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Here/THERE
Here heil angekommen, bereit zum Auspacken.
Protokoll der Entstehung eines internationalen Kulturprojekts zwischen Wexford (Irland) und Wuppertal von Anya von Gösseln und Jürgen Grölle
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Heute, am 24. August 2021, werden in der Galerie pass:projects von Jürgen Grölle
Kunstwerke zugeteilt. Auf großen Stapeln, zwischen Folien oder in Rollen liegen Arbeiten von 18 irischen und deutschen Künstlerinnen und Künstlern, die an dem Projekt HERE/there im irischen Wexford teilgenommen haben und nun zur Gegeneinladung an die Wupper kommen.
Das Projekt
Die Vorgeschichte reicht zurück bis 1992, als Anya von Gösseln, eine erfahrene Kuratorin und Galeristin für zeitgenössische Kunst, auf Verwandtschaftsbesuch an der Wupper war und mehr oder weniger zufällig in eine Ausstellung des Malers Jürgen Grölle in der Galerie Epikur geriet. Da hat es dann sofort gefunkt – zwei seelenverwandte Kunstenthusiasten trafen aufeinander, in Alter und Wesen völlig
verschieden, aber zwei, die für die Kunst brannten. Sofort war beiden klar, dass sie gemeinsam „etwas Größeres“ machen wollten. Seither sind sie ständig in Kontakt geblieben und haben Pläne geschmiedet.
Jürgen Grölle, der nicht nur Jazzmusiker und Maler war (und vielleicht auch noch ist), sondern auch zahlreiche interdisziplinäre Kulturevents in Wuppertal initiiert und durchgeführt hat, dachte schon immer global. So traf er Anya von Gösseln immer wieder in Hamburg oder New York, doch es blieb beim Pläneschmieden. Erst als Grölle vor etwa zehn Jahren das Malen aufgab und seine Galerie pass:projects eröffnete, wurde die Sache konkreter: 2015 bat er Anya von Gösseln, eine Ausstellung zu kuratieren. Die Galeristin kam mit Gary Farrelly und Oisin Byrne an die Wupper, und damit war im kleineren Rahmen der Anfang des irisch-deutschen Kunstaustausches gemacht. Bald begann Gary Farrelly mit der Künstlerin Chris Dreier eine enge Zusammenarbeit, die beiden inszenierten sich als „Künstlerpaar“ und zeigten 2017 und 2019 bei Grölle sehr eigenwillige Ausstellungen mit umfassenden interdisziplinären Konzepten.
2019 kam es nach längerer Unterbrechung endlich zu dem lange geplanten großen Projekt: Anya von Gösseln funktionierte ihre kleine Galerie in Wexford um zu einem Büro für kulturellen Austausch und Kunstmanagement und lud neun Künstlerinnen und Künstler der Galerie pass:projects von Jürgen Grölle ein zu HERE/there, Wexford meets Wuppertal. Grölle war beeindruckt von der Offenheit und der umsichtigen Vorbereitung der irischen Gastgeber: „Die irischen Partner haben sich unglaublich eingesetzt und haben großes Interesse, künstlerisch Anschluss an das Festland zu bekommen.“
Wexford veranstaltet seit Jahren renommierte internationale Opernfestspiele, und die Stadt ist zeitgenössischer Kunst gegenüber ebenso offen wie die unsrige. Dass irische Künstlerinnen und Künstler nun über Dublin aufs Festland kommen, eröffnet nicht nur künstlerische Anreize, sondern auch kulturpolitische Perspektiven. So wird das Projekt unterstützt von der irischen und von der deutschen Botschaft. Eigentlich war die Gegeneinladung nach Wuppertal bereits für den März 2019 vorgesehen, musste allerdings wegen der Corona-Pandemie zweimal verschoben werden, doch am 8. September 2021 ist es endlich so weit!
