LA TRAVIATA Giuseppe Verdi
INHALT
Die Handlung Synopsis in English Über dieses Programmbuch Wurzeln im Belcanto, Zweige in der Zukunft
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→ Giacomo Sagripanti 10
Der Regisseur als Geschichtenerzähler → Interview mit Simon Stone 15 Wie aus der Margerite ein Veilchen wurde → Oliver Láng 20 Trotzdem beliebt → Andreas Láng 28 Der Mythos der Traviata → Tzvetan Todorov 36 Die Bruchlinien unseres Lebens → Claire Marin 44 Die Partitur im Fokus → Jendrik Springer 50 Voci Verdiane → Michael Kraus 61 Krankheit als Metapher → Susan Sontag 70 Ein blutiges Taschentuch postet man nicht auf Instagram → Christina Böck 78 Soziale Schranken und gläserne Barrieren – gestern und heute → Max Haller 86
LA TRAVIATA → Melodramma in drei Akten Musik Giuseppe Verdi Text Francesco Maria Piave nach Alexandre Dumas d.J.
Orchesterbesetzung 2 Flöten (zweite auch Piccoloflöte), 2 Oboen, 2 Klarinetten, 2 Fagotte, 4 Hörner, 2 Trompeten, 3 Posaunen, Cimbasso, Pauken, Schlagzeug, Streicher Bühnenmusik Harfe, 2 Flöten (auch Piccolo), 2 Oboen, 2 Klarinetten, 2 Fagotte, 4 Hörner, 2 Posaunen, Schlagwerk, Violine I, Violine II, Violoncello, Kontrabass
Spieldauer ca. 2 Stunden 45 Minuten inkl. je einer Pause nach dem 1. und 2. Akt Autograph Verlags-Archiv Ricordi Uraufführung 6. März 1853, Teatro La Fenice, Venedig Erstaufführung der zweiten Fassung 6. Mai 1854, Teatro S. Benedetto, Venedig Erstaufführung an der Wiener Hofoper 11. März 1876
DIE HANDLUNG 1. Akt Violetta Valéry, käufliches Wunschobjekt der Pariser Gesellschaft, feiert ausgelassen – nach langer Krankheit nur scheinbar genesen. Alfredo, ein junger Mann aus der Provinz, preist in einem Trinklied die wahre Liebe. Violetta hingegen bekennt sich zum unbeschwerten Lebensgenuss. Inmitten des ausgelassenen Fests erleidet sie einen Schwächeanfall. Als sie sich von der Menge zurückzieht, gesteht ihr Alfredo seine Liebe, auf die sich Violetta nicht einlassen will: Sie könne ihm nur Freundschaft, nicht aber Liebe versprechen. Doch schnell gerät sie in einen Zwiespalt der Gefühle: Soll sie ihr bisheriges Leben aufgeben und Gefühle zulassen?
2. Akt Violetta und Alfredo sind ein Paar und haben sich aufs Land zurückgezogen. Violetta sind seither große Schulden entstanden, die sie vor Alfredo geheim hält. Als er von Violettas Haushälterin Annina erfährt, dass Violetta ihr Habe verkauft, um den gemeinsamen Haushalt weiter finanzieren zu können, reist er nach Paris, um seinerseits die notwendigen Mittel bereitzustellen. Während seiner Abwesenheit fordert Alfredos Vater von Violetta das Ende der Beziehung, die den Ruf der Familie und damit die Verlobung von Alfredos Schwester gefährdet. Nach langem Kampf willigt Violetta ein, sich für das Glück der Schwester zu opfern. Sie schreibt einen Abschiedsbrief, entzieht sich dem zurückkehrenden Alfredo und reist heimlich nach Paris. Alfredo, dem sie ihren Brief überbringen lässt, vermutet, Baron Douphol habe ihm Violetta ausgespannt. Als er ihre Einladung zu einem Fest findet, folgt er ihr, um Rache nehmen.
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Bei dem orgiastischen Fest geht es hoch her. Alfredo gewinnt im Glücks spiel und reizt Douphol. Violetta will eine weitere Eskalation verhindern und bittet Alfredo um ein Gespräch, in dem sie ihm aber den wahren Grund ihres Bruches verschweigt. Von Alfredo bedrängt, erklärt sie, den Baron zu lieben. Voll Zorn und Enttäuschung beleidigt Alfredo – zum Entsetzen der Anwesenden – Violetta aufs Gröbste.
3. Akt Die verarmte Violetta ist dem Tod nahe. Einer Nachricht von Alfredos Vater entnimmt sie, dass dieser nun die Wahrheit kennt und um ihr Opfer weiß. Doch der endlich ankommende Geliebte trifft, ebenso wie sein herbeigeeilter Vater, nur noch eine Sterbende an.
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SYNOPSIS Act 1 Violetta Valéry, a high-priced object of desire in Paris society, is out wildly partying again after a long sickness, but only seemingly recovered. Alfredo, a young man from the country, sings and toasts to the praises of true love. However, Violetta confesses to a different lifestyle of carefree enjoyment of life. In the middle of the wild party she suddenly passes out. After she withdraws from the crowd, Alfredo admits his love for her which Violetta does not want to accept: she can only promise him friendship but not love. But quickly she is overwhelmed by a conflict of feelings: should she give up her life now and accept her feelings?
Act 2 Violetta and Alfredo are now a couple and have retreated to the countryside. Since then Violetta has accumulated large debts which she is keeping secret from Alfredo. When Alfredo hears from Violetta’s housemaid Annina that she has sold her belongings in order to further finance their shared household, he quickly returns to Paris to do his part and provide for them the necessary means. During Alfredo’s absence, his father demands that Violetta end the relationship in order to not endanger the family’s honor and therefore engagement of his daughter. After a long fight, Violetta consents and sacrifices her own happiness for the sake of Alfredo’s sister. She writes a farewell letter, avoids his return and secretly travels to Paris by herself. After he has read her delivered letter, Alfredo suspects Baron Douphol has stolen Violetta away from him. When he finds invitation for her to a Parisian party, he follows her in order to take his revenge.
SY NOPSIS
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At the orgiastic party, feelings are riding high. Alfredo wins at gambling and provokes Douphol. Violetta tries to prevent a further confrontation and asks to talk with Alfredo privately, in which she however withholds from him the true reason for their breakup. When Alfredo pressures her, she admits to him that she loves the Baron. Filled with rage and disappointment, Alfredo insults Violetta as roughly and dirty as possible – horrifying every one in the room.
Act 3 The impoverished Violetta is close to dying. Receiving a letter from Alfredo’s father, she hears that Alfredo now knows the truth and understands her sacrifice. But as the lover finally arrives, together with his father who has also hurried over, they find only someone who is dying.
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SY NOPSIS
ÜBER DIESES PROGRAMMBUCH
Giuseppe Verdis La traviata basiert auf dem Roman und dem gleichnamigen Schauspiel Die Kameliendame von Alexandre Dumas Sohn. In diesem wird die – autobiografisch gefärbte – unglückliche Liebesbeziehung des Armand Duval mit der Kurtisane Marguerite Gautier erzählt. Dumas setzte mit diesem Werk, das zu gleichen Teilen kalkulierter Skandal und kritische Auseinandersetzung mit der Gesellschaft war, der prominenten, an Schwindsucht verstorbenen Kurtisane Marie Duplessis ein Denkmal. Verdi, der den Roman, womöglich auch das Schauspiel kannte, entdeckte im Stoff das Kühne, Gewagte, Grandiose und Schöne nach dem er lange gesucht hatte und ließ sich von Francesco Maria Piave ein Libretto erstellen, das sich recht eng an die Schauspielvorlage hält. Nach einem anfänglichen (zumindest halben) Misserfolg 1853 am Teatro La Fenice in Venedig konnte sich La traviata in einer zweiten, minimal überarbeiteten Fassung ab 1854 international schnell durchsetzen. Wie dabei aus einem literarischen Sittengemälde der Mythos von der Märtyrerin der Liebe werden konnte, zeigt uns Tzvetan Todorov (S. 36). Die Genese der Oper skizziert Oliver Láng ab S. 20. Erstaunlich ist, dass die bisherige Aufführungsgeschichte im Haus am Ring, an dem La traviata nach Aida die meistgespielte Verdi-Oper ist, ohne eine ikonische Traviata auskommen musste – diesen unerwarteten Befund arbeitet Andreas Láng in seinem Beitrag über die Aufführungsgeschichte der Staatsoper heraus. Die überaus bekannte Musik von La traviata, die Verdi in ungewöhnlich kurzer Zeit schuf und mit der er gleichwohl Neuland betrat, wird in diesem Programmbuch aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet: Giacomo Sagripanti, der Dirigent der Neuproduktion, zeichnet die Verwurzelung der Oper im Belcanto und wirft Schlaglichter auf die dramaturgisch fundierten Kompositionstechniken Verdis. Michael Kraus stellt die Frage nach dem Wie Ü BER DIE SE S PROGR A M MBUCH
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des Verdi-Gesangs und Jendrik Springer legt einen Hör-Leitfaden durch das Werk (S. 50). Ein Ausschnitt aus Susan Sontags bahnbrechendem Essay Krankheit als Metapher zeigt auf, welche Zuschreibungen, Assoziationen und Bilder an Tuberkulose und Krebs hingen bzw. nach wie vor hängen. Dass La traviata an heutige Zuschauerinnen und Zuschauer die Frage nach dem persönlichen Umgang mit Bindungen und dem Lösen dieser stellt, beschreibt die französische Schriftstellerin Claire Marin (S. 44). Und dass die in dieser Oper thematisierte gesellschaftliche Lüge im 19. wie im 21. Jahrhundert gleichermaßen alltäglich ist, zeigt Christina Böck unter Bezugnahme auf soziale Medien wie Instagram – die in der aktuellen Inszenierung von Simon Stone fast allgegenwärtig sind. Dessen Auseinandersetzung mit dem Werk und seine Inszenierungsstrategie beschreibt er in einem Gespräch mit Staatsopern-Direktor Bogdan Roščić (S. 15). Simon Stones These nach wie vor bestehender gesellschaftlicher Schranken untermauert der Soziologe Max Haller (S. 86). 7
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Juan Diego Flórez als Alfredo und Pretty Yende als Violetta
Giacomo Sagripanti
WURZELN IM BELCANTO, ZWEIGE IN DER ZUKUNFT
Der Premierendirigent über La traviata
La traviata gehört zur sogenannten »trilogia popolare« des Komponisten, zusammen mit Rigoletto und Il trovatore. Diese drei Opern zeigen bereits die volle Meisterschaft Verdis, insbesondere die differenzierte psychologische Charakterisierung, lassen sich aber noch vom Belcanto her verstehen, also vom Stil der Opern Rossinis, Bellinis und Donizettis. La traviata ist ein Echo dieser Epoche, dort hat die Oper ihre Wurzeln. Violettas Cabaletta »Sempre libera«, also der schnelle Teil ihrer Arie im 1. Akt, könnte auch von Bellini stammen. Sie ähnelt sogar in vieler Hinsicht der berühmten Cabaletta der Elvira aus I puritani. Für einen Dirigenten geht es im Belcanto in erster Linie darum, die Stimme zu verstehen: ihren Atem, ihren Klang, ihre Tragfähigkeit. Man kann Violetta und Alfredo mit etwas leichteren oder etwas schwereren Stimmen besetzen – beides ist möglich, aber daraus folgen jeweils bestimmte Tempi und bestimmte Balancen. Man kann das Tempo nicht unabhängig von der Stimme festlegen. Und immer braucht man eine elastische Art des Dirigierens, einen Atem auch in der Begleitung. Neben diesem Fokus auf die Stimme ist mir ein zweiter Aspekt besonders wichtig: Verdi strukturiert seine Musik durch sogenannte parole sceniche. Das ist ein Fachausdruck, den man etwa mit »szenische Schlüsselwörter« übersetzen kann. Diese Wörter geben an, worum es in dem jeweiligen Dialog oder in der Arie geht, die Musik leuchtet wie mit einem Scheinwerfer darauf. Selbst wenn man nicht jedes Wort versteht, ist das Schlüsselwort immer so komponiert, dass es einem nicht entgehen kann. Die parola scenica ist also wie eine Überschrift für die jeweilige Musik. Verdi hat seine Librettisten explizit aufgefordert, ihm diese Schlüsselwörter zu liefern, damit er musikalisch darauf reagieren kann. Puccini arbeitet ganz anders, er komponiert jeden Moment, hochaufgelöst wie einen Film. Verdi fasst hingegen etwas längere Passagen zusammen. Ein Beispiel: Als Violetta sich im Gespräch mit Germont dazu entscheidet, zugunsten von Alfredos Schwester ihre eigene Liebesbeziehung zu opfern, singt sie: Dite alla giovine – sì bella e pura Ch’avvi una vittima – della sventura, Cui resta un unico – raggio di bene Che a lei il sacrifica – e che morrà!
Sagt dem jungen Mädchen, das so schön und rein ist, dass es ein Opfer des Unglücks gibt, dem nur ein Strahl des Glücks bleibt, den es jetzt ihr opfert, und dann sterben wird!
Die Musik an dieser Stelle ist sehr intim, schlicht und innig, wie ein Gebet. Zunächst wundert man sich vielleicht, dass diese wunderschöne Musik zu hören ist, wenn Violetta von der ihr unbekannten Schwester Alfredos spricht. Aber dann versteht man: Sie vergleicht sich mit der Schwester, sie erkennt sich in der jungen Frau wieder, die eine Chance bekommen soll, die 11
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sie nie gehabt hat. »Pura«, also »rein«, ist hier die parola scenica. Ich habe der Sängerin gesagt, sie soll das »pura« quasi mit drei »p« am Anfang aussprechen, um es zu betonen. Ein zweites Beispiel ist das Duett von Violetta und Alfredo. Die Musik beleuchtet Alfredos Melodie »Di quell’amor«. Das oft wiederholte Schlüsselwort ist hier »amor«, also »Liebe«. Davon spricht auch die Musik. Dass Violetta Alfredo eigentlich auffordert, sie zu vergessen, geht dagegen fast unter. Wir verstehen durch die Musik: Ihre Ablehnung ist ein Flirt, ein Spiel, vielleicht auch ein ernsthaftes Zögern von ihrer Seite – aber eigentlich sind die beiden längst ineinander verliebt. Die Melodie ist übrigens eines der beiden Themen aus dem Vorspiel, es wird im 2. Akt zu ihrem leidenschaftlichen Flehen »Amami, Alfredo«, und es erklingt erneut, wenn Violetta im letzten Akt den Brief liest und auf Alfredo wartet. Es ist das Liebesmotiv dieser Oper. La traviata ist durchzogen vom Walzer, der als Gesellschaftstanz im Paris dieser Zeit sehr populär war. Der schnelle Walzer steht für die Vergnügungen in den eleganten Salons. Violettas »Sempre libera« ist ein solcher Walzer, ebenso Alfredos Trinklied zu Beginn. Mit dem Orchester habe ich daran gearbeitet, diesen Walzer ein wenig »italienischer« klingen zu lassen, auch wenn er nahe am Wiener Walzer ist. Aber er ist doch ein wenig anders als das, was man beim Neujahrskonzert spielt, etwas feiner und kultivierter vielleicht, wenn man das in Wien sagen darf. Auch »Addio del passato« steht im Dreiertakt und kommt damit einem langsamen Walzer nahe, auch wenn es den zur Entstehungszeit noch nicht gab. Es ist die traurige, langsamere Version dieses Modells, das für die Rückschau auf die fröhlichen Tage benutzt wird. Man kann La traviata daher auch als eine Art Metamorphose des Walzers bezeichnen. Violetta ist das Zentrum dieser Oper, sie ist die Sonne im Planetensystem der Figuren. Alle anderen reagieren nur auf sie, niemand verändert sich so stark wie Violetta. In Rigoletto hat Verdi diese Fokussierung auf einen Charakter zum ersten Mal realisiert, in La traviata macht er es mit der weiblichen Hauptfigur. Die anderen sind dagegen ziemlich starre Charaktere: Alfredo ist am Ende der Oper nicht viel anders als am Beginn. Flora, Annina und Douphol bleiben immer dieselben. Mit Germont verhält es sich etwas anders: In dem Duett hat er die Chance zu erkennen, was für eine besondere Frau Violetta ist. Ab dem Moment, in dem sie sagt, dass sie sterben wird, fühlt er sich ihr sehr verbunden. Aber an seinem Verhalten ändert das nichts; er geht und lässt sie allein. Damit macht er den gleichen Fehler wie Alfredo – vielleicht einen noch größeren, weil er diese Frau verstanden hat. Alfredo ist jung und naiv, er ist sich der Situation nicht bewusst, Germont weiß, was er tut. Er ist auch derjenige, der Violetta am Ende den Brief schreibt. Aber seine Veränderung kommt zu spät. Er ist ein einfacher, langsamer Mann, was sich auch in seiner Musik ausdrückt: Seine Arie »Di provenza« ist sehr
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schlicht. Er singt nach der alten Belcanto-Art, und sogar die Cabaletta ist langsam. Diese Cabaletta Germonts wird oft gestrichen, sie ist jedoch sehr wichtig, weil sie den Unterschied zwischen den beiden noch deutlicher macht: Sie ist eine moderne, sensible Frau, er ein alter, einfach denkender Mann. Auch die Cabeletta des letzten Duetts zwischen Alfredo und Violetta wird oft gestrichen, bei uns jedoch nicht. Wir machen sie inklusive der zweiten Strophe, weil das Ende dieses Duetts musikalisch besonders interessant ist. Zurück zu Violetta: Ihre extreme psychologische Entwicklung spiegelt sich in ihrer Stimmgebung: Zu Beginn des 1. Akts ist sie die pure Leichtigkeit, am Ende ist sie eine ernsthafte Frau, die dem Tod entgegensieht. Das spiegelt sich auch in der Musik, was dazu führt, dass man fast drei verschiedene Violettas bräuchte, um jedem Moment gerecht zu werden. Die Violetta des Beginns ist so naiv, so frei; sie ist der Star von Paris, die Musik funkelt wie der Champagner. Im langsamen Teil ihrer ersten Arie gibt es aber schon einen Moment, in dem es etwas ernsthafter und auch lyrischer wird: als sie überlegt, dass Alfredo vielleicht der Mann für eine ernsthafte Beziehung sein könnte. Hier muss die Sopranistin schon eine andere Stimmfarbe nutzen. Die entscheidende Veränderung geschieht aber im Duett mit Germont, als sie »morrò« singt, also: Ich werde sterben. Ab da geht es für Violetta nicht mehr darum, ob sie glücklich wird oder nicht – sie hat ihre Entscheidung getroffen. Es ist, als wäre sie in einem Moment zehn Jahre gealtert, danach ist sie eine andere Frau, auch stimmlich. Im 3. Akt identifiziert sie sich mit dem Tod, und insbesondere ihr Sterben ist musikalisch ganz außergewöhnlich komponiert. Violetta gibt Alfredo zum Abschied ihr Bild und fordert ihn auf, nach ihrem Tod eine andere zu heiraten. Damit beginnt ihr Übergang in die andere Welt. Dazu ist im Orchester dieser erschreckende Trauermarsch-Rhythmus zu hören, der die Endgültigkeit der Situation deutlich macht. Ganz am Schluss, wenn sie schon dabei ist, diese Welt zu verlassen, hört Violetta auf zu singen: Über ihren letzten Worten »Cessarono gli spasimi« (»Die Krämpfe hörten auf«) steht »parlando«, aber damit ist nicht der normale italienische Sprechgesang gemeint, auch wenn Verdi die Tonhöhen fixiert hat. Er hat sich bemüht, mit Hilfe der Notenschrift so genau wie möglich anzugeben, was er meint, aber hier geraten wir an die Grenzen der Musik. Hier ist nur noch die Schauspielkunst der Sängerin gefragt, die über der Musik, aber auch mit der Musik sprechen muss. Ich als Dirigent kann dabei nicht mehr helfen. Der Begriff des Gesamtkunstwerks kommt mir in den Sinn – hier vereinen sich Musik, Szene, Text zu einem ganz besonderen Moment, der mehr ist als Theater. Das hat auch mit dem Belcanto nichts mehr zu tun, sondern verweist musikalisch in die Zukunft. Es ist ein unglaublicher Moment und einer der Gründe, warum wir La traviata heute noch spielen.
