Programm »Tänze Bilder Sinfonien«

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inhalt

Über die heutige Vorstellung 4 About today’s performance 6 Symphony in Three Movements 10 In Balanchines Worten 12 »Hör den Tanz, sieh die Musik« Anne do Paço 20 Pictures at an Exhibition 24 Bewegte Farben Nastasja Fischer 30 Aus Briefen Mussorgskis 40 Sinfonie Nr. 15 44 »… mit dem ganzen Leben …« Anne do Paço 48 Jugendfrische und Todesnähe Bernd Feuchtner 62 Ensemble 70 Biographien 2


MARTIN SCHLÄPFER

»Kunst ist der Versuch, etwas Essenzielles anzutippen, was uns als menschliches Kollektiv umtreibt. Im Tanz geht es um das, was nicht benennbar ist: Was passiert zwischen zwei Menschen?«


Das Wiener Staatsballett ist Teil der Wiener Staatsoper und der Volksoper Wien.


tänze bilder sinfonien

Symphony in Three Movements George Balanchine Pictures at an Exhibition Alexei Ratmansky Sinfonie Nr. 15 Uraufführung Martin Schläpfer Premiere 26. Juni 2021 Wiener Staatsoper


über die heutige vorstellung Balanchine – Ratmansky – Schläpfer: Drei Meister des zeitgenössischen Balletts treffen mit Tänzen zu Musik von russischen bzw. sowjetischen Komponisten aufeinander. Verbunden sind sie durch ihre Wurzeln. Die Choreographen durch die Danse d’école als Basis für eine Ballettkunst der Gegenwart; die Komponisten Strawinski, Mussorgski und Schostakowitsch durch die Musikkultur ihrer Heimat, von der aus ihre Wege in so unterschiedliche Richtungen führten. Modest Mussorgski, der radikalste Vertreter des »Mächtigen Häufleins«, fand 1874 in seinen Bildern einer Ausstellung zu überquellender Lebensfülle und visionären Klangbildern. Igor Strawinski, der weltläufige Kosmopolit, der es auf raffinierte Weise verstand, seine musikalischen Gesichter immer wieder zu wechseln, reagierte mit seiner zwischen 1942 und 1945 komponierten Symphony in Three Movements auf das Grauen des Zweiten Weltkriegs. Die großen gesellschaftlichen und politischen Fragen des 20. Jahrhunderts spiegeln sich in Dmitri Schostakowitschs Werk – angesiedelt auf dem schmalen Grat zwischen Anbiederung und Anprangern in einem System, das die Freiheit der Kunst nicht respektierte, sondern Kunst als Mittel der Propaganda instrumentalisierte. Die 1972 in Moskau uraufgeführte 15. Symphonie kommt zunächst wie ein heiteres Scherzo daher, doch bald schon kippt der so leichtfüßig scheinende Humor in die Groteske, verwandeln sich fröhliche Fanfaren in Drohkulissen und virtuose Spielfiguren in atemlose Getriebenheit. Wie Leuchtfeuer flackern ihrem Zusammenhang entrissene Zitate anderer Musik in einem musikalischen Klima auf, das sich mit Klängen der Trauer zu einem unter die Haut gehenden Epilog verdichtet. George Balanchine hatte mit seinem so bedeutenden künstlerischen Partner Igor Strawinski bereits in den 1940er Jahren über die Symphony in Three Movements gesprochen. Zur Choreographie des Werkes kam es allerdings erst, als Balanchine 1972

ÜBER DIE HEUTIGE VORSTELLUNG

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zu Ehren des ein Jahr zuvor verstorbenen Komponisten mit dem New Yorker Stravinsky Festival eine groß angelegte Hommage veranstaltete. Die für diesen Anlass choreographierte Symphony in Three Movements ist ein vollendetes Beispiel für Balanchines Kunst: seine elegante Athletik, virtuosen Schrittfolgen und komplexen Formationen im Raum, die ganz aus der Musik abgeleitet sind. Wie für Balanchine führte auch für Alexei Ratmansky der Weg von St. Petersburg nach New York. In seinen 2014 für das New York City Ballet entstandenen Pictures at an Exhibition, mit denen er erstmals dem Wiener Staatsballett eines seiner Werke anvertraut, tritt er zu Mussorgskis Musik in einen Dialog mit Wassily Kandinskys abstrakter Farbstudie Quadrate mit konzentrischen Ringen und lässt zehn Tänzerinnen und Tänzer mit großer Natürlichkeit die Formen, Schritte und Positionen des klassischen Balletts zu neuem Leuchten bringen. »Jeder Tanzabend gehört auch der Musik, und ich will große Aufgaben für dieses große Orchester der Wiener Staatsoper.« Mit diesen Worten begründete Martin Schläpfer die Wahl von Schostakowitschs 15. Symphonie, zu der er mit seinem Ensemble nach der Uraufführung 4 erneut in einen intensiven kreativen Prozess eingetaucht ist. Für ihn selbst ging es dabei aber auch um ein Befragen, welche Energien, Imaginationen und Bewegungsimpulse sich aus Schostakowitschs Musik schöpfen lassen. Eine Musik, die nicht nur Schlusspunkt eines großen symphonischen Œuvres, sondern auch Zusammenfassung eines ganzen Lebens ist – mit all seinem Glück und seiner Trauer, seinen Hoffnungen und Verwerfungen, seiner Leichtigkeit und seinem Ausgesetztsein –, gab ihm die Grundimpulse für ein neues Tanzstück, das die Künstler des Wiener Staatsballetts, und damit den Menschen, ins Zentrum rückt.

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ÜBER DIE HEUTIGE VORSTELLUNG


about today’s performance Balanchine – Ratmansky – Schläpfer: three masters of contemporary ballet come together with works set to music by Russian and Soviet composers. They are linked by their roots: in the case of the choreographers, through danse d’école, which forms the basis for an art of ballet for the present; and in the case of the composers, Stravinsky, Mussorgsky and Shostakovich, through the musical culture of their home country, from which their paths were to lead them in such different directions. In his 1874 work Pictures at an Exhibition, Modest Mussorgsky, the most radical representative of the group known as »The Five«, expressed an overflowing fullness of life and visionary sound images. Igor Stravinsky, the cosmopolitan who changed his musical faces again and again in a sophisticated way, reacted to the horrors of the Second World War with his Symphony in Three Movements, composed between 1942 and 1945. The major social and political questions of the 20th century are reflected in the works by Dmitri Shostakovich, which are balanced on a knife edge between conformity and protest in a system that had no respect for artistic freedom and simply used art as a means of propaganda. His 15th Symphony, which was first performed in Moscow in 1972, appears to be a cheerful scherzo at the outset, but the apparently light-hearted humour soon tips over into the grotesque, with joyful fanfares changing into threatening scenarios and virtuosic figures into a breathless frenzy. Like beacons, quotations from other musical works, ripped out of their context, flare up in a musical climate which moves inexorably, with sounds of grief and mourning, towards a deeply disturbing epilogue. George Balanchine and his hugely important artistic partner Igor Stravinsky had already talked about a choreography for Symphony in Three Movements in the 1940s. However, it wasn’t until 1972 that Balanchine finally set a ballet to this work for the New York Stravinsky Festival, a major homage after Stravinsky had passed away in 1971. The

ABOUT TODAY’S PERFORMANCE

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Symphony in Three Movements is a perfect example of Balanchine’s art: his elegant athleticism, virtuosic step sequences and complex spatial formations, which are derived entirely from the music. For Alexei Ratmansky, too, the path led from St. Petersburg to New York, where he was appointed Artist in Residence at the American Ballet Theatre in 2009. With his Pictures at an Exhibition, created for the New York City Ballet in 2014, he now entrusted for the first time a work to the Vienna State Ballet – a piece in which Ratmansky enters to Mussorgsky’s music into a dialogue with Wassily Kandinsky’s abstract colour study Squares with Concentric Circles and has ten dancers bring the forms, steps and positions of classical ballet with great naturalness to new light. »Every ballet evening is also about the music, and I have great works in mind for the Orchestra of the Vienna State Opera.« With these words Martin Schläpfer explained the choice of Shostakovich’s 15th Symphony, for which he has once again immersed himself in an intensive creative process with his ensemble following the world premiere of 4. For Schläpfer himself, however, this is also about an exploration of the energies, imaginative ideas and movement inspirations that can be derived from Shostakovich’s music. A work which is not only the closing point of Shostakovich’s symphonic œuvre, but also a summary of the composer’s entire life – with all its joy and sadness, its hopes and rejections, its lightness and its vulnerability – creates the fundamental impulses for a new dance piece that places the artists of the Vienna State Ballet – the human being itself – at the centre.

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ABOUT TODAY’S PERFORMANCE



symphony in three movements Musik Symphony in Three Movements von Igor Strawinski Choreographie George Balanchine © The George Balanchine Trust

Musikalische Leitung Robert Reimer Licht Mark Stanley Einstudierung Ben Huys Orchester der Wiener Staatsoper

URAUFFÜHRUNG 18. JUNI 1972 NEW YORK CITY BALLET, STRAVINSKY FESTIVAL, NEW YORK STATE THEATER ERSTAUFFÜHRUNG DURCH DAS WIENER STAATSBALLETT 26. JUNI 2021


George Balanchine und Igor Strawinski 1965 auf der Plaza des Lincoln Center


NANCY GOLDNER

»Symphony in Three Movements ist eines von Balanchines typischen Black and White-Balletten – Trainingskleidung, zeitgenössische Musik, kantige Be­we­ gungen –, nur, dass dieses schwarz, weiß und pink ist. Genaugenommen: drei Schattierungen von Pink.«


in balanchines worten

Symphony in Three Movements: Ich erinnere mich, dass Strawinski während des Zweiten Weltkriegs mit mir über diese Musik sprach, als ich ihn in Hollywood besuchte. Es ist ein großartiges, bedeutendes Werk, und ich wollte schon seit vielen Jahren ein Ballett zu dieser Musik machen. Die passende Gelegenheit kam 1972, als wir das Stravinsky Festival des New York City Ballet vorbereiteten. Die Partitur ist für eine Sinfonie kurz – etwa 21 Minuten – und besteht aus drei Sätzen. Strawinski schrieb, dass die »formale Substanz der Sinfonie sich aus verschiedenartigen Kontrasten aufbaut, einer davon ist der Kontrast zwischen den Hauptprotagonisten, der Harfe und dem Klavier. Jedes der beiden Instrumente hat in einem Satz eine große obligate Rolle für sich, und nur in der den Wendepunkt markierenden Fuge spielen die beiden zusammen und unbegleitet«. Komponisten kombinieren Noten, sagte Strawinski. Choreographen kombinieren Bewegungen, und die, die ich zu dieser Musik geformt habe, folgen keiner Handlung oder Erzählung. Sie versuchen, die Musik einzufangen und lehnen sich, so hoffe ich, nicht an diese an, sondern nutzen sie als Stütze und zeitlichen Rahmen. Wenn ich versuchen würde zu erläutern, dass ein Junge und 16 Mädchen das Ballett beginnen, wäre das nicht sehr interessant, genauso wenig wie dass ein Mädchen in Violett mit acht anderen zur Musik für Klarinette, Klavier und Streicher folgt. Was wirklich interessant ist, ist die Komplexität und Vielfalt der Musik, vom vorantreibenden Schwung und Schub der kraftvollen Eröffnung (die auch das Ballett abschließt) bis zum entwicklungsreichen, fast konzertanten Einsatz des Klaviers im ersten Satz, der Harfe im zweiten und der beiden zusammen im Finale.

IN BALANCHINES WORTEN

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Der zentrale Satz, das Andante, ist ein Pas de deux. Ein Rezensent nannte diesen ein »seltsam ruhiges, sinnliches, meditatives Zwischenspiel mit einer ausgeprägt fernöstlichen Färbung«. Daran hatte ich nicht gedacht, aber, um Strawinski zu paraphrasieren: Wie und in welcher Form die Dinge dieser Welt in meinen Tanz eingeprägt sind, vermag ich nicht zu sagen.

