April | 1 - 2012
Durchblick
MitReden
 Diakonische Stiftung Wittekindshof
Editorial
Liebe Leserinnen und Leser, in den Händen halten Sie die erste Ausgabe des „Durchblick“ aus dem 125. Jubiläumsjahr der Diakonischen Stiftung Wittekindshof. In diesem Heft sind im thematischen Hauptteil eine ganze Reihe von Abschnitten gesammelt, die sich mit der ersten Jubiläumsveranstaltung dieses Jahres befassen: dem traditionellen Aschermittwochsempfang. Den hatten wir diesmal um 24 Stunden auf den Donnerstag verschoben, weil uns an diesem Tag die Ministerpräsidentin unseres Landes Hannelore Kraft besuchen wollte. Sie musste allerdings zwei Tage vor dem Empfang ihr Kommen verschieben, weil sie als stellvertretende Bundesratsvorsitzende wegen des Rücktritts von Bundespräsident Wulff an einem Staatsakt in Berlin teilnehmen musste. Sie hat daraufhin angekündigt, demnächst ihren Besuch in unserer Stiftung nachzuholen und bei einem ihrer so genannten TatKraft-Einsätze einen ganzen Tag bei uns aktiv mitzuarbeiten und dann auch noch für eine Abendveranstaltung zur Verfügung zu stehen. Ob es dazu kommt, werden nach der aktuellen Auflösung des Landtages die Wähler in NRW bei der nun kommenden Landtagswahl entscheiden müssen. Wir waren sehr froh, dass als ihre Stellvertretung der Minister für Arbeit, Integration und Soziales Guntram Schneider zu unserem Empfang gekommen ist. Denn er ist ja für die meisten Handlungsfelder des Wittekindshofes ohnehin der zuständige Minister. Im thematischen Hauptteil sind nun kurze gehaltene und ungehaltene Reden zum Jubiläumsempfang gesammelt. Dabei kommen nicht nur die Offiziellen zu Wort, die diesen Abend mitgestaltet haben. Es sind auch sozusagen ungehaltene Aschermittwochsreden ergänzt: von Menschen, die wir in unserer Stiftung unterstützen, außerdem von meinem Vorgänger Pfarrer Ritter und von einem externen Stadtplaner. Sie lassen wir hier mit ihren Reden „MitReden“. Ich hoffe, dass wir Ihnen mit diesem Heft einen Eindruck über den Aschermittwoch und andere Handlungsfelder unserer Stiftung geben können und dass Sie dabei auch manches Kurzweilige und Unterhaltsame hier finden können. Viele Freude beim Blättern und Lesen wünscht Ihnen
Ihr Pfarrer Prof. Dr. Dierk Starnitzke, Vorstandssprecher
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Diakonische Stiftung Wittekindshof Menschenwürde gestalten.
Drei von vielen, die dem Wittekindshof und allen, die zuhören, etwas zu sagen haben: v.l. Christoph Krahl, Rolf Tristram und Pastor Hermann Adam.
2 Editorial 4 Auf einen Blick „Die sind hier alle handtuch-gierig“ Thema MitReden 6 Der Wittekindshofer Aschermittwochsempfang 7 Inklusion 7 Wenn ich mir was vornehme, bleibe ich auch dabei! 9 Ich würde mich freuen, wenn mein Wunsch sich erfüllt 10 Entwicklung der Behindertenhilfe 10 Inklusion mal andersrum … 13 Bildung 13 Nun arbeitet mal schön! 14 Der Mensch – der Mittelpunkt Wittekindshof 15 Vom Sonderkindergarten zum Familienzentrum 18 Inklusion ist machbar! Aber der Weg dorthin ist weit. 20 Erst mal im Krankenhaus Lübbecke 21 Ein Integrationsbetrieb braucht viele Förderer 22 Gronauer Schüler entdecken die Altenhilfe 23 Diakon Joachim Hoeft 23 Wir trauern 24 Beschwerderecht der Mitarbeitervertretung 24 Taizé 25 Coaching-Angebot 25 Ihr Geschenk für eine alte Dame 26 „Als wären wir zur Strafe hier“ 27 Wir gratulieren 28 Aus der Region 29 Impressum 30 Fundraising Am Reitertag zeigen wir, was wir können! 32 Was machen eigentlich …? Andrea und Max Herse 34 Blick zurück Landwirtschaft auf dem Wittekindshof 36 Einblick Die Kraft der Träume 38 Auf ein Wort Papa, hast du Zeit?
Auf einen Blick
Heike Sch端rmann: Diese Geschirrt端cher gibt es nur hier! Unsere Stammkunden wissen das. Auch zweite Wahl wird gerne genommen. Ich werde h辰ufig danach gefragt. Ich glaube,
Rolf Banning: Ich webe
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die gehen nie kaputt!
noch hunderttausend T端cher. Dann bin ich 65. Und dann ist Schluss damit!
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Monika Pesch: Die sind hier alle
handtuch-gierig!
Manchmal kaufen die im Werkstattladen meine ganze Produktion auf einmal –
Rolf Zarbock: Natürlich wissen wir Mitarbeiter, welches Tuch von wem produziert wurde. Bei den Tüchern von Monika Pesch kannste an der Kante dran lang schießen, so glatt ist die.
Tag für Tag.
Geschirrtücher aus dem Werkstattladen: Tel. 0 57 34 / 61-3500
und gehen dann mit einem Arm voll grüner Tücher nach Hause.
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Der Wittekindshofer Aschermittwochsempfang 125 Jahre Wittekindshof Superintendent Andreas Huneke Vorsitzender des Stiftungsrates Wittekindshof „Der Wittekindshof wurde vor 125 Jahren von Pfarrer Krekeler gegründet. Die Handlungsmotive von damals sind auch für uns immer noch bedeutsam. Es geht immer noch um ein Leben nach christlichen Grundsätzen. Es geht immer noch um das Begreifen, dass auch die Schwachen in der Gesellschaft „Mitgenossen des ewigen Lebens“ sind und wir vor Gott alle gleich sind. Es geht damals wie heute um ein rechtes Verständnis von Inklusion. Es geht um die handlungsleitende Erkenntnis: „Wir alle sind vor Gott gleich! Wir sind seine Geschöpfe. Seine geliebten Kinder!“ Das muss unseren Umgang miteinander in der Gesellschaft bestimmen. Der Akzent bei den Handlungszielen hat sich allerdings verschoben. „Versorgen, verpflegen und
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beschäftigen“ war es vor 125 Jahren. Heute lautet unser Leitsatz: „Menschenwürde gestalten: Teilhabe in jedem Lebensalter“. So bietet die Diakonische Stiftung Wittekindshof Unterstützung für Menschen mit leichten Beeinträchtigungen bis hin zu schwerst Mehrfachbehinderungen und hilft ihnen, ihr Leben ganz persönlich zu gestalten. Das alles begann vor 125 Jahren mit dem persönlichen Einsatz engagierter Christen. Von Anfang an gaben sie der Pädagogik und der Medizin Raum. Von Anfang an war der Wittekindshof Teil des im Entstehen begriffenen Sozialstaates. Sein Bestehen und Wachsen zu der heutigen Diakonischen Stiftung Wittekindshof verdankt er der Güte Gottes. Ich kann das komplexe Zusammenspiel von ganz unterschiedlichen Menschen und Ereignissen bis zum heutigen Tag nicht anders beschreiben: Es war Gottes Güte. So gilt Gott, dem Herrn unseres Lebens, mein erster Dank angesichts der zurückliegenden 125 Jahre.“
Seit 28 Jahren ist der Aschermittwochsempfang ein Höhepunkt im Kalender der Diakonischen Stiftung: Repräsentanten aus Kirche, öffentlichem
Portrait links und oben: Anke Marholdt, großes Foto: Katharina Schuster, Portait rechts: Ella Buresch
Leben sowie Geschäftspartner beschäftigen sich mit „ihrem Wittekindshof“.
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Inklusion Vielfalt und Inklusion Al fr ed Bu ß
Dr. h. c. Alfred Buß als Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen „Inklusion zielt im Kern darauf, die Vielfalt des menschlichen Lebens anzuerkennen und zu gestalten. Wir sind nicht alle gleich. Das ist gegenwärtig Zeitgeist, im ganz positiven Sinne: Vielfalt als Chance. […] Wenn alle von Vielfalt so positiv reden, ist das denn auch biblisch? Ich erinnere an die Schöpfungsgeschichte: „Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde … als Mann und Weib, männlich und weiblich.“ Das ist der einzige Unterschied, den die Schöpfungsgeschichte im Blick auf den Menschen macht. Laut Schöpfungsgeschichte ist erst mal nicht mehr an Vielfalt. […] Geschaffen wird der Mensch, Ebenbild Gottes, ausgestattet vom Schöpfer mit unverlierbarer Würde. Das Motto des Europarates für die Gesetzgebung zum Schutz der Vielfalt und die Gestaltung des diskriminierungsfreien Zusammenlebens trifft diese biblische
Intention genau: „all equal – all different“. Vor aller Differenzierung steht das „all equal“ – „alle gleich“. Erschaffen wird der Mensch. Alle Menschen sind frei und gleich, mit Würde und Rechten. Die rabbinische Überlieferung hält an der Abstammung aller Menschen von einem Stammvater fest. „Damit nicht einer sagen könne, mein Vater war größer als dein Vater“, so heißt es in der jüdischen Auslegung zur Genesis. Alle Differenzierungen werden erst einmal sein gelassen, weil eine wachsende Differenzierung die Gefahr in sich birgt, Menschen auf- und abzuwerten. Das kennen wir hinreichend aus der Geschichte und auch aus der Gegenwart. Natürlich gibt es in Wirklichkeit nicht den Menschen. Es gibt ihn nur differenziert nach Geschlechtern, Farben, Alter, sozialer Stellung, ethnischer Zugehörigkeit, Sprache, Religion, physischen und psychischen Fähigkeiten, sexueller Orientierung … Aber deswegen ist der Ansatz der Inklusion so wichtig. Weil er den Menschen in seiner Individualität akzeptiert und ihm die Möglichkeit gibt, im vollen Sinne an der Gesellschaft teilzuhaben. Zu diesem ideologiekritischen Blick auf die Vielfalt, auf das hohe Lied der Vielfalt, kann uns die Bibel verhelfen!“
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Wenn ich mir was vornehme, bleibe ich auch dabei! „Meine Wünsche bezogen auf Arbeit: Als Jugendlicher wollte ich gerne Radio- und Fernsehtechniker werden. Auf Grund meiner Behinderung ist der Wunsch nicht in Erfüllung gegangen. Ich würde immer noch gerne in der freien Wirtschaft arbeiten. Heute könnte ich mir vorstellen, etwas Handwerkliches mit Holz zu machen. Zurzeit arbeite ich in der Werkstatt im Bereich Montage, eigentlich fühle ich mich dort auch wohl. In der Werkstatt werde ich auch von der Integrationsassistentin betreut, leider hat sie noch kein Angebot, was für mich in Frage kommt. Wenn etwas in Frage kommt, werde ich zunächst ein Praktikum machen, um zu sehen, ob das etwas für mich ist und ich mit der Arbeit klar komme. Ich wohne seit ein paar Monaten im Ambulant Unterstützten Wohnen, das war immer ein Ziel von mir, und ich fühle mich sehr wohl. Wenn ich mir was vornehme, dann bleibe ich auch dabei! Es war schwierig, eine kostengünstige Wohnung für einen Rollstuhlfahrer zu bekommen. Es musste zum Beispiel extra eine Rampe zur Wohnung angebaut
werden. Ich habe aber auch viel Unterstützung durch die Mitarbeitenden bekommen. Ich bin sehr stolz auf meine Wohnung. Demnächst werden ich mal den Bewohnerbeirat zur mir einladen. Ich würde gerne auch anderen Menschen mit Behinderung Mut geben, sich zu verselbstständigen. Für mich ist es gut, weil ich endlich nur da Hilfe bekomme, wo ich sie benötige. Endlich muss ich keine Rücksicht auf eine ganze Gruppe mehr nehmen. In meiner Freizeit kann ich mich gut selbst beschäftigen, aber ich habe auch Assistenz durch Mitarbeiter des Wittekindshofes, die mich begleiten und unterstützen. Ein richtiges Problem ist für mich die Unterführung in Gronau, die in die Stadt führt. Die ist seit zwei oder drei Jahren da und soll behinderten gerecht sein! Sie stellt aber ein echtes Handicap dar. Auch einige öffentliche Wege sind ein Problem: zum Beispiel Bürgersteige mit erhöhten Kanten – da neigt mein Roll-Bike dazu, umzukippen. Ich bekomme meistens Hilfe von Passanten, wenn ich drum bitte, ganz selten werde ich auch mal
beleidigt oder zurückgewiesen. Ich bin gerne alleine in der Stadt unterwegs und habe eigentlich viele Freunde ohne Behinderung.“ Christoph Krahl Gronau, Mitglied im Bewohnerbeirat
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Portrait links: Katharina Schuster, großes Foto: Anke Marholdt, Portait rechts: Ella Buresch
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Von links: Pastor Hermann Adam, Theologischer Direktor Eben-Ezer, Lemgo, Prof. Dr. Dierk Starnitzke, Vorstandssprecher Wittekindshof, Inge Howe, Mitglied des Landtages, Superintendent Andreas Huneke, Stiftungsratsvorsitzender, Stefan Schwartze, Mitglied des Bundestages, Minister Guntram Schneider, Landrat Dr. Ralf Niermann, Dieter Hakenberg, Kaufmännischer Vorstand Wittekindshof, Dr. h.c. Alfred Buss, Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen, Direktor Dr. Wolfgang Kirsch, Landschaftsverband Westfalen-Lippe, und Bad Oeynhausens Bürgermeister Klaus Mueller-Zahlmann
Inklusion und Integration
Herm an n Ad am
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Pastor Hermann Adam Theologischer Direktor der Stiftung Eben-Ezer, Lemgo. Die Stiftung feiert in diesem Jahr ihr 150-jähriges Jubiläum. „Inklusion ist Arbeit und Verantwortung und Einsatz, und wird es bleiben. Warum ist dann dieses neue Wort Schlüsselwort geworden für die Rechte behinderter Menschen und für die Menschenrechte überhaupt? Es kann recht verstanden eine Hilfe sein, uns nach dem Menschenbild zu fragen, mit dem wir umgehen. Es liegen Welten zwischen Menschen und Menschen in ihren Besonderheiten. Das ist bewusst oder unbewusst das alte Paradigma. Es bedarf vieler Anstrengungen, Brücken zwischen Menschen und Menschen zu schlagen und für diese Arbeit ist das Wort „Integration“ sicherlich nicht zu verabschieden. Ein neues Denken jedoch geht von einem Leitbild, einem Paradigma aus, in dem zuerst das Bewusstsein steht: Es gibt nur eine Welt für alle. Wir gehören zu einer Familie, Mensch und Mensch, jeder in seinen Besonderheiten. Darum kann „Inklusion“ ein hilfreiches Leitbild werden. […] ‚Ein Gott und Vater aller‘ (Epheser 4,6). In dieser Überzeugung gibt es keine Menschen erster, zweiter und dritter Klasse. ‚Dankbarer Dienst an Gottes Geschöpfen.‘ Wovon wir leben und wofür wir leben, ist die
Hinwendung Gottes zu seinen Geschöpfen. Darum bauen wir Brücken für eine gemeinsame Welt, in der jeder den Raum für sein eigenes Leben findet. Das ist Inklusion.“
Inklusion: die Vision einer solidarischen Gesellschaft Guntram Schneider Minister für Arbeit, Integration und Soziales „Inklusion ist eine Herkulesaufgabe, bei der wir einen langen Atem, Beharrlichkeit und den Sachverstand aller Beteiligten brauchen. Es geht dabei um nicht weniger als den Zusammenhalt unserer Gesellschaft. Es ist ja kein Geheimnis, dass die Fliehkräfte unserer Gesellschaft jeden Tag zunehmen. Dabei spreche ich von sozialen Spaltungen wie beispielsweise einer zunehmenden Kluft zwischen arm und reich, der wir entgegenwirken müssen. In unserer Gesellschaft gibt es leider auch Ausgrenzung, Diskriminierung, soziale Unterschiede und Chancenungleichheit. Deshalb ist Inklusion längst nicht mehr nur ein behindertenpolitisches Thema. Es geht darum, dass niemand aufgrund von Behinderung, Herkunftsland, Religion, Alter oder sozialer Umstände benachteiligt wird. Hinter der Inklusion steht die Vision einer solidarischen Gesellschaft.“
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Gesellschaft von Exklusion auf Inklusion umstellen Pfarrer Prof. Dr. Dierk Starnitzke Vorstandssprecher „Es wird sichtbar, dass wir uns in unserem Lande an einer entscheidenden Schwelle der gesellschaftlichen Entwicklung befinden. Wir stehen nämlich vor der Frage, ob es uns in den nächsten Jahren gelingen wird, die gesamte Gesellschaft von Exklusion auf Inklusion umzustellen. […] Es kommt darauf an, dass der einzelne Mensch in den Mittelpunkt rückt. Dass er seinen Platz mitten in unserer Gesellschaft finden kann – ohne Sorge, dass er aufgrund bestimmter Eigenschaften oder vermeintlich nicht vorhandener Fähigkeiten oder irgendwelcher Dispositionen an den Rand gedrängt oder sogar beschädigt wird. Es geht darum, dass jedem Menschen alle Türen unserer Gesellschaft offen stehen, egal ob er eine Behinderung oder eine Erkrankung hat, ob er aus einer anderen Kultur und einem anderen Land kommt. Unabhängig davon, welchem Glauben jemand angehört oder welches Geschlecht und welche sexuelle Präferenz dieser Mensch hat. Ob er eine geordnete Herkunftsfamilie und eine gute Ausbildung hat oder nicht.“