Jürgen Grölle wollte den Künstlerinnen und Künstlern einen ebenbürtigen Empfang bereiten, doch die Stadt Wuppertal war nicht in dem Maße zu begeistern wie die Stadt Wexford. Für den Galeristen war es kein Problem, andere Partner zu finden, mit denen er das Projekt planen konnte: Die Stadtsparkasse sagte sofort zu. Sie ist längst auch zu einer Institution der besonderen Art für die Kunst
Jürgen Grölle und Anya von Gösseln
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geworden, mit Gunther Wölfges an der Spitze, der immer ein offenes Ohr für die Belange der Kunst hat, und beraten von Peter Klassen, der in Wuppertal jedes Atelier kennt. Mit der jungen Galerie Friedrich + Ebert, geleitet von Steffen Peter, konnte Grölle einen weiteren Partner gewinnen. So findet die Ausstellung, wie zuvor in Irland, an mehreren Orten statt. Vielleicht hatte der Aufschub auch ein Gutes, denn das Projekt hat sich kurzfristig um zwei Kooperationspartner erweitert und ist interdisziplinär geworden: Am 9. September spielte die Band Cursed Murphy versus the Resistance aus Wexford im Rahmen des Projekts im LOCH, einem inzwischen preisgekrönten Kunst- und Kulturzentrum, das Maik Olhoff leitet. Und Wolfgang Flad, Teilnehmer am Projekt, wird mit weiteren irisch-deutschen Kunstwerken in der Galerie BcmA in Berlin eine Ausstellung kuratieren. Damit ist noch ein Standort für den internationalen Kunstaustausch gefunden, unterstützt von der irischen Kulturbotschafterin.
Es ist aufschlussreich, das Entstehen eines so großen Projektes mitzuerleben. Weder braucht es einen millionenschweren Etat noch ein eigenes Sekretariat noch eine auf Kunsttransporte spezialisierte Spedition, es braucht Visionen, engagierte und unkomplizierte „Macher“, die bereit sind, ein Risiko einzugehen, weil sie ein untrügliches Gespür für gute Kunst haben und dafür brennen, diese zu präsentieren. Da haben sich die richtigen gefunden: Anya von Gösseln, die seit über 50 Jahren mit Künstlerinnen und Künstlern arbeitet und Mitbegründerin zahlreicher Kunstprojekte ist, Peter Klassen, der seit Jahrzehnten die Sparkasse in künstlerischen Fragen berät und sich bestens in der „Wuppertaler Szene“ auskennt, Thomas Hirsch, der die Galerie schreibend begleitet, Steffen Peter und Jürgen Grölle, der für alles offen ist und immer neue Ideen hat. Alle kennen sich seit Jahrzehnten und haben auf internationaler Ebene zusammengearbeitet.
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Jürgen Grölle, Aufbau am Islandufer. Im Hintergrund die Glaswand von Adolf
Luther, vorne: palm von Jaana Caspary.
Die Ausstellungen entstehen
Zurück zur Zuteilung der Kunstwerke: Zuerst sucht Peter Klassen die Arbeiten für die Sparkasse aus, dann Steffen Peter für Friedrich + Ebert, Jürgen Grölle wird schon zurechtkommen!
Helen O‘Leary.
Die irische Künstlerin
lebt in New York.
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1. September, Stadtsparkasse Wuppertal, erster Tag der Hängung, vormittags, 11 Uhr: Der Ausstellungsbereich ist abgesperrt, zwei große, diagonal in den Raum gestellte Stellwände, an denen zum Teil noch verpackte Arbeiten lehnen, zwei leere Vitrinen, eine hölzerne Transportkiste, Noppenfolie, Packpapier, Werkzeugkästen – es sieht nach Arbeit aus!
Peter Klassen weiß genau, was wohin soll. Das Team arbeitet ohne viele Worte, jeder Handgriff sitzt.
Ein großes, reliefartiges Kunstwerk von Isabel Kerkermeier hängt provisorisch an Nylonschnüren, was der Arbeit erstaunlich gut steht. Teile einer rosa-schwarz bemalten Kartonage schauen aus einer schwarzen Mülltüte, eine Plastik von Jaana Caspary steht halb ausgepackt im Schaumstoffmantel auf dem Boden.