Über das Choreographieren Wenn ich ein Ballett inszeniere (ich verwende nie das Wort »kreieren«; Gott kreiert, ich füge dagegen zusammen, was bereits kreiert wurde), versuche ich, interessante Bewegungsportionen in Zeit und Raum zu finden, denn Musik ist Zeit. Es ist nicht die Melodie, die zählt, es ist die Zeit, die sie einem gibt. Es ist die Aufgabe des Choreographen, zu wissen, was der Klang harmonisch, melodisch und rhythmisch repräsentiert, und dann die Geste in die Zeit hineinzusetzen und zu schauen, ob sie beim Zusehen Vergnügen bereitet. Schritte existieren nicht für sich, es gibt keine vorgefertigten Kombinationen. Man muss seine Beine und Hände, jederzeit bereit, sich in jede Richtung und mit jeder Geschwindigkeit zu bewegen, nutzen und das Maximum, das der Körper leisten kann. Dann kann man sagen: hier muss es langsamer werden, dort ein bisschen höher gehen, hier bei diesem oder jenem sein. Viele Dinge spielen eine Rolle, auch die Qualität des Klangs und die Vorstellung über die endgültige Erscheinung der Musik – wie ihr Klang »aussieht«. Ich denke nicht viel, ich manipuliere. Letztendlich muss ich selbst es mögen; ich bin das Publikum, der Richter. Wenn es mir gefällt, kann mir niemand etwas raten, auch nicht der Tänzer. Ohne Tänzer bin ich nichts. Manche Choreographen erarbeiten alle ihre Ballette, indem sie selbst vor dem Spiegel tanzen und dann alles aufschreiben. Das tue ich nicht. Für mich existiert Ballett nur, wenn Menschen tanzen, sonst existiert es nicht. Wenn ich Tänzer einsetze, möchte ich Dinge tun, die ihre Körper können; ihre Körper sollen den Zuschauer unterhalten, nicht meiner. Meine Ideen existieren erst, wenn sie ihre Muskeln dem Publikum zeigen. Wenn ich keine Tänzer hätte, mit denen ich gerne zusammen bin – weil ich es liebe, sie anzuschauen und zu zeigen, wie sie aussehen und sich bewegen – , würde ich nie an Tanz denken. Ein Don Quixote wird, wie die anderen 50 Ballette, die wir zeigen, nie in einer Bibliothek konserviert werden. Nur mit diesen Menschen, jetzt, auf der Bühne, gibt es ihn. Und das ist überhaupt nicht traurig. Es ist wunderbar. Es ist jetzt. Es ist lebendig. Es ist wie ein Schmetterling. Ich sage immer: Schmetterlinge von gestern gibt es nicht. Aber wenn ein Schmetterling sprechen könnte und sagen würde: »Erinnerst Du Dich an mich von letztem Jahr? Ja, ich bin etwas älter, aber ich lebe immer noch«, dann wäre man erschrocken. Ich interessiere mich nur für die Menschen, von denen ich umgeben bin, mit denen ich arbeite; die Menschen, die meine Werke anschauen und die, die sie tanzen. Ich liebe es, jetzt zu leben, heute. 11

IN BALANCHINES WORTEN


»hör den tanz, sieh die musik« ANNE DO PAÇO

… lautete ein Credo George Balanchines, das er als Leitmotiv durch sein gesamtes choreographisches Schaffen zog. In Igor Strawinski fand er dabei einen künstlerischen Partner, für den der Zusammenhang zwischen Hören und Sehen, Musik und Bewegung ebenso zentral war. In seinen Erinnerungen schrieb Strawinski 1935/36: »Ich habe immer einen Abscheu davor gehabt, Musik mit geschlossenen Augen zu hören, also ohne, dass das Auge aktiv daran teilnimmt. Wenn man Musik in ihrem vollen Umfang begreifen will, ist es notwendig, auch die Gesten und Bewegungen des menschlichen Körpers zu sehen, durch die sie hervorgebracht wird.« Durch die Vermittlung Sergei Diaghilews trafen der Komponist und der Choreograph erstmals 1926 in Paris aufeinander, woraus sich dann mit dem 1928 mit den Ballets Russes uraufgeführten Apollo eine erste persönliche Zusammenarbeit ergab. Diese legte nicht nur den Grundstein für viele weitere gemeinsame Projekte, sondern schrieb sowohl Tanz- als auch Musikgeschichte, begegneten sich in ihren Werken auf neuartige Weise doch Tanz und Musik auf Augenhöhe. Balanchine verstand sein Choreographieren als Ausloten, Balancieren und Kontrapunktieren von Bewegung als rhythmisch-räumliches Gestaltungsmaterial, dessen Struktur mit der musikalischen Partitur korrespondiert. Und wirkt Strawinskis Äußerung, Komponieren sei nichts anderes als die Kombination von Noten, bis heute wie eine Provokation, so trifft sie doch den Kern der komplexen Frage, wie man auf harmonischer, melodischer, rhythmischer und formaler Ebene zur richtigen Balance findet. Fast 30 Ballette choreographierte Balanchine zu Musik Strawinskis, darunter auch eines für die Elefanten des Ringling Brothers & Barnum Bailey Circus zur Circus Polka des Komponisten. Märchenstoffe wie in Le baiser de la Fée (1937) und Firebird (1949), Nacherzählungen antiker Mythen wie in Orpheus (1948) und dem lyrischen Theater Perséphone (1982) treten heute zurück hinter den sinfonischen Balletten, mit denen

»HÖR DEN TANZ, SIEH DIE MUSIK«

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Balanchine jene Ästhetik entwickelte, die zum Inbegriff der zeitgenössischen amerikanischen Neoklassik wurde und einen ihrer Höhepunkte 1957 in Agon fand – eine Partitur, die Strawinski eigens für Balanchine komponierte. Zu einem zentralen Impuls der Auseinandersetzung mit Strawinskis Musik kam es für Balanchine dann noch einmal 1972, ausgelöst durch den Tod des Komponisten am 6. April 1971, in einer Zeit, die für Balanchine von einem Einbruch seiner Kreativität verbunden mit einer großen persönlichen Enttäuschung geprägt war: Seine Muse Suzanne Farrell hatte das New York City Ballet verlassen, um in Maurice Béjarts Ballet du XXe Siècle zu tanzen. Balanchine arbeitete in Hamburg an einer Einstudierung von Ruslan und Ludmilla, in Genf an seinem Swan Lake. In New York brachte er mit Who Cares? eher ein choreographisches Leichtgewicht auf die Bühne und hatte sich unter dem Titel PAMTGG (ein Akronym für den Slogan »Pan Am Makes the Going Great«) zu einem Werbeballett für die amerikanische Fluggesellschaft Pan Am überreden lassen, welches zu einem kompletten Fiasko geriet. Der Tod Strawinskis schien da noch einmal die Kräfte des inzwischen 68-jährigen Choreographen zu mobilisieren: Balanchine entschied, im Andenken an den künstlerischen Partner und Freund ein großes Festival zu veranstalten, bei dem er zwischen dem 18. und 25. Juni 1972 mit dem New York City Ballet schlussendlich 33 Ballette zu Musik Strawinskis zur Aufführung brachte. 20 waren Uraufführungen und von diesen acht Uraufführungen Balanchines: Sonata, Scherzo à la Russe, Pulcinella (zusammen mit Jerome Robbins), Choral Variations, Symphony of Psalms sowie die zu seinen Hauptwerken zählenden Choreographien Stravinsky Violin Concerto, Duo Concertant und Symphony in Three Movements.

Symphony in Three Movements Mit der Symphony in Three Movements wählte Balanchine sich ein Werk, dessen Hintergründe und Entstehungsumstände bis heute nicht vollständig erforscht sind. Was Strawinski am 24. Jänner 1946 am Pult des New York Philharmonic Orchestra in der Carnegie Hall zur Uraufführung gebracht hatte, war eine Partitur, in die unterschiedlichstes Material eingeflossen ist. In einem Werkkommentar zur Uraufführung schrieb er: »Der Symphonie liegt kein Programm zugrunde; es wäre vergeblich, ein solches in meinem Werk zu suchen. Doch ist es möglich, dass der Eindruck unserer schwierigen Zeit mit ihren heftigen und wechselnden Ereignissen, ihrer Verzweiflung und Hoffnung, ihrer unausgesetzten Peinigung, ihrer Spannung und schließlich ihrer Entspannung und Erleichterung Spuren in dieser Symphonie hinterlassen hat.« Und 1968 ergänzte er im Rückblick auf die 1940er Jahre in einem seiner Gespräche mit dem Dirigenten Robert Craft, dass »jede Episode in der Symphonie […] in seiner Vorstellung mit einem konkreten Eindruck des Krieges, sehr oft filmischen Ursprungs, verbunden« sei. Für Strawinski ist dies eine ungewöhnliche Äußerung, war er doch der Überzeugung, dass Musik nichts ausdrücke als sich selbst. Eine Äußerung, die im Fall seiner Symphony in Three Movements aber in die komplizierte Entstehungsgeschichte des Werkes hinein 13

»HÖR DEN TANZ, SIEH DIE MUSIK«


führt. Der erste Satz geht wahrscheinlich auf ein 1942 begonnenes Solo-Konzert oder Konzert für Orchester, in dem das Klavier eine markante Rolle spielen sollte, zurück. Ein Jahr später arbeitete Strawinski dann an einer Musik für eine Verfilmung von Franz Werfels 1941 erschienenem Roman Das Lied von Bernadette, die allerdings schlussendlich doch nicht realisiert wurde. Strawinski hatte bereits mit der Komposition einer Szene – der Erscheinung der Jungfrau – begonnen. Als er dann 1945 von der New York Philharmonic Society den Auftrag erhielt, eine Symphonie zu komponieren, griff er auf das bereits vorliegende Material zurück und stellte es in einen neuen Kontext: Die begonnene Filmmusik fand Eingang in das Andante, und nur der – durch ein siebentaktiges Interlude mit dem älteren Material verbundene – dritte Satz wurde ganz im Hinblick auf die Symphonie komponiert. Ob es sich bei dieser tatsächlich um eine Symphonie handelt, stellte Strawinski selbst immer wieder in Frage: Concert Overture und Symphony Overture waren die ersten Titel der Komposition, bevor er sich für Symphony in Three Movements entschied; später bemerkte er, dass Three Symphonic Movements die bessere Bezeichnung sei, aber auch den Titel War Symphony brachte er ins Spiel. Eine Unsicherheit, welche die formale Anlage der Komposition punktiert, basiert diese doch nicht – wie eine klassische Symphonie – auf einer dialektisch angelegten motivisch-thematischen Arbeit, sondern – wie ein barockes Concerto grosso – auf dem Wechselspiel kontrastierender Abschnitte: kontrastierend in der Besetzung von großem Orchester auf der einen und konzertierenden Solisten (dem Klavier im ersten Satz, der Harfe im zweiten und beiden zusammen im Finale) auf der anderen. Satztechnisch tritt an die Stelle von Entwicklung Reihung und Variation sowie die Arbeit mit markanten Kontrasten. Von ihrer Form her betrachtet ist die Symphony in Three Movements den neoklassischen Werken Strawinskis zuzurechnen, in ihrer katastrophischen, von grellen Klangballungen und aggressiven Rhythmen geprägten Grundstimmung, welche die Bezeichnung als »Kriegssymphonie« durchaus plausibel erscheinen lässt, steht sie dagegen eher neben einem Werk wie Le sacre du printemps. Die treibenden, markanten Rhythmen und Akkordschläge der Musik finden in Balanchines Choreographie ihre Verkörperung in kantigen Attacken, athletischen Sprüngen und einer raffinierten synkopierten Fußarbeit. Wenn zu Beginn eine Gruppe von Tänzerinnen in weißen Trikots eine Diagonale durch den Raum schneidet, trifft ein Echo der weißen Akte des romantischen Balletts in einer Weise auf New Yorker Showbusiness, die im Verbund mit der Komposition voller Gefährlichkeit ist – Eröffnung eines Balletts, in dem die Bewegungen der Tänzerinnen und Tänzer den Raum wie mit Messern durchtrennen. Das äußerst fordernde, atem(be)raubende Zusammenspiel von Solisten und Ensemble in Kontrapunkten und aufeinanderprallenden Gruppenbewegungen ist so riskant, dass die Möglichkeit des Auseinanderbrechens des gesamten Gefüges von Balanchine durchaus einkalkuliert ist. Nur im Andante, einem fernöstlich gefärbten Pas de deux, in dem sich eine Tänzerin und ein Tänzer ineinander verflechten und doch distanziert bleiben, steht die Welt für einen Moment still, bevor mit der gesamten Besetzung im dritten Satz die aggressiv-kriegerische Stimmung wieder zurückkehrt.

»HÖR DEN TANZ, SIEH DIE MUSIK«

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Kiyoka Hashimoto, Damenensemble


Ensemble



Davide Dato, Kiyoka Hashimoto, Alice Firenze, Duccio Tariello


Liudmila Konovalova, Masayu Kimoto



pictures at an exhibition Musik Bilder einer Ausstellung für Klavier von Modest Mussorgski Choreographie Alexei Ratmansky Kostüme Adeline André Projection Design Wendall K. Harrington nach Wassily Kandinskys Farbstudie Quadrate mit konzentrischen Ringen Licht Mark Stanley Einstudierung Amar Ramasar Klavier Alina Bercu

URAUFFÜHRUNG 2. OKTOBER 2014 NEW YORK CITY BALLET, DAVID H. KOCH THEATER ERSTAUFFÜHRUNG DURCH DAS WIENER STAATSBALLETT 26. JUNI 2021


GÜNTHER HEEG

»Beide Künste, Tanz und Malerei, verbindet die Faszination des Stummen. Gerade weil dem Tanz und dem Gemälde die Sprache fehlt, eilt ihnen im 18. Jahrhundert der Ruf voraus, sie seien in ganz besonderer Weise befähigt, das Unsagbare, von der Sprache Uneinholbare, zum Ausdruck zu bringen. Den stummen pantomimischen Gesten im Tanz und auf den gemalten Bildern sei es gegeben, Herz und Gemüt der Zuschauer unmittelbar zu ergreifen und zu bewegen. Die Sprache lügt, der stumme Körper (im Tanz, in der Malerei, in der schauspielerischen Pantomime) spricht die Wahrheit – das ist die Überzeugung von Noverres Zeitgenossen, von der sich viel in den Manifesten der Avantgarden bis in unsere Tage erhalten hat.«