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W U R ZELN IM BELCA N TO, Z W EIGE IN DER Z U K U N F T
DER REGISSEUR ALS GESCHICHTEN ERZÄHLER Staatsoperndirektor Bogdan Roščić und Traviata-Regisseur Simon Stone im Gespräch
BOGDAN ROŠČIĆ Simon, Du gibst mit der Traviata-Premiere dein Hausdebüt, bist aber
nicht zum ersten Mal in der Wiener Staatsoper. An Deinen ersten Besuch knüpft sich eine sehr persönliche Geschichte. SIMON STONE Es war der 27. Dezember 1995, ich war elf Jahre alt und stand nicht am Stehplatz, sondern wir haben uns sogar Karten zu 300 Schilling pro Stück gegönnt. Es wurde die Zauberflöte in einer Inszenierung von Otto Schenk gegeben und ich kann mich erinnern, wie zauberhaft der Abend war. Vor allem aber war es der letzte Urlaub, den wir in Europa verbracht haben, bevor wir nach Australien zogen, knapp vor dem Tod meines Vaters: also der letzte Urlaub als komplette Familie. Für mich stecken demnach viele Erinnerungen in diesem Opernbesuch. Als sich vor ein paar Tagen bei der ersten Bühnenorchesterprobe der Raum mit Musik füllte, hatte ich ein Flashback – zu meinem elfjährigen Ich. ROŠČIĆ Als Regisseur am Sprechtheater inszenierst Du nicht nur, sondern schreibst dabei bekannte Stoffe neu. Dabei handelt es sich nicht um jenes assoziative Dekonstruieren, wie es ziemlich en vogue ist und meiner Ansicht nach das Theater gerade zum Teil zerstört, sondern ← Juan Diego Flórez als Alfredo es ist wie ein Übersetzen von ewigen Stoffen und Narrativen in eine 15
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heutige Sprache, in heutige Realitäten, Sensibilitäten. Ein solcher Regie-Zugang ist in der Oper nicht möglich. Worin liegt dann aber der Reiz des Musiktheater-Inszenierens? STONE Ich finde, dass die Musik, im Gegensatz zur Sprache, immer zeit los ist. Die gregorianischen Choräle, also Musik, die vor mehr als 1000 Jahren entstanden ist, sprechen immer noch zu uns und bedeuten uns etwas. Das ist eine abstrakte Form der Kommunikation, etwas aus der Seele Kommendes, Instinktives, Wahres. Die Sprache hingegen ändert sich laufend, innerhalb von einem Jahrzehnt, einer Generation! Wenn man nur Slang reden würde, könnte man sich zwischen den Generationen kaum verstehen. Sprache erneuert sich laufend, auch durch unterschiedliche Einflüsse wie Migration und das Mischen von Kulturen. Und das macht auch die Schönheit der Sprache aus: sie zeigt immer einen Ausschnitt des wirklichen Lebens. ROŠČIĆ Und eine Verbindung zwischen einem archaischen Italienisch, das schon zur Uraufführung nicht gesprochen wurde und der Musik – wie es in der Traviata der Fall ist – behindert Dich nicht? STONE Nein, weil die Musik die Übersetzung ist. Das Einzige, was ich machen muss, ist, sie für die Zuschauer zugänglich zu machen. Damit diese sehen können, wie modern das Stück ist. Wenn man nun das – sprachlich altmodische – Libretto zu sehr mit einer Inszenierung unterstützt, kann es ein bisschen ablenkend sein. Aber Verdi war ein totaler Radikaler – und das zeigen wir auch! ROŠČIĆ Im Schauspiel wählst Du Stoffe, die eine Gültigkeit für alle Zeiten haben. Das »Vom-Weg-Abgekommen« kann uns heute aber nicht mehr schockieren, ebenso wenig wie Promiskuität oder bezahlter Sex, ob in den etwas verbrämten Formen des 19. Jahrhunderts oder in den moderneren, pur transaktionalen. Was macht dann aber die zeitgenössische Kraft des Stückes aus? STONE Für mich braucht dieses Stück keine Prostituierte, um zu funk tionieren. Davon wird in der Oper übrigens gar nicht gesprochen – außer im Vorwurf Alfredos im 2. Akt, als er Violetta »bezahlt«. Das kann aber auch anders interpretiert werden, etwa durch ihre hohen Schulden, die er bezahlt. Bei uns ist Violetta absolut keine Kurtisane. ROŠČIĆ Sie ist ein It-Girl, eine Kapitalistin der Aufmerksamkeitsökonomie, hat unzählige Follower, sie ist eine Influencerin. Es gibt in deiner Inszenierung am Anfang eine wunderbare Vignette, als ihre Mutter ihr in einer kleinen Nachricht empfiehlt, Selleriesaft zu trinken, was Violetta sofort, nicht unbedingt sympathisch, in ein Product-Placement übersetzt. Peter Handke hat den schönen Satz geschrieben: Von dem, was die anderen nicht über mich wissen, lebe ich. Bei Violetta ist es umgekehrt. STONE Ja, die soziale Währung der heutigen Welt ist es, seine Persönlich keit zu verlieren. Vollkommen. Und allen anderen zu gehören. Es BOGDA N ROŠČIĆ U N D SIMON STON E IM GE SPR ÄCH
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gibt nichts Privates mehr. Und das ist sehr nahe an der Kurtisane des 19. Jahrhunderts, da war ebenso nichts mehr privat. Die Gesellschaft verwendet, was sie von dir verwenden will und beutet aus. Bis einer oder eine leer ist, keine Kraft mehr hat, nichts. ROŠČIĆ Das wäre gewissermaßen die digitale Schwindsucht von Violetta. Aber will sie das? Braucht sie das? Ein Credo des digitalen Zeitalters ist bekanntlich die Authentizität, die natürlich zur völligen Verlogenheit führt. Man schleckt online ein Bild von sich zurecht, das der Welt letztlich nur signalisiert: Kauf mich. STONE Ich glaube, sie macht das alles, weil es ihr den Zugang zu einer Welt ermöglicht, zu der sie nie gehört hat. Sie ist in Armut, in schlechten Verhältnissen aufgewachsen. Violetta ist bei Verdi übrigens auch eine Celebrity, mit der jeder Party machen will. Aber das hat keinen Wert: Weil man irgendwann aus dem Spiel rausfällt und vergessen wird. Es gibt so viele Geschichten von Popstars, die vergessen wurden und am Ende anonym in der Gosse gestorben sind. ROŠČIĆ Aber während die Performance läuft, ist diese Droge sehr potent. Georg Franck, der den Betriff der Aufmerksamkeitsökonomie prägte, formuliert das so: »Die Aufmerksamkeit anderer Menschen ist die Unwiderstehlichste aller Drogen. Ihr Bezug sticht jedes andere Einkommen aus. Darum steht der Ruhm über der Macht, darum verblasst der Reichtum neben der Prominenz.« STONE Man darf aber nicht unterschätzen, wie viel Macht etwa ein Rupert Murdoch besitzt. Er hat Regierungen eingesetzt und andere gesprengt. Er ist der Königsmacher, er ist einer, der Menschen zur Celebrity werden lässt – oder eben nicht. Auch wenn der Ruf unglaublich wichtig ist, um an den Machtspielen teilzunehmen, gibt es stets jemanden, der darüber steht, die Macht hat und sagt: Du erhältst Zugang und du erhältst ihn nicht. ROŠČIĆ In La traviata ist der gesellschaftliche Makel der Violetta die eigentliche Triebfeder der Handlung. Wenn Violetta keine Kurtisane ist – was ist dann das Stigma ihrer Verbindung zu Alfredo? STONE Sie gehört einfach zur unteren Gesellschaftsschicht. Die Germonts hingegen sind das alte Geld, der Einfluss, die Macht. Das ist etwas, was es angeblich nicht mehr gibt – und doch existiert es. Auf der ganzen Welt, nach wie vor. Und für solche Menschen ist es ein bisschen unelegant, jemanden wie Violetta in der Familie zu haben. Man kann das ganz gut mit der Beziehung zwischen Meghan Markle und Prince Harry vergleichen. ROŠČIĆ Dir war es von Anfang an sehr wichtig, dass Violetta auch klar erkennbar Mitglied einer Minderheit ist. Ich selbst habe vor 30 Jahren in einer Wiener Zeitung gearbeitet, an der es damals nach Einschätzung einer Führungskraft nicht möglich war, den größten Star der Welt, nämlich Michael Jackson auf die Titelseite zu bringen – wegen seiner Haut farbe. Seither ist viel geschehen, wie virulent ist das Thema für Dich? 17
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STONE Wir sind in Österreich erst am Anfang der Diskussion. Ich führe heute noch Gespräche mit Menschen, die glauben, dass sie das N-Wort benutzen dürfen. Das war in New York bereits in den 1980ern abgeschafft. Aber in Österreich und Deutschland und in anderen zentraleuropäischen Ländern sind diese Bewegungen nach dem Zweiten Weltkrieg, weil so viel anderes zu tun war, stecken geblieben, im Sinne von: »Das ist ein Thema, das wir später aufarbeiten«. Aber jetzt sind wir angekommen. Trotz aller Versuche, die Migration zu kontrollieren, ist auch Österreich viel multikultureller geworden. Irgendwann wird es die alte, europäische, weiße Mehrheit nicht mehr geben. ROŠČIĆ Ein Detail muss ich ansprechen, es ging schon durch die Presse. Im 2. Akt, Violetta und Alfredo sind am Land, ein sehr vorübergehendes Idyll genießend, dessen Ablaufdatum stark spürbar ist, war von Dir an dieser Stelle eine Kuh auf der Bühne geplant. In Paris – diese Traviata ist ja eine Koproduktion zwischen Paris und Wien – war tatsächlich eine zu sehen, hier in Wien ist es aus Tierschutzauflagen nicht möglich. Worin liegt für dich die Kraft dieses Bildes? STONE Es ist echt. Man versteht es ganz schnell: Mit diesem Bild ist man sofort am Land. Ebenso wollten wir möglichst nahe am echten Paris bleiben und zeigen im ersten Akt die Jeanne d’Arc in der Nähe der Tuillerien – mit nur einem Objekt versteht man genau, wo man ist. ROŠČIĆ Wenn ich mich zum Beispiel an Billie Piper in deiner Version von Lorcas Yerma, die in London und New York mit großem Erfolg gelaufen ist, erinnere, dann war das ein Naturereignis. Eine Personenführung auf einem solch hohem Niveau erlebt man bei Operninszenierungen selten. Natürlich: Oper muss auch anderen Kriterien genügen, es wird manchmal nach rein vokalen Kriterien besetzt und die Darsteller haben handfest zu tun, das Szenische gleichzeitig zum physischen Akt des Singens zu bewältigen. Empfindest Du das als Einschränkung? STONE Ich finde, es gibt heutzutage wirklich Sängerinnen und Sänger, die es hinkriegen, ganz realistisch, naturalistisch, psychologisch und echt zu spielen. Und gleichzeitig schön zu singen. Pretty Yende steht auf dieser Liste ganz oben. Gene Kelly konnte das in den 1950ern, es gibt also keinen Grund, warum es heute, im 21. Jahrhundert, nicht gehen sollte. Wenn Gene Kelly Singin’ in the Rain gestaltet, dann lebt er sein Leben, während er singt. Und bei Pretty ist es genauso. Jede Sängerin muss das für sich finden, muss die Seele in sich finden, die singen will. Und dann kann diese Seele ganz realistische Sachen gleichzeitig machen. Aber wenn der Akt des Singens vom normalen Leben getrennt ist, eine psychische oder physische Schwelle überschreiten muss, dann wird es schwer, beides zusammenzubringen. Das ist mehr eine philosophische Herausforderung. Wenn jemand diese Kluft im Kopf übersprungen hat, ist es sehr einfach, ihn oder sie ebenso zu inszenieren,
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wie ich Schauspielerinnen und Schauspieler auf einer Bühne inszeniere. Es gibt jedoch einen anderen Unterschied: Das Unglaubliche an Sängerinnen und Sängern ist, dass man Ihnen in der Probe Anweisungen geben kann: Zuerst machen wir das, dann machst du das, und das, und dann wieder das. Sie hören Dir zu und können all das exakt umsetzen. Das ist außerordentlich. Das bekommt man von Schauspielerinnen und Schauspielern nicht. Dass sie durch alle emotionalen Höhen und Tiefen gehen, während sie sich präzise an ein Timing erinnern. ROŠČIĆ Das Bühnenbild dieser Traviata ist für mich besonders spektakulär, es ist geprägt von einem intensiven Einsatz von Video in einer neuartigen Form. Nun gibt es eine stereotype Meinung in der Opernwelt, die gerne sagt: »Das sieht gut aus, aber es lenkt von Musik und der Bühne ab«. Eine Ansicht, die wir beide nicht teilen. STONE Zunächst: Es ist Oper, keine Symphonie, kein Konzert mit Ge sang. Wenn die großen Erfinder der Oper lieber Konzerte machen wollten, dann hätten sie das auch getan. Aber es ging immer um die Mischung von Musik und Szene. Das ist das Großartige. Einen Aspekt wegzulassen, also die szenische Darstellung in der Oper zu streichen, hieße die Kunstform um etwas Elementares zu betrügen. Zweitens: Wenn man die Geschichte wirklich gut und richtig erzählt, dann macht uns das die Musik hören. Wenn man aber die Musik ohne das Drama, das hinter ihr steht, hört, dann erlebt man nur eine oberflächliche Folge von Klängen. Es gibt diesen außerordentlichen Moment, wenn man der Handlung folgt und erstmals einer Musik begegnet, die man schon aus einem ganz anderen Zusammenhang kennt. Genau das passiert in dieser Oper. Das Vorspiel des ersten Aktes wird am Anfang des 3. Aktes wiederholt. Und wenn man begreift, was die Musik damals vorausgeahnt hat, bricht es einem das Herz. Und das nur aufgrund der engen Verknüpfung von Musik und dem Geschichtenerzählen. Darum muss man als Regisseur zum Geschichtenerzähler werden. Unsere Aufgabe ist es, dass die nächste Generation Oper niemals als irrelevant ablehnt. Unsere Aufgabe ist es, die Relevanz für zukünftige Besucherinnen und Besucher zu erhalten.
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DER R EGIS SEU R A LS GE SCHICH T EN ER ZÄ HLER
Oliver Láng
WIE AUS DER MARGERITE EIN VEILCHEN WURDE
Zur Entstehung von La traviata
Von Marcel Proust ist die Anmerkung überliefert, erst Verdi habe dem Stoff der Kameliendame den notwendigen Stil verliehen. La traviata greife endlich, so Proust, an die Seele. Die Vorlage von Dumas, so ist zu ergänzen, griff eher ans Sentiment. Doch die Geschichte beginnt weit vor Verdi, sie beginnt in der gesellschaftlichen Gegenwart von Paris vor 1850. Sie beginnt mit einer aus den unteren Schichten stammenden Frau, Alphonsine Plessis, geboren 1824 in der Normandie. Sie kommt aus zerrütteten Familienverhältnissen, wird bereits als Teenager von Mann zu Mann gereicht und gelangt nach Paris. Erstaunlich schnell steigt sie zur Dame von Welt auf, erstaunlich viel geben Männer für ihre Gesellschaft aus. Was das Fluidum der Plessis ausgemacht hat, die sich bald Duplessis nennt (was etwas nobler und adeliger klingt), ist nicht mehr festzustellen. Jedenfalls heiratet sie einen Grafen, hat unzählige Liebhaber, reiche, prominente. Franz Liszt verfällt ihr, auch der Dichter Théophile Gautier und der Graf de Perregaux, der sie heiratet. Ihre Schönheit und ihr Auftreten werden gerühmt, doch sie selbst klagt über den Mangel an echter Liebe. Die Welt, die sie bereits in ihrer Kindheit von ihrer schlechtesten Seite kennengelernt hat, betrachtet Duplessis ohne Sentimentalität und mit teils bitterem Realismus. »Warum ich mich verkauft habe? Weil ehrliche Arbeit mir niemals den Luxus erlaubt hätte, nach dem ich mich doch so sehne. Ich wollte nur die Freude, Genüsse und Feinheiten einer eleganten und kultivierten Umgebung kennenlernen.« Und an Liszt schreibt sie bezugnehmend auf ihre fortgeschrittene Tuberkulose-Erkrankung: »Ich werde nicht mehr lange leben. Nehmen Sie mich mit auf Ihre Reisen. Ich werde Ihnen nicht im Weg sein. Ich schlafe den ganzen Tag, abends gehe ich ins Theater, und nachts können Sie mit mir machen, was Sie wollen.« Sie stirbt mit 23, ihr Tod ist ein gesellschaftliches Ereignis, ihre Hinterlassenschaft wird versteigert, gierig geplündert, vor allem von jenen, die sie, solange sie lebte, nicht kennen wollten. Begraben wird sie übrigens am Pariser Friedhof Montmartre, der Grabstein ist noch heute ein Wunschobjekt der fotografierenden Touristen. Ein prominenter Liebhaber blieb bisher freilich unerwähnt: Alexandre Dumas der Jüngere, der – so heißt es später – nicht das Geld hatte, sie auszuhalten. Er wird es sein, der ihre Geschichte in einen Roman und ein Drama verkleidet. Bereits ein Jahr nach ihrem Tod, 1848, erscheint sein Roman Die Kameliendame. Dumas übernimmt dabei Personen der tatsächlichen Begebenheit, bekannte Liebhaber, benennt sie jedoch diskret um und bringt die Geschichte als Rückblende: Nach dem Tod der Kurtisane Marguerite Gautier erzählt ein junger Mann namens Armand Duval dem Verfasser des Buches die tragische Geschichte seiner Liebe zu dieser. Armand ist freilich Dumas selbst, Gautier ist Duplessis. Wobei im Zentrum der Handlung die Leiden des jungen Armand und nicht jene der Kameliendame stehen. Armands 21
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hysterische Eifersucht hält sich mit seiner überbordenden Liebesleidenschaft die Waage, sein zur Sucht neigender Charakter findet zwischenzeitlich seine Befriedigung im Glückspiel. Ganz traut er seiner Geliebten nie – und nur deshalb fällt er auf die Intrige seines Vaters so einfach herein. Dominant herrscht das Kapital: Immer geht’s ums Geld, um genau genannte Summen, laufend wird abgerechnet. Vor allem aber gestattet Dumas seinen Leserinnen und Lesern einen Blick in die »andere« Welt, in jene der sogenannten Halbwelt. Die Salons, die stillen Zimmer, die Kupplerinnen und Grisetten, all das zeichnet er farbenprächtig nach, die Neugierde, das Wunschdenken und die Sehnsucht seines Publikums erspürend. Um dann sogleich die Welt der Bigotterie anzuklagen: In seiner Rahmenhandlung, in der die sogenannte bessere Gesellschaft nach den Habseligkeiten der Gautier giert, in einem Vorwort, in dem er jene, die die christlichen Werte und jene der Revolution 1789 vergessen haben, geißelt und in persönlich eingeflochtenen Episoden. Doch bleibt vieles davon kalkulierte Politur. Dumas nähert sich der verbotenen Welt mit voyeuristischem Blick und bedient sein Publikum mit unschuldigem Augenaufschlag. Er spielt mit Intimität und präsentiert sie offenherzig. Seine Figuren sind verklärt, den Bedürfnissen des Unterhaltungstheaters entstammend, »reizende Nippes, innen vollständig hohl, außen geschmackvoll vergoldet« (Egon Friedell). Zudem ist der Beigeschmack der Kolportage zu spüren (etwa in Schockmomenten wie dem Exhumieren der halbverwesten Leiche). Und ganz ohne Moralisieren geht es nicht: Die Tragik besteht letztlich nicht in der gesellschaftlichen Ablehnung der Kurtisane, sondern in der Unmöglichkeit, seine Vergangenheit hinter sich lassen zu können. Auch Dumas richtet: Das Vorleben der Kameliendame ist verwerflich, aber es wird entschuldigt durch die Not, die sie dorthin getrieben hat, und aufgehoben durch die reine Liebe. Jedenfalls: Der Roman trifft, Skandal und Triumph sind die Folge, 1852 bringt Dumas das Buch als Drama heraus, ebenfalls mit großem Erfolg. Wobei in der Behandlung der Geschichte Aspekte – auch aufgrund der Zensur – geändert, »anständiger« gemacht werden müssen. Wenn etwa im Roman Marguerite Armand nach dem ersten Liebesgeständnis auf die Frage, wann er sie wiedersehen dürfe, eine rote Kamelie reicht, versteht der Leser die Aussage. Denn Marguerite trägt als Markenzeichen stets Kamelien bei sich: an 25 Tagen im Monat weiße, an fünf Tagen rote. Im Drama (und später in der Oper) allerdings wird die Farbcodierung dezent weggelassen, stattdessen muss Armand (Alfredo) sich gedulden, bis die Kamelie verblüht ist. Ein Bild, das eher romantisch aufgeladen ist, denn Kamelien verblühen rasch. Auch sieht sich Marguerite im Drama – nachdrücklicher als im Roman – ob ihrer Vergangenheit als verworfen an, als eine, die keiner bürgerlichen Beziehung würdig ist. »Sieh doch auf den Schmutz deiner Vergangenheit. Welcher Mann möchte dich Frau, welches Kind Mutter nennen?«, lässt Dumas sie zu sich selbst sagen. Auch wirft die Figur der Ninette, die im Drama zusätzlich eingeführt wird, ein ungünstigeres Licht auf Marguerite. Denn OLI V ER LÁ NG
