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Aphasiebetroffene erzählen aus ihrem Alltag Die Pflegebevollmächtigte

Wenn sich das Leben schlagartig ändert

Aphasiebetroffene erzählen aus ihrem Alltag

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Aphasien sind Sprachstörungen nach Hirnverletzungen, verursacht u.a. durch Schlaganfälle oder Gehirntumore. Ob sprechen, verstehen, schreiben oder lesen: All das verändert sich stark. Über ihren Alltag mit Aphasie, Therapien und Pflege berichten uns drei Betroffene und deren Angehörige.

Alle zwei Wochen treffen sich Annette und Dieter Quantz, Peter und Karin Bruhn sowie Richard und Birgit Macke gemeinsam mit anderen Aphasiebetroffenen in der Villa Donnersmarck. Hier haben sie zwei Stunden und eine gemütliche Pizzarunde im Anschluss Zeit, sich über ihr Leben und ihren Alltag auszutauschen. Denn Aphasie und die Folgen insbesondere für die Kommunikation mit anderen ist außerhalb ihres Kreises etwas, was sie stets aufs Neue erklären müssen, berichten die sechs bei einem Gesprächstermin mit dem WIR-Magazin.

Wenn die (richtige) Sprache auf einmal nicht mehr da ist.

Vor vier Jahren ging es Annette Quantz beim Einkaufen auf einmal ganz schlecht. Sie konnte nicht mehr sprechen und war völlig orientierungslos. Als die Polizei über ihr Handy den Kontakt mit ihrem ahnungslosen Mann herstellte, kamen ihr nur ein paar Wörter auf englisch in den Sinn, als ob sie sich noch auf der Auslandsreise befände, von der sie gerade frisch zurückgekehrt war. Alles andere war weg und musste erst wieder in vielen Therapiesitzungen erlernt werden. „Gott sei Dank kann ich nach der ganzen Logopädie jetzt endlich wieder ein wenig sprechen“, sagt sie.

»Das Schwierigste ist, dass man sich selber nicht mehr ausdrücken kann. Richard Macke «

Umgekehrt erging es Richard Macke. Über 40 Jahre lang lebte er zusammen mit seiner Frau in Südafrika, als er vor 15 Jahren nach einer durchtanzten Nacht einen Schlaganfall erlitt. Sein Englisch und sein Afrikaans

waren völlig weg. Deutsch blieb in Brocken in seinem Gedächtnis erhalten. Jedoch nützte ihm das zunächst wenig. „Ich fühlte mich total eingeschränkt, denn im Krankenhaus sprachen die Leute mit mir Englisch und ich konnte mich nicht verständigen“, erzählt er.

Auch wenn ihre zunächst unbemerkte Gehirnblutung und anschließende Operation vor 25 Jahren nicht zum Gedächtnisverlust führte, fällt Karin Bruhn bis heute das deutliche Sprechen schwer. Ihr Mann Peter managt ähnlich wie Dieter Quantz für seine Frau die Kommunikation im Alltag. Birgit Macke übersetzte für ihren Mann während der Therapien und Reha in Südafrika.

Den neuen Alltag mit Pflege und Therapien organisieren

Ein gutes Management erleichtert den Weg in den veränderten gemeinsamen Alltag, bestätigen alle sechs. Zusammen mit seiner Tochter machte sich Dieter Quantz auf den Weg und organisierte für seine Frau alles „woran du nicht denkst, wenn du gesund bist.“ Zum Glück konnte Annette Quantz auch nach ihrem Krankenhausaufenthalt ihre Pflege und auch einfache häusliche Tätigkeiten selber verrichten. Für alles Aufwendigere im Haushalt unterstützt sie ein Pflegedienst. Der bürokratische Aufwand, den Dieter Quantz betreiben musste, bis seiner Frau eine Schwerbehinderung und die Pflegestufe 1 und ein Jahr später Pflegestufe 2 zugesprochen wurde, war erheblich. „Ich bin den Leuten beim Sozialdienst, beim Bezirksamt, beim LAGESO und bei der Krankenkasse immer total auf die Nerven gegangen“, erinnert er sich.

Von ganz leicht bis total kompliziert: Umzug mit einem Pflegebedürftigen

Birgit Macke lernte erst während ihres Umzugs innerhalb Deutschlands die bürokratischen Hürden für einen pflegebedürftigten Mann kennen. „Obwohl es ein riesiger Einschnitt war und Richard zunächst überhaupt nichts mehr selber machen konnte, bin ich froh, dass wir zunächst in Südafrika gewesen sind, denn dort war es erheblich leichter, Pflegekräfte zu finden“, berichtet sie. Vier Jahre lang stand den beiden täglich eine Pflegekraft zur Seite. Denn allein

Peter und Karin Bruhn

Annette und DieterQuantz

ihren Mann aus dem Bett in den Rollstuhl zu heben, hätte Birgit Macke kräftemäßig nicht geschafft.