Alexei Ratmansky bei einer Probe zu Pictures at an Exhibition im Juni 2021 in Wien


bewegte farben NASTASJA FISCHER

Eine Gruppe von Tänzer*innen läuft auf die Bühne wie Freunde, die sich auf ein gemeinsames Spiel freuen. Sie bilden einen Pulk und wechseln einander mit verschiedenen, individuell choreographierten Soli ab. Aufgeregt und gespannt beobachten sie sich gegenseitig, bis sie sich zu Paaren formieren und schließlich die Bühne wieder verlassen. Der Beginn von Alexei Ratmanskys 2014 mit dem New York City Ballet uraufgeführten Pictures at an Exhibition verweist bereits auf ein wesentliches Element der Choreographie: jede*r der zehn Tänzer*innen ist einzigartig in Bezug auf Persönlich- und Körperlichkeit. Kein Schritt und keine Bewegungssequenz gleichen der anderen. In den darauffolgenden 16 Episoden verstärkt sich dieser erste Eindruck, denn jeder der Sätze erzählt eine neue Geschichte: »Das Stück schafft eine ganz eigene Welt. Es ist reich an Emotionen, Geschichten, musikalischer Kreativität. Die geniale Musik von Mussorgski war der Ausgangspunkt für mich, das Ballett zu kreieren«, so Alexei Ratmansky. Modest Mussorgskis Bilder einer Ausstellung ist ein zentrales Werk des russischen Komponisten, gewidmet seinem Freund, dem Maler und Architekten Viktor Hartmann, dessen Tod Mussorgski bis ins Mark erschütterte: »Warum nur leben Hunde und Katzen? Und Geschöpfe wie Hartmann müssen sterben?« Eine Retrospektive, die zum Andenken des Künstlers kuratiert wurde, wurde Ausgangspunkt für Mussorgskis 1874 komponierte Bilder einer Ausstellung. Der Klavierzyklus ist dabei nicht nur eine rein musikalische Illustration der Bilder, sondern entwickelt in den einzelnen Sätzen ein eigenes Leben, dem die Interpretation der Werke Hartmanns zugrunde liegt. Die wiederkehrende Promenade als Verbindung stellt den Betrachter, Mussorgski selbst, beim Flanieren durch die Ausstellung dar und spiegelt die Stimmung, die das Gesehene auslöst, wider. Für Alexei Ratmansky war diese Beginn und Ausgangspunkt: »Als ich begonnen habe, das Ballett zu kreieren, war neben der Musik das Wichtigste, die richtigen Tänzer*innen für dieses Ballett zu finden. Ich habe ihnen choreographische Ideen vorgeschlagen, eine kleine Phrase, die sich dann in verschiedene Richtungen entwickelt hat. Sie kehrt immer wieder, aber führt auch zu etwas Anderem oder Neuem. Es ist wie bei einem gemischten Salat. Man hat die Grundzutaten und addiert, worauf man Lust hat. So war es auch bei der Kreation der Promenade.« Die Kunstwerke Hartmanns choreographisch zu porträtieren, ihnen zu folgen, war nicht das Ziel Ratmanskys, sondern mit ihnen in seiner eigenen choreographischen

BEWEGTE FARBEN

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Sprache zu kommunizieren. Es sind die Tänzer*innen und ihre Bewegungsqualitäten, die im Mittelpunkt der Kreation stehen und die so selbst die Farben des Werkes sind. Das Ensemble wird zur Ausstellung, statt durch eine Ausstellung zu führen: »Alexei Ratmansky hatte das Ziel, jeden von uns anders zu gestalten. Wie die Bilder von Hartmann in der Ausstellung unterschiedlich sind, so sind wir es auch. Keine*r gleicht dem anderen«, beschreibt Amar Ramasar, der Teil der Originalbesetzung am New York City Ballet war, das Werk, das er nun mit dem Wiener Staatsballett einstudiert hat. In nur einem Moment verweist Ratmansky konkret auf die intensive Verbindung zwischen Hartmann und Mussorgski und den schmerzlichen Verlust für den Komponisten, wenn sich zwei Tänzer im 8. Satz Catacombae (Sepulcrum romanum) immer wieder suchen, finden und verlieren, sehnsuchtsvoll und scheiternd – mal vom Ensemble unterstützt, mal die Begegnung durch dieses verhindert. Dass es dem Choreographen in seinen Pictures at an Exhibition darum ging, die Geschichten und die Charaktere, welche die Musik Mussorgskis evozieren, in den Tänzer*innen selbst zu finden, und nicht titelgebende Figuren wie den Gnomus oder die Hexe Baba Jaga offensichtlich zu illustrieren, spürt man auch in seiner Arbeit mit konträren Bildern und Vorstellungen. Der Gnomus, eine kleine groteske Figur, wird von einer schönen Frau, einer Ballerina verkörpert. Das Solo selbst ist allerdings weniger anmutig und leichtfüßig, sondern geht in die Tiefe und zeigt Momente von durchdringender Schärfe, wenn zum Beispiel die Tänzerin nach einer Pirouette hart mit den Händen auf den Boden schlägt. Die Hexe Baba Jaga in Die Hütte auf Hühnerfüßen wird wiederum von einem Mann getanzt, der in Sprüngen mit angewinkelten Beinen und rundem Rücken sowie Armbewegungen, die fast einer Beschwörung gleichen, mystisch-böse Eigenschaften trägt. So wenig wie die Werke Hartmanns choreographisch oder nur im Entfernten als Metaphern präsent sind, waren sie Inspiration für das Bühnen- und Kostümbild. Sowohl für die Projektionen, die großflächig im hinteren Bereich der Bühne zu sehen sind, wie auch für die Kostüme haben sich Ratmansky und seine künstlerischen Partnerinnen Adeline André und Wendall K. Harrington von einem Werk eines anderen bedeutenden russischen Malers anregen lassen: Wassily Kandinsky. Dieser hatte sich ebenfalls intensiv mit Mussorgskis Komposition auseinandergesetzt und sie am 4. April 1928 im Friedrich-Theater Dessau in einer szenischen Aufführung zurück in eine eigene abstrakte Bildsprache von Formen, Farben und Licht übertragen: »Mit Ausnahme von zwei Bildern […] ist das ganze Bühnenbild ›abstrakt‹ gewesen. Hier und da verwendete ich auch Formen, die fern ›gegenständlich‹ waren. […] Ich ging also auch nicht ›programmmäßig‹ vor, sondern verwendete Formen, die mir beim Hören der Musik vorschwebten«, erläutert der Künstler seine Konzeption. Auch wenn Kandinskys Auseinandersetzung mit der Komposition der von Ratmansky gleicht – nicht den Weg der Illustration zu gehen, sondern eigene Interpretationen zu schaffen –, so war es nicht diese Inszenierung, die Ratmansky zur Basis und zum Spielraum seines Balletts wurde, sondern Kandinskys 1913 entstandene Farbstudie Quadrate mit konzentrischen Ringen. Als Reprint hing diese in einem Krankenhauszimmer und zog die Aufmerksamkeit des Choreographen auf sich, als er – auf die Geburt seines 25

BEWEGTE FARBEN


Sohnes wartend – stundenlang das Bild anstarrte: »Kandinsky verwendet diese geheimen Symbole eines anderen Wissens, einer anderen Sprache«, so Ratmansky. »Sie ist sehr mathematisch, sehr reich an Informationen, in denen ich jenseits der Illustrierung der Musik eine andere Ebene sah, um wirklich auf die Tänzer*innen einzugehen. Als ich diese Idee bei Wendall K. Harrington anbrachte, war sie sehr glücklich, da diese Farbstudie unendlich viele Perspektiven eröffnet, aus denen sie nur noch die richtigen auswählen musste.« Während die Kostüme Kandinskys Farben aufgreifen und kreativ mit verschiedenen Formelementen umgehen, vor allem aber durch ihre Lässigkeit sowie mit dem Schwung in Schnitt und Stoff den spielerischen Charakter der Choreographie unterstützen, so sind es die Projektionen, welche die unterschiedlichen Dynamiken der Bewegungen und Stimmungen im Ballett reflektieren. Die Farbstudie als Ausgangspunkt verwendend, finden im Verlauf des Balletts Verschiebungen und Zerlegungen des Originalbilds in einzelne Formen und Teile statt. Mal vergrößert auf einen Ausschnitt, mal ergänzt um Striche und Linien, geben die Projektionen den Freiraum für eine Entfaltung der Bewegungen unabhängig von einer konkreten choreographischen Auseinandersetzung mit Kandinskys abstrakter Komposition oder Hartmanns diversen Kunstwerken. Pictures at an Exhibition zeigt vielmehr Alexei Ratmanskys farbenfrohes Denken sowie die Suche nach dem Kreatürlichen und Unbekannten, das er die Tänzer*innen in seiner Choreographie in »wilden« Momenten wie dem »Herumkriechen« oder Hin- und Herflitzen auf der Bühne ausleben lässt. Das klassische Ballettvokabular stets als Ausgangspunkt und Basis für seine Choreographien nehmend, gelingt es Alexei Ratmansky, dieses in die Körper der heutigen Tänzer*innen einzuschreiben. Eine solche Erweiterung oder Strapazierung erreicht er, indem das Schrittmaterial gebogen, gedehnt, in anderen räumlichen Dimensionen verankert wird. Nicht nur die Herausforderung, sich mit einem Stoff, einer Musik, deren Verbindung zur Choreographie er stets sucht, auseinanderzusetzen, sondern auch die Tänzer*innen zu fordern, sie aus ihrer Komfortzone herauszulocken und die eigenen Grenzen zu überwinden, ist ein wichtiges Element seiner Kreationsprozesse. Was für viele seiner Arbeiten gilt, ist auch in Pictures at an Exhibition erkennbar. Die klassischen Positionen des Balletts werden neu interpretiert, das Tempo in seinen Bewegungsfolgen ist schneller, das Partnering herausfordernder: »Er ist ein Meister im kreativen Überschreiten von Grenzen oder Linien«, so Amar Ramasar, »er kreiert neue und andere Bilder und Gefühlsregungen. Er arbeitet stets am Extrem, was die Emotionen, aber auch die Positionen und die Geschwindigkeit angeht. Als ich das Ballett in Wien einstudiert habe, habe ich Alexeis Kreativität und die Schönheit dieser Choreographie erst wirklich verstanden, weil ich das Stück in seiner Gesamtheit wahrgenommen habe und nicht nur auf meinen Teil beschränkt war. Ich habe mich noch mehr in Pictures at an Exhibition verliebt.« Alexei Ratmanskys dynamische und energiegeladene eigene Arbeiten bringen das Ballett ins Heute und stellen eine wesentliche Ergänzung zu seinen Rekonstruktionen klassischer Ballettstoffe des 19. Jahrhunderts dar, die er mittels intensiver Quellenforschungen zurück auf die Bühnen der Welt führt. Auch seine eigene choreographische Sprache ist stets ein Dialog mit der Vergangenheit, der aber um das Wissen und Können des Zeitgenössischen ergänzt und sich der Schwierigkeit bewusst ist: »Tänzer*innen

BEWEGTE FARBEN

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können im Zeitgenössischen etwas finden, das sie nutzen können, wenn sie die Klassiker tanzen. Hier liegt aber auch eine Gefahr, denn es ist sehr herausfordernd, in allem exzellent zu sein. Bei klassischen Balletten geht es um das Nach-oben-Streben, um die Dehnung der Muskeln. Die Präsentation ist sehr speziell. Im Zeitgenössischen, vor allem ohne Spitzenschuhe, geht es um das Unten, um den Boden. Das beeinflusst die gesamte Haltung.« Sprechen Tänzer*innen über die Arbeit mit dem russischen Choreographen, so erinnern ihre Worte an jene einer anderen Tänzergeneration über George Balanchine oder Jerome Robbins. Amar Ramasar, der am New York City Ballet bereits in diversen Kreationen von Alexei Ratmansky mitgewirkt hat, spricht mit großem Respekt von dem Choreographen: »Wir machen alles, was er von uns möchte. Wir haben nicht mit Balanchine gearbeitet, aber so muss es sich auch damals angefühlt haben. So herausfordernd die Arbeit auch ist, so intensiv fühlen wir sie. Für uns ist Alexei Ratmansky der Choreograph, für den wir alles geben. Er ist nicht der Balanchine von heute. Er ist Ratmansky von heute.«

»Schwerkraft ist Balance. Ein Meister der Schwerkraft, des Gewichts zu sein, ist essenziell für das Klassische und das Zeit­genössische.« ALEXEI RATMANSKY


»Das urbane New York mit all seinen Widersprüchen zwischen Ground Zero und Central Park, Brooklyn und Harlem prägt inzwischen auch Ratmanskys Choreographien. Sie zeigen hier ein schärferes Gesicht als in Europa, eines, in dem sich die Vielfalt der Lebensadern deutlicher abzeichnet. Als da sind: die klassischen Linien Marius Petipas, die feinstofflichen Qualitäten der Renaissance-Malerei, die frühbarocken Posen eines Giambologna, der kühn gelockerte Akademismus in der Nachfolge Balanchines, die angejazzten Formationen, die als Erbe von Jerome Robbins oder Bob Fosse auf uns gekommen sind – verpackt in eine Bewegungsarchitektur, die das ständige Auf und Ab der Stadtsilhouette einfängt.