15 Uhr: Eine der Vitrinen ist fertig bestückt mit einer raffinierten Arbeit von Jonas Hohnke, die sich über mehrere Zwischenböden erstreckt. Die bemalte Pappe aus der Mülltüte von Patrick Redmond wird gerade aufgehängt. Sie hat sich zu einem großen, sehr fragilen, collagierten Porträt eines Rindes entpuppt, eingebettet in eine Art Vegetation aus wilder Pinselschrift, in der sich vereinzelte Gegenstände entdecken lassen: ein Handabdruck, wie man ihn aus Höhlenmalereien kennt, ein Becher, ein Teller, ein Schlaginstrument. Daneben hängt eine gemalte Architekturstudie von Stephen Nolan, die an eine Ausgrabungsstätte erinnert, flankiert von einer Fotografie eines diffusen giftgelb-grünen verkommenen Gebäudes der Jetztzeit von Chris Dreier. Intuition oder Absicht? Von links nach rechts gelesen könnte die Abfolge der Arbeiten Kulturgeschichte dokumentieren.
2. September: „palm“, die Plastik von Jaana Caspary, ein Gebilde aus ineinander verwachsenen Plastiktannenbäumen, hat ihren Platz gefunden: Auf einem Sockel steht sie gegenüber einem „lebendigen“ Baum der Sparkasse im Blumentopf.
Auch die zweite Vitrine ist fertig. Sie ist bestückt mit kulissenartig aufgestellten, fragilen Wandstücken von Helen O’ Leary, die in sich aufgebaut sind wie ein Puzzle. Kleine Stege verknüpfen sie zu dezent bemalten labilen Gebilden.
Noch immer liegen Rollen mit nicht ausgepackten Arbeiten auf dem Boden. Auf sie wartet eine riesige Holzwand, an der gerade noch geschreinert wird. Das „Porträt“ eines monströsen blauen Zahnarztstuhls auf rosa Grund von Mary Ruth Walsh markiert den Beginn der Ausstellung.
Die Fotografien von Julia Zinnbauer sind in einem aufgegebenen Bordell entstanden. Auf der für die Einladungskarte und für den Ausstellungskatalog ausgewählten Arbeit dominieren die Widersprüche. Ein senkrecht fallender geschlossener silbriger Vorhang teilt den weiten Horizont einer Bettenlandschaft aus schrillen Pinktönen im Golde-
Das Titelmotiv des Katalogs,
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eine Fotografie von Julia
Zinnbauer.
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Das Auspacken, drei große Arbeiten von Anthony Lyttle
nen Schnitt. Beide Teile sind verbunden durch ein teilweise unsichtbares Telefonkabel. Suggeriert dieses ein Maximum an Kontaktmöglichkeiten oder ein Maximum an Einsamkeit? Über so viel emotionaler Eiseskälte scheinen die weiß aufgedruckten Namen der teilnehmenden Künstlerinnen und Künstler zu schweben.
6. September: Zwei Tage vor der Eröffnung in der Stadtsparkasse ist die Ausstellung fertig gehängt. Die große hölzerne Wand steht in der Mitte, rechts und links davor eröffnen die beiden Vitrinen gleichsam den „Durchblick“: In der Vitrine rechts unternimmt Jonas Hohnke den waghalsigen Versuch, den Lichtkegel einer Taschenlampe zu materialisieren. Die zarten, fensterlosen Wandfragmente von Helen O’ Leary in der anderen Vitrine definieren kein Innen und Außen mehr. Beide geben den Blick frei auf vier große Arbeiten, die sich auf unterschiedliche Weise mit dem Thema Licht befassen: Wolfgang Flad arbeitet mit Spiegelungen, Anthony Lyttle schafft Topografien aus kleinteilig gemalten und collagierten Elementen in Schwarz, Weiß und Silberteilchen, die das Licht reflektieren. Mit einer Fotoarbeit zeigt Fergus Doyle die stimmungsvolle Korrespondenz zwischen natürlichem Licht im Freien und in der Architektur.
6. September, Ortswechsel in die Galerie von Jürgen Grölle: Die frisch geweißten Wände scheinen auf die Kunst zu warten! Die liegt noch in Rollen verborgen auf dem Boden, aber nicht mehr lange. Bald ist das erste Werk ausgepackt, und Jürgen Grölle und sein Sohn entscheiden, welche Wand die richtige ist. Das Hängen geht zügig voran, und dann kommt die erste Künstlerin aus Irland zur Tür herein. Ab jetzt wird Englisch gesprochen, und Grölle wird eine Nachtschicht einlegen.