Integration oder Inklusion? Dr. Dierk Starnitzke „Wenn man dies konsequent zu Ende denkt, kann man, meine ich, nicht mehr zwischen Integra tion und Inklusion unterscheiden. Wir verstehen deshalb Inklusion im umfassenden Sinne als selbstverständliches Recht für alle, also auch für Alte, Kinder, Kranke, Wohnungslose, Migranten und eben auch Menschen, die eine Behinderung haben, an allen Prozessen des gesellschaftlichen Lebens teilhaben zu können. Vielleicht sollten Sie, lieber Herr Minister, Ihr Ministerium umbenennen. Sie wären dann Minister für Arbeit, Inklusion und Soziales. Vielleicht wäre dabei sogar Inklusion nach vorn zu stellen. Es geht darum, dass wir vor der Herausforderung stehen, zum Beispiel Menschen mit Migrationshintergrund ebenso in die Mitte zu nehmen wie Menschen mit Behinderungen.“ Guntram Schneider „Inklusion ist ganz ohne Frage eine der größten gesellschaftspolitischen Herausforderungen. Aber mit der Umbenennung eines Ministeriums ist das so eine Sache. Vielleicht müssen wir damit noch einige Jahre warten. Herr Professor Starnitzke, Sie sind mit Ihrem Vorschlag der Realität durchaus einen Schritt voraus. Aber wir regieren ja noch viele Jahre – und ich schließe nicht aus, dass wir uns dann auch mit der Namensgebung unseres Ministeriums besonders beschäftigen.“
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Ich würde mich freuen, wenn mein Wunsch sich erfüllt. „Ich wohne jetzt seit zwei Jahren im Ambulant Unterstützen Wohnen. Das finde ich ganz toll! Ich wohne mit einer Freundin zusammen, und wir machen auch viel in der Freizeit zusammen. Früher habe ich im Haus Hagemann in Gronau gewohnt, das war auch nicht schlecht. Wir haben dort geübt, selbstständig zu werden. In der eigenen Wohnung zu wohnen, finde ich aber am besten. Ich bin die Vorsitzende des Bewohnerbeirates, und das mache ich sehr gerne. In meiner Freizeit gehe ich gerne in die Stadt oder nehme an Freizeitangeboten im Kontakt- und Informationszentrum teil. In der Werkstatt arbeite ich in der Montagegruppe. Ich würde aber am liebsten in einem Alten-
heim arbeiten und dort den alten Menschen helfen, mit ihnen spazieren gehen oder Spiele machen. Ich gehe auch regelmäßig zu Fortbildungen, die macht unsere Integrationsassistentin, die versucht für mich einen passenden Praktikumsplatz zu finden. Ich würde mich freuen, wenn mein Wunsch sich erfüllt. Das mit der Unterführung in Gronau finde ich auch schwierig. Mich hätte fast mal ein Fahrradfahrer umgefahren. Da ist alles sehr eng für Fußgänger und Radfahrer.“ Christina Hackfort Gronau, Vorsitzende des Bewohnerbeirats
Ch ri stin a Ha ck fo rt
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Portrait links: Anke Marholdt, großes Foto: Katharina Schuster, Portait rechts: privat
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Inklusion und Bildung
Dier k St ar ni tz ke
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Dr. Dierk Starnitzke „Ein weiteres Erfahrungsfeld für unsere Inklusionsbemühungen ist der Bildungsbereich. Wir haben hier auf dem Gründungsgelände vor einigen Monaten ein neues, großzügiges Förderschulgebäude eingeweiht. In diesem speziellen Schulsetting können wir auch Menschen mit höchstem Unterstützungsbedarf elementare Erfahrungen von Bildung ermöglichen. Zugleich arbeiten wir an Modellen inklusiver Beschulung und sind dafür auch mit den Bildungsverantwortlichen im Land Nordrhein-Westfalen, zum Beispiel Frau Ministerin Löhrmann, im Gespräch. Wir erleben dabei, dass trotz der besten Absichten der Politiker und Politikerinnen die verschiedenen Schulsysteme noch sehr gegeneinander abgeschottet und von bürokratischen Vorschriften gehemmt sind. Wir würden uns aber sehr freuen, wenn wir in Kooperation mit hiesigen Regelschulen solche inklusiven Bildungsmodelle realisieren könnten – und seien es auch zunächst nur Pilotprojekte. Wir haben mit inklusiven Bildungsangeboten im Kindergartenbereich ganz hervorragende Erfahrungen gewinnen können. Dabei lernen zum Beispiel in unserem Familienzentrum in Gronau nicht nur Kinder mit und ohne Behinderungen, sondern aus aktuell 11 Nationen mit mindestens 6 Religionen oder Konfessionen in inklusiven Gruppen zusammen – für uns ein zentraler und manchmal auch beglückender Erfahrungsort von Inklusion.“
Entwicklung der Behindertenhilfe Individuelle Zielvereinbarungen und Kostendämpfung Dr. Dierk Starnitzke „Wir wollen die über 125 Jahre gewachsenen Strukturen einer diakonischen Anstalt weiterentwickeln und den individuellen Bedarf der von uns unterstützten Menschen in den Mittelpunkt zu stellen. Dieses Ziel haben wir in einer gemeinsam erarbeiteten 12-Jahres-Strategie für alle Arbeitsbereiche mit konkreten Umsetzungsschritten festgeschrieben. Wir versuchen das zum Beispiel durch die Differenzierung unserer Wohnangebote: von stationärer, hochintensiver Unterstützung in konzentrierten, interdisziplinär aufgestellten Betreuungssettings bis hin zum in den jeweiligen Sozialraum gut eingepassten, ganz eigenständigen Leben in der eigenen Wohnung. Für jeden Menschen bemühen wir uns, das passende Angebot zur Verfügung zu stellen. Wir haben uns deshalb in Individuellen Zielvereinbarungen mit dem Landschaftsverband Westfalen-Lippe bereit erklärt, bis 2018 insgesamt über 400 stationäre Wohnplätze zugunsten ambulanter, regionaler Wohnformen abzubauen. Ein guter Teil dieses Vorhabens ist bereits umgesetzt. Damit haben wir wesentlich zum Errei-
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chen der verschiedenen Rahmenzielvereinbarungen in Nordrhein Westfalen und zur entsprechenden Kostendämpfung beigetragen. Auf dem Gründungsgelände möchten wir bis spätestens 2023 die Zahl der stationären Wohnheimplätze von früher einmal 1.500 über aktuell 1.000 auf gut 500 abbauen, um neue herkunftsnahe Wohnangebote in unserem Land schaffen zu können – je nachdem, wo es dafür Bedarf gibt. Und das tun wir nicht im Alleingang und als Konkurrent, sondern als Kooperationspartner mit den Diensten und in den Strukturen vor Ort. Wir wollen eben den Menschen in seiner aktuellen Lebenssituation in den Mittelpunkt stellen. Beschwert werden wir dabei jedoch von den Hypotheken der Vergangenheit und den Überregulierungen der Gegenwart und Zukunft.“
In Menschen, nicht in Steine investieren Dr. Dierk Starnitzke „Hypotheken meine ich dabei durchaus wörtlich. Wenn man ein altes Wohnheim hier auf dem Gelände oder auch auf unserem zweiten Betriebsgelände in Gronau nicht abreißen darf, weil es noch durch jahrzehntelange Eintragungen oder Zweckbindungen für Fördermittel belastet ist, dann drückt das eine Einrichtung, die sich von der diakonischen Anstalt zum landesweit tätigen Inklusionsförderer entwickeln möchte, bis an die Grenze des Leistbaren. Warum Landesdarlehn tilgen für Objekte, die wir im Land nicht mehr haben wollen? Wir wollen das Geld für
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Inklusion mal andersrum … „Ich kenne den Wittekindshof nun gerade mal seit eineinhalb Jahren und fühle mich dennoch schon sehr vertraut mit ihm. Als Planer bin ich gemeinsam mit meinen Kollegen mit der zukünftigen Entwicklung des Gründungsgeländes des Wittekindshofs in Volmerdingsen beschäftigt. Die politischen Veränderungen in der Behindertenarbeit im Allgemeinen und die daraus resultierenden konzeptionellen Veränderungen des Wittekindshofs im Speziellen werden auch wesentliche Änderungen und Einschnitte in der zukünftigen baulichen Entwicklung des Gründungsgeländes erforderlich machen. Die Tendenz geht eindeutig zu einer weiteren Dezentralisierung der Einrichtung in der Region, weg von der großen Komplexeinrichtung, hin zu kleinteiligen Strukturen, weg von der Sonderwelt für behinderte Menschen, hin zu Inklusion behinderter Menschen in die Gesellschaft. Dieser Ansatz zu Ende gedacht bedeutet in letzter Konsequenz die Auflösung des Gründungsgeländes Wittekindshof. Aus dem Ort Wittekindshof wird die ,Marke Wittekindshof‘ – tätig in der gesamten Region. Aber wie viel Ort braucht diese Marke? Wie viele Menschen braucht auch auf lange Sicht der Ort? Welche Nutzungen werden in Zukunft den Ort Wittekindshof bestimmen? Der Wittekindshof ein reines ,Dienstleistungs- und Kompetenzzentrum‘ für Behindertenarbeit? Funktioniert das ohne Wohnnutzung überhaupt? Sollte nicht vielmehr die Entwicklung zu einem ,ganz normalen‘ Stadtteil, einem kleinteiligen Quartier mit vielen verschiedenen Nutzungen initiiert werden? Wie kann die Integration nicht behin-
derter Menschen in diesen neuen Stadtteil gelingen? Inklusion mal andersrum … Für uns als Planer ist es durchaus keine Selbstverständlichkeit, zu einem so frühen Zeitpunkt in die Diskussion über die konzeptionelle und bauliche Entwicklung einer Einrichtung einbezogen zu werden und diesen Prozess aktiv mitgestalten zu können. Sehr beeindruckend ist es, in welcher Breite und Offenheit diese Diskussion geführt wird und wie sich allmählich aus utopischen und idealistischen Ideen eine konkrete und realisierbare Entwicklungsperspektive herausschält. Ziel dieses Prozesses ist es, für die grundlegenden Veränderungen die anstehen, einen verlässlichen strukturellen Rahmen zu schaffen, eine Richtung einzuschlagen ohne dabei jeden Schritt vorhersagen zu wollen. Die Zukunft lässt sich nicht heute planen, sie ist ein komplexer Prozess von vielen Entscheidungen und Entscheidungsträgern. Umso wichtiger ist es, sich gemeinsam auf eine ,Idee der Zukunft‘ zu verständigen, um alle zukünftigen Entscheidungen an dieser Idee messen zu können. Noch ist dieser Prozess nicht abgeschlossen, aber so viel sei schon mal verraten: zur Auflösung des Ortes Wittekindshof wird er am Ende sicherlich nicht führen.“ Matthias Foitzik (foundation 5+ architekten, Kassel). Herr Foitzik und seine Mitarbeiter beraten die Leitung der Diakonischen Stiftung Wittekindshof bei der Er arbeitung eines langfristigen Konzeptes zur Weiter entwicklung des Gründungsgeländes.
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Gu ntra m Sc hn ei der
den Aufbau, nicht für den Abbau einsetzen. Wenn man bei dem Bemühen, die Wohnangebote bedarfsgerecht umzugestalten, von Brandschutzbestimmungen und Sicherheitsvorgaben so getrieben wird, dass eine Million Euro nach der nächsten in Steine statt in Menschen investiert wird, dann wird unser gemeinsames Anliegen karikiert, den Menschen in unserer Gesellschaft in den Mittelpunkt zu stellen. Oder wenn wir mit der Lupe suchen müssen, um in einer Stadt – sagen wir im unterversorgten Ruhrgebiet – ein Baugrundstück für ein kleines und individuell gestaltetes Wohnhaus zu finden: strenge Kriterien der Fördervorgaben (wie zum Beispiel der Mindestabstand zu anderen Sozialeinrichtungen) blockieren den Versuch, den Menschen mit ihren Wohnbedarfen gerecht zu werden. Hier ist Deregulierung dringend erforderlich. Das Sozialsystem ist überfrachtet mit Regelungen, Verordnungen und Verfahren, die Geld und Kraft an der falschen Stelle binden. Und die Refinanzierung all dieser Regelungen ist längst nicht mehr sichergestellt.“ Guntram Schneider „Ich lade Sie alle ein, darüber zu diskutieren, welchen Stellenwert in Zukunft Investitionen in Köpfe haben. Wenn Sie eine Straße bauen, dann handelt es sich haushalterisch um eine Investition, die ihren Kreditspielraum erhöht. Investieren Sie aber in Schulsozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter – und das ist dringend erforderlich –, handeln sie haushalterisch konsumtiv. Dadurch haben Sie einen geringeren Spielraum bei den Kreditfinanzierungen. Meine Damen und Herren, wenn Steine Köpfen vorgezogen werden, dann ist dies ein Investitionsbegriff aus der ersten Hälfte des hinter uns liegenden Jahrhunderts. Wir müssen dringend
diese nicht finanzpolitische, sondern gesellschaftspolitische Debatte führen, um unser Land weiter voranzubringen. Parlamentarische Politik dokumentiert sich auch darin, dass immer mehr Gesetze und Bestimmungen verabschiedet werden. Und dann wird nicht selten festgestellt, dass es eine Evaluierung geben muss. Ich verstehe ihre Argumente sehr wohl. Ich bin der Auffassung, dass wir nicht immer neue Gesetze und Bestimmungen brauchen. Stattdessen müssen wir permanent das, was an Gesetzen und Bestimmungen auf dem Tisch liegt, überprüfen.“
Standards der Behindertenhilfe Guntram Schneider „Kein Bundesland wird das derzeitige Leistungsniveau in der Behindertenpolitik halten können, wenn sich der Bund nicht stärker als bisher insbesondere der Eingliederungshilfe annimmt. Da gibt es auch zwischen den Fraktionen im Landtag von Nordrhein-Westfalen eine große Übereinstimmung. Gleichzeitig werden wir versuchen, alles zu unternehmen, um über Umstrukturierungen und mehr Effektivität behindertenpolitische Leistungen zu erhalten. Wir werden in Nordrhein-Westfalen die sozialen Standards für unsere behinderten Mitbürgerinnen und Mitbürger und für ihre Familien nicht absenken. Das kommt nicht in Frage! Darüber gibt es im nordrhein-westfälischen Landtag einen breiten Grundkonsens. Diesen Grundkonsens hegen und pflegen wir.“
Kunst ins Ministerium: Als Gastgeschenk erhielt Minister Schneider ein Bild des Wittekindshofer Künstlers Uwe Jauch aus dessen Zyklus Portrait links und großes Foto: Anke Marholdt, Portait rechts: Klaus Schuhmacher
„Dorfplatzgeister“.
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Bildung Prävention – 150 neue Familienzentren Guntram Schneider „Die Landesregierung ist eine Regierung der sozialen Prävention. Wir wollen soziale Defizite und Konflikte erst gar nicht auftreten lassen. Wir wollen zum Beispiel in der Kinderpolitik bereits werdende Eltern frühzeitig aufklären und informieren, damit beispielsweise Missstände in der Versorgung der Kinder erst gar nicht auftreten. Deswegen werden wir in naher Zukunft 150 neue Familienzentren einrichten. Unser Ziel ist es auch, über das letzte Kindergartenjahr hinaus die Plätze in Kindertageseinrichtungen beitragsfrei bereitzustellen. Schon jetzt gibt es Städte, die finanziell so strukturiert sind, dass sie den Kindergartenbesuch gänzlich beitragsfrei anbieten können. Zum Beispiel Düsseldorf. In Oberhausen oder Gelsenkirchen sieht das aber schon ganz anders aus. Dort müssen erhebliche Mittel gezahlt werden. Mit Zusammengehörigkeit und Chancengleichheit im Land hat das nichts zu tun. In unserer Verfassung sind gleichwertige und gleichartige Lebensbedingungen verankert. Deshalb setzen wir uns als Landesregierung dafür ein, dass sich die Lebensbedingungen nicht weiter auseinander entwickeln. Wir wollen den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Darauf ist unsere Politik ausgerichtet.“
Standards im Bildungsbereich Guntram Schneider „Für die Landesregierung ist das Thema Bildung von zentraler Bedeutung. Sie werden in den nächsten Wochen viel über die Haushaltspolitik der Landesregierung lesen. Die Landesregierung wird, was das Sparen anbelangt, an die Grenzen des Möglichen gehen. Aber wir werden in einem Bereich nicht sparen: Das ist der gesamte Bereich der Bildung – vom Kindergarten über unser Schulsystem bis hin zur beruflichen Erstausbildung, dem Studium und der Fort- und Weiterbildung. Gerade sie muss – auch aus ökonomischen Gründen - erheblich ausgebaut werden, weil hier Grundlagen für unsere Wettbewerbsfähigkeit in der Zukunft gelegt werden.“
Freie Wohlfahrtpflege Guntram Schneider „Wenn ich Ihnen die Glückwünsche zum 125-jährigen Bestehen überbringen darf, dann stelle ich auch fest, dass Sie 125 Jahre Subsidiarität in der Praxis gelebt haben. Dies ist ein sehr wichtiger Punkt, weil ohne dieses Prinzip Sozialstaatlichkeit in Nordrhein-Westfalen undenkbar ist. Der Staat könnte die Leistungen, die freie Träger der Wohlfahrtspflege und andere erbringen, schon aus finanziellen Gründen nicht bereit stellen. Deshalb sind wir auf die Verbände in der freien Wohlfahrts-
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Nun arbeitet mal schön! „Zuerst mal begrüße ich alle Gäste! Es ist schön, dass Ihr hier seid! Ich arbeite seit 44 Jahren im Wittekindshof. Besonders wichtig ist mir die Arbeit mit dem Stiftungsrat. Da halte ich die Parkplätze frei und decke den Tisch und sorge dafür, dass alles funktioniert. Ich ziehe bei den Sitzungen immer meinen guten Anzug an. Wenn keine Sitzungen sind, gehe ich für den Wittekindhof in das Gemeindebüro in Volmerdingsen, in die Bank und hole die Auszüge ab oder gehe zum Betreuungsverein. Ich kenne den Wittekindshof gut. Ich habe schon im Marthahaus gewohnt, im Lazarusheim, im Krekeler-Haus und im Arzthaus. Dann bin ich nach Volmerdingsen in das Gemeindehaus gezogen und jetzt wohne ich in einem Einzelzimmer in einer kleinen Wohngemeinschaft.
