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Herausgeber Conrad Seidl über die Zeiten des Umbruchs, über gute Gastgeber, die schöne Erlebnisse in Bars, Biergärten, Wirtshäusern und Brewpubs vermitteln und warum sich die Gastronomen jetzt besonders anstrengen müssen.

VORWORT

VON CONRAD SEIDL

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LIEBE BIERFREUNDIN, LIEBER BIERFREUND

ZUM DRITTEN MAL erscheint dieser Guide in einer ungewöhnlichen, in einer unruhigen Zeit. Vor zwei Jahren, im Mai 2020, dachten wir schon, wir hätten das Schlimmste hinter uns, als die Lokale nach dem ersten Corona-Lockdown wieder aufsperren durften und der Bierguide verlässlich bei seinen Fans gelandet ist. Und im Sommer 2021 war es ähnlich: Wir hofften, dass die Pandemie endlich vorbei wäre — aber wir wurden abermals enttäuscht. Im Frühjahr 2022 halten wir uns mit Hoffnungen hinsichtlich der Pandemie zurück — und müssen gleichzeitig erschreckende und verstörende Nachrichten vom Krieg Russlands gegen die Ukraine zur Kenntnis nehmen. Niemand kann wissen, welch böse Überraschungen noch kommen mögen. Was wir aber wissen: Es ist vieles im Umbruch. Und manche Dinge können auch trüber gewordene Zeiten aufhellen. Gute Gastgeber, die uns schöne Erlebnisse in Bars und Biergärten, Wirtshäusern und Brewpubs vermitteln, gehören definitiv dazu. Mit guten Freunden auf ein Bier gehen. Ein neues Bier kosten. Ein wenig Entspannung spüren. Das ist es, was uns unsere Umwelt doch etwas freundlicher erscheinen lässt, uns wohl auch etwas Mut und Zuversicht für die nähere Zukunft gibt.

DASS ES DAS NICHT UMSONST GIBT, ist auch klar: Spricht man dieser Tage mit Gastwirten, dann erzählen sie einem mit Bedauern, dass sie demnächst den Bierpreis erhöhen müssen. Schließlich verlangen nicht nur ihre Lieferanten höhere Preise, es sind auch so ziemlich alle Kosten gestiegen. Und erst das Personal! In der Pandemie haben viele tüchtige Gastro-Mitarbeiter entdeckt, dass man in anderen Berufen gut verdienen kann — ohne lästige Abend- und Wochenenddienste. Also muss man versuchen, neue fachkundige, engagierte und womöglich auch noch freundliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu finden, was eben auch Geld kostet. Meistens: erheblich mehr Geld als bisher. Daher fragen die Gastronomen besorgt, was wohl der „richtige“, also vom Gast gerade noch akzeptierte Preis für ein Krügerl Bier sei. Ich weiß das natürlich auch nicht. Aber was ich weiß, ist: Wenn der Wirt zu wenig verdient, mag er noch so viele Gäste haben — letztlich wird er Pleite gehen. Wenn seine Preise so hoch sind, dass die Gäste ausbleiben, dann kann das am Ende zum selben Ergebnis führen.

INSOFERN IST DIE SORGE DER WIRTSLEUTE berechtigt: Werden die Gäste akzeptieren, dass man für zwei Biere in der Gastronomie demnächst vielleicht so viel hinlegen muss wie man bei den stark beworbenen Billigpreisaktionen in diversen Supermärkten für einen ganzen Kasten zahlt? Noch problematischer wird es, wenn man bedenkt, dass in den vergangenen beiden Jahren viele Biertrinker ihr Konsumverhalten Covidbedingt verändert und ihren Biergenuss in die eigenen vier Wände verlegt haben. Im Februar 2022 sagten bei einer Umfrage des Linzer Market-Instituts für den Standard 18 Prozent der Befragten, dass sie infolge der Corona-Pandemie noch längere Zeit darauf verzichten würden, mit Kollegen und Freunden auf ein Bier zu gehen. Kann man diese Leute dauerhaft zurückgewinnen, wenn sie dann auch noch feststellen müssen, dass das Feierabendbier in ihrem Stammlokal deutlich teurer geworden ist als man es in Erinnerung hatte?

EIN HÖHERER BIERPREIS SCHMERZT. Denn Bier hat einen „gelernten“ Preis — wenn wir uns schon mit der realen Inflation schwertun, dann tun wir uns mit den Preiserhöhungen beim Bier doppelt schwer, weil wir sie irgendwie stärker fühlen. Und das Gefühl trügt ja auch nicht: Auch im Handel ist der Preis für Flaschenbier laut Statistik Austria im Februar 2022 um 12,4 Prozent höher gewesen als 2021. Die Inflation für unser Lieblingsgetränk ist praktisch doppelt so hoch ausgefallen wie der Anstieg des allgemeinen Verbraucherpreisindex.