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Nichette, aus einem ähnlichen sozialen Umfeld kommend, widersteht der Versuchung des Glanzes und des Vermögens und bleibt was sie ist: eine kleine Näherin. Dafür aber gesteht ihr Dumas das Glück der reinen, glücklichen Liebe zu. Eine Veränderung erfährt auch das Finale, in dem Armand zurückkehrt und seine Absolution von Marguerite erhalten kann, wohingegen er sie im Roman nicht wiedersieht und mit einer ungesühnten Schuld zurückbleibt. Noch ein Aspekt darf freilich nicht vergessen werden: Die skandalöse Welt der Kurtisanen und der prächtigen Feste war 1850 weder neu noch ungewöhnlich. Kurtisanen wurde durchaus hofiert, hielten Salons, konnten sich als in der Gesellschaft etablieren, wurden gemalt, waren als Literatinnen tätig – und konnten sich in den Hochadel einheiraten. Dazu kommt, dass die literarische Auseinandersetzung mit dem Stoff der »gefallenen« Frauen umfassend war. Balzac schreibt einen 400-Seiter über Glanz und Elend der Kurtisanen, Victor Hugo verfasst Marion de Lorme (ein Drama, in dem eine Kurtisane an ihrer Vergangenheit scheitert), Gautier, Zola, Flaubert, sie alle beschäftigen sich mit dem Sujet. Eine Paris-Anthologie mit Texten von Dumas (Vater), Paul de Kock und Balzac widmet neben dem Wetter, dem Parc de Luxembourg, dem Theater und den Diplomaten völlig unbefangen auch ein Kapitel den Dirnen, Loretten und Kurtisanen. Die Empörung bezog sich also eher darauf, von einer Kurtisane mit reinem Herzen zu lesen, der der Zugang zur bürgerlichen Welt ungerecht versagt wird, als auf das Sujet der Kurtisane an sich: »Dass du eine Geliebte hast, dagegen ist nichts zu sagen. Dass du sie bezahlst, wie ein Mann von Welt die Liebe einer Käuflichen bezahlt, ist durchaus in der Ordnung«, stellt auch Vater Duval seinem Sohn gegenüber klar. Auf der drängenden Suche nach einem neuen Stoff, ein Opernauftrag des Teatro La Fenice für die Karneval-Saison 1853 war längst unterzeichnet, kam Verdi etwa im September 1852 (die genauen Umstände sind unbekannt) auf die Idee, die Kameliendame zu vertonen, die er wahrscheinlich als Schauspiel und sicher als Roman kannte. Er verliebte sich in den Stoff, wie sein Librettist Francesco Maria Piave es schildert, zumal er hier das Kühne, Gewagte, Grandiose, Schöne fand, nach dem er verlangte. Und er spürte als Theaterpraktiker das Potenzial, das dieser Stoff auf der Opernbühne entfalten konnte. Jahre zuvor hatte er freilich ein ähnliches Sujet, nämlich die bereits genannte Victor Hugo’sche Marion de Lorme, aufgrund moralischer Bedenken abgelehnt, nun aber kam ihm der Kurtisanen-Stoff gerade recht. »Ein zeitgenössisches Sujet. Ein anderer würde ihn womöglich nicht gemacht haben, aufgrund der Sitten, der Zeiten und aufgrund tausend anderer dummer Skrupel. Mir macht es größtes Vergnügen«, schrieb er im Jänner 1853. Die Venezianische Zensur war – anders als die Pariser bei Dumas – unkompliziert, nur der geplante Titel Amore e morte musste geändert werden. Verdi wählte La traviata, entnommen der Arie »Addio, del passato« (Ah, della traviata sorridi al desio – Ach, erhöre den Wunsch der vom rechten Weg Ab 23
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gekommenen), die die Protagonistin im dritten Akt singt. Die vom Weg Abgekommene ist freilich wertend – und somit stellt sich Verdi, bei aller Kritik an der sozialen Heuchelei, mit Dumas wie der Gesellschaft in eine Reihe: Die Kurtisane selbst hat Schuld auf sich geladen, auch wenn ihr alle Sympathien gehören. Dass er die Titelheldin von Marguerite in Violetta umbenennt, hat immer wieder zur Mutmaßung eingeladen: Steht die Margerite als Blume für eine Unsicherheit (man denke an das Spiel »Er liebt mich – er liebt mich nicht«), so steht das Veilchen für Demut, Reinheit und Bescheidenheit, nicht umsonst wird die Muttergottes ikonografisch oftmals mit einem Veilchen dargestellt. Steckt also eine Namens-Dramaturgie dahinter? Der Librettist Piave folgt dem Drama Dumas’, nimmt Opern-notwendige Kürzungen vor, so opfert er etwa den gesamten 2. Akt des Stücks, der keine weiterführende Funktion hat. Wie schon im Drama wird die Seite der liebenden und leidenden Violetta stärker betont als jene der Kurtisane (die nur noch zu erahnen ist), die Anzahl der handelnden Figuren wird reduziert. Auch der letzte Satz des Schauspiels, »Dir wird verziehen werden, denn du hast wahr geliebt«, der die Handlung in einer Vergebungs-Apotheose zusammenfasst und an ein Wort Jesu über Maria Magdalena verweist (»Denn sie hat viel geliebt«), scheint im Libretto nicht mehr auf. In nur wenigen Wochen schreibt Verdi die Musik zur Oper, die schließlich am 6. März 1853, nicht einmal 50 Tage nach dem Trovatore, uraufgeführt wird. Trotz anhaltender Proteste Verdis sang Fanny Salvini-Donatelli, eine alles andere als schwindsüchtig wirkende, stimmlich auftrumpfende Sopranistin, die Titelpartie. Ob ihr allein anzulasten ist, dass der Premiere kein Erfolg beschieden war? Immerhin erhielt sie teils bessere Kritiken als ihre Kollegen Ludovico Graziani (Alfredo) und Felice Varesi (Germont). Verdi jedenfalls verschickte Briefe mit Premierenbeschreibungen in alle Welt, in denen das Wort Fiasko eine große Rolle spielt. Es kann aber auch ins Gewicht gefallen sein, dass die Oper entgegen des Protests Verdis, der sie in der Gegenwart sah, in der Inszenierung an den Anfang des 18. Jahrhunderts versetzt wurde und entsprechend historisierend wirkte. Verdi jedenfalls überarbeitete das Werk leicht und schickte es an einem anderen Opernhaus Venedigs, am Teatro San Benedetto, noch einmal in die Schlacht. Mit neuer, nun für Verdi überzeugenderer Besetzung: Maria Spezia-Aldighieri (Violetta), Francesco Landi (Alfredo) und Filippo Coletti (Germont). Mit dieser gelang endlich der Durchbruch, der (obgleich das Werk auch in seiner ersten Fassung von weiteren Theatern angefragt wurde) zu einem regelrechten Traviata-Lauffeuer führte. Nun aber griff die Zensur ein und verlangte nicht nur Anpassungen, sondern auch immer wieder eine Änderung des Titels, von La traviata in das unschuldigere Violetta. Ein Titel, unter dem die Oper zunächst auch in Wien gespielt wurde.
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Pretty Yende als Violetta →
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Gerard van Honthorst, Junge Kurtisane (Detail), 1625
Du wolltest mit mir schlafen und hast es getan und so aus mir deine Frau gemacht. Du hast mir deinen Namen gegeben. Ich benahm mich wie eine ehrliche Frau. Ich wollte eine gesellschaftliche Position und habe sie bekommen. Du aber hast nun eine Prostituierte zur Frau. Du kannst mit mir nirgendwo hin gehen und kannst mich nirgends präsentieren. Deshalb müssen wir uns trennen. Du gehst zurück nach Portugal, ich bleibe hier, behalte deinen Namen und bin, was ich immer war: eine Hure. → Esther Pauline Blanche Lachmann, genannt La Païva, an ihren Ehemann, den Marquis Francesco de Païva-Araujo
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Andreas Láng
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La traviata an der Wiener Staatsoper
Die Popularität des Werkes, die hohen Aufführungszahlen, zahllose glänzende Besetzungen – auf der Bühne wie am Dirigentenpult –, die Zugkraft an der Theaterkassa: All diese Parameter täuschen darüber hinweg, dass Verdis La traviata an der Wiener Staatsoper lange Zeit eher stiefmütterliche Behandlung zuteilwurde. Keine einzige der Produktionen konnte einen Nimbus erwerben, der mit den szenischen Würfen dieser Bühne in Sachen Falstaff, Don Carlo oder Simon Boccanegra hätte mithalten können. Selbst die beiden großen Direktoren des Hauses, Gustav Mahler und Richard Strauss, waren durch keinen besonderen Traviata-Enthusiasmus ausgezeichnet. In beiden Amtszeiten (1897-1907 bzw. 1919-1924) sackte die entsprechende Aufführungsdichte merklich ab: Mahler konzentrierte sich in puncto Verdi auf dessen Aida und Falstaff – die Traviata dirigierte er hier nicht ein einziges Mal. Und Strauss hätte Traviata am liebsten überhaupt aus dem Haus am Ring ins Theater an der Wien verbannt, wie seinem oft zitierten künstlerischen Vermächtnis an Karl Böhm zu entnehmen ist. Woher kam diese merkwürdige Geringschätzung? In Wien hatte sie Tradition. Als das Stück zwei Jahre nach der Uraufführung am 4. Mai 1855 im Kärntnertortheater seine Wiener Premiere erlebte, schoss der Gottseibeiuns der Kritikerzunft, Eduard Hanslick, ein ganzes Arsenal an Bösartigkeiten und vernichtenden Schmähungen ab: »Von Anfang an schwindsüchtig wie die Heldin, ist Verdis Musik nur dadurch interessanter, dass sie auch zeitweilig unter delirium tremens leidet [...] Die Musik ist von einer Langweiligkeit, die nachgerade zum Attentat wird. Selbst in jenen episodischen Nummern, welche dem Componisten zulieb in das hagere Geripp der Fabel eingeschoben wurden: in dem Chor der Zigeunerinnen, dem Chor spanischer Matadore, dem Trinklied im ersten Act und dergleichen herrscht die lahmste Erfindungslosigkeit.« Kaum anders klang es in der Neuen Wiener Musik-Zeitung: »Die Musik in der Oper Traviata ist durchaus schal und leer, reich an Trivialitäten und Gemeinplätzen, voll greller Reminiscenzen aus seinen eigenen Opern.« Immerhin hat Hanslick seine harsche Kritik Jahre später als Jugendsünde revidiert und auch allgemein mehrten sich im Laufe der Zeit die namhaften Befürworter der Traviata. Unter ihnen Pietro Mascagni: Der Schöpfer von Cavalleria rusticana trat 1924 sogar persönlich ans Dirigentenpult der Staatsoper, um eine Vorstellung zu leiten. Nach Eröffnung des Hauses im Jahr 1869 dauerte es jedenfalls überraschend lange, ehe Traviata überhaupt in den Spielplan integriert wurde. Die erste Aufführung am 11. März 1876 war sogar noch keine reguläre, sondern nur Teil einer italienischen Stagione, die noch dazu durch die kurzfristige Umbesetzung der Titelfigur für einige Unruhe sorgte. Statt der mit großer Spannung erwarteten gefeierten Adelina Patti musste sich das Publikum mit der (ebenfalls durchaus bekannten) Marie Heilbron zufriedengeben. »Vor Beginn der heutigen, dritten Vorstellung der italienischen Opernge 29
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sellschaft ging es an den Kassen sehr stürmisch zu. Sie waren belagert von einer Menge von Leuten, die nicht etwa Eintrittskarten lösen wollten, sondern im Gegenteil für solche schon gelöste das Geld zurückverlangten«, hieß es in der Presse. Auch der vorgesehene Interpret des Alfredo des Abends, Ernesto Nicolini, war erkrankt, für ihn sprang Vittorio Capoul ein. In Summe trotz der Besetzungsänderungen aber ein erfolgreicher Abend, obwohl der Rezensent in der erwähnten Presse abschließend feststellte: »Es braucht nicht erst bemerkt zu werden, dass sich das Publicum wieder vor Schluss der Oper entfernte, weil dieselbe abermals zu spät endete.“ Skurril, wenn man bedenkt, dass die Vorstellung um 19.30 begann und die reine Musik-Dauer zweieinhalb Stunden nicht überschreitet. Wenigstens fand die Aufführung noch unter dem originalen Titel statt, wohingegen die erste hauseigene Premiere – natürlich in deutscher Sprache – wie zensurbedingt gelegentlich zuvor schon in Italien als Violetta gegeben wurde. Erst ab 1931 durfte das Werk an der Wiener Staatsoper wieder dauerhaft La traviata heißen. Medial folgte dieser Neuproduktion (5. Februar 1879) kein großer Nachhall, kritisch wurde vor allem die Übersetzung betrachtet: »Sie gehört zu den härtesten, unsangbarsten, die wir kennen, und beeinträchtigte nur zu häufig den Eindruck der Musik.« (Neue Freie Presse). Als »Marketingmaßnahme« dürfte der groß und fett herausgehobene Hinweis auf den Abendzetteln und Abendplakaten »Im 2. Akt: Zigeunertanz und Spanischer Tanz« zu verstehen sein. Erst als offensichtlich wurde, dass das Werk ohnehin gut lief, verzichtete man auf die Überbetonung des Köders der »attraktiven Balletteinlage«. 45 Jahre lang blieb die Produktion im Wesentlichen unverändert im Repertoire, lediglich die Zahl der Akte wechselte von drei auf vier und dann wieder zurück auf drei – je nachdem, welcher formale Stellenwert dem Flora- Bild eingeräumt wurde. Nach einem Interregnum von sechs Jahren – heutzutage undenkbar, dass die Traviata derartig lange im Spielplan fehlen könnte! – kam am 31. Oktober 1931 endlich eine Neuinszenierung heraus. Wie schon zwischen 1879 und 1925 stand in den folgenden Jahren auch in dieser Umsetzung das damalige Who-is-Who auf der Bühne und am Dirigentenpult. Nur der Faktor Regie blieb ärgerlich unterbelichtet: Bei den szenischen Anweisungen des beliebten Ensemblemitglieds Hans Duhan handelte es sich möglicherweise nur um eine Auffrischung der alten Produktion. Und das in einer Zeit, in der ein Lothar Wallerstein auf der selben Bühne Meisterleistung um Meisterleistung kreierte! Der nächste Versuch ging ebenfalls nicht als inszenatorische Pioniertat in die Annalen ein. Der auch in der NS-Zeit recht intensiv beschäftige Oscar Fritz Schuh stellte eine eher geschmäcklerische Deutung auf die Bühne, die in einer Doppel-Premiere am 19./20. Dezember 1940 erstmals zu erleben war. A N DR EAS LÁ NG
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Im seit 1938 nationalsozialistisch ausgerichteten Kleinen Volksblatt hieß es dazu beschönigend: »Es ist sehr zu begrüßen, dass der Neugestaltung der beliebten Spielplanopern von Verdi erhöhtes Augenmerk zugewendet wird. In Hinblick auf den bevorstehenden 40. Todestag des Meisters ist nun in der Staatsoper Traviata einer Neuinszenierung unterzogen worden. Man freut sich an den Bühnenbildern und Kostümen Caspar Nehers, die Zeit und Milieu so getreu widerspiegeln. Oscar Fritz Schuh war auf gründliche Durcharbeitung in Spiel und Geste bedacht. Leopold Ludwig wandte viel Sorgfalt daran, im Musikalischen ausdrucksvolle Intensität zu erreichen. Die Doppelbesetzung, die an zwei aufeinanderfolgenden Tagen geboten wurde, stellte in der Titelrolle Esther Réthy, eine sehr klug gestaltende, anmutige Violetta, der stimmlich in der ausgesprochenen Koloraturpartie natürlicher beheimateten Lea Piltti gegenüber. Todor Mazaroff brachte als [Alfredo] Germont seinen strahlenden Tenor zur Geltung, Anton Dermota ist uns als geschmackvoller Gestalter dieser Rolle längst sehr wert«. Nach dem Zweiten Weltkrieg übersiedelte die Produktion unter der Leitung von Josef Krips 1947 mit leichten Retuschen an das Theater an der Wien, also ins Ausweichquartier der zerstörten Staatsoper. Als Petitesse am Rande: Wie unbarmherzig Kritiker mit Sängern auch damals umgingen – selbst wenn sie namhaft waren – zeigt eine Besprechung im Neuen Österreich: »Elisabeth Schwarzkopf bringt von den drei Forderungen, die man an eine Traviata stellt, zwei vollkommen mit: sie ist jung, schön, und ihre glanzvolle, tragende und gut durchgebildete Koloraturenstimme ist allen technischen Anforderungen vollkommen gewachsen. Im Dramatischen bleibt sie oft farblos und lieblich, wo sie glutvoll, leidenschaftlich und raffiniert sein sollte. Als Grand Amoureuse im Paris der fünfziger Jahre hätte sie einen schweren Stand gehabt.“ Endlich zur „Chefsache“ wurde La traviata 1957, als Herbert von Karajan, der damalige Direktor des neu eröffneten Hauses, die musikalische Leitung einer Neuinszenierung übernahm. So sehr seine Leistungen im Fokus standen und bejubelt wurden, so wenig Glanz und Gehalt bot die überaus üppig und aufwendig ausgestattete Inszenierung von Mario Frigerio. Ihr auffälligstes Merkmal: Die überaus hohen Produktionskosten. 99 Aufführungen lang konnte Traviata in dieser Gestalt erlebt werden, ehe man 1968 eine (allerdings am Abendzettel nicht als solche vermerkte) Neueinstudierung des Werkes vornahm. Die Dekorationen jedenfalls waren nicht neu, sondern stammten aus der Volksoper, was manchen Kritiker schnauben ließ. Etwa Gotthard Böhm in der Presse: »Da die Wiener Staatsoper in dieser Spielzeit das hundertjährige Bestehen des Hauses am Ring begeht und für diese Zentenarsaison das Beste gerade gut genug ist, hatten es Naive für naheliegend gehalten, einen bedeutenden Szeniker ... eine Neuinszenierung erarbeiten zu lassen. Stattdessen hatte jemand die Idee, etwa fünfzehn Jahre alte Dekorationen, die Lois Egg seinerzeit, als die unvergessene Ljuba Welitsch noch 31
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die Violetta sang, für eine Inszenierung Josef Gielens in der Volksoper entworfen hat, aus dem Kulissendepot zu holen und einen Regieassistenten mit der ›Regie‹ zu betrauen.« Kritisches las man in der Wiener Zeitung zur Besetzung: »Hilde Güden sang die Violetta. Sie sang sie mit ihrem großen Können, das nicht zuletzt auch dem Wohlklang ein festes Fundament gibt, drückte sich aber beispielsweise um ein hohes c und ließ auch sonst merken, dass sie der Partie doch schon um etliches entwachsen ist. ... Persönliche und lebhaftere Ausstrahlung ist nicht gerade die Sache des Tenors Alfredo Kraus, den man als Alfredo hörte. Aber er hat doch sehr hörenswerte Tenortugenden von Natur aus und in der Art der stimmlichen Präsentation, deren Mustergültigkeit erfreut ... Selbst Argeo Quadri am Dirigentenpult konnte nicht genug Stimmung und Spannung in die Aufführung bringen.« Nach nur 23 Aufführungen hatten alle genug und man betraute Otto Schenk mit einer neuen Inszenierung. Und diese 1971 entstandene Traviata übertrifft bis heute hinsichtlich der Aufführungszahl alle bisherigen Produktionen dieser Oper im Haus am Ring: Rund 280 Vorstellungen gingen über die Bühne, wobei die große Bandbreite der Dirigenten, Sängerinnen und Sänger tatsächlich nur noch tabellarisch erfasst werden könnte. Dass im Laufe der darauffolgenden 40 Jahre der Zahn der Zeit dieser szenisch sehr nuancierten Verwirklichung – in der insbesondere die sehr »verhaltene Situation der Bilder im Landhaus und in der Sterbeszene« beeindruckten (Kronen Zeitung) – immer mehr zusetzte, versteht sich von selbst. Und so hoffte man 2011 mit einer Neuproduktion etwas dem beginnenden 21. Jahrhundert Gemäßes anbieten zu können. Der französische Schauspiel- und Opernregisseur Jean-François Sivadier versuchte eine Theater-im-TheaterSituation zu schaffen: Das Publikum durfte gewissermaßen einen Blick hinter die Kulissen werfen und Sängerinnen und Sänger beobachten, die gerade dabei waren, eine Traviata-Aufführung zu realisieren. Ein Versuch, der in den Besprechungen auf geteilte Zustimmung stieß. »Übrig bleibt fades Stehtheater mit vielen unlogischen Details« (Kurier); »Man sieht in jedem Moment Schauspieler auf der Bühne und trotzdem beginnt man das zu vergessen – das ist die Stärke dieser Inszenierung« (Wiener Zeitung). Im Zuge der szenischen Erneuerung des Kern-Repertoires mit Beginn der Direktion Bogdan Roščić, lag es daher auf der Hand, auch die TraviataInszenierung auszuwechseln. Und so ging am 7. März 2021 (Covid-bedingt nur gestreamt bzw. vom Fernsehen übertragen, ohne Publikum im Saal) die bislang jüngste Premiere des Werkes unter der Leitung von Giacomo Sagripanti über die Staatsopernbühne. Die Inszenierung dieser Koproduktion mit der Opéra national de Paris stammt vom Film-, Theater- und Opernregisseur Simon Stone, die drei Hauptpartien verkörperten Pretty Yende (Violetta), Juan Diego Flórez (Alfredo) und Igor Golovatenko (Giorgio Germont).
