem allgemeinen Publikum an Hand von Beispielen aus dem Altertum (Alexander, Caesar, Scipio u. a.) immer wieder anschaulich vor Augen geführt, übrigens nicht nur durch Schriften, sondern auch durch Fresken, Gemälde und Plastiken (zum Beispiel auf Triumphbögen) – und durch »Staatsmusik« (wie 87
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Festopern, Motetten, Te Deum). Es lag daher durchaus im Trend der Zeit, dass die Krönung Leopolds zum König von Böhmen musikalisch mit einer Oper umrahmt wurde, welche die fürstliche clemenza verherrlichte. Der Stoff war nicht neu; er war seit der Erstaufführung anlässlich des Namenstages Kaiser Karls VI., des Großvaters Leopolds mütterlicherseits, im Jahre 1734 mehrfach vertont und aufgeführt worden. Mozart hatte Pietro Metastasios Libretto durch den kurfürstlich-sächsischen Hofpoeten Caterino Mazzolà umarbeiten lassen und zu einer »wahren Oper« gemacht. Nun, am Abend des Krönungstages, dem 6. September 1791, sollte das Dramma serio per musica Leopold als »neuen Titus« verherrlichen, der seine Länder im Sinne der clemenza regieren und reformieren würde. Inwieweit die Adressaten der Fürstenspiegel, die regierenden und die künftig regierenden Häupter, die ihnen immer und immer wieder eingetrichterten Tugenden, insbesondere aber die clementia, tatsächlich gelebt haben, ist schwer, jedenfalls nicht allgemein zu sagen. Unter den Nachfolgern Leopolds II. findet sich wenig herrscherliche Großmut. Man denke an die gnadenlose Verfolgung der Jakobiner und an das Strafgericht über die Anführer des ungarischen Aufstandes im Oktober 1849. Allgemein brachten die napoleonischen Kriege und der Untergang des Heiligen Römischen Reiches jene Rechtskultur an ihr Ende, in der pietas, clementia und viele andere der alten Tugenden ihren Platz gehabt und als Ideale gegolten hatten. Und gleichzeitig verflüchtigte sich auch jene staatsrechtliche Dimension, die mit der Berufung auf und mit der Beschwörung von Herrschertugenden stets mehr oder weniger eng und notwendig verbunden war: In Ermangelung konstitutioneller Schranken der Herrschermacht dienten sie, obwohl nicht erzwingbar, doch (auch) dazu, dem über dem positiven Recht stehenden Monarchen Schranken aufzuerlegen und ihn in die politische Ethik einzubinden.
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EINE LEBENSFREUNDSCHAFT, DIE FOLGEN HABEN SOLLTE oder Die Rolle von František Xaver sowie Josepha Duschek im Leben von Wolfgang Amadeus Mozart
Das Faktum kann nicht bestritten werden. In Prag wurde Wolfgang Amadeus Mozart mehr geschätzt als in Wien oder in Salzburg. Und der Sensationserfolg des Figaro in Prag 1776/77 (Mozart: »Hier wird nichts gespielt, geblasen. gesungen, gepfiffn als – Figaro«) führte zum Kompositionsauftrag des Don Giovanni und später zur Uraufführung der Clemenza di Tito im Ständetheater. Und jedesmal war ein Ehepaar in diesen Vorgang involviert, das man als früheste Botschafter Mozarts in der Stadt an der Moldau bezeichnen kann: Es handelt sich um František Xaver Duschek – der als Komponist in der Stamitz-Tradition residierte, zugleich Gesangspädagoge und brillanter Klavier-Virtuose war – und um seine Ehefrau Josepha Duschek, für die Mozart mindestens zwei anspruchsvolle Konzert-Arien geschrieben hat. Die Biographien der beiden waren offenbar Voraussetzung einer Lebensfreundschaft, die Folgen haben sollte. Franz Xaver Duschek wurde am 8. Dezember 1731 in Chotieborek in Böhmen als Sohn eines Bauern geboren – doch fand sich ein adeliger Gönner – Graf Johann Karl von Spork –, der die Ausbildung Duscheks zum Geistlichen übernahm. Er studierte im Jesuitenkolleg in Königgrätz und beendete seine theologischen Pläne, als er nach einem Reitunfall körperlich beeinträchtigt blieb. So wurde er Musiker, Komponist und Schüler von Georg Christian Wagenseil