Die Fotografin Sophie Green nimmt uns mit um die Welt
Interview
Michael Walzer – S. 16
16 Führt Israel einen gerechten Krieg?
Ein Gespräch mit dem amerikanischen Moraltheoretiker Michael Walzer
24 Leseliebe
Unsere Autorin erzählt, was sie beim Aussortieren ihrer Bücher gelernt hat
34 Farben der Welt
Wir gehen mit den Bildern der Fotografin Sophie Green auf große Reise
58 Plötzlich in Venedig
Begegnung mit Ersan Mondtag, der Deutschland auf der Kunstbiennale vertritt
10 Knusper, knusper
Im Wochenmarkt gibt es Rhabarber aus dem Ofen mit Kokos-Mandel-Streuseln
Alle Preise inkl.Flug, Rundreis e, Eint ritt sgeldern, deut schsprachiger Reis eleitung ,R&F-Fahrk ar
Von all den Dackeln meines Lebens fällt mir als erster ein alter Rüde namens Stronzo ein. Er gehörte der Mutter eines Kollegen. Als sie starb, erbte er ihn. Stronzo war nicht sein ursprünglicher Name, die Mutter nannte ihn anders. Er liebte es, stundenlang zu bellen, teure Schuhe zu zerkauen und ohne erkennbaren Grund zuzubeißen. Dies betraf sogar seinen neuen Besitzer, obwohl er den schon als Welpe kannte. Das soziale Umfeld dieses Mannes glich bald einer Wüstenlandschaft.
Wir Menschen haben den Dackeln nicht nur die kurzen Beine angezüchtet und einen Hang zu Bandscheibenvorfällen, sondern auch ein großes Ego. Dackel sind Einzelkämpfer. Sie mussten in Fuchs- oder Dachsbauten hinein und dort im Nahkampf eigenmächtig Entscheidungen treffen. »Blinder Gehorsam«, heißt es in einer Charakterstudie, »ist von einem Dackel nicht zu erwarten.«
Wenn der Dackel ein Mensch wäre, dann könnte es ein bisschen in Richtung Elon Musk gehen.
Geplant ist in Cem Özdemirs Landwirtschaftsministerium ein verschärftes Verbot von »Qualzuchten«, Paragraf 11b des neuen Tierschutzgesetzes. Auf die Frage »Kommt jetzt das Dackelverbot?« antwortete im Tagesspiegel von drei Experten irritierenderweise jeder anders. Der erste: »Keineswegs!« Die zweite Expertin: »Nein und ja.« Der dritte sprach von »Zuchtverboten«. Fest steht, dass weder der Dackel als solcher noch die Benutzung des D-Wortes verboten werden. Er soll halt nur anders aussehen. Aber kann ein Dackel, der nicht wie ein Dackel aussieht, noch ein Dackel sein?
Auf der angedachten, 18 Punkte langen Züchtungsverbotsliste steht neben »Anomalien des Skelettsystems« (etwa beim Dackel) auch die »Atemnot«. Die Zeit der kurzatmigen Möpse liefe demnach ebenfalls ab, dazu würde man gern die Meinung von Loriot hören, dem Erfinder des Satzes »Ein Leben ohne Mops ist möglich, aber sinnlos« sowie der Volksweisheit »Morgenhund hat Gold im Mund«. Bekannt ist die Meinung von Josef Ramacher, Präsident des Deutschen Teckelklubs, 20.000 Mitglieder stark: »Stellen wir uns gemeinsam vor unsere Hunde und schützen unsere Teckel vor dem Zugriff ideologisierter Kräfte.« Falls man sich vor einen Dackel stellt, kann ein Wadenschutz sinnvoll sein. Kürzlich war ich mit meinem kleinen Sohn in Paris und besuchte wie immer die Galerie der Evolution am Jardin des Plantes. Der anrührendste Raum dort versammelt Tiere, die wir Menschen ausgerottet haben. Die allerletzten Exemplare wurden ausgestopft und schauen dich an: Die Dronte war ein Laufvogel, wohlschmeckend und frei von Misstrauen, das Quagga fraß gern Gras, das aber für die Rinderherden der Menschen gebraucht wurde, der Beutelwolf fraß leider gern Schafe. Jetzt könnten Tiere verschwinden, die wir in dieser Form selber erschaffen haben. Die Gesetze der Evolution ändern sich nicht, aber der Mensch ändert oft seine Meinung. Mit dem Dackel und dem Mops ist es wie mit den Büchern, die vor vielen Jahren geschrieben wurden und die in dieser Form niemand mehr lesen soll. Ob der freundliche Mops und der selbstbewusste Dackel nicht vielleicht doch ganz gerne leben, wie Menschen mit Handicap ja auch? Falls die Grünen es schaffen, dieses Projekt global durchzuziehen, steht auch der letzte Originaldackel vielleicht eines Tages ausgestopft im Museum und erzählt die gleiche Geschichte wie das letzte Quagga. Er war einzigartig. Aber er passte nicht mehr in die Zeit. Ich hoffe, dass er wenigstens sein Ego behält. Bei diesem Thema gebührt natürlich das letzte Wort Loriot: »Der Glückliche schlägt keine Hunde.«
HARALD MARTENSTEIN
Über den Dackel und seine Zukunft
Illustration Martin Fengel
Rhabarber aus dem Ofen mit Kokos-Mandel-Streuseln
Zutaten für eine 20 x 20 cm große Auflaufform: etwas Kokosöl zum Einfetten der Form, 600 g Rhabarberstangen, 50 g Zucker, 2 EL Maisstärke, 1 EL frisch gepresster Orangensaft, Abrieb von 1 Bio-Orange, ½ Tonkabohne (oder Mark von 1 Vanilleschote); für die Streusel: 50 g gemahlene Mandeln, 80 g brauner Zucker, 50 g Haferflocken, 60 g Walnüsse, ¼ TL Salz, 50 ml Kokosöl
Ich finde es seltsam, Haferflocken als Dessert zu essen. Man sollte sie nur zum Frühstück essen. So sehe ich das. Neulich habe ich einen Film gesehen über einen Künstler, der erklärte, wie Farben für ihn klingen, Grün klingt dumpf und so weiter. Für mich klingen Haferflocken nach Frühstück. Trotzdem habe ich einen berühmten angelsächsischen Nachtisch namens »Rhubarb Crisp« ausprobiert. Es stellt sich heraus: Die Haferflocken werden in die Streusel sowieso nur eingearbeitet, damit das Ganze noch knuspriger schmeckt. Für mich also mehr als in Ordnung, der Rhubarb Crisp.
Von Elisabeth Raether
Ofen auf 200 Grad Umluft heizen. Eine 20 x 20 cm große Auflaufform mit etwas Kokosöl einfetten.
Rhabarberstangen waschen und in 1 bis 2 cm große Stücke schneiden. In einer Schüssel mit Zucker, Maisstärke sowie Orangensaft und -abrieb vermengen. Tonkabohne über den Rhabarber reiben beziehungsweise Vanillemark hinzufügen. Die Mischung gleichmäßig in der vorbereiteten Auflaufform verteilen.
Das neue ZEITmagazin WOCHENMARKT ist am Kiosk oder als Abo unter zeit.de/wm-kochen erhältlich
Die Streusel zubereiten: Gemahlene Mandeln, braunen Zucker, Haferflocken, grob zerkleinerte Walnüsse und Salz vermischen. Kokosöl in die Mischung einarbeiten – sie soll am Ende keine glatte Paste sein, sondern eher krümelig. Wenn einem das Ganze aber zu trocken erscheint, fügt man einen Teelöffel Wasser hinzu.
Streusel über dem Rhabarber verteilen. Im Ofen ungefähr 15 bis 25 Minuten backen, bis die Streusel goldbraun sind und der Rhabarber weich ist.
Aus dem Ofen nehmen und 5 Minuten abkühlen lassen. Dazu Vanilleeis essen.
Foto Silvio Knezevic
lenny kravitz war im Fitnessstudio. Er machte Situps und stemmte dabei eine Langhantel. Dazu trug er Lederhose und Sonnenbrille. Es war in dem Video, das Kravitz von diesem Training verbreitete, kein Hauch von Ironie zu erkennen. Klar, vielleicht war die Hantel eine Attrappe. Aber Lenny Kravitz trägt gern alles entblößende Hemden, in den Worten seiner Tochter Zoë Kravitz: »Für meinen Vater ist es kein Hemd, wenn man nicht die Brustwarzen durchsieht.« So, wie sein Rumpf ausschaut, war die Hantel nicht aus Pappe, sondern aus Blei. Gleich fiel mir ein Artikel über Kravitz ein, der vor ein paar Jahren im ZEITmagazin erschienen ist. »Selbst wenn er sich nach vorn beugt, bleibt der Bauch flach«, schrieb der den Kravitz-Body beäugende Kollege. Ich wüsste gern, wie viele Leser sich damals nach vorn gebeugt haben, um festzustellen, dass ihr eigener Bauch definitiv nicht flach bleibt. Lenny Kravitz ist fitter als wir anderen, und er will, dass wir das wissen. Angeberei ist ja eigentlich aus der Mode gekommen. Im aufgeklärten Großstadtmilieu boomt die Bescheidenheit, etwa in Form dieser ätzenden Masche, ständig zu sagen, man »dürfe«
LIEBE LEUTE
Ein Lob des Angebers
Für Lenny Kravitz ist es kein Hemd, wenn man nicht die Brustwarzen durchsieht
etwas: »Ich darf Ihnen die neue Kommunikationsstrategie vorstellen«, »Ich darf das heutige Podiumsgespräch moderieren«. Der nächste Bundeskanzler wird mit den Worten »Ich darf Ihr neuer Bundeskanzler sein« vors Volk treten. An der Spitze ist es einsam, man hätte da gern ein paar Freunde. Aber wer besser als die anderen sein will, muss auch den Mut haben, dazu zu stehen. Falsche Bescheidenheit ist eine Hintertür für Leute, die sich hervortun, aber bloß nicht angegriffen werden wollen. Wer laut sagt, »Ich bin der Beste!«, der entblößt sich. Bezüglich Kravitz meldeten sich gleich die Kritiker, nämlich Fitnesstrainer, die behaupteten, die Übungen seien ineffizient, schlecht für den Rücken, und so weiter. Ich finde aber, wir brauchen mehr Angeber. Also, keine Donald Trumps, aber solche, die uns motivieren und unterhalten. Gute Geschichten erzählen nie von Leuten, die etwas durften, sondern von solchen, die meinten, etwas zu können. Ich würde auch nie sagen: Ich darf eine Kolumne fürs ZEITmagazin schreiben. Von dürfen kann keine Rede sein! Diese hier hat mich ungefähr so viel Kraft gekostet wie das Stemmen einer 40-Kilo-Hantel.