Das ist bisher das Beste! Wir zahlen dort Miete und Nebenkosten, machen alles sauber und wenn was nicht geht, bringt das der Hausbesitzer in Ordnung. Wir gehen selbst einkaufen und kochen auch. Wenn wir mal keinen Bock haben, gehen wir in den Werre-Park. In der Freizeit singe ich im Wittekindshofer Kirchenchor. Im Stiftungsrat sage ich manchmal den lieben Herrschaften: ,Nun arbeitet mal schön! Aber nicht so lange, damit Ihr abends auch wieder nach Hause könnt!‘ Ich bin immer ganz sorglos bei meiner Arbeit und fühle mich wohl.“ Rolf Tristram langjähriger Bewohner und Mitarbeiter im Wittekindshof Volmerdingsen
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pflege angewiesen, deshalb haben diese Verbände einen hohen Stellenwert in der Gesellschaftspolitik. Das dokumentiert sich auch in der finanziellen Förderung. Sie werden kein Bundesland finden – und zwar nicht nur, weil wir das größte Bundesland sind – in dem die Verbände der freien Wohlfahrtspflege finanziell so gut ausgestattet sind wie in NordrheinWestfalen.“
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stand als an Weiterentwicklung denken lassen. Aber wenn ich zurückblicke gerade auch auf unsere gemeinsamen Projekte, kann man sagen: Die Menschen, für die wir verantwortlich sind, bleiben im Mittelpunkt. Für sie suchen Sie neue Lösungen und Angebote. So bewährt sich die neue Förderschule des Wittekindshofes, die der Kreis finanziell unterstützt hat, mittlerweile sehr erfolgreich im Alltag. Auch unsere Zusammenarbeit bei der Interdisziplinären Frühförderung hat sich inzwischen sehr gut etabliert. Viele Regionale Bedeutung Familien aus dem Mühlenkreis und den Nachbarkreisen nehmen die Unterstützung, Diagnostik, BeDr. Ralf Niermann ratung und Förderung in Anspruch. Landrat des Kreises Minden-Lübbecke Für uns als Kreis kann es nichts Besseres geben „Der Wittekindshof gehört traditionell zu den als einen verlässlichen Partner, der für die Menwichtigen Säulen des Zusammenlebens bei uns im schen da ist, die Hilfe benötigen. […] Mir zeigt das Mühlenkreis. […] einmal mehr, dass der Wittekindshof konsequent Oft haben wir mit schweren finanziellen Rah- nach Lösungen sucht im Sinne der Menschen.“ menbedingungen zu kämpfen, die eher an Still-
Der Mensch – der Mittelpunkt „Der Mensch im Mittelpunkt? Oder doch: Der Mensch – der Mittelpunkt. Die zweite Variante lässt keinen Zweifel: Nur der Mensch ist der Mittelpunkt. Wenn der Mensch im Mittelpunkt ist, dann kann er auch ersetzbar sein; dann kann auch das Geld in den Mittelpunkt rücken. Erleben wir das gerade? ,Mit Moral und Anstand hat das, was in der globalisierten, neoliberalen Wirtschaftswelt vor sich geht, nicht mehr viel zu tun!‘ (Marion Gräfin Dönhoff, 1996) Dann wird der Mensch zum Kostenfaktor und der Mensch mit Behinderung zur Last. Stöhnen die Mitglieder der Landschaftsversammlung, wenn es um die Eingliederungshilfe geht, oder freuen sie sich, dass sie ,kraftvoll‘ helfen können? ,Einen fröhlichen Geber hat Gott lieb!‘ (2. Kor. 9, 7) Der Mittelpunkt in der Geometrie: ,Eine in einer Ebene oder im Raum gelegene Punktmenge besitzt den Mittelpunkt M, wenn jede durch M gehende Verbindungsstrecke zweier Punkte der Menge durch den Punkt M halbiert wird.‘ Sollte unsere Gesellschaft tatsächlich eine so runde Sache sein? Sind wir dann alle vom Menschen mit Behinderung als dem Mittelpunkt gleich weit entfernt – oder besser: Sind wir dem Menschen mit Behinderung gleich nahe? Zur Inklusion gehört eine Gesellschaft, die die Men-
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schen mit Behinderung gern in ihre Mitte nimmt. ,Niemand suche das Seine, sondern was dem anderen dient!‘ (1. Kor. 10, 24) Martin, der lange Bewohner des Wittekindshofes war, ging mit meiner Frau in eine Apotheke. Die Apothekerin bot als Zugabe einen Tee an. Martin: ,Wozu ist der Tee gut?‘ Die Apothekerin: ,Damit Sie gesund bleiben!‘ Martin: ,Ich dachte, Sie leben davon, dass
die Menschen krank sind!‘ Auch am Gespräch Unbeteiligte lachten herzlich. Wenn ich erzähle, dass ich gern mit Menschen mit Behinderung zusammen bin, dann höre ich von Gesprächsteilnehmern: ,Das ist aber eine schwierige Aufgabe; ich könnte so etwas nicht!‘ Meine erste Botschaft ist: Nehmt Menschen mit Behinderung in Eure Mitte und Ihr werdet viel Fröhlichkeit, viel Lachen, viel Dankbarkeit erleben. Und wir verändern uns: Wir lernen das Menschliche schätzen! ,Mache dich auf, werde licht!‘ (Jes. 60, 1)“ Pfarrer Horst Ritter, Wittekindshofer Vorstandssprecher von 1998 bis 2006
Ho rs t Ritter
Portraits links und unten: Anke Marholdt
MitReden 5
Wittekindshof
Der Wittekindshof in Ahaus
Vom Sonderkindergarten zum Familienzentrum Seit über 30 Jahren ist der Wittekindshof mit einem Angebot für die Menschen in der Umgebung vor Ort in Ahaus. Am 1. August 1976 wurde in Alstätte ein damals so genannter Sonderkindergarten für Kinder mit Behinderung eröffnet. Gut drei Jahre später kam die Frühförderung hinzu, um Kinder mit Entwicklungsverzögerungen und Behinderung so früh wie möglich
Die Auflösung von reinen Heilpädagogischen Kindertagesstätten ist mittlerweile ein landesweites Programm. zu erreichen. Am Anfang war die Frühförderung grundsätzlich ein Angebot im Elternhaus. Nachdem 1988 eigene Räume im alten Kreishaus bezogen wurden, waren zusätzlich Angebote in
kleinen Gruppen oder Einzelförderung in den besonders ausgestatteten Räumen möglich. Aus dem Sonderkindergarten wurde ein Heilpädagogischer Kindergarten, der viele Jahre unter dem Namen „Die Arche“ bekannt war. Aufgrund des hohen Sanierungsbedarfes des Gebäudes und um die Sonderwelt aufzulösen, die Kindern mit heilpädagogischem Förderbedarf vorbehalten war, hat der Wittekindshof 2007 die Friedrich-Fröbel-Kindertagesstätte in Ahaus und in Gronau die Kindertagesstätte an der Erlöserkirche übernommen. In Gronau wurde ein Familienzentrum auf dem Gelände der ehe maligen Erlöserkirche gebaut, in das die benachbarte evangelische Kindertagesstätte und zwei Gruppen aus der Arche umgezogen sind. Die beiden anderen Gruppen aus dem Heilpä dagogischen Kindergarten wurden der Friedrich-Fröbel-Kindertagesstätte zu geordnet. So entstanden aus dem Sonderkindergarten und den beiden Regelkin-
Familienzentrum Wittekindshof Kernangebot ist eine Kindertagesstätte, die Kinder von der Geburt bis zum Eintritt ins Schulalter mit und ohne Behinderung, Entwicklungsverzögerung und heilpädagogischem Förderbedarf besuchen. Unter einem Dach angeboten werden darüber hinaus Frühförderung, Therapie (Logopädie, Ergotherapie und Physiotherapie) sowie Beratungs-, Bildungs- und Begegnungsangebote für die ganze Familie. Das konkrete Programm wird nach den Bedürfnissen und Wünschen der Beteiligten entwickelt. Ein wichtiger Aspekt ist dabei die Stärkung der Elternkompetenz. Grundsätzlich arbeitet das Familienzentrum Wittekindshof eng vernetzt mit verschiedenen Kooperations partnern und erfüllt die Kriterien für das Gütesiegel eines „Familienzentrum NRW“.
dertagsstätten zwei integrative Einrichtungen, die grundsätzlich allen Kindern offen stehen.
Anke Marholdts Porträts einiger Kinder aus den Wittekindshofer Kindertagesstätten in Ahaus
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Wittekindshof
Die Auflösung von reinen Heilpädagogischen Kindertagesstätten ist mittlerweile ein landesweites Programm. Die Erfahrungen mit dem Familienzentrum Wittekindshof in Gronau sind so gut, dass das Modell auch an anderen Wittekindshofer Orten Schule macht. Drei Kindertagesstätten und ein neues Familienzentrum Auf den Tag genau 35 Jahre, nachdem der Wittekindshof den Sonderkindergarten in Ahaus Alstätte eröffnet hatte, übernahm die Diakonische Stiftung im
… eine Umwelt schaffen, die die Kinder mit möglichst allen Sinnen anspricht. Die kindliche Neugierde soll Ausgangspunkt für Lernprozesse sein …
vergangenen Sommer zwei weitere Kindertagesstätten in Ahaus. Ziel ist es, sie zusammen mit der FriedrichFröbel-Kindertagesstätte als Familienzentrum Wittekindshof weiter zu ent-
wickeln. „Wir wollen Lernorte gelebter Inklusion schaffen für Kinder mit ganz unterschiedlichen Fähigkeiten, Förder- und Unterstützungsbedarf, und gleichzeitig Angebote für die Familien in Ahaus entwickeln und vernetzt mit anderen Trägern arbeiten“, erklärt Reiner Breder, der als Ressortleiter für die Angebote im Kreis Borken verantwortlich ist. Die Kindertagesstätten Rasselbande und Purzelbaum werden in einen Neubau umziehen, der Platz für eine neue Gruppe für unter dreijährige Kinder sowie Räume für Therapie und Frühförderung bietet. Aus der Friedrich-Fröbel-Kindertagesstätte werden einige Kinder mit heilpädagogischem Förderbedarf in das neue Familienzentrum wechseln. Ansonsten bleibt die Friedrich-Fröbel-Kindertagesstätte als eigener Standort und Treffpunkt für Kinder und Familien mitten in einem Ahauser Wohngebiet erhalten. Der Neubau als Investorenmodell Für den Neubau konnte die Gronauer Firma Hoff und Partner als Investor gewonnen werden. „Sie bauen nach unseren Wünschen und Vorgaben und haben die Sicherheit, dass wir das Gebäude,
Kindertagesstätte Purzelbaum „Das Interesse des Wittekinds hofes, ein weiteres Familienzentrum aufzubauen, und der Wunsch der Stadt Ahaus, die Trägerschaft der Kindertagesstätte Purzelbaum abzugeben, haben sich ideal ergänzt“, erklärt Reiner Breder. Die Kindertagesstätte, die 25 Jungen und Mädchen im Alter zwischen drei und sechs Jahren besuchen, hat im letzten Jahr 10-jähriges Jubiläum gefeiert. Im Rahmen der Einzelintegration werden auch bisher schon Kinder mit Heilpädagogischem Förderbedarf betreut. „Vieles, was zum Konzept des Familienzentrums Wittekindshof gehört, praktizieren wir hier bereits in Ansätzen. Räumlich stoßen wir aber immer wieder an Grenzen. Der Neubau eröffnet ganz neue Spiel-, Erfahrungsund Lernfelder, die dann auch Kindern mit schwerer Behinderung zu Gute kommen“, so Vera Helmich.
mieten werden“, erklärt Reiner Breder. Besondere Merkmale des zweigeschossigen Neubaus werden die farbigen Putz- und großen Fensterflächen sein sowie der große Mehrzweckund Bewegungsraum, der durch Farbe und Form auch in der Außenfassade auffallen wird. Vielfältiges Raumangebot Im Untergeschoss werden für zwei Gruppen Multifunktionsräume entstehen, „Sie bieten für Kinder, die aufgrund ihrer Entwicklung auf vertraute Räume und eine überschaubare Gruppensituation angewiesen sind, viel Sicherheit und Entwicklungsmöglichkeiten. Klassische Angebote wie Bauund Puppenecken und ein gemütlicher Bereich zum Vorlesen sind in einem Raum zu finden“, erklärt Vera Helmich, bisherige Leiterin in der Kindertages-
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Wittekindshof
stätte Purzelbaum und zukünftig verantwortlich für das neue Familienzentrum Wittekindshof. Im Obergeschoss werden die Räume bestimmten Funktionen zugeordnet. Dazu gehören: Mathemati-
Kindertagesstätte Rasselbande Schon seit längerer Zeit hatte es sich in der Kindertagesstätte Rasselbande abgezeichnet, dass es immer schwieriger wird, dass eine ehrenamtlich tätige Elterninitiative die Trägeraufgaben übernimmt: „Heute arbeiten fast alle Eltern, das war früher anders. Da hatten sie eher Zeit“, berichtet Irmgard Lefering die Leiterin der Kindertagesstätte mit 15 Plätzen und zurzeit 17 Kindern. Durch die Gruppengröße und den sehr familiären Charakter mit gemeinsamem Frühstück und Mittagessen, das täglich in der Kinder tagesstätte teilweise mit Beteiligung der Kinder gekocht wird, ist die „Rasselbande“ besonders bei Familien mit sehr kleinen Kindern beliebt, die ab dem 4. Lebensmonat kommen können.
sches Kabinett, Atelier, Werkraum, Kinderbibliothek, Bauraum, Rollenspielraum oder eine Raum für naturwissenschaftliche Exprimente und Beobachtungen. Für Mahlzeiten soll ein Kinder restaurant zur Verfügung stehen. Deshalb werden in den Gruppenräumen deutlich weniger Tische und Stühle benötigt; es bleibt mehr Platz zum Spielen, kreativen Gestalten und Lernen. „Grundsätzlich wollen wir eine Umwelt schaffen, die die Kinder mit allen Sinnen anspricht. Die kindliche Neugierde soll Ausgangspunkt für Lernprozesse sein. Kinder sollen eine aktive Rolle übernehmen, aber bei Bedarf auch von den Mitarbeitenden unterstützt und gezielt gefördert werden“, erläutert Vera Helmich. Wohnangebote für Erwachsene und das KIZ Ahaus Obwohl der Wittekindshof seit über 30 Jahren in Ahaus tätig ist, ist Ahaus eine Aufbauregion. Neu sind Wohnangebote für Frauen und Männer mit Behinderung. Die ersten Personen werden bereits ambulant in der eigenen Wohnung unterstützt. Weitere wollen von Gronau nach Ahaus umziehen. „Zurzeit suchen wir nach passenden Wohnungen. Das ist in Ahaus nicht ganz einfach“, erklärt der für die dor-
tigen Wohnangebote zuständige Geschäftsbereichsleiter Thomas Wittke. Erfolgreich war bereits die Suche nach einem Standort für ein Kontaktund Informationszentrum (KIZ). Es wird im Sommer in zentraler Innenstadtlage als Treffpunkt und Café für Menschen mit und ohne Behinderung und als Ort für Freizeit- und Bildungsangebote eröffnet. In den Räumlichkeiten werden auch Büros für das Team des Ambulant Unterstützten Wohnens zu finden sein. Kooperationspartner wird das Diakonische Werk im Kirchenkreis Steinfurt-BorkenCoesfeld sein, das sich auf das Ambulant Betreute Wohnen für Menschen mit psychischer Behinderung spezialisiert hat. Fest geplant ist auch ein Wohnhaus mit 24 Einzelzimmern für Menschen mit geistiger und mehrfacher Behinderung. Die Vorplanungen laufen. Wenn alles gut geht, soll 2013 Bau beginn sein. Der Neubau soll dazu beitragen, die Gronauer Wohnangebote besser im Kreisgebiet, aber auch darüber hinaus zu verteilen. So wird nahebei, dort wo die Menschen leben, Unterstützung angeboten.