All das kreuzt und überblendet Ratmansky nach Herzenslust, streut ein Quäntchen Erzählung darüber, belebt das Tableau mit extravaganter Musik – schon vibriert das Theater, erfüllt sprühende Vitalität den Raum bis hinauf in die obersten Ränge. … Dieser Choreograph scheint mit nahezu alchemistischer Neugier an Tanzelixieren zu tüfteln, die das lässige Idiom des Westens mit der charismatischen Essenz seiner russischen Heimat versetzen – oder umgekehrt.«

DORION WEICKMANN


aus briefen mussorgskis An Polyxena Stassowa St. Petersburg, 26. Juli 1873 Meine teure und liebe gnädige Frau! Der gestrige Besuch im Hause Melichows hat eine gewisse Verwirrung in meinem vielleicht musikalischen, aber ganz gewiss zügellosen Hirn hervorgerufen: mein Schreiben an Sie wird in Wien liegenbleiben und Sie nicht erreichen, ungeachtet des in ihm entfachten Volldampfes in Bezug auf die Chowantschina, deren Gestaltung nur so kocht, und wie! Dieser Kummer hat sich jedoch in Freude verwandelt, als ich erfuhr, dass der généralissime nicht nach Wien fahren wird und dass seine Angehörigen ihm diese Reise verboten haben (ich habe ihn inständig gebeten, nicht nach Wien zu fahren). Und meiner teuren gnädigen Frau, denke ich, werde ich schreiben – ich werde die gnädige Frau schon irgendwo in Europa finden; ja, so werde ich’s machen. Doch ist diese Freude plötzlich in ihr Gegenteil umgeschlagen, als ich erfuhr, dass unser lieber Witjuschka Hartmann in Moskau an einem Aneurysma gestorben ist. Welch ein Unglück! O vielgeprüfte russische Kunst! Bei Viktor Hartmanns letztem Besuch in Petrograd ging ich mit ihm nach dem Musizieren zusammen die FurstadtStraße entlang. An einer Seitenstraße blieb er plötzlich stehen, wurde blass, lehnte sich an die Wand eines Hauses und rang nach Luft. Damals habe ich diesem Vorfall keine große Bedeutung beigemessen und ihn nur gefragt, ob ihm so etwas oft passiere. »Oft«, sagte er. Ich habe ihm irgendeinen Unsinn erzählt, lenkte seine Gedanken eine Weile von dem Vorfall ab, und wir gingen weiter, zuerst ganz langsam und dann wie gewöhnlich. Da ich mich selbst mit Atemnot und Herzklopfen (der hässlichen »palpitatio cordis«) viel geplagt habe, so glaubte ich, dass dies Los vorwiegend nervöser Naturen sei, habe mich aber bitter getäuscht, wie sich nun herausstellt. Und das gerade in Hartmanns bester Zeit, als seine Begabung nur so überschäumte! […] Dieser talentlose Tor, der Tod, rafft die Menschen dahin, ohne auch nur zu erwägen, ob sein verdammter Besuch auch nötig sei. Ich habe nicht geglaubt, dass es mir zufallen würde, einen kurzen Nachruf an die Petersburger Nachrichten zu schicken. Wenn doch wenigstens Talente wie Pilze wüchsen! So aber besteht selbst bei den bekannten Begabungen die Mehrzahl aus grünen Laffen und tiefsinnigen Dummköpfen, die nichts als vielbändige und vielgestaltige Kadaver zur Welt bringen: sozusagen

AUS BRIEFEN MUSSORGSKIS

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keine Haut und keine Schnauze, von Sinn und Verstand ganz zu schweigen. Wenn man die (durchaus wertvollen) Eindrücke von Häusern à la Makarow in sich aufnimmt, von der Kapelle am Sommergarten, die »tief gebückte« Treppe auf der Wiener Ausstellung, die sich womöglich noch vor der ganzen Welt »untertänigst verneigt« (die russische Sklavin – auch hier konnte sie nicht an sich halten), und alldem das architektonische Skelett des Volkstheaters in Moskau gegenüberstellt (ganz zu schweigen von der Eleganz und Eigenständigkeit), einfach das architektonische Skelett – dann wird einem beklommen zumute: was hätte Hartmann nicht unternommen! Hartmann, der durch einen Wink an die Obrigkeit auf das bevorstehende Herabstürzen der Stuckdecke in der Marienscheune aufmerksam machte und unauffällig und unbemerkt Tausenden von Menschen das Leben gerettet hat. […] Hartmann hatte nur einen Blick darauf geworfen: ein Zufall – gewiss. Das betrifft zwar nicht die schöpferische Kraft des Künstlers, bildet aber gleichzeitig deren Grundlage. Schöne Klänge sind immer schön und bezaubern einen Kleinrussen bei einer Portion Galuschki so sehr, dass er Galuschki vertilgt, in Butter und Tränen schwimmt und Galuschki und schöne Klänge gleichermaßen verschlingt. Es kommt aber auf etwas Wesentlicheres an. Die Kunst darf nicht nur die Schönheit allein verkörpern. Ein Gebäude ist erst dann schön, wenn es, abgesehen von der schönen Fassade, solide und mit Verstand erbaut wurde, wenn man den Zweck des Gebäudes empfindet und der Verstand des Künstlers sichtbar wird. Das war bei dem verstorbenen Hartmann der Fall. Arme verwaiste russische Kunst! Mussorjanin

An Wladimir Stassow Mittwoch, irgendein Datum im Juni 74 Ich kann nicht zu Ihnen kommen! Mein teurer généralissime! Ich arbeite mit Volldampf am Hartmann, wie ich seinerzeit mit Volldampf am Boris gearbeitet habe, – Klänge und Gedanken hängen in der Luft. Ich schlucke sie und esse mich daran voll, kaum schaffe ich es, alles aufs Papier zu kritzeln. Ich schreibe an der vierten Nummer – die Verbindungen sind geglückt (dank der Promenade). Ich möchte das Ganze möglichst bald und sicher zustande bringen. Meine Physiognomie ist in den Zwischenspielen zu sehen. Bis jetzt halte ich es für gelungen. Ich schließe Sie in meine Arme und verstehe, dass Sie mich dafür segnen – also geben Sie mir Ihren Segen! Mussorjanin Die Benennungen sind kurios: Promenade (in modo rustico); Nr. 1 Gnomus – Intermezzo (Intermezzo steht nicht drüber); Nr. 2 Il vecchio castello – Intermezzo (ebenfalls ohne Überschrift); Nr. 3 Thuilleries (dispute d’enfants après jeux); jetzt bin ich bei Nr. 4 Sando­ mirzsko bydlo (le télègue) (le télègue ist natürlich nicht darüber geschrieben – dies nur unter uns). Wie herrlich arbeitet es sich! Mussorjanin 31

AUS BRIEFEN MUSSORGSKIS


MICHAEL RUSS

»Bilder einer Ausstellung ist in seiner Direktheit des Ausdrucks ein wahrhaft russisches Werk, seine Form entsteht eher aus dem Inhalt und der Zusammenstellung der verschiedenen Teile als aus einer organischen Entwicklung. Mussorgski zieht es vor, das reale Leben darzustellen und nicht das spirituelle, romantische, sinnliche oder erotische. Weniger offensichtlich ist die Notwendigkeit für den Hörer, unter der Oberfläche nach verborgenen Bedeutungsschichten zu suchen, die, wenn sie nicht wahrgenommen werden, das Werk naiv erscheinen lassen.«


Ketevan Papava


Ensemble




Marcos Menha, Claudine Schoch ← Francesco Costa


Maria Yakovleva, Claudine Schoch, Nina Poláková, Ketevan Papava


Ioanna Avraam, Ensemble



sinfonie nr. 15 Uraufführung

Musik Symphonie Nr. 15 A-Dur op. 141 von Dmitri Schostakowitsch Choreographie Martin Schläpfer Musikalische Leitung Robert Reimer Bühne & Kostüme Thomas Ziegler Licht Robert Eisenstein Orchester der Wiener Staatsoper


Martin Schläpfer bei einer Probe zu Sinfonie Nr. 15


MARTIN SCHLÄPFER

»Lehm, Blei, Blitzeinschlag, Tod. Und immer wieder der Versuch der Liebe zu den Menschen, der Glaube an sie. Der Versuch der Liebe zur Kunst, der Glaube auch an den Tanz.«


»… mit dem ganzen leben …«

ANNE DO PAÇO

Ein Mann trägt eine Frau auf seinen Schultern. Beide halten eine Hand am Kopf. In der Stille setzen sie ein paar Schritte in den Raum. Schließlich hebt ein Bläserchoral an, ein Trauermarsch, eine Klage. Rücklings stürzt sich die Frau dem Boden zu, doch sie fällt nicht, sondern wird gehalten von ihrem Partner. Die beiden Körper sind wie in einem Gefängnis, eng aneinandergekettet. Sie gehen aufeinander los wie Tiere, die miteinander spielen – doch das Spiel ist aggressiv, ein Aneinander-Zerren, An-den-Haaren-Reißen, ein Festhalten am Handgelenk, dem man sich nicht entwinden kann, ein Nehmen des Fußes, als wäre dieser ein Mikrofon, durch das man in den Körper der Partnerin etwas hineinzusprechen versucht. Eine andere Tänzerin zieht einsame Kreise durch den Raum. »Es ist deine Welt. Es ist völlig vergeistigt«, flüstert Martin Schläpfer ihr während der Probe zu. In Bourées punktiert sie mit dem Spitzenschuh den Boden, versucht ihn zu spüren, einen Weg zu

»… MIT DEM GANZEN LEBEN …«

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gehen. Sie wirkt verloren, ausgesetzt, ziellos. Der erhobene Blick geht ins Innere. Ein Tänzer kommt dazu, hält sie mit einer energischen Armbewegung auf. Es folgt ein Pas de deux wie ein Kampf – zwei Menschen, die wissen, dass sie sich gegenseitig brauchen und doch auseinanderstreben, ein schmerzvolles Kräftemessen, in dem es keinen Gewinner und keinen Verlierer gibt, ein Abziehen der Haut. Während der Arbeit an der Szene moduliert Martin Schläpfer mit seiner Stimme die »Temperatur«, die Atmosphäre, gibt immer wieder assoziative Bilder in den Raum, hebt, die Musik mitsingend, einzelne Linien des Orchestersatzes hervor, setzt eigene Akzente, die zu Impulsen werden, aus denen sich Bewegungen generieren, die aus der Musik ihre Energien beziehen und doch in einem Spannungsverhältnis zu ihr stehen. Ein anderer Tänzer reißt sich aus der Erschöpfung nach einer langen Reise los. Auch er trifft auf eine Frau, wird von ihr geradezu magisch angezogen, als wäre sie ein Magnet. Doch auch hier gibt es kein Ankommen, kein Aufgehobensein, keine Beruhigung. Ein sanftes Fassen einer Hand löst einen emotionalen Schock aus, der sich in einem den ganzen Körper durchdringenden Zittern entlädt. Die drei Pas de deux bilden das Zentrum von Martin Schläpfers neuer Choreographie für das Wiener Staatsballett. Ihr schlichter Titel Sinfonie Nr. 15 – der ihr zugrundeliegenden Komposition von Dmitri Schostakowitsch entlehnt – lässt nicht ahnen, was für eine Welt sich mit diesem Stück dem Betrachter öffnet: Wie ein Forscher steigt Martin Schläpfer zusammen mit seinen Tänzerinnen und Tänzern in die Kammern der menschlichen Seele hinein, um mit dem Tanz in das einzudringen, »was nicht benennbar ist: Was passiert zwischen zwei Menschen?« Was uns die drei Pas de deux zeigen ist schonungslos, ein »ungeschütztes Draußen, verloren, hingepinselt. Es gibt nichts in diesem Stück, was einen leicht vorwärts bringt, das Ziel ist unklar, klar ist nur, dass wir auf einer Durchreise sind, woanders hin müssen. Ich wollte den Menschen ohne Krücken dastehen lassen«, so der Choreograph. Es ist das zweite Mal, dass sich Martin Schläpfer mit Dmitri Schostakowitsch in einer Choreographie auseinandersetzt: 2019 war als letzte Arbeit für das Ballett am Rhein Düsseldorf Duisburg ein Stück zum 2. Violoncellokonzert des Komponisten entstanden, nun folgte mit der 15. Symphonie ein weiteres Spätwerk Schostakowitschs als Inspiration für den Tanz: »Es ist eine Musik, die mich in all ihren Farben ungemein inspiriert, mit dem ganzen Leben, das sie in sich trägt. Es ist eine Musik, die mir – ohne programmatisch zu sein oder etwas Konkretes zu erzählen – einen ›Text‹ für meinen Tanz schenkt« – einen Tanz, der weder ein abstraktes Musizieren mit dem Körper ist, noch ein geradliniges »Story Ballet«, sondern ein imaginäres Gebäude einer Konfrontation von Menschen, ein inneres Geschehen, mit Ausschnitten von Welt flankiert, die ihren Nährboden in den vielschichtigen Verbindungen von Schostakowitschs Musik und einem Künstlerleben in der Sowjetunion ebenso finden wie in dem, was Martin Schläpfer und seine Tänzerinnen und Tänzer während des vergangenen Jahres umgab. In einer Art Instrumentierung des menschlichen Lebens durch den Tanz entfalten sich Szenen, in denen die Suche nach Heimat und Nähe auf Kälte und Zurückweisung trifft, in denen sich Menschen zu einem stumpfsinnigen Marschieren zusammenrotten oder sich opportunistisch, voller Virtuosität und Hinterhältigkeit einer »Idee« 45

