Belinda Kazeem-Kamiński Engaged Pedagogy Antidiskriminatorisches Lehren und Lernen bei bell hooks
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Belinda Kazeem-Kamiński
Antidiskriminatorisches Lehren und Lernen bei
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Gefördertes Sonderprojekt von der Österreichischen Hochschüler*innenschaft an der Universität Wien sowie von der Österreichischen Hochschüler_innenschaft. Gedruckt mit Unterstützung der Kulturabteilung der Stadt Wien, Wissenschafts- und Forschungsförderung.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © Zaglossus e. U., Wien, 2016 1. Auflage 2016 Alle Rechte vorbehalten Druck: Prime Rate Kft., Budapest Printed in Hungary ISBN 978-3-902902-46-7 Zaglossus e. U. Vereinsgasse 33/12+25, A-1020 Wien E-Mail: info@zaglossus.eu www.zaglossus.eu
„I came to theory because I was hurting – the pain within me was so intense that I could not go on living. I came to theory desperate, wanting to comprehend – to grasp what was happening around and within me. Most importantly, I wanted to make the hurt go away. I saw in theory then a location for healing.“ (hooks 1994b: 59)
„Our theory was far more progressive and inclusive in its vision than our everyday life practice. […] Many of us found that it was easier to name the problem and to deconstruct it, and yet it was hard to create theories that would help us build community, help us border cross with the intention of truly remaining connected in a space of difference long enough to be transformed.“ (hooks 2013: 2)
Inhalt 1. Einleitung 1.1. Aufbau des Buchs
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1.2. Motivation 17
2. Von Gloria Jean Watkins zu bell hooks: Ein kurzer biografischer Überblick Stichwort: Talking Back from the Margins
3. Theoretischer Hintergrund und Einflüsse
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3.1. Die Bedeutung Schwarzer feministischer Theorie in hooks’ Werk 35 3.1.1. Getrennt oder gemeinsam wirksam? Rassismus und Sexismus als Lebensrealitäten 37 Stichwort: Intersektionalität 43 3.1.2. Kritik an der weißen Frauenbewegung/an weißen, liberalen Feministinnen 50 3.1.3. Fazit: Feminism is ... Feminism ain’t ... bell hooks’ Verständnis feministischer Politiken 53
3.2. Die Bedeutung afrikanisch-amerikanischer Kulturkritik in hooks’ Werk 57 3.2.1. Ziele afrikanisch-amerikanischer Kulturkritik 58 Stichwort: White Capitalist Patriarchal Supremacy 60 3.2.2. Schwarze Kulturkritik in hooks’ Werk 63
3.2.2.1. Radical Black Subjectivity 64 3.2.2.2. Postmodern Blackness 68
3.3. bell hooks & Critical Pedagogy 71 3.3.1. W. E. B. Du Bois (1868-1963) und Carter G. Woodson (1875-1950) 74 3.3.2. Der Einfluss Paulo Freires (1921-1997) 77 Stichwort: Pädagogik der Unterdrückten: Ein Weg zur Humanisierung durch Bildung 83 Stichwort: Der Einfluss der Kritischen Theorie der Frankfurter Schule 91 3.3.3. bell hooks’ Begriff von Critical Pedagogy 96
4. bell hooks’ Engaged Pedagogy als antirassistische, antisexistische und antiklassistische Wissensvermittlung
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4.1. Die Entwicklung von bell hooks’ pädagogischem Werk 99 4.2. Grundannahmen
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4.2.1. Bildung ist politisch
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4.2.2. Bildung kann die Befreiung aller Menschen fördern
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4.2.3. Trennung von Geist und Körper: The Mind/Body Split 105 Stichwort: Thich Nhat Hanh & Engaged Buddhism 106 4.2.4. Anerkennung von Erfahrung und der Präsenz der Lernenden und Lehrenden im Klassenraum 111 4.2.5. Rassismus, Sexismus, Diskriminierung und Lehre 113 4.2.6. Negative Emotionen, Schmerz und Lehre 115
4.3. hooks’ Engaged Pedagogy 117 4.3.1. Die Bedeutung des Wortes engaged 118 Stichwort: Engaged Buddhism 120
