ZEIT für Unternehmer Ausgabe 4/23

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Nummer 04

Dezember 2023

VIERTAGEWOCHE Weniger arbeiten bei gleichem Lohn: Geht das? Ein Ortstermin in der Provinz

Dann wachse ich eben woanders

Der Standort Deutschland erscheint vielen kaum noch attraktiv, die Angst vor einer Deindustrialisierung wächst. Eine Spurensuche bei Mittelständlern wie Joachim Maier, der in Singen am Bodensee Werkzeuge herstellt und jetzt im Ausland expandiert


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EDITORIAL

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Über dieses Heft Liebe Leserinnen, liebe Leser, steht Deutschland akut vor der Deindustrialisierung? Wir wollten es in unserem Report genau wissen und stellen fest: Nein. Bedrohlich ist die Situation dennoch. Gefährlich scheint vielen auch die Forderung nach der Viertagewoche. Warum setzen manche sie freiwillig um? Schauen Sie mit uns unter die Oberfläche, haben Sie viel Freude beim Entdecken. Ihr »ZEIT für Unternehmer«-Team An dieser Ausgabe haben unter anderem mitgearbeitet:

I M PRE S S UM Herausgeber: Dr. Uwe Jean Heuser Art-Direktion: Haika Hinze Redaktion:

Jens Tönnesmann (verantwortlich); Carolin Jackermeier Autoren: Carolyn Braun, Adrian Breitling, Daniel Erk, Anna Friedrich, Manuel Heckel, Kristina Läsker, Maximilian Münster, Navina Reus, Celine Schäfer, Jan Schulte, Jens Többen Redaktionsassistenz: Andrea Capita, Katrin Ullmann Chef vom Dienst:

Dorothée Stöbener (verantwortlich), Mark Spörrle, Imke Kromer Textchef: Dr. Christof Siemes Gestaltung: Christoph Lehner Titelfoto: Milena Schilling für ZEIT für Unternehmer; Fotos (v. l.): Jens Gyarmaty; Marzena Skubatz; Michael Heck

Infografik: Pia Bublies (frei) Bildredaktion: Amélie Schneider (verantw.),

Daniel Erk hat recherchiert, wie Unternehmer der Gefahr eines Rechtsrucks begegnen

Marzena Skubatz fotografierte für den Beitrag über die Viertage­woche. Sie selbst hat noch keine

Christof Siemes ist Textchef der ZEIT und nimmt auch jeden Beitrag dieses Magazins ab

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Hamburg

Navina Reus Korrektorat: Thomas Worthmann

(verantwortlich) Dokumentation: Mirjam Zimmer

(verantwortlich) Herstellung: Torsten Bastian (verantw.),

Jan Menssen, Oliver Nagel Druck: Vogel Druck und Medienservice GmbH, Höchberg Geschäftsführung: Dr. Rainer Esser Verlagsleitung Magazine: Sandra Kreft, Malte Winter (stellv.) Magazinmanagement: Stefan Wilke Anzeigen: ZEIT Media, www.media.zeit.de Verlagsleitung Marketing und Vertrieb:

Dortmund Altena MelsungenLeipzig Dresden Köln Lennestadt Colditz Herrnhut Geisa Frankfurt

Nils von der Kall Leitung Unternehmenskommunikation und Veranstaltungen:

Silvie Rundel Anzeigenpreise: Sonderpreisliste Nr. 1

vom 1. 1. 2023 An- und Abmeldung

Rust

Feldkirchen Singen

Von Dortmund bis Herrnhut Wo die Firmen ihren Sitz haben, die in dieser Ausgabe vorkommen

Abonnement (4 Ausgaben): www.studiozx.de/events/zfu Verlag und Redaktion:

Zeitverlag Gerd Bucerius GmbH & Co. KG, Helmut-Schmidt-Haus, Buceriusstraße, Eingang Speersort 1, 20095 Hamburg, Telefon: 040/32 80-0, E-Mail: DieZeit@zeit.de



INHALTSVERZEICHNIS

Was Sie erwartet TITELTHEMA

WARUM? „Safety und Security gemeinsam betrachten.“

Viele Unternehmer drohen damit, ins Ausland abzuwandern. Wer geht wirklich?   6–11 Die Deindustrialisierung in Zahlen   12 POLITIK

Der Rechtsruck wird zur Gefahr für die Wirtschaft. Unternehmer positionieren sich   14–19 SCHWERPUNKT INDUSTRIE 4.0 Wer klein denkt, kommt weiter   20–23

So ein Stern schmückt bald wieder viele Fenster. Woher kommt er eigentlich? S. 30

Ein Tag mit Markus Rall, der VR im Mittelstand etablieren möchte   24–27

„Weil Cyberangriffe auf Maschinen die Sicherheit Ihrer Mitarbeiter und Prozesse gefährden.“

For your Safety. Erstklassige Produkte und Dienstleistungen – zugeschnitten auf Ihre Bedürfnisse.

KLIMA-CHECK

Wollen Aktionäre Umweltschutz?   28/29

Sprechen Sie mit uns. Wir automatisieren. Sicher.

FOTOSTORY

In der Herrnhuter Sternen-Fabrik   30–33 CEO Oskar Scholz im Interview   34 IT-SICHERHEIT Fachkräfte richtig ködern   36–39 ARBEITSWELT

Ein Maschinenbauer führt die Viertagewoche ein. Kann das gelingen?   40–45

Sie lassen ihre Leute weniger arbeiten, bezahlen sie aber wie zuvor. Warum? S. 40

Fotos (v. o.): Felix Adler; Marzena Skubatz; Felix Schmitt

NACHFOLGE

Ein Unternehmer verstirbt kinderlos – doch er hat vorgesorgt   48–51 GELD

Warum Familienfirmen sich gegenseitig finanzieren   52/53 NACHHALTIGKEIT

Kann ein Freizeitpark nachhaltig sein? Der Europapark Rust versucht es   54–57 DIE ERFINDUNG MEINES LEBENS

Ein Paar will die unzerstörbare Strumpfhose entwickeln. Läuft die Masche?   58 IMPRESSUM   3

Mit gutem ökologischen Gewissen Achterbahn fahren, geht das? S. 54 Pilz GmbH & Co. KG Telefon: 0711 3409-0 info@pilz.de, www.pilz.de


TITELTHEMA DEINDUSTRIALISIERUNG

Goodbye, Deutschland Umfragen zeigen: Viele Unternehmerinnen und Unternehmer denken darüber nach, ihre Produktion ins Ausland zu verlagern. Verbände warnen vor dem Untergang der Industrie. Doch was geschieht wirklich im Herzen der deutschen Wirtschaft? VO N CA RO LI N JAC KERM EI ER

J

Warum bauen Sie nicht in Deutschland, Herr Maier? Der 56-Jährige muss da nicht lang überlegen. In Singen war zum einen zu wenig Platz. Zum anderen sind in der Schweiz die Gehälter zwar höher, aber die Inflation ist niedriger. Die Bürokratie ist weniger aufreibend, die Bilanzprüfung einfacher, es gibt mehr Fachkräfte. Seit 2014 hat die Schweiz im Gegensatz zu Deutschland außerdem ein Freihandelsabkommen mit China. Deutsche Firmen können die Joachim Maier zeigt auf die grüne Wiese Zollvorteile nutzen, wenn sie in der hinter seiner Fabrik, wo bald eine zweite Schweiz produzieren und Waren von dort Produktionshalle stehen soll. Die Baufläche direkt nach China exportieren. So fallen ist bereits mit Holzstäben abgesteckt. »Bis nicht nur die Zölle weg, sondern Maier kommenden Sommer wollen wir unsere muss auch weniger Papierkram erledigen. Produktionsfläche verdoppeln«, sagt der Der Unternehmer sagt: »Für uns ist es entGeschäftsführer des deutschen Werkzeug- scheidend, wie schnell wir liefern können.« herstellers Wefa. Das klingt nach WachsWährend sein Absatz in Europa zurücktum für die Bundesrepublik, liegt aber geht, boomt der asiatische Markt. So sehr, knapp daneben. Das Gelände von Maiers dass die Wefa-Gruppe ihren Gesamtumsatz Firma befindet sich im schweizerischen dieses Jahr nach eigenen Angaben um fast Thayngen und grenzt direkt an das Grund- zehn Prozent auf nunmehr rund 51 Milliostück des dortigen Zolls. Die deutsche und nen Euro steigern konnte. Trotz Pandemie, die schweizerische Flagge umflattern das Energiekrise, Inflation. Ein Blick in die BiFirmenlogo neben der Einfahrt. Drei von lanz 2021 zeigt, dass der deutsche und der fünf Arbeitstagen verbringt Maier hier, Schweizer Standort ungefähr gleich viel nur 20 Minuten Autofahrt vom Hauptsitz zum Gewinn beitragen – was sich 2024 der Firma in der südbadischen Stadt­ zugunsten der Eidgenossen ändern könnte. Singen am Bodensee entfernt. Seit 2005 produziert Wefa in der Schweiz. Und jetzt Die Angst vor der Deindustrialisierung vergrößert das Unternehmen seine Pro- Wie Maier investieren derzeit viele Unterduktion hier noch einmal. Für rund vier nehmer im Ausland. 2022 seien 125 MilMillionen Euro. liarden Euro mehr Direktinvestitionen aus

Deutschland abgeflossen, als hierzulande investiert wurden, sagt eine Studie des­ Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln. Es ist der stärkste Abfluss der vergangenen 15 Jahre. Der Studienautor Christian­ Rusche sieht darin »ein Warnsignal, dass der Standort an Attraktivität verliert«. Dass heimische Unternehmen international investieren, ist per se nichts Schlechtes. So können sie neue Märkte erschließen und schneller wachsen. Allerdings: Laut einer Umfrage der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) investieren mehr als ein Drittel der befragten Unternehmen im Ausland, um Kosten einzusparen. Vor zehn Jahren war es nur ein Fünftel. Gerade Firmen mit weniger als 500 Beschäftigten nennen dieses­ Motiv – und das so oft wie seit fast 20 Jahren nicht mehr. Also seit der Zeit, in der die britische Wochenzeitung Economist Deutschland den »kranken Mann Europas« nannte. Ist es wieder so weit? Die Interessenvertreter finden: Ja! Christian Vietmeyer, Hauptgeschäftsführer des Wirtschaftsverbandes Stahl- und Metallverarbeitung: »So, wie es jetzt läuft, hängt die Bundesregierung unseren Unternehmen energiepolitische Mühlsteine um den Hals, die uns unter Wasser ziehen.« Christoph René Holler, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands Keramische Industrie: »Die Lage ist nicht ernst, sie ist sehr ernst!«


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Joachim Maier hinterm Zaun: Sein Unternehmen wächst aktuell im Ausland

Foto: Milena Schilling für ZEIT für Unternehmer

Michael Vassiliadis, Vorsitzender der IG Bergbau, Chemie, Energie, im Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland: »Den Exodus der energieintensiven Betriebe können wir uns jedenfalls weder gesellschaftlich noch volkswirtschaftlich oder klimapolitisch leisten.« Abgrund, Ausbluten, Bedrohung, De­ industrialisierung, Gefahr, Exodus, Unter­ gang, Warnsignal, Weckruf: Die Wort­ wahl ist dramatisch. Dabei sind große Standortverlagerungen mit Tausenden ver­ lorenen Jobs die Ausnahme. Die meisten Unternehmen drohen nicht damit, über Nacht ihre Fabriken dichtzumachen, um sie anderswo wieder aufzubauen. Vielmehr planen sie heute die Investitionen von morgen. Sie erweitern eher die Produkti­ onsstandorte außerhalb Deutschlands als daheim, eröffnen Forschungs­ labore jen­ seits der Grenze oder verkaufen Teile ih­ rer Firmen ins Ausland. Anders als vor 20 Jahren kommt die Gefahr schleichend und in kleinen Schritten ins Land, und sie besteht vor allem darin, dass Zukunfts­ technologien am Ende nicht mehr »made in Germany« sind. Wachsen, wo es schneller geht Joachim Maier führt Wefa zusammen mit seinem Bruder in zweiter Generation, das Unternehmen mit 300 Beschäftigten pro­ duziert sogenannte Strangpresswerkzeuge, mit denen sich hochpräzise Bauteile aus


TITELTHEMA DEINDUSTRIALISIERUNG

Milliarden Euro mehr flossen 2022 laut IW aus Deutschland ab, als hierzulande investiert wurden

»Natürlich mache ich mir Sorgen, dass die Industrie bei uns zu Hause als Zugpferd der Wirtschaft wegbricht« Joachim Maier, Wefa

35 Prozent

der Unternehmen gehen in einer Umfrage der KfW davon aus, dass sich ihre internationale Wettbewerbsposition in den kommenden drei Jahren verbessert

Aluminium formen lassen. Sie kommen beispielsweise zum Einsatz, um Wärmetauscher für Klimaanlagen oder Autobatterien herzustellen – auf Märkten mit großem Wachstumspotenzial also, egal ob es um E-Autos oder Kühlgeräte geht. Wefas Werkzeuge sind dank eines speziellen Beschichtungsverfahrens besonders robust. 1998 ließ der Hersteller das Verfahren patentieren, mittler­ weile ist er Weltmarktführer: der Inbegriff eines Hidden Champions. Rund 25.000 Stahlrohlinge werden jährlich in Baden-Württemberg gefertigt, bereits die Hälfte liefert der Mittelständler jährlich nach Thayngen, um sie dort weiterzuverarbeiten. Maier zeigt die auf exakt 23,5 Grad klimatisierte Halle gerne vor, in der die Rohlinge zu Presswerkzeugen werden – fast vollständig automatisiert. Maschinen fräsen, erodieren, schleifen und beschichten die Stahlstücke. Die 27 Mitarbeiter programmieren und warten die Maschinen, überwachen an Monitoren in Glaskabinen, ob alles korrekt läuft, und prüfen die Werkzeuge nach jedem Schritt akribisch. Gut 1000 Quadratmeter misst die Produktionsfläche jetzt, und alle wissen: Im nächsten Jahr sollen weitere 1000 Quadratmeter dazukommen. Was für Wefa dabei keine große Rolle spielt: die Energiekosten. Das macht die Firma fast schon zu einer Ausnahme. Gerade Firmen aus der Chemiebranche klagen über die hohen deutschen Preise für Strom, Gas, Öl und bauen neue energie­intensive Technologien lieber im Ausland auf.

schaftsministerium fördert die Anlage, Tschentscher nennt sie ein »wichtiges Projekt für den Klimaschutz und die Energiewende in Deutschland« und betont die »In­no­va­ tions­kraft der Industrie in Hamburg«. Ein Jahr später ist klar: Die kommerzielle Produktion soll nicht in Hamburg statt­ finden. »Mit den derzeitigen Rahmenbedingungen ist es für uns nicht wirtschaftlich, in Deutschland in Power-to-Liquid-Kapazitäten zu investieren«, sagt Detlev Wösten, der Geschäftsführer von P2X. Die Energie­ kosten seien einfach zu hoch im Vergleich zum Ausland. »Wir sprechen hier nicht von ein paar Prozent, sondern von zwei- bis dreifach so hohen Stromkosten – selbst im europäischen Vergleich«, sagt er. Stattdessen plant er, die gesamte Wertschöpfungskette in Spanien und Portugal aufzubauen. Deutschland entgehen damit pro Anlage Investitionen im kleinen bis mittleren dreistelligen Millionenbereich, und das in der zukunftsträchtigen Klimatechnik. Wösten ist sich sicher: Wenn die Energiekosten in Deutschland nicht sinken und Baugenehmigungen nicht schneller erteilt werden, baue sich die Wirtschaft »sukzessive selbst ab«. Die Stimmung ist am Boden. Laut einer Umfrage des Bundesverbands mittelständischer Wirtschaft denkt jedes vierte Unternehmen darüber nach, abzuwandern. Und das KfW-Ifo-Mittelstandsbarometer vermeldete im August den niedrigsten Wert seit Beginn der Energiekrise im Herbst 2022. Aber was ist mit der Realität? »Die tatsächliche Lage ist deutlich besser als die Pilotanlage hier, Serienproduktion Stimmung«, sagt Fritzi Köhler-Geib, Chefim Ausland volkswirtin der Förderbank KfW. Laut akEs ist ein feierlicher Moment, als Hamburgs tuellen Zahlen der KfW geht die Hälfte der Bürgermeister Peter Tschentscher im Sep- mehr als 2000 befragten Mittelständler datember 2022 im Hafen ein blaues Band von aus, die Stellung im internationalen durchtrennt – darauf das Logo des Chemie- Wettbewerb in den nächsten drei Jahren unternehmens H&R. Zusammen mit dem halten zu können. Rund ein Drittel erwartet Kraftstoffspezialisten Mabanaft hat es ein sogar Besserung. »Die Energiekosten fallen Joint Venture namens P2X gegründet, um dabei weniger stark ins Gewicht, als man klimaneutrale Grundstoffe für die chemi- auf Basis der öffentlichen Diskussion versche Industrie und Kraftstoffe herzustellen. muten könnte«, sagt Köhler-Geib. Für rund Nun eröffnen Tschentscher und vier weitere ein Viertel der Firmen sind die EnergiekosMänner in dunklen Anzügen eine Pilot­ ten irrelevant. Sorge bereiten den Firmen die anlage, die viel Zukunft verspricht: Sie soll Bürokratie (48 Prozent), Steuern und Ab­ Paraffin aus grünem Wasserstoff und­ gaben (34 Prozent) und die Umwelt- und Kohlendioxid herstellen. Das Bundeswirt- Klima­schutzbestimmungen (26 Prozent).