Von Claire Beermann
Foto
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In diesem Jahr wendet Russland eine neue Taktik an, um die ukrainische Energieinfrastruktur anzugreifen, die sich von früheren Angriffen unterscheidet. Russland wählt nun meist Energieanlagen aus kleinen Städten, die über keinerlei Flugabwehr verfügen. Kaniw ist so eine Kleinstadt. Sie ist heruntergekommen und wirtschaftlich nicht sehr
entwickelt. Junge Leute haben zwei Möglichkeiten, um aus Kaniw wegzuziehen – entweder gehen sie nach der Schule an eine etablierte Universität, oder sie suchen sich nach Abschluss einer der beiden kleinen Berufsschulen Arbeit an einem anderen Ort. In Kaniw selbst gibt es nicht viel zu tun. Viele Menschen arbeiten in der Energieinfrastruktur,
die zuletzt häufig angegriffen wurde. Die Menschen, mit denen ich spreche, sind deprimiert, weil es keine Flugabwehr in Kaniw gibt. Sie fragen, warum man in Großstädten besser geschützt wird. Es ist schwer zu argumentieren, dass Kiew, weil es die Hauptstadt ist, sicherer sein sollte. Menschen sind doch überall gleich. Zumindest sollten sie es sein.
Der Illustrator Sergiy Maidukov, 44, ist in Donezk geboren und aufgewachsen, seit 2006 wohnt er in Kiew.
Für uns zeichnet er, wie er sein
Land derzeit sieht und erlebt
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WAS IST EIN GERECHTER KRIEG?
Michael Walzer auf dem Gelände seiner früheren Wirkungsstätte, der Princeton University in New Jersey
Kaum einer beschäftigt sich mit dieser Frage so umfassend wie der Moraltheoretiker Michael Walzer. Wie blickt er auf den Krieg im Nahen Osten?
Professor Walzer, führt Israel einen gerechten Krieg gegen die Hamas?
Ja. Von zentraler Bedeutung ist jedoch die Unterscheidung zwischen ius ad bellum, dem gerechten Grund, in den Krieg zu ziehen, und ius in bello, dem gerechten Verhalten in einem Krieg. Das Massaker des 7. Oktober ist ein gerechter Kriegsgrund, Israel hat selbstverständlich das Recht, sich zu verteidigen. An der Art der israelischen Kriegsführung hingegen gibt es viel zu kritisieren.
Was zeichnet einen gerechten Krieg aus?
Zum Verständnis hilft der Transfer ins alltägliche Leben. Wenn ich auf der Straße angegriffen werde, darf ich mich wehren. Und wer einschreitet und mir zur Seite springt, handelt ebenso gerecht. Das sind die beiden grundlegenden Prinzipien: Selbstverteidigung und die Verteidigung anderer. Ein dritter Fall eines gerechten Krieges ist die Intervention, um ein Massaker zu verhindern, so wie etwa die Vietnamesen die Terrorherrschaft der Roten Khmer in Kambodscha beendet haben. Oder wie es der Westen in Ruanda hätte tun müssen, aber nicht getan hat. Wie haben Sie selbst die letzten sechs Monate erlebt, als Ethiker und als Jude? Ich kritisiere seit nunmehr mehreren Jahrzehnten israelische Regierungen, vor allem jene unter der Führung der Likud-Partei, die heute von Benjamin Netanjahu angeführt wird. Seine Politik musste zwangsläufig zu einem Desaster führen. Trotzdem haben mich die Ereignisse des 7. Oktober schockiert. Meine Frau Judy und ich sind erst im vergangenen Jahr von Princeton nach New York gezogen, wir wollen bei unseren Kindern und Enkeln hier in der Stadt sein. Zum ersten Mal in unserem Leben sind wir einer Synagoge beigetreten. Ich bin ein säkularer Jude, auf dem Campus in Princeton habe ich die Studentengottesdienste besucht, aber keiner Gemeinde angehört. Seit dem 7. Oktober ist es mir wichtig, jede Woche dieselben Menschen zu sehen, die dieselben Ängste umtreiben wie mich und die auch Familie und Freunde in Israel haben. In Ihrer Forschung haben Sie sich mit Kriegen der vergangenen 3.000 Jahre beschäftigt. Was ist das Besondere am israelischen Krieg gegen die Hamas?
Nie hat es einen Krieg gegen eine unterirdische Stadt gegeben. Darüber wird nicht genug gesprochen. Die Vietcong hatten ein System von Tunneln, aber im Vergleich zur Hamas war das noch sehr primitiv. Die tunnel rats, wie jene amerikanischen Soldaten damals genannt wurden, die in den Tunneln kämpften, mussten klein und dünn sein. In den Tunneln der Hamas ist das nicht notwendig. Was die Hamas dort aufgebaut hat, ist ein Wunder der Ingenieurskunst, über 700 Kilometer Tunnel auf einer so kleinen Fläche, angelegt in drei Stockwerken übereinander. Das hat die Israelis völlig überfordert. Dass sie all diese 1.000 Kilogramm schweren Bomben über Gaza abgeworfen haben, die eine solche Zerstörung angerichtet haben, hat auch damit zu tun: Sie wollten die Tunnel treffen, hatten dabei aber kaum Erfolg, zu tief liegt das Netzwerk in der Erde. In dieser Hinsicht ist dieser Krieg fast experimentell. Auch ist der Gazastreifen zu allen Seiten abgeschnitten, für die Zivilbevölkerung gibt es kein Entkommen. Der jüdische Philosoph Maimonides schrieb schon im Mittelalter: Eine Stadt darf nur von drei Seiten belagert werden. Die vierte Seite muss geöffnet bleiben, damit Zivilisten fliehen und Hilfsgüter hereinkommen können. Ein paradoxer Satz, er bedeutet schließlich, dass eine belagernde Armee die Stadt nicht vollständig umzingeln darf. Gaza hat diese vierte, offene Seite nicht, denn auch die Ägypter im Süden wollen keine Zeltstädte für die palästinensischen Flüchtlinge errichten, aus Angst davor, dass Israel den Vertriebenen die Rückkehr nicht mehr erlaubt. Eine Belagerung, so wie Israel sie zu Beginn des Krieges angewandt hat, kann aber auch noch aus einem anderen Grund nicht funktionieren: In der Geschichte zielten Armeen stets darauf, die eingeschlossenen Feinde auszuhungern, um sie so dazu zu bewegen, ihre Herrscher zum Aufgeben zu zwingen. Die Hamas aber kümmert das Leiden der Zivilbevölkerung nicht im Geringsten. Deshalb war dieses Vorgehen der Israelis ein politischer, strategischer und moralischer Fehler.
Der Generalsekretär der Vereinten Nationen warf Israel kürzlich vor, es setze »Hunger als Kriegswaffe« ein, die huma-
nitäre Lage ist verheerend, die Bevölkerung steht vor einer Hungerkatastrophe. Wie schauen Sie auf diese Entwicklung? Israel hat diesen Krieg begonnen, ohne Vorkehrungen für die Versorgung der Zivilbevölkerung zu treffen. Die Führung hat wohl gedacht, dass sich die Hamas oder die humanitären Organisationen schon um die Menschen kümmern würden. Vielen Israelis war es nach den Ereignissen des 7. Oktober wohl auch schlicht nicht so wichtig. Nur sind die humanitären Organisationen darauf angewiesen, dass Hilfe über die Grenze kommt. Die israelische Seite hat die Lieferungen aber nur sehr zögerlich passieren lassen. Teile des rechtsextremen Lagers wollten die Lieferungen aktiv unterbinden. Dass diese Regierung inkompetent und amoralisch ist, ist nichts Neues. Aber es hätte Leute in der Armee geben müssen, die wissen, wie verheerend ein solches Vorgehen für die Außenwirkung des Landes ist. Nun wird Israel für die humanitäre Lage verantwortlich gemacht, und zum Teil ist es das auch. Die schweren Bombardements des Gazastreifens werden mit den Bombenangriffen auf Dresden, Aleppo und Grosny verglichen. Zu Recht?
In Dresden war das Ziel der Alliierten, einen Feuersturm zu erzeugen, in dem möglichst viele Menschen sterben. Es gab dort kaum mehr relevante militärische Ziele. In Hamburg und Köln haben die Briten Wohngebiete bombardiert, um die einfache Bevölkerung obdachlos zu machen. Die Israelis waren in den Wochen nach dem 7. Oktober vielleicht nicht immer achtsam genug und haben die Kriterien für die Inkaufnahme von Kollateralschäden im Vergleich zu früheren Konflikten offenbar gelockert, die darauf angelegt waren, dass nicht zu viele Unbeteiligte sterben. Aber ihr Ziel ist es nicht, Zivilisten zu töten. Sonst wären die Opferzahlen noch viel höher. Das israelische Magazin »+972« berichtete kürzlich über eine von künstlicher Intelligenz gesteuerte Software, die Ziele im Gazastreifen vorsortiert und der Armee zum Abschuss vorschlägt. Die Software ist offenbar so programmiert, dass sie Angriffe vor allem in der Nacht präferiert, wenn die Terroristen sich im Kreis ihrer Familien aufhalten. Wie
schauen Sie auf diese Form der automatisierten Kriegsführung?
Meine Kontakte in Israel sagen mir, dass bei früheren Militäreinsätzen die Entscheidungen über den Beschuss von einem Komitee getroffen wurden, dem immer auch Rechtsexperten angehörten. Angenommen, diese Berichte stimmen, dann hätte Israel gerade in den ersten zwei Monaten des Krieges diese sehr hohen und moralischen Standards außer Acht gelassen. Das wäre schlimm. Die Israelis bestreiten allerdings diese Berichte.
Winston Churchill rechtfertigte die Bombardements deutscher Städte damals mit dem Prinzip der »supreme emergency«, der existenziellen Bedrohung des eigenen Landes. Ist Israel in der aktuellen Lage existenziell bedroht?
Israel kämpft einen Krieg von existenzieller Bedeutung, aber die konkrete Gefahr eines Genozids gegen die israelische Zivilbevölkerung gab es nicht. Existenziell
ist dieser Krieg insofern, da viele Bürger, wenn es Israel nicht gelänge, seine Grenzen zu sichern und künftige Angreifer abzuschrecken, das Land wohl verlassen würden. Eine supreme emergency ist das aktuell nicht. Deshalb ist das Land an dieselben Standards gebunden, die es auch in früheren Konflikten eingehalten hat. Welche Auswirkungen wird dieser Krieg auf das kollektive palästinensische Bewusstsein haben?
Wenn es irgendwie gelingen sollte, die Hamas zu schlagen, und eine multinationale Mission daraufhin die Kontrolle über den Gazastreifen übernähme, könnte ich mir vorstellen, dass die Palästinenser diese Chance ergreifen und sich bemühen werden, eine wie auch immer geartete Form von Sicherheit und Selbstbestimmung zu erlangen. Wenn das nicht gelingt und die Hamas den Krieg übersteht, werden sich die Palästinenser radikalisieren und mit ihnen die Israelis. Diese Wirkung hat der
michael walzer, 89, wurde in New York als Enkelsohn jüdischer Emigranten aus Osteuropa geboren. Er ist einer der führenden politischen Philosophen der USA und lehrte an den Universitäten Princeton und Harvard. In seinem Buch »Just and Unjust Wars«, das bis heute als Standardwerk gilt, setzte er sich 1977 mit der Frage auseinander, was gerechte von ungerechten Kriegen unterscheidet. 2016 forderte er zusammen mit anderen Intellektuellen einen Boykott der israelischen Siedlungen im Westjordanland
Krieg auf Menschen, wenn er nicht eindeutig ausgeht. Auch hier ist Deutschland ein lehrreiches Beispiel: Die Bombardements von Hamburg, Köln und Dresden und der vollständige Sieg über Hitler haben keine neuen Nazis produziert. Der Druck, den Krieg zu beenden, lastet fast ausschließlich auf Israel. Warum verlangt eigentlich kaum jemand von der Hamas, die Waffen niederzulegen?
