Persson Perry Baumgartinger Trans Studies
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challenge GENDER Aktuelle Herausforderungen der Geschlechterforschung. Reihe des Referats Genderforschung Band 6 Diese Reihe des Referats Genderforschung der Universität Wien präsentiert aktuelle Theorien, Diskussionen und Forschungsarbeiten der transdisziplinären Gender Studies, u. a. aus Perspektiven der feministischen Epistemologie, der Queer und Postcolonial Studies, der Feminist Science Studies oder der Gender & Science Technology Studies. Im Zentrum der Reihe stehen kritische Reflexionen von Geschlechterverhältnissen und gesellschaftliche Machtstrukturen, deren Wandel im Kontext der Globalisierung, ebenso wie gegenwärtige Versuche, Sex, Gender und Sexualität neu zu denken.
challenge Gender Aktuelle Herausforderungen der Geschlechterforschung
Bisher erschienen in der Reihe challenge GENDER:
1 Import – Export – Transport Queer Theory, Queer Critique and Activism in Motion Sushila Mesquita, Katharina Wiedlack, Katrin Lasthofer (Hg.) 2012, 352 Seiten, 24,95 € ISBN 978-3-9502922-9-9 2 Gendered Neurocultures Feminist and Queer Perspectives on Current Brain Discourses Sigrid Schmitz, Grit Höppner (Hg.) 2014, 404 Seiten, 24,95 € ISBN 978-3-902902-12-2 3 Inter*geschlechtliche Körperlichkeiten Diskurs/Begegnungen im Erzähltext Angelika Baier, Susanne Hochreiter (Hg.) 2014, 374 Seiten, 24,95 € ISBN 978-3-902902-26-9 4 Frauen* und Freund_innen Lesarten „weiblicher Homosexualität“. Österreich, 1870–1938 Hanna Hacker 2015, 504 Seiten, 19,95 € ISBN 978-3-902902-34-4 5 Nuisance Writings on identity jamming & digital audio production Terre Thaemlitz 2016, 386 Seiten, 19,95 € ISBN 978-3-902902-39-9
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten unter: www.zaglossus.eu
Persson Perry Baumgartinger
Trans Studies Historische, begriffliche und aktivistische Aspekte
zaglossus
Gedruckt mit Unterstützung des Referats Genderforschung der Universität Wien und der Kulturabteilung der Stadt Wien, Wissenschafts- und Forschungsförderung. Gefördert durch das Land Niederösterreich. Gefördertes Sonderprojekt von der Österreichischen Hochschüler*innenschaft an der Universität Wien sowie von der Österreichischen Hochschüler_innenschaft.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © Zaglossus e. U., Wien, 2017 1. Auflage 2017 Alle Rechte vorbehalten Coverbild: shutterstock/Angie Makes Druck: Prime Rate Kft., Budapest Printed in Hungary ISBN 978-3-902902-48-1 Zaglossus e. U. Vereinsgasse 33/12+25, A-1020 Wien E-Mail: info@zaglossus.eu www.zaglossus.eu
Inhalt Vorwort von Susan Stryker
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Vorwort von Katharina Wiedlack für das Referat Genderforschung der Universität Wien
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1. Warum Trans Studies?! Eine Einleitung
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Trans Studies, was ist das eigentlich?
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Aufbau und Inhalt des Buches
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Herangehensweise und Dank
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2. Begriffsgenealogie – Entstehung von Trans-Gender & Co
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vorab – why i write a genealogy and not a history of trans* terms, or: how i write about trans* terms
39
Trans+Gender
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Ein-, Aus- und Angrenzungen – Kritik an Trans+Gender
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Gender als pathologisierendes Konstrukt mit gewaltvoller Geschichte
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TransGender als eurozentristisches Konzept
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TransGender als Oberbegriff
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Alternativen Trans* und TransX
63
Vorläufer von TransGender – Was war davor?
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Hermaphroditismus – Intersexualität – Intergeschlechtlichkeit
68
Trans+vestire
70
Trans+sex
72
Homosexualität
77
Aktuelleres: Benennung der Norm & Alternativen
77
3. Genealogie der Trans Studies
83
vorab – kraftaufwand: es ist so anstrengend!
83
Historischer Ausgangspunkt – Medizinische Forschung & Sexualwissenschaften
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Vor dem 19. Jahrhundert: Theorien zu Geschlechternormen – Medizinische Forschung zu „Hermaphroditismus“ bzw. „Intersexualität“
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Ende 19. Jahrhundert bis 1930er: Europäische Sexualwissenschaften
90
Ab den 1950ern: Sexualwissenschaften in den USA 100
Beginn der TransGender Studies
103
Ab den 1970ern: Intersektionale, feministische Kritik an der Kategorie Frau bzw. Geschlecht
104
Ab Ende der 1980er: TransGender Studies als selbstbestimmte, politische Forschungsrichtung sowie Aktivismus in den USA
108
Ab den 1990ern: Vom angloamerikanischen Kontext über Aktivismus wieder zurück in die europäische Akademia – und einige Meilensteine bis jetzt
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Zeitgenössische Forschung in NGOs und Selbstorganisationen
124
4. Entstehung der Trans Studies in Österreich – Vom Aktivismus in die Akademia (und zurück?) vorab ein paar gedanken zur sondierung des forschungsfeldes / des kapitels
131 131
Pathologisierung, Kriminalisierung und Selbstbestimmung – Der Kontext, aus dem heraus die TransBewegung und die Trans Studies entstehen
138
„Allein das Da-Sein als TransPerson ist Aktivismus“ – Die Situation von TransPersonen in Österreich in den 1970ern und 1980ern
138
Pervers, krank und kriminell ... Das Transsexualismus/Transsexualität-Paradigma: Der Forschungsstand Medizin/Psych* damals
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Nicht mit uns! – Die Entstehung der österreichischen TransBewegung Ende der 1980er
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Vom Aktivismus in die Akademia – Die Anfänge der Trans Studies: Ein Forschungsfeld wird vorbereitet
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Trans*Aktivist_innen intervenieren in den akademischen Forschungsstand – die 1990er
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Erste Aufnahme der Trans*Interventionen in die Akademia – Trans in Recht, Soziologie und Psychologie: Mitte bis Ende der 1990er
183
Eigene innovative Theoriebildungen und empirische Zugänge als Startpunkt der Trans Studies: Mitte/Ende der 1990er
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5. Themenfelder der Trans Studies in Österreich 199 Trans*Feminismus: Was feministische mit Transgender Politiken gemeinsam haben
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Trans*Geschichte – Auf den Spuren der eigenen Geschichte
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Trans*Anthropologie – Auf der Suche nach dem „dritten Geschlecht“
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Trans*Sprache – Philosophische, linguistische und aktivistische Aspekte sprachlicher Trans—Formationen
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Trans*Recht – Wissenschaftliche trans*queere Infragestellung staatlicher Regulierung
220
Auf der Suche nach dem subversiven Geschlecht(süberschreitenden) – Trans als Forschungsobjekt der feministischen, Gender und Queer Studies
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Gläserne Decke und Leaky Pipeline – Wie geht’s weiter? Trans Studies heute
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6. Trans Studies als politisches Projekt
235
vorab – endlich kann ich schreiben, was ich will, also fragen über fragen
235
Wissen schafft ... ja, was eigentlich? Über Wissen, Macht und Kritik
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Wissen schafft Macht?