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Wittekindshof
Gesellschaftspolitik
Inklusion ist machbar! Aber der Weg dorthin ist weit. Der Jurist Klaus Peter Frenzen ist Präsident des Verwaltungsgerichtes in Minden. Im Sommer 2011 wurde er in das Kuratorium der Diakonischen Stiftung Wittekindshof gewählt.
Im Moment wird die Diskussion um die schulische Förderung von Menschen mit Behinderungen von einem neuen Begriff beherrscht: dem der Inklusion. Ein bemerkenswerter Vorgang in einer Gesellschaft, die in ihren föderalen Schulsystemen mit zumeist sehr ausdifferenziertem Förderbedarf seit jeher vor allen Dingen auf exklusive, separate Beschulung von Menschen mit Behinderungen gesetzt hat. Ich hoffe, dass mit dem neuen Denkansatz die ersten Grundpfeiler für einen fundamentalen gesellschaftlichen Wandel gelegt sind und es sich bei dieser Diskussion nicht um ein
Inklusion nicht als Dogma eines Entweder-Oder begreifen Strohfeuer handelt, das – etwa aufgrund leerer Staatskassen oder mangels gesellschaftlicher Akzeptanz – als-
bald wieder verraucht. Dieser Diskussionsprozess wird angesichts der Exklusions-Entwicklungen der letzten 100 Jahre langwierig und steinig sein. Er kann meines Erachtens nur in einem breiten Konsens aller beteiligten Kreise geführt werden, wenn er Erfolg haben soll. Dazu gehört es auch, vielfach vorhandene, zumeist nur hinter vorgehaltener Hand geäußerte Überforderungsängste und Vorbehalte von Lehrkräften aufnehmender Regelschulen oder von Eltern anderer Kinder, die Sorge um den Erhalt des bisherigen Bildungsniveaus haben, von Anfang an ernst zu nehmen und in die Erarbeitung zukunftsweisender Bildungskonzepte mit einzubeziehen. Wichtig erscheint mir außerdem, die Inklusion nicht als Dogma eines Entweder-Oder zu begreifen. Obwohl mir persönlich Inklusion ein wichtiges Anliegen ist, wird man auch langfristig nicht auf Förderschulen verzichten können, wenn sie aufgrund der indi-
viduellen Situation des jeweiligen Schülers dem Kindeswohl dienlicher sind als eine inklusive Beschulung. Sehr hilfreich für die weitere Diskussion dürften auch inklusive schulische Modellprojekte sein, soweit sie einvernehmlich durchgeführt werden. Auch in dieser Hinsicht leistet der Wittekindshof vorbildliche Arbeit, indem er seit dem Beginn des laufenden Schuljahres zusammen mit der Grundschule Volmerdingsen ein inklusives Modellprojekt in Angriff genommen hat. Wenn man daraus verwertbare Schlüsse für die Entwicklung neuer überregionaler Schulkonzepte ziehen will, wird man den Erfolg solcher Projekte wissenschaftlich untersuchen und evaluieren müssen. Es wäre daher sehr wünschenswert, wenn der Wittekindshof in die staatlichen Planungen zur Umsetzung der schulischen Inklusion mit einbezogen und am Schulentwicklungsplan der Region beteiligt würde. Ich kann verstehen, dass viele Eltern von Kindern mit Behinderungen ungeduldig werden, wenn sie hier lesen, der Weg zur Inklusion sei weit.
Anke Marholdt
Inklusion: am besten schaffen das die Kinder, wenn man sie lässt!
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Schließlich habe man doch aufgrund von Art. 24 des Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen schon jetzt einen durchsetzbaren Rechtsanspruch auf Inklusion. Hierzu gilt es aus der Sicht des Juristen leider einiges zu bemerken. Zunächst etwas Grundsätzliches: Ein Rechtsanspruch erfüllt nur dann seine Funktion, wenn der Inhaber des Rechts diesen Anspruch notfalls mit gerichtlicher Hilfe zwangsweise durchsetzt und dadurch – auch gegen Widerstände Dritter – inhaltlich das erhält, worauf er einen Anspruch hat. Selbst wenn man annähme, es gäbe schon heute einen Anspruch auf inklusive Beschulung – was nicht der Fall ist –, würde man mit der zwangsweisen Durchsetzung eines solchen Anspruchs kaum die Herstellung von Inklusion erreichen, da dem Kläger durch einen solchen Rechtsstreit und die dadurch erzeugte Konfrontation vielfach die für die Inklusion erforderlichen Partner abhanden kämen – etwa die Lehrer, wenn sie einer solchen Beschulung skeptisch gegenüber ständen, oder auch Eltern anderer, nicht behinderter Schüler, die zwingend hinter der Inklusion stehen müssen, damit sich deren Zweck entfalten kann. Ein Beharren auf Rechtspositionen und ein „mit dem Kopf durch die Wand“ wird dem erforderlichen täglichen Miteinander sicher nicht dienlich sein. Der Jurist muss überdies leider weiteres Wasser in den Wein gießen: Es gibt mittlerweile obergerichtliche Rechtsprechung, die die weit rei-
Jacob van der Velde
Wittekindshof
Im Foyer des Mindener Gerichtszentrums: Klaus Peter F renzen vor der aktuellen Ausstellung von Künstlern des Wittekindshofes und der Diakonischen Stiftung Salem.
chende rechtliche Wirkung, die dem genannten UN-Übereinkommen zum Teil beigemessen wird, deutlich re lativiert. Grundlegend hat dazu der Hessische Verwaltungsgerichtshof in seinem Beschluss vom 12. November 2009, Aktenzeichen 7 B 2763/09, Stellung genommen; seine Ausführungen dürften auf die derzeitige Situation in Nordrhein-Westfalen übertragbar sein. Der Hessische VGH weist in der genannten Entscheidung darauf hin, dass das Vertragsgesetz des Bundes vom 21. Dezember 2008 für den Bereich des öffentlichen Schulwesens keine Umsetzung der Bestimmungen des Art. 24 der UN-Konvention in innerstaatliches Recht bewirkt habe, weil dem Bund die grundgesetzliche
Gesetzgebungskompetenz für das Schulwesen fehle. Hierfür müsse vielmehr der zuständige Landesgesetzgeber tätig werden. Das Gericht kommt schließlich zu dem entscheidenden Ergebnis, dass sich aus Art. 24 der UN-Konvention selbst bei einer textgleichen Transformation in das jeweilige Landesrecht kein subjektives Recht des einzelnen auf inklusive Beschulung ergebe. Denn das Übereinkommen enthalte in weiten Teilen nur die Einigung der Vertragsstaaten auf politische Programmsätze zur Verbesserung der Rechte von Menschen mit Behinderungen. Die Art und Weise der Realisierung der formulierten Ziele und das Tempo bei ihrer Verwirklichung bleibe jedoch den
jeweiligen Vertragsstaaten selbst überlassen. Aufgrund der rein politischen Zielsetzung könnten dem Übereinkommen konkrete rechtlich verbindliche Handlungs- und Verhaltenspflichten nicht entnommen werden. Das Ziel der Inklusion wird sich angesichts der obigen Befunde nur langfristig durchsetzen lassen. Der Weg dorthin muss von gegenseitigem Verständnis, Überzeugung, Konsens und dem Streben nach einem möglichst schonenden Ausgleich aller relevanten Belange und Grundrechtspositionen getragen sein. Wenn dabei alle guten Willens sind und ihr Bestes geben, wird Inklusion machbar sein.
Reitertag am Donnerstag, 21. Juni 2012 von 12 bis 19 Uhr, Reitanlage Lohoff, Zum Vorwerk 57, Bad Oeynhausen-Volmerdingsen: es erwartet Sie ein spannendes Unterhaltungs-Programm. Wie Sie mit einer Spende das Therapeutische Reiten im Wittekindshof unterstützen können, erfahren Sie auf den Seiten 30 und 31.
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Wittekindshof
Klaus Schuhmacher
Großküche wird Integrationsbetrieb
Erst mal im Krankenhaus Lübbecke
rechts: Schlüsselübergabe an Helmuth Huxohl: Tanja Warda (r.) und Claudia Schulte-Bredemeier heißen die Wittekindshofer Mitarbeiter in der Lübbecker Krankenhausküche willkommen. Stephan Miegel (l) und Geschäftsbereichsleiter Ulrich Niemann tragen auf ihre Weise dazu bei, dass dort täglich mit fast 2000 Mahlzeiten die Versorgung in der Diakonischen Stiftung nach besten Standards gesichert bleibt. unten: Jacqueline Fliegel aus der Wittekindshofer Förderschule absolviert ein Berufspraktikum in der Küche: Nach dem Umbau der bisherigen Wittekindshofer Großküche werden weitere Arbeitsplätze geschaffen, um Menschen mit Behinderung und geminderter
Für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist es durchaus attraktiv, in einer richtigen, gut ausgestatteten Küche zu kochen, anstatt sechs Monate lang in Containern zu wirken. „Dafür sind alle bereit, längere Wege zur Arbeit in Kauf zu nehmen und haben gleich Fahrgemeinschaften gebildet“, so Helmuth Huxohl, langjähriger Koch in der Diakonischen Stiftung. Dass solche Überlegungen angestellt und die erwachsenden Probleme auf allen Ebenen tatkräftig angegangen wurden, hat einen sehr konkreten Grund: Die Großküche der Diakonischen Stiftung Wittekindshof in Bad Oeynhausen-Vol merdingsen wird für rund 2,4 Millionen Euro barrierefrei umgebaut. Zukünftig soll die Küche als Integrationsbetrieb geführt werden, in dem Menschen mit und ohne Behinderung zusammen arbeiten. Geschaffen werden dabei 17 Arbeitsplätze auf dem
allgemeinen Arbeitsmarkt für Menschen mit schwerer Behinderung und einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50 Prozent. Im Integrationsunternehmen sollen dann zukünftig rund 2.500 Mittagessen pro Tag für die Menschen in den Wittekinds-
hofer Wohnhäusern und Werkstätten sowie in Kindertagesstätten und Schulen der Umgebung gekocht werden. Damit der Umbau zügig vonstatten geht und die bisherigen Kunden der Wittekindshofer Küche es möglichst gar nicht merken, dass etwas beson-
Erwerbsfähigkeit eine attraktive Beschäfti-
Anke Marholdt
gung zu eröffnen.
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Anke Marholdt
Wittekindshof
Mitarbeiter wie der Koch Horst Glauer rühren nach besten Kräften in den Töpfen der Diakonischen Stiftung Wittekindshof: Nur wer regelmäßig Qualität bietet, hat zufriedene Esser.
deres geschieht, traf es sich gut, dass die Diakonische Stiftung gute Kontakte zu den benachbarten Institutionen wie dem Verbund der Mühlenkreiskliniken unterhält. „Im Zusammenhang mit der geplanten Schließung der Küche im Krankenhaus Bad Oeynhausen haben wir erfahren, dass die Küche im Krankenhaus Lübbecke bereits seit einiger Zeit kalt bleibt, weil das Krankenhaus aus der Küche im Johannes-Wesling Klinikum in Minden versorgt wird. Schnell war die Idee geboren, solange in Lübbecke zu kochen, bis die Wittekindshofer Großküche in Bad Oeyn-
hausen-Volmerdingsen umgebaut ist“, skizziert Ressortleiter Reiner Breder die Grundentscheidung. Ganz so schnell aber gab es noch kein grünes Licht für den Umzug in das Krankenhaus Lübbecke. Erst mussten Helmuth Huxohl und sein Kollege Stephan Miegel genau kalkulieren, ob die geforderte Anzahl von mehr als 1.900 Portionen Mittagessen, täglich gewährleistet werden kann. Zudem überprüften sie, dass alle Hygieneauflagen erfüllt sind. „In den Mühlenkreiskliniken hatten wir dafür aber von Anfang an sehr konstruktive Ge-
sprächspartner“, stellt Huxohl anerkennend fest. Mittlerweile ist der Mietvertrag unterschrieben und die Küche ist umgezogen: „Das war eine logistische Herausforderung, weil wir trotzdem zuverlässig an allen Tagen sowohl für die Menschen in den Wittekindshofer Wohnhäusern und Werkstätten, als auch für die zehn Schulen und Kindertagesstätten in Bad Oeynhausen, Espelkamp, Tengern, Schnathorst und Oberbauerschaft ohne Unterbrechung gekocht haben“, erklärt Stephan Miegel, der nicht nur Koch, sondern auch
Ein Integrationsbetrieb braucht viele Förderer Neben Eigenmitteln der Diakonischen Stiftung Wittekindshof fließen Fördermittel aus dem Landesprogramm „Integration unternehmen!“ des Ministeriums für Arbeit, Integration und Soziales, des LWL-Integrationsamtes Westfalen, der Stiftung Wohlfahrts-
pflege, der Aktion Mensch und der Stiftung Deutsche Behindertenhilfe ein. Der Integrationsbetrieb wird eine Impulsförderung durch die Aktion Mensch erhalten. Zusätzlich können für die Mitarbeitenden individuelle Fördermittel der Agentur für Arbeit
und des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) in Anspruch genommen werden. Aber auch private Spenden sind sehr nötig und willkommen!
Diakon ist. „Unsere Kunden sollen keinen Unterschied merken. Sämtliche Diätessen und Sonderkostformen bereiten wir jetzt in Lübbecke zu. Dadurch werden manche Wege kürzer. Aber es gibt auch etwas längere Fahrzeiten. Das Essen wird aber immer heiß und schmackhaft sein, weil wir die bewährten Transportkisten nutzen, egal wo wir kochen“, so Stephan Miegel in der Lübbecker Küche, die für eine halbes Jahr ein ganz wichtiger Ort im Leben der Diakonischen Stiftung ist.
125 Jahre Glauben Sie es mir: Eine alte Dame freut sich auch mit 125 Jahren noch über ein Geschenk! Es muss nur eben etwas besonderes sein – und von Herzen kommen! Siehe Seite 25
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Ella Buresch
Wittekindshof
Praktika in Altenheimen: Junge Leute aus der Gronauer Johannesschule möchten in der Altenhilfe langfristig mitarbeiten.
Erfolgreich helfen lernen
Gronauer Schüler entdecken die Altenhilfe „EHLIA“ heißt eine Qualifizierungsmaßnahme, die im Februar an der Johannesschule gestartet wurde. Die Abkürzung steht für „Erfolgreich helfen lernen in Institutionen der Altenhilfe“. Das Projekt selbst richtet sich an Schülerinnen und Schüler der Berufspraxisstufe, die nach Ende der Schulzeit in der Altenhilfe tätig werden wollen. Zehn junge Leute stehen zwei Jahre vor ihrer Schulentlassung und nutzen nun die Zeit, um Erfahrungen zu sammeln. Während der kommenden anderthalb Jahre werden sie an drei Schultagen wöchentlich Praktika in Einrichtungen der Altenhilfe absolvieren. Eingesetzt werden sie in der Hauswirtschaft, im technischen Dienst und bei der sozialen Begleitung.