8. September, Ausstellungseröffnung Stadtsparkasse Wuppertal: Auf dem Podest haben Gunther Wölfges und die Grande Dame der Galeristinnen, Anya von Gösseln, Platz genommen zu einem Gespräch. Mit Erzählungen aus ihrem Leben und wie ihr die Liebe zur Kunst und der vorurteilslose Umgang mit Menschen in die Wuppertaler Wiege gelegt wurden, schlägt sie das Publikum sofort in ihren Bann. Auf Wölfges Frage, wie wichtig die Kunst für sie sei, antwortet die Galeristin ohne zu zögern: „Ohne Kunst könnte ich leben, aber wozu?“
Für eine musikalische Kostprobe hat sie die Band „Cursed Murphy versus the Resistance“ gleich mitgebracht. Peter Murphy spricht, rezitiert, deklamiert und singt eigene und fremde Texte, in denen es um existentielle Fragen geht. Das Trio aus zwei Gitarren und einer Geige fungiert auch als Backgroundchor. Die Musik bewegt sich differenziert zwischen den Stilarten und erinnert streckenweise an irische Folklore.
9. September, Galerie Friedrich + Ebert, vormittags: Steffen Peter leitet die Galerie seit zwei Jahren und kooperiert mit Jürgen Grölle. So finden die Ausstellungseröffnungen an beiden Orten am selben Tag statt. In zwei Räumen zeigt Peter kleinformatige Arbeiten von Patrick Redmond und Stephen Nolan aus Irland und von Christian Bolte aus Wuppertal, dessen skurrile Porträts in Dialog treten mit irischen Landschaften.
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Christian Bolte, Fürsorge, 2020
9. September, Galerie Grölle, nachmittags: Die Wiederbegegnung mit den irisch-deutschen Künstlerinnen und Künstlern in einem gänzlich anderen Ambiente macht deutlich, dass ein Ortswechsel gut tut: Im neuen Kontext und mit anderen Werken erlebt man sie neu. Eine kleine Arbeit von Stephen Nolan mit floralen Elementen hat Grölle unmittelbar unter ein Oberlicht gehängt, durch das sich Efeuranken den Weg gebahnt haben. Anthony Lyttles Topografie wirkt im Seitenlicht ganz anders als die Arbeiten in der Sparkasse. Jaana Casparys „Waffenruhe“, eigentlich zwei Spielzeugschwerter aus Plastik, gewinnen in Bronze gegossen und blank poliert eine ganz neue Ästhetik.
Die Frage, worin sich möglicherweise irische von deutschen Kunstwerken unterscheiden lassen, ist müßig, HERE/there, here/THERE sind insofern austauschbar als – wie Anya von Gösseln sagt – die Kunst eine wortlose Sprache ist, die mit den ihr eigenen Mitteln arbeitet.
Marlene Baum
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Patrick Redmond und Anthony Lyttle fotografieren Stephen Nolan in der Galerie
Friedrich + Ebert
here/THERE
Anthony Lyttle, Bert Didillon, Christian Bolte, Chris Dreier, Fergus Doyle, Friederike Ruff, Gary Farrelly, Helen O‘Leary, Isabel Kerkermeier, Jaana Caspary, Jonas Hohnke, Julia Zinnbauer, Klaus-Martin Treder, Mary-Ruth Walsh, Pablo de Lillo, Patrick Redmond, Cursed Murphy versus the resistance, Stephen Nolan, Wolfgang Flad, O.J.A.I., Claudio Nego
noch bis Freitag, 12. November 2021
Stadtsparkasse Wuppertal
Islandufer 15, 42103 Wuppertal
noch bis Samstag, 13. November 2021
Grölle pass:projects
Friedrich-Ebert-Straße 143e, 42117 Wuppertal
groelle.de
noch bis Samstag, 23. Oktober 2021
FRIEDRICH+EBERT
Galerie für zeitgenössische Kunst Friedrich-Ebert-Straße 236, 42117 Wupertal