240
Forschung als soziale Praxis
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Kritische Forschung als politisches Projekt
245
Methodologie und Methoden der Trans Studies
248
Trans— ... Fokus auf Brüche und Reibungen statt lineare, hierarchische Darstellung
248
Verwertbares Wissen schaffen
252
Sprachliche Handlungen – Widerständige Strategien
254
Interventionen kritischer Forschung – Strategien der Trans Studies
257
Forschung ist nicht alles – Struktur & Kontext der Akademia
266
Disziplinierung – Trans Studies als Wissenschaftsdisziplin?
269
Trans in der Lehre – Eine Leerstelle?
271
Fazit – Trans Studies, ein Vorschlag mit drei zentralen Punkten, oder: Es gibt noch viel zu tun, packen wir es (gemeinsam) an
Bibliografie
273
281
Verwendete Literatur
281
Weitere Quellen & Materialien
315
Websites
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Persson perry baumgartinger
Vorwort Susan Stryker Die größte Belohnung einer langjährigen Arbeit im akademischen Bereich ist die Möglichkeit, interessante und wichtige neue Arbeiten von aufstrebenden Wissenschaftler_innen kommentieren zu dürfen. Es war mir eine Freude, zuzusehen, wie Persson Perry Baumgartingers Arbeiten im Bereich der Transgender Studies in den letzten Jahren Gestalt angenommen haben. Und es ist mir eine Ehre, nun einige einleitende Ausführungen zu seinem Buch über Transgender Studies im deutschsprachigen Raum, und speziell in Österreich, beizusteuern. Gerade als das bereits existierende Wort „transgender“ (das Mitte der 1960er-Jahre im US-amerikanischen Englischen aufgetaucht war) in den frühen 1990er-Jahren eine Reihe neuer Assoziationen, Konnotationen und Bedeutungen erhielt, hatte ich mein Coming-out als Trans*Person. Ich erinnere mich an die Begeisterung, die viele von uns in San Francisco damals verspürten, als sich diese neuen Politiken, Ästhetiken, Formen der Kritik, Gemeinschaftsstrukturen und Ausdrucksformen von Identität, welche das Wort „transgender“ bald repräsentieren würde, ihren Weg bahnten, so wie Pallas Athene in voller Rüstung aus dem Kopf von Zeus ins Dasein entsprungen war.
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Trans Studies
„Transgender“ war zu der Zeit queer, anarchisch, aufbrechend, provokant, ohne Entschuldigungen. Es sprengte das alte Modell der transsexuellen Pathologisierung, verweigerte sich der Opferrolle und ließ das Überschreiten von Geschlechtergrenzen wieder cool statt tragisch wirken. Ich werde stets ein Gefühl großer Achtung und Nostalgie gegenüber der Arbeit all jener von uns empfinden, die an diesem Paradigmenwechsel dort und damals aktiv beteiligt waren, wenn ich auch für die spätere Verwendung von „transgender“ oft weniger politische Sympathien verspüre. Unser Denken und Wirken findet zwangsläufig von dort aus statt, wo unsere Körper uns in der Welt verorten. Es ist einfach, eine provinzielle Perspektive zu haben, insbesondere wenn die eigene Zugehörigkeit zu einer stigmatisierten und unterdrückten Minderheit den Zugang zu Informationen und anderen Ressourcen einschränkt – das gilt generell und entsprach vor den Zeiten des World Wide Web noch mehr der Realität als heute. Aber dieser Provinzialismus kann gefährlich sein, wenn er mit Sichtweisen aus dem globalen Norden und Westen einhergeht, insbesondere wenn er mit US-zentristischen und englischsprachigen Privilegien verbunden Verbreitung findet. Baumgartingers Forschung bietet zwei nützliche Interventionen an, wie die herrschende Erzählung von „transgender“ als Konzept, das sich vor einem Vierteljahrhundert in den USA entwickelt hat, dezentriert werden kann, während gleichzeitig wichtige neue Forschungsanliegen im sich herausbildenden interdisziplinären Feld der Trans*gender Studies befördert werden. Zunächst dokumentiert Baumgartinger eine Geschichte „neuer“ Transgender-Aktivismen, -Theoretisierungen und
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Persson perry baumgartinger
-Kulturkritiken im deutschsprachigen Europa, die sich mehr oder weniger gleichzeitig mit US-zentrierten Arbeiten entwickeln. Damit wird die bisherige Erzählung von „transgender“ als ein in den USA entstandenes und von dort importiertes Konzept umgeschrieben – eine Erzählung, die Aktivist_innen nützliche Strategien zur Selbstermächtigung abspricht und insofern im Westen beinahe ebenso verhängnisvoll sein kann wie in Osteuropa und im globalen Süden. Während eine solche Erzählung einen sehr realen, vom englischsprachigen Nordamerika ausgehenden „gedanklichen Imperialismus“ der Interpretation von Geschlechtervarianz darstellt, übersieht sie zudem, wie �lokal Handelnde in der ganzen Welt „transgender“ so übernehmen, anwenden, verändern und stehlen, dass ihre jeweiligen Vorhaben ermöglicht werden. Was wir mit Baumgartingers Arbeit sehr viel klarer sehen können, ist, dass sich Geschlecht – ein Ensemble sozialer Systeme zur semiotischen und hierarchischen Strukturierung körperlicher Unterschiede – in den frühen 1990er-Jahren weltweit übergreifend veränderte, ganz so wie der Kapitalismus im Nachbeben des Zusammenbruchs der Sowjetunion. Auch wenn der Philosophin Judith Butler oft zugeschrieben wird, die Theorie der Geschlechterperformativität zu diesem historischen Zeitpunkt „erfunden“ zu haben, leitete auch sie vielleicht nur von den Veränderungen, wie Geschlecht in der realen Welt bereits zu funktionieren begann, ab und berichtete einfach darüber. Zweitens streicht Baumgartinger, während er uns eine andere Sichtweise auf globale Geschlechterkonzepte ermöglicht, heraus, wie wichtig eine Beschäftigung mit den Spezifitäten von Sprache, Örtlichkeit, Ethnizität, Nationalität und Geschichte ist, wenn es darum geht, zu verstehen, was „transgender“ in einem bestimmten Fall beinhaltet und dass
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Trans Studies