4.4. Fazit: Engaged Pedagogy als ganzheitliche Bildungsstrategie 124
5. Theorie als soziale Praxis: Eine Analyse von bell hooks’ Essay „Theory as Liberatory Practice“
126
5.1. Inhalt und damit verbundene Thesen 127 5.2. Theorie ist ...
129
5.3. Fazit: Wie wird hooks’ Sicht auf Theorie als befreiende Praxis in ihrem Schreiben sichtbar? 131 5.3.1. Wider die Trennung privat – politisch 132 5.3.2. Die Zentralität von Vermittlung: „any theory that cannot be shared in everyday conversation cannot be used to educate the public“
136
5.3.3. Die Zentralität von Dialog: „theory as a social practice that can be liberatory“ 140
6. Ausblick
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Literaturverzeichnis
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Dank
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1. EINLEITUNG Seitdem ich als Lehrende arbeite, übe ich mich im Beobachten. Im Beobachten all jener Emotionen, die mich im Laufe von Lehrveranstaltungen heimsuchen. Zweifel, ob ich in diesem Kontext überhaupt richtig bin. Angst davor, auf Fragen nur eine unbefriedigende Antwort geben zu können. Unsicherheit darüber, inwieweit ich die unterschiedlichen Wissensstände ausgleichen und den Klassenraum für alle gewaltfrei halten kann, denn dafür fühle ich mich verantwortlich. Ich spüre Freude, wenn Studierende motiviert durch die Theoriearbeit in der Lehrveranstaltung über ihre Positionierungen in der Welt nachdenken und daraus praktische Handlungsweisen entwickeln, jedoch auch Ärger darüber, dass bell hooks recht hat, wenn sie davon spricht, dass Schwarze Lehrende sich oftmals mit dem Vorwurf konfrontiert sehen, aggressiv zu sein, wenn sie über Rassismus / die strukturellen Effekte rassistischer Gewalt sprechen. Während ich unterrichte, bin ich mir meines Körpers und allem, was ich in die Lehre/Lehrsituation mitbringe, so bewusst wie sonst selten. In meinen Gefühlsregungen helfen mir Schwarze Lehrende und Lehrende of Color, und ich freue mich, dass wir in den letzten Jahren mehr geworden sind, auch wenn noch immer nicht davon gesprochen werden kann, dass wir viele sind. Der Austausch in Form von Gesprächen und die Kommunikation durch und mit Bücher(n) und Texte(n) zwischen uns sind notwendig, um gemeinsam darüber zu
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sprechen, was wir brauchen, wie wir uns unterstützen und stärken können, wenn das, was einige von uns unterrichten – Inhalte, die sich mit verschiedenen Diskriminierungsformen oder widerständigen Wissensarchiven beschäftigen –, nach außen hin zwar als Musterbeispiel hochgehalten, nach innen jedoch nicht unterstützt und gefördert wird oder wenn es zu rassistischen Überschreitungen von Kolleg*innen und Studierenden kommt. Ich versuche mich auch in die Studierenden hineinzuversetzen, denke daran, wie meine eigenen Bedürfnisse und Erwartungen durch den Umstand geformt wurden, dass ich eine Schwarze Studierende an einer mehrheitlich weißen Universität war. Wie oft war ich enttäuscht, weil ich mich für ein Seminar angemeldet hatte, das sich als antirassistisch und antidiskriminatorisch bezeichnete oder spezifische Inhalte thematisierte, die mich interessierten, und dann in der Praxis ganz anders ablief. Kaum Auseinandersetzung mit der Theorie, da es mehr um die Vermittlung antirassistischer Basics ging – klar ist das wichtig, viele von uns, gerade diejenigen, die aus dem Aktivismus kommen, sind jedoch über diese Ebene hinaus und möchten sich mit der Theorie auseinandersetzen bzw. beides zusammendenken –, rassistische Bemerkungen, Sprache und Lehrmaterial und weit und breit keine Zurechtweisung vonseiten der Lehrenden. Alle, die schon die Erfahrung gemacht haben, dass sie empowernde Texte, die ihnen auch persönlich am Herzen liegen, an der Universität, in einer Lehrveranstaltung, in der Theorie und Praxis massiv auseinanderklaffen, gelesen haben, kennen diese Momente des Depowerments, wie Araba Evelyn Johnston-Arthur diesen Vorgang treffend bezeichnet (vgl. Johnston-Arthur 2009a). Die Überlegungen, diese Lehrveranstaltungen abzubrechen, die Schieflagen zu thematisieren und vermutlich wieder einmal augenrollend