Foto: Milena Schilling für ZEIT für Unternehmer

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24 Prozent der Unternehmen geben laut KfW an, die Energiekosten seien für sie im internationalen Wettbewerb irrelevant

Detlev Wösten ist der Chef des Klimatechnik-Unternehmens P2X. Als es seine Pilotanlage in Hamburg einweihte, sollte das die In­no­va­tions­kraft der Industrie in der Hansestadt verkörpern. Die kommerzielle Produktion soll nun aber in Spanien und Portugal stattfinden. Ein Grund: die hohen Energiekosten in Deutschland

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Prozent der deutschen Industrieunternehmen planten laut DIHK 2023 im Ausland zu investieren. 2022 waren es 44 Prozent

Auch die gestiegenen Baukosten fallen ins Gewicht – vor allem in unsicheren Zei­ ten, in denen sich nur schwer berechnen lässt, wann sich Projekte bezahlt machen. Der niedersächsische Papierhersteller Varel hat deswegen bekannt gegeben, dass er die geplante Produktionshalle in Wilhelms­ haven doch nicht bauen werde. Aber ins Ausland will er deswegen noch lange nicht. Man fühlt sich »regional verwurzelt« mit dem einzigen Standort im gleichnamigen Städtchen Varel. »All unser Augenmerk ist auf die Attraktivität des Standortes Deutsch­ land gerichtet«, teilt das Unternehmen mit. Das Beispiel zeigt: In Umfragen mögen viele Mittelständler damit drohen, abzuwan­ dern – in der Realität zögern sie meistens. Während Anfang 2022 noch 44 Prozent der Industriebetriebe im Ausland investieren wollten, waren es laut DIHK zu Jahresbeginn 2023 drei Prozentpunkte weniger. Dass In­ vestitionen in Deutschland zurückgehalten werden, heißt also nicht automatisch, dass sie im Ausland stattfinden. Es herrscht halt Konjunkturkrise. Ein Verkauf als letzter Ausweg Hinzu kommt: Gerade für kleine und mittel­große Firmen ist es teuer, Produktions­ standorte im Ausland aufzubauen. Unter­ nehmer müssen Märkte analysieren und Lieferketten aufbauen, was Transport- und Zollkosten verursacht. Zudem können bei Wegzug hohe Steuern anfallen, wenn das Verlagern ins Ausland einem fiktiven Ver­ kauf gleichgestellt wird. »Viele Unterneh­ men, die noch nicht international tätig sind, sind an Deutschland gebunden«, sagt Uwe Rittmann, »ihnen fehlt die Finanz­ kraft, einfach auf einen anderen Kontinent zu gehen.« Also werde im Zweifel verkauft. Rittmann, Experte für Familienunter­ nehmen bei der Unternehmensberatung PwC, sagt, er habe aktuell so viele Verkaufs­ mandate wie noch nie. Wer jetzt an die Viessmanns dieser Welt denkt, die ihre Klima­ techniksparte für zwölf Milliarden Euro in die USA verkauft haben, liegt falsch. »Die meisten verkaufen nicht wegen eines attraktiven Deals, sondern weil ihnen nichts anderes übrig bleibt«, sagt Rittmann. Und das auch ins Ausland: Vor allem für klassi­

sche Industrieunternehmen aus dem Ma­ schinenbau oder der Automobilindustrie gibt es laut PwC überwiegend ausländische In­ teressenten. Für moderne Zukunftsbranchen würden sich nationale und internationale Investoren gleichermaßen interessieren. Efficient Energy hat in der Vergangenheit vieles richtig gemacht. Das Clean-Tech-­ Unternehmen aus Feldkirchen bei München hat Klimaanlagen entwickelt, die mit Lei­ tungswasser statt mit klimaschädlichen Treibhausgasen kühlen. Mit dieser Zu­ kunftstechnologie wollte das Unternehmen ein globales Problem lösen: Kühlungsanla­ gen sind für 1,7 Prozent der Treibhausgase verantwortlich. Die EU möchte F-Gase aus der Klimatechnik verbannen, Unternehmen müssen langfristig also umsteigen. In den vergangenen 14 Jahren meldete Efficient Energy 200 Patente an, sammelte knapp 100 Millionen Euro von bekannten Geld­ gebern ein und fand namhafte Kunden: Siemens, Gardena, Trumpf. Die Firma wollte schon mit der Serien­ produktion starten. Doch googelt man das Unternehmen heute, leuchtet einem in roten Buchstaben entgegen: »Dauerhaft geschlos­ sen«. Efficient Energy musste im Juni dieses Jahres Insolvenz anmelden. Jetzt rollen in Feldkirchen Lkw an und verladen das Labor­equipment; die knapp 100 Mitarbeiter räumen ihre Büros. Ein aussichtsreiches Unternehmen weniger am Standort Deutschland. Und ein Projekt mehr, das im Ausland umgesetzt wird. Die Lastwagen fahren nach Italien und in die Slowakei. Der Insolvenzverwalter Matthias Hoff­ mann hat sämtliche Patente an eine italieni­ sche Tochtergesellschaft des amerikanischen Vertiv-Konzerns verkauft. Georg Dietrich, der scheidende Chef von Efficient Energy, möchte nichts dazu sagen. Aber eine Presse­ mitteilung zitiert ihn mit den Worten: »Wir gehen fest davon aus, dass diese Technologie noch eine lange Zukunft vor sich hat.« Warum nicht in Feldkirchen? Die Suche nach den Gründen führt zum Starinvestor Thomas Strüngmann, der zu­ sammen mit seinem Bruder Andreas zum Beispiel am Impfstoffpionier BioNTech be­ teiligt ist. Zusammen haben die beiden den

Foto: dpa/Picture-Alliance

TITELTHEMA DEINDUSTRIALISIERUNG


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Generika-Hersteller Hexal aufgebaut und für mehrere Milliarden Euro verkauft. An Efficient Energy waren sie über ihr FamilyOffice zuletzt mit 63 Prozent beteiligt. Auf Anfrage gibt sich Thomas Strüngmann wortkarg und verweist auf Michael Motschmann, den Chef der MIG Capital AG, die ebenfalls bei Efficient Energy investiert hatte. Der antwortet, das Start-up habe noch einen weiten Weg vor sich gehabt. Daher habe man lange nach einem strategischen Investor gesucht, mit dem man die Technologie in großem Maßstab hätte herstellen können. Im Frühjahr sei ein Interessent »unerwartet« abgesprungen. »Wir sind uns relativ sicher, dass das unsichere wirtschaftliche Marktumfeld und die schwer vorhersehbare Gesamtlage bei diesem Strategen letztendlich dazu geführt haben, dass er Vorsicht mit dem eigenen Cash walten lassen wollte und sich deshalb gegen ein Investment entschieden hat«, teilt Motschmann mit.

Deindustrialisierung Der Begriff der Deindustrialisierung beschreibt einen Prozess, der in Deutschland in den 1970er-Jahren einsetzte: Die industrielle Produktion verlor volkswirtschaftlich an Bedeutung, während der Dienstleistungssektor wuchs. 1973 vervierfachte ein Ölembargo der Opec die Ölpreise, die Inflation in Deutschland lag bei sieben Prozent. Große Teile der Schwerindustrie wanderten in Schwellenländer ab. Von 1980 bis 1985 wuchs die Zahl der Arbeitslosen in Westdeutschland von 889.000 auf 2,3 Millionen. Die aktuelle Energiekrise schürt die Angst, dass sich ein solcher Abschwung wiederholt

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Bei dem Strategen erfährt man, dass die »Risiken in diesem Marktfeld für uns größer als die Chancen« gewesen seien. Dem Insolvenzverwalter blieb nur der Verkauf der Technologie. Warum Vertiv die übernommen hat, sich aber gegen den Standort entschied, dazu schweigt der Konzern. Nur so viel: »Wir freuen uns darauf, die Technologie in unsere Produkte einzubauen.« Die Geschichten zeigen: Abwanderung kann auch indirekt stattfinden, indem ausländische Firmen deutsche Patente kaufen oder Firmen neue Projekte gleich im Ausland aufbauen. Gleichzeitig ist nicht jede Investition im Ausland ein Abschied. »Wir wollen definitiv in Deutschland bleiben«, sagt etwa Joachim Maier von Wefa. Er werde weiterhin auch hier investieren. Dann schiebt er noch einen Satz hinterher: »Aber natürlich mache ich mir Sorgen, dass die Industrie bei uns zu Hause als Zugpferd der Wirtschaft wegbricht.«


TITELTHEMA DEINDUSTRIALISIERUNG IN ZAHLEN

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Zugpferd Industrie? Die Angst vor einer Deindustrialisierung wächst. Aber auf welcher Basis? Vier Fakten über die ökonomische Bedeutung der deutschen Industrie VO N CA RO LI N JAC KERMEI ER 1. Das produzierende Gewerbe steuert rund ein Viertel zur jährlichen Wirtschaftsleistung Deutschlands bei. Die setzt sich so zusammen:

Dienstleistungsbereiche

69 %

Produzierendes Gewerbe ohne Baugewerbe

Land- und Forstwirtschaft, Fischerei

24 % 6%

41 %

1%

3. Der Anteil der Erwerbstätigen in der Industrie ist zuletzt nur geringfügig geschrumpft. So verteilen sich die Beschäftigten insgesamt:

75 % 24 %

sind im produzierenden Gewerbe (sekundärer Sektor) tätig und …

24 13

24 % 6%

aller Erwerbstätigen in Deutschland arbeiten laut Statistischem Bundesamt im Dienstleistungsbereich (tertiärer Sektor)

41

25

21

17

4. Der Anteil der deutschen Industrie an der Bruttowertschöpfung ist seit fast 20 Jahren konstant. So hat sie sich entwickelt:

75 %

32 %

1% in der Land- und ­Forstwirtschaft oder Fischerei (primärer Sektor)

43 % 25 %

24 % 1% 1950

2022 Land- und Forstwirtschaft sowie Fischerei Produzierendes Gewerbe Dienstleistungen und Sonstiges

In den vergangenen 50 Jahren hat sich die Bedeutung der deutschen Industrie deutlich verschoben. Während 1970 fast die Hälfte aller Erwerbstätigen im produzierenden Gewerbe arbeitete, ist es 2023 noch knapp ein Viertel. Auch zur deutschen Bruttowertschöpfung trägt der Sektor rund ein Viertel bei. Aber, und das ist wichtig: Viele Jobs im Dienstleistungsbereich hängen mittelbar von der Industrie ab.

ZEIT-Grafiken: Pia Bublies (Quelle: Destatis)

Baugewerbe

2. Die Industriequote liegt damit über dem EU-Schnitt von 20 Prozent. So hoch ist sie laut Eurostat in anderen Ländern:


Wer groß denkt, übersieht keine KLEINIGKEIT.

Mirja Viertelhaus-Koschig, Vorstandsvorsitzende

Nachhaltig Mobilität sichern. #DasIstMirWichtig Bei der VIEROL AG hat man einen Blick für die Chancen nachhaltiger Mobilität. Das Familienunternehmen aus dem hohen Norden liefert mehr als 50.000 Fahrzeugteile in über 125 Länder. Die Sustainable Finance Experts der HypoVereinsbank tragen mit innovativen Tools wie dem ESG Branchenbarometer dazu bei, dass das Unternehmen auch in Zukunft auf der Überholspur bleibt.

hvb.de/vierol


POLITIK HALTUNG

Bunte Flagge zeigen Der Rechtsruck in Deutschland ist längst auch ein Problem für die Wirtschaft: Er schadet dem Image und verschreckt internationale Fachkräfte. Das zwingt Unternehmerinnen und Unternehmer, sich zu positionieren. Zum Beispiel in Sachsen VO N DA NI EL ERK

Wie beiläufig flattert die einsfünfzig mal fünf Meter lange Pride-Fahne vor den Werktoren am Rande der Dresdner Innenstadt: in der oberen Hälfte die Farben des Regenbogens, darunter vier Streifen in Schwarz, Braun, Hellblau und Rosa; Farben, die für Schwarze, People of Color, Transmenschen und Betroffene von HIV/Aids stehen. Ganz unten: das Logo des britischen Pharmakonzerns Glaxo­Smith­­K line. Diese knapp acht Quadratmeter Stoff wären wohl nicht weiter erwähnenswert, wehten sie in Köln, Hamburg oder Berlin – und nicht in der Landeshauptstadt Sachsens. Dresden gilt, spätestens seit vor fast zehn Jahren die ersten Pegida-Märsche durch die Altstadt zogen, als die Stadt in Deutschland, in der sich die Wut gegen Vielfalt und Offenheit und das Selbstbewusstsein der Minderheiten zuerst artikulierte. Gerade mal 750 Meter sind es von Glaxo­Smith­ Kline bis zum Dresdner Neumarkt, auf dem die rechtsextremen Montagsdemonstrationen von Pegida oftmals endeten. In politischen Distanzen: ein Steinwurf.

W

Man sieht es auch an den Zahlen: Bei den letzten Landtagswahlen, 2019, erhielt die in Teilen rechtsextreme Alternative für Deutschland (AfD) in Sachsen bereits über 28 Prozent der Stimmen. Und gerade erst hat die Partei sogar bei den Landtagswahlen in Hessen und Bayern deutliche Zuwächse verbucht. Für nächstes Jahr sehen die­ Prognosen noch düsterer aus. Dann wird nicht nur in Sachsen, sondern auch in Brandenburg und Thüringen ein neuer Landtag gewählt; außerdem steht die Europawahl an. Jacqueline Schönfelder, 50, trägt ihre Schlüsselkarte an einem Regenbogenband um den Hals. Sie ist Standortleiterin des Dresdner Werks von Glaxo­ Smith­ K line (GSK). Und unbeirrt. »Es war nicht so, dass wir einen Fahnenmast übrig hatten und nicht wussten, was wir da aufhängen sollen«, sagt sie selbstbewusst, »natürlich möchten wir mit der PrideFlagge ein Zeichen setzen.« Ein Zeichen für die gut 800 Beschäftigten bei GSK. Und eines in Richtung Staatskanzlei und Rathaus: Es gibt in Dresden nicht nur Pegida.


Foto: Felix Adler für ZEIT für Unternehmer

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Dass nur wenige Unternehmen so Flagge zeigen wie GSK, sagt viel aus: über Dresden – und auch über die politische Lage in Deutschland insgesamt. Jacqueline Schönfelder, geboren in Weimar, aufgewachsen in Berlin, ist eigentlich gelernte Pharmazeutin. Bei GSK liegt ihr Fokus auf den Lieferketten, Pro­duk­tions­be­din­gun­ gen, Energiepreisen, nicht Kam­ pagnen. Im Dresdner Werk von GSK werden Impfstoffe gegen Grippe, Hepatitis und Gebärmut­ terhalskrebs hergestellt und nicht politische Haltungen. Und eigent­ lich, das sagt Schönfelder selbst, ist das ein unpolitisches Geschäft, in einem Unternehmen, das sich als überparteilich versteht. Aber so, wie sich die politische Lage in Sachsen, im ganzen Osten und zunehmend auch im Westen des Landes entwickelt, stellt sich nicht nur für GSK, sondern für viele Unternehmen in Deutschland die Frage: Sollen sie dem politischen Rechtsruck öffentlich entgegentreten? Und wenn ja: wie? Es gibt vieles, was die Unternehmen zwingt, sich zu positionieren. Die gesell­ schaftspolitische Verantwortung, aber auch wirtschaftliche Gründe. Denn der Aufstieg der AfD könnte den Abstieg des Landes bedeuten. Eine Studie des arbeitgebernahen Insti­ tuts der Wirtschaft (IW) aus dem September zeigt, dass 85 Prozent der Chefinnen und Chefs von Arbeitgebern und Wirtschafts­ verbänden die AfD als hohes Risiko für handlungsfähige Regierungen auf Landes­ ebene betrachten. 81 Prozent halten die Partei für ein hohes Risiko für eine kon­ struktive politische Kultur in Deutschland. 68 Prozent sehen in ihr ein hohes Risiko für Fachkräftesicherung. Immerhin 62 Prozent sehen in der AfD auch ein hohes Risiko für den Bestand von Europäischer U ­ nion und Euro – und damit für den Binnenmarkt, von dem Deutschlands Wirtschaft seit Jahr­ zehnten profitiert. Und wenn Unternehmen etwas minimieren wollen, dann Risiken.

»Unsere Firmenkultur umfasst prinzipiell Weltoffenheit und Toleranz. Das proklamieren wir nicht nur, das leben wir auch« Jacqueline Schönfelder, GlaxoSmithKline

Für GSK, sagt Schönfelder, seien die Flagge und das innerbetriebliche Engagement für Demokratie und Weltoffenheit aber kein Kalkül, etwa um internationale Fachkräfte nach Dresden zu locken oder um den innerbetrieblichen Frieden zu wahren, für den die AfD laut IWStudie in den Augen der Führungs­ kräfte eine Gefahr darstellt. Der Standort sei attraktiv, die Personal­ lage gut, sagt Schönfelder. Das Werben für Weltoffenheit sei für GSK keine Frage der Strategie. Sondern eine der Haltung. »Wir gehören zu einem briti­ schen Unternehmen, unsere Unter­ nehmenskultur umfasst prinzipiell Weltoffenheit und Toleranz«, sagt Jacqueline Schönfelder. »Das pro­ klamieren wir nicht nur, das leben wir auch.« Es fange mit einfachen Maßnahmen an: Alle Mitarbeite­ rinnen und Mitarbeiter bei GSK würden einmal im Jahr in Sachen Diversität und Inklusion geschult, erzählt sie. In Gruppen werde au­ ßerdem Jahr für Jahr gemeinsam ein Thema erarbeitet, zuletzt: Demokratie. Die Wah­ len 2024 werde GSK aktiv begleiten, sagt Schönfelder. Unter anderem sei eine Kam­ pagne zur Steigerung der Wahlbeteiligung angedacht. Das Unternehmen, aber auch Schönfel­ der selbst ist Mitglied in einem Verein na­ mens »Wirtschaft für ein weltoffenes Sach­ sen«, der genau das vorhat: seine Kontakte und seinen Einfluss in Politik und Wirtschaft nutzen, um die demokratischen Kräfte im Land so gut zu stärken wie irgend möglich. Und sei es mit einer schlichten Flagge. Gut 80 Kilometer westlich von Dresden, im kleinen Örtchen Colditz im Muldetal, wehen keine Flaggen. Die Werke 2, 2b und 3 von Anona im Gewerbegebiet Flurteil Eule thronen schlicht und schmucklos über dem Ort: zwei silberne und mintgrüne Hallen mit dem roten Schriftzug der Firma. Der Betriebswirt Matthias Dietzsch, 49, und der Ingenieur Wolfram Strauch, 57, sind die Chefs von Anona, auch wenn ihr Outfit eher kumpelhaft wirkt: Strauch trägt


eine Schirmmütze, Dietzsch ein lockeres T-Shirt unter dem Jackett. Nun führen sie in den Besprechungsraum von Anona: keine Insignien von Macht oder Wohlstand, lediglich weiße Tische, an der Wand der Claim der Firma. Er lautet: »Der Nahrungsmacher«. Die »modernste Mehr­ schicht­ riegel­anlage Europas« soll sich hier befinden, doch die Firma dürfte dennoch nur ausgewiesenen Insidern bekannt sein – Anona produziert im eigenen Namen lediglich Softeis, das durch seine DDR-­ Vergangenheit im Osten des Landes eine gewisse Bekanntheit behalten hat. Im Großteil der Werkhallen aber werden Diät­shakes, Vitaminpulver, Energyshots und Proteinoder Eiweißriegel hergestellt, für Drogerieketten, Supermärkte oder in Zusammenarbeit mit Fitness-­ Influencern. Während der SED-Diktatur wurden im damaligen VEB Nährmittelwerk Colditz noch Weizengrütze, Fertigteige für Windbeutel, Puddingpulver und eben Anrührmasse für Softeis hergestellt. Produkte, die nach der Wiedervereinigung sehr schnell aus den Regalen verschwanden. Am Ende des Niedergangs blieben, salopp formuliert, neben dem Softeis nur 30 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die überlegten, was man mit der Expertise in Sachen Pulver und Fertigprodukten noch anfangen könnte. Seit etwas mehr als zehn Jahren hat Anona nun das umgekehrte Problem: Seit die Firma sich auf Diät- und Sportnahrungsmittel spezialisiert hat, wächst und wächst und wächst sie. Waren es 2012 noch 297 Angestellte, sind es dieses Jahr schon gut 600. Die nächste, noch modernere Produktionsstraße für Fitnessriegel wird bald aufgebaut. Das bedeutet auch: Dietzsch und Strauch brauchen mehr Leute, dringend. Auf der Fir­men­web­site sind diverse Stellen ausgeschrieben – für Mechatroniker, Anlagenfahrer, Prozessingenieure. Ein Jobangebot hat eine Überschrift, mit der sich jeder angesprochen fühlen darf:

»Wir leben in der Firma Integration« Wolfram Strauch (links im Bild)

»Wir versuchen, mit den Leuten im Gespräch zu bleiben und darzulegen, warum Weltoffenheit nicht nur gut ist, sondern auch wichtig« Matthias Dietzsch (rechts im Bild)

»Quereinsteiger«. Klickt man es an, findet sich mehr Text unter dem Punkt »Was wir bieten« als unter »Was dich auszeichnet«. Weil nämlich auch in Sachsen die Arbeitslosigkeit nur noch bei knapp sechs Prozent liegt und es in der Region kaum noch qualifizierte Menschen ohne Job gibt, hat Anona keine andere Wahl, als weltoffen zu sein. Und mit Anona, dem größten Arbeitergeber vor Ort, muss auch Colditz diese Weltoffenheit lernen. Das wird nicht einfach. Denn auch wenn das in den nach Schokolade duftenden Hallen von Anona oder mit Blick über die pittoreske Stadt mit dem hübschen Schloss schwer vorstellbar ist: Colditz ist kein Ort, dem der Ruf der Unvoreingenommen vorauseilt. Spätestens seit den 2000ern galt die Stadt in der Region als Hochburg gewalttätiger Rechtsextremisten. Ein Gasthof vor den Toren der Stadt fungierte als Konzertsaal und Schulungszentrum für Neo­ nazis, 2008 zogen von dort knapp 100 Rechts­ extre­mis­ten durch den Ort und zerstörten ein Elektrofachgeschäft und einen Dönerladen. Während der Proteste gegen die Corona-Schutzmaßnahmen fanden auch in Colditz Demonstrationen statt, hier aber marschierte die militante Neo­nazi­par­tei Der Dritte Weg mit. Der MDR berichtete in diesem Jahr ausführlich über ein kriminelles, rechtsextremes Netzwerk rund um eine Holzhändlerfamilie im Ort, von dem immer wieder Hass und Gewalt ausgingen – bis die Polizei den Betrieb im Frühjahr 2023 mit 200 Leuten durchsuchte und neben Waffen 5,5 Kilogramm Crystal Meth im Wert von einer halben Million Euro, eine Cannabisplantage mit rund 2600 Pflanzen und 32.000 Euro in bar beschlagnahmte. Dem rechtsextremen Clan wird seit August der Prozess gemacht, doch der Ruf des Ortes ist weiterhin ramponiert. Nach Berichten des MDR soll es bei einem Stadtfest im Mai auch zu Hitler­ grüßen gekommen sein. Und die Tagesschau schrieb: »Die Angst in Colditz bleibt.«

Foto: Felix Adler für ZEIT für Unternehmer

POLITIK HALTUNG


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Für Dietzsch und Strauch ist das natür­ lich ein Problem. 75 der aktuell 600 Mitar­ beiterinnen und Mitarbeiter von Anona sind nicht in Deutschland geboren, viele kommen aus Polen, aber auch syrische und ukraini­ sche Geflüchtete arbeiten hier. Anona hat gute Erfahrungen damit gemacht, dass es seit zwei Jahren außerdem Auszubildende direkt in Viet­nam rekrutiert, weil es »für uns als Unternehmen zunehmend schwieri­ ger wird, genügend Auszubildende zu rekru­ tieren, die auch bereit sind, im Dreischicht­ system zu arbeiten«, wie Dietzsch erzählt. Mit Flaggen und Haltung, sind Dietzsch und Strauch überzeugt, richtet man in Städten wie Colditz wenig aus. »Wir versuchen, mit den Leuten hier in der Region im Gespräch zu bleiben und dar­ zulegen, warum aus unserer Sicht Welt­ offenheit für Colditz nicht nur gut ist, sondern auch wichtig«, sagt Dietzsch. Seine Haltung ist: Toleranz wird nicht kommu­ niziert, sondern praktiziert.