es mit einer allgemeingültig verstandenen oder reifizierten Vorstellung von „transgender“ unmöglich ist, tatsächlich kritische oder analytische Arbeit zu leisten. Wenn wir ein zumindest annähernd Foucault’sches biopolitisches Rahmenkonzept akzeptieren, dann werden „transgender“ Logiken und Potenziale zu gesellschaftlichem Wandel immer aus bestimmten Arten von Geburtsregistern, Taufen, Hochzeiten und Todesfällen hervorgehen; bestimmten gesellschaftlich vorherrschenden Praktiken der Namensgebung; bestimmten Arten der Organisation des Gesundheitswesens; bestimmten Historien von Territorialherrschaft; bestimmten ethnischen Zusammensetzungen in der Bevölkerung; bestimmten religiösen Traditionen; bestimmten grammatikalischen Strukturen und konzeptuellen Wortschätzen; bestimmten gängigen Bewegungen; bestimmten legislativen Abläufen; bestimmten Klassenformationen; bestimmten Formen von Inhalt und Ausdruck in Massenmedien und den Künsten. Am wichtigsten ist vielleicht, dass Baumgartinger auf einer epistemischen Gleichstellung von „aktivistischem“ und „formalem“ oder „objektivem“ Wissen innerhalb der Transgender Studies besteht, sowohl im europäischen wie auch im US-amerikanischen akademischen Kontext – eine Wissensformation, die in sich selbst ein hochpolitisches Vorhaben ist. Wie wir wissen, was wir zu wissen anstreben oder welches Wissen uns erlaubt wird wertzuschätzen – erst recht was wir an Wissen gelehrt werden –, ist kein neutrales Unterfangen. Baumgartinger analysiert und dokumentiert, wie Trans*Personen und ihre Verbündeten im deutschsprachigen Kontext die Bedingungen der Wissensproduktion veränderten, um ihre Lebensbedingungen zu verändern – und leistet damit einen wichtigen Beitrag zu genau diesem Vorhaben.
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Persson perry baumgartinger
Warum dieses Buch? Ein Vorwort von Katharina Wiedlack für das Referat Genderforschung der Universität Wien
Warum der Fokus auf Österreich und den deutschen Sprachraum? Warum an der Universität Wien? Warum jetzt? Trans Studies: Historische, begriffliche und aktivistische Aspekte erscheint in der Reihe „challenge GENDER“ des Referats Genderforschung der Universität Wien, die sich seit 2012 zum Ziel gesetzt hat, aktuelle Theorien, Diskussionen und Forschungsarbeiten der transdisziplinären Gender Studies einer breiten Öffentlichkeit zu präsentieren. Sigrid Schmitz und ihr Team Katrin Lasthofer, Sushila Mesquita, Dorith Weber und ich entwarfen die Reihe in Zusammenarbeit mit dem queer-feministischen Wiener Verlag Zaglossus, um Perspektiven der feministischen Epistemologie, der Queer und Postcolonial Studies, der Feminist Science Studies, der Gender & Science Technology Studies, der Disability Studies UND der Trans Studies Sichtbarkeit zu verschaffen und die vielfältigen Ansätze und Forschungen unserer Universität Wien zur öffentlichen Diskussion zu stellen. Trans Studies: Historische, begriffliche und aktivistische Aspekte ist bereits Band 6 dieser jungen und innovativen Reihe und als Mitarbeiterin des Referats Genderforschung freue ich mich sehr, dass
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Trans Studies
dieses Projekt von unserer Leiterin Maria Mesner und der Universität Wien im Sinne der kritischen Reflexionen von Geschlechterverhältnissen und gesellschaftlichen Machtstrukturen weiterverfolgt wird. Trans Studies gibt es nicht erst seit gestern, doch ihre Kritik hat nichts an Aktualität verloren. Trans Studies bieten wichtige Anhaltspunkte für eine kritische Auseinandersetzung mit Heteronormativität und Zweigeschlechtlichkeit. Darüber hinaus bieten sie multiple Ansätze, Sex, Gender und Sexualität – oftmals an der Schnittstelle von DisabilityKritik, Science & Technology Studies, post- und dekolonialer Forschung – neu zu denken. Die Frage, wo oder wie scharf die Trennlinie zwischen den Queer, den Gender und den Trans Studies verläuft, ist schwierig zu beantworten. Trotzdem ist es sehr wichtig, Trans Studies als solche zu benennen. Obwohl Transgender als Begriff und Konzept – als grenzüberschreitender (metaphorischer oder virtueller) Körper mit einer globalisierbaren Identität, wie Susan Stryker und Paisley Currah (2015: 540) schreiben – in Prozesse der neoliberalen und flexibilisierten Wissensproduktion auch an deutschsprachigen Institutionen und in deren Gender-Studies-Programme inkorporiert wurde, bleiben Ansätze der Trans Studies und vor allem die Subjekte dieser Wissensproduktion meist unsichtbar; dass es bis dato noch keine Einführung in die deutschsprachigen Trans Studies gibt, ist symptomatisch für diese Marginalisierung. Im Alltag werden Trans-Angelegenheiten oftmals als Randthema erwähnt, ‚mitgedacht‘ oder ‚mitgemeint‘, wenn es um LGB‚T‘-Themen geht. Die Gender Studies und andere ‚progressive‘ Forschungszweige beschäftigen sich zwar mit Transgender, doch erfahrungsgemäß nahezu ausschließlich im Zusammenhang
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Persson perry baumgartinger
mit Judith Butlers (natürlich höchst wichtiger) Hinterfragung der Kategorie Geschlecht; frühere, gleichzeitig aktive, spätere oder auch einfach andere Ansätze zum Phänomen Geschlecht werden kaum wahrgenommen und auch der Einfluss, den solche Theorien sowie die in den 1990ern etablierte Geschlechtergrenzen-überschreitende Community auf Butler selbst hatten, wird selten untersucht oder gelehrt. Solche akademischen Scheuklappen- oder Tunnelblicke ignorieren nicht nur Diskurse; jenseits der Wahrnehmungsgrenze ihrer Kolleg_innen sehen sich zahlreiche Trans-identifizierte Personen an unseren Universitäten und anderen wissenschaftlichen Institutionen mit Irritation, oftmals Gewalt und großen bürokratischen Hürden konfrontiert. Das Referat Genderforschung möchte dieser Struktur durch die Veröffentlichung von Persson Perry Baumgartingers Trans Studies: Historische, begriffliche und aktivistische Aspekte entgegenwirken, auf aktuelle Forschung und Theoriebildung aufmerksam machen und Trans-Identitäten, -Politiken und -Kritiken Sichtbarkeit verleihen. Eine solche Sichtbarkeit für Forschung innerhalb des und ausgehend vom deutschsprachigen Gebiet(s) ist nicht nur im Hinblick auf die heteronormative zweigeschlechtliche Norm hiesiger Universitäten wichtig, sondern auch innerhalb des Feldes, in dem englischsprachige Diskurse zu dominieren scheinen. Ich denke, dass hier immer noch ein zentrales Moment besteht; Trans Studies geben Trans-Personen, deren Erfahrungen und deren Forschung Sichtbarkeit. Dieser Punkt wurde auch bereits in einer der letzten Kooperationen zwischen Persson Perry Baumgartinger (für den Verein ][diskursiv) und dem Referat Genderforschung deutlich (Baumgartinger/Wiedlack 2014: 7).