Diese Frage bekomme ich häufig von amerikanischen Juden gestellt, die genau das auch nicht verstehen können. Niemand übt echten Druck auf die Hamas aus, weil klar ist, dass ihnen das Leid ihrer Zivilbevölkerung egal ist.
Was sollte aus moralischen Gesichtspunkten gerade für Israel Priorität haben? Die Hamas zu schlagen? Die Geiseln zu retten? Oder die palästinensische Zivilbevölkerung zu schützen?
Das Ziel der Geiselbefreiung ließe sich sogar mit der Verbesserung der humanitären Situation in Gaza vereinbaren, das könnte ein Ergebnis von Verhandlungen über einen Waffenstillstand sein. Ein Widerspruch ist das Vorgehen Netanjahus: den Krieg auf diese Art zu führen und die Geiseln retten zu wollen. Meine Freunde in Israel sagen mir, dass die Rettung der Geiseln oberste Priorität haben muss, weil es für die Zukunft des Staates und die Solidarität unter den Bürgern wichtiger ist als ein Sieg über die Hamas. Wer sind Ihre Freunde in Israel?
Judy und ich waren bestimmt 40- oder 50mal in Israel, wir haben dort mehr Freunde als seinerzeit in Princeton. Meine Freunde sind linke Zionisten, meist meiner Generation, Professoren und Intellektuelle, die der Friedensbewegung nahestehen. Die israelische Armee hat Belege dafür geliefert, dass mehrere Angestellte des Flüchtlingshilfswerks der UN (UNRWA) am Massaker des 7. Oktober beteiligt waren. Hat sich Ihr Blick auf die Arbeit der humanitären Organisationen in Gaza dadurch geändert?
Ja, aber anders, als Sie vielleicht denken. Ich war lange sehr kritisch gegenüber dem UNRWA, für mich war das eine Organisation, die ein Ende des Konflikts verhindert, weil sie von jeher auf die Aufrechterhaltung des Flüchtlingsstatus der Palästinenser pocht. Indem das UNRWA
die Rückkehr in die alte Heimat Palästina propagierte, verhinderte es, dass die Leute in anderen Ländern Wurzeln schlagen. Ich war immer dafür, dass die USA dem UNRWA die Finanzierung entziehen.
Heute glaube ich, dass die Organisation tatsächlich in der Lage ist, effektiv humanitäre Hilfe zu leisten. In dieser akuten Krise ist es falsch, die Organisation zu delegitimieren und ihr das Geld zu streichen. Und man muss wohl anerkennen, dass das UNRWA nicht all diese Jahre in Gaza bestehen konnte, ohne dabei auch mit der Hamas zu kooperieren.
Südafrika beschuldigt Israel vor dem Internationalen Gerichtshof, einen Genozid an den Palästinensern zu begehen. Zu Recht?
Nein. Es gibt keine genozidale Absicht auf der israelischen Seite. Manche Mitglieder der israelischen Regierung wollen die Palästinenser aus Gaza vertreiben, sie umsiedeln. Aber sie sind zum Glück nicht die entscheidende Kraft. In einem ersten Schritt hat das Gericht die Rechtmäßigkeit dieses Krieges anerkannt, das war wichtig. Die Richter haben Statements mehrerer israelischer Politiker kritisiert, die auch nach israelischem Recht strafbar sind, auch das zu Recht. Und sie haben einen deutlichen Anstieg der humanitären Hilfe angewiesen. All das ist nachvollziehbar. Es fällt mir nicht leicht, so zu sprechen, aber wenn unter etwa 30.000 getöteten Palästinensern knapp 10.000 Hamas-Kämpfer waren, dann ist das kein schlechter Schnitt für einen solchen Krieg auf urbanem Gelände. In Falludscha war die Rate von durch die US-Armee getöteten Zivilisten zu irakischen Milizionären nicht zwei zu eins, sondern sieben zu eins. Was Israel da macht, ist kein Genozid. Parallel zum Genozidverfahren gegen Israel beschuldigt nun Nicaragua die deutsche Bundesregierung, Beihilfe zum Genozid zu leisten. Wie schauen Sie auf dieses Verfahren?
Es handelt sich hier nicht um einen Genozid, entsprechend kann es auch keine Beihilfe sein. Als deutscher Bürger kann man sich darüber Gedanken machen, ob die deutsche Hilfe für Israel künftig an Bedingungen geknüpft sein sollte. Aber sie sollte nicht eingestellt werden, weil Israel eines Genozids beschuldigt wird.
Es wirkt, also ob der Krieg in diesen Wochen einen Wendepunkt erreicht. Israel erklärt sich zu mehr humanitärer Hilfe bereit, die Amerikaner erhöhen den Druck. Was passiert da gerade? Ich bin ein großer Bewunderer von Joe Biden. Er handhabt diese Situation extrem gekonnt. Manche Strategen in der demokratischen Partei sorgen sich, dass er die Wahl im November verlieren könnte, weil die jungen Wähler ihn für seine Israelpolitik abstrafen und er deshalb nun den Kurs ändert. Aber das glaube ich nicht. Ich glaube, er will das Beste für Israel und hält Netanjahu für eine Gefahr für den Staat. Was er da macht, ist genau richtig. Die USA liefern in großem Umfang Waffen an Israel, kritisieren scharf die israelische Regierung und werfen gleichzeitig Hilfslieferungen per Flugzeug über dem Gazastreifen ab. Das nennen Sie »genau richtig«?
Dieses Vorgehen erkennt die Komplexität der Situation an. Biden hat die israelische Belagerung in der Luft und auf dem Wasser gebrochen und erzwingt Hilfslieferungen. Gleichzeitig liefert er Waffen, weil er weiß, dass Israel gerade jetzt nicht schwach aussehen darf, weil sonst vom Iran unterstützte Milizen wie die Hisbollah sich ermutigt fühlen könnten, Israel anzugreifen. Auf diese Weise wird Biden der extrem verfahrenen Situation gerecht. Warum zieht dieser Krieg das Interesse der Weltöffentlichkeit in diesem Maße auf sich? Kaum jemand redet etwa über die verheerenden Kämpfe und Zehntausenden Toten im Sudan, im östlichen Kongo oder bis vor wenigen Monaten in Äthiopien.
(überlegt) Es hat mit dem biblischen Erbe zu tun, das Juden, Christen und Muslime teilen. Es hat etwas mit Jerusalem als Zentrum dreier Religionen zu tun. Und es geht um den historischen Status der Juden in der Welt.
Was heißt das, der historische Status der Juden?
(lacht) Ich weiß es auch nicht. Die Leute sind einfach sehr interessiert.
Reden Sie von Antisemitismus?
Das ist Teil davon. Aber auch der Philosemitismus, etwa der evangelikalen Rechten hier in den USA. In deren Vorstellung finden in Israel die vernichtenden Kämpfe
zwischen Gut und Böse am Ende aller Tage statt. Das ist nicht die Liebe, die wir Juden brauchen. Aber es stimmt schon: In Israel schauen alle hin, die ganze Welt. In Sri Lanka etwa hat die Regierung Zehntausende Tamilen abgeschlachtet, und das über viele Jahre. Niemand hat sich dafür interessiert oder Stopp gesagt. Niemand hat eine Feuerpause gefordert. Sie haben einmal gesagt, der erste »gerechte Krieg« zu Ihren Lebzeiten war der Zweite Weltkrieg, den Sie als Junge in New York erlebt haben. Woran erinnern Sie sich?
In den Vierzigerjahren gab es in New York eine linke Tageszeitung mit dem Namen PM, meine Eltern kauften sie jeden Tag, und ich las sie schon als Junge. Sie hatte eine exzellente Kriegsberichterstattung, ich liebte all die Karten, die den Fortgang der Kämpfe in Europa zeigten. Ich legte sogar selbst ein kleines Büchlein an. Darin versuchte ich, im Stil von PM den Krieg zu beschreiben. Der letzte Satz war furchtbar pathetisch: Russland kämpft nicht aus der Lust an der Eroberung, sondern um Eroberungen für alle Zeiten zu beenden. (lacht) Haben Ihre Eltern Ihnen vom Holocaust erzählt?
Damals haben sie versucht, mich abzuschirmen. Wir hatten Verwandte in Litauen, zu denen wir den Kontakt verloren hatten, mehr wusste ich nicht. Ich beschäftigte mich wie versessen mit diesem Krieg, von dem ich schon als Junge dachte, dass wir Amerikaner jedes Recht haben, ihn zu führen. Im Nachhinein war der Zweite Weltkrieg für mich wohl auch eine Immunisierung gegen den Pazifismus. Danach konnte ich einfach kein Pazifist sein.
Was sind Ihre Erinnerungen an die israelische Unabhängigkeitserklärung im Jahr 1948?
Meine Eltern hörten im Radio die Abstimmung der Vereinten Nationen und weinten, als klar wurde, dass eine Mehrheit für die Errichtung eines jüdischen Staates zusammenkommt. 1948, im Jahr meiner Bar Mitzwa, besuchte ich eine öffentliche Schule in Johnstown, Pennsylvania. Mit der Trennung von Staat und Kirche nahm man es damals noch nicht so genau. Wir sagten den Fahneneid auf, dann ein christliches Gebet, bei dem mir meine Eltern
aufgetragen hatten, still zu bleiben, und anschließend mussten wir Kinder Passagen aus der Bibel vortragen. Ich suchte immer Stellen bei den Propheten des Alten Testaments heraus, die sich mit der Heimkehr in das Land Israel befassen. Wir waren Zionisten in der Diaspora.
Viele amerikanische Juden begannen erst mit dem Sieg im Sechstagekrieg 1967, sich wirklich für Israel zu interessieren. Sie waren also früh dran. Ja! Ich besuchte die Brandeis University, eine jüdische Uni, die Fakultät war sehr schnell rekrutiert worden, vor allem aus der jüdischen Linken. Trotzkisten und Leninisten stritten über politische Theorie, zwangsläufig wurde man da politisiert. In den Fünfzigerjahren bekam ich ein Stipendium für die Universität Cambridge, nach dem Studium dort fuhren wir mit dem Auto quer durch Europa, besuchten das ehemalige Konzentrationslager Buchenwald, fuhren bis zum Hafen nach
Professor der Hebräischen Universität von Jerusalem, sagte mir einmal, wir hätten Israel so oft besucht, dass wir eine halbe Alija gemacht hätten, halb nach Israel eingewandert wären. So war es wohl. Welche Vision hatten Sie für das Land? Ich glaube nicht an Gott, habe aber immer geglaubt, dass so die Zukunft des säkularen Judentums aussehen könnte: In meinen Augen musste Israel ein moderner, sozialdemokratischer Staat werden. Was empfinden Sie, wenn Sie diese Idee mit der israelischen Wirklichkeit heute vergleichen?
Es ist eine lange Reihe von Enttäuschungen. Zum 75. Jahrestag der israelischen Staatsgründung wurde ich gebeten, einen Essay zu schreiben. Ich schrieb, Israel sei noch immer kein jüdischer Staat, weil es die Erfahrungen aus der Diaspora nicht genügend in eine staatliche Praxis umgesetzt hat: andere Menschen so zu behandeln, wie wir in der Diaspora behandelt werden
»Gerade sieht es sehr schlecht aus. Eine Mehrheit der Israelis kann sich keinen Frieden mehr vorstellen. Aber es gibt diese Leute noch«
Piräus und setzten mit der Fähre nach Haifa über. An unserem ersten Morgen in Israel rief meine Frau mir zu: »Die Müllmänner unten auf der Straße reden hebräisch.« Es war unglaublich. Welche Erinnerungen haben Sie an Ihren ersten Besuch?