»Wir leben in der Firma Integration«, ergänzt Strauch. Ein Beispiel: Die Behör­ den verwiesen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Anona auf Sprachkurse in Leipzig. Aber Leipzig ist mit Bus und Bahn eineinhalb Stunden entfernt. Also küm­ merte sich Anona eben selbst um die Fort­ bildungen, auf eigene Kosten. »In der Zu­ sammenarbeit merken die Leute, wie moti­ viert und zuverlässig die Menschen sind, die nach Deutschland kommen«, glaubt Wolfram Strauch. Es gebe bei Anona Eri­ treer, die in ihrem Team am »besten per­ formen«. Das hilft, Zweifel und Vorurteile abzubauen. Wie GSK aus Dresden ist auch Anona Mitglied bei »Wirtschaft für ein weltoffenes Sachsen«. Die Gefahr des Rechtsrucks? Se­ hen Dietzsch und Strauch natürlich auch. Gleichzeitig haben sie in Colditz gelernt, wie man unter widrigen Bedingungen die Fahne für Weltoffenheit hochhält: mit Pragmatismus.

Nur: Was können Unternehmen tun, wenn sich durch den Rechtsruck nicht bloß die Lage in ihrem Betrieb verschlechtert – sondern gleich im ganzen Land? Sylvia Pfefferkorn blickt von ihrem Büro auf die Königstraße, die quer durch die­ Innere Neustadt von Dresden verläuft. An einem Ende die imposante Elbe, am anderen Ende die linksalternative Äußere Neustadt, das Kneipenviertel Dresdens. Wenn es je­ manden gibt, der weiß, was Unternehmen tun können, um dem Rechtsruck in Sachsen und Deutschland etwas entgegenzusetzen, dann sie. Pfefferkorn, 59, ist seit 2016 stellvertre­ tende Vorstandssprecherin und Leiterin der Geschäftsstelle des Vereins »Wirtschaft für ein weltoffenes Sachsen«. In ihrem Büro lehnt, neben einem Roman des Schriftstel­ lers Dmitrij Kapitelman, einem Buch über »politische Bildung in reaktionären Zeiten« und einem Sammelband über die Lausitz im Wandel, eine Postkarte »gegen Nazis« an

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POLITIK HALTUNG

»Hauptsache, am Ende ist klar: Demokratie schneit nicht vom Himmel. Wir müssen alle was dafür tun« Sylvia Pfefferkorn vom Verein »Wirtschaft für ein weltoffenes Sachsen«

Männer in Thor-Steinar-Klamotten«, erzählt Pfefferkorn. »Da habe ich mich schon gefragt: Merken die Führungskräfte das nicht selbst?« Trotzdem – oder gerade deswegen – ist Sylvia Pfefferkorn überzeugt, dass es in Zeiten wie diesen die Unternehmerinnen und Unternehmer sein müssen, die sich um Demokratie und Weltoffenheit bemühen. Je länger man Pfefferkorn zuhört, wie sie von Workshops und Demokratie erzählt, desto mehr entsteht der Eindruck, dass es überhaupt keinen anderen Ort mehr gibt, an dem so nachhaltig und substanziell für Pluralismus und Vielfalt geworben werden kann wie am Arbeitsplatz. Was Pfefferkorn skizziert, klingt wie ein trauriges Reise-nach-­ Jerusalem-Spiel: Die Kirchen, die Parteien, die Vereine, sogar die Fernsehsender, quasi alle Gemeinschaften, über die man Menschen in der Vergangenheit emotional, moralisch und politisch erreichen konnte, sind entweder bedeutungslos oder diskreditiert. Einfach weg. Gegen die Macht ideologisch aufgepeitschter Whats­App- oder Telegram-Gruppen, sagt Pfefferkorn, gebe es letztlich nur einen Ort, an dem man diese Menschen noch erreiche: die Kan­ tinen und die Arbeitsplätze in den­ Unternehmen. Dazu kommt: Im selben Maß, wie Unternehmen als Ort der Bildung und Begegnung wichtiger werden, werden sie auch als gesellschaftliche Kräfte wichtiger. Als Kräfte, die nach innen und außen Werte und Haltungen kommunizieren und letztlich, ob sie wollen oder nicht, daran mitwirken, dass der Keil, den ideologische Hetze in die Gesellschaft zu treiben versucht, nicht zur zentralen, zur einzigen Kraft wird. Natürlich ist es nicht damit getan, eine Flagge vor das Werktor zu hängen, die Weltoffenheit verspricht. Aber es ist ein Anfang. Und noch dazu einer, der sich leicht nachahmen lässt.

Foto: Felix Adler für ZEIT für Unternehmer

einer Flasche V ­ euve Clicquot. Bis vergangenes Jahr hat Pfefferkorn eine eigene Werbeagentur geleitet, mittlerweile aber hat sie sich ganz dem Verein verschrieben – zu tun gibt es genug. Genauer gesagt: immer mehr. »Noch vor zwei Jahren war das überhaupt nicht so, da haben wir unser Programm wie Sauerbier anbieten müssen«, sagt Pfefferkorn und reicht »Heimatkuchen« aus dem benachbarten Café. Bei der Gründung des Vereins vor sieben Jahren habe man gerade so das­ Minimum an notwendigen Mitgliedsunternehmen zusammenbekommen. »Und das waren schon diejenigen, die sich am meisten Sorgen um Sachsen gemacht haben, weil das ex­port­orien­tier­te Unternehmen waren, die im Ausland­ gefragt wurden: Wer schraubt eure Produkte da eigentlich zusammen?«, erzählt Pfefferkorn. Mit der politischen Lage, sagt sie, habe sich auch das geändert. Heute kämen viele Unternehmen mit konkreten Anliegen auf den Verein zu: Könnt ihr einen Workshop abhalten, der erklärt, was Landräte so machen? Seminare zu Rassismus? Das Prinzip »Kein Umsatz mit Extremisten« erläutern? Oder unseren Azubis erklären, wie man sich eigentlich­ zivilgesellschaftlich engagiert? Der Verein, sagt Pfefferkorn, gehe da gerne auf die konkrete Situation ein. »Hauptsache, am Ende ist klar: Demokratie schneit nicht vom Himmel. Wir müssen alle was dafür tun.« Auch wenn die Coaches des Vereins dabei bisweilen von ganz, ganz vorne anfangen müssen. Vor ein paar Jahren, erzählt Pfefferkorn, habe »Wirtschaft für ein weltoffenes Sachsen« bei einem der größten Arbeitgeber der Region ein Großprojekt durchgeführt. Dabei habe man alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter »bis runter ans Fließband« geschult. »Und das Erste, was wir sahen, als wir zur ersten Veranstaltung aufs Betriebsgelände kamen, war eine Fünfergruppe

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Können solche Etiketten und Drähte lernen, mit Maschinen zu kommunizieren?

Denken Sie klein! Das Schlagwort »Industrie 4.0« feiert Zehnjähriges, aber der Mittelstand ist eher ernüchtert. Dabei gibt es ein Erfolgsrezept, das manche Unternehmer vor lauter Buzzwords leicht übersehen VON MANUEL HEC KEL

Es ist schon Wehmut dabei, wenn Bernd Falz von seiner Idee erzählt, die seinen Drahtwerken den Weg in die Zukunft geebnet hat – bis sie zu einem Auslaufmodell wurde. Anfang der Neunzigerjahre hat der Unternehmer selbst jene Software geschrieben, über die in seinen beiden Drahtwerken sämtliche Aufträge abgewickelt wurden, von der Bestellung bis zur Lieferung. Im vergangenen Jahr hat er die Anwendung in einem der beiden Werke abgeschaltet. Im anderen Werk soll der Wechsel auf das neue zentrale Ablauf- und Betriebsprogramm – kurz: ERP – in diesen Tagen folgen. »Die Technik entwickelt sich weiter, meine ITKenntnisse leider nicht mehr«, sagt Falz. Sein Bruder Holger, mit ihm in der Geschäftsführung des Familienbetriebs in Altena, hatte auf eine Modernisierung gedrängt. Eine, die mehr Zukunft verspricht. Mehr Zukunft für ein Unternehmen mit viel Vergangenheit. Seit fast 300 Jahren wird hier im Sauerland Draht gezogen; die beiden Werke heißen Claas und Klincke, benannt nach den Familien, die 1738 und 1837 damit angefangen haben. Aber Tradition allein reicht nicht, es braucht Innovation. Die Software von Bernd Falz erfasst nämlich nur, von welchem gigantischen Stahlring der Draht stammt. Aber sie ist blind dafür, welche Stationen er auf dem Weg von der Rolle bis zum Versand durchläuft. Mit der neuen Software wird jeder Arbeitsschritt digital erfasst, und einzelne Drähte lassen sich mittels Etikett während der Produktion nachverfolgen. Die Stationen sind nun mit industrietauglichen PCArbeitsplätzen ausgestattet. »Man kann so jederzeit sehen, was in den Schritten vorher passiert ist«, sagt Falz. Das ist wichtig, falls Kunden sich beschweren. Falz’ Leute können schneller herausfinden, wo Fehler in der Prozesskette entstanden sind – ob vor Ort im Draht- oder schon im Stahlwerk. »Die digitale Technik erhöht das Sicherheits­ gefühl bei uns«, sagt der 62-Jährige. Bernd Falz könnte jetzt schwärmen von der digitalen Fabrik, in die sich seine Werke verwandeln. Doch der Unternehmer neigt nicht zu Überschwang, wenn es um das ITProjekt geht. Die grundsätzliche Entscheidung sei richtig gewesen, sagt Falz, »da gibt

Fotos: Die Pharmadrucker (o.); Max W. Claas GmbH

SCHWERPUNKT INDUSTRIE 4.0 DIGITALE FABRIK


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es keine zwei Meinungen mehr«. Aber: Drei Jahre Arbeit liegen hinter ihm, einen sieben­ stelligen Betrag hat seine Familienfirma in­ vestiert. Viel Geld für ein Unternehmen, das zuletzt einen Jahresumsatz von knapp 45 Millionen Euro ausgewiesen hat. Und das Zwischenergebnis? »Noch müssen die Mitarbeiter bei den neuen Abläufen viel beachten, das frisst noch Zeit«, sagt Falz. Ernüchterung statt Euphorie: Dieses Gefühl macht sich bei vielen produzierenden Unternehmen breit, die ihren Betrieb digi­ taler aufstellen wollen. Dabei feiert ein gro­ ßes Schlagwort gerade Jubiläum, das eine goldene Zukunft versprach: Vor zehn Jahren wurde die »Plattform Industrie 4.0« ange­ kündigt, ein Koordinationsgremium zwi­ schen Politik und Wirtschaft. Hinter dem Schlagwort verbirgt sich ein hehres Ziel: Maschinen sollen miteinander vernetzt wer­ den, ja, sie sollen sogar mit den Industrie­ gütern kommunizieren können, die sie her­

stellen. Du wirst mal in der Automobilindus­ trie gebraucht, lieber Draht? Dann biegst du hier in Richtung einer speziellen Ummante­ lung ab. Und du bist ein verbogener Draht? Ab in den Ausschuss. Sensoren und Software sollen ermöglichen, was bis dahin nur Menschen vermocht hatten. Das erhoffte Ergebnis: eine schnellere, flexiblere, ressour­ censchonendere Produktion – von der Be­ stellannahme bis zur Lieferung. In der Praxis nutzte der Begriff zunächst Beratern und Softwareanbietern. Einige Konzerne gingen mit Leuchtturmprojekten voran. Aber dem Mittelstand selbst fehlen bis heute häufig Zeit und Geld für eine digi­ tale Runderneuerung. In manchen Fällen wurde mit viel Elan ein erstes Projekt ange­ schoben, brachte am Ende aber den Betrieb kaum voran. Yvonne Therese Mertens kennt das Phänomen. Sie ist die Gründerin des Kölner Start-ups Oniq, das sich darauf spe­ zialisiert hat, digitale Prozessabläufe in der

Produktion zu etablieren. Sie sagt: »Die­ Firmen haben sich häufig zu viel vorgenom­ men – und wenn der Erfolg dann nicht ein­ getreten ist, war die Enttäuschung groß.« Dabei herrscht grundsätzlich Einigkeit, dass mehr passieren muss. Eine Studie der Unternehmensberatung Staufen kam im Frühsommer zu dem Ergebnis, dass knapp 60 Prozent der befragten Firmen an Indus­ trie-4.0-Projekten festhalten, selbst wenn sich die wirtschaftliche Situation ver­ schlechtert hat. Das Bewusstsein ist da, dass Digitalprojekte zu weniger Kosten oder besseren Geschäften führen können. »Beim Thema Digitalisierung geht es schon lange nicht mehr um das Ob, sondern nur noch um das Wie«, bilanzieren die Autoren. Eine zentrale Herausforderung dabei: Die Stärken von deutschen Mittelständlern und internationalen Techkonzernen passen oft nur schwer zueinander. Auf der einen Seite stehen individuelle Fertigungsverfah­

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ren und Prozesse, die über Jahrzehnte verfeinert wurden. Auf der anderen Seite Softwarelogiken, die auf Standards und schnelle Skalierung setzen. »Das sind zwei Welten, die sich nicht gut kombinieren lassen«, sagt Sven Hoffmann, Mitarbeiter im Mittelstand-Digital Zentrum Ländliche Regionen in Siegen. Es geht schon. Wenn auch häufig kleiner und unspektakulärer, als es die­ Vision »Industrie 4.0« verheißen hat. Zwei Perspektiven erleichtern den Start. Zum einen der kritische Blick auf das eigene Unternehmen. »Eine Grundidee ist es, nach Zeitfressern und Fleißarbeitsaufgaben zu suchen«, sagt Hoffmann, »da kann man immer gut ansetzen.« Je weniger ein Prozess mit dem Kerngeschäft zu tun hat, desto leichter fällt oft der Start. Bernd Falz etwa hat im Laufe der vergangenen Jahre seine Ablage digitalisiert – Dokumente finden sich jetzt per Suchleiste, nicht erst bei einem Gang in die Aktenkeller. Kein Industrie4.0-Leuchtturmprojekt, eher triviale Digitalisierung – sie spart dem Mittelständler aber viel Zeit und Geld. Zum anderen hilft es, wenn Unternehmer sich früh einen Überblick darüber verschaffen, was für den eigenen Betrieb Sinn macht. In einem Workshop des Fachgebiets für Produktionsorganisation und Fabrikplanung der Uni Kassel haben Unternehmer und Produktionsmitarbeiter das mithilfe­ eines sogenannten Reifegradmodells durchgespielt: Wo steht mein Betrieb in puncto IT und Datennutzung? Wo wollen, wo müssen wir hin? Und welche Tätigkeiten und Investitionen müssten dann aufeinander aufbauen? Es gehe nicht darum, alles sofort umzusetzen, sagt Nicolas Wittine, ein wissenschaftlicher Mitarbeiter. »Aber man sollte über alles einmal nachgedacht haben.« Dem Unternehmer Alexander Storck aus Melsungen blieben nach dem Kasseler Workshop etwa Augmented-Reality-Brillen im Gedächtnis. Mit ihrer Hilfe könne man Mitarbeiter unterstützen, wenn sie sich einarbeiten, sagt Stock. RFID-Chips, die eine exakte Nachverfolgung von einzelnen Produkten ermöglichen, machen für den Produzenten von Beipackzetteln und Medikamentenaufklebern hingegen weniger Sinn: »Das lohnt sich nicht bei Cent-Artikeln.«

»Die Firmen haben sich häufig zu viel vorgenommen – und wenn der Erfolg dann nicht eingetreten ist, war die Enttäuschung groß« Yvonne Therese Mertens, Unternehmerin

Storck will seine Firma Die Pharmadrucker mit einer neuen Software ausstatten. Das große Ziel: Auftragsinformationen sollen gänzlich automatisiert durchs Unternehmen gleiten und Maschinen sich selbsttätig melden, wenn Optimierungsbedarf besteht. »Wir haben die Daten bereits, aber wir hören noch nicht zu«, sagt Storck. Die Schwierigkeit: Theoretisch sollten die Maschinen verschiedener Hersteller in der Druckerei über ein zentrales System miteinander kommunizieren können – in der Praxis tun sie es selten, auch weil ein einfacher Standard fehle, erklärt Storck. Doch es soll weiter vorangehen. Freitagnachmittage in Storcks Firma sind nun für Transformationsprojekte geblockt, die auch scheitern dürfen. Mit diesen Freiheiten will Storck seine 75 Mitarbeiter anregen, mehr auszuprobieren und umzusetzen. Bernd und Holger Falz aus dem Sauerland kamen bei ihren Digitalisierungs­ bemühungen auch immer wieder ganz praktische Probleme in die Quere: Die Sperrung einer Autobahnbrücke verhinderte, dass eine wichtige Maschine angeliefert werden konnte. Und vor zwei Jahren beschädigte ein Hochwasser eins ihrer Werke schwer. Doch mittlerweile wurden einige der jahrzehntealten Maschinen mit speziell geschützten Rechnern ausgestattet. Sie ermöglichen es, die Drähte zu etikettieren und auf dem Weg durch die Fabrik nachzuverfolgen. Zugleich hat Bernd Falz an zentralen Anlagen Stromzähler anbringen lassen. Sie schalten automatisch in den Schleichgang, falls das Unternehmen seine vereinbarten Stromlastspitzen überschreitet. Dahinter verbirgt sich das eigentliche Erfolgsrezept: kleine Dinge lösen statt große Dinge denken. Nicht von Buzzwords aufscheuchen lassen. Ein Projektplan für die umfassende voll vernetzte Industrie-4.0Modellfabrik? »Meine Gedanken kreisen eher um die alltäglichen Anforderungen im Betrieb«, sagt Falz. »Wir kommen Tag für Tag ein Stückchen weiter.« Ob das gelingt, will er nicht an den Maschinen messen, sondern an den Menschen. »Die Mitarbeiter stöhnen längst nicht mehr so laut wie am Anfang«, sagt der Unternehmer. Und das ist mehr wert, als man vielleicht denkt.

Foto: Oniq

SCHWERPUNKT INDUSTRIE 4.0 DIGITALE FABRIK


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SCHWERPUNKT INDUSTRIE 4.0 IN ZAHLEN

Wer zögert, wird abgehängt Viele Unternehmer haben verstanden, wie wichtig Digitalisierung ist, tun aber noch zu wenig. Das zeigen Ergebnisse einer repräsentativen Studie des Digitalverbands Bitkom VON JENS TÖNNE S MAN N

Wo die Unternehmen stehen

32 %

87 %

60 %

sehen die deutsche Wirtschaft bei der Digitalisierung im weltweiten Vergleich abgeschlagen oder unter den Nachzüglern. Nur ...

glauben, dass die Digitalisierung für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft entscheidend ist

60 % 40 % 40 % 20 % 20 % 0%

23 %

2019 2023 2021 0% gegenüber 2019Firmen, die sich im Hintertreffen 2023 2021 Wettbewerbern die früh digitalisiert Firmen, die sich sehen, im Hintertreffen gegenüberhaben Anteil der Firmensehen, mit Problemen, Wettbewerbern die früh digitalisiert haben die Digitalisierung zu Problemen, bewältigen Anteil der Firmen mit

zählen sie zur weltweiten Spitzen­gruppe oder schätzen sie sogar als global führend ein. Die Übrigen verorten die deutsche Wirtschaft im Mittelfeld

76 %

finden aber zugleich, dass deutsche Firmen zu wenig digitale Technologien nutzen

die Digitalisierung zu bewältigen

Was die Unternehmen aufhält

46 % haben den Eindruck, dass in ihren Unternehmen eher über die Risiken als über die Chancen digitaler Technologien diskutiert wird. Und immer noch ...