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Trans Studies
Persson Perry Baumgartinger arbeitet seit Jahrzehnten aktiv an der Sichtbarmachung von Trans-Forschung und -Aktivismen. Sein Projekt Queeropedia, das er seit 2006 betreibt, zählt zu den ersten Trans*Publikationen in Wien. Queeropedia und andere aktivistische und wissenschaftliche Projekte sind wichtige Zeichen von Trans-Sichtbarkeit. Gleichzeitig war und ist deren Politik auf keinen Fall auf Repräsentation zu reduzieren. Trans Studies, so wie sie uns Persson Perry Baumgartinger darlegt, sind vielfältig, weit über die Beschäftigung mit Trans als Identitätskategorie und Lebensrealität hinaus. Trans Studies, so wie sie von Persson Perry Baumgartner seit vielen Jahren betrieben werden, betonen, dass Aktivismus und Wissenschaft historisch nicht getrennt waren und es auch heute nicht sind. Sein für den Verein ][diskursiv verfasster Artikel „Where have all the trannies gone...“ zeigt auf wunderbare Weise durch Original-Zitate von österreichischen Trans*Aktivist_innen, wie die Universität in der Vergangenheit zum Ort für Trans*Aktivismus wurde. Persson Perry Baumgartingers eigene Aktivitäten, Workshops, Tagungen und Publikationen, bei denen ich ihn im Rahmen meiner Tätigkeit als Referentin für HomoBiTrans*-Angelegenheiten der Österreichischen Hochschüler_innenschaft der Universität Wien von 2004 bis 2007 sowie später im Rahmen meiner Tätigkeit für das Referat Genderforschung der Universität Wien unterstützen und begleiten durfte, sind eine wichtige Fortführung dieser Trans*aktivistischen Aktivitäten. Ich bedanke mich bei Persson Perry Baumgartinger für seine unermüdliche Tätigkeit als Trans-Studies-Forscher und Aktivist und wünsche den Leser_innen eine spannende und sicherlich trans*formierende Lektüre.
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Persson perry baumgartinger
Literatur Baumgartinger, Persson Perry/Wiedlack, Katharina (Hg.*) (2014): TransGender Studies. Eine Einfßhrung. Dokumentation zum Workshop und Vortrag vom 12./13.-14. Juni 2014 in Wien. Abrufbar unter: https://transgenderstudies .files.wordpress.com/2015/02/0-diskursiv_rgf-2014-trans _studies_dokumentation1.pdf [Stand: 10.12.2016]. Stryker, Susan/Currah, Paisley (2015): General Editors’ Introduction. In: TSQ: Transgender Studies Quarterly, Jahrgang 2, Heft 4, S. 539-543. Stryker, Susan (2006): (De)Subjugated Knowledges: An Introduction to Transgender Studies. In: Stryker, Susan/ Whittle, Stephen (Hg.*): The Transgender Studies Reader. New York/London: Routledge, S. 1-17.
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Persson perry baumgartinger
1. Warum Trans Studies?! Eine Einleitung Trans Studies, was ist das eigentlich? Die Entstehung der Trans Studies als neue Wissensformation kann auf die späten 1980er in den USA und Großbritannien zurückgeführt werden. Eine Zeit, in der sich TransPersonen öffentlicher vernetzen, sich über eigene Zeitschriften austauschen und beginnen, bei bisher fremdbestimmten psychomedizinischen Modellen von Trans mitzusprechen (z. B. Virginia Prince, s. Kapitel 2 „Begriffsgenealogie“, Unterkapitel zu „Trans+Gender“). Eine Zeit also, in der langsam, aber sicher eine selbstbestimmte TransBewegung an die Öffentlichkeit geht. An der Schnittstelle von Gender Studies, feministischer Theorie, Inter Studies und Queer Studies sowie heute sogenannter intersektionaler Forschung (vgl. Betcher/Garry 2009; Stryker 2015) entstehen erste wissenschaftliche Auseinandersetzungen zur Zweigeschlechterordnung, zu TransSelbstverständnis und zu TransErfahrung als gleichwertiger Expertise im wissenschaftlichen Bereich. TransAktivismus und TransSelbstorganisation sind die Grundlage der Trans Studies. Wie viele andere kritische
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Trans Studies
Forschungsrichtungen entstehen auch die Trans Studies aus sozialen Bewegungen heraus. Sie sind, neben den Inter Studies, mindestens genauso stark an der Dekonstruktion von Geschlecht beteiligt wie intersektionale und queere Theorien. Sie entwickeln sich im angloamerikanischen Kontext auch etwa zur gleichen Zeit. Wie die Inter Studies werden ihre Vertreter_innen aber weniger zitiert und ihre Theorien weniger gelehrt und oft vereinnahmt. Im englischsprachigen Kontext gibt es bereits einige Literatur zu den Trans Studies allgemein und zu ihrer Entstehung. Für den deutschsprachigen Kontext gibt es dazu noch sehr wenig, auch wenn die Trans Studies und das Thema Trans in den letzten Jahren für die Akademia immer interessanter werden und von NGOs, Studierenden sowie Jungwissenschaftler_innen immer häufiger mit Interesse aufgenommen werden. Früher oder später finden sie auch in die Mainstream-Forschung, u. a. die Geschlechterforschung, Eingang. In Österreich organisieren sich TransPersonen Ende der 1980er in Selbsthilfegruppen und kurz darauf in Vereinen. Ab Anfang der 1990er intervenieren sie in die diskriminierende Berichterstattung in den Medien, den pathologisierenden Forschungsstand der Medizin, veranstalten öffentliche Kunst- und politische Aktionen und gehen für ihre Rechte vor Gericht. In diesem Rahmen werden Trans-Theorien aus dem angloamerikanischen Kontext übernommen und eigene Theorien entwickelt – der Startpunkt der Trans Studies in Österreich. Dieses Buch beschreibt Trans Studies als kritische Forschungsrichtung, die aus Widerstand und zivilgesellschaftlichem Engagement entsteht – sie kann als politisches Projekt gesehen werden. Selbsthilfegruppen, Trans*Aktivist_innen, Studierende, Künstler_innen bringen die Trans Studies in