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„Eine enge Betreuung ist wichtig, um auftretenden Schwierigkeiten frühzeitig entgegenwirken zu können und Ansprechpartner für beide Seiten zu sein“, erklärt Schulsozialarbeiterin Monika Beckert. Sie hat die Aufgabe, den Übergang von der Schule, in den Beruf zu organisieren und möchte Jugendliche mit Behinderung in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung führen. „Es geht darum, für die Schüler Perspektiven zu entwickeln und neben den Werkstatt-Tätigkeiten weitere Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderung zu erschließen. Die Altenhilfe erscheint uns deshalb geeignet, weil hier Aufgabenfelder vorhanden sind, die bisher von Zivildienstleistenden abgedeckt wurden und – abgesehen von pflegerischen Tätigkeiten –
auch von unseren Teilnehmern geleistet werden können“, hofft Monika Beckert. Hinzu komme, so Jutta Thier-Mechelhoff, Leiterin der Johannesschule, dass der Gedanke der Inklusion nicht nur in der Schule umgesetzt, sondern auch in außerschulische Bereiche getragen werde. Dafür eigne sich die Altenhilfe in besonderer Weise. Die praktischen Erfahrungen werden durch die Vermittlung theoretischer Grundkenntnisse gefestigt. An den beiden Schultagen stehen, neben Fächern wie Deutsch und Mathematik, fachspezifische Unterrichtsthemen auf dem Stundenplan. In verschiedenen Modulen werden Themen wie das Leben im Alter und der Umgang mit Klienten, aber auch die Aufgabenbe-
reiche Hauswirtschaft und technischer Dienst sowie Aufbau und Organisation von Institutionen besprochen. Dazu werden auch externe Referenten hinzugezogen, die über langjährige Berufserfahrung verfügen. Für den Unterricht wurde eigens ein Schulungsraum im Wirtschaftszentrum Gronau (WZG) angemietet und ausgestaltet. Finanziert wird das Projekt aus dem Sonderprogramm „aktion 5“ des Integrationsamtes Westfalen, das sich in Trägerschaft des Landschaftsverbandes befindet. Möglich wurde dies durch die enge Zusammenarbeit der Johannesschule mit dem Integrationsfachdienst Borken-Coesfeld (IFD). Auch der IFD hat das Ziel, Menschen mit Behinderung im ersten Arbeitsmarkt zu integrieren. „Dies gelingt nach unseren Erfahrungen nur über erfolgreiche Praktika und eine gute Begleitung. Dazu ist die finanzielle Unterstützung durch Kostenträger wie das Integrationsamt und bei langfristiger Einstellung auch durch die Bundesagentur für Arbeit erforderlich. Darüber hinaus fördert der Landschaftsverband geeignete Berufseinstiegskonzepte, die der Werkstattvermeidung dienen – wie dies beispielsweise bei EHLIA geschieht“, erläutert Susanne Schulze-Ameling vom Integrationsfachdienst. Nicht nur die Teilnehmer sollen von solchen Maßnahmen profitieren. Auch die Arbeitgeber, die Institutionen der Altenhilfe, erhoffen sich entlastende Effekte. „Gelingt während dieses Projekts eine Einbindung, hat der Arbeitgeber die große Chance, ausbildungsunabhängige Aufgabenbereiche der Altenpflege an solche Teilnehmer zu übertragen. Das entlastet die Fachkräfte“, so Christoph Klapper, Einrichtungsleiter der Stiftung zu den Heiligen Fabian und Sebastian in Rosendahl.
Wittekindshof
Nachruf
Diakon Joachim Hoeft Der ehemalige Leitende Pädagoge und stellvertretende Anstaltsvorsteher des Wittekindshofes, Diakon Joachim Hoeft, ist am 5. Januar 2012 nach langjähriger schwerer Erkrankung verstorben. Nach einer Bäckerlehre im Wittekindshof absolvierte er am Universitätsklinikum Göttingen eine Krankenpflegeausbildung. Während der Diakonenausbildung und einer heilpädagogischen Ausbildung war er in verschiedenen Wittekindshofer Wohnhäusern in Gronau und Volmerdingsen tätig. Früh übernahm er als lei-
tender Bruder der Schülerabteilung und stellvertretender Hausvater im Haus Morgenstern verantwortliche Positionen und war wesentlich an der Entwicklung des Schülerdorfes beteiligt. Seine Tätigkeit im Wittekindshof unterbrach er für ein Studium in Vechta. Als Diplom-Pädagoge wurde er Beauftragter für Fort- und Weiterbildung, übernahm die Leitung der Diakonenausbildung und unterrichtete im Wittekindshof wie auch außerhalb. Joachim Hoeft konzipierte die Diako-
nische Sonderausbildung, mit der der Wittekindshof damals Neuland betrat und Vorbildfunktion für andere diakonische Träger erlangte. Ab 1. Oktober 1984 wurde Joachim Hoeft Leitender Pädagoge und damit Mitglied der Anstaltsleitung. Im Dezember 1993 übernahm er zusätzlich die Funktion als stellvertretender Anstaltsvorsteher. Als Pädagogischer Leiter setzte er sich unter anderem für das Freizeitwerk ein und förderte den Aufbau des Ambulant Betreuten Wohnens. Akzente während seiner Amtszeit waren die Anfänge des Qualitätsmanagements und die Einrichtung der ersten Wohngruppe für Menschen mit dem Prader-Willi-Syndrom.
Besonders am Herzen lag Joachim Hoeft das kirchengemeindliche Leben. Er war Mitglied im Posaunenchor Wittekindshof und achtete darauf, dass Mitarbeitende es lernen, das Evangelium auch für Menschen mit geistiger Behinderung verstehbar zu machen und Andachten zu halten. Joachim Hoeft wurde Anfang 2000 aus gesundheitlichen Gründen in den vorzeitigen Ruhestand verabschiedet. Er engagierte sich weiterhin für den Wittekindshof und blieb lange Jahre im Beirat der Andreas Gärtner-Stiftung tätig. Joachim Hoeft hinterlässt seine Ehefrau, Diakonin Elisabeth Hoeft, und drei Töchter mit ihren Familien.
links: Besuch von Ministerpräsident Johannes Rau am 30. September 1997 im Wittekindshof rechts: Geschenk der Volmser Heimatfreunde: Der Findling am Eingang der Diakonischen Stiftung (04/1998). Von links: Reinhard Krüger, Dr. Wolfgang Forster, Heinz Hüsener, Pfr. Erich Eltzner
Archiv Wittekindshof
und Joachim Hoeft
verstorbene Mitarbeitende und vom Wittekindshof unterstützte Menschen 5. Januar 5. Januar 8. Januar 17. Januar 21. Januar 22. Januar 27. Januar 30. Januar
Joachim Hoeft Hans-Dieter Sielhöfer Lina Hüsing Klaus Schröder Elisabeth Geißler Günther Veld Ina Hoppenjans Otto Stark
7. Februar 16. Februar 20. Februar 23. Februar 26. Februar 5. März 6. März 6. März
Jürgen Wilm Patrick Ahrend Marita Klanke Aaron-Jermain Winterstein Hartmut Hochgräfe Agnes Hell Karl-Josef Szelag Bernhard Lambers
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Stand: 6. März 2012
Wir trauern um
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Wittekindshof
Zufriedenheit am Arbeitsplatz erhalten
immer Ansätze zu einem besseren, abgestimmten Vorgehen in der täglichen Arbeitspraxis. Solche Verbesserungsvorschläge sollten genutzt werden! In einer Dienstgemeinschaft Verantwortung zu tragen, bedeutet kritikfähig – und damit auch offen für Erneuerungen – zu sein! Das Handlungsleitende Bild im Wittekindshof gilt auch für alle Mitarbeitenden der Diakonischen Stiftung! Dort steht: „Liebe ist unsere Kraft“ und „Fachlichkeit ist unsere Stärke“. Das geht nur, wenn wir von Angst befreit miteinander umgehen. Die Mitarbeitervertretung möchte sich nicht als mahnender „Schuldzuweiser“ an Vorgesetzte verstanden wissen. Das ist auch nicht ihre Aufgabe. Sie will aber in der gesamten Mitarbeiterschaft für mehr Verständnis untereinander werben und dazu konkret anregen. In Gesprächen dem anderen einmal ruhig zuzuhören, den anderen mit seinen Begrenzungen besser zu verstehen und gegenseitige Annahme zu leben. Die Mitarbeitervertretung möchte an dieser christlichen Zielsetzung mitwirken. Sie macht immer wieder die Erfahrung, dass sich durch verbesserte Kommunikation und durch
Seien Sie willkommen, hier sind Sie richtig: Gesamtmitarbeitervertretung der Diakonischen Stiftung Wittekindshof, Pfarrer-Krekeler-Str. 27, 32549 Bad Oeynhausen, Tel.: (0 57 34) 61-24 42. EMail: mav@wittekindshof.de
angemessene Beratung – häufig als Coaching bezeichnet – in der Regel eine erhöhte Mitarbeiterzufriedenheit einstellt! Das Beschwerderecht der Mitarbeitervertretung ist in § 48 des Mitarbeitervertretungsgesetzes verankert. Die Mitarbeitervertretung kann sich aber nur einschalten, wenn Kolleginnen und Kollegen „Verstöße der Dienststellenleitung“ in Einzelgesprächen mit Mitgliedern der Mitarbeitervertretung wahrheitsgemäß benennen. Sprechen Mitarbeitende auf diese Weise Probleme am Arbeitsplatz an, werden diese von der Mitarbeitervertretung vertraulich behandelt. Es folgt ein systemati-
Taizé
Es gibt immer noch zu viele Kolleginnen und Kollegen, die Angst dabei haben, wenn sie die Mitarbeitervertretung aufsuchen. „Wenn ihr mit meiner Teamleitung über das Problem redet, dann nennt bitte nicht meinen Namen!“ Etwas direkter formuliert heißt das doch: „Wenn heraus kommt, dass ich euch das erzählt habe, dann kriege ich finsteren Ärger!“ Mitunter scheint es so, als werde die Mitarbeitervertretung und ihre Funktion im Gesamtsystem der Diakonischen Stiftung von einigen Leitungskräften verkannt. Dabei sollten die Chancen gesehen werden! Das Mitarbeitervertretungsgesetz basiert auf dem Grundgedanken einer Dienstgemeinschaft. Und das beinhaltet die große Chance, alle in Kirche und Diakonie arbeitenden Frauen und Männer bei der Gestaltung einer solchen Gemeinschaft förderlich zu beteiligen. Leitungskräfte gehören selbstverständlich auch zu dieser Gemeinschaft und sind – wie alle anderen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – zur vertrauensvollen Zusammenarbeit verpflichtet. Unzufriedenheiten, die Kolleginnen und Kollegen bei der Mitarbeitervertretung vorbringen, enthalten fast
Klaus Schuhmacher
Beschwerderecht der Mitarbeitervertretung
Taizé Gemeinsam mit der Diakonischen Brüder- und Schwesternschaft veranstaltet die Mitarbeitervertretung der Diakonischen Stiftung Wittekindshof eine Fahrt nach Taizé. Vom 16. bis 24. Juni 2012 besteht die Möglichkeit am Leben in der Communauté de Taizé teilzunehmen und den dort üblichen einfachen Lebensstil zu erleben. Die ökumenische Glaubensgemeinschaft ermöglicht die Begegnung mit vielen Besucherinnen und Besuchern auch aus anderen Ländern. Zudem
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besteht die Möglichkeit, zu innerer Ruhe zu finden und in Gottesdiensten und bei Meditationen die persönliche Beziehung zu Gott neu zu bedenken. Die Gäste leben in einfachen Unterkünften, übernehmen lebenspraktische Aufgaben und tragen so zum Gelingen in der Gruppe bei. Die Kosten belaufen sich inklusive Unterkunft und Verpflegung sowie An- und Abreise mit dem Bus auf € 250,- pro Person. Informationen über Taizé und die dortigen Angebote: www.taize.fr Anmeldungen bis zum 30. März 2012 an: MAV-Geschäftsstelle, Annette Holtz, Tel. (05734) 61-24 42.
scher und gezielter Umgang mit den Beschwerden. Anonyme Beschwerden aus der Mitarbeiterschaft können jedoch nicht unterstützt bzw. bearbeitet werden! Es kann durchaus sein, dass vorgebrachte und nachvollziehbare Beschwerden aus der Mitarbeiterschaft auch mit Unterstützung der Mitarbeitervertretung nicht immer das gewünschte Ergebnis erreichen. Dies ist ehrlich zu gestehen. Oftmals sind es gesetzliche Auflagen, wirtschaftliche Notwendigkeiten und andere Einschränkungen, etwa in der Eingliederungshilfe, die sich hemmend auf die Arbeitsgestaltung in der Diakonischen Stiftung auswirken. Werden aber bestehende Pflichten des Arbeitgebers nicht eingehalten oder sind Versäumnisse nachzuweisen, tritt die Mitarbeitervertretung zur Beschwerdebehebung jeder Kollegin und jedem Kollegen unterstützend zur Seite. Beschwerden aus der Mitarbeiterschaft ersparen Ärger, regen an, hinzu zu lernen und verbessern die Qualität am Arbeitsplatz. Deshalb freuen sich die Mitglieder der Mitarbeitervertretung über jedes Gespräch zur Verbesserung der Zufriedenheit. Gesprächstermine können jeweils direkt mit der gewünschten Gesprächspartnerin oder dem gewünschten Gesprächspartner vereinbart werden oder in der MAVGeschäftsstelle. Helmut Janz
Wittekindshof
Für Mitarbeiter
Coaching ist die Begleitung, Reflexion und Unterstützung im beruflichen Alltag durch eine in der Beratung erfahrene Fachkraft. Im Zentrum der Beratung stehen die Berufsrolle, das persönliche Leben und die Verarbeitung von Lebenssituationen der Mitarbeiterin bzw. des Mitarbeiters. Ziel des Coaching ist die Weiterentwicklung beruflicher Kompetenz im Einklang mit den Zielen der Organisation. Im Vordergrund stehen dabei Themen, die die Persönlichkeit des zu beratenden Mitarbeiters in besonderer Weise berühren. Sinnfragen und Glaubensanliegen werden auf Wunsch in die Ge-
Christine Pollmeier ist neue Schwerbehindertenvertreterin in der Diakonischen Stiftung. In dieser Funktion ist sie Nachfolgerin von Elke Dräger, deren Stellvertreterin sie 15 Jahre lang war und die nun aus dem aktiven Dienst ausgeschieden ist. Wie ihre Vorgängerin ist Christine Pollmeier als Lehrerin an der Förderschule Wittekindshof tätig. Bereits 1978 hat sie dort ihren Dienst begonnen. Als Schwerbehindertenvertreterin setzt sie sich für die Belange und Interessen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Schwerbehinderung ein.
Jürgen Escher
Coaching-Angebot
spräche einbezogen. Coaching ist eine Methode, die dazu befähigen soll, Handlungsspielräume im beruflichen Alltag zu entdecken oder zu erweitern. Das Beratungsangebot umfasst die Begleitung solcher individuellen Lernund Entwicklungsprozesse. Das Coaching-Angebot der Mitarbeitervertretung ist kostenlos. Es wendet sich vorrangig an Mitarbeitende im Rahmen des Betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM). Darüber hinaus können aber auch alle anderen Mitarbeiter an dem Angebot teilnehmen, sofern freie Plätze vorhanden sind. Das Coaching findet außerhalb der Arbeitszeit statt.
Sie ist erreichbar unter: Tel. (0174) 3 01 49 12
Weitere Informationen erhalten Sie in der MAV-Geschäftsstelle.
Machen Sie mit!
Ihr Geschenk für eine alte Dame Es spricht sich herum: die Diakonische Stiftung ist in diesem Jahr 125! Aus diesem Anlass hat Alfred Buß, scheidender Präses der heimischen Landeskirche, den Wittekindshof beim diesjährigen Aschermittwochsempfang lie bevoll eine „alte Dame“ genannt. Was schenkt man einer solchen alten Dame zum Geburtstag? „Nichts!“, würde sie vermutlich sagen, „ich hab doch alles, was ich brauche.“ Also scheint es schwierig mit dem Schenken! Darf ich dann mal für die alte Dame Wittekindshof einen Geschenkwunsch äußern? Hinter vorgehaltener Hand sozusagen? Dem Erinnern auf die Sprünge helfen Es gibt sicher Geschichten vom Wittekindshof, die möglicherweise nur
Sie kennen: Ereignisse, Erlebnisse – ganz ähnlich wie bei einer alten Dame. Vielleicht kennen Sie auch eine kleine Schwäche von ihr? Oder sie möchten ihr gutes Herz loben oder eine Begebenheit erzählen, die Sie – vielleicht nur Sie – mit ihr erlebt haben. Vielleicht haben Sie sich auch mal geärgert und sie freuen sich nun, dass das Geburtstagskind doch so ein robustes Leben hat? Bitte, schreiben Sie solche Erinnerungen auf! Bitte lassen Sie uns das wissen! Vielleicht haben Sie sogar noch Bilder und Fotografien von früher, die könnten Sie der alten Dame wenigstens einmal ausleihen – und dann auch gleich der Erinnerung auf
die Sprünge helfen! Wer war das noch mal? Wo stand dieses Haus? Kurzum: wir möchten das Wittekindshofer Jubiläum im „Durchblick“ – aber auch an anderer Stelle – dazu nutzen, unser Wissen und unser Bild von der Diakonischen Stiftung und ihrer Geschichte weiter zu vertiefen. Dafür bitten wir Sie um Begebenheiten, die sie – ganz persönlich – mit dem Wittekindshof verbinden. Wir sind dankbar für alte Bilder und Dokumente, für die es in der Diakonischen Stiftung zwischenzeitlich ein gut geführtes Archiv gibt, in dem die Erinnerungen durchgesehen und systematisiert werden. Auch Gegenstände, die von der Entwicklung der Arbeit im Wittekindshof Zeugnis geben, nehmen
wir gerne für das Wittekindshofer Archiv. Und wenn Sie Erinnerungen nicht mehr selbst aufschreiben können, werden wir zusammen eine Möglichkeit finden, um Ihre Begebenheiten mit dem Wittekindshof aufzuzeichnen. Das wäre einfach schön! Und glauben Sie es mir: eine alte Damen freut sich auch mit 125 Jahren noch über ein Geschenk! Es muss nur eben etwas besonderes sein – und von Herzen kommen! Einsendeschluß ist der 2. Mai, das ist nämlich der wirkliche Geburtstag: Öffentlichkeitsarbeit Diakonische Stiftung Wittekindshof, Volmerdingsener Straße 149, 32549 Bad Oeynhausen oeffentlichkeitsarbeit@wittekindshof.de
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Wittekindshof
In eigener Sache
„Als wären wir zur Strafe hier“ In der „Durchblick“-Ausgabe 2-2011 vom Oktober vergangenen Jahres, hatten sich sowohl der Herausgeber dieser Zeitschrift, Professor Dr. Starnitzke, als auch die Verfasser der Studie „Als wären wir zur Strafe hier“, Professor Hans-Walter Schmuhl und Dr. Ulrike Winkler, in Beiträgen mit dem Leben in der Diakonischen Stiftung während der 1950er und 1960er Jahre beschäftigt. Grundlage war die genannte Studie, die von den Verfassern unabhängig erstellt, gleichwohl aber durch einen Forschungsauftrag der Diakonischen Stiftung Wittekindshof möglich geworden war. Sie hat großes öffentliches Interesse gefunden – besonders bei Menschen, die der Diakonischen Stiftung während des genannten Zeitraumes aus unterschiedlichen Gründen und Perspektiven verbunden waren. So ist zwischenzeitlich auch die
zweite unverändert veröffentlichte Auflage des Buches nahezu vergriffen. Natürlich hat es eine Zeit lang gedauert, bis die Texte rezipiert waren und zu Reaktionen geführt haben. Dabei sind es vor allem Personen, die gegenwärtig aktiv am Geschehen im Wittekindshof Anteil haben, die die Veröffentlichung als überfällige Auseinandersetzung mit einer Epoche begrüßen, als die Behindertenhilfe in diesem Land generell unter schwierigen Rahmenbedingungen stand. Dass dabei auch Missstände zu Tage treten, wird dabei eher als Beleg dafür interpretiert, wie stark auch die Arbeit in der Diakonischen Stiftung unter diesen Umständen gelitten hat. Dies entschuldige aber nicht, wenn es in einzelnen Fällen oder in besonderen Bereichen zu Verhalten gekommen sei, bei denen Menschen in ihrer Persönlichkeit und ihren Entwicklungschancen durch
grobe Unachtsamkeit oder Gewalt geschädigt wurden. Andere – meist Menschen, die aufgrund ihres Lebensalters oder der beruflichen Erfahrung den Begriff „Zeitzeugen“ zu Recht beanspruchen – verweisen ebenfalls mit Nachdruck auf die schwierigen Umstände damaliger Zeit! Deren Folgerung lautet dann aber, dass unter den gegebenen Voraussetzungen von den damaligen Mitarbeiterschaften – von wenigen Ausnahmen abgesehen – das bestmögliche geleistet worden sei. Dies infrage zu stellen, belege vor allem die Kenntnisferne der Nachgeborenen, denen eben diese Umstände erspart geblieben sind. Es handelt sich bei diesen Diskursen nicht um ein beliebiges Thema! Es geht um Menschen, von denen viele unter uns leben. Es geht vor allem um Menschen, deren Leben, sei es als Bewohnerinnen und Bewohner, sei es als Mitarbeitende, Jahrzehnte lang aufs engste mit dem Leben im Wittekindshof verbunden war oder noch immer verbunden ist.