Die meistgenannten Hürden sind:

11 %

% Datenschutz Fachkräftemangel fehlende Zeit fehlende finanzielle Mittel Sicherheitsanforderungen

haben weder eine Digitalstrategie für die gesamte Firma noch für einzelne Bereiche

77 64 54 54 54

Was die Unternehmen tun 92 92 39 39

86 86 40 40

84 84 36 36

76 76

74 74

72 72

67 67

24 23 17 15 24 23 17 15 Internet Autonome 3-D-Druck KI Virtual & Big Data Robotik Internet KI Virtual & Big Data Robotik of Things Autonome Fahrzeuge 3-D-Druck Augmented Things Prozentualer Anteilofder Firmen,Fahrzeuge die dieser Technologie (Auswahl) Augmented Reality Prozentualer Anteil der Firmen, die dieser beimessen Technologie (Auswahl) Reality eine große Bedeutung für die Wirtschaft eine große Bedeutung fürFirmen, die Wirtschaft Prozentualer Anteil der die diesebeimessen Technologie einsetzen Prozentualer Anteil der Firmen, die diese Technologie einsetzen

53 % 36 36

1 1 MetaMetaverse verse

investieren 2023 mehr Geld in die Digitalisierung als im Vorjahr. Aber nur ...

28 % wollen auch 2024 mehr oder deutlich mehr investieren. Fast genauso viele wollen ihre Investitionen 2024 zurückfahren


SCHWERPUNKT INDUSTRIE 4.0 EIN TAG MIT ...

In blauen Schuhen Richtung Zukunft Virtual Reality war bisher oft mehr ein Marketing-Gag denn eine ernst zu nehmende Technologie. Ein Tag mit dem Unternehmer Markus Rall, der das ändern möchte VO N A D RI A N B REI T LI NG

Blauer Teppichboden, mit Hotelkunst behängte Wände, auf dem Tisch Waffelröllchen und schwarzer Kaffee – so sieht klischeehaft der deutsche Mittelstand aus. Und genau so ist auch der Büroraum in­ einem Vorort von Dortmund eingerichtet, in dem Markus Rall an diesem Tag Ende September einen Kunden besucht. Ausgerechnet an Orten wie diesem will der 42-jährige Unternehmer die nächste Generation der Industrie vorantreiben. Mit einer Technologie, die ihn sein Berufsleben lang prägt: der virtuellen Realität, kurz VR. »Lange war die Hardware einfach nicht so weit, um mehr als Technologie-Marketing

damit zu machen«, sagt Rall. Das ändere sich jetzt, ist Rall überzeugt. Und wenn einer diese Entwicklung einschätzen kann, dann er. 2010 hat der studierte Ingenieur und­ Informatiker das Unternehmen viality gegründet, das inzwischen zwölf Leute beschäftigt. 13 Jahre ist er im Geschäft – in dieser Branche ist das eine Ewigkeit. Viality konzipiert und programmiert VR-Anwendungen für andere Firmen. VR mag sich auf dem Massenmarkt noch nicht durchgesetzt haben, aber die Wirtschaftswelt sieht darin mehr und mehr eine C ­ hance. Laut einer repräsentativen Umfrage des Digitalverbands Bitkom nutzt

inzwischen jedes fünfte Unternehmen zumindest einzelne VR-Anwendungen. Weitere 30 Prozent planen oder diskutieren den VR-Einsatz. Vor allem, um damit Mitarbeiter zu schulen, um Kon­struk­tions- und Planungsaufgaben zu optimieren oder die Kollaboration zwischen Teams zu verbessern. Die Technologie schürt viele Hoffnungen. Markus Rall möchte dabei helfen und daran verdienen, diese Hoffnungen zu erfüllen. Das merkt man, wenn man ihn einen Tag lang begleitet. Neun Uhr morgens, Termin bei dem Dortmunder MaschinenbauUnternehmen Klöpper. Der Chef der Firma sorgt sich um seine Auszubildenden – und

Foto: Silvia Kriens

Rall will auch den Standort Dortmund stärken, wo seine Firma ihren Sitz hat


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die Güte ihrer Arbeit. Es werde immer schwieriger, den jungen Leuten klar­ zu­ machen, wie präzise sie arbeiten müssen, da­ mit die Maschinen funktionieren. »Beim Computerspielen haben sie die Präzision aber«, sagt der Unternehmer. Er glaubt: Eine VR-Anwendung könnte die Lösung sein. An dieser Stelle kommt Markus Rall ins Spiel. Beziehungsweise kam, denn an diesem Vormittag möchte Rall von seinem Auftrag­ geber wissen, wie die von seinem Team pro­ grammierte Anwendung in der Praxis funk­ tioniert. »Ich muss sagen, dass ich auch selbst viel Spaß daran habe«, sagt der Unterneh­ menschef und ergänzt: »Das haben wir rich­ tig gut gemacht.« Dass er vom Wir spricht, kann Rall verstehen: »Die besten ­Ideen für den Einsatz der Technologien haben meist die Kunden selbst«, sagt er, »denn die kennen ihre Problemfelder am besten.« Für die tech­ nische Umsetzung brauche es aber ein Team wie seines. In den virtuellen Simulationen

steckt eine Menge Arbeit. In diesem Fall rund drei Monate, manchmal dauert die Umsetzung der Projekte von viality aber auch länger als ein Jahr. In der Ausbildungswerkstatt des Mittel­ ständlers reihen sich schwere blaue Schraub­ stöcke auf Arbeitstischen an­ ein­ an­ der. Ein Azubi schleift etwas mit einer abgewetzten Feile. Vor und zurück, in präzisem Rhyth­ mus. Rall zeigt auf einen Holzstab mit Gummigriff auf einem Tisch am Ende der Reihe. Er ist die Lösung, die Rall entwickelt hat, um den Azubis zu helfen. Setzen die sich eine VR-Brille auf, verwandelt sich der Holz­ stab in eine virtuelle Feile, mit der die Lehr­ linge an einem Holzquader, der durch die Brillengläser zum Schraubstock wird, das Feilen üben können. Mit der Präzision, mit der sie sonst Playstation oder Switch zocken. Rall sagt: »Ich dachte lange, dass diese Feile eher ein Spielzeug als ein Werkzeug ist.« Also ein Projekt aus genau der Ecke, aus der

er die Technologie rausholen möchte. Seit er damit begann, die Feile zu entwickeln und stetig zu verbessern, habe er aber festgestellt, dass die Auszubildenden tatsächlich mit der Brille lernen. Genauer arbeiten. Und weniger Material verbrauchen. Dann muss Rall los, zum nächsten Ter­ min ins Dortmunder Westfalenstadion. Er steigt in sein Auto. Kaum hat er den Schlüssel umgedreht, schallt ein Podcast über die neuesten VR-Trends aus den Lautsprechern. Er halte sich auf dem Laufenden, sagt er. Rall hat genaue Vorstellungen von Aufträgen für sein Unternehmen. Spielerisch: unbedingt! Aber sinnvoll muss es schon sein. Zu den Kunden von viality zählt zum Beispiel die Feuer­ wehr, deren Einsatzkräfte mit VRBrillen trainieren können. Das ist nicht nur günstiger und sicherer, als echte Feuer auf Übungsplätzen zu legen. »Die Einsätze lassen sich auch viel spezifischer und an jedem Ort zu jeder Zeit trainieren«, sagt Rall.

Unternehmen im Profil

»Z u m Fo r t s c h r i t t g e h ö r t a u c h S c h e i te r n . « »innovating automation« lautet der Anspruch von Balluff. Das globale Familienunternehmen hat sich auf die Entwicklung und Herstellung von Sensor- und Automatisierungslösungen für die Industrie spezialisiert. Zu diesem Anspruch gehört nicht nur die Innovation, sondern auch das Scheitern. Digitalisierung der Industrie Lösungen von Balluff legen den Grundstein für die Fabrik der Zukunft. Denn die Industriesensoren erfassen Daten in Anlagen und transportieren diese

an übergeordnete Systeme. Die Signale werden zum einen zur Automatisierung des Prozesses genutzt, können aber auch ausgewertet werden, um Verbesserungen anzustoßen. »Fail Early«-Ansatz »Es ist enorm wichtig, relevante Trends in der Automatisierung frühzeitig zu erkennen und diese in konkrete Lösungen für unsere Kunden zu überführen«, erklärt Geschäftsführer Florian Hermle. »Klassische Entwicklungszyklen dauern oft viel zu lange, um dem schnellen technologischen Wan-

del gerecht zu werden.« 2020 begann Balluff ein Inkubator-Programm aufzubauen. Hausinterne Startups beschleunigen die Entwicklung neuer Geschäftsideen, setzen auf schnelles Kundenfeedback und verproben potenzielle Lösungen gemäß des »Fail Early«-Ansatzes frühzeitig am Markt. »Das frühe Scheitern von Ideen ist bei ›Fail Early‹ natürlicher Teil des Prozesses. Deshalb muss sich im Unternehmen auch eine geeignete Fehlerkultur etablieren und Innovationsräume geschaffen werden, um Kreativität und das Brechen von Mustern zu fördern.«

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Zuletzt habe die Feuer­wehr durch die Arbeit von viality einen virtuellen Tunnel­ brand gelöscht – ohne dafür einen echten Tunnel sperren und anzünden zu müssen. In anderen Fällen hilft die Technologie dabei, Unsichtbares sichtbar zu machen. Schmutz zum Beispiel. Markus Rall erzählt von einer Anwendung, mit der Reinigungs­ kräfte von Laboren durch die Brille in einer virtuellen Kopie des Labors, einem »digita­ len Zwilling«, Schmutzpartikel sehen kön­ nen, die sie in der Realität mit bloßem Auge nicht wahrnehmen könnten. »Einige lang­ jährige Reinigungskräfte haben mir gesagt, dadurch erst verstanden zu haben, warum sie so akribisch reinigen müssen«, sagt Rall. Mittags wählt sich der Unternehmer in das tägliche Meeting mit seinen Mitarbeitern ein. Zwischen den Terminen, per Video­chat, nicht in den virtuell nachgebauten Büro­ räumen per VR-Brille. »Da haben wir uns manchmal auch schon getroffen«, sagt er, »allein deshalb, weil wir es können.« Für Rall arbeiten Software-Entwickler, Grafiker und Kommunikationsexperten. Er sagt über seine Mitarbeiter, dass sie mit ihren Fähig­ keiten wahrscheinlich alle deutlich besser bezahlte Jobs bei den Branchengrößen wie Meta und Apple bekommen könnten. Wa­ rum sie trotzdem bei ihm arbeiten? Das viality-Team verbinde der Hang dazu, größer zu denken, glaubt Rall. Welche Gedanken das sind, erzählt Rall bei seinem Vortrag auf einer Digitalmesse im Dortmunder Westfalenstadion, die »Bits & Currywurst« heißt. Er soll erklären, was ge­ nau das Meta­verse ist. Auf den breiten Be­ tontreppen hoch zur Bühne lässt Rall bereits durchscheinen, was er davon hält: »Dass sich alle auf diesen Begriff versteifen, ärgert mich.« Es existiere nicht das eine Meta­verse. Viel wichtiger sei die Technologie dahinter. 13.45 Uhr, Markus Ralls Auftritt, die Bühne ist knallpink. Und beißt sich mit sei­ nen schlumpfblauen Sportschuhen. »Lustige Schuhe sind ganz wichtig fürs Meta­verse«, sagt Rall ins Mikrofon, sein virtueller Avatar trage auch welche. Lacher im Publikum. Dann legt er los, verwendet einen Fachbegriff nach dem anderen, 5G, Blockchain, HeadMounted Displays. Er nimmt das Publikum mit auf eine Reise durch die Entstehung vir­

Rall mit einer VR-Brille. Er ist überzeugt, dass die Technik eine große Zukunft hat

tueller Welten – angefangen bei Spielen wie World of Warcraft über den Boom von Second ­Life bis hin zu begehbaren dreidimensiona­ len Räumen, zu denen die VR-Brillen »ein Zugangstor« s­eien. Rall sagt: »Es geht hier um nicht weniger als die Zukunft des Inter­ nets.« Warum die virtuelle Realität die Zu­ kunft ist, erklärt Rall so: VR-Brillen werden immer billiger und besser. Aktuell sei der Stand vergleichbar mit der ersten Generation des ­iPhones. Auch dessen Hersteller, Apple, ist nun in das Geschäft mit VR-Brillen ein­ gestiegen. Das neue Apple-Gerät sei ein technologischer Sprung, der eine Vielzahl neuer Anwendungen und Geschäftsmodelle ermögliche. Mit VR könne ein »riesiges inter­ operables Netzwerk« aus »in Echtzeit geren­ derten 3-D-Welten« mit einer unbegrenzten Zahl gleichzeitiger User entstehen. Oder einfach gesprochen: Menschen kommen vir­ tuell zusammen, sagt Rall, »und geben kon­ tinuierlich Geld aus«. Rall ist niemand, der die neue Technik nur feiern würde. Es gebe »zu viele Buzz­ words, zu viel Marketing«, kritisiert er. Und

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zu viel ­Hype, der die Herausforderungen der Technologie verkennt. Markus Rall ist nicht nur als Chef von viality auf Events unterwegs, er ist auch Vorsitzender des Deutschen In­ stituts für Virtuelle Realitäten – eines Ver­ eins, der unter anderem die Risiken der neuen Technologie erforschen will. »Wir müssen endlich Normen und Standards für die neuen Technologien finden«, sagt er. Dafür brauche es die Politik. Wenn seine Firma zum Beispiel eine VRAnwendung erstellt, mit der Elektriker den Einsatz an einer Hochspannungsleitung üben können, der in der Realität lebens­ gefährlich sein kann, dann gilt: »Die Si­mu­ la­tion muss zu hundert Prozent stimmen«, sagt Rall. Allerdings sei bisher nicht geklärt, wer hafte, wenn ein Elektriker in der Realität einen Fehler macht, weil er in der virtuellen Welt falsch trainiert wurde. Auf der Messe sprechen ihn immer wie­ der Besucher mit einer Frage an, die sich an den VR-Lobbyisten Rall richtet: »Wie war’s am Montag?« Gut war es da, sagt er dann. Rall hat nämlich den XR Science Award an junge Wissenschaftler vergeben, den er selbst erfunden hat. Rall sagt, es sei ihm wichtig, die Arbeit aufstrebender Forscher sichtbar zu machen. Und er will etwas für den Standort tun. »In Berlin, München oder Hamburg wird alles durch große Konzerne getrieben. Hier in Dortmund sind es die Enthusiasten«, sagt er. Er kommt aus Hagen und ging zum Studium nach Dortmund. Die Stadt im Ruhrgebiet habe es ihm als Forschungsstandort angetan. Für Rall heißt das zum Beispiel, eng mit den Universitäten in der Gegend zusammenzuarbeiten. Dort lehrt er nicht nur, sondern sucht auch stetig nach Mitarbeitern. Die Messe im Dortmunder Fußball­ stadion ist bisher noch nicht vorbei. Für die abendliche Party aber hat Markus Rall keine Zeit. Während die meisten netzwerken und Snacks aus kleinen Einmachgläsern essen, sitzt er am Rand und arbeitet über sein Note­ book gebeugt. Erst die großen Debatten, dann das kleinteilige Alltagsgeschäft: Das sei immer wieder ein Bruch. »Aber man muss ja nicht immer gleich die ganze Welt verän­ dern«, sagt Markus Rall, »auch wenn wir das eigentlich schon wollen.«

Foto: Stephan Schütze

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DAS UNTERNEHMEN: Evotec SE mit Sitz in Hamburg Direkter Ausstoß von Klimagasen, der sogenannte Scope 1: 17.242 Tonnen (7 Prozent) Indirekter Ausstoß aus eingekaufter Energie, bezeichnet als Scope 2: 21.307 Tonnen (9 Prozent) Indirekter Ausstoß von Zulieferern, Dienstleistern und Kunden, Scope 3: 204.895 Tonnen (84 Prozent) AUSSTOSS INSGESAMT: 243.444 Tonnen QUELLEN: Geschäftsbericht und Nachhaltigkeitsbericht 2022, Angaben in CO₂Äquivalenten KLIMAZIELE: Evotec will seinen direkten und indirekten Ausstoß von Klimagasen – also Scope 1 und 2 – bis 2032 halbieren. Außerdem will das Unternehmen erreichen, dass 80 Prozent seiner Lieferanten bis 2027 eigene Ziele zur Klimagasreduktion festlegen, so könnte auch Scope 3 sinken. JAHRESUMSATZ 2022: 751,5 Millionen Euro OPERATIVER GEWINN (EBITDA): 101,7 Millionen Euro BÖRSENWERT: 3,01 Milliarden Euro MITARBEITER: etwa 5100

Ein BiotechnologieUnternehmen will grüner werden – und musste sich schon frühzeitig anstrengen, weil es an der Börse notiert ist VO N KRI ST I NA L ÄS KER

DIENSTLEISTUNGEN: Evotec erforscht und entwickelt Wirkstoffe und Therapieansätze zur Behandlung von Nervenkrankheiten wie Alzheimer oder Parkinson, Diabetes, Krebserkrankungen und Infektionskrankheiten wie Tuberkulose. KUNDEN: Pharmakonzerne wie Bayer, Bristol-Myers Squibb, Sanofi, Pfizer oder Novo Nordisk DER AUSLÖSER: Was hat Evotec motiviert? Werner Lanthaler bezeichnet Klimaschutz als »Hygienefaktor«, um den keine an der Börse notierte Firma mehr herumkommt. Zumindest nicht, wenn sie wie Evotec ihre Aktionäre behalten will. Vorstandschef Lanthaler hat es selbst erlebt. Evotec entwickelt und erforscht Wirkstoffe und Therapieansätze für und mit fast allen großen Pharmakonzernen der Welt. Neben der Zentrale in Hamburg betreibt Evotec 16 Forschungszentren in fünf Ländern. Etwa 2017 begannen Investoren und Fondsmanager nach der Klimastrategie der Biotechnologiefirma zu fragen. Sie kündigten an, bald nur noch in Firmen zu investieren, die sich nachprüfbare, strenge Klimaziele setzen. 2019 fingen auch Pharmakunden wie Astra Zeneca an, Druck auszuüben. Lanthaler beschloss, dass er nicht nur reagieren will. Evotec sollte so überzeugend sein, dass Aktionäre auch wegen der Klimabemühungen in die Firma investieren. Das Bewusstsein für Klimaschutz sei in der Biotech-Branche nicht sehr ausgeprägt, kritisiert Lanthaler. Viele Start-ups stecken ihr Geld lieber in die Forschung als in den Klimaschutz. Manche Firmen versteckten sich hinter der Ausrede, dass sie Krankheiten bekämpften und damit nachhaltig agierten. Lanthaler hält das für falsch: »Man kann mangelnden Klimaschutz nicht mit der Heilung von Tuberkulose kompensieren.« DIE GRÖSSTEN SÜNDEN: Was schadet dem Klima am meisten? Die direkten und indirekten Emissionen machen bei Evotec etwa 16 Prozent der Treibhausgase aus. Hauptsächlich für Strom und Heizen. Außerdem entstehen

ZEIT-Grafik: Pia Bublies; Foto: Evotec

Folge 2: Evotec

Grüner forschen

NACHHALTIGKEIT KLIMA-CHECK


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– typisch für die Biotechnologie-Branche – relativ viele Klimagase bei der Beschaffung und Erforschung von Wirkstoffen. Evotec möchte den Verschleiß in der Medikamentenforschung reduzieren. Zudem fällt im Betrieb viel Abfall an, den Evotec zukünftig sowohl reduzieren als auch recyceln will. Der größte Teil der Klima-Investitionen fließe in den Standort Verona in Italien, sagt Lanthaler. Mit dem Geld will er dort die veralteten Gebäude isolieren, die Heizungsanlage modernisieren und den Anteil an Ökostrom erhöhen. Bisher bezieht Evotec nur 25 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien. Bis 2026 sollen es 100 Prozent sein. Außerdem möchte das Unternehmen seine Lieferketten nachhaltiger machen. Nicht selten würden Materialien für die Forschung von einem Standort zum nächsten per Flugzeug verschickt, das sei unnötig klimaschädlich, so Lanthaler. »Es braucht ein großes Umdenken.« REDUZIEREN ODER KOMPENSIEREN? Die Firma kompensiert ihren TreibhausgasAusstoß nicht. »Das komplette Augenmerk liegt auf der Reduktion«, sagt Lanthaler. Der Wirkstoffforscher ist 2021 der Science Based Targets Initiative (SBTI) beigetreten – sie ist eine der strengsten Initiativen weltweit – und hat sich dem Netto-Null-Ziel verpflichtet: Fast alle durch Evotec verursachten Emissionen müssen künftig durch Reduktion aus der Atmosphäre entfernt werden. Das muss er wissenschaftlich belegen. Kompensieren darf Evotec nur maximal zehn Prozent der erzeugten Gase. Evotec will künftig auch seine Zulieferer vom Netto-Null-Ziel überzeugen. Dafür hat die Firma mithilfe der britischen Beratung Ecovadis ihre Lieferketten analysiert. In einem ersten Schritt hat Lanthaler die Zulieferer im Sommer angeschrieben. In dem Brief forderte er die Lieferanten auf, bis 2027 ebenfalls eine Klimabilanz zu erstellen, die die SBTI-Anforderungen erfüllt. Die Anstrengungen würden künftig bei der Beschaffung berücksichtigt, heißt es in dem Brief. Kurz: Wer nicht mitmacht, kann künftig wen anders beliefern.