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Persson perry baumgartinger
den 1980ern und 1990ern in die Akademia. Trans Studies bauen auf rassismus- und klassismuskritischen, feministischen Ansätzen genauso auf wie etwa auf der kritischen Sexualwissenschaft. Sie entwickeln bestehende Begriffe weiter und schaffen neue. Sie intervenieren in wissenschaftliche Paradigmen und gesellschaftliche Normen. Sie entstehen als Teil einer sozialen Bewegung, die für Anerkennung, Menschenrechte und gegen Diskriminierung innerhalb und außerhalb der Akademia kämpft. Trans Studies sind Teil eines politischen Projektes – nicht umgekehrt. Sie sind eines von mehreren „Werkzeugen“, die genutzt werden, um die Situa tion von TransPersonen zu verbessern. Eine Trennung zwischen Aktivismus und Wissenschaft, zwischen Theorie und Praxis ist eine künstliche, die in den Trans Studies nicht entstehen sollte – dafür plädiert dieses Buch. Viele denken bei Trans Studies vermutlich an die Erforschung von TransPersonen, TransLebensweisen und TransGruppen. Meistens ist in so einer Vorstellung Geschlecht relativ eng definiert als ein biologisches und/oder soziales Geschlecht, das über bestimmte Körperteile oder ein bestimmtes sozia les Verhalten definiert ist. Trans Studies erweitern diese enge Definition von Geschlecht. Indem zum Beispiel aufgezeigt wird, dass nicht nur die von Wissenschaftler_innen im Laufe der Zeit vorgenommene Einteilung in Mann/Frau versus „die Anderen“ über Geschlechtsmerkmale stattfindet. Sondern dass Geschlecht über viele Faktoren tagtäglich immer wieder neu hergestellt wird. Die Ansätze der Trans Studies fordern ein Umdenken, einen Blickwinkelwechsel, eine andere (Forschungs-)Position. Etwa das Verhandeln von Geschlecht als Schnittstelle – als Schnittstelle zu Körpern, Organen, Chromosomen, Genitalien und sozialem Verhalten,
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Trans Studies
als Schnittstelle zu Gestik, Mimik, Sprache und Haltung, als Schnittstelle zu Gefühlen, Kleidung, Spielzeug, Bildung, Gehältern, Arbeitsmarktzugang und Migration, zu Minderheiten, Sexualität, Idealen und Medien, als Schnittstelle zu Gesetzen, Erlässen, Institutionen, Krankenhäusern, Standesämtern, Geburtenbüchern und Grenzen, zu Leistung und Nützlichkeit. Geschlecht wird tagtäglich in einem Prozess immer wieder hergestellt – mit realen Konsequenzen, die Lebensrealitäten beeinflussen. Am österreichischen Arbeitsmarkt zum Beispiel kommt es häufig zu verbaler Diskriminierung gegen TransPersonen. Unterstützt von struktureller Diskriminierung, von Gesetzen und Institutionen. In einer Studie aus dem Jahr 2008 zur Situation von TransPersonen am österreichischen Arbeitsmarkt geben TransPersonen an, dass sie zu 21 % transfeindliche Bemerkungen und Beschimpfungen auf den Toiletten erleben. Zu 19 % meiden die Befragten der Online-Umfrage die Toiletten am Arbeitsplatz bzw. benützen die geschlechtsneutrale Toilette, die sogenannte „Behindertentoilette“ (vgl. Frketić/Baumgartinger 2008). Vergeschlechtlicht werden nicht nur Menschen, sondern auch Gegenstände, Räume und Prozesse. Etwa werden Toiletten beschildert und dabei in zwei, besser drei Geschlechter eingeteilt: in eine männliche, eine weibliche und eine geschlechtslose Toilette, die sogenannte „Behindertentoilette“. Eine solche Ver_Ortung von Geschlecht kann existenzielle Konsequenzen für Menschen haben, die von der sogenannten „Heteronormpolizei“ exekutiert werden. Etwa wenn TransPersonen panisch zugerufen wird: „Das ist aber die falsche Toilette!“, oder wenn Menschen aus Toiletten vertrieben werden (vgl. Baumgartinger 2008b). Oder wenn, wie derzeit in einigen Bundesstaaten der USA, ein Gesetz erlassen wird, das Personen, die nicht
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Persson perry baumgartinger
den Geschlechternormen entsprechen, dazu zwingt, auf die Toilette ihres Ausweisgeschlechts zu gehen. Durch solche Handlungen werden viele Menschen zu „Anderen“ gemacht, sie werden aus essenziellen gesellschaftlichen Räumen verwiesen und ihrer persönlichen Sicherheit beraubt. Eine weitere Dimension von Geschlechtlichkeit ist die staatliche Regulierung von Geschlecht, die sich insbesondere in der Verwaltung von trans- und intergeschlechtlich lebenden Personen zeigt und dazu dient, die Geschlechternorm von Mann/Frau aufrechtzuerhalten. In vielen Staaten gibt es dafür sogenannte „Transsexuellen-Gesetze“, wie etwa in Deutschland. Andere wiederum haben verwaltungsinterne Vorschriften, wie etwa in Österreich den sogenannten „Transsexuellen-Erlass“ des Innenministeriums, der von 1980 bis 2010 in Geltung steht. Zusätzlich gelten die sogenannten „Empfehlungen