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Odette wünschte nicht, von Swann in die Gesellschaft eingeführt zu werden. Vielleicht spürte sie, dass es ihm möglicherweise missglücken könnte, vielleicht fürchtete sie auch, dass er, wenn er dort nur schon auf sie zu sprechen käme, Enthüllungen provozierte, die sie scheuen musste. Jedenfalls hatte sie ihn gebeten, nie ihren Namen auszusprechen. Außerdem flößte diese Gesellschaft, die sie so fürchtete, Odette vielleicht kein großes Verlangen ein, denn um für sie vorstellbar zu sein, war sie von der, die sie kannte, allzu weit entfernt. → Marcel Proust, Auf dem Weg zu Swann
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Tzvetan Todorov
DER MYTHOS DER TRAVIATA
Eine der Ursachen des Welterfolgs der Traviata liegt darin, dass sie die Etablierung eines machtvollen Mythos befördert hat.
Verdi hat das Stück Die Kameliendame von Alexandre Dumas fils zu Beginn des Jahres 1852 kennengelernt. Sein Potenzial hat er mit untrüglicher Intuition sofort erkannt: Bereits im Herbst beginnt der Librettist Francesco Maria Piave mit der Adaption. Die von Dumas zunächst in einem Roman (1848), dann in seinem Theaterstück erzählte Geschichte wird einiger ihrer Elemente beraubt (des Sittengemäldes, der Sozialkritik). Kondensiert und aufgrund von Verdis Vorgaben neu interpretiert, inspiriert sie eine Musik, die ihrerseits dazu beiträgt, den realistischen Bericht, der am Anfang steht, in einen Mythos zu verwandeln. Was einen Mythos von einer einfach von einem Schriftsteller erzählten Geschichte unterscheidet, ist zunächst sein Verbreitungsmodus. Seine Figuren sind viel bekannter als ihr Autor: Der Erfinder des Ödipus-Mythos ist unbekannt, der Autor des Volksbuchs vom Doktor Faust ist anonym. Der Mythos emanzipiert sich sehr schnell von seinem Schöpfer und erfährt zahlreiche Reinkarnationen. Dies geschieht aus gutem Grund: Seine Geschichte rührt an eine tiefgreifende Spannung, an einen unlösbaren Konflikt der Condition humaine, in dem jeder sich selbst wiedererkennen kann. Seine Geschichte artikuliert diesen Konflikt besser, als es eine Argumentation je könnte. Die großen europäischen Mythen stammen aus der Antike: Antigone, Prometheus, Ödipus. Gleichwohl haben sich auch noch in jüngerer Vergangenheit einige mythische Erzählungen in Europa etabliert, im Zeitalter der Gegenreformation gegen Ende des 16. und zu Beginn des 17. Jahrhunderts. Faust und Don Juan sind ursprünglich Bestrafungsmythen: Der eine weigert sich, seinem Wissensdrang, der andere, seinem Drang nach dem Besitz von Frauen Zügel anzulegen. Beide werden verdammt. Trotzdem entscheiden die Mythen diesen Konflikt zwischen Individuum und Gesellschaft nicht mit gewaltsamer Eindeutigkeit: Gewiss, der Held wird bestraft, aber er hat zugleich unsere Sympathien gewonnen. Für die Erzählungen des 19. Jahrhundert wird der Konflikt zwischen Individuum und Gesellschaft zur fruchtbarsten Matrix. Die Sympathie der Autoren gilt stets den Aufbegehrenden, die das Joch der unterdrückenden Traditionen und Konventionen abzuschütteln versuchen. Als Benjamin Constant sich die Frage stellt, welche Sujets der modernen Tragödie angemessen seien, kann er nur ein einziges erkennen: »Ganz gleich, im Grunde ist es immer die Gesellschaft, die auf dem Menschen lastet und ihn mit Ketten belädt.« Eine besonders prägnante Variante dieses narrativen Schemas könnte man mit der Formel des Evangeliums »Die Letzten werden die Ersten sein« etikettieren. Nicht allein, dass das Individuum unverdient der Verachtung der Gesellschaft ausgesetzt ist, sondern es sind gerade die Allerverachtetsten, jene, die die Gesellschaft am meisten verurteilt, die in Wahrheit ihre höchsten Tugenden verkörpern: Gipfel der Ungerechtigkeit. Jean Valjean, der ehemalige Sträfling in Les Misérables, ist der beste aller Menschen; Pierre in Melvilles gleichnamigem Roman, ein Mörder – der Inbegriff der Tugend; die ausge 37
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haltene Frau oder die Prostituierte – das Großherzigste aller Geschöpfe. Diese Figuren sind keine Rebellen mehr, die die sozialen Regeln ablehnen, wie Don Juan und Faust, sondern Ausgestoßene, Gedemütigte, Opfer; statt sich den wahren Werten der Gesellschaft entgegenzustellen stellen sie deren Offenbarung dar. Ihr Beispiel verweist auf die Verwerfung, die sich zwischen der offiziellen und der tatsächlichen Sittlichkeit aufgetan hat, zwischen der Hohlheit der Konventionen, die einen scheinheiligen Egoismus tarnen, und der Wahrheit der Empfindung. An diesen großen Mythos knüpft auch La traviata an, woran Verdi einen sehr viel größeren Anteil hat als Dumas. Man muss sagen, dass der Komponist für die Thematik persönlich sensibilisiert ist. Seit 1847 lebt er in wilder Ehe mit Giuseppina Strepponi, einer ehemaligen Sängerin – ein Berufsstand, dessen sozialer Status von dem einer Kurtisane nicht sehr unterschieden wurde. Bis zu ihrer Heirat im Jahr 1847 muss Verdi die Missbilligung und sogar die Feindseligkeit des Milieus ertragen, in dem er in Italien lebt. 1852, nur wenige Wochen vor der Uraufführung der Kameliendame, ist er gezwungen, auf Vorwürfe zu antworten, die der Vater seiner ersten, einige Jahre zuvor verstorbenen Frau brieflich an ihn richtet. Verdis Antwortschreiben ist ein veritables Manifest des Individualismus: Mit welchem Recht will die Gesellschaft ihm ihre Regeln auferlegen? Man versteht, warum unter diesen Umständen das Stück von Dumas eine Saite seines Innern zum Klingen bringen musste. Die Geschichte der Violetta schlägt in der Mitte der Oper, im zentralen zweiten Akt in den Mythos um: bei Begegnung der Heldin mit Germont père. Bis dahin war man Zeuge ihrer Liebe auf den ersten Blick, sowie von Proben ihrer Seelengröße und Großzügigkeit, ihres Wunsches nach Erlösung. Auch der Beginn der Begegnung findet noch diesseits des Mythos statt: Wir sind Zeugen einer einfachen Konfrontation, in der die von Germont verkörperten sozialen Konventionen mit dem individuellen Begehren Violettas kollidieren, und letztere den Sieg davonzutragen scheint. In diesem Augenblick erkennt Germont den Fehlstart seiner Mission und begreift mit bemerkenswerter Geistesgegenwart die Notwendigkeit, die Konfrontation auf eine ganz andere Ebene zu verlagern. Nachdem er den Seelenadel Violettas erkannt hat, fordert er nicht mehr, sondern er beginnt zu flehen: Er bittet sie, auf Alfredo zu verzichten, nicht weil sie seiner unwürdig wäre, sondern weil sie ein höheres Wesen ist. Zu Beginn seines Manövers gehört Germonts zukünftiger Schwiegersohn nicht zu dieser Kategorie von Individuen: Im Konflikt zwischen persönlicher Liebe und bürgerlicher Respektabilität hat er sich für letztere entschieden, weil ihn das billiger kommt. Auch Germont selbst fühlt sich zu einem solchen Heroismus nicht berufen: Sein persönliches Interesse hat Vorrang vor allem andern und er möchte auf nichts verzichten. Doch Violetta – Seelenadel verpflichtet – ist fähig zum Verzicht. Mit ihrer Bereitschaft, das zu opfern, was ihr das kostbarste ist, schwingt sie sich auf den Gipfel der Tugend. Wir sind TZ V ETA N TODOROV
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Zeugen eines eigentümlichen chassé-croisés: Diejenigen, die behaupten, im Einklang mit den gesellschaftlichen Normen zu handeln, sind in Wahrheit von Eigeninteresse gesteuert. Jene, die die Gesellschaft als kriminelle Minderheit ansieht, bewahren in ihrem Herzen die Ideale des Gesellschaftslebens. In diesem Moment wird die Position Violettas zu einer tragischen: Was sie auch tut, sie verliert, und schuld daran ist das Beste, was sie besitzt. Sich von höherer Tugend leiten zu lassen, von der reinsten Liebe, von der Sorge um das Wohl der anderen, nötigt dazu, auf jeden persönlichen Vorteil zu verzichten. Um ihre Liebe auf dieser Höhe zu halten und ihre Kontamination durch Eigennutz zu verhindern, muss Violetta verzichten. Die moralische Vollkommenheit, die sie verkörpert, nötigt zum Selbstopfer. Das Individuum ist besser als die Gesellschaft: darin liegt die Quelle seines Unglücks. Denn die Großmut kann keine wechselseitige Entsprechung verlangen. Nur weil alle anderen Egoisten sind, kann sich Violetta den Verpflichtungen, die sie eingegangen ist, noch lange nicht entziehen! Sie erkennt daher unmittelbar, dass ihre Situation keinen Ausweg hat. Weil die Liebe ihr ganzes Leben ist, bedeutet das, was man ihr abverlangt, ihren Tod: »Morrò!« (»Ich werde sterben!«) Die Ausrichtung, die Verdi der Gestalt der Violetta gibt, stellt sie den Heiligen und den christlichen Märtyrern, ja Jesus selber gleich. Wie er ist sie allen überlegen, und genau aus diesem Grund muss sie sich opfern – um des Glücks der anderen willen, diesem modernen Substitut des Seelenheils. Wie er wäre sie ihrem Geschick gerne entronnen, und auch sie ruft: »Mein Vater, wenn es möglich ist, lasse diesen Kelch an mir vorübergehen!« Aber genau wie er weiß sie, dass nur das größte Opfer ihr erlauben wird, ihr Schicksal, dass sie zur Gänze auf sich nimmt, zu erfüllen, und sie wiederholt beinahe die Worte Christi »Aber nicht wie ich will, sondern wie du willst.« Am Ende erklärt sie sich Germont gegenüber sogar als dankbar, denn er hat ihr Gelegenheit gegeben, ihr Martyrium zu vollenden und in die Heiligkeit einzugehen. Germont ist daher alles andere als ein böser Geist und Verdi hat sehr darauf geachtet, keinen Unmenschen aus ihm zu machen. Er ist einfach die Stimme der Gesellschaft, die in der Moderne die Position der Vorsehung, wenn nicht Gottes eingenommen hat. Wenn wir ihn heute verachten und verurteilen, dann weil die Konventionen seiner Zeit nicht mehr die unseren sind. Was uns übrigens nicht daran hindert, den Regeln unserer eigenen Gesellschaft ebenso folgsam zu gehorchen. Germont gleich, hielten wir es nicht für ungerechtfertigt, dass eine zeitgenössische Violetta auf ihr Begehren verzichtet, um die gesellschaftliche Ordnung nicht zu stören. Was folgt, ist nur die Vollendung des Schicksals, das in dieser zentralen Szene angekündigt wurde. Violetta vollzieht ihr Opfer. Nachdem sie die Liebe verloren hat, muss sie auch das Leben verlieren. Ihr verbleibt gerade so viel Zeit, wie für einige noble und generöse Gesten benötigt, und dafür, ihre Ge 39
DER MY T HOS DER T R AV I ATA
treuen um sich zu versammeln, die ihrer Verklärung beiwohnen: neben der hingebungsvollen Annina und dem Doktor sind auch Alfredo und sogar Germont gekommen. Die traviata, die auf die schiefene Bahn Geratene, wie sie sich selber nennt, folgt hier einem schnurgeraden Pfad und es unterliegt keinem Zweifel, dass Gott sie empfangen wird, wie sie es verlangt. Der Zuschauer liebt die traviata mit gutem Grund: Sie verschafft ihm vielfältige Vorteile. Von den sozialen Konventionen und der Krankheit hienieden besiegt, feiert die Heldin, mit der er sich identifiziert, einen spirituellen Triumph über die Gesellschaft und wird zu einer Reinkarnation Christi. Die Individuen, aus denen sich das Publikum zusammensetzt, verurteilen die Gesellschaft, die freilich aus denselben Individuen besteht. Für die Dauer eines Abends genießen diese die Freuden der Rebellion und fühlen sich bereit, ihr persönliches Glück dem Allgemeinwohl zu opfern, unter Nutznießung der einem unschuldigen Opfer gezollten Privilegien. Das Individuum siegt über die Gesellschaft, um in Gestalt eines musikalischen Feuerwerks unverzüglich belohnt zu werden.
TZ V ETA N TODOROV
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Pretty Yende als Violetta
DAS ELFTE GEBOT Du sollst nicht sterben, bitte. → Michael Krüger
Juan Diego Flórez als Alfredo und Pretty Yende als Violetta
Claire Marin
DIE BRUCH LINIEN UNSERES LEBENS
Man könnte sagen, dass La traviata einen Variationenzyklus über das Thema des Bruches und der Trennung darstellt. Gewiss, sie erforscht die Grausamkeit des Zerbrechens einer Liebesbeziehung, aber zugleich erforscht sie, auf welche Weise das Zerbrechen der affektiven, leidenschaftlichen, familialen oder freundschaftlichen Bande miteinander verkettet ist. Durch die verschiedenen Brüche, die die Figuren durchmachen, macht diese Oper kenntlich, dass sich unser Leben aus offenkundigen und geheimen sozialen oder 44
psychologischen Trennungen zusammensetzt. Violetta verkörpert diese Realität am deutlichsten, aufgrund der vielfachen Brüche, die ihre Existenz abstecken. Wenn sie uns zunächst an die Leichtigkeit eines Lebens glauben lässt, dass sich von den Kodes und moralischen Prinzipien einer Gesellschaft befreien konnte, wenn sie die Sorglosigkeit und den Rausch eines Lebens anpreist, das mit bürgerlichen Werten gebrochen hat, peinigt sie in Wirklichkeit schon ein innerer Riss: die Krankheit, durch die sie verurteilt ist. Vom ersten Akt an steht die Handlung unter dem Vorzeichen ihres Abbruches in Gestalt eines angekündigten Todes, der durch die Gewaltsamkeit eines auferlegten Liebesverzichts und die Agonie der Heldin eine tragische Dimension annimmt. Zweifellos ist Violetta weniger eine Frau des Bruches als eine gebrochene Frau. Was sie zu Beginn als ihre Freiheit einfordert, die Wahl eines dem Vergnügen geweihten Lebens, eines Lebens des reinen Genusses, ist in Wirklichkeit ein Missverständnis, ein unbewusstes sich selber Missverstehen, das ihr in der Begegnung mit Alfredo bewusst wird. »Das Leben liegt im zügellosen Genuss«, sagt Violetta, worauf Alfredo antwortet: »Solange man noch nicht liebt«. In seinen Worten markiert er die Umkehr der Handlung. Im Widerspruch zu ihrer Behauptung hat sich Violetta nicht dafür entschieden, am Rande der Gesellschaft zu stehen, die Abweichung, die sie zu einer Kurtisane werden ließ, hat sie nicht gewählt, sie hat sie erfahren und hingenommen. Wenn Violetta eine Frau »auf der schiefen Bahn« ist (die »traviata« ist wörtlich diejenige, die den geraden Weg verlassen hat), dann weniger deswegen, weil sie moralisch pervertiert oder korrumpiert ist, sondern weil sie außerhalb jeder wahren Bindung steht und ihr eine tiefe, dauerhafte Bindung untersagt scheint. Alfredo gegenüber behauptet sie sogar, zur Liebe unfähig zu sein: »Ich kann nicht lieben, und eine solch heroische Liebe wüsste ich auch nicht zu ertragen.« Violetta ist ein Wesen der Ent-Bindung, der Trennung, der Diskontinuität, ein nächtliches Wesen, dessen flüchtiges Schicksal, das Los eines ephemeren Daseins, ihr floraler Vorname verrät (»Und die flüchtige Stunde möge sich an der Lust berauschen.«). Wie die Kameliendame im Namen eine Blume trägt, die nach einer Nacht im Morgengrauen stirbt, ist Violetta nach einer Blume benannt, die in wenigen Stunden verwelkt, und zu einem vorzeitig aufgezehrten Leben verurteilt. Als Gestalt des Augenblicks und des Genusses ist sie beinahe irreal. In dieser Oper sind die Stunden von Anfang an gezählt. Man hat sich verspätet, man versucht vergebens, die verlorene Zeit einzuholen, in den Genuss dessen zu gelangen »was von der Nacht bleibt«. Man spürt, dass mit diesem Countdown ein Drama angezählt ist. Es geht darum, im nächtlichen Rausch zu vergessen, dass mit dieser Abweichung auch das Selbst abhandenkommt. Mit ihrem Leben des Genusses hat Violetta nicht nur mit den sozialen Normen gebrochen, sie führt es ebenso in Distanz zu sich selbst. 45
CLA IR E M A R IN
Dieser Rausch ist reine Illusion, die Nacht ist das Reich der Masken und Täuschungen. Welche Realität hat in diesem Taumel der »Genuss«? Welche Traurigkeiten, welche Einsamkeiten verbergen sich hinter den Verkleidungen und gepuderten Gesichtern? In diesem großen Karneval gibt man vor, jemand anderes zu sein, man verkleidet seine Empfindungen und seine Identität, bis man sie selbst nicht mehr wiedererkennt. Wenn Violetta eine Gestalt des Bruches ist, dann wohl weniger aufgrund ihres Lebenswandels und ihres Anspruchs auf ein nicht konventionelles Leben, das der Freiheit gewidmet ist. Sondern weil ihre diskontinuierliche Existenz ständig im Umbruch ist, eine Abfolge vielfacher Risse. Weil sie wahrer Bindungen beraubt ist, die die Kontinuität eines Lebens und bis zu einem gewissen Grad auch einer Identität darstellen. »Unter den Lebenden habe ich weder Freunde noch Verwandte«, bemerkt sie. Als ihr Alfredo begegnet, scheint sie die Möglichkeit zu entdecken, jemand könne sich um sie kümmern. Als ob sie niemals das Glück der Anhänglichkeit gekannt, niemals jemand über sie gewacht hätte, ihr »Hüter« gewesen wäre, wie Alfredo es ihr anträgt. Violetta ist eine Frau, die aufgrund des Fehlens von Bindung und Zuneigung zerbrochen ist. Zutiefst einsam, scheint sie nie in der Sorgfalt und der Aufmerksamkeit eines anderen aufgehoben gewesen zu sein, die Stärkung einer Umarmung nicht gekannt zu haben, die ihr Germont in ihren letzten Augenblicken gewährt. Sie war begehrt, aber die Kraft einer tiefen, dauerhaften Zuneigung hat sie nie kennengelernt. In einer subtilen Wendung wird diejenige, die Germont für seine eigene Tochter aufgeopfert hatte, deren Status erlangen: »Ich schließe Euch an mein Herz wie meine eigene Tochter.« Und Violetta stirbt »in den Armen derer, die mir die Teuersten auf Erden sind.« Die wiedergefundene und bestätigte Bindung heilt ihre Verletzung soweit, dass sie in ihren letzten Worten sogar behaupten kann »ins Leben zurückzukehren«. Was sagt uns La traviata heute? Spricht sie noch zu uns? Man darf die Modernität dieser Oper hinterfragen. Die Gestalt der leichtlebigen Frau kann uns nicht mehr schockieren. Aber das Werk behält eine verstörende Dimension, indem sie die Bedeutung und die Schwierigkeit von Bindung unterstreicht, die Leichtigkeit, mit der sie gelöst werden kann, und den Schein der falschen Freundschaften und oberflächlichen Beziehungen, die eher gespielt als durchlebt werden. Stehen wir nicht nach wie vor vor dieser Herausforderung? Einer Kontinuität Dauer zu verleihen, der Versuchung nicht nachzugeben, vor der Verpflichtung und vor dem Verzicht und den Opfern, die sie manchmal impliziert, davonzulaufen? Die philosophische Kraft von La traviata liegt in der Erinnerung daran, dass alle Bindungen gelöst werden können, aus Feigheit oder aus Edelmut, aus Großzügigkeit oder aus Egoismus. Dass man seine Familie und sein Milieu aus Liebe zu einer Frau verlassen, seinen Sohn hintergehen kann, um die eigene Tochter zu retten, dass noch die stärkste Leidenschaft, die man im CLA IR E M A R IN
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Leben erlebt hat, geopfert werden kann. La traviata erzählt von der Ungewissheit unseres Lebens, vom Zufall der Liebe, von der Zerbrechlichkeit der Existenz. Sie erzählt von der Schönheit der Bindung, die der Verlockung zum Bruch widersteht, und vom Bruch, der vom Leben oder vom Gefühl erzwungen wird und uns ermöglicht, wir selbst zu sein, oder denen die Freiheit zu schenken, die wir lieben. Weil sie uns darin erinnert, dass wir jederzeit sterben können, dass eine Liebe versagt sein kann, provoziert dieses Werk und bleibt verstörend. Wir empfinden es immer als tragisch, wenn das Schicksal grausam mit uns spielt, weil das tiefe Gefühl der Ungerechtigkeit angesichts der gewaltsamen Brüche, die das Leben uns auferlegt, unerträglich ist. Wie die zingarelle, die auf Floras Ball die Zukunft vorhersagen, spricht La traviata jene schmerzlichen Wahrheiten aus, die wir lieber nicht hören würden, doch statt uns zu zerstreuen, konfrontiert sie uns damit ohne jeden Umweg. Die Oper ist um eine Ellipse herum aufgebaut. Der berühmte Trennungsbrief, der Wendepunkt der Handlung, fehlt. Man hätte sich vorstellen können, dass er den Orgelpunkt des Werkes darstellt, das Schlüsselerlebnis, dessen Lektüre uns fasziniert oder die Fassung raubt, so wie etwa die Liste der eroberten Frauen die komische Pointe des Don Giovanni ist. Doch Verdi hat sehr wohl verstanden, dass er unnötig ist, weil jeder von uns ihn sich vorstellen kann. Wir alle haben ihn auf irgendeine Weise bereits geschrieben, gelesen oder ins Auge gefasst. Wir wissen, was er uns abverlangt. Wir alle haben schon auf jemanden oder etwas verzichten müssen, der oder das uns teuer war. Dieser Riss ist uns nicht unbekannt, er findet in unserm Innern ein Echo früherer Schmerzen. Er weckt die Erinnerung an einen Verlust oder Kummer. Dieser Brief zeichnet unsere intimsten Bruchstellen nach. Letztlich ist es die Kraft und die Ambivalenz der Trennungen unseres Lebens, die La traviata in ihrer philosophischen Dimension offenbart. Gewisse Trennungen zerbrechen uns – der Bruch mit einem geliebten Mann, das Erlebnis des Todes der Frau –, andere sind uns notwendig – der Bruch mit einem falschen Leben, das Verlassen der Familie für eine Liebe oder eine Überzeugung. Aber der Macht der Trennungen antwortet ganz am Ende der Oper jene der Bindung. Wenn auch für Violetta keine »Wiedergutmachung« möglich ist, wenn Liebe und Hilfe für sie zu spät kommen, blitzt in den letzten Takten der Oper dennoch die Idee auf, dass eine Bindung uns retten könnte, und gestattet uns so, noch in den schrecklichsten Prüfungen am Glauben an die Möglichkeit anderer Freuden festzuhalten.