SO WIRD GEMESSEN Seit 2021 erstellt Evotec eine Treibhausgasbilanz, unterstützt von der Nachhaltigkeitsberatung Anthesis. Ein Nachhaltigkeitsmanager in Hamburg und sein fünf­ köpfiges Team sind dafür verantwortlich. Sie erfassen Emissionen auf Basis des Greenhouse Gas Protocol, eines globalen Standards. Bis ­spätestens 2050 will Evotec die Emissionen im Hinblick auf das Pariser Klimaabkommen und das 1,5-Grad-Ziel gegen null reduzieren. WAS KOSTET ES? Geld: Evotec investiert ein Prozent des Vorjahresumsatzes in Klimaschutz. Dieses Jahr sind das 7,5 Millionen Euro. Noch mehr Geld: Zusätzlich gibt Evotec etwa drei bis fünf Millionen Euro aus, um den Nachhaltigkeitsbericht zu erstellen, die Belegschaft zu sensibilisieren und die Einhaltung von Maßnahmen durchzusetzen. Zeit: Werner Lanthaler steckt bis zu fünf Prozent seiner Arbeitszeit in den Klimaschutz. »Das kostet mehr Hirn als Zeit«, sagt der Vorstandschef.

Ein Blick ins Labor, wo Evotec Wirkstoffe mit »Hochdurchsatz-Anlagen« wie dieser schnell erforschen kann

WAS BRINGT ES? Investoren-Geld: Als börsennotierter Konzern muss Evotec die Klimaziele transparent kommunizieren, um den Ansprüchen von Investoren zu folgen. Viele Aktionäre sind heute überzeugt, dass Klimaschutz zwar kurzfristig Rendite kostet, sich langfristig aber auszahlen kann. Recruiting-Vorteile: Strenge Klimaziele helfen im Wettbewerb um die klügsten Köpfe, glaubt Lanthaler. Mehr als 80 Prozent der Beschäftigten von Evotec sind Akademiker, viele sind unter 30. Das wachsende Unternehmen braucht ständig Nachwuchs. Gerade bei Jüngeren könne das Bemühen um Nachhaltigkeit den Ausschlag geben, so Lanthaler. Familienfrieden: Firmenchef Lanthaler weiß, wie unverzichtbar der Klimaschutz für die Generation Z ist, für die 20- bis 30-Jährigen. Seine Tochter ist 24, sie hat Kreislaufwirtschaft in Wien studiert. Sie spreche oft mit ihm darüber und sage: »Papa, das geht so nicht weiter.«


FOTOSTORY HERRNHUTER STERNE

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1 Dieser Stern hängt auf dem Weg zum Werksgelände im sächsischen Herrnhut. Er hat 25 Zacken – wie alle Sterne, die das Unternehmen hier in unterschiedlichen Größen produziert 2 Ein Großteil der Sterne wird aus Kunststoff gefertigt. Dafür wird dieses Granulat eingeschmolzen

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3 Kunststoffspritzen formen aus dem flüssigen Plastik Zacken. Je nach Größe purzeln 200 bis 4000 Stück pro Stunde aus der Maschine

Jetzt aber zackig

In Herrnhut produziert eine Manufaktur Sterne, sie sind weltweit gefragt. Zu Besuch bei Spitzeldrehern und Rähmchenklebern, die vor Weihnachten viel zu tun haben VON NAV I NA REU S ; FOTO S : FELI X A D LER


FOTOSTORY HERRNHUTER STERNE

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4 Der Betrieb stellt auch Papiersterne her, mit denen 1897 alles seinen Anfang nahm. Die Mitarbeiter – sogenannte Spitzeldreher – drehen dafür Pappe händisch zu Zacken, bis zu 2500 pro Tag 5 Eine Maschine stanzt Papprahmen, für jeden Zacken einen

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6 Eine Rähmchenkleberin leimt die gedrehten Zacken zusammen und an die Papprahmen. Anschließend werden sie abgezählt und in Kisten gepackt


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7 Die kleinsten Kunststoffsterne werden schon in der Werkstatt z­ usammengesetzt. Dafür werden die Zacken mit Lösemittel ­angeweicht und an den Plastikkorpus gepresst. Große Sterne von bis zu 2,50 Meter Durchmesser werden in Einzelteilen ausgeliefert 8 Eine Mitarbeiterin prüft jede Zacke: Sitzt sie fest? Nur dann landet sie im Karton. Die Herrnhuter Sterne werden weltweit an über 1600 Händler versandt. 2023 produziert das Unternehmen rund 800.000 Stück. Die meisten von ihnen bauen die Kunden selbst zusammen

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FOTOSTORY HERRNHUTER STERNE

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UNTERNEHMER-FRAGEBOGEN

ZEIT für Unternehmer: Herr Scholz, Sie sind der Chef der Manufaktur Herrnhuter Sterne. Was macht Ihr Unternehmen? Oskar Scholz: Wir stellen seit mehr als 120 Jahren Herrnhuter Sterne her. Das sind zu­ sammensetzbare Leuchtsterne, die den Stern von Bethlehem symbolisieren. Wir bieten kleine Sterne für private Räume und große mit einem Durchmesser von bis zu zweiein­ halb Metern, die an öffentlichen Orten hängen, zum Beispiel im Bundeskanzleramt. Was ist Ihre größte Herausforderung? Die Herrnhuter Sterne sind ein saisonales Produkt, und in der Adventszeit schaffen wir es nie, den Bedarf vollständig zu decken. Deswegen müssen wir das ganze Jahr über produzieren. Aber uns fehlt dafür immer mehr Personal. Und auch manche Zubehör­ teile, wie unsere speziellen Kabel, haben eine Lieferzeit von bis zu einem Jahr. Die ersten kommerziellen Herrnhuter Sterne wurden 1897 hergestellt. Was hat sich seither nicht verändert? Die Grundform des Sterns hat sich nie ver­ ändert. Er hat 25 Zacken mit 17 quadrati­ schen und acht dreieckigen Grundflächen und zusätzlich eine Fläche für die Strom­ zufuhr. Wir produzieren seit je in Herrnhut und den Nachbargemeinden. Und was hat sich am meisten verändert? Wir produzieren heute in viel größerem Um­ fang. In den letzten Jahren mussten wir drei neue Lager- und Produktionshallen bauen und haben inzwischen knapp 200 Mitarbei­ ter. Der Stern war traditionell weiß-rot, über die Jahre sind immer mehr Farben dazuge­ kommen. Und während früher alle Sterne aus Papier waren, produzieren wir seit den 1980ern auch solche aus Kunststoff. Die Herrnhuter Sterne wurden 1950 verstaatlicht und 1969 reprivatisiert. Wie prägt das die Firma heute noch?

Herrnhuter hat in den 1950ern auch Lam­ penschirme hergestellt. Nach der Reprivati­ sierung durften wir nur noch Sterne produ­ zieren, was total unattraktiv war in der DDR. Heute ist es umgekehrt: Zum Glück produzieren wir Sterne und nicht irgend­ welche Elektrotechnik. Woran wäre Ihr Unternehmen beinahe gescheitert? Nach der Wende ging die Nachfrage stark zurück. Außerdem hatte die Außenhandels­

Oskar Scholz, 63

gesellschaft der DDR die Sterne bis dahin ins Ausland verkauft. Nach dem Mauerfall mussten wir plötzlich alles selbst in die Hand nehmen und den Vertrieb und das Marketing komplett umstellen. Was an Ihren Produkten finden Sie ästhetisch und was nützlich? Der Herrnhuter Stern ist mit seiner sym­ metrischen Form der schönste Stern, den ich mir vorstellen kann. Letztendlich ist er na­ türlich ein Dekorationsobjekt, aber er bleibt ein Symbol der evangelischen Kirche, das Hoffnung und Zuversicht vermittelt.

Bei 800.000 verkauften Exemplaren im Jahr werden vermutlich nicht alle den Stern als christliches Symbol lesen? Unsere Sterne werden von allen Menschen angenommen, unabhängig von Konfessio­ nen. Wichtig ist uns die Gemeinschaft: Alle sollen den Stern gemeinsam zusammen­ bauen. In meiner Vorstellung lesen die Kinder die Bauanleitung vor, die Mutter sagt dem Mann, wie er ihn zusammenzubauen hat, und er macht das dann. Und wenn der Stern am Ende dann leuchtet, ist das der Lohn. Welche Rolle spielt Nachhaltigkeit für Ihr Unternehmen? Heute ist angeblich alles bio und nachhaltig, diese Begriffe werden inflationär und miss­ bräuchlich verwendet. Wir arbeiten mit Pa­ pier und mit Kunststoffen, bei denen wir die Abfälle wiederverwerten. Und wir haben auf LEDs umgestellt, sicher auch zwangsläufig, weil ja die Glühlampe weg ist. Haben Sie eine wichtigste Maschine? Wir haben eine Maschine, die die Kunst­ stoffzacken herstellt, die ist sehr wichtig. Aber noch wichtiger sind die Menschen, sie bauen die Zacken zusammen. Die Herstel­ lung ist überwiegend Handarbeit. Was schätzen Sie am Unternehmertum? Dass ich etwas unternehme und nicht ein­ fach abarbeite. Als Unternehmer kann ich Menschen mitziehen, auch wenn mal schwierige Entscheidungen anstehen. Welchen Unternehmer würden Sie gerne mal zum Business-Lunch treffen? Zum Beispiel die Chefs von Consass Indus­ triebau aus Chemnitz, SSB Schmidt Stra­ ßenbau aus Neusalza-Spremberg oder Frindt Schneidetechnik aus Beiersdorf. Sie haben alle hier in der Region Unternehmen aufge­ baut. Es sind alles Menschen, die etwas un­ ternommen haben. Die Fragen stellte Navina Reus

Foto: Felix Adler für ZEIT für Unternehmer

Mehr als nur Deko


Unter Nachhaltigkeit verstehen wir,

heute die Leistungsfähigkeit von morgen zu sichern.

Nachhaltigkeit braucht gezielte Anstöße, damit sie langfristig wirkt. Wie bei einem Perpetuum mobile, das sich nach einem ersten Impuls von außen immer wieder selbst antreibt. Dieses ist zwar fiktiv, dient uns von der DZ BANK aber als Vorbild und Haltungsgrundlage. Wir denken in Kreisläufen und unterstützen unsere Kunden dabei, nachhaltige Veränderungen anzustoßen. Dabei haben wir immer die langfristigen Auswirkungen unseres Handelns im Blick. So sichern wir gemeinsam die Zukunft durch nachhaltige Leistungsfähigkeit. Erfahren Sie mehr über unsere Haltung unter: dzbank.de/haltung


IT-SICHERHEIT FACHKRÄFTE

Noch mal Glück gehabt Kleine Mittelständler sind besonders stark von Cyberangriffen betroffen. Auch weil sie mit großen Konzernen um Fachkräfte konkurrieren. Wie es einem Maschinenbauer gelungen ist, einen IT-Spezialisten in die Provinz zu holen VO N JA N S C H U LT E

W Wer sich mit Burak Yilmaz per Videocall unterhalten möchte, der hat es gar nicht so leicht. »Das System lässt mich nicht auf Ihren Google-Meet-Link zugreifen«, spricht er ins Telefon an einem verregneten Nachmittag, an dem nichts so richtig klappen will. »Warten Sie, ich schicke eine Teams-Einladung rüber«, sagt er. Erst damit funktioniert es, und Yilmaz’ Gesicht taucht auf dem Bildschirm auf. »Unser System schlägt zurzeit gut 600-mal pro Tag Alarm«, berichtet er. Deshalb hat er seinen Arbeitgeber besonders gut gegen Cyberangriffe abgesichert. Yilmaz ist IT-Verantwortlicher eines Mittelständlers im Grenzgebiet zwischen Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen. Eigentlich heißt Yilmaz anders, auch der Name seines Arbeitgebers soll in diesem Text keine Rolle spielen, er soll hier Patrick Reuter heißen. Bisher hätten die Angriffe noch keinen großen Schaden verursacht, sagt er. Aber man kann ja nie wissen. Das Unternehmen möchte keine Hacker provozieren, den Betrieb mit knapp 40 Mitarbeitern ganz gezielt anzugreifen und die Sicherheitssysteme doch zu überwinden.

Die Sorge ist durchaus berechtigt. 15 Millionen Cyberangriffe zählte das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) im vergangenen Jahr. Dazu gehört vor allem Malware, also schädliche Software oder Viren, die die Systeme infizieren. Meist passiert das, wenn man eine infizierte E-Mail öffnet oder im Netz ein falsches Werbebanner anklickt, was zu einem Download oder auf eine gefährliche Seite führt. Der Digitalverband Bitkom bezifferte den jährlichen Schaden für die deutsche Wirtschaft 2022 auf 203 Milliarden Euro. Neun von zehn Unternehmen würden Opfer von Datendiebstahl, Spionage und Sabotage. Gegen solche Angriffe kann man sich schützen, indem man zum Beispiel immer Software-Updates installiert und Mitarbeiter sensibilisiert. Aber auch, indem man jemanden anstellt, der die Systeme im Blick behält – und reagiert, wenn es zu Attacken kommt. Jemanden wie Burak Yilmaz. Er selbst ist Quereinsteiger, lernte mal Industrie­ kaufmann. Dann ging er zur Bundeswehr, wo er eine Umschulung zum Fachinformatiker machte. Erst danach zog es ihn zu einem

IT-Dienstleister und von dort schließlich in den Mittelstand zur Firma von Reuter. Nur: Solche Profis sind rar. 137.000 ITStellen waren im Jahr 2022 unbesetzt, zeigen Zahlen des Digitalverbands Bitkom. Laut der IT-Sicherheitsorganisation ISC2 haben über 100.000 davon explizit etwas mit­ Cybersicherheit zu tun. Klaus Bürg kennt den Arbeitsmarkt für IT-Fachkräfte gut, er ist Zentraleuropa-Chef des Cybersicherheits-Anbieters Palo Alto Networks. Um an Spezialisten zu kommen, haben Unternehmen laut Bürg zwei Möglichkeiten: Entweder sie bilden die Leute selbst aus, oder sie werben sie ab. »Der Wettbewerb ist angesichts des Fachkräftemangels natürlich sehr groß. Und die wenigen, die es gibt, werden sehr gut bezahlt«, hat Bürg beobachtet. »Da dürfte es Leute weniger zu einem Mittelständler ziehen, der zum Beispiel auf der Schwäbischen Alb seinen Sitz hat.« Yilmaz könnte sich seinen Arbeitgeber angesichts des Fachkräftemangels also fast schon aussuchen. Trotzdem zog es ihn zu dem Mittelständler. »Das Arbeitsklima hier ist einfach sehr gut«, sagt der 44-Jährige.


Foto: Philotheus Nisch für ZEIT für Unternehmer

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Wenn Hacker angreifen, kann es helfen, den Stecker zu ziehen und die Verbindung zum Netz zu kappen


IT-SICHERHEIT FACHKRÄFTE

Jahresgehälter von 50.000 bis 60.000 Euro für IT-Security-Engineers durchaus üblich sind; wer besondere Qualifikationen oder Führungserfahrung besitzt, kann mitunter noch deutlich mehr verlangen. Das ist viel Geld, gerade für kleine Unternehmen. Ihnen dürfte es schwerfallen, erfahrene Kräfte abzuwerben oder selbst IT-

einen Anstellungsvertrag in der Tasche, bevor sie ihr Zeugnis in den Händen halten.« Mittelständler müssen mit Konzernen konkurrieren, mit Behörden, mit Einrichtungen wie Krankenhäusern. Um da mithalten zu können, müssen Mittelständler sich also etwas einfallen lassen – und auf Anreize setzen, die man sonst eher von Start-ups kennt. Flexible Arbeitszeiten, Homeoffice, eine gewisse Familienfreundlichkeit, all das seien Aspekte, die den jungen Absolventinnen 137.000 und Absolventen heutzutage wichtig seien, sagt Föller-Nord. Vieles hänge bei kleineren Unternehmen auch vom Chef ab, für den Föller-Nord gleich einen Rat hat. »Häufig wird der ITExperte als Feind im eigenen Unternehmen wahrgenommen, schließlich verbietet er 96.000 private Programme, verlangt komplizierte 86.000 Passwörter und so einiges mehr.« Ein Chef sollte die Belegschaft also vorbereiten und erklären, wozu all das nötig ist. Burak Yilmaz hat den Kollegen auch so einiges verboten. Soziale Netzwerke wie Facebook und Instagram dürfen sie zum Beispiel nicht von ihren Arbeitsgeräten aus besuchen. Viele Websites hat er gesperrt, selbstverständlich alles, was mit Pornografie, Gewalt und Drogen zu tun hat. Aber auch weitere Kategorien, etwa Urlaubsseiten-­ Anbieter. Zu groß sei die Gefahr, dass einer der Mitarbeiter mal auf eine falsche Werbung reinfällt oder doch eine verdächtige E-Mail durchkommt, die er nicht erkennt, weil sie 2020 2021 2022 mit einem passenden Urlaubsangebot wirbt. Anfang des Jahres nutzten all die VorSo viele IT-Stellen hatten sichtsmaßnahmen nichts, sagt Yilmaz und Firmen hierzulande erzählt von einer Attacke, die ihm viel Ärger ausgeschrieben hätte machen können. Eine E-Mail kam durch, ein Kollege klickte darin auf einen Link, sein Rechner fing sich ein Virus. Den Experten auszubilden. Für sie kann es sich Hackern gelang es, das Outlook-Passwort aber lohnen, Fachkräfte direkt von der Uni- zu erbeuten. Dann versuchten sie, im Naversität oder Fachhochschule abzuwerben.­ men des Kollegen 187 E-Mails zu verschiProfessorin Miriam Föller-Nord ist Dekanin cken. Die sollten an all die Kontakte gehen, der Fakultät für Informatik der Hochschule mit denen er zuletzt im Austausch war. Mannheim. Die Hochschule bietet einen Aufgefallen war das Yilmaz erst, als die­ Bachelor-Studiengang für Cyber-­ Security eigenen Mitarbeiter verdächtige E-Mails ihan. 50 Plätze gibt es pro Semester. Wer­ res Kollegen bekamen. »Die Nachrichten an heutzutage IT-Sicherheitsexperte­werde, be- unsere externen Kunden sind nicht raus­ komme auf jeden Fall einen Job, berichtet gegangen, die hat das System erkannt«, sagt sie. »Die meisten unserer Studierenden haben Yilmaz. Noch mal Glück gehabt.