zur Behandlung von Transsexuellen in Österreich“, die 1997 vom Gesundheitsministerium herausgegeben werden und, nur geringfügig verändert, bis heute gültig sind. Solche Gesetze, Erlässe und Behandlungsempfehlungen sind pathologisierend, denn sie erzwingen von TransPersonen (meist) ungewünschte Krankheitsdiagnosen, Medikationen sowie Operationen, die in Österreich bis 2010 eine Zwangskastration bzw. -sterilisation beinhalten. Auch der amtliche Beziehungsstatus ist davon betroffen, wenn etwa Ehen automatisch geschieden werden (in Österreich von 1980 bis 1996) oder Scheidungen erzwungen werden (bis 2006). Durch staatliche Regulierung werden damit über (sprachliche) Instrumente bestimmte Geschlechterbilder von Mann und Frau produziert und wortwörtlich in Körper eingeschrieben. Und das alles für einen Randvermerk über die Änderung des Geschlechtseintrages von
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Trans Studies
F zu M oder von M zu F und einen Randvermerk über die Änderung des Vornamens im Geburtenbuch. Geschlecht ist ein zentraler Mechanismus gesellschaftlicher Unterdrückung, der nicht bei körperlichen Phänomenen aufhört. In den Trans Studies wird gezeigt, wie Geschlecht zum Beispiel mit Staatsbürgerschaft verbunden wird, mit Sprache und Diskursen, mit Vorstellungen von gesunden und kranken oder „gerade noch akzeptablen“ Körpern, Lebensweisen und Sexualitäten. Wie Geschlecht mit Kolonialisierung, Nationalkonstrukten, Rassismus und Eurozentrismus zusammenhängt und was Freak Shows damit zu tun haben usw. Es geht bei Trans Studies also nicht um Geschlecht im Sinne von eindeutig festmachbarem sex und gender. Trans Studies machen sich nicht auf die Suche nach der Trans*Wahrheit, den „wahren“ oder „falschen“ Transsexuellen, wie es in der Forschung oft der Fall ist, oder nach der perfekten Transition. Es geht vielmehr um Unterdrückungsregime, die aufeinander aufbauen, ineinandergreifen, sich gegenseitig stützen und an der Schnittstelle Geschlecht bzw. an ihren Rändern, den Grenzen der Geschlechternormen, sichtbar und daher fassbar gemacht werden können. Trans Studies also als eine Forschungsrichtung, die sich um die Ränder, die Peripherie, die Grenzüberschreitungen, die Kreuzungen, Lecks und Schlüpfrigkeiten kümmert – über Geschlechternormen, Rassialisierungen, Generationen und Auf- bzw. Abwertungen von bestimmten Spezies hinaus. Denn in den Trans Studies geht es u. a. um das Infragestellen und Auflösen der Dichotomie von dem Fixen und den Überschreitenden, von fixity und crossers. Um die Frage danach, was damit erreicht wird. Es geht darum, keine (neue) Kategorie oder Gruppe von
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Persson perry baumgartinger
Menschen, Dingen oder Phänomenen zu bestimmen und festzuschreiben, die als „trans“ bezeichnet werden könnten. Als ob es etwas gäbe, das als „Überschreiter_innen“ bezeichnet werden könnte, und alles andere als das Fixe mit Grenzziehungen und Festschreibungen charakterisiert werden könnte. Trans Studies legen unter anderem den Fokus auf die künstliche Trennung von dem einen Fixen und den anderen Überschreitenden. (Vgl. Stryker et al. 2008: 11) Für eine solche Herangehensweise ist es wichtig, den Blickwinkel zu ändern, einen anderen (Forschungs-)Standort einzunehmen. Es geht um die Verschiebung von sex/gender hin zu „trans–“. Stryker, Currah und Moore (2008) schlagen vor, diesen Prozess transing zu nennen, ähnlich zum Begriff des Verqueerens in den Queer Studies. Trans Studies bieten einen Fundus an Theorien und Methoden, insbesondere für (kritische) Forschungsrichtungen wie Dis/Ability Studies, kritische Migrationsforschung, Intersektionalität, Black Studies, Klassismusforschung oder Gender Studies, aber auch für etablierte Wissenschaftsdisziplinen, wie etwa Linguistik, Soziologie, Geschichte, Technik, Biologie u. v. m. Trans Studies tragen seit vielen Jahren zur Erforschung von Geschlecht in Verbindung mit Grenzüberschreitungen, Körper, Technik, Sprache, Reibungen und Ambivalenzen, Normierung und Normativität u. v. m. bei. Sie tun dies in Theorie und Empirie, in Aktivismus und Forschung. Sie bringen neue methodologische Überlegungen ein, stellen Paradigmen infrage und sprengen Wissenschaftsnormen. Dadurch tragen sie zur Trans—formation dieser Paradigmen und Normen bei und leiten Veränderungen ein, die für die Gender Studies und darüber hinaus wichtig sind.
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Trans Studies
Trans Studies zeigen auf, dass die Trennung zwischen Aktivismus und Wissenschaft, zwischen Theorie und Empirie, zwischen inner- und außerakademischen Kontexten eine künstliche ist. Eine Trennung, die erst durch die Akademia, und damit die (Wissens-)Elite, geschaffen wird. Die politische Kraft der Trans Studies besteht darin, dieser Spaltung entgegenzuwirken, politisch zu bleiben – nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Praxis, nicht nur in Diskussionen, sondern auch im (wissenschaftlichen) Handeln. Weiterhin aus dem aktivistischen Blick zu forschen und nicht aus einem akademischen Standort „die Betroffenen“ zu beforschen.