Aus diesem Grund möchte der „Durchblick“ dieser Diskussion Raum geben, auch wenn sie sich nicht auf Aussagen bezieht, die in dieser Zeitschrift explizit nachzulesen waren. Dabei werden wir nicht Partei ergreifen und schon gar nicht klären können „wie es wirklich war“. Wir möchten aber einer Diskussion Raum geben und veröffentlichen Beiträge, die in ihrer Länge und ihrem Anliegen nach geeignet sind, den Gang der Wittekindshofer Entwicklung darzustellen und eine bessere Kenntnis der Geschichte dieser Einrichtung zu vermitteln. Als konkreten Beitrag zur Befassung mit den Texten aus der Publikation „Als wären wir zur Strafe hier“ veröffentlichen wir einen Beitrag von Elisabeth Mejza. Darin wenden sich die Kinder des früheren Rektors der Diakonischen Stiftung Gerhard Brandt vor allem gegen Behauptungen, ihr Vater hätte in der Erziehung von Kindern und Jugendlichen wiederholt zu Mitteln von Gewalt gegriffen.
Bewertend, nicht sachlich, wenig differenzierend… Die Aussagen und Informationen des Buches „Als wären wir zur Strafe hier“ spiegeln das Bild, das unseren Erlebnissen und Erinnerungen an den Wittekindshof in den 50er und 60er Jahren entspricht. Wir bedauern zutiefst das Leid und die Schmerzen, die viele Bewohnerinnen und Bewohner erleben mussten und die wir zum Teil seit Langem aus privaten Gesprächen kennen. Wir widersprechen aber dem Bild, das von unserem Vater, Gerhard Brandt, in den beiden, etwa die Hälfte der veröffentlichten Studie umfassenden Biografien gezeichnet wird, vor allem im Hinblick auf die hier benannte brutale Anwendung körperlicher Gewalt gegenüber Schülern. Unser Vater hat jedwede Form von Gewalt aus innerster Überzeugung abgelehnt. Insbesondere die Kriegsjahre mit den Gräueln des Nationalsozialismus hatten zu dieser Haltung geführt.
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Menschliche Fehler sind – wie bei jedem von uns – auch bei ihm nicht auszuschließen; der – wie die Ausführungen nahe legen – systematische Einsatz von Gewalt gehörte definitiv nicht zu ihm. Gewalt widersprach seinen grundlegenden, gelebten Werten und pädagogischen Grundsätzen. Schläge gehören auch weder zu unseren eigenen Erinnerungen noch zu denen der von uns befragten Zeitzeugen (ehemalige Schülerinnen und Schüler, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter). Die im Interview geschilderten Arbeits- und Lebensbedingungen von Frau A. im Hause Brandt entsprechen in mehrfacher Hinsicht nachweislich nicht den tatsächlichen Gegebenheiten. Auch manche aus den Interviews sowie den vorliegenden Schriftstücken schlussgefolgerten Aussagen sehen wir sehr kritisch, weil sie bewertend, nicht sachlich, wenig differenzierend
und manchmal wohl zu vorherigen Untersuchungsergebnissen passend erfolgten. Bisweilen werden die subjektiven Berichte der Betroffenen von den Autoren auch unkritisch übernommen und beurteilend dargestellt. Eine abschließende Bemerkung: Ruth und Gerhard Brandt führten stets ein offenes Haus. Viele Ehemalige blieben auch nach ihrer Zeit in Wittekindshof durch Brief- oder persönliche Kontakte mit der Familie in Verbindung. Das trifft gleichermaßen für Frau A. wie für Herrn B. zu. Im Namen der Geschwister Brandt Elisabeth Mejza, Dortmund
Leserbrief
Ihre Meinung Ehrlich gesagt, gefiel mir das frühere Mitteilungsblatt besser, weil es kürzer und bescheidener, aber persönlicher war. Im Übrigen teile ich die Meinung von Frau Aschermann (Durchblick 3-2011, S. 18) zu dem so genannten Witz über die Hauseltern. Ihn öffentlich zu verbreiten, halte ich für taktlos. Sollte man sich da nicht besser an Elia erinnern: „Ich bin nicht besser als meine Väter …“ (1. Könige 19, 4)? Dem Wittekindshof bleibe ich verbunden in Erinnerung an viele Besuche, die ich dort mit Konfirmanden von 1976 bis 2001 gemacht habe. Dr. Hermann Müntinga Pastor i.R., Obernkirchen
Bildungsabschlüsse
Fotos: Anke Marholdt
Wir gratulieren
Diakoninnen und Diakone Durch Landeskirchenrätin Dr. Johanna Will-Armstrong als Diakoninnen und Diakone der Evangelischen Kirche von Westfalen und Mitglieder der Diakonischen Brüderund Schwesternschaft Wittekindshof eingesegnet wurden: Britta Gerdschwager, Svenja Gerdschwager, Ina Rohleder (Bad Oeynhausen); Gesa Birkemeyer (Bielefeld); Barbara Klotz (Erdmannhausen); Katy Gordalla (Hille); Cornelia Lenz, Franziska Schläger (beide Hüllhorst); Daniela Klemm (Löhne); Julia Christina Steinmeier (Melle); Sandra Burmester, Magdalena Jurczok (beide Minden); Nicole Heitkamp (Rahden); Michael Weiß (Stemwede); Nadine Berks (Vlotho) und Martina Große (Zeven).
Den achten Aufbaubildungsgang Sozialmanagement erfolgreich abge schlossen haben: Silke Arndt, Susanne Becker, Sabine Brammeyer, Ansgar Heuel, Claudia Schneider, Anne Werth (Bad Oeynhausen); Christian Lohkamp (Bünde); Andre Isbrandt (Espelkamp); Kerstin Rößler (Hille); Monica Bekemeier (Hüllhorst); Janine Rosenlicht (Kirchlengern); Bianca Kleinschmidt, Ulrich Neumann (Löhne); Dorit Bültermann (Stemwede); Matthias Stuke (Vlotho); Manuela Kleingünther (Bielefeld); Wilfried Hollekamp (Gronau); Nadine Lepper (Dortmund); Iris Teichner (Moers), und Britta Pohl (Bad Salzuflen).
Rat der Diakonischen Brüderund Schwesternschaft Wittekindshof
Basiskurs Kirche und Diakonie Nach dem Besuch des Basiskurses Kirche und Diakonie wurden als Diakonische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Diakonischen Brüder- und Schwesternschaft Wittekindshof eingesegnet: Jürgen Wrase (Bad Essen); Regina Kamp, Gisela Mathemeier (beide Bad Oeynhausen); Björn Mehnert, Christian Rüter (beide Bünde); Kerstin Eberhard (Espelkamp); Marion Rüter (Hille); Carmen Blöbaum, Gisela Schmitz (beide Hüllhorst); Sabine Vette (Kirchlengern); Ulrich Adler, Ilka-Anika Richter, Anke Schilling (Löhne); Matthias Düsterberg (Lübbecke); Monika Höltkemeyer, Marcus Möller (beide Minden) und Anna Wirzba (Porta Westfalica). Außerdem haben mit Erfolg den Basiskurs Kirche und Diakonie besucht: Gabriele Kriesten und Larissa Weis aus der Diakonie Stiftung Salem in Minden.
Nach den Wahlen Ende letzten Jahres gehören dem Rat der Diakonischen Brüder- und Schwesternschaft Wittekindshof an: Christian Schwennen (Minden – 1.v.l.), Dirk Menke (Bünde – 3.v.l.)), Vorstandssprecher Pfarrer Professor Dr. Dierk Starnitzke (Bad Oeynhausen – 4.v.l.) Brüder- und Schwesternpfarrer Michael Postzich (Bad Oeynhausen – 5.v.l.), Christian Neumann (Löhne – 6.v.l.), Hartmut Wloka (Bad Oeynhausen – 5.v.r.), Bernhard Höhr (Bad Oeynhausen – 4.v.r.), Christel Lange (Minden – 3.v.r.) und Nicole Schnepel (Preußisch Oldendorf – 1.v.r.) sowie ohne Foto Günter H. Weingarten (Bad Essen) und Heiko Strahl (Gronau). Verabschiedet als Ratsmitglieder wurde Ulrich Niemann (Minden – 2.v.r.). Klaus Haberland (Minden – 2.v.l.) gehört dem Rat als Verträter der Senioren an. D u rc h b l i c k 1 -2 0 1 2
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Wittekindshof
Kreis Minden-Lübbecke/ Kreis Herford Westfälische Pflegefamilien
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eit letztem Jahr bietet der Wittekindshof in Zusammenarbeit mit dem Landesjugendamt „Westfälische Pflegefamilien“ für Kinder und Jugendliche mit Behinderung an. Das Konzept stellt eine Alternative zu stationären Wohnformen für junge Menschen dar, die dauerhaft nicht in ihren Herkunftsfamilien leben können. Für die ersten Kinder konnten geeignete Familien gefunden werden, so dass die Vermittlung stattgefunden hat. Die Kinder haben sich eingelebt, und profitieren von der familiären Atmosphäre. Da immer wieder neue Anfragen – beispielsweise von Jugendämtern – eintreffen, werden dringend weitere Pflegefamilien gesucht. Aufgrund der Anforderungen, die die Erziehung eines Kindes mit Behinderung mit sich bringen, werden Familien gesucht, in denen mindestens eine Personen über eine Fachausbildung verfügt beziehungsweise entsprechende berufliche oder familiäre Erfahrungen vorliegen. Weitere Auskünfte erteilt: Diakonin Kerstin Krohn, Tel. (05734) 61-15 55 oder www.wittekindshof.de/wpf
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Kreis Minden-Lübbecke
Gronau
Bünde
Autismusambulanz – jetzt auch extern!
Neuer Intensivbereich
Wohnanlage mit Tages strukturierendem Angebot
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eit Anfang des Jahres gibt es auch im Wittekindshof Gronau einen Heilpädagogischen Intensivbereich (HPI). Es handelt sich um eine Gruppe für Erwachsene mit insgesamt 8 Plätzen, davon sind aktuell 3 Plätze Menschen vorbehalten, die aufgrund ihres herausfordernden Verhaltens besonders sensibel begleitet werden. Im Sommer wird eine weitere Person hinzukommen. In dem neuen Bereich stehen den Bewohnern durchweg Einzelzimmer zur Verfügung. Auch im HPI gilt der Grundsatz der wohnortnahen Versorgung. So wurden zwei Männer, die ursprünglich aus Gronau bzw. dem nahen Umland stammen, in die neue Gruppe aufgenommen. Sie hatten zuletzt im Bad Oeynhausener Intensivbereich gelebt. Nun haben sie in ihrer alten Heimat angemessene Wohnmöglichkeiten und eine qualifizierte Begleitung, entsprechend ihrem hohen Unterstützungsbedarf. Die Umzüge waren gemeinsam in Bad Oeynhausen und Gronau vorbereitet worden. So fanden denn die beiden jungen Männer in der neuen Umgebung alles vor, was ihnen wichtig ist. Augenscheinlich fühlen sie sich in den neuen Räumlichkeiten wohl. Mit dem neuen HPI-Angebot in Gronau – aktuell zwei Frauen und sechs Männer – wird ebenfalls sichergestellt, dass auch Kinder und Jugendliche im nachfolgenden Lebensalter eine angemessene Versorgung finden, sofern sie auf HPI angewiesen sind. Diakon Torben Stobbe leitet den neuen Heilpädagogischen Intensivbereich.
ie langjährige Erfahrung mit den vielfältigen Aspekten von Autismus-SpektrumStörungen (ASS) stellt die Diakonische Stiftung Wittekindshof jetzt auch im Rahmen der Regionalversorgung im Kreis Minden-Lübbecke zur Verfügung. Dafür wurde eine Autismusambulanz ins Leben gerufen, in der zunächst drei Mitarbeitende mit den Schwerpunkten Förderdiagnostik, Beratung und Weiterbildungsveranstaltungen zur Verfügung stehen. Im Mittelpunkt stehen Angebote zur Einzelförderung, die je nach Vereinbarung im Elternhaus, in einer Kindertagesstätte, in der Schule oder im sonstigen sozialen Umfeld stattfinden. Die Einzelförderung – in die immer auch die Bezugspersonen der betroffenen Kinder und Jugendlichen einbezogen sind – findet mindestens einmal pro Woche statt. Daneben wird auch Milieu- und Fallberatung angeboten. Wer qualifizierte Informationen zum Thema Autismus-Spektrum-Störungen sucht, etwa für Elternabende oder Schul-Projekte, kann ebenfalls auf die mehrjährige Erfahrung der Wittekindshofer Autismus-Experten zurückgreifen und entsprechende Fortbildungseinheiten vereinbaren. Kontakt: Fachdienst Autismus ambulanz, Neinstedter Weg 5, 32549 Bad Oeynhausen; Melanie Selberg, Tel. (05734) 61-12 86 autismusambulanz@wittekindshof.de
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ach längerer Vorplanung wird im April mit dem Bau einer neuen Wohnanlage in Bünde begonnen werden. In zentraler Innenstadtlage werden ein zweigeschossiges Wohnhaus mit sechs Wohngemeinschaften für jeweils vier Personen und ein kleineres eingeschossiges Gebäude für Tagesstrukturierende Angebote entstehen. Die Nachfrage für die 24 Einzelzimmer für Menschen mit geistiger Behinderung ist hoch. Die Tagesstrukturierenden Angebote sind auch für Bürgerinnen und Bürger mit Behinderung aus Bünde und Umgebung offen. Für die neue Wohnanlage wird mit einer Bauzeit von rund einem Jahr gerechnet. Die Baukosten belaufen sich auf 3,2 Millionen Euro. Zu den Förderern der neuen Wohnanlage gehören der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL), das Land Nordrhein-Westfalen und die Stiftung Wohlfahrtspflege NRW. Zusätzlich sind Spendenmittel für diese große Investition dringend erforderlich. Stefan Brand, Architekt BDA
Anke Marholdt
aus der Region
Thomas Dullweber
Wittekindshof
Bad Oeynhausen Symposium diskutiert Lebenswelten
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Rahden Diakonische Freundschaft
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er die Oktober Ausgabe, Durchblick 2-2011 S. 36ff. aufmerksam gelesen hat, kennt ihn schon: den begabten den begabten Songwriter und Diakon Andi Weiss aus München. Seit seinen Konzerten in der Wittekindshofer Auferstehungskirche und in der Evangelischen Kirche in Nettelstedt, Anfang Februar, dürfte die Zahl seiner Freundinnen und Freunde in der Diakonischen Stiftung erneut deutlich gestiegen sein. Ziemlich einmalig dürfte aber der regelmäßige Kontakt sein, den Weiss und der Rahdener Claus Meyer seit nunmehr vier Jahren pflegen. Wann immer der Sänger und Geschichtensammler in Ostwestfalen gastiert – und das geschieht mit zunehmender Bekanntheit immer häufiger – besucht er Claus Meyer in dessen Wohnung im
Haus Aleida. Im Gepäck den Nusskuchen, der bei dem Treffen der beiden obligatorisch ist. Auch diesmal, nach dem Wittekindshofer Konzert, ging der Gesprächsstoff nicht zur Neige: Handball, Selbstständiges Wohnen und natürlich Musik sind Themen, die zwischen den beiden nie ans Ende kommen. Und so wird sich Andi Weiss schon recht bald wieder bei Claus Meyer im Haus Aleida ankündigen, auch wenn der Tourneeplan des jungen Münchner Diakons den aktuellen Schwerpunkt seiner Konzerte und Veranstaltungen doch etwas mehr im Süden ausweist. Übrigens hat Andi Weiss seinem Rahdener Gesprächspartner bereits in seinem Buch „Heimat“ eine Geschichte gewidmet. Und auch auf der Bühne treten sie mitunter gemeinsam auf.
und 90 Gäste erwartet die Diakonische Stiftung Wittekindshof anlässlich des Symposiums „Heime für Menschen mit geistiger Behinderung“. Am 4. und 5. Juli 2012 findet diese grundlegende Tagung mit der Diskussion von Forschungsergebnissen aus Einrichtungen der Behindertenhilfe im Bad Oeynhausener Energie-Forum Innovation statt. Die Veranstaltung, an der auch die Stiftungen Bethel und Eben-Ezer sowie der Bundesverband Evangelische Behindertenhilfe mitwirken, ist Teil der Veranstaltungen zum 125jährigen Bestehen des Wittekindshofes. Als wissenschaftliche Grundlage der gemeinsamen Befassung gilt die „Dis/ability History“, ein geschichtswissenschaftlicher Ansatz, der sich mit Erfahrungen von Menschen mit Behinderung und deren Umgebungen beschäftigt. Vorgestellt werden aktuelle Forschungsprojekte zu „Heimwelten“, in denen Menschen mit Behinderung oft über Jahrzehnte gelebt haben. Ein Aspekt wird dabei die Forschungsarbeit zur 125-jährigen Geschichte des Wittekindshofes sein, die im Sommer in Buchform erscheint.