ZEIT-Grafik: Pia Bublies (Quelle: Bitkom)

Reuters Firma war einer der vielen Kunden, die er betreute, als er noch für den ITDienstleister arbeitete. Einmal pro Woche war er vor Ort. Dann warb Reuter ihn ab. Yilmaz sitzt nun täglich im ersten Stock des Verwaltungsgebäudes, nebenan gibt es einen kleinen Konferenzraum. Das Büro seines Chefs ist nur wenige Meter entfernt. Wenn er aus dem Fenster blickt, schaut Yilmaz auf die Produktionshalle, dahinter erstrecken sich Felder. Für ein Industrie­gebiet ist es fast schon idyllisch. Trotz der steigenden Gefahr durch Hacker gibt Yilmaz sich ziemlich gelassen. Er ist gerade aus dem Urlaub zurück. Eine Woche lang war er in Istanbul. Zum ersten Mal, seit er für den Mittelständler arbeitet, hatte er seinen Laptop nicht mitgenommen. Denn Yilmaz wähnt sein Unternehmen gut aufgestellt. Es gibt einen Virenscanner, E-Mails werden vorab gecheckt, eine Firewall hat die Firma auch, und selbstverständlich ist der Server noch mal extra geschützt. Eingerichtet hat all das er, teilweise mithilfe eines Softwareanbieters. Über ein Dashboard im Browser kann er alles überwachen, die Sicherheitseinstellungen anpassen. Jeder einzelne der 36 Computer des Mittelständlers ist dort aufgeführt, jede einzelne E-Mail-Adresse. In dem System gibt es verschiedene Alarm­ stufen. Ein rotes Dreieck heißt, dass er sofort reagieren muss. In diesen Fällen bekommt Yilmaz zur Sicherheit auch noch mal eine Warn-E-Mail geschickt. Gelb heißt, dass etwas nicht in Ordnung ist, aber keine unmittelbare Gefahr besteht. Das kann zum Beispiel bedeuten, dass ein Computer nach dem Hochfahren nicht unmittelbar mit dem Sicherheitsserver kommuniziert. »Früher habe ich auf so etwas sofort reagiert, jetzt warte ich da erst mal 30 Minuten lang ab«, erzählt er. Die Arbeit seines IT-Fachmanns ist Reuter einiges wert. Nicht nur das Gehalt schlägt zu Buche, auch die Kosten für Hardund Software. Zudem schickt er Yilmaz einmal im Jahr auf eine Fortbildung. Da komme insgesamt schon ein hoher fünfstelliger Betrag pro Jahr zusammen, sagt Reuter. Das passt ins Bild: Auswertungen der Portale Stepstone und Glassdoor zeigen, dass

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Plötzlich offline kann sich heute keiner leisten

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ESET.DE/STAND-DER-TECHNIK


ARBEITSWELT VIERTAGEWOCHE

Am fünften Tage

Ein mittelständischer Maschinenbauer führt die Viertagewoche ein, um Fachkräfte anzulocken. Kann das funktionieren?

Fotos: Marzena Skubatz für ZEIT für Unternehmer

Daniela Dingfelder, 44, leitet das Unternehmen Deguma mit ...


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sollst du ruhn

… Viktoria Schütz, 39, die es von ihren Eltern übernahm

Zu Besuch bei Deguma in Thüringen VO N M A X I M I LI A N M Ü NST ER


E Ein Mitarbeiter steuert die Produktion eines Walzwerks in der Fertigung von Deguma

»Am Ende sollte die Wirtschaft dem Menschen dienen und nicht andersherum« Viktoria Schütz, Unternehmerin

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Eine Idee muss groß sein, wenn sie nun Jobsuche auch selbstbewusst verlangen. auch einen sehr kleinen Ort in der deutschen Eine neue Arbeitskultur ist in die Büros Provinz erreicht hat. Genauer: Geisa, eine eingezogen, sie strahlt aber auch an die Stadt mit 5000 Einwohnern im Wartburg­ Hochöfen und Fließbänder aus. kreis in Thüringen. Nahe der Einfahrt zum So kam es, dass sich ein 50-MitarbeiterIndustriegebiet wirbt ein Schild um Fach­ Betrieb wie Deguma an der Viertagewoche kräfte mit dem Slogan: »Du bist mehr wert«. versucht, um an Fachkräfte zu kommen. Am Ende der Straße erhebt sich eine Werk­ Kann das funktionieren? statthalle, an der eine rote Weltkugel prangt. Seit den 1970ern gibt es Studien, die Das Logo des Familienbetriebs Deguma die Vorteile einer kürzeren Arbeitswoche steht für 30 Jahre Tradition. Seit Kurzem bewiesen haben wollen. Ihnen zufolge sollen steht es auch ein bisschen für Revolution. Menschen damit zufriedener in ihrem Job An einem Mittwoch im Herbst sitzt die sein, psychisch gesünder und gleichzeitig Chefin Daniela Dingfelder am Konferenz­ produktiver. Die Idee dahinter: Mitarbeiter tisch. Sie spricht über die Walzen für die fühlen sich mehr wertgeschätzt und sind Kautschukindustrie, die die Monteure in motivierter. Aber lässt sich belegen, dass das der Werkstatt zusammenschrauben. Nur an auch den Arbeitgebern nutzt? Freitagen nicht. Da ruht die Produktion. Ein großer Feldversuch in Großbritan­ Das Unternehmen hat im April die Vier­ nien hat in diesem Jahr für Schlagzeilen ge­ tagewoche eingeführt. Wenn Dingfelder sorgt: 61 Firmen mit insgesamt 2900 Mit­ und ihre Co-Chefin Viktoria Schütz davon arbeitern arbeiteten testweise einen Tag­ bei den Nachbarbetrieben oder auf Tagun­ weniger oder reduzierten ihre Arbeitszeit auf gen erzählen, reagierten viele interessiert, 32 Stunden pro Woche. Sie gaben an,­ sagt Dingfelder. Manche würden aber auch psychisch stabiler zu sein, besser zu schlafen sagen: Das kommt mir nicht ins Haus. und ein gesünderes Privatleben zu führen. So läuft die Diskussion nicht nur in­ Das machte sie im Betrieb leistungsfähiger. Geisa. In Deutschland ist die Debatte um Der Umsatz der Unternehmen blieb gleich die Viertagewoche heiß wie ein Hochofen, oder stieg sogar. Experimente mit ähnlichem spätestens seit die IG Metall sie diesen­ Ergebnis gab es auch in Island. September für die Stahlindustrie gefordert Das Problem: Aus Branchen wie dem hat. Gewerkschaften versprechen sich davon­ Maschinenbau oder dem Handwerk haben gesündere Mitarbeiter mit mehr Zeit fürs nur wenige Firmen mitgemacht. »Die Stu­ Privatleben. Für die Arbeitgeber ist es aber dien, über die alle sprechen, sind nur schwer jetzt genau der falsche Zeitpunkt, darüber zu zu verallgemeinern«, sagt Norbert Bach. reden. Die Stahlindustrie und viele andere Der Betriebswirtschaftler leitet das Fach­ müssen grün werden. Dafür braucht man gebiet Unternehmensführung/Organisation Fachkräfte, die es nicht gibt, und die wenigen an der TU Ilmenau. Mit einem Team­ wollen jetzt auch noch weniger arbeiten. begleitet er den Versuch von Deguma und Oder ist das vielleicht zu kurz gedacht? zwei anderen Unternehmen. Er will her­ Die Viertagewoche soll nämlich dazu ausfinden, ob sich neue Formen der Arbeit dienen, sich als Arbeitgeber schick zu­ in strukturschwachen Regionen auszahlen machen. Spätestens seit Corona wollen die und im besten Fall Mitarbeiter anlocken. Beschäftigten flexible Arbeitszeiten und die Denn es ist ja so: Thüringen ist nicht das Möglichkeit, zu Hause oder im Wohnmobil Silicon Valley. Deguma baut Walzwerke und arbeiten zu dürfen. Eine Befragung des rüstet gebrauchte Maschinen mit neuen Be­ WSI-Instituts der gewerkschaftsnahen dienelementen oder Sicherheitsvorrichtun­ Hans-Böckler-Stiftung unter 2575 Be­ gen aus. Die Maschinen kommen etwa bei schäftigten hat ergeben, dass sich mehr als der Produktion von Autoreifen zum Einsatz. 70 Prozent der Befragten eine Viertage­ Die Walzwerke mischen dann Kautschuk woche wünschen – bei vollem Lohn, ver­ mit Stoffen wie Ruß zu einem Gummi­ steht sich. Weil nun überall Fachkräfte erzeugnis, aus dem später die Reifen geformt fehlen, können Bewerber das bei der­ werden. In der Werkstatthalle in Geisa reihen

Foto: Deguma-Schütz

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vr.de/verantwortung

, t ß i e h h c i l t f a h c s n e s s t f Geno a h c s t r i W e l a n o i g e r . e n i e d t l a t s e g u z n e g r o m n vo Wir sind die Banken mit der genossenschaftlichen Idee. Mit uns fließt Geld aus der Region wieder in die Region. Denn wir fördern Projekte und Unternehmen vor Ort. So stärken wir die Wirtschaft und übernehmen Verantwortung für die Region und die Menschen, die dort leben und arbeiten.

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sich solche Walzwerke aneinander, manche das Wochenende. Ein Azubi erzählt, er habe sie gesagt: »Okay, ich mach es – aber sind groß wie ein Kleinlaster. Hier wird­ habe jetzt mehr Zeit für die freiwillige unter meinen Bedingungen.« geschraubt, gefräst, verkabelt. Deguma ist Feuerwehr. Ein anderer Kollege denkt nun Seitdem ist doch ein bisschen Silicon kein Betrieb, in dem New Work üblich ist. darüber nach, nebenbei zu studieren. Valley in Geisa eingekehrt. 2019 stieg Und doch beschloss die Geschäftsfüh­ Vögler sagt, die größte Schwierigkeit sei Dingfelder als Co-Chefin mit ein. Zwei rung, es mit der Viertagewoche zu versuchen, die Kommunikation. Zum Beispiel könnte Frauen an der Spitze eines Maschinenbau­ zunächst ein halbes Jahr lang. Einen Tag sie freitags bei einem Kunden sitzen, der betriebs, Mitbestimmung, Duzen, Teilzeit­ weniger arbeiten bei gleichbleibendem­ nicht weiß, ob er eine Wasserkühlung an modelle für alle. Das spricht sich in der Gehalt. Im Dezember 2022 traf sich die der Walze braucht. Vögler will beim Kolle­ Region herum, was im Rennen um Fach­ Belegschaft im Kulturhaus in Geisa, der gen in Geisa nachfragen. Der hat aber seinen kräfte unbezahlbar ist. Vielleicht ist nun die Plan wurde verkündet. Mittendrin saß­ freien Tag. Montags ist sie wiederum zu Viertagewoche eine Art »next big thing«. Daniela Vögler, 44. Seit 26 Jahren arbeitet Hause. Die Rückmeldung liest sie dann Aber eben nicht für alle. Norbert Bach sie für Deguma im Vertrieb. »Im ersten erst am Dienstag. Um unnötige Schleifen von der TU Ilmenau erzählt, dass er neulich Moment habe ich mich gefreut – und mich zu vermeiden, formuliert Vögler Mails jetzt eine Werkstatt besucht habe. Der Betrieb dann ­gefragt: Wie soll das gehen?« so klar wie möglich. Der Kollege soll nicht hatte die Viertagewoche eingeführt, dafür Jetzt, zehn Monate später, tippt sie eilig nachfragen müssen. Das bewirkt, dass die mussten die Mitarbeiter aber zehn Stunden auf ihrem Laptop. »An den Tagen, an denen Mitarbeiter ungestörter arbeiten, unnötige am Tag arbeiten. »Die haben gesagt: Da tut ich da bin, arbeite ich mehr«, sagt sie. Die Kommunikation fällt weg, dafür auch mir der Rücken so weh, da bringt mir der Arbeitstage sind dichter, weil das Unter­ manches Gespräch am Kaffeeautomaten. freie Freitag auch nichts«, sagt Bach. Bislang nehmen produktiver werden muss. An vier Die Chefin Daniela Dingfelder sagt, es kann sein Team nur vorläufige Ergebnisse Tagen muss das weggearbeitet werden, was sei nicht leicht, einem Maschinenbauer diese vorweisen. Die Firmen melden zwar weniger die Mitarbeiter früher an fünf geschafft Arbeitskultur einzuhauchen: »Am Anfang Krankheitstage. Doch ob das mit der­ haben. Deguma hat Workshops organisiert, konnte ich mir nicht vorstellen, dass es Viertagewoche zutun hat oder eine saisonale um die Zusammenarbeit neu zu strukturie­ funktioniert.« In Deutschland hätten viele Schwankung ist, lasse sich noch nicht beur­ ren. Auch Vögler selbst feilte an ihrer Ar­ Menschen gelernt, hierarchisch geführt zu teilen. Die Betriebe beobachten auch weni­ beitsstruktur. Sie geht nun große Aufgaben werden. »Dann auf einmal die Freiheit zu ger Störungen bei der Arbeit und mehr­ direkt an und liest ihre Mails erst später. Ein geben, selbst Entscheidungen zu treffen, Flexibilität. Aber: Mehr Bewerbungen hätten kleiner Kniff. Sie verbringt weniger Zeit in kann im ersten Moment überfordernd sein.« die Betriebe in Thüringen nicht bekommen. Meetings. Die sollten nicht länger dauern Bis vor ein paar Jahren war Deguma ein »Ich bin skeptisch, ob es betriebswirt­ als 60 Minuten pro Woche. In der Pro­ klassischer Maschinenbauer. Angefangen schaftlich umsetzbar ist, die Arbeitszeit zu duktion fräsen die Mitarbeiter auch mal hat alles 1990. Das Unternehmerpaar Win­ verkürzen«, sagt Bach. Ein kleiner Betrieb Teile selbst, wenn die Bestellung zu lange fried und Barbara Schütz kaufte in einer wie Deguma könne die Produktivität­ dauert. Noch bauen sie Schaltschränke, mit alten Limonadenfabrik gebrauchte Maschi­ hochschrauben. Anders sei das bei einer denen die Walzwerke verkabelt sind. Diesen nen, reparierte und überholte sie. Dann voll ­automatisierten Produktion mit hohen ­Arbeitsschritt will Deguma auslagern. verkaufte das Paar sie in die ganze Welt. Stückzahlen, wo die Effizienz sowieso Der Betrieb experimentiert, stößt an Das Geschäft mit den Gebrauchtmaschinen schon am Anschlag ist. Würden Betriebe Grenzen, wirft Konzepte über den Haufen, läuft heute noch. Seit 2018 baut Deguma die ­ A rbeitszeiten verkürzen, müssten sie sucht Alternativen. Im Service etwa lässt auch eigene Walzwerke. Damals übernahm neue Mitarbeiter einstellen, um die Maschi­ sich die Viertagewoche nicht konsequent die Tochter Viktoria den Betrieb. nen durchgehend betreiben zu können. Die durchsetzen. Wer rausfährt zum Kunden Man erreicht Viktoria Schütz per Video­ gibt es nicht. Oder aber sie stoppen die und Donnerstag an dessen Maschine nicht telefonat in Berlin. Sie leitet den Betrieb von Maschinen einen Tag lang, was bei Betrie­ fertig wird, macht Freitag nicht frei. Oder: einer Art Co-Working-Büro für Familien­ ben mit hohem Wettbewerbsdruck kaum Anfangs besetzte der Betrieb die Produktion unternehmer, alle zwei Wochen pendelt sie möglich ist. Das sei nur denkbar, wenn durchgehend. Folge: Manche Arbeiter fehl­ nach Geisa. Vor ihrer Zeit bei Deguma hatte ganze Branchen auf eine Viertage­ woche ten montags, andere freitags. Das erschwerte sie sich einer Gemeinschaft digitaler Noma­ umstellen würden, sagt Bach. die Absprachen. Deshalb nehmen in der den angeschlossen. Sie saß auf Konferenzen Es ist nicht so, dass es so etwas noch nie Werkstatt jetzt alle den Freitag frei. Die in Estland und Thailand und dachte darüber gegeben hätte. Nach dem Krieg arbeiteten Büros sind jeden Tag besetzt, damit der nach, wie der Mensch künftig arbeiten­ Beschäftigte im Schnitt 48 Stunden, sechs Betrieb immer erreichbar ist. sollte. Viktoria Schütz sagt: »Am Ende sollte Tage die Woche. 1965 blühte die Wirtschaft, Früher sei der Samstag sehr gedrängt die Wirtschaft dem Menschen dienen und und die Zeit war reif für die Fünf­tagewoche. gewesen, sagt Daniela Vögler: »einkaufen, nicht andersherum.« Als es darum ging, ob 1994 führte VW sogar die Viertagewoche putzen, die Kinder«. Der freie Tag entzerre sie den Betrieb ihrer Eltern übernimmt, ein – als Sparmaßnahme. Die Mitarbeiter


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bekamen zehn Prozent weniger Gehalt bei zwanzig Prozent weniger Arbeit. 2006 schaffte VW das Modell wieder ab. Belgien verankerte die Viertagewoche Ende 2022 gesetzlich. Mitarbeiter können wählen, ob sie ihre wöchentliche Arbeitszeit auf vier oder fünf Tage aufteilen. Alternativ können sie Stunden reduzieren, dann gibt es aber auch weniger Gehalt. Spanien testet in einem staatlich finanzierten Versuch die Einführung der Viertagewoche bei vollem Lohn. Und 2024 soll auch in Deutschland der bisher größte Modellversuch stattfinden. Mehr als 50 Firmen aus verschiedenen Branchen machen mit, sechs Monate lang. Und vielleicht verhilft auch der Fortschritt dem Modell zum Durchbruch. Bald könnte es Roboter geben, die Wände streichen, und künstliche Intelligenz, die Texte wie diesen schreibt. Vielleicht fallen dann Stellen weg. Doch bis es so weit ist, braucht die Wirtschaft Arbeitskräfte, um die Transformation zu stemmen. Und die Viertage-

2900

Mitarbeiter in 61 Firmen nahmen an einem Feldversuch in England teil: Sie arbeiteten weniger – und waren leistungsfähiger

woche bleibt wohl den Betrieben vorbehalten, die sie sich auch leisten können. Deguma hat den Versuch verlängert,­ vorerst bis Frühjahr 2024. Vieles lasse sich noch nicht beurteilen, sagt Dingfelder. Die Bewerberzahlen seien weniger stark gestiegen als erhofft, aber die geringere Anzahl an Krankheits­tagen helfe gegen den Personalengpass. Sie hat ausgerechnet, dass ihre Arbeiter nur noch 800 Arbeitsstunden brauchen, um eine Maschine zu fertigen, früher waren es 2000. »Die Frage ist: Liegt es daran, dass sie motivierter drangehen? Oder dass sie mittlerweile mehr Erfahrung haben?« Deguma baut schließlich noch nicht lange eigene Maschinen. Schütz und Dingfelder haben einiges umgekrempelt. Jetzt auch noch die Viertagewoche. Das ist ganz schön viel Revolution für einen kleinen Betrieb. Am Ende sei es ja so, sagt Dingfelder: »Ich kann ständig darüber nachdenken, was ich in fünf oder zehn Jahren machen will. Oder ich kann es einfach tun.«

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DIE INNOVATIONSKRAFT VON STEINBEIS PAPIER: Kreislaufwirtschaft und Digitalisierung Steinbeis Papier, europäischer Marktführer für grafische Recyclingpapiere, hat über 40 Jahre Erfahrung in der nachhaltigen Papierherstellung gesammelt und sich dabei auf zwei entscheidende Faktoren für den Erfolg konzentriert: Kreislaufwirtschaft und Digitalisierung. Steinbeis Papier hat sich zur Aufgabe gemacht, wettbewerbsfähige Produkte unter strengen ökologischen Standards herzustellen. Diese Herausforderung meistert das Unternehmen durch hocheffiziente Produktionsprozesse und die Umstellung auf Industrie 4.0. Die Integration eines SAP-HANA-Systems in die

Produktion war ein wichtiger Meilenstein, der eine schnellere Datenanalyse und damit eine frühere Regulierung in der laufenden Produktion ermöglicht. Dies führt nicht nur zu einer Steigerung der Effizienz, sondern auch zu einer Verbesserung der ökologischen Nachhaltigkeit. Die jährliche Produktion von mehr als 300.000 Tonnen Recyclingpapier ist ein beeindruckendes Ergebnis, das auf kontinuierlicher Prozessoptimierung und Digitalisierung basiert. Die Digitalisierung bei Steinbeis Papier begann vor mehr als sechs Jahren und wurde in Zusammenarbeit mit externen Partnern