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als Killjoy gelabelt zu werden oder es „einfach“ stillschweigend durchzuziehen, kosten einiges an Energie. Schwarze Studierende, Studierende of Color stehen immer wieder vor diesen Überlegungen. Getragen von dem Wunsch, mich mit Theorien des Lehrens und Lernens auseinanderzusetzen, welche Heterogenität und damit verbundene Bedürfnisse zugunsten einer antidiskriminatorischen Pädagogik reflektieren und miteinbeziehen, habe ich mich vor einigen Jahren, vor allem als der Abschluss meines Studiums bevorstand und ich auf der Suche nach einem Diplomarbeitsthema war, dazu entschlossen, mich mit den der Pädagogik gewidmeten Schriften der afrikanischamerikanischen Kulturtheoretikerin bell hooks auseinanderzusetzen, insbesondere mit der Engaged Pedagogy. Der Ansatz der Engaged Pedagogy wurde von hooks erstmals in ihrem 1994 erschienenen Buch Teaching to Transgress: Education as the Practice of Freedom formuliert. In den später veröffentlichten Werken Teaching Community: A Pedagogy of Hope (2003) und Teaching Critical Thinking: Practical Wisdom (2010) entwickelte sie ihre Ansätze weiter. Dabei knüpft sie mit ihren pädagogischen Arbeiten vor allem an den brasilianischen Bildungsreformator Paulo Freire an und unterzieht dessen Arbeiten einer antirassistischen und antiheteronormativen Lesart. Verwurzelt in den Feldern der Black Studies, Black Feminist Theory und Critical Pedagogy dient das Verständnis der Engaged Pedagogy als eine alle an Lernprozessen Beteiligten wertschätzende Form der Wissensvermittlung mir heute nach wie vor stark als Inspiration für die eigene Lehrpraxis. bell hooks’ Vorstellungen des Verhältnisses von Lehrenden und Lernenden, das von ihr geteilte Erfahrungswissen, was beispielsweise die Erzeugung eines anerkennenden Klimas
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im Klassenraum angeht, oder ihr Denken über die spezifische Position von Schwarzen Lernenden/Lehrenden und Lernenden/Lehrenden of Color begleiten mich in der Konzeptionierung des Unterrichts. Oft wünsche ich mir, dass sie und andere Schwarze Lehrende und Lehrende of Color in der Lehrveranstaltung wären, um herauszufinden, wie sie mit der einen oder anderen Herausforderung umgehen würden, die auch mit dem Umstand verbunden ist, an einer mehrheitlich weißen Universität zu unterrichten und höchst diversen Klassenräumen/Positionierungen und damit verbundenden Erwartungen gegenüberzustehen. Meine Auseinandersetzung mit bell hooks sowie meine eigene Positionierung in Bezug auf die Lehre hat sich seit meiner ersten eingehenden Beschäftigung mit dem Ansatz der Engaged Pedagogy von bell hooks, im Rahmen derer die folgenden Kapitel grundlegend entstanden sind, verändert. Nicht nur unterrichte ich mittlerweile selbst an der Akademie der bildenden Künste, am Institut für künstlerisches Lehramt, auch habe ich mich in den letzten Jahren vermehrt der künstlerischen Praxis zugewandt. Inspiriert durch Lehre, künstlerische Praxis und die Effekte dieser beiden Bereiche habe ich weitere Fragestellungen entwickelt bzw. kamen und kommen andere/neue theoretische Bezugspunkte hinzu. Das ändert jedoch nicht meine Freude darüber, dass meine enge und sehr intensive Auseinandersetzung mit dem Werk von bell hooks nun in diesem Buch ihren Niederschlag findet. Dies auch, weil ich davon überzeugt bin, dass bell hooks’ Arbeiten nicht nur eine große Bandbreite aufweisen, sondern nach wie vor aktuell sind und uns im Prozess des Suchens nach Antworten zu inspirieren vermögen. Sehr würde ich mich daher freuen, wenn dieses Buch seinen Teil dazu beitragen kann, bell hooks’ Schriften zu Pädagogik und Vermittlung vermehrt Eingang in Diskussionen im deutschsprachigen Raum zu ermöglichen.