in Wien, und als er Mitte 40 war, suchte er eine Ehefrau. Er fand sie in der Tochter des Prager Apothekers Hambacher, der mit einer Salzburgerin – und zwar mit der Tochter des Salzburger Bürgermeisters Weißer – verheiratet war. Josepha Duschek war um 23 Jahre jünger als ihr Ehemann, bei dem sie musikalisch zur Sängerin und Klavier-Virtuosin ausgebildet worden war. Jedenfalls ging die Hochzeitsreise im Jahr 1777 nach Salzburg, wo sie den 21-jährigen Mozart zu einem Zeitpunkt kennenlernten, als der ebenfalls schon intensiv ans Heiraten dachte. Die Freundschaft zwischen dem Ehepaar Duschek und Wolfgang Amadeus Mozart führte offenbar sehr rasch zu gegenseitiger »Befruchtung«. Mozart erfuhr, wie positiv seine Werke in Prag angenommen wurden. Auf der anderen Seite kamen die Duscheks sehr oft nach Wien und erlebten ab 1780 viele Mozart-Erfolge in der kaiserlichen Hauptstadt. Und der Einfluss von František Xaver Duschek und seiner vor allem als Sängerin sehr erfolgreichen Ehefrau Josepha wird zweifellos auch zur umjubelten Aufführung der Entführung in Prag im Jahr 1783 geführt haben. Jedenfalls wurde Wolfgang Amadeus Mozart im Jahr 1784 in Wien in den Aufklärer-Bund der Freimaurer aufgenommen und wurde rasch ein Beispiel dafür, wie obsolet damals Standesunterschiede sein konnten und welchen Stellenwert die Allgemeinen Menschenrechte in diesem Zusammenhang haben. Auch in Prag versuchten prominente Freimaurer ihren Teil an dieser Entwicklung der Gesellschaft zu nehmen. Zu ihnen gehörten Johann Joseph Anton Graf von Thun-Hohenstein und Emmanuel Graf von Canal, und beide dürfte Mozart bei seinen Wiener Logenbesuchen kennengelernt haben. Und zu diesen beiden gehörte auch František Xaver Duschek, der Adoptivsohn des Grafen Johann PET ER DUSEK
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Karl von Spork – dieser war wiederum der Neffe des angeblichen Gründers der ersten Prager Loge. Als Mozart im Winter 1777 zum Figaro-Triumph an die Moldau reiste, wohnte er jedenfalls im Palais des Grafen Thun-Hohenstein in der Nähe des Nikolai-Domes auf der Kleinseite. Denn die Duscheks waren verreist. Josepha Duschek gab an den Höfen von Berlin, Dresden oder Leipzig oft Konzerte – und die Reise von Mozart nach Prag war offenbar kurzfristig angesetzt. Beim ungefähr einmonatigen Aufenthalt vor der Don Giovanni-Uraufführung im Herbst des gleichen Jahres siedelte er sich in das Sommer-Häuschen der Duscheks in der sogenannten Bertramka ein. Und hier dürfte er auch die fehlenden Teile der Clemenza auf Notenpapier gesetzt haben.
Die Bertramka – eine Oase des Rokoko Die Bertramka ist eine Oase, auch heute, mehr als 200 Jahre später. Ein leicht hügeliger Rokoko-Garten mit schlichten, aber stimmigen Wohnräumen, dazu Musikaufnahmen von Mozart, aber auch von František Xaver Duschek. Man kann sich vorstellen, wie hier Mozart trotz des Termindrucks auch kreative Pausen einlegte, wie er hier herumtollte und sich vielleicht in die Frau seines Förderers und Freundes Duschek verliebte. Josepha Duschek wird hohe Bildung, Warmherzigkeit und große Musikalität nachgesagt. Mozart schrieb für sie zwei Koloraturarien (u. a. Bella mia fiamma), die einen großen Stimmumfang und exzellente Technik voraussetzen. In jedem Fall muss sie eine ausgeprägte Tiefe und Mittellage neben einer auffallend guten Höhe besessen haben. Übrigens gehört Vater Mozart zu jenen, die sie auch als Sängerin kritisierten (»die Duschkova schrie wieder…«) und sie als Geliebte des Grafen Clam denunzierten. In der Mozart-Literatur wird jedenfalls darüber gerätselt, ob Mozart mit der fast gleichaltrigen Sängerin und Klavier-Virtuosin ein Verhältnis hatte. Jedenfalls hatte Mozart einige Mühe, seiner Frau zu erklären, warum er Josepha Duschek in Dresden (und offenbar ohne Ehemann) treffen werde und nicht in