»… MIT DEM GANZEN LEBEN …«


MARTIN SCHLÄPFER

»Ein Ballett entsteht wie ein Gemälde. Du beginnst mit einer Farbe oder einer Form. Und aus diesem Anfangspunkt triffst du Entscheidungen. Aus dem nächsten Strich entwickelst du das weitere Vorgehen. Es geht nicht darum, in einen Wettstreit mit der Musik zu treten oder sie zu deuten, sondern darum, eine Theaterebene zu diesem Meisterstück zu finden.«


anbiedern. Sinfonie Nr. 15 ist eine Art Autopsie des menschlichen Individuums und des Wesens von Gesellschaft auf offener Bühne. Über der gesamten Szenerie schwebt eine katastrophische Grundstimmung, eine Melancholia, in welcher sich die Zerbrechlichkeit des Daseins spiegelt, welche die, die sie erfasst, zugleich aber nicht einfach niederdrückt, sondern in einen Zustand der »Gravitas« führt, jener Schwere, die Gewicht verleiht gegenüber den Bedingtheiten des eigenen Schicksals. Wie der Komponist Schostakowitsch, der mit dem Zitat des »Todesverkündigungsmotivs« aus Richard Wagners Walküre auch die Nornenfrage »Weißt du, wie das wird?« in seine Musik hineinkomponierte, hat auch der Tanzschöpfer Martin Schläpfer dem Schicksalhaften indes die Formkraft des Willens entgegenzusetzen, und in dieser vereint sein Ballett Sinfonie Nr. 15 in Summe alle für den Choreographen typischen Charakteris­ tika und Mittel: Die hörende und mit dem Körper spürende Anverwandlung von Musik, das Aufbrechen von Gewissheiten, das zu Rissen in der tänzerischen Textur führt, in denen Vertrautes plötzlich unvertraut erscheint, die Belastungsproben, denen er das Material der Danse d’école immer wieder aussetzt und so das alte Vokabular zu Bausteinen einer gegenwärtigen Sprache werden lässt, die attackierende Athletik und dann wieder fragile Schönheit seiner Bewegungsfindungen, die bebende Präsenz seiner zwischen großer Natürlichkeit und dann wieder extremer Verkunstung changierenden Körperbilder, die genaue Führung von Blicken – sei es im Sich-Begegnen oder im Nicht-Begegnen – und nicht zuletzt seine Rollengestaltungen, in denen sich Frauen und Männer, die Persönlichkeiten seiner Tänzerinnen und Tänzer auf Augenhöhe begegnen. Die Vielfalt der Bilder und Bewegungsmotive in Martin Schläpfers Choreographie steht in enger Korrespondenz zu der komplex ineinander verschränkten Themenvielfalt in Schostakowitschs Symphonie, deren Finale schließlich in die komplette Zurücknahme jeglicher Vorstellungen von Apotheose führt, auch wenn sich das tonale Zentrum von a-Moll nach A-Dur gelichtet hat: Über einem 40 Takte langen Orgelpunkt der Streicher und der leeren Quinte A-E verklingt die Musik mit einem Schlagzeuggeklapper in einem Totentanz ins Ungelöste. Aber auch auf der Tanzbühne bleiben die Fragen mit einem unter die Haut gehenden Solo offen: Hin- und hergerissen zwischen der Aufrechten und dem Sturz auf den Boden, wie von einem Wahnsinn ergriffen, sich schüttelnd an ein Tanzen sich erinnernd, das längst keine Realität mehr ist. »Es mag die letzte Vorstellung eines Tänzers sein, Schostakowitsch selbst vor seinem Tod, ein Petruschka«, so Martin Schläpfer, »wer weiß das schon«?

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»… MIT DEM GANZEN LEBEN …«


zwischen jugendfrische und todesnähe BERND FEUCHTNER

»Wir sprachen über das zurück­liegende Konzert und Schostakowitsch sagte zu mir: ›Meiner Meinung nach habe ich eine ziemlich kecke Symphonie geschrieben.‹ Das Wort ›keck‹ überraschte mich.« AUS DEN ERINNERUNGEN ISAAK DAWYDOWITSCH GLIKMANS

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Strawinskis Symphonie in drei Sätzen und Schostakowitschs »Fünfzehnte« »Aus Leningrad bin ich mit leichtem Gepäck abgereist. Habe nur die Partitur der Lady Macbeth, die 7. Symphonie und die Strawinski-Symphonie (meine Bearbeitung und die Partitur) mitgenommen«, schrieb Dmitri Schostakowitsch an seinen besten Freund Iwan Sollertinski. »Manchmal spielen Oborin (er ist auch hier) und ich sie vierhändig und bestaunen immer wieder die Schönheit dieses Werks.« Er meinte Strawinskis Psalmen­ symphonie, von der er Ende der 1930er Jahre einen vierhändigen Klavierauszug erstellt hatte, um seine Studenten mit dem Werk bekannt zu machen. Was in dem Brief so leicht klingt, war übrigens die Evakuierung des Komponisten aus dem von deutschen Truppen eingeschlossenen und bombardierten Leningrad. Mit Frau und Kindern war er Mitte Oktober ausgeflogen worden, während seine Mutter und seine Schwester Maria in dem Inferno ausharren mussten. In seinem Nachruf auf Strawinski schrieb Schostakowitsch 1971: »Insgesamt schmerzt es mich, dass Strawinski den Symphonien in seinem Schaffen so wenig Aufmerksamkeit geschenkt hat. Dabei zeigt ein so schönes Werk wie die Symphonie in drei Sätzen, dass er in diesem Genre etwas zu sagen hat.« Unter der Glasplatte auf Schostakowitschs Schreibtisch in der Moskauer Wohnung lag ein Foto von Strawinski, dessen Musik er vergötterte, während er seine schriftlichen Äußerungen verachtete. Er verzieh ihm seine Ignoranz nicht gegenüber jenen russischen Künstlern, die nicht die Möglichkeit gehabt hatten, nach der Revolution zu emigrieren und sich mit dem Regime arrangieren mussten. Igor Strawinski hatte früh Erfolge in Paris mit seinen Balletten Der Feuervogel (1910), Petruschka (1911) und Le sacre du printemps (1913). Nach der Oktoberrevolution ließ er sich endgültig in Paris nieder. Die faschistische Bewegung, die in Westeuropa aus Angst vor dem Kommunismus von den alten Eliten gefördert wurde, begrüßte er so kräftig, dass er nach einer Audienz beim Duce sich stolz als Faschisten bezeichnete. Schostakowitsch war eine Generation jünger und sah die Revolution hingegen als Chance zu einem künstlerischen Aufbruch. Jung und frech stürzte er sich in die Auseinandersetzungen der rivalisierenden Künstlergruppen – in der festen Überzeugung, dass Können sich am Ende durchsetzen werde. Und er war nun mal der Begabteste nicht nur seiner Generation – bis Anfang der 1930er Jahre Sergei Prokofjew aus dem Ausland zurückkehrte. 1936, mitten im stalinistischen Terror, traf Schostakowitsch das parteiamtliche Verdammungsurteil, 1948 waren er und Prokofjew gemeinsam das Ziel von Stalins Attacken. Die Bewunderung für die Musik Strawinskis, die sie beide teilten, war ebenso ein Grund für die Verurteilung durch die Stalinisten, die 1949 eine Kampagne gegen die »Kosmopoliten« anzettelten, womit aber nicht nur die Offenheit für westliche Entwicklungen, sondern auch die Juden gemeint waren: Antisemitismus gehörte auch zu Stalins Herrschaftswerkzeug. An Strawinski bewunderte Schostakowitsch vor allem die Klarheit der Form, die Meisterschaft der Instrumentierung und den rhythmischen Drive. Im Grunde war Strawinski unpolitisch und wollte nur ungestört Musik schreiben, der er jede 49

ZWISCHEN JUGENDFRISCHE UND TODESNÄHE


Fähigkeit zum Ausdruck absprach. Die Symphonie in drei Sätzen beginnt mit der Größe und Wucht der antiken Tragödie: Sie entstand in der Zeit des Zweiten Weltkrieges, als der Komponist in die USA emigriert war, und nahm nach seinen eigenen Worten die Atmosphäre des Krieges in sich auf. Manche Klänge erinnern sogar an Schostakowitschs 8. Symphonie, die gleichzeitig in Russland entstand. Doch gleich nach den mächtigen, dissonanten Einleitungsakkorden geht die Musik in den federnden, unwiderstehlichen Strawinski-Rhythmus über. Selbstverständlich malt Strawinski keine Schlachtenmusik – man assoziiert abstrakte Bilder dazu wie von Kandinsky oder surreale wie von Chagall. Der erste Satz erhält seine Härte auch durch das obligate Klavier, das die Entwicklung vorantreibt – gerade, weil Strawinski sich von der Durchführungstechnik des Sonatensatzes längst verabschiedet hat. Er arbeitet mit Motiven und thematischen Feldern, die voneinander abgegrenzt werden. Im zweiten Satz ist es dann die obligate Harfe, die hier das etwas zopfige Bild einer verklärten Vergangenheit entstehen lässt. Erst im wuchtigen Schlusssatz sind dann sowohl das Klavier als auch die Harfe mit im Spiel. Faszinierend sind die Zwölftonfelder, die hier auftauchen. Mit Schönbergs Methode des Komponierens mit zwölf Tönen hat das noch nichts zu tun, es ist lediglich eine Art der Abstraktion. Doch in seinem Spätwerk wandte Strawinski sich mehr und mehr der Strenge der Wiener Schule zu, wobei sein Vorbild allerdings eher Anton Weberns karge Eleganz war. Solche Zwölftonfelder gibt es auch im Spätwerk von Dmitri Schostakowitsch. Schon in seiner Jugend hatte er mit dieser Art von Feldern experimentiert und sie dann während des Stalinismus ebenso vermieden wie während des »Tauwetters« der Zeit nach Stalin. Seine Vorbilder waren Gustav Mahler und Alban Berg, also die große, dramatische Symphonie und der freie Umgang mit der Tonalität. Im Gegensatz zu Strawinski wollte Schostakowitsch in seiner Musik immer etwas aussagen, auch wenn das oft wie hinter vorgehaltener Hand geschah. Seinen Schülern, wie etwa Edison Denissow, schärfte er ebenfalls ein, mit ihrer Musik unbedingt »etwas auszudrücken«. Schostakowitsch liebte es, sein Publikum zu überraschen – es bekam immer eine andere Symphonie zu hören, als es nach der letzten erwartet hätte. Seine »Vierzehnte« war ein Vokalzyklus für Sopran, Bass und Kammerorchester, dessen Thema der Tod war. In der »Fünfzehnten« kehrte er 1971 zum großen Orchester zurück, dessen Klang er auskostete. Außerdem fügte er neben Pauke und Celesta umfangreiches Schlagzeug hinzu: Triangel, Rute, Kastagnetten, Holzblock, Tomtom, kleine Trommel, große Trommel, Zimbeln, Tamtam, Glockenspiel, Xylophon und Vibraphon. Nichtsdestoweniger ist auch hier der Tod das große Thema. Nach einem gehetzten Leben hatte Schostakowitsch 1966 einen ersten Herzinfarkt erlitten und auch sonst ließ seine Gesundheit immer mehr nach. Neun Jahre lang hatte er den Tod vor Augen und so ist auch sein gesamtes Spätwerk wie besessen von der Auseinandersetzung mit dem unausweichlichen Ende – und der Rechtfertigung seines Lebens. Mit der 15. Symphonie verblüffte er die Zuhörer doppelt: Durch zwei Zitate von Gioachino Rossini und Richard Wagner und durch die Rätselhaftigkeit ihrer gesamten Anlage. Es ist ein sehr vielschichtiges Werk, das sich nicht wirklich entschlüsseln lässt,

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aber durch die Schönheit der Klänge und die abwechslungsreiche Struktur für sich einnimmt. Der erste Satz ist frisch und scheinbar naiv. Wie in den Kopfsätzen seiner 1. und 9. Symphonie scheint sich hier ein Kindskopf auszutoben und mit den musikalischen Elementen Schabernack zu treiben. Viermal platzt der Galopp von Rossinis Wilhelm Tell-Ouvertüre dazwischen. Und dann sind da die Selbstzitate, vernebelte und leichter zu erkennende. So auch sein Namenskürzel »DSCH«, das in deutscher Umschrift in den Noten d – es – c – h erscheint. So hatte er es schon in seinem 8. Streichquartett von 1960 gehalten, das er zur Tarnung den Opfern von Faschismus und Krieg widmete, während es in Wirklichkeit eine Reflexion über sein bisheriges Leben darstellte. Im ersten Symphoniesatz erschallen Fanfaren, Kommandos, als führten Zinnsoldaten eine Schlacht auf. Ein bedrohlicher Triller aus dem Largo seiner 6. Symphonie erinnert an das schizophrene Leben im Stalinismus. Auf ausgelassene Kapriolen antworten derbe Standpauken. So mag der kranke, alte Schostakowitsch im Rückblick seine jugendliche Kampflust empfunden haben, wie er sich in den Briefen an Iwan Sollertinski spiegelt: »Ich mag das. Es reduziert die Fettschicht.« Der vierte und letzte Satz der »Fünfzehnten« beginnt mit dem Zitat der »Todesverkündung« aus Wagners Walküre. Brünnhilde erscheint dort Siegmund und kündigt ihm an, dass er im Kampf gegen Hunding unterliegen, dafür aber als Held in Walhall einziehen werde. Die »Todesverkündung« wird auch später noch einmal aufklingen. Schostakowitsch liebte Anton Tschechow und dabei vor allem die Erzählung Der schwarze Mönch. Dort wird einem mittelmäßigen Menschen von der Erscheinung eines schwarzen Mönchs, den nur er sehen kann, eine geniale Laufbahn versprochen, die ihn allerdings am Ende in den Wahnsinn führen würde. Kowrin folgt den Verlockungen, endet im Wahnsinn und stirbt, ohne die erhoffte Genialität erreicht zu haben. Diese Geschichte, über die Schostakowitsch gehofft hatte, eine Oper schreiben zu können, verbindet sich im Finale der 15. Symphonie mit der eigenen Todeserwartung und dem Rückblick auf sein Komponistenleben. Wagners »Todesverkündung« war die musikalische Umschreibung der Prophezeiung des schwarzen Mönchs: der Einzug in die Ehrenhalle des Göttervaters Wotan. Hatte auch der Komponist sich von den Verlockungen seines Genies verleiten lassen? Wie hatte er seine Prüfungen bestanden? Eine Passacaglia erinnert mit dem Gewaltmotiv an den brutalen Marsch in seiner »Siebten«, der »Leningrader« Symphonie. Was würde von ihm bleiben nach seinem Tode? Dafür findet sich am Schluss eine lapidare, ernüchternde Formulierung. An ein Leben nach dem Tode glaubte Schostakowitsch sowieso nicht. Am Ende der Passacaglia steht ein stechender 11-Ton-Akkord, grundiert mit einem Tamtam-Schlag. Mit einem solchen Tamtam-Schlag hatte auch Piotr I. Tschaikowski am Ende der »Pathétique«, seiner letzten Symphonie, das Tor des Todes aufschwingen lassen; danach verrannen die letzten Pulsschläge. Bei Schostakowitsch scheint die Musik zurückzukehren zur Unbefangenheit des Anfangs. Es erklingt eine Melodie, die er als Elfjähriger komponiert hatte. Sie klingelt wie eine Spieluhr. Dazu ist nur noch das Klackern diverser Schlaginstrumente zu hören, als klapperten die Knochen von Gerippen – ein frivoler Totentanz. Und dann setzt die Spieluhr plötzlich aus, repetiert 51