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DIE BRUCHLIN IEN U NSER E S LEBENS
Juan Diego Flórez als Alfredo und Igor Golovatenko als Giorgio Germont
Pretty Yende als Violetta
Jendrik Springer
DIE PARTITUR IM FOKUS
Musikalischer Wegweiser durch La traviata
Verdis La traviata gehört international zu den populärsten Werken auf der Musiktheaterbühne. Selbst jenen, die der Gattung Oper nicht nahestehen, ist dieses Werk oder sind zumindest manche Passagen daraus, ein Begriff. Nicht von ungefähr fand der Besuch einer Traviata-Vorstellung als dramaturgische Parallelhandlung Eingang in den erfolgreichen Spielfilm Pretty Woman. Dennoch dürften selbst regelmäßige Operngeherinnen und Operngeher, die vielleicht unzählige Traviata-Aufführungen und -Produktionen sehen und hören durften, wahrscheinlich nicht mit allen Finessen der Partitur vertraut sein. Da die Qualität des Erlebens mit dem Grad der Kenntnis des Notentextes steigt, habe ich mir in diesem Beitrag erlaubt, für alle diesbezüglich Interessierten, einige Details herauszuarbeiten, gewissermaßen eine Art kleinen Hörleitfaden zu entwerfen. Das einleitende Orchestervorspiel (Preludio) wird in der Literatur oft als Vorwegnahme des Schlusses angesehen: Violetta ist bereits sterbenskrank oder überhaupt verstorben und die nachfolgende Oper wird aus dem Rückblick erzählt verstanden. Entsprechend dieser Sichtweise wird das erste der beiden musikalischen Themen des Vorspiels (Notenbeispiel 1) gerne als »Todes-Motiv« definiert.
Notenbeispiel 1
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J EN DR IK SPR INGER
Ich möchte dieser Idee widersprechen. Meines Erachtens stellt das Preludio vielmehr ein musikalisches Gemälde Violettas dar, in dem in wenigen Zügen wesentliche Aspekte dieser jungen Frau porträtiert werden, die das Geschehen essenziell bestimmen werden – gemäß den Intentionen Verdis, der ja von Beginn an und schon innerhalb weniger Takte das Publikum durch die jeweilige sogenannte tinta (»Kolorit«) des Stückes in die Atmosphäre einer Handlung einführen möchte. Demnach würde ich beim ersten Thema des Vorspiels eher von einem Motiv der Krankheit, der Schwäche, der Kraftlosigkeit des Körpers sprechen. Im dritten Akt, in dem Violetta wirklich darniederliegt, taucht dieses Motiv noch mehrfach auf, aber justament nicht in jenem Moment, in dem Violetta tatsächlich stirbt. Die Bezeichnung als »Todes-Motiv« ist daher kaum nachvollziehbar. Das zweite Thema dieses Vorspiels (Notenbeispiel 2) tritt in zwei unterschiedlichen Gestalten auf: Zunächst wird diese mehrfach absteigende Kantilene in klangvollen Oktaven von allen Streichern vorgestellt, dann erklingt es nur mehr in den Celli und wird von einem anderen, kapriziösen, brillanten Motiv in 32-tel Figuren in den Hintergrund gedrängt. Meine Erklärung: Dieses Kantilenenthema zeigt die wahre, warme Seele, die Liebesfähigkeit Violettas, die aber von der oberflächlichen, unbeständigen, koketten Lebensart – dem kapriziösen Motiv – überdeckt wird. Es kommt später, als Widerspiegelung ihrer echten, verzweifelten Liebe, im zweiten Akt noch einmal vor, an der Stelle an der Violetta gewissermaßen Abschied von Alfredo nimmt (»Amami, Alfredo, quant’io t’amo«/»Liebe mich Alfredo, wie ich dich liebe«).
Notenbeispiel 2
Bemerkenswert in diesem Vorspiel ist auch die Instrumentation: Der Beginn des »Krankheits-/Schwäche-Themas« ist in einem vierstimmigen Geigensatz komponiert; lediglich acht erste und acht zweite Violinen (es spielen somit nicht alle Geigen) werden noch einmal in insgesamt vier Vierer-Gruppen geteilt. Eine sehr sparsame Besetzung also. Zumindest die unterste Stimme könnte ohne weiteres eine in dieser Lage viel expressivere Bratsche überJ EN DR IK SPR INGER
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nehmen, aber dann wäre der besondere Zauber dieser Stelle, der ätherische, durchsichtig-zerbrechliche Klang, der die Schwäche Violettas versinnbildlichen soll, nicht so genial getroffen. Hier zeigt sich deutlich, wie sehr Verdi mit einfachsten Mitteln nuancierteste Ausdrucksfacetten hervorzubringen verstand. (Ganz nebenbei: Der Beginn von Wagners Lohengrin weist in der Instrumentation eine verblüffende Ähnlichkeit auf: Auch dort ein vierstimmiger Satz aus geteilten Geigen in hoher Lage!) So wie letzten Endes auch Wagners Fliegender Holländer und sogar noch dessen Tannhäuser, ist auch La traviata formal eine Nummernoper. Allerdings hat Verdi, ähnlich wie zuvor schon in Rigoletto und Il trovatore, über weite Strecken versucht, die einzelnen Nummern durch Übergänge miteinander zu »verfugen«. Dadurch ergibt sich beispielsweise die skurrile Situation, dass im ersten Akt auf die Introduzione, also auf die Einleitung, bereits die den Akt beschließende Final-Arie folgt. Freilich, diese Introduzione lässt sich, bei genauerem Hinsehen, sehr wohl noch in Einzelteile gliedern – die aber dann eben doch organisch zusammenhängen: 1. Konversationsszene mit Chor Verdi hat, als gewiefter Theaterpraktiker, immer wieder mit starken Kontrastwirkungen gearbeitet – auf einen langsamen Teil lässt er etwa einen schnellen folgen, einem lyrischen Moment einen dramatischeren usw. Hier, am Beginn der Oper, setzt er dem getragenen, fast durchwegs piano gehaltenen Orchestervorspiel eine brillante, rhythmisch betonte Feststimmung mit Chor, zahlreichen Solisten und dem gesamten Orchesterapparat entgegen. 2. Brindisi Verdi bleibt zwar in der vorigen Feststimmung, ändert aber den Duktus: Aus dem vorhergehenden 4/4-Takt ist ein rascher 3/8-»Walzer« geworden, auf das allgemeine »Konversationsdurcheinander« folgt zunächst ein Arioso der männlichen Hauptfigur Alfredo mit Chorabgesang, dann eine zweite Solo-Strophe der Violetta, die in ein Duett mit Chorbegleitung mündet (nur Violetta und Alfredo stimmen erneut das »Libiamo«-Motiv an, alle anderen singen begleitende Dreiklangszerlegungen). 3. Walzer mit Bühnenmusik Der nächste Abschnitt, ein weiterer schneller Walzer im 3/4-Takt, wird ausschließlich von einer Banda aus dem Off begleitet, das Orchester im Graben pausiert. Da in der Oper die Kommunikation ja prinzipiell singend geschieht, muss es eine Möglichkeit geben, um anzudeuten, wenn die Figuren auf der Bühne im Rahmen der Handlung selbst »Musik hören«. Die Banda im Hintergrund soll genau dies andeuten: In einem Nebenraum wird Tanzmusik gespielt und von Violetta, Alfredo und den übrigen Gästen auch als solche wahrgenommen. 53
DIE PA RT IT U R IM FOK US
4. Duett Violetta-Alfredo Ein lyrischer Andantino-Teil im Dreiertakt, bei dem wieder das eigentliche Orchester im Graben zum Zug kommt. Mit Violettas abweisender Antwort auf Alfredos Liebesgeständnis (»Di quell’amor«/»Von jener Liebe«) wird motivisch eine Brücke zum Orchestervorspiel geschlagen: Sie weicht, trotz der gleichbleibenden einfachen Begleitung, trotz der selben Tonart, der unveränderten Taktart vollständig von Alfredos Linie ab und verfällt in den gleichen koloraturartigen, kapriziösen Charakter (Notenbeispiel 3), den wir in den Geigen vernommen hatten, die über dem von den Celli intonierten »Liebes-Thema« im Vorspiel zu hören gewesen waren. Nein, Violetta ist hier noch nicht so weit, dass sie sich der Liebe vollständig hingeben könnte! Andererseits: Erste Anzeichen einer Zuneigung lassen sich dann doch auch in der Musik erkennen, wenn Violetta und Alfredo wenigstens in der Kadenz bereits für einen Moment in Terzen und Sexten parallel geführt werden.
Notenbeispiel 3
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5. Schneller Walzer Reprise des Walzers von Nummer 3, in der die Banda erneut die Begleitung der Singstimmen übernimmt. 6. Chor-Stretta Verdi wechselt zurück in den anfänglichen 4/4-Takt und bringt einen raschen Tutti-Teil, der das Gefühl eines Aktschlusses evoziert. Verdi täuscht hier bewusst die Erwartungshaltung des Publikums, denn anstelle des nach dieser Musik zu erwartenden Fallens des Vorhanges kommt die große Arie der allein gebliebenen Violetta. Zwar steht diese Arie noch in der traditionellen Belcanto-Form Rezitativ/ langsamer Cavatina-Teil/schnelle Cabaletta, doch im Detail kehrt Verdi sich sehr wohl von der Konvention ab: Traditionell wird der schnelle Schlussteil solcher Arien durch eine äußere Aktion ausgelöst: Ein Diener oder Bote tritt ein und überbringt zum Beispiel einen Brief oder eine Nachricht (wie bei Alfredos Arie am Beginn des zweiten Aktes). Hier, im Falle der ViolettaArie, kommt der Impetus aus dem Inneren Violettas selbst: Sie entscheidet sich zunächst, der Liebe nicht zu trauen »Follie! Follie!« (»Torheit! Torheit!«) und stimmt aus diesem Entschluss heraus die Cabaletta an (»sempre libera«/ »stets frei«), aus der sie Alfredos Stimme allerdings mehrfach »herausreißt«. Passend zu diesen Einsätzen Alfredos möchte ich noch zwei Gedanken aufgreifen. Erstens: Oft wird darauf hingewiesen, dass viele wesentliche Abschnitte Violettas in einem schnellen oder langsamen Walzertakt geschrieben sind – als Zeichen ihrer Modernität gegenüber den konsevativen Gesellschaftsschichten à la Germont, die eher im 4/4-Takt daherkommen (tatsächlich war der Wiener Walzer als Gesellschaftstanz damals eine recht junge Erscheinung). Mein Einwand: Sehr oft, etwa beim Brindisi oder beim hier erneut gebrachten »Di quell’amor«-Thema ist es Alfredo, der das Motiv einführt, Violetta übernimmt es nur von ihm! Und was den langsamen Walzer anbelangt: Den gab es 1853 noch gar nicht, er wurde erst Jahrzehnte nach der Traviata-Uraufführung erfunden, der langsame Dreiertakt kann daher auf keinerlei Modernität verweisen. Zweitens: Das erwähnte »Di quell’amor«-Thema stellt eine Variation des im Preludio eingeführten »Liebes-Motivs« Violettas dar – die gleiche Abwärtsbewegung verfremdet mit einigen Zwischentönen und einem veränderten Rhythmus (Notenbeispiel 4):
Notenbeispiel 4
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DIE PA RT IT U R IM FOK US
In dieser Form kehrt die Melodie über die gesamte Oper häufig wieder: Im Duett mit Alfredo und in Violettas Arie im ersten Akt, bei Violettas Lektüre des Briefes von Germont am Beginn des dritten Aktes (»Teneste la promessa«/»Ihr hieltet das Versprechen«) und ganz zum Schluss, als sie knapp vor ihrem Tod scheinbar wieder zu Kräften kommt (»È strano! Cessarono gli spasimi del dolore«/»Seltsam, die Schmerzenskrämpfe hören auf«). In den Arien von Alfredo und Germont im zweiten Akt bleibt Verdi von der Anlage her den Belcanto-Konventionen treu. Dass Germonts Cabaletta allerdings kein zündendes, Applaus provozierendes Allegro aufweist, wie zu erwarten gewesen wäre, sondern ein bedächtiges Assai moderato, muss das damalige Publikum irritiert haben. Der Uraufführungssänger hat sich auf jeden Fall entsprechend bei Verdi beschwert. Rein dramaturgisch ist das Fehlen eines zündenden Abschlusses in diesem Fall natürlich sehr plausibel, schließlich wurde Germont nicht als Ausbund eines ungestümen, leidenschaftlichen Charakters eingeführt. Ja, er besitzt nicht einmal eine Auftrittsarie! Vollkommen glanzlos, wenn auch mit Autorität ausgestattet, tritt er mit seinem »Madamigella Valéry« erstmals Violetta und dem Publikum entgegen. Was aber danach folgt, ist für mich das Herzstück dieser Oper: kein klassisches, zweiteiliges Belcanto-Duett à la Lucia/Enrico in Donizettis Lucia di Lammermoor. Verdi schuf vielmehr eine Szene, in der die einzelnen Teile genial miteinander verzahnt sind (wie in so manchen Opern Richard Wagners, man denke zum Beispiel an die Begegnung Holländer/Senta). Äußerst geschickt wechselt er zwischen Rezitativ und ariosen Passagen, die Grenzen zwischen den Formteilen scheinen aufgehoben oder verwischt zu sein – die wunderbaren lyrischen Konversationsteile gehen zum Beispiel, anders als damals üblich, deutlich über bloße Accompagnati hinaus. Unter den zahllosen wunderschönen Kantilenen möchte ich die Aufmerksamkeit kurz auf Violettas »Così alla misera«/»So schwindet der Elenden« lenken: Die tiefe Verzweiflung der jungen Frau wird auch dadurch noch unterstrichen, dass hier sogar das ursprünglich positiv-sehnsuchtsvolle »Di quell’amor«-Thema in einer hoffnungslosen, eingetrübten Mollvariante gebracht wird: Violetta erkennt den zu erwartenden Verlust ihres Geliebten auch auf musikalischer Ebene (Notenbeispiel 5).
Notenbeispiel 5
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Im zweiten Teil des zweiten Aktes wechseln Verdi und sein Librettist Piave den Schauplatz. Auf dem Fest bei Flora folgt erneut eine Konversationsszene mit Chor und zahlreichen Solisten (diesmal ohne Banda, und Walzerklänge, dafür mit der obligatorischen Balletteinlage). Die Meisterschaft Verdis, mit einfachen Mitteln große Effekte zu erzielen, wird bei der Spielszene wieder besonders deutlich: Ein schneller 6/8-Takt, kurze, ostinat wiederkehrende, mit Vorschlägen gespickte zweitaktige Motive im absoluten Pianissimo: eindrucksvoller lässt sich die Nervosität und Monotonie eines Glücksspiels kaum in Musik fassen. Und dann gelingt Verdi etwas absolut Großartiges: Rhythmus und Begleitfiguren bleiben gleich, doch mit dem Einsatz der gänzlich kontrastierenden Legato-Linie Violettas beschwört die Musik von einem Moment auf den anderen eine vollständig andere Stimmung herauf. Derartige emotionale Umschwünge in kürzester Zeit vermochte sonst nur Mozart mit ähnlich sparsamen Mitteln zu schaffen! Auf eine ganz andere Art und Weise beeindruckt Verdi auch mit dem großen Ensemble-Finale, einem sogenannten Pezzo concertato: Alle Beteiligten, Solisten wie Chor singen unterschiedliche Gesangslinien und Texte. Selbstverständlich ist daher eine echte Textverständlichkeit vollkommen unmöglich. Aber Verdi gelingt es dennoch eindrucksvoll, atmosphärisch mitzuteilen, was die einzelnen Personen oder Gruppen in diesem Moment bewegt. Wenn zum Beispiel Violetta und Alfredo zeitweise melodisch parallel geführt werden, zeigt die Musik, was der Handlungsverlauf nach der brutalen Demütigung der jungen Frau durch Alfredo nicht vermuten lassen würde: dass die beiden nach wie vor zusammengehören. Der Beginn des dritten Aktes ähnelt dem Vorspiel am Beginn der Oper fast aufs Haar: Erneut das »Krankheits-Motiv«, wieder die geteilten ersten und zweiten Geigen. Nur erklingt alles um einen Halbton höher, genauso wie kurz darauf das »Di quell’amor«-Motiv beim Lesen des Briefes um einen Halbton höher gesetzt ist als beim Duett im 1. Akt. Warum? Man kann nur spekulieren. Vielleicht soll die medizinische Situation musikalisch nachgezeichnet werden, das steigende Fieber, die knapp vor dem Tod höhere körperliche Anspannung der Sterbenden? Auf jeden Fall wird uns hier das im Preludio des ersten Aktes vorgestellte zweite, das »Liebes-Thema«, von Verdi vorenthalten. Die Musik bleibt statisch, weit gespannte, letztlich aber immer abwärts tendierende Melodiebögen zeugen von der Kraftlosigkeit der Protagonistin, kurze belebende Dur-Einsprengsel trüben sich sofort wieder nach Moll ein, und wenn der abschließende Pianissimo-Triller vor dem Gesangseinsatz zuerst von allen ersten Geigen, dann nur mehr von vier und schließlich von zwei Geigen gespielt wird, der Klang nach und nach also immer dünner wirkt, bietet Verdi hier ein auskomponiertes Verlöschen. Auch im nachfolgenden Melodram, dem bereits erwähnten Vorlesen des Briefes von Germont, verdeutlicht der Orchestersatz die Zerbrechlichkeit Violettas: lediglich sieben Solostreicher spielen eine Tremolo-Begleitung, 57
DIE PA RT IT U R IM FOK US
das »Di quell’amor«-Thema wird überhaupt nur von der Solovioline gebracht. (Dass durch diese durchsichtige Orchestrierung keine Gefahr aufkommt, die Sprechstimme der Sängerin zu überdecken, unterstreicht außerdem die Praxisnähe Verdis). Einfach instrumentiert geht es in der Arie »Addio del passato bei sogni ridenti«/»Lebt wohl, glückliche Träume der Vergangenheit« weiter: Reines Streichorchester, dazu eine Solo-Oboe – lakonischer kann Einsamkeit nicht komponiert werden! Nach diesem doch langen und leisen Abschnitt entsteht durch das lebendige »Baccanale« ein musikalischer wie dramaturgischer Kontrast. Interessant, wie Verdi im Laufe der Handlung durch die unterschiedlichen Feierszenen Violettas sukzessives Abschiednehmen von der Gesellschaft und vom Leben aufzeigt: Am Beginn findet das Fest noch bei ihr zu Hause statt, sie ist der Mittelpunkt des Geschehens; im zweiten Akt ist sie nur mehr als Gast bei Flora zugegen und im dritten Akt ist Violetta komplett außerhalb des Geschehens, das vor ihrem Fenster, draußen auf der Straße, stattfindet. In den letzten verbleibenden Minuten der Oper bereitet Verdi den Tod Violettas musikalisch vor: Selbst im scheinbar positiven »Parigi, o cara«Duett Alfredos und Violettas (»Paris, oh Geliebte«) zeugen die kurzen, ständig nach unten fallenden Melodiefloskeln von Hoffnungslosigkeit; und ganz bewusst setzt Verdi in Violettas Figurationen (»De’ corsi affanni«/»Für deine Leiden«) sogar das Betonungszeichen auf den absteigenden, eigentlich unbetonten chromatischen Durchgang (Notenbeispiel 6).