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Durch das Buch hindurch lassen sich immer wieder von mir aktuell inkludierte, intuitive und daher nicht auf Vollständigkeit abzielende Literatur- und Anspieltipps finden, die über das Buch hinaus Möglichkeiten der Vertiefung und der weiteren Auseinandersetzung bieten. Hier sind auch Videos, Bücher und Texte enthalten, die erst kürzlich erschienen sind bzw. die ich nicht bearbeitet habe, die ich ebenfalls empfehlenswert finde.
1.1. Aufbau des Buchs Nach wie vor liegt im deutschsprachigen Raum keine eigenständige Publikation vor, die sich bell hooks’ Werken widmet. Aus diesem Grund folgt dieser Einleitung in Kapitel 2 eine biografische Annäherung an bell hooks und eine kurze Darlegung ihres Werks. In Kapitel 3 erläutere ich die wichtigsten theoretischen Bezüge – Schwarze Kulturkritik, Schwarzen Feminismus und Critical Pedagogy – und positioniere bell hooks als Theoretikerin, deren Werk sich, trotz der inhaltlichen Vielfalt und Bandbreite, durch die beständige Thematisierung der Auswirkungen von Rassismus, Sexismus und Klassismus auf die Gesellschaft auszeichnet. Diese beiden einführenden Kapitel zu bell hooks als Theoretikerin sollen auch denjenigen Leser*innen die Möglichkeit zu geben, einen Einblick in die Grundlagen von hooks’ theoretischen Arbeiten zu gewinnen, die sich bisher noch nicht mit dieser Denkerin auseinandergesetzt haben. Dies ist gerade bei einer Theoretikerin wie bell hooks wichtig, da Rückgriffe auf die eigene Biografie in ihren Arbeiten als eine Art der Methode zur Theorieentwicklung dienen.
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In Kapitel 4 wird mit der Engaged Pedagogy, einer von hooks in drei Büchern beschriebenen antirassistischen, anti(hetero) sexistischen und antiklassistischen Pädagogik, ein Ansatz vorgestellt, dessen Ziel, nämlich die Untersuchung von gesellschaftlichen Unterdrückungsverhältnissen sowie deren Einflussnahme und Auswirkungen auf Bildungsinstitutionen und -praxen, zentraler Bestandteil der Bildungsarbeit ist. Im Fokus steht dabei die ganzheitliche Erfassung und Förderung der Lernenden, aber auch der Lehrenden. Ganzheitlich bedeutet hier, dass die diversen gesellschaftlichen (Selbst-)Positionierungen der Lernenden und Lehrenden in den Bildungsprozess miteinbezogen werden. Dies immer mit dem Ziel der Hinterfragung und Veränderung von diskriminierenden gesellschaftlichen Verhältnissen. Aufbauend auf den vorangegangenen Abschnitten wird in Kapitel 5 danach gefragt, wie bell hooks’ Verständnis von Theorie als befreiender Praxis in ihrem eigenen Werk sichtbar wird. Hierbei werde ich vor allem auf den Essay „Theory as Liberatory Practice“ (hooks 1994b: 59-75) eingehen. Dazu erscheinen mir Methoden geeignet, die sich im Feld kulturwissenschaftlicher Textanalyse unter der Zusammenführung verschiedener hermeneutischer Ansätze ansiedeln lassen. Ich entschied mich dazu, meine Forschungsfrage mithilfe einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Text „Theory as Liberatory Practice“ zu beantworten, nachdem ein ursprünglich geplantes Leitfadeninterview mit Gloria Walkins (bell hooks), in dessen Rahmen ich die Möglichkeit nutzen wollte, ausführlicher auf Fragen rund um Theorie und Praxis einzugehen, nicht durchgeführt werden konnte, da es leider zu keiner Interviewzusage kam. Mein Ziel ist zu zeigen, dass sich in hooks’ Schreiben Kennzeichen festmachen lassen, die sich aus ihrem spezifischen Theorie-Praxis-Verständnis entwickelt haben. Dabei gehe ich auch kurz auf Kritik an der Theoretikerin ein,