Wir hatten kein Geld, trampten durchs ganze Land, besuchten die Kibbuzim, trafen uns mit linken zionistischen Jugendgruppen. Als wir uns einmal in Tel Aviv verirrten und meine Frau auf Jiddisch nach dem Weg fragte, schrie sie jemand an: Hier wird nur Hebräisch gesprochen! Und das war irgendwie auch in Ordnung. Hier schien eine wirklich neue, egalitäre Gesellschaft zu entstehen. Wir überlegten, dort zu bleiben, aber ich hatte zu diesem Zeitpunkt einen Forschungsauftrag der Harvard University angeboten bekommen, und so etwas lehnt man nicht ab. Wir gingen zurück und blieben Zionisten. Mein Freund Schlomo Avineri, ein ehemaliger
wollten, es aber nicht wurden. Das ist der wichtigste Vorsatz, ein jüdischer Vorsatz, und Israel hat ihn nicht umgesetzt. Trotzdem, ich will mich nicht abwenden. Auch weil ich die Israelis unterstützen will, die dort noch immer für diese Vision kämpfen. Gibt es diese Friedensbewegung wirklich noch? Es scheint, als sei die Vision der israelischen Linken infolge des 7. Oktober zerbrochen und die gesamte Gesellschaft noch einmal weiter nach rechts gerückt. Gerade sieht es sehr schlecht aus, es wirkt, als habe die Hamas der ohnehin stark dezimierten israelischen Linken einen weiteren schweren Schlag versetzt, eine Mehrheit der Israelis kann sich keinen Frieden mehr vorstellen. Aber es gibt diese Leute noch, auch wenn sie möglicherweise eine kleine Minderheit sind. Es wird eine neue linke Partei geben, vielleicht mit arabischer Teilhabe – diesen Gedanken kann ich einfach nicht aufgeben.
In einem kürzlich erschienenen Aufsatz erklären Sie, dass Terror kein legitimes Mittel des Widerstands ist. Das Boykott-Bündnis BDS wird allerdings oft als antisemitisch gesehen, ebenso viele antiisraelische Demos. Welche Optionen haben die Palästinenser, sich der israelischen Besatzung zu widersetzen? Es gibt immer Optionen. Wir wissen, dass innerhalb der Irish Republican Army und der National Liberation Front in Algerien kontrovers darüber diskutiert wurde, ob Terror das richtige Mittel ist. Es gibt auch palästinensische Aktivisten, die sich an den Grundsatz der Gewaltfreiheit halten. Die erste Intifada etwa war, mit Ausnahme einiger Steinwürfe, weitgehend gewaltfrei und darin effektiv. Es gibt die Möglichkeit von Generalstreiks, von massenhaftem zivilen Ungehorsam und auch der politischen Wahl, zumindest in Israel: eine vereinigte proarabische Bewegung mit 20 Sitzen in der Knesset, die einen palästinensischen Staat unterstützt – das wäre ein wichtiger Beitrag zum politischen Wandel.
Wie wurde der Krieg zu Ihrem Lebensthema?
Im Jahr 1967 reiste ich durch die USA und hielt Reden gegen den Vietnamkrieg, als Israel plötzlich einen Präventivschlag gegen Ägypten führte und so den Sechstagekrieg für sich entschied. Ich verteidigte dieses Vorgehen, und die Leute warfen mir vor, ich würde mir widersprechen. Ich begann mich zu rechtfertigen, sprach darüber, dass es gerechte und ungerechte Kriege gibt. Weil mich diese Frage nicht losließ, las ich fünf Jahre lang Militärgeschichte, die katholische Kriegsethik, ich führte Gespräche mit Veteranen. Das Produkt dieser Auseinandersetzung mit dem Thema war das Buch Just and Unjust Wars.
Haben Sie in dieser Zeit die Musik von Bob Dylan gehört? Oder war Ihnen seine Friedensbotschaft zu naiv?
Ich habe auf die Musik gehört, nicht auf die Worte. Er war ja schließlich kein Theoretiker!
Können Sie Israel so kritisch beurteilen wie andere Staaten auch? Oder gibt es da eine persönliche Ebene, die Sie in Ihrem Urteil bremst?
Das wurde mir zumindest immer wieder vorgeworfen. Vielleicht habe ich auch den
Impuls verspürt, mich kritisch mit Israels Kritikern auseinanderzusetzen, unter anderem weil sie häufig so überziehen. Aber ich habe tatsächlich immer versucht, auch selbst kritisch gegenüber Israel zu sein. In der zweitausendjährigen Diaspora wurden Juden immer wieder Opfer von Pogromen, erfuhren furchtbare Gewalt. Mit der Staatsgründung Israels wandten die Juden plötzlich selbst Gewalt an, um sich zu verteidigen und um das Territorium zu sichern. Welchen Einfluss hat die Ausübung von Gewalt auf die Religion? Viele der frühen Zionisten empfanden eine extreme Ablehnung gegenüber der Ängstlichkeit des Diaspora-Judentums, der Schwäche und der Passivität gegenüber den Nicht-Juden. Das warfen sie vor allem den Juden im Osten Europas vor. Die Juden im Westen hingegen beschuldigten sie der Assimilation, sie brächten ihr Judentum quasi zum Verschwinden. Der Zionismus war das Ende der Schwäche.
nach dem 7. Oktober: »Das Goldene Zeitalter der amerikanischen Juden endet«. Ist das so?
Dieses Goldene Zeitalter war mein Leben. Als ich von meiner jüdischen Universität abging, stand Juden die akademische Welt offen. Wer sein Jüdischsein an Orten wie Princeton oder Harvard bis dahin versteckt hatte, konnte sich plötzlich öffnen. Schlaue Juden waren überall willkommen. Und es waren nicht nur die Universitäten. Jüdische Ärzte und Anwälte wurden auch von Nicht-Juden aufgesucht, Juden tauchten in der Politik auf, meistens aufseiten der Demokraten, aber wie Henry Kissinger manchmal auch bei den Republikanern. Wir schmiedeten politische Allianzen, etwa mit der schwarzen Bürgerrechtsbewegung, und kämpften für dieselben Ziele. Diese Zeiten sind vorbei?
Sie wären vielleicht ohnehin an ihr Ende gekommen. Die Juden profitierten von der Meritokratie, Eltern bereiteten ihre
»Der Zweite Weltkrieg war für mich wohl auch eine Immunisierung – danach konnte ich einfach kein Pazifist sein«
Frühe jüdische Terrorgruppen wie die Irgun unter Führung von Menachem Begin bildeten das Fundament der israelischen Rechten, die heute das Land regiert. Ja, jüdische Nationalisten gründeten den Likud, die Kinder der Irgun sind heute an der Macht. Die Minister Itamar Ben-Gvir und Bezalel Smotrich sind ihre extremsten Vertreter. Ihr Messianismus ist gefährlich, denn damit lässt sich einfach alles rechtfertigen, darin ist er anderen extremistischen Ansichten nicht unähnlich. Zionismus und der jüdische Staat aber haben nichts mit Erlösung zu tun, sondern sind ein rein säkulares Projekt. Der israelische Philosoph Jeschajahu Leibowitz hat einmal gesagt: Der einzige Grund für die Staatsgründung war, dass wir nicht mehr von den Nicht-Juden regiert werden wollten. So ist es!
Das Magazin »The Atlantic« titelte vor Kurzem angesichts des zunehmenden Anstiegs von Antisemitismus in den USA
Kinder früh auf ihre Karrieren vor, halfen ihnen in der Schule. In dieser Konstellation waren wir sehr erfolgreich. Heute ziehen die asiatischen Studenten mindestens gleich. Hinzu kommt nun seit einigen Jahren eine sich verfestigende Ansicht aufseiten der Linken, dass die Unterdrückten immer recht haben und die Unterdrücker in jedem Fall zurückgedrängt und bekämpft werden müssen. Wir Juden waren in den USA sehr erfolgreich, sind in Europa und Amerika in der Politik an prominenter Stelle vertreten. Wir sehen in den Augen anderer Minderheiten nicht mehr aus wie eine unterdrückte Minderheit. Hinzu kommt, dass Zionisten im aktuellen Diskurs als brutale Imperialisten gezeichnet werden, die Palästinenser unterdrücken, und Palästinenser werden mit den schwarzen Amerikanern gleichgesetzt. Der Kampf um die Deutungshoheit über den Krieg gegen die Hamas tobt
vor allem an den Universitäten. Die mittlerweile zurückgetretene HarvardPräsidentin Claudine Gay antwortete auf die Frage, ob der Ruf nach dem Genozid an Juden gegen die Richtlinien der Schule verstieß: »Das kommt auf den Kontext an.« Sie waren viele Jahre selbst Professor in Harvard. Tut Ihnen das weh? Natürlich tut das weh. Es war enttäuschend und dumm. Ich glaube aber, dass dahinter keine bösen Absichten standen, sondern dass Gay nur falsch beraten war. Sie wiederholte nur, was ihre Anwälte ihr geraten hatten, das klang hart und kalt. Ich glaube, sie wollte nichts Schlechtes sagen. Ihr Urteil überrascht. Jüdische Studenten überall in den USA berichten von Angriffen, Schmähungen, dem Ausschluss aus Studierendenparlamenten, eben weil sie Juden sind, und deshalb als Unterstützer des Krieges gesehen werden. Es geht die Angst um. Das halten Sie für kein großes Problem?
Ich bin 89 Jahre alt und lebe schon seit Langem nicht mehr auf einem Unicampus. Ich glaube nicht, dass die jungen Studierenden Angst um ihr Leben haben. Sonst würden sie die Unis verlassen. Aber sie bleiben und nehmen am Unterricht teil. Wir haben eben über den Zionismus als das Ende der Angst gesprochen. Ich glaube, wenn mehr Juden in Harvard breitbeiniger auftreten und gegenhalten würden, wären sie in einer deutlich besseren Lage.
Wie wirkt sich der Krieg gegen die Hamas auf das ohnehin angespannte Verhältnis der amerikanischen Juden zu Israel aus?
Wie vielleicht zu erwarten war, schreckt der Krieg viele junge linke Juden noch weiter von Israel ab. Viele Ältere reagieren, indem sie Israel gegen Schmähungen verteidigen, wenn auch ohne großen Enthusiasmus. Ich gebe an meiner Synagoge einen Kurs über Krieg und Politik. Gerade gestern Abend sprachen wir über die aktuelle Situation in Israel, es waren vielleicht 25 oder 30 Leute dort. Diese Leute sind überzeugte Zionisten, sie glauben an den Staat Israel. Ich hatte mit mehr blinder Unterstützung gerechnet. Aber kaum einer der Anwesenden wollte Israel unhinterfragt beispringen. Die Leute machen sich ihre eigenen Gedanken.