Notenbeispiel 6
Die für das gesamte Orchester (inklusive sämtlicher Blechbläser und großer Trommel!) tief liegende und im fast unspielbaren fünffachen Piano gesetzte trauerkonduktartige Begleitung zu Violettas »Prendi, quest’ è l’immagine«/»Nimm, das ist das Bild« antizipiert Violettas Ende. Und dann setzt Verdi noch einen letzten musikalischen Coup: Wie fern, wie seltsam („è strano!“), wie irreal wirkt das A-Dur ihres scheinbaren Wiederauflebens innerhalb des trostlosen und finalen des-Moll, das das letztmalige Erklingen des »Di quell’amor«-Thema umgibt!
DIE PA RT IT U R IM FOK US
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Ich will neue, schöne, große, abwechslungsreiche, kühne Stoffe. Kühn bis zum Äußersten, neu in der Form und bei all dem gut komponierbar. → Giuseppe Verdi an Cesare De Sanctis, 1. Jänner 1853
Michael Kraus
VOCI VERDIANE
Über das Wie des Verdi-Gesangs
In Giuseppe Verdis Heimatstadt Busseto findet seit vielen Jahren der Wettbewerb »Voci Verdiane« statt, der sich zum Ziel gesetzt hat, die besten VerdiStimmen zu prämieren. Dabei stellt sich die Frage: Was sind eigentlich VerdiStimmen? Ist dies eine eigene Spezies? Wenn ja, wie kann man diese definieren? Und: Sind die Verdi-Stimmen von heute die gleichen wie zu Verdis Zeiten? Wenn man sich ein wenig mit diesen Fragen beschäftigt, wird schnell klar: wie jeder Komponist schrieb Verdi für die Sänger seiner Zeit. Diese waren vor allem an den stimmlichen Anforderungen von Verdis Vorgängern geschult. Denn Oper war damals etwas ganz und gar Zeitgenössisches. Sich aus dem Fundus vergangener Epochen zu bedienen, wie dies heute meist der Fall ist, war wenig gebräuchlich. Besonders die ersten Opernwerke Verdis sind daher noch stark geprägt von der Ära des Belcanto, jenem Stil also, den man heute vor allem mit Gioachino Rossini, Gaetano Donizetti und Vincenzo Bellini verbindet. Ab Nabucco (1842) wurde jedoch immer deutlicher, dass Verdis Kompositionsstil und die damit einhergehenden Anforderungen an die Sänger weit über das Bisherige hinausgingen. Hatte bislang der »canto fiorito«, der Ziergesang, im Zentrum des Interesses gestanden, so stellte Verdi nun die »parola scenica«, das erschütternde, eine Situation blitzschnell umreißende Wort in den Mittelpunkt, freilich ohne die bisherigen Formen der Gesangskunst außer Acht zu lassen. Im Laufe seines über fünfzigjährigen Opernschaffens lässt sich die Entwicklung in seinen Werken immer stärker in diese Richtung hin ablesen, so dass man sagen kann, dass Verdi in der italienischen Oper das Bindeglied zwischen Belcanto und Verismo darstellt, zwei ästhetische Formen, die ideell konträr zueinander stehen, ohne jedoch einer der beiden Stile anzugehören. Insofern lässt sich Verdi in der Tat als ein eigener Kosmos begreifen. La traviata gehört gemeinsam mit Rigoletto und Il trovatore heute zu den meistgespielten Opern Verdis. Alle drei Werke wurden zwischen 1851 und 1853 uraufgeführt und markieren künstlerisch wie zeitlich quasi die Mitte seines Opernschaffens. Verdi hatte seit Nabucco seinen Ruf durch zahlreiche weitere Opern – darunter Attila, Macbeth und Luisa Miller – etabliert, wobei es immer wieder Klagen von Traditionalisten gab, er würde die Stimmen mit seinen exorbitanten Anforderungen ruinieren. Es scheint jedoch vielmehr, dass eine neue italienische Sängergeneration mit diesen Anforderungen im Laufe der Jahrzehnte von Verdis Opernschaffen künstlerisch kontinuierlich mitwuchs. Gegen Ende seines Lebens, bei Otello (1887) und Falstaff (1893), war Verdis Einfluss auf das Operngenre besonders in Italien so übermächtig, dass man tatsächlich bereits von »Verdi-Sängern« sprechen konnte: Künstler, die auf der Basis des Belcanto fähig waren, mit ihren Stimmen alle menschlichen Gedanken und Gefühle auszudrücken. Ohne seinen Einfluss wären spätere Komponisten wie Puccini, Leoncavallo oder Mascagni nicht denkbar. MICH A EL K R AUS
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Violetta Valéry, die Hauptfigur von La traviata, wird in heutigen Opernführern meist als »dramatischer Koloratursopran« bezeichnet. In der Tat wird einer Sängerin der Partie ein Höchstmaß an Dramatik (im Sinne der szenischen Gestaltung) wie an Koloratur (im Sinne des eigentlichen Wortsinns: Färbung) abverlangt. Hinzu kommt, dass sie über eine entsprechende »agilità«, also eine Flexibilität der Stimme verfügen muss. Oft hört man, dass die Partie eigentlich zwei verschiedene Stimmtypen verlange: im ersten Akt braucht es die geläufige Gurgel eines Koloratursoprans, der sich an dessen Ende dann ein – von Verdi nicht vorgeschriebenes – hohes Es einlegen kann. Und in den folgenden Akten einen expressiven jugendlich-dramatischen Sopran, der gegen Ende der Oper bereits über fast schon veristische Seelentöne verfügen sollte. Eine solche Trennung der Stimmfächer war im 19. Jahrhundert de facto unbekannt. Die Sängerinnen von damals waren in ihrem Repertoire wesentlich weniger eingeengt, als dies heute der Fall ist. Sie alle verfügten über eine Gesangstechnik, die es ihnen erlaubte, stimmliche Raffinessen wie exakte Triller, ein »messa di voce« (das perfekte An- und Abschwellen von Tönen), schnelle Läufe, das Changieren zwischen Kopfund Bruststimme, die persönliche Ausschmückung von Kadenzen etc. zu beherrschen – Anforderungen, die im Repertoire späterer Opern immer mehr verschwanden. So ist es nicht verwunderlich, dass sich auch der Stil heutiger Traviata-Interpretationen meist stark von jenen früherer Tage unterscheidet. Es wäre heute kaum mehr denkbar, dass große Wagnersopranistinnen daneben auch die Violetta in ihrem Repertoire haben wie einst Lilli Lehmann. Auch Maria Callas hatte bereits Kundry und Brünnhilde gesungen, bevor sie ihre erste Violetta sang. War in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Partie eher eine Domäne leichter, silbriger Stimmen gewesen, so wurde die leidenschaftliche Bühnenpersönlichkeit der Callas zum Vorbild für alle Nachfolgerinnen, die sich an diesem Meilenstein der Rolleninterpretation messen lassen mussten. Nur wenige konnten aus ihrem Schatten heraustreten; etwa die charismatische Ileana Cotrubaș, die mit ihrer Violetta viele Jahre nicht nur das Wiener Publikum begeisterte. Oder die ausdrucksstarke, filigrane Teresa Stratas in der Zeffirelli-Verfilmung der Oper. Und nicht zuletzt Anna Netrebko, die damit bei den Salzburger Festspielen 2005 Furore machte. Hinzu kommt die zunehmende Wichtigkeit des visuellen Aspekts auf der Opernbühne. Bei der tuberkulösen Kurtisane Violetta ist die optische Glaubwürdigkeit von besonderer Bedeutung. Bereits bei der Uraufführung wurde der eher geringe Erfolg des Werks auch dem ungünstigen optischen Eindruck der Hauptdarstellerin zugeschrieben, die von der Kritik als »dick wie eine Zervelatwurst« geschmäht wurde. Auch die Callas verdankte ihren Traviata-Triumph nicht zuletzt einer radikalen Abmagerungskur, die sie zu einer Figur à la Audrey Hepburn machte, dem gängigen Schönheitsideal jener Tage. Kaum verwunderlich, dass es heute nur wenige Rolleninterpretinnen 63 63
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gibt, die alle stimmlichen, darstellerischen und optischen Qualitäten der Partie in sich vereinen. Die Anforderungen an Violettas Geliebten Alfredo Germont sind da nicht ganz so hoch. Zum einen ist die Partie dramatisch eindimensionaler als die seiner Partnerin; zum anderen ist die Tessitur (Stimmlage) nicht so expansiv. Alfredos Arie »De’ miei bollenti spiriti« hält sich fast ausschließlich in der Mittellage auf. Dabei sollte man bedenken, dass die Tenöre der Vor-Verdizeit eine andere Ausbildung erhielten als heute. Sie sangen die hohen Töne mit reiner Kopfstimme, also einem gestützten Falsett, was in unserer Zeit eher verpönt ist. Das hohe C mit voller Bruststimme war nur wenige Jahre zuvor auf der Bühne erstmals zu hören gewesen und sein Gebrauch noch durchaus umstritten (Rossini erinnerte der Ton angeblich eher an den Schrei eines Kapauns). Verdi vermied nicht zuletzt deshalb bei Tenören allzu hohe Töne, um die Dramatik der Szene nicht durch solch allzu weiche Klänge zu konterkarieren. Andererseits schrieb er, der damaligen Operntradition folgend, für Alfredo eine sogenannte Cabaletta (»Il mio rimorso«), einen rhythmisch stringenten (und damit applaustreibenden) Schlussteil, der eine wesentlich dramatischere Attacke verlangt als der vorangegangene Cantabile-Teil. Auch Violettas Arie »Ah, fors’è lui... Sempre libera« am Ende des 1. Bildes ist nach diesem Schema aufgebaut. Anders als bei ihr jedoch wurde Alfredos Cabaletta bereits zu Verdis Lebzeiten oft gestrichen. Viele Interpreten, vor allem jene, die eher dem lyrischen Stimmfach angehören, scheuen sie. An ihrem Ende gibt es die Möglichkeit, sich ein hohes C einzulegen. Dirigenten wie Riccardo Muti untersagen solche fakultativen Spitzentöne, da sie nicht von Verdi geschrieben sind. Der Theatermann Verdi scheint solchen Fragen gegenüber eher pragmatisch eingestellt gewesen zu sein und dies toleriert zu haben. Jedenfalls wird Alfredos Cabaletta heute wieder vermehrt gespielt, egal ob mit dem eingelegten hohen Ton oder nicht. Manchmal wird diese Cabaletta auch – im vorhergehenden Rezitativ und für den normalen Operngeher kaum hörbar – um einen Halbton herunter transponiert, womit sie für die Sänger um einiges leichter wird. In Zeiten deutschsprachiger Aufführungen war es im deutschen Sprachraum üblich, die Partie mit einem guten Mozart-Tenor zu besetzen. So hält etwa Anton Dermota nach wie vor unangefochten die Spitze bei der Anzahl der Staatsopernaufführungen als Alfred (wie er damals hieß). Seitdem ab dem Ende der Fünfzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts italienische Opern auch an der Wiener Staatsoper nur noch in Originalsprache gesungen werden, ist Alfredo zur Domäne italienisch geschulter »lirico-spinto«Tenöre geworden; Sänger also mit lyrischer Anlage, die aber bereits leicht ins Dramatische tendieren. In Wien konnte man seither viele der Besten in der Rolle bewundern, von Giuseppe di Stefano über Giacomo Aragall und José Carreras bis zu Roberto Alagna.
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War der Stimmtyp des Tenors in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts einer Transformation unterworfen, so entstand zu dieser Zeit auch eine neue Stimmgattung: der Bariton. Viele der bei Mozart noch als Basspartien ausgewiesenen Rollen (etwa Don Giovanni, Figaro oder Figaro-Graf ) werden heute als Bassbariton bezeichnet, quasi die Zwischenstufe einer Entwicklung. Die Belcanto-Komponisten etablierten den »Bariton« dann dauerhaft im Opernrepertoire. Verdi schrieb einige seiner größten Rollenporträts für dieses noch relativ neue Stimmfach. Alfredos Vater Giorgio Germont hat in dem Werk nur zwei große, aber durchaus eindrucksvolle Szenen: die Auseinandersetzung mit Violetta und seine Arie »Di provenza«, beide im 2. Akt. Dabei kann ein erfahrener Verdisänger die ganze Palette seines stilistischen Könnens und seiner Stimmbeherrschung demonstrieren. Die Figur ist die eines »père noble«, ein im französischen Schauspiel damals gängiges Rollenfach, dem in der Oper der Kavalierbariton entspricht, der vor allem eines können muss: große Legatobögen formen, die ruhige Verbindung der Gesangstöne, eine der höchsten Sängertugenden. Es gibt de facto kaum einen namhaften Bariton, der Germont-père im Laufe seiner Karriere nicht gesungen hätte. In Wien konnte man in den letzten Jahrzehnten fast alle großen Verdibaritone von Giuseppe Taddei über Piero Cappuccilli und Renato Bruson bis Leo Nucci und Dmitri Hvorostovsky darin hören. Wie auch beim Sohn wird Vater Germonts Cabaletta oft weggelassen, da sie die dramatische Spannung verzögert. Heutzutage wird sie bei Aufführungen vermehrt wieder gesungen. Die Nebenrollen in Traviata sind von weit geringerem Umfang als die drei Hauptpartien und werden an Repertoirehäusern wie der Wiener Staatsoper durchwegs mit Hauskräften besetzt – oftmals mit Nachwuchssängerinnen und Nachwuchssängern. Sie dürfen davon träumen, womöglich eines Tages eine der großen Verdi-Partien zu singen. Manchmal werden diese Träume auch wahr. Bei der Wiener Traviata-Premiere 1971 sang eine gewisse Edita Gruberova die kleine Rolle der Flora.
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Dass du eine Geliebte hast, dagegen ist nichts zu sagen. Dass du sie bezahlst, wie ein Mann von Welt die Liebe einer Käuflichen bezahlt, ist durchaus in der Ordnung. Dass du aber ihretwegen die heiligsten Pflichten hintansetzt, dass ihr das Gerücht über euer schandbares Leben bis in unsere Provinz dringen lasst und den ehrlichen Namen, den ich dir gab, mit Schmutz besudelst, das geht unter keinen Umständen an und darf nicht sein. → Vater Duval an seinen Sohn, in Die Kameliendame
Simon Stone jongliert mit Genres. Er bewegt sich künstlerisch stets zwischen den Welten des Films, des Theaters und der Oper. Diese Flexibilität erfordert vor allem die Fähigkeit, sich abgrenzen zu können. Um einzutauchen in einen Kosmos, bedingungslos, sind Grenzen unerlässlich. Denn er versteht jede dieser Kunstformen in ihren besonderen E igenschaften. Die Rhythmen, die Bilder in ihren Übertragungen, die Freiheiten darin, die sich grundlegend unterscheiden. Es gibt keine Konkurrenz, kein Prinzip, das er verfolgt, das die eine Arbeit wichtiger macht, als die andere. Es ist die Erzählung von Geschichten, um die es ihm geht. Geschichten, die ihren Platz wiederfinden in unserer Zeit, die uns treffen müssen in einem Jetzt. Die Vermeidung des Musealen ist es, durch die sie, in d iesem Moment, der immer unbedingte Gegenwart ist, fühlbar relevant und wiederbelebt werden. Durch Über-Setzung löst er Distanzen auf.