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die einerseits mit der akademischen Form ihrer Arbeiten und andererseits mit ihrer offensichtlichen Nutzung der eigenen Biografie zur Theoriebildung zusammenhängen. Der Ausblick in Kapitel 6 hat zwei Schwerpunkte: Er diente mir ursprünglich als Rückblick auf die von mir dargelegten Inhalte; ich fasse die wichtigsten Punkte meiner Inhalte zusammen und formuliere noch einmal abschließend die Bedeutung, die bell hooks als Theoretikerin in meinem eigenen Schreiben einnimmt. Diesen Rückblick habe ich zudem ergänzt durch ein Nachwort, in dem ich Forderungen an mehrheitlich weiße Universitäten formuliere, die sich aus der Erfahrung meiner eigenen Lehrpraxis ergeben haben, nämlich über Inklusion hinaus die vorhandenen Strukturen in einer Art zu verändern, die es Schwarzen Lernenden und Lehrenden und Lernenden und Lehrenden of Color tatsächlich ermöglicht, sich in diesen Räumen zu bewegen/ dort zu arbeiten/zu denken/zu wachsen.
1.2. Motivation Was verstehen wir eigentlich unter Theorie? Und wie setzen wir diese mit unserer politischen und akademischen Praxis in Verbindung? Selbst aus der politischen Arbeit mit Migrant*innen kommend – dies bringt eine Auseinandersetzung mit Theorie und Praxis mit sich – begleiten mich diese Fragen schon lange Zeit. Um mögliche Antworten zu finden, habe ich mich vermehrt mit Literatur von Schwarzen1 Kulturtheoretiker*innen und Kulturtheoretiker*innen 1
Schwarz wird in dieser Diplomarbeit großgeschrieben, um die
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of Color auseinandergesetzt. bell hooks, afrikanisch-amerikanische Kulturtheoretikerin, Vortragende, Autorin und Lehrende, war eine von ihnen. Immer wieder habe ich im Besonderen ihre repräsentationskritischen Essays gelesen, anhand ihrer Ausführungen zu Hip-Hop-Videos, Filmen und Literatur eigene Fragestellungen konzipiert oder ihre Texte auch abseits der Universität genutzt, um meine Position in Diskursen über Schwarze Frauen und feministische Theorie zu schärfen. Daher war es naheliegend, mich eingehend mit hooks’ Verständnis von Theorie als befreiender Praxis zu befassen, welches sie insbesondere in ihrem Essay „Theory as Liberatory Practice“ im 1994 erschienenen Buch Teaching to Transgress: Education as the Practice of Freedom dargelegt hat. Dass die Zusammenführung von Theorie und Praxis bell hooks durchgehend beschäftigt(e), deutet auch der Untertitel ihres letzten Buches Writing Beyond Race: Living Theory and Practice (2013) an. Bereits in der Einleitung spricht hooks, ausgehend von feministischer Theorie und Kulturkritik, die Schwierigkeit an, einer kritischen, an der Aufdeckung von als natürlich konstruierten Konzepten interessierten Theorie eine ebensolche Praxis folgen zu lassen: „Our theory was far more progressive and inclusive in its vision than our everyday life practice. […] Many of us found that it was easier to name the problem and to deconstruct it, and yet it was hard to create theories that would help us build community, help us border cross with the intention of truly remaining connected in a space of difference long enough to be transformed.“ (hooks 2013: 2) politische Dimension des Begriffes zu unterstreichen. Schwarz bezeichnet über 80 % der Weltbevölkerung, deren Hautfarbe nicht weiß ist und die sich nicht ausschließlich westlich-europäischchristlichen Kulturen/Vorstellungen/Ideologien zugehörig fühlen. Die Großschreibung signalisiert weiters eine ermächtigende Selbstdefinition (siehe dazu Johnston-Arthur in Gürses 2001: 39 oder Kraft/Ashraf-Khan 1994: 11).