ZWISCHEN JUGENDFRISCHE UND TODESNÄHE


noch einmal sinnlos die letzte Phrase und bleibt dann stehen. Der gespenstische Reigen der Skelette geht noch ein Weilchen weiter, bis auch er im Winde verweht. Die Celesta setzt den letzten, blinkenden Ton. Auch wenn Schostakowitsch das Lied von der Erde über alles schätzte (erst ganz zum Schluss zweifelte er, ob Bach nicht doch höher stehe), machte er sich gerne darüber lustig, dass Mahler dort die Ewigkeit durch die Celesta symbolisiert habe, nachdem die Altistin ihr »Ewig, ewig« leiser und leiser, ferner und ferner verströmt hatte. Nun hatte er es genauso gemacht. Wenige Monate vor seinem Tod besuchte Schostakowitsch im Frühjahr 1975 mit seiner Frau Irina und seinem Freund Isaak Glikman ein Konzert mit der Psalmensymphonie. In seinem wunderbaren Schostakowitsch-Briefband Chaos statt Musik. Briefe an einen Freund schrieb Glikman: »In der Pause erinnerten wir uns daran, dass Schostakowitsch vor dem Krieg einen Klavierauszug der Psalmensymphonie angefertigt und seinen Studenten gezeigt hatte, und wie er, als die schändlichen Tage des ›Kampfes gegen die Kosmopoliten‹ anbrachen, wegen dieser ›Schmähung‹ stark gerügt worden war. Einer der Lehrer des Leningrader Konservatoriums hatte auf einer allgemeinen Versammlung, am erhabenen Zorn fast erstickend, geschrien: ›Wie konnte Schostakowitsch es wagen, die Mauern des Konservatoriums mit der niederträchtigen Musik Strawinskis zu entweihen? Das konnte nur ein Kosmopolit tun – ein Feind der vaterländischen Musik‹.« Solchen Szenen hatte Schostakowitsch nur das Vertrauen auf das eigene Genie entgegenzusetzen. Aber war er denn ein Genie? Oder nur ein »mausgrauer Komponist«, wie er sich in einem Brief an einen Freund einmal bezeichnete? Die 15. Symphonie ist die auskomponierte Beschwichtigung derartiger Selbstzweifel. In der Suite nach Gedichten von Michelangelo, die er zwei Jahre später – ein Jahr vor seinem Tod – komponierte, lautet das Schluss-Epigramm »Unsterblichkeit«. Zarte Glockenspiel- und Schlagzeugklänge wie am Ende der 15. Symphonie symbolisieren die Hoffnung: Wessen in Liebe gedacht wird, der ist nicht tot. Und wieder symbolisiert die Celesta die Ewigkeit.

ZWISCHEN JUGENDFRISCHE UND TODESNÄHE

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Masayu Kimoto, Yuko Kato


Fiona McGee, Calogero Failla


Alexandra Inculet


Aleksandar Orlić, Alexander Kaden, Gleb Shilov, Roman Chistyakov



Roman Lazik, Ketevan Papava

Liudmila Konovalova, Marcos Menha →




László Benedek, Mila Schmidt ← Gabriele Aime, Giovanni Cusin, Godwin Merano



ensemble


tänzerinnen & tänzer

Denys Cherevychko Erster Solotänzer

Davide Dato Erster Solotänzer

Olga Esina Erste Solotänzerin

Kiyoka Hashimoto Erste Solotänzerin

Hyo-Jung Kang Erste Solotänzerin

Masayu Kimoto Erster Solotänzer

Liudmila Konovalova Erste Solotänzerin

Marcos Menha Erster Solotänzer

Ketevan Papava Erste Solotänzerin

Alexey Popov Erster Solotänzer

ENSEMBLE

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Claudine Schoch Erste Solotänzerin

Maria Yakovleva Erste Solotänzerin

Yuko Kato Senior Artist

Roman Lazik Senior Artist

Ioanna Avraam Solotänzerin

Elena Bottaro Solotänzerin

Francesco Costa Solotänzer

Sonia Dvořák Solotänzerin

Alice Firenze Solotänzerin

Rebecca Horner Solotänzerin

Aleksandra Liashenko Solotänzerin

Eno Peci Solotänzer

Daniel Vizcayo Solotänzer

Jackson Carroll Halbsolist

Iliana Chivarova Halbsolistin

Calogero Failla Halbsolist

Lourenço Ferreira Halbsolist

Adele Fiocchi Halbsolistin

Sveva Gargiulo Halbsolistin

Alexandra Inculet Halbsolistin

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ENSEMBLE


Gala Jovanovic Halbsolistin

Andrey Kaydanovskiy Halbsolist

Helen Clare Kinney Halbsolistin

François-Eloi Lavignac Halbsolist

Eszter Ledán Halbsolistin

Anita Manolova Halbsolistin

Fiona McGee Halbsolistin

Tomoaki Nakanome Halbsolist

Laura Nistor Halbsolistin

Tristan Ridel Halbsolist

Andrey Teterin Halbsolist

Zsolt Török Halbsolist

Arne Vandervelde Halbsolist

Géraud Wielick Halbsolist

Nicola Barbarossa Corps de ballet Staatsoper

Marie Breuilles Corps de ballet Staatsoper

Natalya Butchko Corps de ballet Staatsoper

Victor Cagnin Corps de ballet Staatsoper

Laura Cislaghi Corps de ballet Staatsoper

Edward Cooper Corps de ballet Staatsoper

ENSEMBLE

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Vanessza Csonka Corps de ballet Staatsoper

Giovanni Cusin Corps de ballet Staatsoper

Gaia Fredianelli Corps de ballet Staatsoper

Marian Furnica Corps de ballet Staatsoper

Andrés Garcia Torres Corps de ballet Staatsoper

Javier González Cabrera Corps de ballet Staatsoper

Adi Hanan Corps de ballet Staatsoper

Trevor Hayden Corps de ballet Staatsoper

Isabella Knights Corps de ballet Staatsoper

Zsófia Laczkó Corps de ballet Staatsoper

Gaspare Li Mandri Corps de ballet Staatsoper

Sinthia Liz Corps de ballet Staatsoper

Godwin Merano Corps de ballet Staatsoper

Katharina Miffek Corps de ballet Staatsoper

Igor Milos Corps de ballet Staatsoper

Franciska Nagy Corps de ballet Staatsoper

Hanno Opperman Corps de ballet Staatsoper

Kristián Pokorný Corps de ballet Staatsoper

Alaia Rogers-Maman Corps de ballet Staatsoper

Isabella Lucia Severi Corps de ballet Staatsoper

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ENSEMBLE


Suzan Sittig Corps de ballet Staatsoper

Duccio Tariello Corps de ballet Staatsoper

Iulia Tcaciuc Corps de ballet Staatsoper

Helena Thordal-Christensen Corps de ballet Staatsoper

Gloria Todeschini Corps de ballet Staatsoper

Chiara Uderzo Corps de ballet Staatsoper

Céline Janou Weder Corps de ballet Staatsoper

Gabriele Aime Corps de ballet Volksoper

Dominika Ambrus Corps de ballet Volksoper

László Benedek Corps de ballet Volksoper

Sarah Branch Corps de ballet Volksoper

Barbara Brigatti* Corps de ballet Volksoper

Vivian de Britto-Schiller Corps de ballet Volksoper

Roman Chistyakov Corps de ballet Volksoper

Kristina Ermolenok Corps de ballet Volksoper

Ginevra Ferraris* Corps de ballet Volksoper

Tainá Ferreira Luiz Corps de ballet Volksoper

Ekaterina Fitzka Corps de ballet Volksoper

Alexander Kaden Corps de ballet Volksoper

Tessa Magda Corps de ballet Volksoper

ENSEMBLE

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Cosmin Marinescu Corps de ballet Volksoper

Dragos Musat Corps de ballet Volksoper

Keisuke Nejime Corps de ballet Volksoper

Aleksandar Orlić Corps de ballet Volksoper

Olivia Poropat Corps de ballet Volksoper

Natalie Salazar Corps de ballet Volksoper

Mila Schmidt Corps de ballet Volksoper

Marta Schiumarini Corps de ballet Volksoper

Gleb Shilov Corps de ballet Volksoper

Felipe Vieira Corps de ballet Volksoper

Robert Weithas Corps de ballet Volksoper

Martin Winter Corps de ballet Volksoper

Una Zubović Corps de ballet Volksoper

*Karenzvertretung

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ENSEMBLE



biographien


ROBERT REIMER – Musikalische Leitung

Robert Reimer ist ein äußerst vielseitiger Dirigent mit einem Repertoire von der Oper bis zum Ballett, vom Barock bis zur Moderne sowie von traditionellen Symphoniekonzerten bis hin zu Cross-Over-Projekten. Er gastiert regelmäßig an wichtigen Bühnen wie der Bayerischen Staatsoper München, Berliner Staatsoper »Unter den Linden«, Deutschen Oper Berlin, Stuttgarter Staatsoper, dem Grand Théâtre de Genève, Gran Teatre del Liceu Barcelona, der Finnischen Nationaloper, Königlichen Oper Kopenhagen und beim Copenhagen Opera Festival. Sein Opernrepertoire reicht von Mozart über Weber, Massenet, Tschaikowski, Wagner und Strauss bis zu Janáček, Berg, Poulenc und Ligeti. Als Ballettdirigent stand er am Pult von Produktionen wie Nussknacker, Schwanensee, Dorn­ röschen, Bayadère, Peer Gynt, Don Quixote oder Jewels, die er zuletzt 2021 beim Hong Kong Ballet dirigerte. Seit 2013 ist er außerdem regelmäßig bei europäischen Radio- und TV-Produktionen zu erleben. Im Konzertbereich führten ihn Auftritte zum Danish National Symphony Orchestra, Copenhagen Philharmonic, zur Königlichen Kapelle Kopenhagen, zum Gewandhausorchester Leipzig, hr-Sinfonieorchester, zur Deutschen Radio Philharmonie, Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz, zum Orchestre Philharmonique de Strasbourg, Tonkünstler-Orchester Niederösterreich, zur Basel Sinfonietta und Janáček Philharmonic Ostrava. Außerdem dirigierte er mehrfach die First Night beim Classic Open Air am Gendarmenmarkt mit den Berliner Symphonikern. Nach einer konzertanten Aufführung mit CD-Produktion von Wagners Tristan und Isolde mit Janáček Philharmonic Ostrava wurde Robert Reimer zum Künstlerischen Direktor und Chefdirigenten der Claude Heater Foundation mit Sitz in San Francisco ernannt, worauf mit Verdis Nabucco und Requiem weitere Produktionen in Europa und den USA folgen. 2018 leitete er die Uraufführung und CD-Produktion von La passion du Christ selon Saint-Jean von Frédéric Ledroit mit dem European Chamber Choir, der Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz und einer internationalen Solistenbesetzung in Ludwigshafen. Im Cross-Over-Bereich arbeitete Robert Reimer mit Chris de Burgh, Ute Lemper, Till Brönner, Joja Wendt oder Peter Maffay zusammen und ist dem Deutschen Filmorchester Babelsberg seit 2013 als regelmäßiger Gastdirigent verbunden. Mit der Ballettproduktion Tänze Bilder Sinfonien gab Robert Reimer sein Debüt an der Wiener Staatsoper.