In seinen Inszenierungen erschafft er Welten, die uns verstehen lassen, welche Kämpfe es sind, die diesen Geschichten vorausgehen, und welche Psychologie in ihrer Dramaturgie liegen. Wie nah sie uns sind. Er will den Ursprung, den Ton, die Worte des Kunstwerks finden und verfolgen, in der Oper, im Theater, sowie im Film, die zeigen, dass wir wahre Schönheit und echtes Gefühl nur dann wirklich v erstehen und empfinden können, wenn wir bereit sind zu sehen, welche Verletzungen und Widrigkeiten damit zusammenhängen. Politisch, gesellschaftlich und zwischenmenschlich. → Stefanie Hackl
Susan Sontag
KRANKHEIT ALS METAPHER
Welche Verknüpfungen die Gesellschaft mit Krankheiten wie Tuberkulose und Krebs etabliert 70
Tuberkulose und Krebs sind nicht nur benutzt worden, um (wie die Syphilis) rohe Phantasien über die Ansteckung, sondern auch um recht komplexe Empfindungen in Bezug auf Kraft und Schwäche und auf Energie zum Ausdruck zu bringen. Während man von Syphilis dachte, dass man sie sich passiv zuzog, ein gänzlich unfreiwilliges Desaster, wurde Tuberkulose einst und wird Krebs heute für eine Pathologie der Energie, eine Erkrankung des Willens gehalten. An beide Krankheiten knüpft sich die Sorge um die Energie und das Gefühl, knüpfen sich Befürchtungen über die Verheerung, die sie anrichten. Dass jemand Tuberkulose bekam, wurde als Zeichen einer unzulänglichen oder einer fehlgeleiteten Vitalität gedeutet. »Bemerkenswert war der große Mangel an Lebenskraft ..., war die große konstitutionelle Schwäche ...« – so beschrieb Dickens den kleinen Paul in Dombey and Son. Die viktorianische Vorstellung von Tuberkulose als einer Krankheit infolge geringer Energie (und erhöhter Sensibilität) hat ihre genaue Entsprechung in der Reich’schen Vorstellung1 vom Krebs als einer Erkrankung infolge unausgedrückter Energie und anästhesierter Empfindungen. In einer Zeit, in der es für einen produktiven Menschen keine Hemmungen zu geben schien, waren die Menschen besorgt, nicht genug Energie zu haben. In unserer eigenen Zeit der zerstörerischen Überproduktion auf wirtschaftlichem Sektor und der wachsenden bürokratischen Restriktionen gegenüber dem Individuum gibt es sowohl die Angst, zuviel Energie zu haben, als auch die Befürchtung, dass es der Energie nicht erlaubt werden könnte, sich Ausdruck zu verschaffen. Wie Freuds mangelökonomische Theorie der »Triebe« sind die Phantasien über Tuberkulose, die im letzten Jahrhundert entstanden sind (und die sich weit bis in unseres hinein gehalten haben) ein Nachhall der mit der frühkapitalistischen Akkumulation verbundenen Verhaltensweisen. Man hat eine begrenzte Energiemenge, die in angemessener Weise verbraucht werden muss. (Im englischen Slang des 19. Jahrhunderts hieß »einen Orgasmus haben nicht »kommen«, sondern »ausgeben«). Die Energie kann wie Ersparnisse erschöpft werden, kann ausgehen oder durch rücksichtsloses Ausgeben aufgebraucht werden. Der Körper wird beginnen, sich selbst »aufzuzehren«, der Patient wird »schwinden«. Die Sprache zur Beschreibung von Krebs evoziert eine andersartige ökonomische Katastrophe: die des nichtregulierten, abnormen, zusammenhangslosen Wachstums. Der Tumor besitzt Energie, nicht der Patient; »er« ist außer Kontrolle. Krebszellen sind, wenn man der Darstellung von Lehrbüchern folgt, Zellen, die den Mechanismus, der das Wachstum »zügelt«, außer Kraft setzen. (Das Wachstum normaler Zellen ist »selbstbeschränkend«, dank einem Mechanismus, der »Kontaktunterdrückung« genannt wird.) Als Zellen ohne Hemmungen wachsen die Krebszellen unaufhörlich und überwuchern einander in »chaotischer« Weise, zerstören dabei die normalen Zellen des Körpers, seine Architektur und seine Funktionen. 71
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Die Behandlung hat einen militärischen Beigeschmack. Die Strahlentherapie benutzt die Metaphern des Luftkriegs; die Patienten werden mit toxischen Strahlen »beschossen«, und die Chemotherapie ist chemische Kriegführung, bei der Gifte eingesetzt werden.2 Die Behandlung zielt darauf ab, die Krebszellen zu »töten« (ohne, so hofft man, den Patienten umzubringen). Unerfreuliche Nebeneffekte der Behandlung werden angekündigt, wirklich mehr als angekündigt. (Die »Qual der Chemotherapie« ist eine stehende Redensart.) Es lässt sich unmöglich vermeiden, dass gesunde Zellen beschädigt oder zerstört werden (tatsächlich können einige Methoden, die zur Krebsbehandlung eingesetzt werden, Krebs verursachen), doch steht man auf dem Standpunkt, dass nahezu jeglicher Körperschaden gerechtfertigt ist, wenn nur das Leben des Patienten gerettet wird. Oft funktioniert das natürlich nicht. (Wie etwa in dem Falle: »Wir mussten Ben Suc zerstören, um es zu retten.«) Es gibt alles, nur keine Verlustlisten. Die militärische Metapher kam in der Medizin in den 1880er-Jahren zum ersten Mal in allgemeinen Gebrauch, als man anfing, Bakterien als Krankheitserreger zu identifizieren. Von den Bakterien hieß es, sie seien »Invasoren« oder »sickerten ein«. Die Rede von Belagerung und Krieg, wenn es sich um die Beschreibung einer Krankheit handelt, hat heute beim Krebs eine auffallende Wörtlichkeit und Autorität. Nicht nur, dass der klinische Krankheitsverlauf und seine medizinische Behandlung auf diese Weise beschrieben werden, die Krankheit selbst stellt man sich als den Feind vor, gegen den die Gesellschaft Krieg führt. Vor kurzem noch hörte der Kampf gegen Krebs sich nach einem Kolonialkrieg an – mit vergleichbar großen Aufwendungen an Regierungsgeldern –, und in einer Dekade, wo Kolonialkriege nicht allzu gut verlaufen sind, scheint diese militarisierte Rhetorik nach hinten loszugehen. Der Pessimismus unter den Ärzten über die Wirksamkeit der Behandlung wächst trotz der spürbaren Fortschritte auf dem Gebiet der Chemotherapie und der Immuntherapie, die seit 1970 gemacht worden sind. Berichterstatter, die für »den Krieg gegen Krebs« zuständig sind, mahnen das Publikum häufig, zwischen offiziellen Fiktionen und harten Fakten zu unterscheiden; vor ein paar Jahren fand ein wissenschaftlicher Autor, dass die Verlautbarungen der American Cancer Society, Krebs sei heilbar und Fortschritte seien erzielt worden, an den »Vietnamoptimismus vor der Sintflut« erinnerten. Es ist jedoch eine Sache, dass man skeptisch in Bezug auf die Rhetorik ist, die Krebs umgibt, und eine andere, dass man den vielen uninformierten Ärzten, die darauf bestehen, dass kein ernstzunehmender Fortschritt hinsichtlich der Behandlung gemacht worden und Krebs letztlich nicht heilbar sei, zu Hilfe kommt. Die abgedroschenen Redensarten des amerikanischen Krebs-Establishments, das unermüdlich den unmittelbar bevorstehenden Sieg über den Krebs bejubelt, und der professionelle Pessimismus einer großen Zahl von Krebsspezialisten, die wie kriegsmüde Offiziere sprechen, die in einem nicht endenwollenden Kolonialkrieg versackt SUSA N SON TAG
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sind – sie bilden das Zwillingspaar der Verzerrungen innerhalb dieser militärischen Rhetorik in Bezug auf Krebs. Weitere Verzerrungen ergeben sich mit der Ausweitung der Krebsbilder zu grandioseren Entwürfen der Kriegführung. Wie man sich Tuberkulose als die Vergeistigung des Bewusstseins vorstellte, so wird Krebs als die Überwältigung oder Auslöschung des Bewusstseins (durch ein bewusstloses Es) verstanden. Bei Tuberkulose zehrt man sich selbst auf, dringt man verfeinert, wie man ist, zum wahren Kern, zum wahren Selbst vor. Bei Krebs vervielfältigen sich nicht-intelligente (»primitive«, »embryonale«, »atavistische«) Zellen, und man wird durch das Nicht-Selbst ersetzt. Immunologen klassifizieren die Krebszellen des Körpers als »Nicht-Selbst«. Tuberkulose war eine Krankheit im Dienste einer romantischen Weltanschauung. Krebs steht heute im Dienste einer simplifizierten Weltsicht, die paranoisch werden kann. Die Krankheit wird oft als eine Form dämonischer Besessenheit erfahren – Tumore sind »bösartig« oder »gutartig« wie Kräfte –, und viele erschreckte Krebspatienten fühlen sich gehalten, Wunderdoktoren aufzusuchen, um sich exorzisieren zu lassen. Die organisierte Unterstützung gefährlicher Geheimmittel wie Lactrile kommt in der Hauptsache von rechtsextremen Gruppen, für deren paranoische Politik die Phantasie von einem Wunderheilmittel gegen Krebs im Verein mit dem Glauben an Ufos eine dienliche Ergänzung ist. Für die etwas Anspruchsvolleren bedeutet Krebs den Aufstand der zerstörten Ökosphäre: Die Natur nimmt Rache an einer verderbten, technokratischen Welt. Falsche Hoffnungen und vereinfachte Befürchtungen werden durch grobe Statistiken hervorgerufen, die man der allgemeinen Öffentlichkeit unterbreitet, etwa die, dass 90% aller Krebserkrankungen »durch die Umwelt« verursacht werden, oder dass eine unvernünftige Kost und das Rauchen allein für 75% aller Krebstode zuständig seien. Zur Untermauerung dieses Zahlenspiels (es ist schwer, sich irgendetwas vorzustellen, das eine Statistik über alle Krebskranken« oder »alle Krebstode« rechtfertigen könnte) hat sich eine wachsende Anzahl von Produkten, die für uns selbstverständlich sind, als krebsverursachend herausgestellt: Zigaretten, Haarfärbemittel, Speck, Sacharin, hormongefüttertes Geflügel, Pestizide, schwefelarme Kohle. Röntgenstrahlen verursachen Krebs (die Behandlung, die zur Heilung führen soll, tötet); dasselbe trifft auf die Ausstrahlungen des Fernsehens und die Mikrowellenherde und das fluoreszierende Zifferblatt zu. Wie im Falle der Syphilis kann eine unschuldige oder triviale Handlung – oder ein Sich-Exponieren – in der Gegenwart die grässlichsten Folgen haben, bis weit in die Zukunft hinein. Ebenso ist bekannt, dass die Krebsrate bei Arbeitern in einer großen Zahl industrieller Berufe hoch ist. Obwohl die exakten Verursachungsprozesse, die hinter der Statistik liegen, unbekannt bleiben, scheint klar zu sein, dass viele Krebsarten zu verhindern sind. Krebs ist jedoch nicht nur einfach eine Krankheit, der die industrielle Revolution den Weg bereitet hat (auch in Arkadien gab 73
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es Krebs) und gewiss mehr als die Sünde des Kapitalismus. Die weitverbreitete übliche Ansicht von Krebs als einer Krankheit der industriellen Zivilisation ist wissenschaftlich ebenso unvernünftig wie die rechtsextreme Fantasie von einer »Welt ohne Krebs« (von einer Welt ohne Subversive). Beide beruhen auf der irrigen Meinung, dass Krebs eine entschieden »moderne« Krankheit sei. Die mittelalterliche Erfahrung der Pest war fest an Anschauungen von der sittlichen Verunreinigung geknüpft, und die Menschen hielten unvermeidlich nach einem Sündenbock Ausschau, der außerhalb der geplagten Gemeinschaft stand. (Im von der Pest heimgesuchten Europa der Jahre 1347-48 fanden überall Judenmassaker in bis dahin unbekanntem Ausmaß statt und hörten dann sofort wieder auf, als die Pest zurückging.) Bei den modernen Krankheiten lässt sich der Sündenbock nicht so einfach vom Patienten trennen. So sehr diese Krankheiten aber individualisieren, sie übernehmen doch einige der Metaphern für epidemische Krankheiten. Gegenwärtig ist es ebenso sehr ein Klischee zu sagen, Krebs sei durch Umwelteinflüsse« verursacht, wie es ein Klischee war – und noch ist – zu sagen, er werde durch fehlgeleitete Emotionen verursacht. Tuberkulose wurde mit Verschmutzung assoziiert (Florence Nightingale dachte, »sie [werde] durch die üble Luft in den Häusern induziert«), und Krebs gilt heute als eine Krankheit infolge der Vergiftung der ganzen Welt. Tuberkulose war die »weiße Pest«. Mit dem Gewahrwerden der Umweltverschmutzung begannen die Menschen zu sagen, dass es eine »Epidemie« oder »Pest« namens Krebs gebe.
1 Gemeint ist der Arzt Wilhelm Reich, der an einer – umstrittenen – Krebstherapie forschte. 2 Medikamente vom Typ Stickstofflost (sogenannte alkylierende Reagenzien) – wie Cyclophosphamid (Cytoxan) – waren die erste Generation von Krebsmedikamenten. Ihre Anwendung – erst bei Leukämie (die durch eine exzessive Produktion unreifer weißer Zellen gekennzeichnet ist), dann bei anderen Krebsformen – empfahl sich infolge eines versehentlichen Experiments mit der chemischen Waffe gegen Ende des Zweiten Weltkrieges, als ein amerikanisches Schiff, das mit Stickstofflost beladen war, im Hafen von Neapel in die Luft ging und viele der Seeleute eher an ihrer tödlich niedrigen Leukozyten- und Trombozytenzahl starben (d.h. an Knochenmarkvergiftung) als an Verbrennungen oder an der Einnahme von Seewasser. Chemotherapie und Waffenkunde scheinen zusammen zu gehen, und sei es nur als Phantasie. Der erste moderne chemotherapeutische Erfolg betraf die Syphilis: 1910 führte Paul Ehrlich ein Arsen-Derivat, Arsphenamin (Salvarsan) ein, das man »die magische Kugel« nannte.
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Margaret Plummer als Flora und Erik Van Heyningen als Marquis von Obigny
Pretty Yende als Violetta und Igor Golovatenko als Giorgio Germont
»Möchte allein sein«, sagte ich. »Soll nicht erst ...«, fragte jemand. »Nein«, sagte ich. »Rausgehen. Nicht anfassen.« Ich habe ihr dann das Blut abgewaschen. Ich war aus Holz. Ich habe ihr das Haar gekämmt. Sie wurde kalt. Ich habe sie in mein Bett gelegt und die Decken über sie gedeckt. Ich habe bei ihr gesessen, und ich konnte nichts denken. Ich habe auf dem Stuhl gesessen und ich konnte nichts denken. Ich habe auf dem Stuhl gesessen und sie angestarrt. Der Hund kam herein und setzte sich zu mir. Ich habe ge sehen, wie ihr Gesicht anders wurde. Ich konnte nichts tun, als leer sitzen und sie ansehen. Dann kam der Morgen, und sie war es nicht mehr. → Erich Maria Remarque, Drei Kameraden
Christina Böck
Ein blutiges Taschentuch postet man nicht auf Instagram
Über die Fassaden der Gesellschaft
»Das Zimmer war voll von Kauflustigen und Neugierigen. Alle Zelebritäten der lasterhaften Modewelt waren dort versammelt und wurden mit finsteren Blicken gemessen von einigen vornehmen Damen, welche die Versteigerung als Vorwand genommen hatten, um Personen, mit denen sie sonst nie zusammentrafen, und deren Freiheit und Genüsse sie vielleicht im Stillen beneideten, in der Nähe zu sehen.« Diese Beschreibung steht auf den ersten Seiten von Alexandre Dumas’ Roman Die Kameliendame – der literarischen Vorlage von Giuseppe Verdis Oper La traviata. Die Szene spielt in der Wohnung der an Tuberkulose verstorbenen Kurtisane Marguerite Gautier, deren gesamtes Inventar versteigert wird, um die Gläubiger der jungen Frau posthum zufriedenzustellen. Was Dumas da beschreibt – und seine Erzählung basiert auf wahren Begebenheiten –, ist ein sehr menschliches Verhalten. Es trägt den eigentlich eleganten Namen Voyeurismus. Alle diese angeblich an der Auktion Interessierten machen ein gesellschaftliches Event daraus, sich einmal ohne Gefahr für ihr eigenes Ansehen anzusehen, wie eine »dieser« Damen so lebt. Ein Betriebsausflug in die Demi-Monde, in die Halbwelt. Das ist nichts, worauf man gemeinhin stolz ist – aber es ist etwas, das sich seit dem 19. Jahrhundert, in dem Dumas seine Beobachtungen niederschrieb, bis heute wenig geändert hat. Doch, es hat sich etwas geändert: Es ist heute sehr viel einfacher, solchen voyeuristischen Trieben nachzugehen. Anfang 2021 erschütterte eine Eilmeldung die Welt der Klatschgazetten: Kim Kardashian reicht die Scheidung von Kanye West ein. Es handelt sich bei den Herrschaften um einen US-Kunstrapper mit Hang zu Verhaltensauffälligkeiten und um eine Unternehmerin, die ihre Popularität aus einer Reality-TV-Show bezieht. Vor allem aber ist sie die Königin von Instagram. Instagram ist ein soziales Netzwerk, in dem man Bilder teilen kann. Das ist die simple Beschreibung eines Mediums, das heute als Kommunikationsinstrument für Menschen, die berühmt sind und solche, die es noch werden wollen, von eminenter Bedeutung ist. Fans abonnieren die Instagram-Auftritte bzw. Accounts ihrer Idole und sind dann sogenannte Follower. Im Februar 2021 führte die Liste der Konten mit den meisten Followern Instagram selbst an, gefolgt von Fußballer Cristiano Ronaldo mit 245 Millionen Followern. Vergleichsweise abgeschlagen sind der Wrestler The Rock und Popsängerin Ariana Grande (216 und 215 Millionen). Auf Platz sieben thront eben Kim Kardashian West mit 203 Millionen treuen Gefolgsleuten. West nutzt ihren Kanal auf diesem Medium zum einen, um ihre gerade aktuellen Kollektionen, die entweder Gesicht (Kosmetik) oder Körper (figurformende Unterwäsche) zum Instagram-Ideal optimieren sollen, an die zahlende Kundschaft zu bringen. Und zum anderen ist für sie Instagram eine Art Familientagebuch, in dem sie ihre Fans an ihrem Leben teilhaben lässt. Aber eben nur so weit, wie sie das opportun findet – und so weit, wie es die Inszenierung einer 79
CHR IST INA BÖCK
heilen Luxuswelt zulässt. Nach Bekanntwerden der Scheidung des einstigen Traumpaares stürzten sich Fans und berufsmäßig Interessierte sprich Klatschjournalisten auf die über 5000 Bilder, die Kardashian seit ihrer Hochzeit auf Instagram gepostet hat – konnte man diese doch nun unter ganz anderen Vorzeichen lesen. Meistens nämlich, wenn Kanye West wieder eine seiner berüchtigten mentalen Instabilitäten über die Jahre hatte, teilte seine Frau schnell ein gemeinsames Bild, um zu beweisen oder um den Schein zu bewahren, dass ihre Ehe unter diesen Turbulenzen rein gar nicht leidet. Erst gegen Ende des vergangenen Jahres konnte sehr Aufmerksamen auffallen, dass die Fassade bröckelt: der Ehering war von ihrem Finger verschwunden. Das Kramen in alten Instagram-Fotos nach einer gescheiterten Prominenten-Beziehung – es ist das moderne Äquivalent zum Auflauf der Neugierigen in der Wohnung der toten Marguerite Gautier. In beiden Fällen holt man sich ein Stückchen einer Welt, in die man selbst nie vordringen würde. Heute, über Instagram, muss man nicht einmal mehr die Sorge haben, dass das jemand genant finden könnte: Das geht gefahrlos anonym. Im 19. Jahrhundert blieb immer noch die Gefahr, dass der kurze voyeuristische Genuss gesellschaftliche Nachwirkungen haben könnte – allein die Assoziation mit Lotterleben hat da schon gereicht. Auch nur der Anschein von verletztem Anstand nach dem damaligen Moralkodex konnte vor allem für Frauen weitreichende Folgen haben – Duelle für männliche Anverwandte, Kloster oder »nur« Unvermittelbarkeit, die natürlich zu Armut führte. Als Frau war man ziemlich rechtlose Sklavin dieser Moralvorstellungen – in Die Kameliendame ist es auch der Ruf einer Frau, der schließlich dazu führt, dass Marguerite sich mit ihrer letzten Lüge von ihrem Geliebten Armand abwendet. Als dessen Vater Marguerite suggeriert, dass der Leumund von Armands Schwester durch seine Beziehung mit ihr nachhaltig »beschmutzt« wird, überzeugt er sie zu ihrem finalen Rückzieher. Marguerite, die bei Verdi zu Violetta wird, ist eine Kurtisane. Ein ambivalentes Rollenbild für Zeitgenossinnen: Auf der einen Seite hat sie ein luxuriöses Leben, wird von Verehrern umschwärmt. Sie bezahlt dies auf der anderen Seite mit einer gesellschaftlichen Ächtung: »Man wird gefürchtet wie ein wildes Tier, verachtet wie ein Paria«, klagt sie einmal. Sie finanziert sich ihren ausschweifenden Lebensstil durch die Affären mit wohlhabenden Männern. Das ermöglicht ihr tägliche Theaterbesuche, eine teure Wohnung, einen flotten Wagen mit schnellen Pferden, schillernde Preziosen, eine spontane Landhausmiete, Champagner in Strömen. Nicht ins glamouröse Bild, das sie da zelebriert, passt da eine Krankheit – ihre Tuberkulose. Ihr blutiges Taschentuch würde sie wohl kaum auf Instagram posten. Die Kurtisane steckt in einer Doppelmühle: Sie braucht den Schein des Glamours, um für ihre Verehrer anziehend zu sein. Aber sie braucht auch die Männer, die ihr diesen Glanz erst verleihen. Dass ihre ganze Existenz CHR IST INA BÖCK
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auf einem Kartenhaus aus Lügen besteht, wird ihr erst bewusst, als sie echte Liebe empfindet. Dann wird ihr zum Verhängnis, dass sie ein elegantes Symbol für simulierte Liebe ist: Armand, der in Verdis Oper La traviata Alfredo ist, hat seine liebe Mühe, mit Marguerites Vorleben zurechtzukommen. Das Vertrauen in ihre Liebe steht auf reichlich tönernen Füßen, das Misstrauen nützt jede Gelegenheit, um Eifersucht zu säen. Er analysiert das immerhin selbst treffsicher, wenn auch zu spät, nämlich nachdem er seine Geliebte exhumiert hat, um sie noch einmal zu sehen: »Sie haben so oft gelogen, dass man ihnen nicht mehr glauben mag, und neben ihren Gewissensbissen haben sie noch ihre Liebespein zu ertragen«, sagt er über Marguerites »Branche«. Auf Instagram machen sich die wenigstens Gewissensbisse, wenn sie lügen. Gut, das ist natürlich jetzt polemisch. Denn »lügen« ist ein großes Wort. Ist es schon eine Lüge, wenn man seine Taille mit Photoshop ein wenig schmäler macht? Ist es eine Lüge, wenn man sagt, man verwendet immer nur dieses Produkt, weil man es so toll findet – und nicht, weil man vom Hersteller Geld dafür bekommt, dass man seinen Millionen Followern sagt. dass man es toll findet? Apropos Millionen Follower: Ist es eine Lüge, wenn man sieben Millionen Follower hat, die aber gar keine echten Menschen sind, sondern in Russland programmierte Computeranweisungen mit dem putzigen Namen Bot? Letzteres hat zumindest nicht besonders viele Konsequenzen – wenn es hart auf hart kommt, wird man von Instagram aus seinem unechten Account gesperrt. Wenn man es aber wirklich ernst meint mit der Gefolgschaftsmaximierung, erschüttert einen das nur wenig. Denn Fake-Follower sind schnell wieder aufgetrieben. Man muss dafür noch nicht einmal ins verruchte Darkweb, wo es die Drogen und die Waffen gibt. Auf hundsordinären Internetseiten wie famoid.com kann man sich um 120 Dollar ein hübsches Päckchen von 7500 Followern anschaffen. Das geht zwar schon ein bisschen ins Geld, will man sich Millionenhöhen erklimmen. Aber es lockt eben auch die Aussicht auf viel Geld: Mit über einer Million Followern kann man etwa 250.000 Dollar pro Beitrag bei Firmen, deren Produkte man bewirbt, verdienen. Menschen, die dies beruflich machen – also die Werbung, nicht notwendigerweise das Fake-Follower-Kaufen –, sind sogenannte Influencer. Auch so ein zweischneidiger Begriff des 21. Jahrhunderts: Einerseits macht er nachgerade orwellesk kein Hehl daraus, dass hier jemand zu einem bestimmten Verhalten gelenkt werden soll, andererseits will er einem weismachen, dass jemand aus eigenem Wunsch Einfluss ausüben will. Und verschleiert ganz geschmeidig, dass es einfach nur ums Geschäft geht. Und das Geschäft will man sich auch nicht verderben lassen – etwa durch lästiges Steuern-Zahlen. In letzter Zeit haben sich viele Influencer in Dubai angesiedelt. Die Hauptstadt der Vereinigten Arabischen Emirate hat viele Vorteile für diesen Berufszweig: Das Wetter ist fotogen, die zahlungskräftigen 81
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Luxusmarken sind bei der Hand – und es gibt keine Einkommenssteuer. Allerdings braucht man eine Lizenz von der staatlichen Behörde National Media Council. In diesem Vertrag verpflichtet man sich, für ein »positives Image« des Emirats zu sorgen und von jeglichen negativen Kommentaren über Dubai, das Land, die Politik oder die Gesellschaft abzusehen. Von der entführten Prinzessin Latifa, Tochter des Emirs von Dubai, wird man bei diesen Instagram-Helden also eher nichts lesen. Sie erkaufen sich ihren Luxus und ihre Scheinwelt dadurch, ein bisschen wegzusehen. Marguerite Gautier hat für ihren Luxus und ihre Scheinwelt auch vieles in Kauf genommen. »Unter dem vergoldeten Schleier«, wie Armand es einmal bitter beschreibt, sieht man auch manches nicht so genau, meint man vielleicht. Für Marguerite und Violetta ist das nicht gut ausgegangen.