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Augenscheinlich ist – und hooks ist bekannt dafür –, dass sie ein Theorieverständnis hat, welches sich eindeutig von der Forderung nach wissenschaftlicher Objektivität abgrenzt beziehungsweise dieses Postulat kritisch hinterfragt. hooks’ Ziel ist Theoriebildung, die nicht ausschließlich der akademischen Laufbahn Einzelner dient, sondern die sich einer ermächtigenden Praxis verpflichtet. An diesem Punkt möchte ich ansetzen und dieses Thema mit einem Blick auf hooks’ eigenes Schreiben und eng an diesem untersuchen. Die Fragestellung, die ich daher beantworten möchte, ist folgende: Wie wird hooks’ Verständnis von Theorie als befreiender Praxis in ihrem eigenen Schreiben sichtbar? bell hooks ist wohl eine der bekanntesten US-amerikanischen Kulturkritiker*innen und Theoretiker*innen und wurde mit ihrem erstmals 1981 erschienenen Buch Ain’t I a Woman? Black Women and Feminism einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Nach ungefähr 30-jähriger Publikationstätigkeit verfügt sie mit mehr als 30 Monografien, unzähligen Artikeln und Aufsätzen in Büchern, Magazinen und Fachzeitschriften über ein beachtliches Œuvre, welches Themengebiete wie Repräsentationskritik, Rassismustheorie, Kritische Weißseinsforschung, Feminismus, Kinderliteratur, Kritische Medientheorie, Spiritualität, Buddhismus und auch Kritische Pädagogik umfasst (siehe dazu Leitch et al. 2001: 2475-2476). Umso mehr verwundert es, dass mit Critical Perspectives on bell hooks, herausgegeben von Maria del Guadalupe Davidson und George Yancy (2009), lediglich erst ein Sammelband veröffentlicht wurde, der sich ausschließlich mit hooks’ Arbeiten befasst. Eine weitere wichtige Publikation, welche sich ausführlich mit Engaged Pedagogy und ihrer Relevanz für das postkoloniale Bildungssystem Kenias befasst, ist die 1998 veröffentlichte Monografie Florence Namulundahs mit dem Titel bell hooks’ Engaged Pedagogy: A
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Transgressive Education for Critical Consciousness. Eine der aktuellsten Arbeiten, die bell hooks pädagogische Schriften analysiert, ist Ron Scapps Reclaiming Education: Moving Beyond the Culture of Reform (2016). Im deutschsprachigen Raum wird auf bell hooks vor allem im Zusammenhang mit Rassismus, Kritischer Weißseinsforschung, Kulturkritik und (Schwarzem) Feminismus Bezug genommen (siehe beispielsweise Eggers 2007; Kilomba 2005 und 2008; Johnston-Arthur 2009b: 11-14; Kazeem/Schaffer 2012: 186-187). Ihr der Darlegung einer Kritischen Päda gogik gewidmetes Werk, Stichwort Engaged Pedagogy, steht weniger im Mittelpunkt. So gibt es im deutschsprachigen Raum keine eigenständige Publikation, die sich speziell mit diesem Aspekt in bell hooks’ Werk auseinandersetzt. Diese Gegebenheit versucht wiederum dieses Buch aufzugreifen, indem neben der Auseinandersetzung mit Fragen rund um Theorie und Praxis auch der Entstehungskontext, Hintergründe und Einflüsse auf den hooks’schen Pädagogikentwurf sowie Grundlinien, politische Implikationen und Forderungen als eine Fortführung ihres spezifischen Verständnisses von Theorie und Praxis beleuchtet und analysiert werden. Ein Mehrwert dieses Buchs wird demnach auch die Erschließung von hooks’ Strategien der Zusammenführung von Kultur- und Rassismustheorien und Theorien aus dem Feld der US-amerikanischen Critical Pedagogy, aber auch der Kritik daran, für ein deutschsprachiges Publikum sein.
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