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und internen Abteilungen durchgeführt. Ideen aus dem Unternehmen wurden in konkrete Use Cases umgesetzt, um die Anforderungen an das neue System zu ermitteln. Die Implementierung von SAP HANA schuf eine Echtzeitanalyse von Daten aus 25.000 Sensoren in der Produktion, was neue Möglichkeiten zur Optimierung der Produktionsprozesse und zur Verkürzung von Zyklen zwischen Abweichung und Korrektur eröffnet. Steinbeis Papier hat große Pläne für die Zukunft und plant, die Digitalisierung und Datenanalyse weiter auszubauen. Auch andere Unternehmensbereiche wie der Einkauf und das Controlling sollen stärker in das System integriert werden. Die Auszeichnung mit dem SAP Quality Award im Jahr 2020 unterstreicht die Innovationskraft und das Engagement von Steinbeis Papier für die Zukunft der ökologischen Papierproduktion und die Chancen, die die Digitalisierung in der Kreislaufwirtschaft bietet. Darüber hinaus zeigt Steinbeis Papier ein klares Engagement für die Kreislaufwirtschaft. Das Unternehmen verfolgt verschiedene Kreislaufkonzepte, die Ressourcen schonen und effizient gestalten. Dies beinhaltet den Papierkreislauf, bei dem Altpapiere aus der Region re- und upgecycelt werden, den Energie-

kreislauf mit einem eigenen, effizienten KWK-Kraftwerk sowie den Wasserkreislauf mit nahezu geschlossenen Wasserkreisläufen und einer vollbiologischen Kläranlage. Alle Reststoffe werden bei Steinbeis Papier wieder dem Kreislauf zugeführt und verwertet. Im Ergebnis stehen Recyclingpapiere, die aus 100 Prozent Altpapier hergestellt werden. Im Vergleich zu herkömmlichen Papieren aus Frischfasern sparen Steinbeis Papiere bei der Herstellung bis zu 73 Prozent Energie und 79 Prozent Wasser ein. Zudem ist der CO2 equ.-Ausstoß um 42 Prozent reduziert. Zum Produktportfolio gehören Druck- und Kopierpapiere, gestrichene Offsetpapiere sowie Digitaldruck- und Etikettenpapiere. Alle Steinbeis Papiere sind mit dem Blauen Engel und dem EU Ecolabel ausgezeichnet. Insgesamt zeigt Steinbeis Papier, wie die Synergie von Kreislaufwirtschaft und Digitalisierung zu nachhaltigem Erfolg führen kann. Die Innovationskraft des Unternehmens spiegelt sich in seinen Bemühungen wider, ökologische Standards zu erfüllen, die Effizienz zu steigern und einen positiven Beitrag zur Umwelt zu leisten. Von der Innovationskraft überzeugen und kostenlose Papiermuster bestellen unter shop.stp.de


FAMILIENUNTERNEHMEN NACHFOLGE

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Häuser der Ewigkeit Wolfgang Schmidt hatte keine Kinder, als er starb. Aber er hatte einen unkonventionellen Plan, wie es mit seiner Firma weitergeht und wem sie zukünftig nützen soll

Mitten im Sauerland ragen sieben Pyramiden in die Luft. Seit 2005 stehen sie hier, in Lennestadt, umgeben von Wald und Wiesen, eine Viertelstunde Fußweg entfernt plätschert die Lenne. Wer sich zufällig hierher verirrt, ist womöglich verwundert über die weißen Bauwerke, die an die Grabstätten ägyptischer Regenten erinnern. Vier der sieben Pyramiden beheimaten Ausstellungen, zum Beispiel zum Artensterben oder zu A ­ liens im All. Ein »Ort des Staunens und Wunderns« sollen die Pyramiden sein, sagte Wolfgang Schmidt, Inhaber des Parks, bei der Eröffnung. »Kein Platz für seichte Unterhaltung, sondern für ungewöhnliche I­deen und Projekte an den Grenzen des menschlichen Wissens.« Wolfgang Schmidt war kein Forscher, auch kein Pädagoge oder Kurator. Er war Unternehmer. Schmidt leitete ab 1994 das Maschinenbau-Unternehmen TractoTechnik, das sein Vater Paul im Jahr 1962 in einer Garage in Lennestadt gegründet hatte. Tracto hat zum Beispiel Maschinen auf den Markt gebracht, mit denen ohne aufwendige Grabenarbeiten Leitungen und Kabel verlegt werden können, sogenannte Erdraketen. Tracto ist in diesem Sektor Weltmarktführer. Auch dank Wolfgang Schmidt. Es ist ein großes Erbe, das Schmidt hinterließ, als er im November 2020 mit nur 57 Jahren unerwartet starb. Tracto erwirtschaftet laut eigenen Angaben einen Jahresumsatz von rund 200 Millionen Euro, weltweit arbeiten rund 700 Mitarbeiter für den Mittelständler. Im Nachruf auf Wolfgang Schmidt erinnerte das Lokalblatt Saal-

Das Werk soll hier, inmitten der grünen Hügel des Sauerlands, noch lange bestehen

hauser Bote, der verstorbene Tracto-Chef habe nicht nur für seine Firma Hervorragendes geleistet, sondern sei auch »mit Saalhausen sehr verbunden« gewesen. Schmidt förderte Kultur, Sport und Wissenschaft in der Region. Deshalb der Pyramidenpark. Nun läuft es in Familienunternehmen ja oft so: Wenn es in der Inhaberfamilie einen Nachkommen gibt, der den Betrieb weiterführen möchte, wird derjenige ein paar Jahre vor der Übergabe darauf vorbereitet. Drei bis

zehn Jahre vorher, rät etwa die IHK München. Der bisherige Chef führt seine Tochter oder seinen Sohn langsam an die wichtigsten Aufgaben heran, überträgt ihr oder ihm Jahr für Jahr mehr Verantwortung. Auch die Mitarbeiter sollen merken: Das hier wird unsere neue Chefin, unser neuer Chef. Aber oft kommt es anders. In einer Umfrage von ZEIT für Unternehmer antworteten 38 Prozent der Leserinnen und Leser, dass die Nachfolge in ihren Firmen noch nicht geregelt, es aber an der Zeit dafür sei. Weitere 23 Prozent gaben an, die Nachfolge sei ge­ regelt, verlaufe indes anders als gewünscht. Das Beispiel Tracto zeigt, dass dann manchmal unkonventionelle Lösungen helfen. Denn Wolfgang Schmidt hatte keine Kinder und auch sonst keine Nachfolger, die das Unternehmen hätten übernehmen können. Es war klar, dass Tracto nach seinem Tod kein Unternehmen der Schmidts bleiben wird. Gleichzeitig war Tracto das Lebenswerk von Paul und Wolfgang Schmidt, das Unternehmen, das Wissen, die Mitarbeiter sollten in guten Händen bleiben. Deshalb drängte sich Wolfgang Schmidt die Frage auf: Was passiert mit Tracto, wenn er nicht mehr da ist? Schmidt suchte Rat bei einem seiner engsten Vertrauten: Timotheus Hofmeister, seit 2010 Geschäftsführer bei Tracto. »Ich war jahrelang seine rechte Hand, wir haben sehr eng zusammengearbeitet«, erinnert sich Hofmeister, der früher als Steuerberater und Wirtschaftsprüfer tätig war. »Irgendwann haben Wolfgang und ich dann über meine Zukunft bei Tracto gesprochen«,

Foto: Hans Blossey/Imago

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sagt er. In den Gesprächen ging es vor allem darum, wie die langfristige Perspektive für Tracto aussehen soll. Welche Pläne hat Schmidt für sein Unternehmen? Kann es passieren, dass er den Betrieb irgendwann verkauft? Und: Wer soll Tracto führen, wenn er nicht mehr kann oder will? Im Jahr 2015 kam Schmidt der Gedanke an eine Stiftung. Seine Hoffnung: Mit ihr könnten die Werte des Familienunternehmens, die ihm so wichtig waren, erhalten werden. Sie würde soziale Projekte in der Region mitfinanzieren, außerdem gemeinnützige Vereine und hilfsbedürftige Menschen unterstützen. »Wir dachten: Durch eine Stiftung könnten wir das Wertegerüst von Tracto festschreiben«, sagt Hofmeister. Tracto könnte der »Local Hero« bleiben, als der sich das Unternehmen auf der eigenen Web­site bezeichnet. Es gab auch Zweifel. Denn eine Stiftung, die hat etwas Ewiges, etwas Starres. Das sind Eigenschaften, die eigentlich nicht zu einem Unternehmen passen, das international erfolgreich sein und mit dem Zeitgeist gehen will. Doch Schmidt wusste von der KruppStiftung in Essen und der Zeppelin-Stiftung in Friedrichshafen und war daher sicher: Es kann funktionieren. Zumal es 2020 in Deutschland knapp 24.000 Stiftungen und rund 1300 Familienstiftungen gab. Für viele Unternehmer ist die Gründung einer solchen Stiftung heute ein Modell, um die Nachfolge zu regeln – auch wenn sich Stiftungen in Einzelheiten von­ein­an­der unterscheiden können. So dienen sie oft dazu, das Vermögen der Familien abzusichern und auch Erträge für die Familien abzuwerfen. Schmidt dagegen entschied sich für die gemeinnützige Stiftung, was für Familienstiftungen eher untypisch ist. Und er wollte sie eigentlich selbst gründen und aufbauen. Dann starb er. Doch sein Team machte weiter, allen voran Timotheus Hofmeister. Im Jahr 2022 wurde die Paul und Wolfgang Schmidt Stiftung vom Regierungspräsidenten in Arnsberg anerkannt. Als gemeinnützige Stiftung fördert sie Altenhilfe, Bildung, Kunst und Kultur, Sport sowie Wissenschaft und Forschung. Das Geld, mit dem die Stiftung diese Zwecke erfüllen kann, stammt von Tracto. Wie viel es in etwa ist,

behält Hofmeister für sich. Nur so viel: An erster Stelle müsse die Wirtschaftskraft von Tracto sichergestellt sein, dann werde ein »relativer Betrag des Erfolgs« weitergegeben. Die Stiftung hält 60 Prozent der Anteile von Tracto, 24 Prozent gehören der Familie und 16 Prozent dem Geschäfts­führer Hofmeister. Im Vorstand sitzen der gelernte Banker Peter Kaufmann, ein Rechtsanwalt – und Jennifer Schmidt, Kauffrau und Nichte von Wolfgang Schmidt. Gern hätte ZEIT für Unternehmer mit ihr besprochen,

Tracto-Chef Timotheus Hofmeister demonstriert eine fahrbare Bohrmaschine

wie sie es findet, dass das unternehmerische Erbe ihres Onkels in eine S­ tiftung geflossen ist. Wie sie mit den V ­ orstandsmitgliedern zusammenarbeitet, die nicht Teil der Familie sind. Doch sie gibt keine Interviews. Die Stiftung und die sozialen Projekte, die sie unterstützt, profitieren von Tractos Geschäft. Aber auch das Unternehmen hat etwas von dem Modell: »Die Stiftung beobachtet unseren Wirtschaftsbetrieb mit einem besonderen Blick und schaut darauf,

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dass wir die ethischen Grundsätze des Stifters einhalten«, sagt Hofmeister. Kontraproduktiv für das Geschäft sei das nicht, im Gegenteil, sagt Peter Kaufmann. Er kennt Tracto seit 1986, war jahrelang Vorstandssprecher der Hausbank und hat die Gründung der Stiftung begleitet. Heute ist er Vorsitzender der Tracto-Stiftung und sagt: »Sozial kann auf Dauer nur der sein, der auch wirtschaftlich erfolgreich ist.« Laut Hofmeister geht es im operativen Geschäft von Tracto nicht darum, möglichst viel Geld zu verdienen, sondern um die­ Frage: Wie viel Geld müssen wir heute verdienen, damit die Unternehmensgruppe auch morgen noch erfolgreich ist? »Nur eine solide, auf Wirtschaftlichkeit ausgerichtete Unternehmenspolitik sichert die Existenz und die Wirksamkeit der gemeinnützigen Stiftung.« Kaufmanns Aufgabe ist es vor allem, die Stimmanteile an der Gesellschaft zu halten und zu verwalten, zudem führt er den Pyramidenpark. In das Tagesgeschäft von Tracto greife die Stiftung nie ein, die beiden Bereiche s­eien strikt getrennt, sagt er. Und: »Wir sind für das normative Management zuständig, nicht für das operative Geschäft.« Kaufmann und Hofmeister arbeiten routiniert zusammen. Allerdings waren die beiden auch von Beginn an eingeweiht und haben an der Gründung der Stiftung mitgewirkt. Die allermeisten anderen Beschäftigten wussten am Tag nach Wolfgang Schmidts Tod nicht genau, wie es bei Tracto weitergeht. Man habe daher sofort mit der Geschäftsführung und der Familie in einem Schreiben die Pläne erklärt, sagt Kaufmann. Eine klare Kommunikation sei in so einem Fall unheimlich wichtig, meint Kaufmann. Wie in einer Firma die Nachfolge läuft, spiele im Wettbewerb um Fachkräfte eine wichtige Rolle. Daher haben sich Kaufmann und Hofmeister viel mit der Unternehmenskommunikation und mit dem Betriebsrat ausgetauscht. Die Mitarbeiter können im Intranet oder im unternehmenseigenen Magazin nachlesen, was es mit der Stiftung auf sich hat. Kaufmann formuliert es so: »Selbst der Hund des Hausmeisters muss wissen, was bei uns los ist.« Alle sollen sich involviert und informiert fühlen. So hätte es Wolfgang Schmidt gewollt.

Foto: Ralf Rottmann/ Funke Foto Services/Imago

FAMILIENUNTERNEHMEN NACHFOLGE



FINANZIERUNG FAMILY-EQUITY

Wenn das Geld fremdgeht Manche Unternehmer stecken ihre Gewinne lieber in andere Familienfirmen als in die eigene. Warum denn das? VO N A NNA FRI ED RI C H

Nicht zu schnell loslassen: Wer in Familienfirmen investiert, braucht Geduld

Foto: Hahn & Hartung

Bewunderung hier, Empörung dort: Als der 34-jährige Max Viessmann das Kerngeschäft seines Familienunternehmens im Frühjahr 2023 an den US-Konkurrenten Carrier Global verkauft, kochen in der Wirtschaftswelt ganz unterschiedliche Emotionen hoch. Viessmann erklärt den Megadeal nämlich nicht etwa mit einer wirtschaftlichen Schieflage. Dem Heizungsbauer geht es blendend. Trotzdem veräußert er seine Klimasparte an den Wettbewerber aus den USA, damit Viessmann und Carrier zum »globalen Cham­ pion für Klima- und Energielösungen« werden, wie die Familie es ausdrückt. Kaufpreis: rund zwölf Milliarden Euro. Wenn eine Firma Geld braucht, ist so ein Verkauf nur eine von vielen Lösungen. Banken geben Kredite oft nur zögerlich. Ein Börsengang ist eine Option, alternativ kann man sich einen Private-Equity-Investor an Bord holen. Oder man beteiligt andere Familienunternehmer an der eigenen Fa­ mi­ lien­fir­ma. Solche Kapitalgeber können sich, so die Vermutung, besonders gut in die Lage anderer Mittelständler hineinversetzen. Man bleibt unter seinesgleichen, das Verständnis füreinander schweißt zusammen. »Kapital von anderen Familien genießt bei familiengeführten Unternehmen oft­ einen besseren Ruf als Kapital von Fi­nanz­ inves­ to­ ren oder vom Kapitalmarkt«, sagt Stephan Gerwert, Family-Office-Experte bei der Beratungsgesellschaft PwC Deutschland. Dabei sind die Beteiligungen zumeist kein Dienst aus Nettigkeit, sondern ein strategisches Investment. Auch wenn einander gewogene Familien miteinander dealen, wollen sie Gewinne machen. Die emotionale Verbundenheit mit der eigenen Spezies ist eher eine Anekdote als ein Anlagekriterium. Firmenbeteiligungen boomen daher auch aus einem recht profanen Grund: Weil­ Immobilieninvestments an Attraktivität ver­ loren haben, kaufen wohlhabende Unternehmer-Clans sich jetzt öfter Anteile an den Firmen anderer Clans. Noch ein Grund: Wer seine Gewinne nicht in der eigenen Firma belässt, sondern in andere Firmen investiert, kann so sein Risiko streuen. Viele Unternehmerfamilien nutzen sogenannte Family-Offices, um ihr Vermögen


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zu sichern und zu mehren. Neben Anbietern, die für mehrere Familien arbeiten, sind hierzulande laut Schätzungen der privaten Wirtschaftshochschule WHU rund 300 Single-Family-Offices aktiv, die exklusiv das Geld einer einzigen Familie verwalten. Nadine Kammerlander forscht seit 15 Jahren zu Familienunternehmen, an der WHU hat sie sich auf Family-Offices spezialisiert. »Familienunternehmer denken in Generationen«, sagt sie. Was wie eine Floskel klingt, hat laut Kammerlander aber tatsächlich ganz konkrete Auswirkungen: »Wenn Family-Offices in Familienunternehmen investieren, haben sie eine Haltedauer von durchschnittlich 19 Jahren.« Zum Vergleich: Ein typisches Private-Equity-Investment ist darauf ausgelegt, nach fünf bis höchstens sieben Jahren Rendite einzufahren. Und das geht in der Regel nur, wenn man seine Anteile wieder mit Gewinn versilbert. Die WHU hat gemeinsam mit der Finanzplattform CARL Unternehmer befragt, die über einen Verkauf der eigenen Firma nachdenken. Die Hälfte von ihnen will die Anteile nicht meistbietend veräußern, sondern an jemanden, der die Firmen-DNA aufrechterhält. Bleibt der Name bestehen? Die Struktur? Die Unabhängigkeit? »All das ist bei Private-Equity-Häusern kaum zu antizipieren. Zumal nach fünf Jahren der nächste Käufer kommt und dann vielleicht wieder der nächste«, hat Kammerlander beobachtet. Die Professorin warnt: »In welchen Händen das eigene Unternehmen da am Ende landet, ist kaum vorauszusagen.« Ein Family-Office mit längerem Atem erscheint da vielen als die überzeugendere Wahl. Claudius Graf von Plettenberg kennt beide Welten. Er hat vor zwei Jahren seinen Geschäftsführerposten beim Private-EquityInvestor Aurelius aufgegeben. Gemeinsam mit anderen Familien investiert er nun Teile des Familienkapitals in Mittelständler. Dabei will er mindestens 60 bis 70 Prozent der Anteile und übernimmt nach einer Übergangsphase manchmal die ganze Firma. Plettenberg will das Familienkapital vornehmlich in »krisenfeste, bewährte Geschäftsmodelle« investieren. Handwerksbetriebe, Firmen aus dem Gesundheitssektor, Getränkeproduzenten. »Wir denken sehr

langfristig und haben entsprechend keine feste Renditeerwartung oder Haltedauer im Kopf«, verspricht Plettenberg. Deswegen verspüre er auch »keinen Druck, wieder zu verkaufen« – anders als Private-Equity-Investoren, die unter dem Druck stehen, ihren Geldgebern Rendite zu bringen. Gemeinsam mit seinem Vater Nikolaus Graf von Plettenberg fährt Plettenberg zu Unternehmern, die Teile ihrer Firma verkaufen wollen, weil ihnen ein Nachfolger fehlt. In der Kennenlernphase tauschen beide Parteien Ideen aus, wie die Nachfolge aussehen könnte, wie sich das Geschäft weiterentwickeln lässt. »Noch wichtiger ist allerdings, dass die Chemie zwischen uns stimmt«, sagt Plettenberg. Er wirbt damit, dass seine Familie die Welt der Familienunternehmer kennt. Sein Vater ist seit 40 Jahren Unternehmer, kommt aus der »Old Economy«, wie Plettenberg sagt. Sein Bruder hat in den vergangenen Jahren ein internationales Unternehmen im Konsumgüterbereich aufgebaut. Er selbst kennt sich mit Finanzen aus und bringt Investitionserfahrung mit. Aber ticken alle Familieninvestoren so anders als jene Geldgeber, die der frühere SPD-Vorsitzende Franz Müntefering mal als Heuschrecken beschimpfte? Karsten Wulf ist einer, der sein Geld gern in andere Familienfirmen investiert und selbst als Unternehmer begonnen hat. 1993 hat Wulf den Callcenter-Dienstleister buw gegründet und ihn 2016 an einen US-Konzern verkauft. Damals standen rund 160 Millionen Euro Jahresumsatz zu Buche. Wulf und sein Mitinhaber machten Kasse, schieden aus der Firma aus; und er begann ein neues Leben als Finanzinvestor. Es ist eine typische Biografie: Viele Familienunternehmer, die heute in andere Unternehmen investieren, haben ihr ursprüngliches Unternehmen mit Gewinn verkauft und kümmern sich nun um das Kapital aus dem Verkauf. Wulf investiert mit seiner Beteiligungsgesellschaft zwei.7 sowohl eigenes Kapital als auch Geld anderer Familienunternehmer. Und zwar vor allem in Familienfirmen aus seiner Region: Bielefeld, Osnabrück, Dortmund und Bremen. »Wir können höhere Renditen erzielen als mit anderen AssetKlassen«, sagt Wulf. »Auf der anderen Seite