Aufbau und Inhalt des Buches Das Buch geht den Fragen nach, was Trans Studies sind, wie sie entstanden sind, was sie als kritische Forschungsrichtung ausmacht und welchen Platz sie in der Akademia einnehmen oder einnehmen wollen. Um die Trans Studies zu verstehen, ist es wichtig, ihre Geschichte zu kennen, zu wissen, welche Begriffe wie verwendet werden, was ihre zentralen Anliegen sind, welche Ein- und Ausschlüsse stattfinden, welche methodischen und forschungsethischen Herangehensweisen entwickelt werden und wie sie sich in der Akademia und TransBewegung ver_orten (wollen). Sprache und insbesondere Bezeichnungen spielen dabei eine zentrale Rolle. Denn über Benennungen werden Menschen, Gegenstände und Prozesse in ein gesellschaftliches Wertesystem eingeordnet. Deshalb widmet sich das nächste, zweite Kapitel „Begriffsgenealogie“ der Entstehung zentraler
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Begriffe der Trans Studies. Das Kapitel beschreibt das Kompositum Trans+Gender, seine Entstehung sowie seine Einund Ausschlüsse als pathologisierendes, eurozentristisches sowie verallgemeinerndes Konzept und stellt einige Alternativen dar. Auch der Begriff TransGender ist nicht im luftleeren Raum entstanden, sondern baut auf vorherige Begriffe und Konzepte von Geschlecht und vor allem Geschlechtlichkeiten, die zu Abnormen gemacht werden, auf. Auf diese wird ebenfalls im zweiten Kapitel eingegangen. Das dritte Kapitel beschreibt die Geschichte der Trans Studies, wie sie heute bekannt ist. Dafür ist es wichtig, vorangegangene Geschlechtertheorien zu skizzieren: von medizinischer Forschung zu „Hermaphroditismus“ bzw. „Intersexualität“ bis ins 19. Jahrhundert über die europäischen Sexualwissenschaften vom Ende des 19. Jahrhunderts bis in die 1930er hin zu den Sexualwissenschaften in den USA der 1950er-Jahre. Die Entstehung der Trans Studies wird in den USA der 1970er-Jahre im Kontext von intersektionaler Kritik an der Kategorie Frau bzw. Geschlecht verortet, aus der ab Ende der 1980er im angloamerikanischen Kontext die Trans Studies als selbstbestimmte, politische Forschungsrichtung hervorgehen. Diese Geschichtschreibung wird mit parallel verlaufenden aktivistischen und wissenschaftlichen Aktionen in Europa, insbesondere in Österreich, erweitert. Dass die Trans Studies in Europa (vermutlich) eine ähnliche Entwicklung genommen haben, zeigt das vierte Kapitel am Beispiel der Trans Studies in Österreich. Auch hier ist es wichtig, den Kontext zu verstehen, weshalb der Forschungsstand zu Trans in den 1970ern und 1980ern herausgearbeitet und auf die Entstehung der TransBewegung in Österreich
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eingegangen wird. Denn auch in Österreich führen die Interventionen von TransAktivist_innen und Studierenden zu den Trans Studies. Dabei werden wissenschaftliche Werkzeuge genutzt, um die Situation von TransPersonen zu verbessern – seien es psych*ische1, medizinische, juristische, administrative oder philosophisch-kulturwissenschaftliche. Dies findet ab den frühen 1990ern statt, zu einer Zeit, als sich TransPersonen gerade in Selbsthilfegruppen und Vereinen organisieren. Auch die ersten Studien zu Trans und die ersten TransTagungen finden außerhalb der Akademia statt. Die österreichischen Trans Studies entwickeln ab den 1990ern eigene Theorien und Methoden, von TransFeminismus über TransGeschichte zu TransAnthropologie und TransLinguistik, um nur einige zu nennen, die im fünften Kapitel skizziert werden. Die Psych*Fächer und Rechtswissenschaften beschäftigen sich bereits früh mit Trans, allerdings in einem problematischen Paradigma, das Trans exotisiert, pathologisiert und teilweise kriminalisiert. Wie ein roter Faden durchzieht die wissenschaftliche Beschäftigung mit nichtnormativen Geschlechtern eine Herangehensweise, die „auf der Suche nach dem subversiven Geschlecht“ genannt werden kann. Inter- und transgeschlechtliche Personen werden benutzt, um Thesen von einer anderen, „besseren“, weniger normativen Geschlechtlichkeit zu bestätigen. Was immer misslingt, wenn der Blick zu eng auf die „Anderen“ gesetzt ist und die (eigene) Norm Mann/Frau nicht mitreflektiert wird.
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Unter dem Begriff „Psych*“ fasse ich die Forschungs- und Praxisfelder Psychiatrie, Psychologie und Psychotherapie zusammen, wenn sie sich inhaltlich für das angesprochene Themenfeld nicht grundlegend unterscheiden.
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Entstanden als Tool für Selbstbestimmung und Widerstand, gehören die Trans Studies zu den kritischen Forschungsrichtungen und sind Teil eines politischen Projektes. Das Kapitel sechs geht näher darauf ein, was Wissen, Wissenschaft und Kritik miteinander zu tun haben und welche Ansätze dafür sinnvoll sind. Mit verschiedenen Interventionen aus den Trans Studies und anderen kritischen Forschungsrichtungen wird aufgezeigt, wie eine kritische Forschungspraxis aussieht, die ihre theoretischen Ansprüche in der methodologischen Herangehensweise erfüllt. Ein weiterer wichtiger Punkt sind der strukturelle und gesellschaftliche Kontext, in dem Forschung stattfindet. Dafür ist ein wissenschaftskritischer und -ethischer Zugang notwendig. Insbesondere Trans Studies und andere Forschungsrichtungen, die aus sozialen Bewegungen kommen, sollten diese Aspekte in ihre Forschung und ihre Handlungen einbeziehen. Denn die Akademia ist ein großer „Player“ in gesellschaftlichen Gefügen, der mit viel (Bestimmungs-)Macht und Ressourcen ausgestattet ist. Universitäten sind Teil der Elite von Gesellschaften. Um die Situation von Minderheiten zu verbessern, ist es also notwendig, in die oft veralteten und verkrusteten Wissensbestände und Strukturen der Akademia einzugreifen. Das haben TransAktivist_innen ziemlich bald nach ihrer Organisierung gemacht. Die Trans Studies befinden sich zurzeit im Wandel. Durch die Initiative einzelner Aktivist_innen und Wissenschaftler_innen wandeln sie sich von einer „Sondernummer“ in wenigen Fachzeitschriften zu einer Forschungsrichtung, die von der Akademia nicht mehr so leicht zu übersehen ist. An diesem Wendepunkt versteht sich das Buch als kritischer Beitrag, als Warnung, das politische Potenzial im Prozess der Akademisierung nicht aufzugeben. Sich nicht zu
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neoliberalisieren im Prozess der Disziplinwerdung, nicht in den Sog der Quantität und des Selbstzwecks zu geraten, sich dagegen zu verwehren und weiterhin Teil des politischen Projektes zu bleiben, aus dem heraus sie entstanden sind. Den Weg der kritischen, dezentralen, transdisziplinären und praxisbezogenen Forschung (weiter) zu gehen.