In der Ausschreibung für das Symposium weist der Bielefelder Historiker Professor Hans-Walter Schmuhl, der die Veranstaltungsinhalte organisiert, darauf hin, dass Menschen mit Behinderung erst in den letzten Jahren in den Blick der Geschichtswissenschaft gekommen seien. Umso wichtiger sei es, jüngst veröffentlichte Studien auch aus Einrichtungen aus der Region bekannt zu machen, sie auszuwerten und die Erkenntnisse für die Weiterentwicklung in der Behindertenhilfe zur Verfügung zu stellen.
Impressum Durchblick Zeitschrift der Diakonischen Stiftung Wittekindshof Herausgeber: Pfarrer Prof. Dr. Dierk Starnitzke, Theologischer Vorstand (v.i.S.d.P.) Redaktion: Klaus Schuhmacher Zur Kirche 2, 32549 Bad Oeynhausen klaus.schuhmacher@wittekindshof.de Texte: Die nicht namentlich gekennzeichneten Texte wurden erstellt von Anke Marholdt, Pressesprecherin, und Klaus Schuhmacher. Auswahl und Redaktion: Klaus Schuhmacher Layout: Wilfried Gandras, Hamburg Druck: Druckerei + Verlag Kurt Eilbracht GmbH & Co KG, Löhne Versand: Wiegmann GmbH, Petershagen Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung des Herausgebers wieder. Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck auch auszugsweise nur mit Genehmigung der Redaktion.
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Fundraising
Am Reitertag zeigen wir, was wir können! Am 21. Juni 2012 ist es wieder so weit: Die 120 Mädchen und Jungen, Frauen und Männer, die unser Angebot des Therapeutischen Reitens wahrnehmen, zeigen beim Reitertag ihr Können auf den Rücken, auf denen das Glück der Erde liegt. Bjarne (großes Bild) ist hyperaktiv. Indem er sich auf den Bewegungsrhythmus des Pferdes einlässt, wird er innerlich ruhig. Das Therapeutische Reiten fördert zudem seine Bewegungsfähigkeit und er lernt, sich besser zu konzentrieren – Fertigkeiten, die er im Alltag dringend braucht. Bjarne kann seinen Einsatz beim Geschicklichkeitsparcours kaum erwarten: Einen Ring freihändig transportieren und dabei die Balance halten oder einen Ball aufnehmen und ihn sicher durch den Parcours führen, zählt zu den Aufgaben, die der Sechs-
jährige sicherlich mit Bravour meistern wird. Rebecca Thees (Bild oben) liebt Pferde über alles. Die 34-Jährige kümmert sich liebevoll um ihre vierbeinigen Freunde und muss stets wissen, wie es ihnen geht. Am 21. Juni wird sie zeigen, wie selbstständig sie mit den Pferden umgehen kann. Die Zuschauer dürfen sich schon jetzt auf ihre Kunststücke freuen. „Ich hoffe, dass ganz viele Leute kommen und zugucken. Das Schönste am Reitertag ist immer die Siegerehrung, wenn alle klatschen und wir eine Urkunde bekommen!“, freut sich Frau Thees. Alle Freunde und Förderer, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Diakonischen Stiftung Wittekindshof sowie interessierte Gäste sind herzlich willkommen zum Reitertag am Donnerstag, dem 21. Juni 2012 von 12 bis 19 Uhr,
Reitanlage Lohoff, Zum Vorwerk 57, Bad Oeynhausen-Volmerdingsen, mit einem spannenden UnterhaltungsProgramm. In kleinen Gruppen zeigen die 120 Reiterinnen und Reiter ihr Können: • Kunststücke und Voltigierübungen auf dem Geschicklichkeits parcours • Feierliche Siegerehrung nach jeder Runde • Bratwurst und Pommes Frites, Kaffee und Kuchen • Spaß und Begegnung mit vielen anderen Pferdefreunden und -experten. Informationen zum Therapeutischen Reiten in der Diakonischen Stiftung: Sylvia Niemeier, Dipl.-Pädagogin und Diakonin; Michael Rahmöller, Dipl.-Sozialpädagoge und Diakon, E-Mail: therapeutisches-reiten@ wittekindshof.de
Wir brauchen Ihre Hilfe Damit das Therapeutische Reiten weiterhin so erfolgreich angeboten werden kann, sind wir auf Spenden angewiesen. Sie können, wie die Firmen WIGO und MAWE-Wetter GmbH, Paten- oder Teilpatenschaften übernehmen: • ein Therapieplatz, der 125 Euro im Monat kostet (1.500 Euro im Jahr), • die komplette Versorgung eines Therapiepferdes für 200 Euro im Monat (2.400 Euro im Jahr).
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Auch mit kleineren Beträgen helfen Sie uns: • 10 Euro im Monat für zwei Säcke frische Möhren, • 40 Euro im Monat für den Hufschmied für ein Pferd. Selbstverständlich unterstützen Sie uns auch mit einmaligen Spenden: • 5 Euro für ein neues Hufeisen • 50 Euro für neue Gamaschen, um die Beine eines Pferdes zu schützen • 1.500 Euro für einen speziellen Therapiegurt • 5.000 Euro für ein neues Therapie pferd
Informationen: Spenderservice der Diakonischen Stiftung Wittekindshof Maik Meid, Eva-Maria Kern Tel.: (05734) 61-11 32 E-Mail: spenderservice@wittekindshof.de Spendenkonto: Volksbank Bad Oeynhausen-Herford BLZ: 494 900 70, Konto: 12 22 00
Anke Marholdt
Fundraising
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MitReden Was macht eigentlich …
Was machen eigentlich … Andrea und Max Herse?
Andrea Herse ist eine dieser Personen. Den Film besitzt sie nicht mehr, möchte ihn aber gerne als DVD noch mal bekommen. Das wäre eine schöne Erinnerung! Eine Erinnerung an die Zeit in der Polsterei, als sie in der Werkstatt an der Sonnenbrede Kissen und Ledertaschen fertigen half. Eine Erinnerung an das Haus Goldener Boden, wo sie die Verantwortung für eine große Voliere übernommen hatte und sich regelmäßig um das Wohl ihrer gefiederten Freunde kümmerte und wo sie für ihr Leben viel Selbstständigkeit einübte. Und schließlich wäre der Film auch eine Erinnerung, an die Zeit, als sie noch Hackbart hieß – formal gesehen also noch ledig war. Ein Politikum Max Herse, ihrem Mann, mit dem sie seit 1. September 2000 verheiratet ist, ist es wichtig, die Dinge klarzustellen, wie sie waren: „Wir sind seit 30 Jahren zusammen. Und wenn es nach uns gegangen wäre, hätten wir viel früher
Klaus Schuhmacher
Die Zeit, als sie noch Hackbart hieß Er ist in die Jahre gekommen! Vieles aus dem Film, den die Diakonische Stiftung 1994 als Anschauungsmaterial für Besuchergruppen in Auftrag gegeben hatte, ist Vergangenheit. Wohnhäuser und Abteilungen, die dort vorkommen, wurden umgestaltet; sie haben andere Funktionen erhalten, sehen anders aus. Und etliche der Menschen, die sich damals – für die Schlusssequenz – beim Jahresfest zum Gottesdienst versammelt hatten, begegnen uns nur noch in diesem Film – und in der Erinnerung. Dafür ist jede Menge Neues hinzugekommen, selbst auf dem Gelände, das heute gerne „Campus“ genannt wird. Ganz zu schweigen von den vielen neuen Adressen, hinter denen sich neues Leben und neue Angebote auftun. Aber es gibt auch Menschen, die damals wie heute wesentliche Teile ihres Lebens in den Strukturen – oder sagen wir besser mit Begleitung und Unterstützung des Wittekindshofes verbringen.
Betreutes Wohnen in Gastfamilien. Verlässliche Bekannte und jede Menge Tiere in Haus und Hof: Herses und Günther Trampe.
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geheiratet. Aber das war ein Kampf!“ Erst Pfarrer Ritter entsprach dem Anliegen und traute das Paar – für viele war das damals ein Politikum. Nicht so für Herses, die aus ihrer ersten gemeinsamen Wohnung im KrekelerHaus das Beste machten. Dass dort traditionell ausschließlich Männer lebten, war für das frisch getraute Paar zweitrangig. „Unsere Wohnung war von den übrigen Räumen etwas abgetrennt, so dass es nur dann Kontakte zu den anderen Bewohnern gab, wenn wir das wollten.“ Zwei, drei Jahre haben sie dort gelebt. Dann ging es weiter, nach Bad Oeynhausen in die Lindenstraße. Die gemeinsame Wohnung war Teil der Ambulant Unterstützten Wohnangebote, die die Diakonische Stiftung von August 1995 an sowohl in der Badestadt als auch in anderen Städten und Gemeinden verstärkt einrichtete und begleitete. Auch dort verbrachten Herses wieder einige Ehejahre. Aber irgendwie waren die beiden nicht recht zufrieden. Besonders mit Blick auf die Nachbarschaft fühlten sie sich nicht so wohl. „Ich brauche Leute um mich, mit denen ich scherzen kann!“ … … so bringt Andrea Herse ihre Empfindungen auf den Punkt: „keine Leute die muffelig sind, wenn sie mal etwas in den falschen Hals bekommen.“ „Und das war nun in unserer früheren Wohnung gar nicht der Fall“, bestätigt Max. Also habe man sich umgesehen und umgehört und sei mit Tina Reinschmidt und Günther Trampe auf alte Bekannte gestoßen, die die Eheleute seit langem als Mitarbeiter der Diako-
Was macht eigentlich MitReden …
nischen Stiftung kannten. „Tina war damals bei unserer Hochzeitsreise dabei, die wir mit Neumanns und einer weiteren Bekannten auf Mallorca verbracht haben. Und Max kennt den Günther aus seiner Zeit im Haus Morgenstern auch schon ganz lange!“ „Die haben wir dann gefragt, ob sie sich vorstellen könnten, dass wir bei ihnen als Gastfamilie wohnen.“ Das konnten sie! Und die Grundlagen für ein verlässliches Miteinander wurden mit Unterstützung der Fachleute aus dem Bereich „Betreutes Wohnen in Gastfamilien“ zügig vereinbart. So zogen Herses 2006 nach Kirchlengern um. „Wir haben dort unser eigenes Revier“, beschreibt Max Herse die jetzige Wohnsituation. „Wir machen zwar manchmal was gemeinsam, und wenn wir Hilfe brauchen, können wir uns auf Tina und Günther verlassen. Aber ansonst sind wir ganz für uns.“ Andrea hat wieder eine Voliere und kümmert sich um „die Piepmätze“, wie Max sagt. Er selbst bevorzugt größeres Geflügel und kümmert sich um Hühner, Puten und Tauben, für die er regelmäßig den Stall sauber macht. „Echt sauer“ macht Max ein unbekannter Bussard, der von oben herab die Absperrung geschickt durchbrochen habe, was einigen Hühner das Leben kostete: „Kannste nix machen!“, kommentiert er diese Form höherer Gewalt. Geärgert aber hat es ihn schon. Ruhe und doch reichlich Herausforderungen Von einem solchen Vorkommnis einmal abgesehen, sei es für sie in Kirch
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Das Betreute Wohnen in Gastfamilien einem kleinen, überschaubaren UmLebensbereichen und verfügen und unterstützt sowohl die Familie ist eine besondere ambulante Wohn- feld mit festen Bezugspersonen prohäufig über (Berufs-)Erfahrung im als auch den Klienten in Alltagsfraform. Sie richtet sich an Menschen fitieren können. Umgang mit Menschen mit Behin gen, entwickelt mit allen Beteiligten mit Behinderungen, die den Rahmen Die Gastfamilien bieten räumliche derung. Perspektiven und entlastet, wo es einer stationären Einrichtung nicht Möglichkeiten und individuelle BeDas Fachteam der Diakonischen Stifnötig ist. mehr benötigen und vom Leben in gleitung und Unterstützung in allen tung Wittekindshof berät, begleitet
Viel Raum für „Die Piepmätze“: Andrea und Max Herse mit allen Möglichkeiten für ihre Hobbies.
lengern perfekt. Die Nachbarschaft wäre einmalig, man würde zusammen Geburtstage und andere Feste feiern. Es herrsche der Zusammenhalt, den man in Bad Oeynhausen vermisst habe. „Und großen Trubel brauchen wir nicht“, sagt Andrea: „Mir ist es recht, wenn ich einfach mal auf dem Sofa sitzen kann und meine Ruhe habe.“ Für Arztbesuche und für den großen Einkauf liegt Kirchlengern etwas dezentral. Aber da hilft dann meist Günther mit seinem PkW aus und leistet logistische Hilfe.
Auch beruflich hat sich für Andrea Herse und ihren Mann einiges geändert. Beide arbeiten nun in der Ulenburger Werkstatt. Sie erledigt Verpackungsarbeiten, die dort einige renommierte Firmen aus der Umgebung in Auftrag geben und Max Herse hat sich nach Jahren in der Wittekindshofer Metallwerkstatt auf dem Hauptgelände für einen Job „an der frischen Luft“ entschieden. Mit dem Gartenund Landschaftsbau sind sie gerade in Benkhausen und fällen so viel Bäume, dass sogar die alte Häckselmaschine
ihren Geist aufgegeben habe. Klar, dass man sich angesichts der vielen Herausforderungen gerne mal nach dem gemeinsamen Zuhause sehnt. „Ich koche dann meistens“, sagt Max und ich frage ihn nach seinem Lieblingsrezept. „Lieblingsrezepte habe ich nicht! Es kommt immer darauf an, was Andrea gerne isst“ antwortet er – und das nach zwölf Jahren Ehe: „Mit Höhen und Tiefen“, ergänzt Andrea, „aber das gehört ja irgendwie dazu.“ Klaus Schuhmacher
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Blick zurück
Landwirtschaft auf dem Wittekindshof
Zu Beginn der 1960er Jahre wurde die Landwirtschaft an den südlichen Rand des Gründungsgeländes verlegt. Die Gebäude der alten Landwirtschaft am Dorfplatz wurden nach einem Brand 1957 nicht mehr genutzt und schließlich abgetragen.