Christina Böck leitet das Feuilleton der Wiener Zeitung.
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»Sie brauchte Einsamkeit ... sie sah sich verfolgt. Sie brauchte Stille ... und hörte ohne Ende und Unterlass dieselben Sätze in ihr gelangweiltes Ohr tönen! Sie wollte in Ruhe gelassen werden! ... Man schleppte sie auf Feste und ins Getümmel. Sie wollte aber geliebt werden! Man sagte ihr, dass sie schön sei! ... Also verlor sie sich widerstandslos im Wirbel, der sie verschlang! Welche Jugend! → Der französische Schriftsteller Jules Gabriel Janin (1804–1874) über Marie Duplessis
Chor der Wiener Staatsoper, Pretty Yende als Violetta
Max Haller
SOZIALE SCHRANKEN UND GLÄSERNE BARRIEREN – GESTERN UND HEUTE Wie manche auch heute noch gleicher sind
Wir sind alle berührt von der Grausamkeit, die Alfredos Vater Giorgio an den Tag legt, als er der bereits dem Tod geweihten Kurtisane Violetta nahelegt, auf die Liebe seines Sohnes zu verzichten, damit darunter nicht seine Familienehre leide. Ähnliches mag zu dieser Zeit an der Tagesordnung gewesen sein. Die Ständeordnung errichtete scharfe Schranken zwischen der »höheren« und »niedrigeren« Gesellschaftsschicht. Sie wurden besonders akribisch beachtet im Falle von Eheschließungen, durch welche Standesehre und Vermögen zu sichern waren. Liebesbeziehungen zwischen Männern und Frauen unterschiedlicher Stände konnten dennoch nicht unterbunden werden, aber Frauen des Volkes waren für die erotisch-sexuellen Bedürfnisse der höheren Stände nur Mittel zum Zweck. Unter diesem Zwang litten auch die Adeligen selbst. Man denke an die Töchter von Kaiserin Maria Theresia, die standesgemäß verheiratet »wurden«. Da sich ihre jüngste, Maria Amalia, den Anordnungen nicht fügte, wurde sie für den Rest ihres Lebens vollkommen geschnitten. Der fortschrittliche Kaiser Joseph II. besuchte seine ungeliebte zweite Frau Josepha von Bayern weder am Sterbebett noch nahm er an ihrer Beerdigung teil. Auch im alltäglichen Leben war die Standeszugehörigkeit omnipräsent. So schreibt der 1881 geborene Stefan Zweig (Die Welt von gestern), ein Faktum habe ihn und seinen Bruder schon als Kinder »bald amüsiert und bald verärgert. Immer bekamen wir zu hören, dass dies ›feine‹ Leute seien und jene ›unfeine‹, bei jedem Freunde wurde nachgeforscht, ob er aus ›guter‹ Familie sei, und bis ins letzte Glied Herkunft sowohl der Verwandtschaft als des Vermögens überprüft. Dieses ständige Klassifizieren schien uns damals höchst lächerlich und snobistisch.« Die Einkommensunterschiede zwischen den Ständen waren tatsächlich enorm. Im Mozarthaus hinter dem Stephansdom hängt eine Tafel mit den Einkommen von 14 Berufsgruppen um 1780. Ein Stubenmädchen verdiente 30 Gulden im Jahr, ein Volkschullehrer im Durchschnitt viermal so viel, ein mittlerer Beamter 20mal, ein Graf 1000mal und ein Fürst 10.000mal so viel. Mozart selbst hatte ein recht hohes Jahreseinkommen von 3000 bis 4000 Gulden. Da er keinen adeligen Besitz hatte, bot dies keine Sicherheit. Nach Mozarts Ableben konnte seine Witwe Constanze ausstehende Schulden nur begleichen, weil ihr der Kaiser eine Pension gewährte. Nach dem Ersten Weltkrieg wurden die Privilegien des Adels in Teilen Europas endgültig hinweggefegt. Österreich war besonders radikal und verbot 1919 sogar das »von« im Familienamen als Hinweis auf adelige Herkunft. In der Ersten und Zweiten Republik wurde der Wohlfahrtsstaat ausgebaut, der die eklatantesten sozialen Probleme löste. Der Staat sorgt heute für praktisch alle Menschen in Notlagen wie Arbeitslosigkeit und Krankheit, und schützt vor Armut im Alter. Krasse Ungleichheit, soziale Ausgrenzung und Diskriminierung konnten eingedämmt werden, sind deshalb aber nicht verschwunden. Wir alle profitieren von wirtschaftlich-technologischen Fort 87
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schritten, Steigerungen von Bildung, Lebensstandard und Lebenserwartung. Alle diese Prozesse führen aber auch dazu, dass heute Tausende von hochbetagten Menschen in Alters- und Pflegeheimen leben, wo sie oft mehr versorgt als umsorgt werden. Werden sie von ihren Angehörigen zuhause betreut, sind diese durch die Anforderung so stark belastet, dass sie kaum mehr für andere Beziehungen Zeit haben. Nahezu ein Fünftel der Österreicherinnen und Österreicher (1,3 Millionen) sind in irgendeiner Form ernsthaft behindert. Vor allem Behinderungen des Körpers, der Sinne und des Sprechens führen zu starken Einschränkungen in Alltagsleben und Berufswelt. Von den Mitmenschen werden Behinderte als »Andere«, vor allem als Bedürftige, gesehen; psychische Erkrankung wird oft als Vortäuschung interpretiert. In sozial schwächeren Schichten sind diese Probleme noch gravierender. Die enorme Bildungsexpansion hat zu einer Steigerung der allgemeinen Ausbildung der Gesellschaft geführt. Ein hochdifferenziertes Bildungssystem ist aber auch ein umfassender, effizienter und scheinbar gerechter Mechanismus der sozialen Selektion und Trennung der Begabten und Fleißigen von jenen, welche die Natur weniger gut ausgestattet hat. Zugang zu hochqualifizierten Positionen ist praktisch nur mehr über akademische Ausbildungen möglich. Gehobener sozialer Hintergrund, Verfügung über effiziente Netzwerke und Ellbogen-Einsatz scheinen unentbehrlich zu sein, um in Spitzenpositionen zu gelangen. Darin liegt wohl die Ursache, dass nur ein Zehntel der Mitglieder der Geschäftsführungen der 200 größten Unternehmen in Österreich Frauen sind. Auf der anderen Seite selektiert das Bildungssystem auch nach unten. Junge Menschen, die keinen formalen Schulabschluss schaffen und keine berufliche Ausbildung erlangen, haben es im Leben extrem schwer. Ein erheblicher Anteil der Schulabgänger und eine Million der Erwachsenen in Österreich sind »funktionale Analphabeten«, können keine längeren Sätze verstehen oder schreiben (was sie tunlichst zu verbergen suchen). Ihre Chancen werden auch dadurch geschmälert, dass als Folge des technologischen Fortschritts, aber auch durch sparorientierte Unternehmen und Kommunen, Arbeitsplätze vernichtet werden, in welchen solche Menschen früher problemlos beschäftigt werden konnten. Als Österreicherin oder Österreicher kann man stolz darauf sein, dass dieses Land seit dem Zweiten Weltkrieg immer wieder Hunderttausende von Flüchtlingen aus Nachbarstaaten und zuletzt auch aus dem Nahen Osten aufgenommen hat. Dazu kamen noch mehr Zuwanderer aus den osteuropäischen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union. Sie haben entscheidend dazu beigetragen, dass Österreich zu einem der reichsten Länder der EU aufsteigen konnte, dass der Tourismus blüht und dass auch alleinstehende und pflegebedürftige alte Menschen gut betreut werden. Die Zuwanderung trug auch entscheidend dazu bei, dass sich Wien zu einer Stadt mit hoher Lebensqualität und Attraktivität für Künstler, Wissenschaftler und Manager M A X H A LLER
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aus aller Welt entwickelte. Sein Ruf als eine Musikhauptstadt der Welt ist zu einem hohen Teil auf Zuwanderung zurückzuführen, die praktisch seit jeher bis heute ungebrochen anhält. Man kann sich nur wundern, dass angesichts dieser Fakten ein hoher Anteil der Österreicherinnen glaubt, die Zuwanderung habe diesem Land mehr Nachteile als Vorteile gebracht. Zuwanderung ist aber auch mit neuen Formen der sozialen Ausschließung verbunden. Dies wird evident, wenn man ihre Lage und die der Nachkommen von Zuwanderern betrachtet. Österreich hat ein sehr rigides Staatsbürgerschaftsgesetz, demzufolge man in der Regel nur dann Österreicherin oder Österreicher wird, wenn es auch die Eltern sind. Dies führt etwa dazu, dass heute jedes Jahr Zehntausende Kinder auf die Welt kommen, die nicht österreichische Staatsbürger sind. Wenn die Eltern keine Aufenthaltsberechtigung erhalten, werden selbst Kinder abgeschoben, die hier aufwuchsen und zur Schule gingen. Von 1000 im Lande wohnenden Ausländern suchen nur sieben pro Jahr um die Staatsbürgerschaft an – einer der niedrigsten Anteile in Europa. Gut 600.000 könnten es aufgrund ihres zehn Jahre und längeren Aufenthalts im Lande, tun es aber auch deswegen nicht, weil Doppelstaatsbürgerschaft nur ganz wenigen ermöglicht wird. Praktisch von jeder sozialen Teilnahme ausgeschlossen sind die »Träumer«, Kinder und Jugendliche, die hierzulande die Schule besuchten, aber dennoch einen Abschiebebescheid erhielten. Sie zogen es dann vor unterzutauchen, anstatt in ein Land abgeschoben zu werden, das sie oft nur aus den Medien kennen. EU-weit ist das eine Million Menschen. Probleme von Diskriminierung und sozialem Ausschluss gibt es auch für Österreicherinnen und Österreicher nicht nur in materieller, sondern auch sozialer und kultureller Hinsicht. Gut eineinhalb Millionen Menschen (17% der Bevölkerung) sind von Armut gefährdet, das heißt, sie haben weniger als 60% des durchschnittlichen Einkommens zur Verfügung (also weniger als 1.300 Euro pro Monat). Überproportional häufig davon betroffen sind Pensionistinnen, alleinlebende Frauen, Ein-Eltern-Haushalte und Angehörige kinderreicher Familien. Alleinerziehende Eltern (zu 90% Frauen) haben nicht nur mehr finanzielle Probleme, ihnen fehlen oft auch Zeit und Ressourcen, um an sozialen Aktivitäten teilzunehmen. Menschen, die jährlich 300.000 Euro und mehr zur Verfügung haben (knapp 1% der Bevölkerung) werden – abgesehen von berufsbedingten Kontakten (etwa bei einem Arztbesuch) – kaum mit jenen in Kontakt kommen, die weniger als 20.000 Euro beziehen (rund 42% der Bevölkerung). Man wird die ersteren viel seltener in öffentlichen Verkehrsmitteln, auf Arbeitsämtern, in einem Beisel um die Ecke, beim Spazierengehen treffen, ihre Kinder werden eher Privatschulen als Brennpunktschulen besuchen, im Urlaub werden sie in anderen Hotels logieren als die Letzteren. Mit Problemen von Schulen, in denen drei Viertel der Kinder zuhause nicht deutsch sprechen, haben nur jene Eltern zu kämpfen, die in Stadtbezirken mit preiswerten Wohnungen, daher auch hohen Aus 89
SOZI A LE SCHR A N K EN U N D GLÄSER N E BA R R IER EN – GE ST ER N U N D HEU T E
länderanteilen leben. Akademiker rümpfen die Nase, wenn sie von fremdenfeindlichen Äußerungen der so Betroffenen hören. Man braucht angesichts derartiger Fakten nicht in einen Sozial- und Kulturpessimismus zu verfallen. Es ist ohne Zweifel so, dass Österreich wie alle europäischen Gesellschaften in den letzten zweihundert Jahren einen immensen Fortschritt erfahren hat. In Umkehrung eines verbreiteten Schlagwortes hat der Schweizer Journalist Guido Mingels (wie schon der schwedische Statistiker Hans Rosling vor ihm), ein Büchlein herausgebracht mit dem Titel Früher war alles schlechter. Die Lebenserwartung ist von rund 50 Jahren um 1900 auf 70 Jahre um 1950 und auf gut 80 Jahre heute gestiegen, die Arbeitszeit wurde stark verkürzt, die Gesundheitssituation hat sich stark verbessert. Ich möchte diese Überlegungen daher mit einigen Sätzen des französischen Juristen und Soziologen Alexis de Tocqueville abschließen, welche er nach seiner Reise in die Vereinigten Staaten 1835 niederschrieb. Er war dort schwer beeindruckt worden von der Achtung im Umgang aller Menschen miteinander, gleichgültig welcher sozialen Schicht sie angehörten. Tocqueville schrieb: »In den demokratischen und wohlhabenden Gesellschaften wird es also immer eine Menge reicher oder wohlhabender Leute geben. Diese Reichen werden untereinander nicht so eng verbunden sein wie die Mitglieder ehemaligen Aristokratie; sie werden aber unvergleichlich zahlreicher sein als die, aus denen die Adelsklasse bestand. Wenn es stimmt, dass der menschliche Geist einerseits zum Beschränkten, Materiellen und Nützlichen neigt, so erhebt er sich anderseits zum Unendlichen, Vergeistigten und Schönen. Nicht nur wird die Zahl derer, die sich der Werke des Geistes annehmen, größer sein, sondern der Sinn für geistige Genüsse überträgt sich von einem auf den andern, bis selbst zu jenen hinab, die in der aristokratischen Gesellschaft weder die Zeit noch die Gabe zu solcher Beschäftigung zu haben scheinen.«
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Juan Diego Flórez als Alfredo, Pretty Yende als Violetta, Attila Mokus als Baron Douphol, Ilja Kazakov als Doktor Grenvil
WO WAR ICH EINMAL UND WAR SO SELIG? Das fragt sich Sophie im „Rosenkavalier“. Unsere Vermutung: wahrscheinlich im Kaffeehaus.
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Die OMV unterstützt die Wiener Staatsoper schon seit langem als Generalsponsor und wir sind stolz, diese herausragende österreichische Kulturinstitution in eine neue Ära begleiten zu dürfen. Wir freuen uns mit Ihnen auf bewegende Inszenierungen. Alle Sponsoringprojekte finden Sie auf www.omv.com/sponsoring
Impressum
Giuseppe Verdi LA TRAVIATA Saison 2020/21 HERAUSGEBER Wiener Staatsoper GmbH, Opernring 2, 1010 Wien Direktor: Dr. Bogdan Roščić Musikdirektor: Philippe Jordan Kaufmännische Geschäftsführerin: Dr. Petra Bohuslav Redaktion: Sergio Morabito, Andreas Láng, Oliver Láng Gestaltung & Konzept: Fons Hickmann M23, Berlin Layout & Satz: Annette Sonnewend & Gabi Adébisi-Schuster (WerkstattWienBerlin) Druck: Print Alliance HAV Produktions GmbH, Bad Vöslau
TEXTNACHWEISE – ORIGINALBEITRÄGE Sergio Morabito / Oliver Láng: Die Handlung – Oliver Láng: Über dieses Programmbuch – Giacomo Sagripanti: Wurzeln im Belcanto, Zweige in der Zukunft (redigiert von Ann-Christine Mecke) – Oliver Láng: Wie aus der Margerite ein Veilchen wurde – Andreas Láng: Trotzdem beliebt – Jendrik Springer: Die Partitur im Fokus – Michael Kraus: Voci Verdiane – Stefanie Hackl: Simon Stone – Christina Böck: Ein blutiges Taschentuch postet man nicht auf Instagram – Max Haller: Soziale Schranken und gläserne Barrieren – Das Gespräch zwischen Bogdan Roščić und Simon Stone fand im Rahmen der Aufzeichnung einer Einführung vor der Premiere statt. ÜBERNAHMEN UND ÜBERSETZUNGEN Claire Marin: Die Bruchlinien unseres Lebens, aus: Programmheft La traviata, Opéra national de Paris, 2020, S. 55, (deutsch von Sergio Morabito) – Auszug aus: Alexandre Dumas: Die Kameliendame, aus: Ders., Die Kameliendame, Suhrkamp, 1999, S. 191 – Tzvetan Todorov: Der Mythos der Traviata, aus: Programmheft La traviata, Opéra national de Paris, 2020, S. 45 (deutsch von Sergio Morabito) – Michael Krüger, Das elfte Gebot, aus: Michael Krüger, Kurz vor dem Gewitter. Gedichte, Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main, 2003 – Jules Janin über Marie Duplessis, aus: Attila Csampai, La traviata, Rowohlt S. 120 – Auszug aus: Susan Sontag: Krankheit als Metapher, aus: Dies., Krankheit als Metapher, Carl Hanser Verlag, 1980, S. 66-77 – La Païva an ihren Ehemann, aus: Barbara Sichtermann, Ingo Rose: Kurtisanen, Konkubinen & Mätressen, ebersbach&simon, 2016, S. 63 – Auszug aus: Erich Maria Remarque, Drei Kameraden, aus: Ders., Drei Kameraden,
Kiepenheuer & Wisch, 1998, S. 429 Übersetzung der Inhaltsangabe: Steven Scheschareg BILDNACHWEISE Bildkonzept Cover: Martin Conrads, Berlin: Paris at Night, 2015, NASA Alle Szenenbilder: Michael Pöhn / Wiener Staatsoper GmbH AKG-images: S. 26, 59, 66 istock: S. 7 Nachdruck nur mit Genehmigung der Wiener Staatsoper GmbH / Dramaturgie Kürzungen sind nicht gekennzeichnet. Rechteinhaber, die nicht erreicht werden konnten, werden zwecks nachträglicher Rechtsabgeltung um Nachricht gebeten. Kürzungen sind nicht gekennzeichnet. Rechteinhaber, die nicht erreicht werden konnten, werden zwecks nachträglicher Rechtsabgeltung um Nachricht gebeten.
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