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Was ich beim Ausmisten meiner Bücher über die Liebe zum Lesen lernte
DREITAUSEND MAL BERÜHRT
Letztens war ich mit leichtem Gepäck unterwegs. Als Untermieterin einer kleinen Wohnung in Los Angeles habe ich einen Monat in fremden Möbeln gelebt. Die wenigen Sachen, die ich mitbrachte, verschmolzen auf angenehme Art mit dem Besitz eines Menschen, den ich nicht kannte. Ich fühlte mich unbeschwert und offen, lebte vorübergehend ohne Plan. Dann kam ich zurück nach Berlin, und mein Zuhause schlug mir mit überraschender Wucht entgegen: So viele Jahre lebe ich hier, und jetzt schien es, als sähe ich zum ersten Mal, was sich im Lauf der Zeit alles angesammelt hat, wie voll Schränke und Regale sind. Mir einzugestehen, wie sinnlos viel Kleidung ich etwa besitze, war unangenehm, und ich hatte das Gefühl, unter der Masse meiner Habseligkeiten zu ersticken. Ich beschloss, radikal zu entrümpeln. Ich begann bei den Büchern. Ich liebe Bücher und habe immer viel gelesen, schon als Kind. Ich bin Amateurin, keine Intellektuelle, meine Bibliothek hat sehr unterschiedliche Seiten: Klassiker, Populäres, Kochbücher, Bildbände, Ratgeber, Sachbücher und sehr viel Belletristik. Früher flog bei Wohnungswechseln immer mal was raus. Doch in den Bücherregalen des Hauses, in dem ich seit siebzehn Jahren mit meiner Familie lebe, hat kein Buch je seinen Platz verlassen. Heute zieht sich ein Strom von Büchern vom Keller bis unters Dach, meine eigenen davon schätze ich, als ich zu entrümpeln beginne, auf rund 3.000 Stück.
Die meisten Bücher stehen in einem Raum, der an drei Seiten bis knapp unter die Decke mit Regalen ausgekleidet ist. Entschlossen ziehe ich heraus, was entbehrlich scheint: der nie befolgte Ratgeber Jedes Kind kann schlafen lernen zum Beispiel (meine Kinder sind Anfang zwanzig und schlafen mehr als durch). Auch das sinnlose Kompendium Leinwandgöttinnen: Oscar-Preisträgerinnen 1929 bis heute fliegt raus, ebenso Gemüse-Spirelli: Nudelglück mit dem Spiralschneider und Dutzende veraltete Reiseführer.
Bei der Belletristik gerate ich ins Stocken. Hier kommen Gefühle ins Spiel, denn zu den gelesenen Romanen habe ich eine Beziehung. Erinnerungen steigen hoch an die Zeiten und Orte, mit denen sie verbunden sind. Nicht der Kauf, sondern die
Die Sehnsucht, wie früher beim Lesen alles um mich herum zu vergessen, erfüllt sich schon lange nicht mehr
Insel in Südeuropa unter der Führung eines Mädchens ein freies Leben ohne Erwachsene – oder als kitschigen Jugendroman. Als ich das Buch an einem verregneten Tag in einem Zug lese, treibt mich die Sehnsucht an, alles um mich herum zu vergessen, wie damals als Kind. Aber mich in diesen Zustand der Selbstvergessenheit zu versetzen, gelingt mir in meinem Erwachsenenleben nicht mehr.
Begleitumstände des Lesens machen jedes Buch erst wirklich zum Eigentum. Manche Wiederbegegnungen freuen mich, andere wühlen auf, weil sie komplizierte Lebensphasen wachrufen. Es ist, als blätterte ich rückwärts mein Leben auf.
Als ich Intimacy von Hanif Kureishi öffne, den Bericht eines Mannes, der seine Familie verlässt, wundere ich mich über Unterstreichungen von Sätzen, die mir heute nicht viel sagen. »Unsere Irrtümer sind Erleuchtungen« habe ich beispielsweise markiert, womöglich um mir Mut zu machen, denn ich war Mitte dreißig und traf eine folgenreiche Entscheidung, es war eine fordernde Zeit. Ein anderer Satz dagegen, den ich in James Salters Lichtjahre unterstrichen habe, spricht mich sofort wieder an, weil er den Kern des Lesens trifft, es als überlebenswichtig beschreibt: »Und er liest ihnen vor, wie jeden Abend, als würde er sie begießen, als würde er die Erde zu ihren Füßen umgraben« heißt es über einen Vater, der Gutenachtgeschichten vorliest. John Irvings Roman Witwe für ein Jahr versetzt mich auf der Stelle in die unbeschwerte Stimmung, in der ich ihn während eines Sabbaticals an der amerikanischen Ostküste las: Es schneite tagelang, und die Welt war lahmgelegt, ich las Irvings Buch vorm Einschlafen, und als ich morgens aufwachte, lag es mit mir im Bett. Witwe für ein Jahr kommt auf einen Stapel mit Büchern, die ich ein zweites Mal lesen will. Von den Büchern, die mich dazu verführen, sie auf der Stelle wieder zu lesen, setzt sich später ausgerechnet Die junge Inselkönigin durch – ein Jugendroman aus den Siebzigerjahren, billig eingebunden in abwaschbarem Material. Man kann es wahlweise als frühfeministisches Werk lesen – eine Handvoll Kinder lebt auf einer
Unten im Regal, in den Fächern mit Bildbänden, tauchen hinter den Büchern ein Hockeyschläger und mehrere Fernbedienungen auf, auch ein Schokoladen-Nikolaus, dessen Verfallsdatum um viele Jahre überschritten ist. Als ich ihn berühre, fällt er in seinem bunten Staniolpapier in sich zusammen. Zudem liegen viele weiße Pillen in den Fächern, die für Sechsjährige gut erreichbar sind, herum. Es sind Vitaminpräparate, die meine Kinder in einer Wachstumsphase auf den Rat einer Ärztin schlucken sollten – und die sie offenbar hinter den Büchern entsorgt haben. Als ich auf eine Leiter klettere, um die Regalfächer ganz oben zu inspizieren, schlägt mir der Staub aus siebzehn Jahren entgegen. Mit einer FFP2-Maske im Gesicht nehme ich jedes einzelne Buch in die Hand, klettere damit die Leiter runter, gehe ins Freie und schlage die Deckel zusammen, sodass eine Wolke von Staub aufsteigt. Paperbacks lassen sich einfach ausschütteln.
Zu entscheiden, was geht und was bleibt, ist anstrengend. Wie trennt man sich von etwas, was einem früher viel bedeutet hat und für das man sich heute fast ein bisschen schämt? Bei Françoise Sagan zum Beispiel habe ich mich nach ihrem Meisterwerk Bonjour Tristesse über alle weiteren Romane von ihr hergemacht, Titel wie Blaue Flecken auf der Seele und Augen wie Seide, von denen keines an Bonjour Tristesse heranreicht, und trotzdem hänge ich daran, gebe keinen Band weg.
Aussortiert wird hauptsächlich Ungelesenes, das mich nicht mehr interessiert. Zudem besitze ich einige Bücher doppelt, da fällt die Entscheidung, ein Exemplar wegzugeben, leicht: Charlotte Brontës Jane Eyre und Rilkes Briefe an einen jungen Dichter zum Beispiel. Offenbar hatte ich zu unterschiedlichen Zeiten meines Lebens den Vorsatz, diese Bücher
Um aussortierte Bücher im Internet zu verkaufen, scannt unsere Autorin deren Barcodes – und gerät in einen Rausch
zu lesen, und bin jetzt neugierig, herauszufinden, warum.
So zieht sich das Ausmisten tage- und wochenlang hin. Einmal stehe ich unschlüssig vor Don DeLillos Underworld, das 1997 als »Epochenroman des ausgehenden Jahrhunderts« gefeiert worden ist. Weil es in den hymnischen Feuilleton-Rezensionen so klang, als verstehe man die Welt nur mithilfe dieses Buches, habe ich mir den 966-Seiten-Roman damals gekauft, erst auf Englisch, dann auf Deutsch. Aber die 70-seitige Baseballszene, mit der das Buch beginnt, hat mich immer abgeschreckt. Mir fallen Hunderte anderer Romane ein, mit denen ich mir lieber die Zeit vertreiben will. Warum jetzt tief eintauchen in die Seele eines Landes, das es so wie von DeLillo beschrieben nicht mehr gibt? Amerika, einst mein größter Sehnsuchtsort, ist mir fremd geworden. Ich beschließe, mich von beiden Exemplaren des Romans zu trennen. Schafft auf einen Schlag 14 Zentimeter Platz. Längst hat in meinem Kopf nüchternes Kalkül das Ruder übernommen: Mal (optimistisch) angenommen, ich lebe noch zwanzig Jahre bei klarem Verstand und lese pro Jahr im Schnitt dreißig Bücher, beschränkt sich das auf etwa 600 Titel – sowohl aus künftigen Neuerwerbungen als auch aus dem Bestand. Mein Mann kommt rein und beginnt die Kiste mit Büchern, die wegkommen, durchzuwühlen.
»Márquez!«, ruft er, »du willst dich von Márquez trennen?«
»Geh weg«, fauche ich, unwillig, mich zu erklären. Vier Jahrzehnte lang hat Die Liebe in den Zeiten der Cholera jeden Umzug überstanden, jetzt habe ich mir in einem Anfall von Wahrhaftigkeit eingestanden, dass es allein der Titel des Buches ist, der mich anspricht, und der Rest ewig ungelesen bleiben wird. Mein Mann betrachtet versonnen das Buchcover. »Wie schön die Umschläge früher gestaltet waren«, sagt er und rettet das Buch rüber in seine eigene Bibliothek. Er selbst besitzt schätzungsweise 5.000 Bücher. Wir teilen alles miteinander, aber unsere Bücher haben wir nie miteinander vereint. Jeder hat seine Bücherregale in eigenen Räumen, er in der Wandfarbe »Book Room Red«, ich in der Farbe »Dead Salmon«. Es sind die Echokammern unseres Lebens.
Heute staune ich, dass die Schriftsteller, die ich mochte und verehrte, lange Zeit vor allem Männer waren
Nur inmitten meiner eigenen Bücher spüre ich diese spezielle Verbundenheit. In den Bibliotheken anderer habe ich Lust, anhand der Auswahl der Bücher etwas über den Besitzer herauszufinden, aber sie lassen mich kalt. So hat meine Bibliothek ausschließlich für mich selbst Bedeutung, für jene, die sich irgendwann mit meinem Nachlass herumschlagen müssen, wird sie vermutlich nichts anderes als ein organisatorisches Problem darstellen. Es gibt viele Varianten, Bücher systematisch zu arrangieren. Die Autorin Rebecca Makkai etwa ordnet ein Buch erst dann in ihrer Bibliothek ein, wenn sie es tatsächlich gelesen hat. Vorher stapeln sich die Bücher neben ihrem Bett. Sachbücher stehen bei Makkai im Schlafzimmer, Romane alphabetisch geordnet im Wohnzimmer. Literatur bereits verstorbener Autoren sind im Arbeitszimmer untergebracht, und wenn einer der Autoren aus dem Wohnzimmer stirbt, wandert er ins Arbeitszimmer. Als »ein seltsames kleines Begräbnis« beschreibt Makkai in der New York Times den Moment, wenn sie mit dem Werk des toten Autors durch den Flur schreitet. Meine Bücher stehen so in den Regalen, wie sie zeitlich angeschafft worden sind –auf dem Zeitstrahl meines Lebens. In den Fächern ganz oben links stehen Taschenbücher in aberwitzig eng gesetzter Schrift aus den letzten Schuljahren. Das gesamte Fach oben rechts ist von Thomas Mann und seinen Kindern Erika und Klaus besetzt, für alle drei habe ich eine Zeit lang gebrannt. Oben in der Mitte dann Bücher aus der Studienzeit, da geht es um die Ära Mitterrand und die kommunistische Partei Frankreichs, deren Niedergang das Thema meiner Magisterarbeit war. Auf den zweiten und dritten Brettern von
oben finden sich Bücher aus der Zeit von Mauerfall und Wiedervereinigung – meiner Anfangszeit als Reporterin im Osten Berlins. Aus der gleichen Zeit ist weiter unten viel amerikanische Belletristik versammelt, Tom Wolfe zum Beispiel, dessen Romantitel Ein ganzer Kerl die männliche Dicke-Hose-Literatur der Neunzigerjahre ziemlich treffend zusammenfasst. Heute staune ich darüber, dass die Schriftsteller, die ich mochte und verehrte, lange Zeit hauptsächlich Männer waren. Erst später habe ich Autorinnen wie Zeruya Shalev und Siri Hustvedt für mich entdeckt, seit der Jahrtausendwende lese ich fast ausnahmslos Literatur von Frauen (im Regal auf der rechten Seite unten). Denn je selbstbewusster ich als Frau geworden bin, desto größer meine Skepsis gegenüber männlichen Autoren, die weibliche Welten entwerfen. Frauen, finde ich, schreiben am überzeugendsten selbst darüber, was sie denken und fühlen.