ist das Geschäft auch risikoreicher, Unternehmen können auch mal pleitegehen.« Wulf beschreibt damit das typische Spekulationskalkül eines Investors: In der Regel beteiligen sie sich an mehreren Firmen parallel, von denen sich mindestens eine als Volltreffer erweist. Aus dem Gewinn ziehen dann nicht nur die Geldgeber ihre Rendite, es lassen sich auch verlustreiche andere Beteiligungen ausgleichen. Wulf baut beim Einstieg in ein Unternehmen darauf, dass sich dessen Wert nach sieben Jahren vervierfacht hat – das entspricht einem jähr­ lichen Wertanstieg von 22 Prozent. Danach könne man die Anteile auch zu einem geringeren Wert verkaufen, müsse das aber nicht. Seine Schablone für die Wahl passender Unternehmen hat eine klare Kontur: Er sucht nach Unternehmen mit 10 bis 150 Millionen Euro Umsatz, die profitabel sind und Wachstumspotenzial mitbringen. Ihr Geschäftsmodell muss verständlich sein – und das Management bereit für einen Investor: »Viele Unternehmer sind Alphatiere und beratungsresistent«, sagt Wulf, »die scheiden in der Zusammenarbeit für uns aus, auch wenn die Rendite attraktiv ist.« Wulf wird oft dann angesprochen, wenn Unternehmer ein Nachfolgeproblem haben. So wie Ossenberg aus Rheine, ein Spezialist für orthopädische Hilfsmittel und RehaProdukte. Einer der beiden Gesellschafter wollte sich zur Ruhe setzen und seine Hälfte der Firma verkaufen. Wulf sah Potenzial – und schlug zu. Unter einer Bedingung: »Mir ist es wichtig, die Mehrheit zu besitzen. Dann gibt es keine Pattsituation, Entscheidungen werden nicht herausgezögert.« Weil der verbleibende Gesellschafter skeptisch war, schlug Wulf eine »Ehe auf Anwartschaft« vor, wie er sagt. Er kaufte 50 Prozent der Anteile und vereinbarte eine Probezeit von fünf Monaten. Danach musste sich der alteingesessene Unternehmer entscheiden: Er konnte Wulf die Anteile wieder abkaufen oder ihm das gewünschte zusätzliche Prozent übereignen. Wulf bekam die Mehrheit. Max Viessman hat nach dem Verkauf seines Kerngeschäfts übrigens angekündigt, den Erlös größtenteils zu reinvestieren. Und wer weiß, vielleicht landet das Geld ja so am Ende auch in anderen Familienfirmen.


NACHHALTIGKEIT FREIZEITPARKS

Eine Achterbahn im Europapark. Manchmal sind die Schreie der Besucher bis nach Frankreich zu hören

Rein ins Vergrünen Freizeitparks brauchen jede Menge Energie und Wasser, manche so viel wie eine Kleinstadt. Und sie versiegeln riesige Flächen. Daran gibt es Kritik. Lassen sich Spaß und Nachhaltigkeit vereinen? Der Europapark Rust versucht es VO N JENS TÖ B B EN


Foto: Felix Schmitt

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Axel Moser stoppt seinen Wagen mitten auf einem Acker in Diebolsheim, einem französischen Dorf an der Grenze zu Deutschland. In der Ferne sind Schreie zu hören; sie dringen über den Rhein herüber, der hier beide Länder trennt. Sie kommen von den Fahrgästen, die in fünf Kilometer Entfernung Achterbahn fahren, auf der anderen Rheinseite, im Europapark Rust. Der ist Deutschlands größter Freizeitpark und will noch größer werden. Moser zeigt über die Felder. Er befürchtet, dass hier das »Europa Valley« entstehen wird, eine große Ferienanlage. Seine Sorge: Die Besucher könnten dort übernachten und tagsüber zum Freizeitpark fahren – mit einer Seilbahn, direkt über das Naturschutzgebiet Taubergießen. Moser, der aus Herbolzheim auf der deutschen Seite kommt, will das verhindern. In seinem Kofferraum hat er einen Karton mit Flyern der Bürgerinitiative »Jetzt langt’s«, die er 2018 mitgegründet hat. Mittlerweile zählt sie mehr als 300 Mitglieder. Der 69-Jährige kennt Rust noch als verschlafenes Dorf, damals, bevor der Park öffnete. Mit den Attraktionen kamen die Besucher, der Verkehr, der Lärm. »Der Europapark breitet sich hier aus«, sagt Moser und schüttelt mit dem Kopf. Er und seine Mitstreiter haben nichts gegen Spaß, und sie wissen, wie sehr die Region wirtschaftlich vom Park profitiert. Aber sie wollen nicht, dass er noch mehr Raum einnimmt. Weil das der Natur schade und der Wasserverbrauch des Parks schon jetzt nicht mehr zu vertreten sei. Das Anliegen von Axel Moser deutet auf einen grundlegenden Konflikt: Welches Gut wiegt mehr: Spaß – oder Umweltschutz? Und was kann ein Freizeitpark tun, um den Konflikt aufzulösen und Menschen ein nachhaltigeres Vergnügen zu bieten? Seit seiner Gründung hat sich das Areal des Parks um das Sechsfache ausgedehnt. Auf 96 Hektar – so viel wie 134 Fußballfelder – gibt es Hotels, Restaurants, Karussells und Achterbahnen. Sie brauchen Platz, Ressourcen, Energie. Dazu kommt der Wasserpark Rulantica, der 2019 eröffnet wurde. Er ist nicht nur der größte Freizeitpark Deutschlands, sondern auch die Nummer zwei in Europa, gleich nach dem Disneyland in Paris.

Der Europapark gehört allerdings keinem Konzern, sondern ist ein Familien­ unternehmen. Franz Mack eröffnete ihn 1975, sein Sohn Roland Mack führt ihn in zweiter Generation, auch dessen drei Kinder arbeiten mit. Spricht man mit Roland Mack, dann merkt man, dass ihn der Streit mit den Naturschützern ärgert. Der Unternehmer möchte als Pionier verstanden­ werden, nicht als ein Mitläufer, der nur auf Proteste reagiert. »Wir haben Kriege und Revolutionen überlebt«, sagt der 74-Jährige. »Das kann man nur schaffen, wenn man sozial und nachhaltig agiert.« Macks Ökobilanz kann sich sehen lassen. Die ersten Wärmepumpen und Fotovoltaikanlagen hat der Europapark vor 20 Jahren installiert. Als erster Park erhielt er 2013 das Label »Green Amusement Park« vom TÜV Süd. 120 Gärtner pflegen die ausgedehnten Grünanlagen, über 5500 Bäume wachsen hier, im Wasserpark 80.000 geschützte Pflanzen. Beim Bau von Rulantica ließ Mack eine Ausgleichsfläche für Amphibien, Insekten und Reptilien frei, die jetzt um die Steinhügel und hohen Gräser herumwuseln. Der Unternehmer hat Millionen in die Ökologie seines Parks investiert. Sein neustes Projekt befindet sich auf­ einem riesigen Parkplatz einige Kilometer nordöstlich von Rust in Kippenheim. Dort prallt die Sonne im Sommer bis zu elf Stunden täglich auf Zehntausende Auto­ dächer. Der Logistiker Mosolf lagert hier Neu- und Gebrauchtwagen. Ab 2024 soll hier Europas größte Fotovoltaik-Überdachung Sonnenenergie in Strom verwandeln, die heute bloß Lack und Glas aufheizt. Mit der Anlage will Mack bis zu 12,5 Gigawattstunden Strom pro Jahr für den Park erzeugen – genug für mehr als 3700 Haushalte. Aber noch nicht genug für den Park. Wie viel Strom der aktuell verbraucht, lässt sich nur schätzen. In seinem Nachhaltigkeitsbericht von 2015 hatte er noch einen Verbrauch von etwa sieben Kilowattstunden pro Kopf angegeben; bei aktuell rund sechs Millionen Gästen pro Jahr läge der Verbrauch also bei etwa 40 Gigawattstunden – so viel wie von 12.000 Haushalten. Kommentieren möchte der Park diese Rechnung nicht, auch zum CO₂-Ausstoß sagt er nichts.

D A SH U FH A U S

FEELING

E n td e ck e nS iein d ivid u e lle A rch ite kte n h äu se rau s H o lzu n dG las! h u f-h au s.co m

H o ch w ertig In d ivid u ell W o h n gesu n d N ach h altig


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NACHHALTIGKEIT FREIZEITPARKS

Mack hat einen Abnahmevertrag für Berichten zufolge rund 20 Millionen Euro noch mal ansteigen lassen; genaue aktuelle zehn Jahre unterschrieben. »Mit dem Projekt geflossen. Solche neuen Attraktionen braucht Zahlen dazu gibt es allerdings nicht. ist uns etwas gelungen, auf das die ganze ein Park, um neue und wiederkehrende­ Roland Mack sagt, ein Großprojekt wie Branche schaut«, erklärt er, und es blitzt so Besucher anzulocken. Ein Betreiber muss Rulantica sei die Ausnahme. »Expansion etwas wie Stolz hinter dem nüchternen­ also abwägen, ob er die Gewinne lieber in bedeutet nicht immer nur reine Fläche«, Pokerface auf, das der Badener sonst trägt, Spaß oder Naturschutz steckt. Und für stellt Mack klar. »Es können auch Qualitäts­ als könne ihn nichts aus der Ruhe bringen. manche ist die Umwelt da zweitrangig. verbesserungen sein, neue Geräte, neue­ Mack investiert auch aus wirtschaft­ Mit einem Viertel der Fläche des Europa­ Angebote.« Aus der 40 Jahre alten Achter­ lichen Gründen. Der Park dürfte mit grü­ parks bringt es die Belantis-Abenteuerwelt bahn »Alpenexpress« machte der Park eine nem Strom langfristig unabhängiger und bei Leipzig auf rund 600.000 Besucher pro neue Attraktion. Fahrgäste tragen jetzt VR-­ günstiger dran sein als mit fossilen Energie­ Jahr. Belantis galt Anfang der 2010er-Jahre Brillen und durchleben virtuelle Abenteuer, trägern. Bisher produziert er rund 3,5 Pro­ als Vorreiter der ökologischen Freizeitparks. die auf die Bewegungen der Achterbahn zent seines Strombedarfs mit eigenen Solar- Als erster Anbieter in Deutschland bezog abgestimmt sind. In diesem Sommer hat ein und Wasserkraftanlagen. Insgesamt stammt Brand sie beschädigt, sie soll aber wieder weniger als ein Viertel des Stroms aus Eigen­ aufgebaut werden. Doch trotz solcher Inno­ produktion, hauptsächlich aus gasbetriebe­ vationen, Gärten und Insektenhotels werden nen Blockheizkraftwerken. Den Rest kauft auch immer mehr Flächen versiegelt. der Park ein. Die Bäder und Hotels brauchen Die Proteste der Bürgerinitiative brach­ dazu Gas für Heizung und Warmwasser. ten ein Moratorium gegen das geplante­ Auch den Besuchern wird Nachhaltig­ Feriendorf im Elsass, doch das läuft dieses keit wichtiger, da muss man nur mal Bernd Jahr ab. Bei Roland Mack schwingt ein ge­ Stecker fragen. »Wenn sich der Trend ver­ wisser Frust mit, als er klarstellt, dass aktuell stärkt, werden Parks, die überhaupt keine niemand am »Europa Valley« arbeitet. Die Freizeitparks gibt es laut ökologischen Anstrengungen unternehmen, Seilbahn sei ohnehin vom Tisch, sagt er. dem Datenportal Statista in Zielgruppen verlieren«, prognostiziert der Kritiker wie Axel Moser sind aber skep­ Deutschland. Sie setzten 2021 Professor für nachhaltige Freizeit an der tisch. Die Initiative befürchtet, dass die rund 1,3 Milliarden Euro um und Hochschule Bremen. Der Großteil der Seilbahn über das Naturschutzgebiet wieder lockten 38 Millionen Gäste an CO₂-Emissionen eines Parks entstehe bei ins Gespräch kommt, sollte die Anlage der An- und Abreise der Besucher. Darauf »Europa Valley« in Diebolsheim einmal­ hätten die Betreiber keinen direkten Ein­ stehen. Auf die Frage, ob das Projekt ausge­ fluss, auf die Strom- und Wärmeversorgung schlossen sei, antwortet der Park schriftlich, schon. Da zählt Strecker den Europapark »dass die ursprüngliche Idee ›Europa Valley‹ zu den Vorbildern. Nur: Es gehe noch mehr. inzwischen weit über ein Engagement des Ein 100-prozentig grüner Freizeitpark sei und bezieht er zu 100 Prozent Ökostrom Europaparks hinausgeht und von den Kom­ ihm zwar nicht bekannt, aber möglich. für den Betrieb. Doch seitdem ist wenig munen sowie den regionalen Gebietskörper­ Roland Mack plant, mit der Mosolf-­ passiert: Es sind keine Investitionen in So­ schaften im Elsass geprüft und verfolgt Anlage den Park im Sommer vollständig lar- und Wasserkraft oder Wärmepumpen wird«. Dabei dürfte es auch darum gehen, mit grünem Strom zu versorgen, zumindest bekannt. Belantis-Chef Bazil el Atassi hält weiter in der Liga von Disney mitzuspielen. tagsüber. Noch verfügen seine Hotels,­ Nachhaltigkeit bei Freizeitparks laut Presse­ Selbst in der Versorgung mit grüner Restaurants und Fahrgeschäfte nicht über­ mitteilung zwar für ein wichtiges Thema Energie vergleicht sich Mack gern mit dem Speicher, die auch in den sonnenärmeren und will gegen Einwegbecher und das Konkurrenten aus Paris. Tatsächlich inves­ Wintertagen Strom liefern. Daher hält­ Rauchen im Park vorgehen. Aber selbst der tiert der US-Konzern an seinem Standort Roland Mack es für »Dampfplauderei«, ein Einbau von energiesparenden LEDs scheint nahe der französischen Hauptstadt ebenfalls konkretes Datum für einen klimaneutralen nur schleppend voranzugehen. Warum? in Fotovoltaik-Überdachungen. Die Anlage Europapark zu nennen. »Wir machen das, Fragen dazu lässt Belantis unbeantwortet. für Disneyland soll 34 Gigawattstunden was technisch machbar ist«, sagt er. Und das Der Europapark stellt mit neuen Attrak­ Strom produzieren, was zwar mehr ist, als lässt er sich etwas kosten. Allein die neuen tionen stetig neue Besucherrekorde auf. die Anlage von Mosolf schafft. Der Solar­ Fotovoltaikdächer über dem Parkplatz Sechs Millionen Menschen kamen 2022 park von Disney deckt aber nur 17 Prozent schlagen mit 30 Millionen Euro zu Buche, nach Rust, so viele waren es nicht einmal vor des Strombedarfs. Für Roland Mack ist die sich Mack und Mosolf teilen. Zum­ der Pandemie. Allein die Wasserwelt Rulan­ klar: Mit seiner Mosolf-Anlage habe der Vergleich: In das 2022 eröffnete Erlebnis­ tica lockte 900.000 Menschen in den Park. Europapark »die Nase vor Disney«. Und das restaurant Eatrenalin des Europaparks sind Das hat den Wasserverbrauch des Parks ist dem Unternehmer schon wichtig.

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DIE ERFINDUNG MEINES LEBENS

Die Idee von Pia Buck, 36, und Daniel Buck, 38: Lowtech mit Marketing verbinden

Läuft die Masche? Ein Paar will den Strumpfhosenmarkt mit besonders widerstandsfähigen Nylons erobern. Ein nützliches Unterfangen – aber auch ein schwieriges

Die Irritation lebiger als vergleichbare Ware – mal sagen ­Hype lässt wieder nach, bis heute haben die Eine Feinstrumpfhose besteht aus sechs­ die beiden so, mal so. Worin ihr technisches Gründer nach eigenen Angaben etwa eine Kilometer Garn. Aber wenn nur ein Löch­ Geheimnis besteht, verraten sie nicht. Sie Million Nylons verkauft. Im Frühjahr 2023 lein reingeribbelt wird, eine Masche fällt, bauen einen eigenen Online-Shop auf und steigt Dümmel aus. Ersatzweise holen die dann läuft’s und läuft’s und läuft’s. Die Teile sprechen deutschlandweit Einzelhändler Bucks Florian Litterst als Mitgesellschafter fusseln auch gern oder bilden Knötchen. an, die ihre Nylons verkaufen. an Bord, der eine Firma für Social-Media»Und außerdem passten die Dinger fast nie, Werbung hat. Mittlerweile vertreibt Batail­ entweder kniffen sie in der Taille, oder sie Die Marktlücke lon Belette seine Ware ausschließlich online. rutschten«, sagt Pia Buck, eine der zahl­ Die beiden sind nicht die Ersten, die eine reichen Leidtragenden. Es ist das Jahr 2012, unkaputtbare Strumpfhose herstellen wol­ Der Erfolg als sie beschließt, das Problem zu beheben. len. Aber sie erzählen ihre Geschichte­ Pia und Daniel Buck – die beiden sind in­ besonders charmant. Unter anderem im zwischen verheiratet – müssen zugeben: Die Die Idee Herbst 2016 in der Gründershow Die Höhle Verkaufszahlen sahen schon mal besser aus. Über ihren Ärger beschwert sich die damals der Löwen, in der eine Jurorin den Stoff Den Strumpfhosenmarkt haben sie bisher 25-Jährige bei ihrem Freund Daniel Moser, mit einer Drahtbürste attackiert – relativ nicht revolutioniert, dafür haben sie ihre der zwei Jahre älter ist und wie sie an der folgenlos. Der »Löwe« Ralf Dümmel ist Firma nun wieder selbst unter Kontrolle. Hochschule Reutlingen studiert. Sie wissen begeistert und kauft sich für 60.000 Euro Sie haben eine Festangestellte, sonst arbei­ da schon, dass sie etwas erfinden wollen. 30 Prozent des Jungunternehmens, das die ten sie mit freien Mitarbeitern und Ver­ Pias Strumpfhosenproblem kommt wie­ beiden Bataillon Belette nennen – was tragspartnern. Sie produzieren nicht mehr gerufen. Sie finden einen Garnhersteller mit »Püppchen« heißen, aber auch abwertender in China, sondern in Italien. Das Sortiment viel Geduld und einen Produzenten, der gemeint sein kann. Der TV-Auftritt ist ein haben sie ausgebaut: mehr Größen, mehr auch kleine Stückzahlen herstellt. Zweiein­ Riesenschub für die Vermarktung der Farben. Und Socken. Die Nylons, die auch halb Jahre lang testet Pia über Wochen neue Strumpfhose. Die Bucks posten fleißig auf mal bei dm für 15 Euro zu haben waren, Strümpfe, die beiden spannen auch den Instagram und geben Interviews. kosten heute 30 Euro. Der Absatz werde Freundeskreis ein und entwickeln so eine sich 2023 nicht verdreifachen, prognosti­ Kombination von Garn und Stricktechnik, Zweifler und Förderer ziert Daniel Buck, aber der Umsatz. Auch die die Strümpfe widerstandsfähiger macht. In den zwei Monaten nach der Show ver­ weil die Bucks eines seit ihrer Gründung Oder fast unzerstörbar. Oder fünfmal lang­ kaufen die beiden 400.000 Teile. Aber der bewiesen haben: Marketing können sie.

DIE NÄCHSTE AUSGABE VON ZEIT FÜR UNTERNEHMER ERSCHEINT AM 21. MÄRZ 2024

Fotos: Bataillon Belette

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