Prag. Mozart in einem Brief an Ehefrau Constanze aus Prag und aus dem Frühjahr 1789 – dem Jahr der Uraufführung des Don Giovanni: Prag am Karfreitage, 10. April 1789 »Wir kehrten ein beim Einhorn; nachdem ich balbiert, frisiert und angekleidet war, fuhr ich aus in der Absicht beim Canal zu speisen; da ich aber bei Duscheks vorbeimusste, frug ich erstens dort an, da erfuhr ich, dass die Madame gestern nach Dresden abgereist sei!!! Dort werde ich sie also treffen. Er speiste bei Leliborn, wo ich auch öfters speiste; ich fuhr also gerade dahin. Ich ließ Duschek (als ob jemand etwas mit ihm zu sprechen hätte) herausrufen; nun kannst Du Dir die Freude denken.« (Mozarts Briefe, ausgewählt von Albert Leitzmann, Leipzig 1910, S.257). 91
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In jedem Fall gehörten die Duscheks zu jenen, die sich nach dem frühen und unerwarteten Tod von Mozart um Constanze und ihre Kinder kümmerten. Allerdings starb František Xaver Duschek im Jahr 1799 an der Wassersucht und die lange Krankheit ließ das Vermögen der Duscheks schmelzen…
Ustinov als Ahnenforscher Zuletzt noch die Antwort auf eine Frage, die sich der Opernhistoriker und Namensvetter Peter Dusek seit seinem ersten Besuch auf der Bertramka stellte. Bin ich mit dem Mozart-Freund und Komponisten Duschek verwandt? In direkter Linie ist dies unmöglich. Das Ehepaar Duschek starb kinderlos. Es gibt keine Nachkommen. Außerdem habe ich kein Hatschek im Namen. Aber das passierte erst im Mai 1945, als im Gemeindeamt von Waidhofen an der Thaya auf dieses Sprachdetail vergessen wurde. Also, Duschek heißen meine Vorfahren tatsächlich. Anfang der 90er-Jahre hatte ich mit Sir Peter Ustinov persönlich zu tun. Und sofort fragte er mich: Sind Sie mit den Duscheks in Prag verwandt und waren Sie schon auf der Bertramka? Ich murmelte: »Bauern waren meine Vorfahren ebenfalls – mehr weiß ich nicht!« Darauf Sir Peter: »Klären Sie diese Frage und recherchieren Sie auch, ob der erste Don Ottavio und Titus – Antonio Baglioni – mit mir verwandt ist. In meinen Memoiren beschreibe ich eine venezianische Primadonna Camilla Baglioni – sie war meine Ur,Ur, Ur, Ur-Urgroßmutter!« Ich habe Ustinov bald wieder gesehen – ich konnte ihm mitteilen, dass Antonio Baglioni der Bruder seiner Ur, Ur, Ur, Ur-Urgroßmutter war. Und ich und der Besitzer der Bertramka zur Mozart-Zeit? Wir haben vermutlich keine gemeinsamen Vorfahren, denn der Prager Botschafter Mozarts stammt aus Böhmen und meine Vorfahren kommen aus Mähren. Aber die Hoffnung stirbt zuletzt.
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VERLIEBT.
Impressum Wolfgang Amadeus Mozart LA CLEMENZA DI TITO Spielzeit 2023/24 Wiederaufnahme (Premiere der Produktion: 17. Mai 2012)
HERAUSGEBER Wiener Staatsoper GmbH, Opernring 2, 1010 Wien Direktor: Dr. Bogdan Roščić Musikdirektor: Philippe Jordan Kaufmännische Geschäftsführerin: Dr. Petra Bohuslav Redaktion: Sergio Morabito, Andreas Láng, Oliver Láng, basierend auf dem Premieren-Programmheft 2012 Gestaltung & Konzept: Fons Hickmann M23, Berlin Layout & Satz: Anton Badinger Bildkonzept Cover: Martin Conrads, Berlin Druck: Print Alliance HAV Produktions GmbH, Bad Vöslau TEXTNACHWEISE Sämtliche Beträge bis auf Über dieses Programmbuch entstammen dem Premierenprogrammheft 2012. Alle Texte, bis auf jene von Sueton und Jean Racine, waren Originalbeiträge für das Premierenprogrammheft. BILDNACHWEISE Coverbild: © Grant Faint / Getty Images Szenenbilder Seite 2, 3, 7, 12, 13, 33, 48, 70, 71, 77, 83: Michael Pöhn / Wiener Staatsoper GmbH akg images: 26, 29 Lektorat: Martina Paul Nachdruck nur mit Genehmigung der Wiener Staatsoper GmbH / Dramaturgie Kürzungen werden nicht gekennzeichnet. Rechteinhaber, die nicht erreicht werden konnten, werden zwecks nachträglicher Rechtsabgeltung um Nachricht gebeten.