Auf dem zweiten Brett rechts unten stehen Bildbände über Möbel und Architektur aus der Phase des Sesshaftwerdens – der einzigen Zeit, in der ich auf Fußbodenmaterialien neugierig war. Links gegenüber füllen Bücher über die Zeit mit kleinen Kindern ein ganzes Fach. Titel wie Perfect Madness und The Bitch in the House erzählen vom Einfluss amerikanischer Autorinnen auf meine Selbstfindung als Mutter. In den unteren Fächern der mittleren Seite schließlich Bücher über Gott, den Tod und Hunde.
In den Wochen des Ausmistens träume ich intensiv. Ein Traum geht so: Auf einem Buchbasar kauft eine Frau eins meiner aussortierten Bücher, in das ich vorne in Kinderschrift meinen Namen hineingeschrieben habe. Die Frau schaut mich triumphierend an, als sie bezahlt, und als ich aufwache, fühle ich mich wie eine Verräterin.
Später rase ich trotzdem in einer letzten Anstrengung wie besessen durchs Haus und klaube noch die allerletzten Bücher zusammen, die nicht mehr gebraucht werden: Lernhilfen zur Abiturvorbereitung, Schullektüren, vergessene Bücher aus dem Keller, auch ein paar Micky-MausTaschenbücher finden keine Gnade. Schließlich habe ich über 500 Bücher aussortiert. Wohin damit?
Eine Freundin empfiehlt die Gefängnisbibliothek, die würden Bücherspenden annehmen, aber als ich bei der JVA Tegel anrufe, lehnt man freundlich ab. Nur für aussortierte Bücher aus öffentlichen Bibliotheken gebe es Verwendung, ansonsten sei der Kontrollaufwand zu groß, denn zwischen den Seiten könnte ja etwas versteckt sein, eine Sim-Karte zum Beispiel, Drogen oder Geld.
Viele Boomer sind zurzeit damit beschäftigt, die Bibliotheken ihrer verstorbenen Eltern aufzulösen. Einst waren diese Bibliotheken der Stolz ihrer Besitzer und ein Symbol für das Leben, das sie sich aufgebaut hatten, die Bücher nahmen in der Wohnung einen zentralen Platz ein, sie standen für Aufstieg und Bildung. Weil diese Bücher heute nicht nur in ihrem Erscheinungsbild sehr veraltet sind, hat niemand mehr Interesse daran – höchstens ein paar Erinnerungsstücke werden in den Familien weitergegeben. Die Zeiten, in denen sich Archive oder Antiquare kompletter Haus-Bibliotheken annahmen, sind vorbei.
Die Boomer-Generation selbst, zu der ich auch gehöre, hängt zwar noch an ihren Büchern, spürt aber bereits das Rückständige daran: Eine eigene Bibliothek zu unterhalten, gilt als antiquiert, vielleicht sogar als Platzverschwendung. So habe ich neulich auf einer irgendwie lustig gemeinten Liste gelesen, Bücherregale zu sortieren, sei ein Zeichen, dass man alt sei, wie auch das Bedürfnis, sich am Wochenende erholen zu wollen oder Pflanzenableger zu ziehen. Das Verhältnis der Generationen X, Y und Z zum gedruckten Buch ist bestenfalls unsentimental.
Auch in Unternehmen, die sich für fortschrittlich halten, sind Regale nurmehr selten vorgesehen: Arbeitnehmer buchen über eine App einen freien Schreibtisch und rotieren in unterschiedlichen Büros. Mit den Bücherregalen sind auch die Kinderzeichnungen und Fotos verschwunden, die früher an den Wänden individueller Arbeitsplätze hingen, das ist nicht gut oder schlecht, es ist nur anders als die Zeit, als es noch selbstverständlich war, bei der Arbeit ein paar Nachschlagewerke zur Hand zu haben. Durch die Möglichkeit, alles digital abfragen zu können, haben Bücher enorm an Wert verloren.
Es gibt immer weniger Antiquariate, und die wenigen verbliebenen interessieren sich hauptsächlich für seltene Sammlerstücke. Viele Bücher landen auf dem Müll. Um das zu vermeiden, lade ich mir die Apps von Momox und Rebuy aufs Handy, den beiden größten digitalen Ankaufportalen für gebrauchte Bücher. Mittlerweile lagern die ausgemisteten Bücher im Keller, ich hocke mich auf den Boden und fahre mit dem Scanner der App über den Barcode jedes einzelnen Buches. 15 Cent für die Leinwandgöttinnen, immerhin 1,30 Euro für DeLillos Underworld und erstaunliche 1,84 Euro für den Küchenratgeber über Gemüse-Spirelli. Abgelehnt werden hauptsächlich englische Bücher, auch Paperback-Kochbücher und Sachbücher über Themen wie Burn-out und Rabenmütter.
Das Scannen der Barcodes macht Spaß, ein bisschen so wie früher Kinderpost-Spielen. Nach dem ungefähr hundertfünfzigsten Buch habe ich mich in einen solchen Rausch hineingescannt, dass ich gierig in die Kisten greife und dem jeweiligen Urteil entgegenfiebere: Welches Buch hat Chancen auf ein zweites Leben? Als mir für einen Bildband über Marilyn Monroe 20 Euro angeboten werden, lehne ich erschrocken ab. Die Summe übersteigt alles Bisherige um ein Vielfaches, und ich schaue mir das Buch genauer an: Es sind Bilder von einem Shooting mit Bert Stern, entstanden sechs Wochen vor Monroes Tod. Ich lege es zur Seite für meinen Bruder, er hat als Teenager in den Siebzigerjahren eine Zeit lang für die Schauspielerin geschwärmt. Das niedrigste Preisangebot – erbärmliche fünf Cent – erhält das Buch einer amerikanischen Journalistin in Paris: Warum französische Kinder keine Nervensägen sind. Es
Eine eigene Bibliothek gilt mittlerweile als antiquiert, vielleicht sogar als Platzverschwendung
wandert trotzdem auf den Stapel mit Büchern, die ich verkaufen will. Wenn man einen Warenwert von zehn Euro erreicht hat, übernehmen beide Plattformen die Portokosten, und dieser Wert ist auch mit Minibeträgen erstaunlich schnell erreicht. Dabei geht es mir gar nicht darum, mit den aussortierten Büchern Geld zu verdienen. Auch fünf Cent sind es den Aufwand wert, Pakete zu packen und auf die Post zu schleppen, wenn das Buch dadurch weiterlebt. Die Aussicht, dass die wohlerzogenen französischen Kinder irgendwo einen neuen Leser ansprechen und etwas auslösen, ist ungeheuer motivierend. Mit der Zeit glaube ich, ein paar Grundprinzipien zu erkennen: Sachbücher, die sich an Laien richten, erzielen höhere Preise als Belletristik. Lexika und Nachschlagewerke werden kategorisch abgelehnt, ebenso Reiseführer und Kochbücher, die mehr als zehn Jahre alt sind – offenbar verdrängt vom kostenlos abrufbaren Wissen im Internet. Andere Entscheidungen wiederum kann ich absolut nicht nachvollziehen: Ascending the Heights: The Ladder of Divine Ascent – ein Standardwerk über orthodoxe Spiritualität, geschrieben von einem Mönch im sechsten Jahrhundert –wird angenommen, das populäre Was aber ist Glück? vom Dalai Lama hingegen nicht. Auch bei Romanen der Großmeister Jonathan Franzen und Richard Ford heißt es auf beiden Plattformen »leider kaufen wir diesen Artikel derzeit nicht an«, genauso bei Bestsellern von Ildikó von Kürthy. Als ich für die Memoiren von Barack Obama an einem Tag ein Angebot von 3,18 Euro bekomme und einen Monat später nur noch 15 Cent, verliere ich die Geduld. Wer zur Hölle macht hier die Preise? »Sie müssen das mathematisch betrachten, nicht emotional«, sagt der CEO von Momox, mit dem ich zum Gespräch verabredet bin. Geduldig erklärt Heiner Kroke am Telefon, dass ein Algorithmus alle halbe Stunde die Preise neu berechnet. Als lernendes System, das ständig mit neuen Daten gefüttert wird, zieht der Algorithmus Rückschlüsse aus Angebot und Nachfrage: Wie oft wurde ein Buch im letzten Quartal verkauft? Wie hoch war der Preis zuletzt? Wie viele Exemplare lagern aktuell bei Momox? Wie viel wiegt das Buch? (Das Gewicht hat Einfluss auf die Portokosten,
die der Einkäufer trägt.) Den jähen Preisverfall von Obamas Memoiren erklärt Kroke so: »Es ist zwar ein Buch, das sich weiterhin gut verkauft, aber offenbar hatten wir inzwischen so viele Exemplare angekauft, dass die Gefahr besteht, sie nicht mehr loszuwerden.«
Laut Kroke kauft Momox jeden Tag rund 150.000 gebrauchte Bücher an –und verkauft durchschnittlich jeden Tag genauso viele. Das Lager in Leipzig, dem Hauptsitz der Firma, die gebrauchte Bücher in Deutschland, Österreich, Frankreich, den USA und Kanada verkauft, hat Platz für 15 Millionen Exemplare. Lagerraum wird immer teurer und beeinflusst die Preise. Das Geschäft mit den Büchern rechnet sich also nur, wenn sich der Bestand fortlaufend erneuert. »Wir kaufen nur an, was wir wieder verkaufen können«, sagt Kroke. Ein Buch, das sich vielleicht einmal pro Quartal verkauft, von dem aber bereits fünf im Lager seien, werde nicht angenommen. Was läuft derzeit gut? Kroke muss nicht lange nachdenken, denn bei Momox sind die Konferenzräume im Farbschema der Cover seiner Bestseller gestaltet, und er sitzt während unsers Telefonats im himmelblau und asphaltgrau gehaltenen Raum »Tschick« Der Roman von Wolfgang Herrndorf ist zwar bereits 2010 erschienen, hält sich aber – wie auch alle Bände von Harry Potter und Gregs Tagebuch – seit Jahren ganz oben in der Verkaufsstatistik. Die Top Ten der Sachbücher hat in den letzten beiden Jahren John Streleckys Das Café am Rande der Welt – eine Erzählung über den Sinn des Lebens angeführt. 2007 erstmals auf Deutsch veröffentlicht, war es in dem Jahr eins der meistverkauften Bücher. Viele Bestseller erleben auf dem Secondhandmarkt zeitverzögert ein Comeback. »Hallo Ilka, yipieh! Dein Verkauf ist nun abgeschlossen worden. Du hast damit eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft unterstützt – vielen Dank dafür«, mailt Rebuy zum Ende jeder Transaktion. Nach und nach wuchte ich neun Pakete mit Büchern auf die Waage bei der Post, das Maximalgewicht pro Sendung liegt bei 31,5 Kilo. Manchmal verlasse ich die Post mit einem schalen Gefühl. War es richtig, die Bücher wegzugeben? Die Trennung ist ja nicht unwiderruflich,