Mittlerweile leben die Mackes seit neun Jahren wieder in Deutschland. Da das Paar die ganzen Jahrzehnte über in ihre deutschen Kranken- und Sozialversicherungen eingezahlt hatten, stellten sie sich den Wechsel nach Deutschland unproblematisch vor. „Wir waren erstaunt, wie groß die finanziellen Unterstützungsmöglichkeiten für uns als Kassenpatienten im deutschen Sozialsystem sind“, stellt Birgit Macke fest. Die erforderlichen Anträge zu Pflegestufe, Schwerbehinderung etc. konnten die Mackes vor ihrem Umzug von Südafrika aus stellen. „Alle deutschen Staatsbürger im Ausland haben ein zuständiges Büro in Deutschland, das sich auch um solche Anträge kümmert“, unterstreicht Birgit Macke. „So konnte ich vieles von Südafrika aus regeln und das klappte reibungslos.“ Aber: „Bei unserem Umzug von Saarbrücken nach Berlin verstand ich, warum alle immer über die deutsche Bürokratie meckern, denn der Umzug war mit einer großen Rennerei von einem Amt zum nächsten verbunden“, fasst Birgit Macke zusammen.

„Vermutlich war das vor 26 Jahren leichter, denn wir haben mit den Kassen nie große Probleme gehabt“, staunt Peter Bruhn, wenn er solche und ähnliche Geschichten in der Selbsthilfegruppe hört. Die Pflege für seine Frau macht er alleine. „Im Moment wüsste ich gar nicht, wie ich in dem eng getakteteten Alltag mit diversen Terminen bei Logopädie, Ergotherapie und Ärzten zeitlich noch einen Pflegedienst unterbringen sollte“, überlegt er.

»Ich kann sehr gut verstehen, wenn andere Menschen ohne den Rückhalt aus der Familie total zusammenbrechen. Birgit Macke «

Ohne den sehr starken Rückhalt aus der Familie hätte kaum einer von ihnen den Alltag geschafft. Da sind sich alle drei Paare einig. Die erwachsenen Söhne von Peter und Karin Bruhn schauen regelmäßig vorbei, und haben auch einen Blick auf die Mutter, wenn Peter Bruhn für sich Termine wahrnehmen muss. Als Dieter Quantz selber zu einer Reha fahren musste, organisierte er, dass täglich jemand aus der Verwandschaft Annette Quantz besuchte und sie in ihrem Alltag unterstützte. Die ältere der Töchter wohnt bereits seit einigen Jahren in der Nähe. Sie und die Enkel schauen öfter mal rein. Auf dem gerade erworbenen gemeinsamen Grundstück ganz in der Nähe von den Eltern zieht die jüngere Tochter in das kleinere Gartenhaus ein. Ein Ausbau einer barrierefreien Wohnung für die Eltern im Vorderhaus auf dem Grundstück, das aktuell voll vermietet ist, ist auch schon in der Überlegung, falls diese eines Tages in ihrer eigenen Doppelhaushälfte nicht mehr alleine zurechtkommen. Für Birgit und Richard Macke ist klar, dass sie in ein Heim ziehen werden, sollten sie beide so pflegebedürftig sein, so dass ein Wohnen in den eigenen vier Wänden nicht mehr möglich ist. „Wir möchten unseren Kindern nicht zu Last fallen“, stellen beide klar. „Außerdem haben wir unser Wohnen immer den Gegebenheiten angepasst. Das ist uns sehr wichtig.“

Was von einem gemeinsamen Leben bleibt.

Es ist für keines der der drei Paare selbstverständlich, dass der Schlaganfall zu Zusammenhalt und zu einer dem Leben zugewandten Einstellung geführt hat. „In Krisen wächst man entweder ganz eng zusammen oder rückt ganz weit auseinander und die Partnerschaft zerbricht“, fasst Birgit Macke zusammen. „Bei uns ist es das Erstere!“

Das Leben eines Partners oder einer Partnerin mit Aphasie annehmen: Wir bekamen Einblicke, wie das Leben bezüglich der Pflege der jeweiligen Partnerinnen und Partner nach und nach immer weniger Schwierigkeiten macht. Ein Grund sind langjährige Erfahrungen in Bezug auf die Umstände. „Bei allen negativen Veränderungen des täglichen Lebens im Vergleich zu vorher, immer mal wieder aufkommender Depression und Traurigkeit über die Umstände der Krankheit gibt das gute Zusammenleben die Kraft, sich den Herausforderungen zu stellen und trotzdem das Leben so anzunehmen und zu genießen“, bringt Dieter Quantz den Alltag mit Pflege und Aphasie auf den Punkt. Aber alle Anwesenden sind darauf vorbereitet und blicken positiv in die Zukunft.

Martin Küster, Ursula Rebenstorf

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