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GEORGE BALANCHINE – Choreographie Symphony in Three Movements Als Georgi Balantschiwadse wurde 1904 in St. Petersburg einer der wirkungsmächtigsten Vertreter des neoklassischen Balletts geboren. Sein Lebensweg, der ihn von St. Petersburg über verschiedene Stationen im Westen Europas bis nach New York führte, liest sich wie eine Reise durch die Tanzgeschichte der letzten hundert Jahre: Verwurzelt in der Ballettwelt des zaristischen Russland und geprägt durch die Ästhetik Petipas schloss sich der Künstler in Paris den Ballets Russes und damit der Avantgarde an und nannte sich fortan George Balanchine. 1928 schuf er mit dem Ballett Apollo zur Musik Igor Strawinskis ein erstes Meisterwerk für Diaghilews Truppe und legte damit den Grundstein für seine eigene Ästhetik. Eine Einladung in die USA eröffnete Balanchine 1933 dann die Chance, konsequent an der Entwicklung seines Stils mit eigens dafür ausgebildeten Tänzern zu feilen: Der Industrielle Lincoln Kirstein konnte ihn mit der Perspektive auf eine eigene Company als Leiter einer zu gründenden Ballettschule gewinnen. 1934 eröffnete die School of American Ballet mit einer von Balanchine eigens formulierten Ausbildungskonzeption. Vom Training, das stets die Basis seines Tanzverständnisses bildete, führte der Weg zur Choreographie – und was zunächst als eine Art Übung gedacht war, geriet ihm zu seinem ersten amerikanischen Meisterwerk Serenade. Es folgten Arbeiten an der Metropolitan Opera, für Hollywood, den Broadway und immer neue Ballette für seine Company, die sich ab 1948 New York City Ballet nannte und schon bald zu den führenden Ensembles der Welt zählte. Neben zahlreichen Neukreationen – darunter Concerto Barocco (1941), The Four Temperaments (1946) und Orphée (1948) – baute Balanchine aus seinen bestehenden Werken ein breites Repertoire auf und feilte mit aller Konsequenz an seiner Ästhetik, die vor allem eines im Blick hatte: in größter Klarheit den Tanz als ein Musizieren mit dem Körper in den Mittelpunkt zu stellen. Inkarnation dieses Stils und eines der wichtigsten Beispiele der New Yorker Moderne der 1950er Jahre wurde das Ballett Agon in Zusammenarbeit mit Balanchines wichtigem künstlerischen Partner Igor Strawinski. Weitere stilprägende Werke entstanden in den folgenden beiden Jahrzehnten mit Liebeslieder Walzer (1960), Jewels (1967), Symphony in Three Movements (1972), Stravinsky Violin Concerto (1972), Chaconne (1976), Davidsbündlertänze (1980) und Mozartiana (1981). Als George Balanchine am 3. Mai 1983 in New York starb, hinterließ er ein 425 Ballette umfassendes Œuvre, aus dem zahlreiche Werke auch heute zum Repertoire der großen Compagnien weltweit gehören, darunter das Wiener Staatsballett, das seit 1964 regelmäßig Choreographien des Neoklassikers präsentiert. 73

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ALEXEI RATMANSKY – Choreographie Pictures at an Exhibition Alexei Ratmansky wurde in St. Petersburg geboren und erhielt seine Ausbildung an der Ballettschule des Moskauer Bolschoi-Theaters. Engagements führten ihn als Ersten Solotänzer an das Ukrainische Nationalballett, zum Royal Winnipeg Ballet und zum Königlich Dänischen Ballett. 2004 wurde er zum Künstlerischen Direktor des Moskauer Bolschoi-Balletts ernannt, seit 2009 ist er Artist in Residence des American Ballet Theatre. Er schuf Choreographien für das Mariinski-Ballett, Königlich Dänische und Königlich Schwedische Ballett, Het Nationale Ballet Amsterdam, New York City Ballet, San Francisco Ballet, Australian Ballet, Ballett des Staatlichen Opernhauses Kiew und Staatsballett Georgiens sowie für Künstler wie Nina Ananiashvili, Diana Vishneva oder Mikhail Baryshnikov. Für das Bolschoi-Ballett entstanden Der helle Bach (2003) und Der Bolzen (2005), seine Rekonstruktionen von Le Corsaire (2007), des sowjetischen Revolutions-Balletts Flamme von Paris (2008) und Giselle (2019). Für das American Ballet Theatre kreierte er u.a. Am Dnepr (2009), Seven Sonatas (2009), Waltz Masquerade (2009), The Nutcracker (2010), Dum­ barton (2011), Firebird und Symphony #9 (2012), Chamber Symphony, Piano Concerto #1 und The Tempest (2013), The Sleeping Beauty (2015), Serenade after Plato’s Symposium (2016), Songs of Bukovina (2017), Whipped Cream (2017), Harlequinade (2018), The Seasons (2019), Of Love and Rage (2020) und Bernstein in a Bubble (2021). Mit dem Bayerischen Staatsballett war 2014 seine Rekonstruktion von Petipas Paquita zu sehen, für das Zürcher Ballett entstand 2016 seine Rekonstruktion von Petipas und Iwanows Schwanensee. Von der russischen Theatervereinigung wurde Alexei Ratmansky zweimal mit der Goldenen Maske für Dreams of Japan (1998) und Jeu de Cartes (2007) ausgezeichnet. Für seine künstlerischen Verdienste schlug ihn Königin Margrethe II. von Dänemark 2001 zum Ritter von Dannebrog. 2005 gewann er mit der Königlich Dänischen Ballett-Produktion Anna Karenina den Prix Benois de la Danse, dem 2014 ein zweiter Benois für die Shostakovich Trilogy des ABT und San Francisco Ballet folgte. Das Bolschoi-Ballett wurde unter seiner Leitung 2005 und 2007 vom Critics’ Circle London zur »Besten ausländischen Company« gekürt. 2006 erhielt Alexei Ratmansky den Critics’ Circle National Dance Award für Der helle Bach und 2020 für die Shostakovich Trilogy. 2013 wurde er zum MacAr­ thur Foundation Fellow ernannt. Mit dem Wiener Staatsballett ist mit Pictures at an Exhibition erstmals ein Werk Ratmanskys zu erleben, dem 2022 die Neueinstudierung der für das Royal Ballet London entstandenen 24 Préludes folgen wird.

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MARTIN SCHLÄPFER – Choreographie Sinfonie Nr. 15 Martin Schläpfer leitet seit September 2020 als Ballettdirektor und Chef­­­choreograph das Wiener Staatsballett. Geboren in Altstätten (Schweiz), studierte er bei Marianne Fuchs in St. Gallen und an der Royal Ballet School in London. 1977 engagierte Heinz Spoerli ihn ins Basler Ballett, wo er schnell zu einem der charismatischsten Solisten avancierte. Ein Engagement ins Royal Winnipeg Ballet führte ihn für eine Spielzeit nach Kanada. Mit der 1990 in Basel gegründeten Schule Dance Place schuf er eine erste Basis für seine tanzpädagogische Arbeit. Mit seiner Ernennung zum Leiter des Berner Balletts begann 1994 Martin Schläpfers intensive Arbeit als Choreograph und Ballettdirektor. Seine bisherigen Ensembles – das Berner Ballett (1994 bis 1999), ballettmainz (1999 bis 2009) sowie Ballett am Rhein (2009 bis 2020) – formte er zu unverwechselbaren Compagnien. Das Ballett am Rhein wurde viermal von der Zeitschrift tanz zur »Kompanie des Jahres« gewählt und begeisterte auch auf Gastspielen in Europa, Israel, Taiwan, Japan sowie im Oman. Martin Schläpfers Schaffen umfasst über 70 Werke, die für seine Ensembles entstanden. Außerdem schuf er Uraufführungen für das Bayerische Staatsballett München, Het Nationale Ballet Amsterdam und das Stuttgarter Ballett. Das Ballett Zürich zeigte sein Forellenquintett. 2012 kehrte Martin Schläpfer für Hans van Manens The Old Man and Me als Tänzer auf die Bühne zurück, 2014 kreierte der Niederländer für ihn als Solisten die Uraufführung Alltag. 2017 war er als Choreograph und Pädagoge an Canada’s National Ballet School in Toronto zu Gast. Nachdem er 1977 den Prix de Lausanne als »Bester Schweizer Tänzer« gewonnen hatte, folgten für den Choreographen und Direktor Schläpfer zahlreiche Auszeichnungen, darunter der Kunstpreis des Landes Rheinland-Pfalz (2002), der Tanzpreis der Spoerli Foundation (2003), der Prix Benois de la Danse (2006), die Gutenbergmedaille der Stadt Mainz (2009) sowie 2009 und 2012 der deutsche Theaterpreis Der Faust. 2013 erhielt Martin Schläpfer den Schweizer Tanzpreis und 2014 den Taglioni – European Ballet Award in der Kategorie »Best Director« durch die Ma­lakhov Foundation. Sein Ballett DEEP FIELD auf eine Auftragskomposition von Adriana Hölszky war für den Prix Benois de la Danse nominiert, 2015 erhielt er den Musikpreis der Stadt Duisburg. Das Magazin tanz kürte ihn 2010 zum »Choreographen des Jahres«, 2018 und 2019 folgte dieselbe Auszeichnung durch die Kritikerumfrage der Zeitschrift Die Deutsche Bühne. Seit 2017 ist Martin Schläpfer Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und Künste. 2018 wurde er mit dem Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet, 2019 folgte die Ehrung mit dem Großen St. Galler Kulturpreis. 75

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BEN HUYS – Einstudierung Symphony in Three Movements Ben Huys wurde in Gent (Belgien) geboren und studierte an der Königlichen Ballettschule Antwerpen unter der Leitung von Jos Brabants. 1985 gewann er beim Prix de Lausanne ein Stipendium für die School of American Ballet in New York. Bereits ein Jahr später wurde er Mitglied im New York City Ballet und war dort als Solist in Choreographien von George Balanchine, Jerome Robbins und Peter Martins zu sehen. 1996 wechselte Ben Huys zum Ballett Zürich. Er gastierte am Grand Théâtre de Genève, beim Asami Maki Ballet, beim Tokyo Star Dancers Ballet und beim Suzanne Farrell Ballet. Zudem gründete er mit den Stars of American Ballet eine eigene, u.a. aus Solistinnen und Solisten des New York City Ballet, American Ballet Theatre, San Francisco Ballet, Dance Theater of Harlem und National Ballet of Canada bestehende Truppe. Zu seinem weiteren Repertoire gehörten Werke von William Forsythe, Nacho Duato, Maguy Marin, Oscar Araiz, Ohad Naharin, Heinz Spoerli und James Kudelka. Seit 1998 arbeitet Ben Huys freischaffend und wird sowohl vom George Balanchine Trust als auch vom Robbins Rights Trust mit Einstudierungen betraut. Diese führten ihn u.a. zum American Ballet Theatre, National Ballet of Canada, Mariinski-Ballett, Royal Ballet London, Königlich Dänischen Ballett, Ballet de L’Opéra de Paris, Hamburg Ballett, Berliner Staatsballett und zum Ballett am Rhein. Beim Wiener Staatsballett studierte er Apollo, Symphony in C, Emeralds aus Jewels, Duo Concertant und nun Symphony in Three Movements von George Balanchine sowie The Concert und The Four Seasons von Jerome Robbins ein.

AMAR RAMASAR – Einstudierung Pictures at an Exhibition Amar Ramasar wurde in New York geboren und erhielt seine Ausbildung an der School of American Ballet. Außerdem besuchte er Sommerworkshops beim American Ballet Theatre und der The Rock School des Pennsylvania Ballets. 2000 wurde er Apprentice beim New York City Ballet und bereits ein Jahr später zum Mitglied des Corps de ballet ernannt. 2006 folgte die Ernennung zum Solisten, 2009 zum Ersten Solisten. Mit dem New York City Ballet tanzte er u.a. in George Balanchines Agon, Divertimento No. 15, The Four Temperaments und The Nutcra­ cker sowie in Choreographien von Jerome Robbins, Benjamin Millepied und Christopher Wheeldon. Unter den Choreographen, die für ihn Rollen kreierten, sind u.a. Peter Martins, Mauro Bigonzetti, Wayne McGre-

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gor, Justin Peck und Alexei Ratmansky. Seine internationalen Auftritte führten Amar Ramasar mehrfach ans Teatro dell’Opera di Roma, u.a. als Don José in Jiří Bubeničeks Carmen. Er gastierte 2019/20 mit der Company BalletNext in New York. Am Broadway war er als Jigger Craigin in Carousel besetzt und präsentierte die preisgekrönte Choreographie 2018 bei der 72. Tony Award-Verleihung. In der Neuinszenierung der West Side Story in der Regie von Ivo van Hove und der Choreographie von Anne Teresa De Keersmaeker war er 2020 als Bernardo zu sehen. Für sein künstlerisches Schaffen wurde Amar Ramasar mehrfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Mae L. Wien Award 2000 und dem Bessie Award 2015 in der Kategorie »Outstanding Performer«.

ADELINE ANDRÉ – Kostüme Pictures at an Exhibition Die Modeschöpferin Adeline André wurde in Bangui im damaligen Französisch-Äquatorialafrika geboren und wollte zunächst Modefotografin werden. Über London kam sie nach Paris, wo sie an der École de la Chambre Syndicale de la Couture Parisienne studierte und u.a. Unterricht bei Salvador Dalí nahm, der ihre späteren Arbeiten im Grenzbereich zwischen Kunst und Mode stark beeinflusste. Mit Marc Bohan assis­tier­te sie Anfang der 1970er Jahre Christian Dior. Unterstützt von Nicolas Puech-Hermès gründete sie zusammen mit dem ungarischen Architekten István Dohár schließlich das Label Adeline André. Ihre erste Kollektion zeigte sie im März 1983 als Tableau vivant in der Galerie Daniel Templon, was sie zu einer Pionierin des bis heute anhaltenden Trends zu extravaganten Locations machte. Es folgten weitere Präsentationen an Orten wie die Cour Vitrée der École Nationale des Beaux Arts oder der Grand Salon des internationalen Konferenzzentrums, wo einst der Friedensvertrag für Vietnam unterzeichnet wurde. Aber auch ihre Mode selbst hebt sich seither mit ihren schlanken, fließenden Schnitten in exklusiven Materialien wie Seidenkrepp, Baumwollsatin und Kaschmir deutlich vom Mainstream ab. 1997 wurde Adeline André der Titel Officier de l’Ordre des Arts et des Lettres verliehen. Seit 1997 ist sie außerdem Mitglied der Chambre Syndicale de la Haute Couture Parisienne, an deren École sie seit 2010 unterrichtet. Neben ihrer Arbeit als Modedesignerin ist Adeline André auch für Museen und Galerien tätig und kreiert Kostümentwürfe für Ballett, Oper und Schauspiel.