Wenn ich
Menschen sehr mag, mag ich meistens auch das, was sie lesen
rede ich mir ein, ein Buch, das fehlt, kann ohne Weiteres wieder auf dem Gebrauchtmarkt bestellt werden. Schließlich bleibe ich auf etwa 200 unverkäuflichen Bänden sitzen. Wohin mit fünf Umzugskisten voller Bücher? Einen ersten kleinen Schwung bringe ich zu Shakespeare and Company nahe dem Ludwigkirchplatz in Berlin. Auf 25 Quadratmetern verkauft der Buchhändler Ulrich Haupt hier eine Auswahl von Büchern aus hauptsächlich unabhängigen Verlagen. Haupt – bald siebzig Jahre alt, Cordhose und kariertes Flanellhemd, Lesebrille mit halbem Glas – ist ein klassischer Buchmensch und one of a kind: Seine Leidenschaft geht so weit, dass er guten Kunden dabei hilft, Bibliotheken aufzulösen. Einmal sei er in das Haus eines verstorbenen Gelehrten in Dahlem gerufen worden, erzählt er, »ein ganzes Haus voller Bücher, die standen zum Teil zweireihig, es waren sicher 10.000 Stück«. Kein einziges Buch habe er mitgenommen, so überfordert sei er gewesen. In anderen Fällen hat er Bücher an wissenschaftliche Institute oder Auktionshäuser vermittelt. Dieser Mann kennt alle Adressen für die Weiterverwendung von Büchern in Berlin: gemeinnützige Vereine, Sozialbetriebe, Tausch- und Verschenkmärkte. Wohin wird er meine kleine Auswahl geben? Er zuckt mit den Achseln, will sich in diesem Moment nicht festlegen, sagt, er rufe vielleicht beim Berliner Büchertisch an, einem Verein, der Schulen und soziale Einrichtungen mit gebrauchten Büchern versorgt. Prinzipiell wendet Haupt sich nur an Abnehmer, die unbesehen komplette Lieferungen übernehmen. »Rumwühlen und einzelne Bücher rausziehen, das geht gar nicht.«
Bevor ich weiterziehe, kaufe ich Wie sollte man ein Buch lesen? von Virginia Woolf, das, so steht es auf dem Klappentext, dazu einlädt, das Chaos im eigenen Bücherregal neugierig zu erkunden. Ein solcher Spontankauf ist typisch für meine Bibliothek, ich habe nie strategisch gesammelt und kein bestimmtes Themengebiet verfolgt. Viele Bücher habe ich über Querverweise von Autoren entdeckt. Ohne Nora Ephron zum Beispiel, eine große Lieblingsautorin, wäre ich nie auf die Idee gekommen, den von ihr eindringlich empfohlenen Wilkie Collins zu lesen, einen in Deutschland ziemlich unbekannten Schriftsteller aus viktorianischer Zeit. Collins’ Roman Die Frau in Weiß gehört zum Intensivsten, das ich jemals gelesen habe – es ist eins dieser Bücher, das bei der Lektüre vollständig Besitz von einem ergreift. Wenn ich Menschen sehr mag, mag ich meistens auch das, was sie lesen. (Und umgekehrt ist es eine große Hürde für eine Freundschaft, wenn jemanden ein Buch, für das ich brenne, unbeeindruckt lässt.) Ich frage Leute regelmäßig nach ihren Lieblingsbüchern und finde Listen unwiderstehlich, Obamas »Summer Reading List« zum Beispiel oder jene Aufstellung von Oscar Wilde, in der er zusammenfasst, was man aus seiner Sicht überhaupt nicht lesen solle: alle Theaterstücke von Voltaire sowie alle Streitschriften und Bücher, die etwas beweisen wollen. Die ergreifendste Liste, die ich kenne, stammt von Wolfgang Herrndorf. Als er unheilbar krank wurde, hat er aufgeschrieben, was er in der Zeit, die ihm bleibt, unbedingt noch einmal lesen wolle. Zu den elf aufgezählten Büchern gehören Charlotte Brontës Jane Eyre, Truman Capotes Kaltblütig und Dies ist kein Liebeslied von Karen Duve. Die besten und wichtigsten Bücher erreichen einen oft zufällig. Einen meiner persönlichen Favoriten verdanke ich einer flüchtigen Begegnung in Austin, Texas, Mitte der Neunzigerjahre: Sophie’s Choice von William Styron, beiläufig von einem amerikanischen Journalisten beim Small Talk erwähnt. Styron erzählt die fiktive Geschichte der polnischen Katholikin Sophie, die Auschwitz überlebt hat und sich im Brooklyn der Nachkriegsjahre in einer aussichtslosen Liebe mit dem amerikanischen Juden Nathan verbündet. In
Eine Erkenntnis aus dem Leben mit rund 3.000 Büchern: Die besten und wichtigsten erreichen einen oft zufällig
Deutschland ist Styrons großer Roman über Missbrauch und Mitschuld derzeit nur auf dem Gebrauchtbuchmarkt erhältlich. Liest man ihn mit dem heutigen Bewusstsein für Rassismus und Sexismus, fällt das Buch glatt durch, denn Styron stammt aus Virginia und verwebt in Sophie’s Choice den Holocaust mit dem Unrecht der amerikanischen Sklaverei, das N-Wort wird, wenngleich in bester Absicht, häufig gebraucht. Doch obwohl mir das Buch jetzt, beim zweiten Lesen, melodramatischer und pompöser als damals erscheint, behält es seinen herausragenden Platz in meiner Bibliothek. Das universell Menschenfreundliche der Erzählung schlägt aus meiner Sicht spielend den Anspruch einer gerechteren Sprache. »Komm rein. Beweg mit uns die Welt« steht in Großbuchstaben auf dem Schaufenster des Oxfam-Buchshops in BerlinSchöneberg. Drinnen schaut eine Mitarbeiterin flüchtig zwei meiner restlichen Kartons durch und schiebt sie dann – »alles in Ordnung!« – mit den Füßen nach hinten in einen Lagerraum. Wer Oxfam, einem internationalen Verbund von Hilfsorganisationen, Bücher spendet, unterstützt damit indirekt etwa ein Trinkwasserprojekt im Westjordanland oder eine NGO, die sich auf an den Klimawandel angepasste Technologien in der Landwirtschaft spezialisiert.
Ein Mann mit Stoffbeutel kommt rein und legt vier übel zerlesene Taschenbücher auf die Theke. »Sogar Donna Leon können wir in diesem Zustand nicht verkaufen. Wollen Sie die wieder mitnehmen?«, lehnt die ehrenamtliche Verkäuferin freundlich ab. Bücher, die sich nicht verkaufen ließen, würden von sogenannten Zweitverwertern abgeholt, erfahre ich im Laden. Einer davon heiße Medienpoint und befinde sich ganz in der Nähe. Ich laufe spontan rüber, ohne große Erwartungen: Medienpoint klingt für mich so unsympathisch aufgeblasen wie Backshop oder Wurst-Manufaktur. Doch als ich den Laden betrete, begrüßt mich lächelnd eine Frau, die an einem Tisch direkt neben dem Eingang sitzt. Gefragt, an welchen Büchern man hier interessiert sei, sagt sie: »Wir nehmen alles außer Lexika – und Büchern ...«, sie sucht einen Moment lang nach dem richtigen Wort, »... Büchern, die nach Keller riechen.«
Jemand hält der Frau auf dem Weg zum Ausgang zwei Bücher hin, sie nickt und lässt ihn gehen. Der Medienpoint ist ein sogenannter Umsonstbuchladen, insgesamt acht Stück gibt es davon in verschiedenen Bezirken Berlins. Drei Teile aus den Regalen drinnen (aktuelle Romane, Sachbücher, Gesellschaftsspiele, CDs und Schallplatten) und drei Teile aus den Plastikwannen draußen (nostalgische Kinderbücher, Reisemagazine, Gedichtbände und ältere Romane) dürfen pro Kopf und Tag mitgenommen werden. Es ist eng, warm und bunt hier, ein himmlischer Ort. Ich überlege, für die anstehenden Weihnachtstage ein Gesellschaftsspiel namens Adel verpflichtet mitzunehmen, besinne mich dann aber auf die noch verbliebenen Kisten voller Bücher. Ich bin zum Loswerden unterwegs, nicht zum Hamstern. Zu Hause streife ich an diesem Abend ziellos an den Regalen entlang, freue mich an jedem Buch, das ich zufällig herausziehe, empfinde das Glück des Findens über etwas, das ich gar nicht gesucht habe. Durch das Ausmisten ist viel Schönes freigelegt worden, was vorher in der Masse verschüttet war. Die Lücken, die entstanden sind, schließen sich erstaunlich schnell, durch Neuanschaffungen oder Bücher, die aus Platzmangel irgendwo in Kisten verstaut waren. Jack der Bär beispielsweise, ein amerikanischer Roman aus den Siebzigern, steht jetzt in prominenter Nähe zu Tennessee Williams. Als ich Jack der Bär mit dreizehn las, war es ein Schock. Der Protagonist, ein Junge im gleichen Alter wie ich damals, hat seine Mutter bei einem Unfall verloren, sein Vater arbeitet als Fernseh-Clown, es gibt einen Haufen Probleme, oft fällt das Wort »Scheiße«. Nach Jahren trügerisch idyllischer AstridLindgren-Bücher hat Jack der Bär mir gezeigt, was ein gutes Buch kann: Es verändert den Blick aufs Leben und wird Teil der eigenen Biografie. Jack öffnete mir die Realität jenseits meiner damals heilen Welt und hat mich angespornt, dieses Unerwartete, was ich bei ihm gefunden habe, auch in anderen Büchern zu entdecken. Jack hat den Maßstab gelegt für alles, was danach kam. Denn ist es nicht das, was man unbewusst in Büchern sucht? Ein Stück von sich selbst in anderem Kontext zu spüren, eine neue Wahrheit, Erkenntnisgewinn.