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or 40 Jahren endete auf dem Wittekindshofer Gründungsgelände eine Ära. Am 31. März 1972 wurde dort die Landwirtschaft aufgegeben. Seit Gründung der Einrichtung im Jahre 1887 war ihr eine wichtige Funktion innerhalb der Einrichtung zugekommen. Gerade wegen der landwirtschaftlichen Möglichkeiten hatte sich Pfarrer Hermann Krekeler damals für den Kauf der Hofstätte Heuke mit 21 Morgen Land entschieden. Der Aspekt, dort Menschen auch beschäftigen zu können, spielte dabei eine wichtige Rolle. Im Jahresbericht 1892 schreibt Pfarrer Krekeler: „Unsere ländlichen Umstände geben uns ferner Gelegenheit zur Beschäftigung unserer noch arbeitsfähigen Blöden in der erfrischenden und stärkenden Feldarbeit.“ Auch aus diesem Grund wurde der Heuerling Christian Rosemeier aus Volmerdingsen im Juni des Gründungsjahres als erster Hausvater ein-
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gestellt. Er war in der Lage, auch eine Landwirtschaft zu leiten. In den Folgejahren vergrößerte sich die Anzahl der Menschen im Wittekindshof beständig, so dass die vorhandenen Wirtschaftsgebäude bald nicht mehr ausreichten. 1889 wurde eine neue Scheune mit Stallungen an dem heutigen Dorfplatz westlich des Hauses Sachsenkreuz gebaut. Zukauf von Nahrungsmitteln 1890 mussten bereits Kartoffeln dazugekauft werden, während der Milchbedarf durch die eigenen Kühe gedeckt werden konnte. Das macht deutlich, dass eine gänzlich eigenständige Versorgung mit landwirtschaftlichen Produkten bereits von Anfang an nicht gewährleistet war. Dies war aber auch nicht beabsichtigt. Zukäufe und Natural-Spenden aus den umliegenden Gemeinden sicherten die Versorgung. Als 1891 das Vorwerk auf der Heide in
Volmerdingsen errichtet wurde, wurde auch dort Landwirtschaft betrieben. Um der wachsenden Bewohnerzahl gerecht zu werden, musste die Einrichtung Land erwerben: einerseits, um für neue Wohnhäuser Platz zu haben, andererseits, um Gärten und landwirtschaftliche Flächen anzulegen. Auf dem heutigen Gründungsgelände lagen neben dem „Alten Haus“ mehrere kleine Gehöfte, die durch den Wittekindshof im Laufe der Jahre aufgekauft wurden. Durch Landkäufe und Tausch wurden die Nutzflächen ebenfalls weiter vergrößert. Vor allem in der Zeit des Ersten Weltkrieges wurde deutlich, wie wichtig die eigene Landwirtschaft für den Wittekindshof war – und wie wenig sie letztlich ausreichte. Schon 1915 gab es Hinweise auf sich anbahnende Ernährungsschwierigkeiten. Da Futtermittel knapp wurden, reduzierte man den Milchkuhbestand von 24 auf 15 Tiere. 1916 wurde die Versorgung mit Nahrungsmitteln schwierig. Die Viehpreise stiegen stark an und auch die bis dahin erfolgreichen Naturaliensammlungen in den umliegenden Gemeinden fielen mager aus. Der Kauf von Lebensmitteln gestaltete sich zunehmend schwierig, so dass es 1917 zu Hunger im Wittekindshof kam und die Sterberate enorm anstieg. 1917 besaß der Wittekindshof ca. 14 Morgen Ackerland, viel
zu wenig, um ca. 800 Menschen mit Behinderung zu ernähren. Erst im Laufe des Jahres 1919 wurde die Ernährungslage erträglich. Infolge dieser Erfahrung reiften Pläne, die landwirtschaftlichen Flächen des Wittekindhofes durch Pacht und weitere Zukäufe erneut zu vergrößern. Schlossgut Ulenburg Im Jahre 1924 wurde die direkt an die Einrichtung grenzende Hofstätte Meyer Nr. 79 gekauft, in dessen Haus sich heute die Orthopädie-Schuhmacherei befindet. Nach langem Suchen konnten mit dem Schlossgut Ulenburg bei Mennighüffen ausreichende Flächen gekauft werden. Ende 1926 wurde der Kaufvertrag für das Schloss und 487 Morgen Acker-, Wiesen- und Waldflächen unterschrieben. 1927 wurde dann der Ulenhof gebaut, der am 1. Oktober 1927 in Betrieb ging. In den folgenden Jahrzehnten erfolgten auch hier weitere Zukäufe und Pachten. Als auf dem Gründungsgelände in den 1920er Jahren durch Neubauten etwa dem Marien- und Lazarusheim bzw. Bethanien Ackerland aufgegeben werden musste, wurde auch in diesem Bereich neues Land hinzu gepachtet. Schon 1931 gab es die Planung, die gesamte Landwirtschaft schrittweise vom Dorfplatz an den südlichen Rand
Ernte in den 1950er Jahren: Der Ulenhof war die größte Wittekindshofer Landwirtschaft.
Blick zurück
In den 1950er Jahren ein übliches Bild auf dem Gründungsgelände:
des Wittekindshofes an die Sonnen brede zu verlegen, da die Bewohner des Hauses Sachsenkreuz durch den Betrieb inmitten der Ortschaft stark belästigt wurden. Dringend erforderlich war eine Kornscheune, die dort noch im selben Jahr als erstes Gebäude errichtet wurde. 1935 folgte ein Mastschweinestall. Da 1937 die Pflegesätze nicht erhöht wurden und 127 Männer in andere Einrichtungen verlegt werden mussten, kam es zu hohem finanziellen Verlust, so dass an weitere Bauten nicht zu denken war. Im April 1938 konnte aber ein LanzBulldog angeschafft werden, der in Volmerdingsen wie in Ulenburg zum Einsatz kam und eine große Arbeitserleichterung bedeutete. Vor allem, um die beiden Landwirtschaftsstandorte zu sichern, konnten während des Zweiten Weltkriegs im Herbst 1941 ca. 300 Menschen im Wittekindshof verbleiben, während 950 Menschen in andere Einrichtungen deportiert wurden. Die beiden Landwirtschaften belieferten dann auch das auf dem Gründungsgelände eingerichtete Wehrmachtslazarett. Ab 1943 wurden auch Zwangsarbeiter in der Landwirtschaft eingesetzt. Nachdem die Briten 1948 die Häuser des Wittekindshofes wieder räumten – sie hatten nach Ende des Krieges einen großen Teil der Einrichtung beschlagnahmt und dort ein Hospital eingerichtet – wurden wieder erste Ländereien in Volmerdingsen zugepachtet. Brand des Kuhstalls Im Juli 1957 brannte der Pferde- und Kuhstall am Dorfplatz ab, in der Folge-
zeit wurden auch die Überreste abgebrochen. Einen großen Teil der Versicherungssumme investierte man in den Ausbau der neuen Landwirtschaft und begann 1958 mit dem Bau eines Schweinestalls. 1965 konnte dann auch das Haus Landwirtschaft, heute Haus Sonnenbrede, bezogen werden, das als Wohnort der auf dem Gründungsgelände in der Landwirtschaft tätigen Bewohner diente. Durch die in den Jahren 1961 bis 1967 erfolgte Vergrößerung der Einrichtung in Volmerdingsen – etwa mit Bau der Kinderheimat, des heutigen Bereiches Sonnenkamp und der Kapelle – sank der Umfang der Ackerflächen von 16,5787 Hektar auf 10,2973 Hektar. Damit war dieser Teil der Wittekindshofer Landwirtschaft im Grunde unrentabel geworden. Durch größere Pachtlandflächen konnte der Betrieb jedoch aufrechterhalten werden. 1971 und 1972 liefen viele dieser Pachtverträge aus, so dass die Wirtschaftlichkeit auf dem Gründungsgelände nicht mehr gegeben war, zumal weitere Flächen für Strukturverbesserungen benötigt wurden: etwa zum Bau des Werkstattgebäudes und des Schülerdorfes. So wurde Ende März 1972 der Betrieb auf dem Gründungsgelände eingestellt. Der Ulenhof übernahm nun, bis zu seiner Verpachtung im Jahre 2003, die komplette in Verantwortung des Wittekindshofes verbliebene Land wirtschaft. Die Gebäude an der Sonnenbrede werden bis heute von den Regiebetrieben wie der Maurerei, der Klempnerei usw. genutzt. Michael Spehr, Archiv Wittekindshof
Wittekindshofer Archiv
ein Pferdegespann auf der Pfarrer-Krekeler-Straße.
Wittekindshof Einblick
J체rgen Escher
Die Kraft der Tr채ume
Einblick
„Fred hat noch nie in einem Zelt übernachtet. Doch sein großer Traum ist es, wie ein Indianer in einem Tipi zu schlafen, nachts am Feuer zu sitzen und auf dem Rücken eines Pferdes Abenteuer in der Prärie zu erleben. Reiten kann der 47-jährige, und an das Leben in der freien Natur ist er gewöhnt: Fred arbeitet in der Gartengruppe der Herforder Werkstätten. Hecken und Bäume schneiden, Rasen mähen, Blumen pflanzen: ,Ich bin gern an der frischen Luft‘, sagt er. In seinem Zimmer in der Wohngruppe, in der er seit 12 Jahren lebt, hängen die Siegerurkunden von Sportveranstaltungen: Laufen, Kegeln – es fehlt das Bogenschießen, für einen ,echten‘ Indianer unverzichtbar. ,Das muss toll gewesen sein, wie die mit Pfeil und Bogen die Büffel jagten‘, meint Fred. Doch zunächst steht wohl die erste Nacht im Zelt an.“ (Christian Frevel über Fred, aus der Ausstellung „Lebensträume“, 2003)
Wir haben gemerkt, welche Energien durch Fotos freigesetzt werden können! Zusammen mit meinem Freund und JournalistenKollegen Christian Frevel habe ich im Jahr 2003 eine Ausstellung und Broschüre für die Lebenshilfe in Herford produziert. Thema waren die „Lebens träume“. „Darf man Menschen mit Behinderung in dieser Art und Weise präsentieren, sie verkleiden und öffentlich ausstellen?“ Viele Mitarbeiter hatten vor der Fertigstellung unserer Arbeit große Bedenken. Wir übrigens nicht! Am Abend der ersten großen Präsentation, an der alle 16 schick angezogenen „Lebensträumer“ stolz teilnahmen, gefeiert wurden und Autogramme schreiben mußten, wurden all diese Bedenken überflüssig. Später bekam ich einen Anruf von einem Mitarbeiter der Werkstätten, der sich ausdrücklich bedankte und sagte: „Wir werden Fotografie jetzt in unsere Arbeit mit einbeziehen, weil wir gemerkt haben, welche Energien durch Fotos freigesetzt werden können!“ Anmerkung: Fred hat übrigens später das erste Mal im Zelt geschlafen. So wie viele andere „Lebensträumer“ auch einen Teil ihrer Träume verwirklicht haben.
© Sven Nieder
Fred als Indianer, Titelmotiv der Ausstellung „Lebensträume“ (links), Jürgen Escher (rechts)
Was verbindet eigentlich Fred und mich? Unsere Träume verbinden uns! Als Jugendlicher habe ich immer nachts unter der Bettdecke Abenteuer romane gelesen – sehr viel von Karl May. Ich habe immer davon geträumt, einmal zu den Indianern zu kommen. Durch mein Fotografie-Studium in Bielefeld habe ich es geschafft. Ich war inzwischen unzählige Male bei den Indianern Südamerikas und durfte Geschichten fotografieren, die von ihrem Leben und ihrer Kultur berichten. Seit Anfang der 80er Jahre arbeite ich als Fotograf in der ganzen Welt. Im Mittelpunkt fast all meiner Arbeiten steht der Mensch. Meine Auftraggeber sind u.a. Hilfsorganisationen, Organisationen, Stiftungen, Redaktionen und Verlage. Wie ein roter Faden ziehen sich aber auch Projekte im Bereich der „Arbeit mit behinderten Menschen“ durch meine fotografische Arbeit. Dabei habe ich unglaublich viel gelernt. Fotografieren ist nicht nur ein Nehmen – sondern auch ein Geben. So entsteht Vertrauen und aus Vertrauen werden Freundschaften. Seit Anfang des letzten Jahres fotografiere ich nun im Wittekindshof. Überall wurde ich mit offenen Armen und Herzen empfangen. Ich habe viele tolle Momente erlebt (und fotografieren dürfen) und inzwischen auch schon kleinere Freundschaften geschlossen. Im neuen Leitbild des Wittekindshofes heißt es: „Zu unserem Liebesverständnis gehört der Respekt gegenüber Menschen mit anderen Kulturen, Lebensweisen und Glaubensüberzeugungen.“ Dies ist auch die Grundlage meiner fotografischen Arbeit – inzwischen seit über 30 Jahren.
Jürgen Escher, freier Fotojournalist und Designer, für verschiedene Organisationen, Verlage und Redaktionen tätig. 1987–1992 Lehrauftrag für Fotojournalismus an der Bielefelder Fachhochschule, seit 1989 Mitglied der Deutschen Fotografischen Akademie e.V. (DFA). 1995 gründete er zusammen mit 125 Fotografinnen und Fotografen den Berufsverband FREELENS und ist seit 2010 Vorstandsmitglied. Jürgen Escher ist Autor diverser Buchpublikationen. Seine Fotoarbeiten sind in vielen Einzel- und Sammelausstellungen im In- und Ausland zu sehen. www.juergenescher.de
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Wilfried Gandras Nina H채lker
auf ein Wort Wittekindshof
Wittekindshof auf ein Wort
Papa, hast du Zeit?
„Papa, hast du Zeit?“, meine Tochter winkt mit einem Menschen brauchen Zeit, Beziehungen brauchen Zeit, Heft. Eigentlich habe ich keine Zeit, ich wollte nur schnell Menschlichkeit braucht Zeit. Du und ich, wir brauchen etwas essen und dann zur nächsten Sitzung eilen. Zeit. Zeit um menschlich zu bleiben, um den Kontakt zu Doch ich nehme ihr Heft, lese ihren Aufsatz, streichle uns selbst nicht zu verlieren und auch nicht zu den andeihr über den Kopf und sage: „Sehr schön!“ Und dann bin ren, zu unseren Familien und Freunden, zu denen, die ich auch schon weg. uns zufällig irgendwo auf dem Flur begegnen. Im Auto denke ich: Was stand nochmal in dem Aufsatz? Ich kann den Zusammenhang gar nicht mehr erzählen und merke: Meiner Tochter war es wichtig, mir zu zeigen, was sie geleistet hat: ein kleines Werk, ihrer wunderbaren Phantasie entsprungen und niedergeschrieben. Ich stelle fest: So richtig hat es mich nicht erreicht, ich habe mir keine Zeit dafür genommen. Ein oberflächlicher Blick – das war alles. Nachdenklich sitze ich hinter dem Steuer und trauere meiner vertanen Chance hinterher: einem Begrenzt ist sie, meine Zeit, unverfügbar und ein Gebesonderen Augenblick mit meiner Tochter. In „Vaters schenk. Mir anvertraut, aber was mache ich mit ihr? Und: Nachtlied“ singt Reinhard Mey: Will ich das so weiter machen? Zeit ist etwas Kostbares, weil sie es mir möglich macht, Es tut mir leid, weißt du, menschlich zu sein. Wichtig bin ich ja nicht dann, wenn ich konnte heut nicht früher kommen. ich keine Zeit habe – so wie es heutzutage bisweilen zu War das eine Verhandlung, Mannomann, sein scheint. Wichtig bin ich dann, wenn ich Zeit habe – bis kurz nach acht. oder sie mir nehme. Weil ich dann ganz da bin und mein Na, hast du Benno Bär und Fritz Fuchs Leben teile. mit ins Bett genommen Ich merke, wie sehr wir heute in der Gefahr stehen, und Krümelmonster auch, unbarmherzig mit unserer Zeit umzugehen. Es gibt so ich habe viel an dich gedacht. wenig Möglichkeit zum Trödeln, manchmal schon nicht … einmal mehr für die Kinder. Nicht selten stellen wir uns Vielleicht ist mir heut selbst unter zeitlichen Druck. Haben kaum freie Zeitfens ein allergrößter Coup gelungen, ter – schon gar nicht für Unerwartetes. vielleicht der Großauftrag, Immer wird es mir nicht gelingen, diesem Druck zu von dem die ganze Firma träumt. widerstehen. Aber ich möchte mir die Menschen zum Ganz sicher aber hab ich heute Vorbild nehmen, die mit oder ohne gutem Zeitmanage nicht mit dir gesungen. ment einfach Zeit haben und sich Zeit nehmen. Sie geben Und einen Tag, der niemals wiederkommt, mir eine gute Richtung vor. Und ich möchte mich immer mir dir versäumt. wieder einmal selbst daran erinnern: Was entgeht mir, wenn ich keine Zeit habe! Was gewinne ich, wenn ich mir So ist es bisweilen. Leider. Aber mir fällt auch ein an- Zeit nehme! Zeit, die mir geschenkt ist. Lebenszeit. Ja, deres Erlebnis ein: Wie schön war es neulich, als ich rich- meine Zeit steht in SEINEN Händen. tig in Ruhe zuhören konnte. Da erzählte meine Tochter Rüdiger Schuch vom Handballtraining, und jeden Sprungwurf habe ich in Superintendent im Evangelischen Kirchenkreis Hamm Gedanken miterlebt, jeden Freudenschrei, jeden Frust über eine verpatzte Chance und schließlich den Stolz auf „Vaters Nachtlied“ mit freundlicher Genehmigung: Edition Reinhard Mey, Lehrte das gelungene Spiel. Ich war richtig dabei. Wir haben es zusammen nacherlebt. Es war wunderbar.
Meine Zeit steht in deinen Händen, schreibt der Beter im 31. Psalm
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Bei un Sie s zah kein len en
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