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WENDALL K. HARRINGTON – Projection Design Pictures at an Exhibition Wendall K. Harrington blickt auf eine vielseitige Karriere in verschiedenen Bereichen, darunter Theater, Verlagswesen und Multi-Image-/ Video-Design und -Produktion zurück. 1979 gründete sie die Luminous Productions, mit denen sie Multibild- und Videoprojekte für zahlreiche Firmen produzierte. The Multi-Image Murders und Fifty Who Made the Difference wurden mehrfach ausgezeichnet, u.a. mit Gold Awards von der IFPA, dem Chicago Film Festival und dem U.S. Industrial Film Festival. Als Design-Direktorin war sie in den 1980er Jahren außerdem für den Relaunch des Men’s Magazine verantwortlich und konzipierte als leitende Redakteurin für Esquire Randy Shilts’ My Life on the AIDS Tour, das für einen National Magazine Award nominiert und in Best American Essays of 1990 veröffentlicht wurde. Zahlreiche Projection Designs entstanden für den Broadway, das Public Theater, Lincoln Center und Paramount Theater in New York, Mark Taper Forum Los Angeles und Royal National Theater London. Ihre preisgekrönten Projektionen für The Who’s Tommy am Broadway waren 1994 auf USA-Tournee sowie in Toronto, London und Frankfurt zu sehen. Ihre Projektionsdesigns für Opern umfassen Werke wie Werther an der MET, Die Zauberflöte in Florenz sowie u.a. Rusalka, Die tote Stadt, La fanciulla del West, Orfeo et Euridice, Nixon in China oder Brundibár. Im Tanzbereich arbeitete sie mit Alexei Ratmansky (Anna Karenina, Pictures at an Exhibition, Cinderella und The Firebird), Doug Varone and Dancers (Ballet Mecanique) und schuf die Projektionsdesigns für Othello für das ABT, Nutcracker für das San Francisco Ballet und Don Quixote für das Joffrey Ballet. Im Konzertbereich entwarf sie die Designs u.a. für Tourneen von Simon & Garfunkel, Chris Rock und John Fogerty. Für ihre Theaterarbeiten wurde Wendall K. Harrington mit dem Drama Desk Award, dem Outer Critic’s Circle Award, dem American Theatre Wing Award, dem TCI Award for Technical Achievement, dem Obie Award for Sustained Excellence of Projections, dem Michael Merrit Award for Collaboration, dem Ruth Morely Design Award und USITT Education Award ausgezeichnet sowie vom Players Club Theatre zur »Person of the Year« ernannt. In Vorträgen gibt Wendall K. Harrington ihr Wissen weiter, außerdem ist sie Leiterin des MFA-Programms für Projection Design an der Yale School of Drama.

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MARK STANLEY – Licht Symphony in Three Movements & Pictures at an Exhibition Mark Stanley ist seit 1986 Resident Lighting Designer beim New York City Ballet und war davor für die New York City Opera tätig. Neben Opern- und Schauspielproduktionen liegt der Schwerpunkt seiner Arbeit im Tanz. Die mittlerweile über 220 von ihm betreuten Produktionen verbinden ihn mit zahlreichen namhaften Choreograph*innen, darunter William Forsythe, Susan Marshall, Peter Martins, Benjamin Millepied, Kevin O’Day, Justin Peck, Alexei Ratmansky, Susan Stroman oder Christopher Wheeldon. Seine Lightdesigns sind bei vielen bedeutenden Compagnien in Europa und den USA zu sehen, darunter das Royal Ballet London, Ballet de L’Opéra de Paris, Königlich Dänische Ballett, Norwegische Nationalballett, Het Nationale Ballet Amsterdam, Bolschoi-Ballett Moskau, Ballett des Mariinski-Theaters, Ballett der Scala di Milano, Stuttgarter Ballett, Miami City Ballet, San Francisco Ballet, Boston Ballet, Pilobolus Dance Theatre, Alvin Ailey Dance Theater, Joffrey Ballet und Wiener Staatsballett. An der Boston University leitet Mark Stanley das Lighting Design Program und gibt in Meisterkursen in den USA und Europa sein Wissen weiter.

THOMAS ZIEGLER – Bühne & Kostüme Sinfonie Nr. 15 Thomas Ziegler, geboren in Solothurn, studierte an der Académie Julian in Paris sowie an der Schule für Gestaltung Bern und der Universität Bern. Nach Assistenzen für den Bühnenbildner Werner Hutterli ist er seit 1990 als freischaffender Bühnen- und Kostümbildner für Schauspiel, Oper und Ballett an Theatern in der Schweiz, Deutschland, Holland und England tätig. Zudem entwirft er Ausstellungskonzeptionen und grafische Gestaltungen. Mit der Regisseurin Marianne de Pury realisierte er Projekte in Sarajewo, Melbourne, Farmington und an der Kammeroper Konstanz. Für Ballette von Eric Oberdorff entstanden mehrere Designs. Im Auftrag des Antony Tudor Ballet Trusts entwarf Thomas Ziegler neue Bühnen- und Kostümbilder für Neueinstudierungen von Tudors Balletten Jardin aux lilas mit dem ballettmainz sowie den Pas de deux The Lea­ ves are Fading und Dark Elegies mit dem Ballett am Rhein. Aus seiner engen Zusammenarbeit mit dem Choreographen Martin Schläpfer sind u.a. seine Bühnen- und Kostümentwürfe zu Vom Winde beweint, Der Feuervogel, Diabelli-Variationen, Rendering, Obelisco, ein Wald, ein See, Kunst der Fuge, Ramifications, 3, Streichquartett, Violakonzert, Sinfo­ nien und Variationen und Partiten hervorzuheben. 79

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ROBERT EISENSTEIN – Licht Sinfonie Nr. 15 Robert Eisenstein wurde in Wien geboren und ist seit 1996 an der Wiener Staatsoper tätig. Während seiner Laufbahn als Lichttechniker, Programmierer und seit 2014 als Beleuchtungsinspektor der Technischen Direktion wirkte er an über 200 Opern-, Ballett- und Kinderopern-Produktionen mit. 2007 absolvierte er an der Österreichischen Theatertechnischen Gesellschaft die Beleuchtungsmeisterprüfung. Von 1998 bis 2013 war er zudem im Beleuchtungsteam der Seefestspiele Mörbisch engagiert. Seit 2015 ist Robert Eisenstein neben der Betreuung hauseigener Produktionen für die lichttechnische Umsetzungen externer Veranstaltungen in der Wiener Staatsoper verantwortlich. Zu diesen zählten u.a. der Actionfilm Mission Impossible 5, das Jazz Fest Wien und Konzerte des Wiener Mozartorchesters. Internationale Erfahrungen sammelte er auf Gastspielen und Tourneen sowie durch Lightdesigns für das japanische Fernsehen NHK im Tokio Bunka Kaikan-Konzerthaus, für das Royal Opera House Muscat im Oman, die Hamburgische Staatsoper oder das Centre Cultural Terrassa in Barcelona. Das Lightdesign für Sinfonie Nr. 15 ist Robert Eisensteins erste Zusammenarbeit mit dem Choreographen Martin Schläpfer.

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ALINA BERCU – Klavier Pictures at an Exhibition Alina Bercu, 1990 in Campina (Rumänien) geboren, studierte Klavier bei Stela Dragulin an der Musikhochschule Braşov, bei Grigory Gruzman an der Franz Liszt Universität in Weimar und bei Wolfgang Manz an der Hochschule für Musik Nürnberg. Darüber hinaus führte ein Kammermusik-Studium sie zu Michael Sanderling und Angelika Merkle an die Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt am Main. Außerdem besuchte sich Meisterkurse u.a. bei Lory Wallfisch, Rudolf Buchbinder, Leslie Howard, Robert Levin, András Schiff, Werner Bärtschi, Menahem Pressler und Karl-Heinz Kämmerling. 2017 bestand sie ihr Konzertexamen mit Auszeichnung. Konzerte führten Alina Bercu u.a. in die Carnegie Hall New York, die Bass-Performance Hall in Fort Worth, die Tonhalle Zürich, die Deutsche Oper am Rhein, die Tonhalle Düsseldorf, Die Glocke Bremen, das Prinzregententheater München, Auditorium Rom, Théâtre de Vevey oder Rumänische Athenäum in Bukarest. Sie arbeitete mit Orchestern wie den Wiener Philharmonikern, dem Orchestre de Chambre Lausanne, Mozart Orchester Hamburg, Limburg Symfonie, George Enescu Philharmonic Bukarest, den Bremer Philharmonikern, Gulf Coast Symphony Mississippi und der Orchestergesellschaft Zürich. Bereits als Jugendliche wurde Alina Bercu mit einem Preis des Rumänischen Außenministeriums ausgezeichnet. Sie war Finalistin der Clara Haskil Competition, gewann den 1. Preis und den Publikumspreis bei der Steinway & Sons International Piano Competition, den Artistic Performances Prize des Rumänischen Rundfunks, die Goldmedaille sowie 1. Preise in der Solo- und Konzertwertung der World Piano Competition in Cincinnati und wurde bei der A.M.A. Calabria International Piano Competition in Lamezia Terme ausgezeichnet. Es folgten 2. Preise beim Europäischen Klavierwettbewerb Bremen und beim ZF Musikpreis sowie Auszeichnungen im Duo Enescu mit dem Geiger Dragos Manza beim Kammermusikwettbewerb Premio Trio di Trieste. Studio- und Live-Aufnahmen von Alina Bercu wurden in die Goldene Phonothek des Rumänischen Rundfunks aufgenommen. Ihre Debüt-CD mit dem Geiger Ilian Garnetz mit Werken von Schubert und Brahms wurde mit dem Golden Label und Clef d’or ausgezeichnet. Rundfunk- und Fernsehaufnahmen entstanden mit Alina Bercu u.a. für MediciTV, NBC, Radio und Télévision Suisse Romande und Eurovision.

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Tänze Bilder Sinfonien Balanchine / Ratmansky / Schläpfer Spielzeit 2021/22 HERAUSGEBER Wiener Staatsoper GmbH, Opernring 2, 1010 Wien Direktor: Dr. Bogdan Roščić Kaufmännische Geschäftsführerin: Dr. Petra Bohuslav Direktor & Chefchoreograph Wiener Staatsballett: Martin Schläpfer Kaufmännische Leiterin Wiener Staatsballett: Mag. Simone Wohinz Redaktion: Mag. Anne do Paco, Nastasja Fischer, MA Gestaltung & Konzept: Fons Hickmann M23, Berlin Layout & Satz: Irene Neubert Hersteller: Print Alliance HAV Produktions GmbH, Bad Vöslau AUFFÜHRUNGSRECHTE Symphony in Three Movements: © The George Balanchine Trust, New York. Das Ballett wird mit Genehmigung des Trusts aufgeführt und wurde unter Berücksichtigung von Balanchine Style®- und Balanchine Technique®-ServiceStandards, wie sie der George Balanchine Trust vertritt, einstudiert. Igor Strawinski: © Schott Music GmbH & Co KG vertreten durch Universal Edition AG, Wien Pictures at an Exhibition: © Alexei Ratmansky Dance Productions Inc. Sinfonie Nr. 15: © Martin Schläpfer Dmitri Schostakowitsch: © Universal Edition AG, Wien TEXTNACHWEISE Die Texte von Anne do Paço, Nastasja Fischer und Bernd Feuchtner sind Originalbeiträge für dieses Programmheft. Die Zitate von Martin Schläpfer, Alexei Ratmansky und Amar Ramasar entstammen Wiener Gesprächsnotizen. Die Übersetzung von Über die heutige Vorstellung stammt von Schweickhardt. Das Übersetzungsbüro, Wien. S. 9: Nancy Goldner: Balanchine Variations. Gainesville, Florida 2008 / S. 10: George Balanchine, Francis Mason: Balanchine’s Complete Stories of the Great Ballets. New York 1954; Mr. B. Talks About Ballet. In: Robert Gottlieb: Balanchine. The Ballet Maker. London 2006 (Auszug / aus

dem Englischen für dieses Programmheft übertragen von Anne do Paço) / S. 22: Günther Heeg: Bild/Bewegung. Das Theater der Visualität. In: Kati Röttger, Alexander Jackob (Hrsg.): Theater und Bild. Inszenierungen des Sehens. Bielefeld 2007 (Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors) / S. 28: Dorion Weickmann: The Ratmansky Project. In: tanz – Zeitschrift für Ballett, Tanz und Performance. Heft 12/2017 (Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Autorin) / S. 30: Modest Mussorgski: Briefe. Hrsg. und übertragen von Dieter Lehmann unter Mitarbeit von Christoph Hellmundt. Leipzig 1984 / S. 32: Michael Russ: Musorgsky. Pictures at an Exhibition. Cambridge 1992 (aus dem Englischen für dieses Programmheft übertragen von Nastasja Fischer) / S. 48: Isaak Dawydowitsch Glikman zitiert nach: Dmitri Schostako­ witsch. Chaos statt Musik? Briefe an einen Freund. Hrsg. und kommentiert von Isaak Dawydowitsch Glikman. Aus dem Russischen von Thomas Klein und Reimar Westendorf. Berlin 1995. Nachdruck nur mit Genehmigung des Wiener Staats­ balletts/Dramaturgie. BILDNACHWEISE Cover: Erosion des Randes der südpolaren Schichtab­ lagerungen © NASA/JPL-Caltech/University of Arizona / S. 8: © Martha Swope, New York Public Library Digital Collections / alle Probenfotos sowie die Porträts auf S. 23 und 42: © Ashley Taylor/Wiener Staatsballett / S. 64–69 und 75: © Andreas Jakwerth/Wiener Staats­ ballett / S. 72: © Nora Heinisch für Win Village Agency / S. 73: © Jack de Nijs/ANEFO / S. 74, 75 oben, 78, 79 oben: z.V.g. / S. 75 unten: © Paul Kolnik / S. 76: © Laurence Sudre / S. 79 unten: © Gert Weigelt / S. 80: © Michael Pöhn/Wiener Staatsoper / S. 81: © Susanne Diesner Rechteinhaber, die nicht erreicht werden konnten, werden zwecks nachträglicher Rechtsabgeltung um Nachricht gebeten.


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