VORWORT

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VON CONRAD SEIDL

Aber, ehrlich gesagt: Lassen wir es uns durch die paar Cent mehr verdrießen? Natürlich nicht! Wir sind jedoch anspruchsvoller geworden! Für gutes Geld erwarten wir auch gutes Bier. Sehr gutes Bier, womöglich perfekt gezapft. Wenn die Gastronomen zufriedene Gäste haben wollen, müssen sie sich jetzt besonders anstrengen! Das reicht vom allgemeinen Ambiente des Lokals über die Pflege der Schankanlage und der Gläser bis zur Zapfkultur und zum Service. Dann legt der Gast auch gern nicht nur den verlangten Preis hin, dann gibt er auch ordentlich Trinkgeld. Das gehört nämlich auch dazu: Die Kellnerinnen und Kellner haben in den beiden Pandemie-Jahren teilweise große Einkommens-Einbußen hinnehmen müssen, weil eben die Trinkgelder monatelang ausgefallen sind.

SEIEN WIR ALSO GROßZÜGIG, dort wo es angebracht ist — und honorieren wir gute Leistung besonders! Bleiben wir aber kritisch und fordernd, wo es etwas zu verbessern gibt. Ich weiß natürlich selbst, wie schwer es ist, wegen Mängeln der Bierqualität zu protestieren. Meist bekommt man ja zur Antwort, dass das Bier eben so und nicht anders aus der Brauerei komme. Und nein, die Schankanlage sei erst am Vortag gereinigt worden. Offenbar schmecken manche Wirte die Verkeimung ihrer Anlage nicht, offenbar riechen manche Kellner die dadurch erzeugten Fehlaromen im Bier nicht. Nein, so ein Fehler kommt typischerweise nicht aus der Brauerei, der kommt von mangelnder Hygiene im Betrieb. Es wäre schon viel gewonnen, wenn jeder Wirt jedes Bier, das er ausschenkt, in der Früh kritisch verkosten würde. Dann müsste er eigentlich merken, ob seine Schankanlage in optimalem Zustand ist. Dass sich das auszahlt, würde sich bald in höherem Bierumsatz bemerkbar machen — schließlich trinken Gäste reines Bier eben lieber als verkeimtes.

DIESER GUIDE, NUN IN SEINER 23. AUSGABE, hilft dabei, jene Lokale hevorzuheben, wo das Bier mit besonderer Hingabe gepflegt wird. Übrigens weiterhin zum gewohnten Preis von 14,90 Euro. Er hilft, die Menschen zusammenzubringen. In den Lokalen und Biergärten, an den Bars und Stammtischen. Er hilft auch, die Biertrinker und die Produzenten zusammenzubringen, er listet wieder einmal gut zwei Dutzend neue Biere auf, die in den vergangenen Monaten neue Begeisterung erzeugen konnten. Jedes Jahr nimmt die Zahl der Brauereien zu, jedes Jahr gibt es von Innovationen zu berichten, die noch vor gar nicht so langer Zeit undenkbar gewesen wären. Gueuze- und andere Sauerbiere — das war lange Zeit eine Domäne der belgischen Brauer. Jetzt wird so etwas auch in Österreich gebraut. Damit das Neue eine Chance hat, braucht es aber auch die Bereitschaft der Wirte, diese Raritäten auf die Karte zu setzen und ihren Gästen schmackhaft zu machen. Und natürlich braucht es Gäste, die Lust haben, das Neue zu probieren. Wer seit Jahrzehnten „sein“ Lieblingsbier gefunden hat, wird vielleicht nicht offen dafür sein, ein krachsaures Grape Ale zu probieren — aber es wird Leute geben, die an den gängigen Märzenbieren vielleicht nicht so viel Gefallen finden, die mit einer solchen Rarität genau den richtigen Zugang zum Bier finden. Man darf ja nicht vergessen, dass es immer noch viele Frauen gibt, die mit der typischen Biertisch-Atmosphäre nicht so viel anfangen können. Oder Weintrinker, die nur darauf warten, mit einem belgischen Starkbier aus ihrer Geschmackswelt „abgeholt“ zu werden. Oder Gourmets, die die Kombination von scharfen Speisen mit stark gehopften Ales ausprobieren wollen. Es gibt viel zu entdecken in der Bierwelt! Dieser Guide will dafür die Augen, Nasen und natürlich die Gaumen öffnen. Nehmen Sie ihn mit auf ihre Reisen durch Österreich, auf ihre Lokaltouren in den Städten, auf ihre Ausflüge zu Brauereien. Nützen Sie den Guide — und helfen Sie mit, ihn weiter zu verbessern: Schreiben Sie mir, wo es Ihnen geschmeckt hat, egal, ob in neuen oder alteingesessenen Lokalen — und wo Sie vielleicht enttäuscht waren. Und jetzt: Herzliches Prost!

Conrad Seidl Bierguide2023@gmx.at

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