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Deutschland verspielt alle Standortstärken Dr. Dorothea Siems
Deutschland verspielt alle Standortstärken
Deutschlands Wirtschaftsmotor stottert mächtig und zieht die anderen EU-Staaten mit herunter in die Rezession. Höchste Zeit das Ruder herumzureißen und sich wieder auf alte Stärken und die Soziale Marktwirtschaft zu besinnen.
Die deutsche Wirtschaft lahmt. Innerhalb der EU zählt unser Land beim Wachstum momentan zu den Schlusslichtern. Diese Leistungsschwäche ist für die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt ungewohnt. Die schlechte
Performance resultiert keineswegs nur aus den Folgen des russischen
Angriffskriegs in der Ukraine, von denen Deutschland besonders stark betroffen ist. In diesen Krisenzeiten wird vielmehr deutlich, dass sich die
Politik seit vielen Jahren zu wenig darum gekümmert hat, die Grundlagen für eine gute Wirtschaftsentwicklung zu pflegen. Ob es Deutschland zurück auf den Wachstumspfad schafft, hängt deshalb nicht nur von der kurzfristig orientierten Krisenpolitik ab. Entscheidend ist vielmehr, dass man sich wieder darauf besinnt, was das Land in den Jahrzehnten nach dem Krieg so erfolgreich gemacht hat: solide und verlässliche Rahmenbedingungen.
Heutzutage herrscht dagegen extreme Unsicherheit. Die größte Sorge der Unternehmen dreht sich um die Energieversorgung. Niemals in der Geschichte der Bundesrepublik war die Lage so prekär wie heute. Nicht nur die Preisexplosion, sondern auch die Gefahr möglicher Versorgungsengpässe treibt die Wirtschaftsvertreter um. Mit einer Vielzahl von Hilfen und Eingriffen in den Markt hofft die Bundesregierung die Lage in den Griff zu bekommen. Die Unsicherheit aber bleibt groß, denn großflächige Stromausfälle oder ein Kollaps des Gasmarktes sind nicht ausgeschlossen.
Die sichere Energieversorgung war einst eine Standortstärke. Doch der waghalsige Kurs, den Deutschland mit dem gleichzeitigen Ausstieg aus der Kernkraft und der Kohle eingeschlagen hat, wirkt sich nun, wo das günstige russische Gas nicht mehr fließt, als enorme Belastung aus. Denn der Ausbau der erneuerbaren Energiequellen stößt in der Realität an Grenzen der Machbarkeit, aber Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hält stur am Atom- und Kohleausstieg und der Ablehnung des Frackings fest. Die Energieversorgung bleibt somit auf Jahre hinaus teuer und unsicher, was die Zukunftsfähigkeit großer Teile der hiesigen Industrie gefährdet.
Der schleichende Niedergang des deutschen Wirtschaftsstandorts zeigt sich auch in der Verkehrsinfrastruktur. Ob marode Brücken und Straßen oder die Unpünktlichkeit der Deutschen Bahn – hierzulande kommt man buchstäblich zu langsam voran. Im übertragenden Sinne gilt dies ebenso für die digitale Infrastruktur. Die chronische Investitionsschwäche des Staates, der stattdessen immer mehr Steuergeld in den Sozialkonsum fließen lässt, rächt sich. Denn eine Infrastruktur, die jahrzehntelang auf Verschleiß gefahren wird, schreckt auch die privaten Investoren ab.
Gut ausgebildete Fachkräfte zählten ebenfalls traditionell zu den deutschen Stärken – und sind heute Mangelware. Insbesondere der Rückgang bei der dualen Berufsausbildung trifft die Wirtschaft. Dass sich Deutschland eine verheerende Schulmisere leistet,
Dr. Dorothea Siems
Chefökonomin WELT und Welt am Sonntag
Deutschland verspielt alle Standortstärken
Foto: Jens Schicke
hinterlässt tiefe Spuren auf dem Arbeitsmarkt und in den Sozialkassen. Ein Fünftel der Schulabgänger gilt als nicht ausbildungsfähig. Das Bildungssystem ist vor allem mit dem stark anwachsenden Anteil nicht Deutsch sprechender Kinder aus bildungsfernen Elternhäusern heillos überfordert.
Ein Sozialsystem, das zu vielen Einwohnern ein Leben ohne Arbeit ermöglicht und gleichzeitig die Finanziers immer stärker belastet, dämpft zudem die Leistungsbereitschaft aller Erwerbsfähigen. Eine extrem hohe Steuer- und Abgabenquote macht Deutschland überdies unattraktiv für qualifizierte Arbeitskräfte aus dem Ausland, die angesichts des demografischen Wandels jedoch dringend gebraucht werden.
Mangel herrscht aber nicht nur an Arbeitskräften, moderner Infrastruktur und bezahlbarer Energie. Verlorengegangen ist auch die wirtschaftspolitische Orientierung. Ludwig Erhard setzte nach dem Krieg ordnungspolitische Leitplanken, die über Jahrzehnte Deutschlands Kurs prägten. Der Einsatz für Freihandel, ein scharfes Wettbewerbsrecht und Zurückhaltung bei staatlichen Subventionen entfesselten Wachstumskräfte. Mittelstand und Industriekonzerne profitierten gleichermaßen vom Modell der Sozialen Marktwirtschaft, das dem Markt vertraut, weil dieser den Wohlstand schafft, der den sozialen Ausgleich überhaupt erst ermöglicht.
Nicht erst seit der Corona-Pandemie und der Energiekrise hat sich die Politik zunehmend von diesem Erfolgsmodell entfernt. Ob Mietpreisbremse, Strompreisdeckel oder jährliche Vorgaben zur CO2-Minderung – in immer mehr Bereichen regiert der Staat in den Markt hinein. Verbote und Vorgaben sind dabei die Peitsche, Subventionen das Zuckerbrot. Planwirtschaftliche Gängelung sorgt zwar weder im Energiesektor noch im Wohnungsbau für die gewünschten Ergebnisse. Doch statt umzukehren, wird der Staatseinfluss weiter vorangetrieben.
Auch vom Freihandel, von dem Deutschland wie kaum ein anderes Land profitiert hat, hält die Bundesregierung allen Sonntagsreden zum Trotz nicht viel. Denn mit Lieferkettengesetz und der Forderung nach einem „wertebasierten“ Außenhandel schafft man in Wahrheit protektionistische Hürden und bereitet den Boden für Handelskriege.
Die Abkehr von Ludwig Erhards Ordnungspolitik zeigt sich aber auch auf einem Kompetenzfeld, das Deutschland an Europa abgegeben hat: in der Geldpolitik. Erhards Versprechen vom „Wohlstand für alle“ war eng mit der Verlässlichkeit der Deutschen Bundesbank verknüpft. Denn die Hüter der D-Mark haben dem Staat das Schuldenmachen niemals mit einer lockeren Geldpolitik erleichtert.
Spätestens jetzt, angesichts von Rekordinflation, horrender Staatsverschulung und Stagnation muss jedem klar sein: Es ist allerhöchste Zeit, sich in Deutschland und Europa wieder auf die Prinzipien seriösen Wirtschaftens zu besinnen. l