Herangehensweise und Dank Kritisches Forschen beginnt nicht mit Theorien und endet nicht bei Theorien – es kommt aus der Praxis und zeigt sich in der Umsetzung der Theorie, also in der eigenen wissenschaftlichen und aktivistischen Praxis. Auch in den Trans Studies ist es notwendig, wissenschaftliche Arbeiten weit zu begreifen. Das bedeutet u. a., auch jene Texte einzubeziehen, die in manchen wissenschaftlichen Disziplinen als nicht (genug) theoretisch oder wissenschaftlich angesehen werden. Dazu gehören „graue Literatur“, Blog-Einträge und Flyer genauso wie Kaffee-Gespräche und Chats. Sie nicht als (zu) aktivistisch oder (zu) alltagssprachlich abzuwerten, sondern vielmehr als eigenständige theoretische Beiträge zu begreifen. Weiters grenzen sich wissenschaftliche Arbeiten (auch kritische) oft über eine größtenteils unverständliche „Fachsprache“ von anderen Gesellschaftsbereichen, insbesondere aber einer „Alltagssprache“, ab. Solche Sprachhandlungen ziehen eine Grenze zwischen Theorie und Praxis, zwischen Wissenschaft und Alltag. Sie bauen eine Hierarchie auf, die gerade gesellschaftskritischen Forschungsrichtungen, ihren Theorien und Methoden widerspricht. Deshalb versuche ich in diesem Buch, wissenschaftliche Erkenntnisse
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„runterzubrechen“ und verwende neben Fachausdrücken auch sogenannte „Alltagssprache“. Diese ist eine von vielen Möglichkeiten, Inhalte zugänglicher zu machen und Barrieren abzubauen. Es macht die Inhalte jedoch, entgegen aller wissenschaftlichen Befürchtungen, keineswegs weniger wissenschaftlich oder weniger fundiert. Zitieren und Quellenangaben sind machtvolle wissenschaftliche Werkzeuge, die eine reflektierte Herangehensweise benötigen. Wenn hier auf wissenschaftliche Arbeiten eingegangen wird, dann bevorzugt nicht auf solche, die transfeindlich, pathologisierend und fremdbestimmt stattfinden. Das ist nicht immer so einfach, da die Trans Studies einerseits auf Wissen von pathologisierenden und eugenischen Forschungen aufbauen, andererseits Arbeiten, die heute als pathologisierend gelten, zur Zeit der Entstehung als emanzipativ angesehen werden können. Diese Arbeiten können nicht ausgespart werden, der Fokus im vorliegenden Buch liegt jedoch auf selbstbestimmten, kritischen Gegenentwürfen zur bis dahin üblichen wissenschaftlichen Beforschung von TransPersonen in Medizin, Psychiatrie, Psychologie und Recht. Gefühle spielen im Aktivismus eine große Rolle. Wut, Ärger, Lust und Freude liegen nah beieinander und sind oft Antrieb für politische Aktionen. Das Gleiche gilt für die Wissenschaft, auch wenn sie dort oft marginalisiert, maximal in Theorien gepackt werden und eigentlich eher rausgehalten werden sollen. Ich bin durch viele Gefühle gegangen beim Schreiben dieses Buches, sie geben mir Halt und lassen mich verzweifeln, sie sind mir Blockade und Antrieb zum Weiterschreiben. Auf alle Fälle sind sie wichtig für dieses Buch und meine wissenschaftliche Arbeit. Deshalb räume
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ich ihnen einen zentralen Platz ein: Zu jedem Kapitel gibt es im Vorspann eine Art „Tagebucheintrag“, meine Gedanken, Gefühle und Kommentare zu den jeweiligen Texten, Aktionen, Abschlussarbeiten etc. der einzelnen Kapitel. Einer dieser Vorspanne ist auf Englisch formuliert. Anstatt ihn ins Deutsche zu übertragen – und somit dem monolingualen Habitus zu entsprechen – ist er im Englischen geblieben, um die real existierende Mehrsprachigkeit innerhalb, aber auch außerhalb akademischer Kontexte nicht zu verschleiern, sondern sichtbar zu belassen. Trans, Trans_, Trans*, Transgender, Transsex ... es gibt unterschiedliche Begriffe und Konzepte, die gleichzeitig verwendet werden. Teilweise bewusst eingesetzt, teilweise willkürlich abgewechselt. Um die Vielfalt sichtbar zu machen, zeigen sie sich einerseits im Cover in Bezug auf Trans Studies, andererseits verwende ich sie im Buch alle und schränke mich nicht auf eine Version ein. Großteils jedoch bleibe ich beim „kleinsten gemeinsamen Nenner“: Trans bzw. Trans Studies. Trans Studies: Historische, begriffliche und aktivistische Aspekte sieht sich nicht als Startpunkt, denn es gibt viele wichtige Ereignisse davor. Es sieht sich auch nicht als abgeschlossen, denn es gibt noch so viel mehr zu schreiben, forschen und erreichen. Das Buch möchte vielmehr einen Beitrag zum politischen Projekt Trans leisten – als Anstoß und Werkzeug. Für Lehre und Aktivismus, für politische Debatten und vor Gericht. Für weitere Forschung und Aktionen, die zum politischen Projekt Trans beitragen und die kritische Forschungsrichtung Trans Studies weiterbringen. Dieses Buch schreibe ich, weil ich finde, dass das Wissen zu Trans
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Studies mehr Aufmerksamkeit verdient. Es soll eine Monografie sein, die auf Trans Studies aufmerksam macht, die die Verbindung von Trans-Theorien, -Empirien und -Aktivismen sichtbar macht und in dieser Formation als Buch in die (akademische/aktivistische/trans) Welt gehört. Vielleicht sogar die eine oder andere bisherige Skeptiker_in oder gar Gegner_in der Trans Studies überzeugt. Die wünschenswerterweise neue Bücher, Artikel, Forschungsprojekte anregt. Und die Mut macht, sich gegen strukturelle Hürden von TransPersonen an den Universitäten zur Wehr zu setzen, sich nicht unterkriegen zu lassen und weiterzumachen. An der Wissensformation Trans Studies weiterzuformen. Das macht Trans Studies zu einem gemeinsamen politischen Projekt. Das Buch ist einen langen Weg gegangen. Er hat bereits begonnen, bevor ich überhaupt daran dachte, ein solches Buch zu schreiben. In all diesen Jahren habe ich viele Menschen getroffen, mich ausgetauscht, Neues dazugelernt und Altes bestätigt, Kritik verdaut, Anträge eingereicht, Förderungs absagen und -zusagen bekommen, ich habe mich geärgert und gefreut, war herausgefordert und hatte gemütliche Zeiten ... Vor allem aber habe ich in dieser Zeit viel Unterstützung bekommen. Dafür möchte ich mich ganz herzlich bei allen bedanken, insbesondere bei Vlatka Frketić, Susan Stryker, Lisa Rosenblatt, Katharina Wiedlack, Sigrid Schmitz und dem Team des Referats Genderforschung der Universität Wien, Angela Wenty, meinen Eltern und Geschwistern, allen TransAktivist_innen und Allies dieser Welt, den Organisator_innen und Teilnehmer_innen der Trans Studies Conference in Tucson sowie Nicole Alecu de Flers und Katja Langmaier vom Verlag Zaglossus! Für
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finanzielle Unterstützung beim Schreibprozess danke ich dem Referat Genderforschung der Universität Wien, der Hochschüler*innenschaft der Universität Wien sowie der Österreichischen Hochschüler_innenschaft. Persson Perry Baumgartinger Wien/Berlin im Oktober 2016
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