Was für ein Mensch ich wohl geworden wäre, wenn ich andere Bücher gelesen hätte? Die Frage stellt sich nicht, denn der Mensch, der ich geworden bin, hat sich aus unterschiedlichen Bedürfnissen in verschiedenen Lebensphasen die Bücher gesucht, die hier versammelt sind. Von Jack der Bär bis zu Shirley Hazzards Transit der Venus, das ich aktuell lese, habe ich mich von Buch zu Buch gehangelt. Jedes Buch beginne ich mit Herzklopfen zu lesen, jedes ist der Aufbruch in ein Vergnügen unbekannter Art – und in der Summe ist das Vergnügen der Weg zum großen Verstehen. Es dämmert bereits, als ich an einem Dezembertag den südwestlichen Rand Berlins ansteuere, im Kofferraum die letzten Kisten mit aussortierten Büchern. Mein Ziel ist der Rumpelbasar, ein gemeinnütziger Verein, der Sachspenden für kleine Beträge weiterverkauft. Zwei ältere Männer in Daunenwesten nehmen im Hof des Gebäudes schweigend meine letzten drei Kartons entgegen. Ständig fahren Autos an und ab, jemand schleppt eine Stehlampe und vier Stühle zur Rampe, ein anderer Ski und Stiefel. Alles Mögliche ist in den Räumen dieses Dauer-Flohmarktes zu finden: gebrauchte Kleidung und ausrangiertes Geschirr, Gymnastikbälle, Ölgemälde, Schmuck – und natürlich Bücher. Ich lande in einem Bereich, der entfernt an eine Stadtteilbibliothek erinnert: Ein Mann kniet vor einem Regal mit Kochbüchern, eine Frau hockt, in ein Buch vertieft, auf einem Kinderstuhl, eine andere stöbert in einem Wühltisch voller Krimis. Irgendwo reinlesen, den Ton eines Romans auf ein paar Seiten ausprobieren, sich reinfallen lassen in ein Buch – das gelingt nur physisch über das Objekt, nicht digital.
Ein paar Modellbauflugzeuge und bunte Wimpel baumeln an Fäden von der Decke herab, die Heizungsrohre sind mit Alufolie verkleidet, an den Wänden hängen Poster – hier hat sich jemand Mühe gegeben, Behaglichkeit ins Souterrain zu bringen. Der Raum erinnert mich an die kleine Bücherei im Keller meiner Grundschule, wo es von Bilderbüchern bis zu sämtlichen Lassie-Bänden alles auszuleihen gab. Ein magischer Ort, an dem alles begann.
Sophies Welt
Die Kamera gibt Sophie Green einen guten Vorwand, an Orte zu reisen, die sie sonst nie gesehen hätte. Hier nimmt uns die Londoner Fotografin mit auf ihre Suche nach Momenten voller schöner Merkwürdigkeiten
VIETNAM Dieses einzigartige Muster- und Modespektakel erblickte Sophie Green auf einem Fischmarkt in Hô i An. Die beiden Frauen waren ihr zunächst durch die lautstarke Art aufgefallen, mit der sie den Markt dominierten
BULGARIEN Ein Mann auf Brautsuche signalisiert mit diesen Accessoires sein Interesse – und auf kaum verschleierte Weise auch seine Finanzkraft
JAPAN Wenn Sophie Green in eine neue Stadt kommt, erkundet sie oft als Erstes einen Supermarkt. Umso schöner, wenn dann auch gewagte Farbkombinationen und interessante Typografien im Angebot sind, so wie hier in Tokio
KENIA »Stopp!« rief Green ihrem Fahrer zu, als sie bei einer dreitägigen Rundreise durch Kenia diese Fassade erblickte
BULGARIEN »Einen Moment der Glückseligkeit« bemerkte die Fotografin im Gesicht des Jungen, der hier in einer Wolke aus Zuckerwatte versinkt
PERU Von dieser vorbeieilenden Frau und ihrem Schatten war Green so fasziniert, dass sie die weißen Ziffern im Hintergrund kaum wahrnahm. Auch das gehört zu ihren »Brief Encounters«: Manches bleibt geheimnisvoll
INDIEN Eine Gruppe von Nihang-Sikhs in Delhis Hauptbahnhof. »Das ist der verwirrendste Ort der Welt«, sagt Green, »aber auch der faszinierendste. Man begegnet dort jeder Religion, jeder Splittergruppe, die es in Indien gibt«
THAILAND Bei einer Wanderung entdeckte Green diese farbenfrohe Arbeitskleidung auf einem Reisfeld, verteilt in einer Umgebung aus satten Grüntönen
BOLIVIEN Man ahnt den prüfenden Expertenblick dieser Einkäuferin auf einem Wochenmarkt in La Paz angesichts eines üppigen Angebots – und staunt über die Sinfonie aus Pink- und Rottönen auf diesem Foto
MEXIKO Die Schönheit eines alternden Salsatänzers in Mexiko-Stadt: Sichtlich stolz präsentierte dieser Herr der Fotografin seine Silbertolle
GRIECHENLAND Beim Betrachten ihres Fotos von Nachtischtellern auf der Insel Hydra und dem in der Sonne glänzenden Sirup fühlt sich Sophie Green schlagartig zurückversetzt in eine griechische Idylle
INDIEN Das Fahrrad mit Tragetaschen und eingeklemmten grünen Chilis fiel Sophie Green in Neu-Delhi auf: »Und es gibt dort jemanden, der es benutzt«
BULGARIEN Für eine Reportage über Schlammbäder reiste Green nach Kolumbien und Bulgarien. Diese Frau sonnte sich schlammbedeckt in der Nähe des Schwarzen Meeres – in einem sorgsam gewählten Outfit
KUBA Sophie Green liebt Autos, Lebensmittel – und erst recht die Kombination aus beidem. Dieses Foto ist Teil ihrer wachsenden Sammlung von »Essen im Kofferraum«-Bildern, es entstand in einer Seitenstraße in Havanna. War es ein Gemüsehändler? »Ich habe ihn leider nicht gesehen«, sagt sie, »aber ich glaube, ja – es sei denn, es war eine verrückte Knoblauchkunst-Installation«
KUBA Ein Tabakfarmer im Viñales-Tal. Die Gegend ist beliebt bei Touristen und wurde 1999 zum Weltkulturerbe erklärt
GEORGIEN Die Gegend um den Ort Ambrolauri herum, wo dieses Foto entstand, ist das Reiseziel, das Sophie Green – wenn sie sich entscheiden müsste –als Erstes wieder aufsuchen würde
ENGLAND Den strengen Dresscode beim Pferderennen in Ascot befolgte diese Dame mit einem selbst gebastelten Meisterwerk –Hommage und Parodie zugleich
Der Titel von Sophie Greens Fotoserie Brief Encounters, aus der wir hier eine Auswahl zeigen, ist schon mal ganz lustig. Denn »kurze Begegnungen« sind genau das Gegenteil der äußerst aufwendigen Langzeitprojekte, mit denen die Londoner Fotografin bekannt geworden ist. Immer wieder ist sie monate- oder sogar jahrelang mit ihrer Kamera eingetaucht in Parallelwelten aller Art: Für die Serie Congregation begleitete sie über zwei Jahre hinweg afrikanische Aladura-Kirchengemeinden in Südlondon; unter dem Titel Bangers & Smash dokumentierte sie die ramponierte Welt der Autokarambolage-Rennen; in Beachology widmete sie sich dem rauen Charme britischer Badeorte und ihrer Besucher.
Ihre ersten großen Projekte waren alle ausgesprochen britisch. Als Weltreisende ist die 32-jährige Sophie Green noch gar nicht so lange unterwegs – was die globale Bandbreite ihrer Fotos, die wir auf diesen Seiten zeigen, umso erstaunlicher macht. Noch 2015 sagte sie in einem Interview: »Britannien ist groß, und ich fand es nie notwendig, für meine Fotos weit zu reisen.« Doch kaum hatte sie sich mit ihren Dokumentationen englischer Parallelwelten einen Namen gemacht, kamen die ersten Aufträge von Magazinen und Werbeagenturen, die sie in die Welt hinaus schickten, nach Asien, Afrika, Südamerika. »Das ging 2016 los«, erzählt sie am Telefon, »seitdem reise ich sehr viel, für meine Arbeit und auch privat.« Die Bilder ihrer Serie Brief Encounters sind Mitbringsel dieser Reisen. Und so weit sie auch inhaltlich und geografisch auseinanderliegen, etwas haben diese Bilder gemeinsam: Sophie Greens besonderes Gespür für Farben, Details und den richtigen Moment. Und noch etwas fällt in diesen Fotos auf: eine ungewöhnliche Balance aus prallem Leben und tiefer Ruhe. Wer schon mal ein paar Urlaubsfotos gemacht hat, oder ein paar Zigtausend, weiß, dass solche Qualitäten nicht so leicht zu erknipsen sind. Wie schafft Sophie Green das?
Ihr scharfer Blick für das Vertraute und das Fremde dürfte auch mit ihrer Biografie zu tun haben: Als Zehnjährige zog Green mit ihrer Familie aus ihrer Geburtsstadt London hinaus in die beschauliche Grafschaft Wiltshire (Heimat des berühmten Stonehenge-Monuments), »eine sehr ländliche und homogene Gegend«, sagt sie, »also ein echter Gegensatz zu London«. Die Zeit draußen auf dem Land habe ihre »Jugend verlangsamt«: »Wären wir in London geblieben, wäre ich wahrscheinlich schon mit 13 ziemlich alt gewesen.« Als geborenes Großstadtkind erlebte sie im idyllischen Wiltshire die wohltuende Wirkung von Wanderungen, die in ihrer Fotografie bis heute eine wichtige Rolle spielen. Im Kunstunterricht entdeckte sie ihre Liebe zur Fotografie, verbrachte reichlich Zeit in der Dunkelkammer ihrer Schule und erlernte die technischen Möglichkeiten analoger Kameras, die seither ihr bevorzugtes Werkzeug geblieben sind. (Als das erste iPhone auf den Markt kam, war Green bereits 16.) Als sie mit 18 für ihr Fotografiestudium zurück nach London ging, war die große Stadt für sie gleichzeitig voller Kindheitserinnerungen und aufregend neu. »Ich liebe
hektische Städte, da blühe ich auf. Ich brauche aber auch die Ruhe der Natur, die ich beim Wandern erlebe. Zu beiden Arten von Umgebung finde ich sofort einen Zugang.«
Diese Offenheit ist in ihren Bildern genauso spürbar wie ihr Hunger nach Licht und knalligen Farben. »Farben geben mir eine besondere Energie, ein positives Gefühl«, sagt sie, »mein ganzer Blick auf die Welt ist sehr stark von Farben geprägt.« Das oft so triste Wetter in England habe ihren Farbhunger nur noch verstärkt: »London kann sehr grau sein, sobald hier die Sonne mal kurz herauskommt, bin ich sofort draußen mit meiner Kamera unterwegs. Und auf meinen Reisen merke
Sophie
Green liebt die Hektik der
Städte und die Ruhe der Natur –das ist in ihren Bildern genauso spürbar wie ihr Hunger nach Sonnenlicht und knalligen Farben
ich immer wieder, dass jedes Land seine ganz eigenen Lichtverhältnisse hat.«
Wenn sie jetzt ständig in Weltgegenden unterwegs ist, in denen greller Sonnenschein in Verbindung mit Buntheit der Normalzustand ist: Fühlt sie sich dann mit ihrem im trüben England sensibilisierten Blick nicht permanent überstimuliert? »Nein, ich finde es jedes Mal wieder aufregend, irgendwo hinzukommen, wo alles neu und anders ist. Ich bin dann in einem Zustand reiner Aufmerksamkeit.«
Ihre Lieblingsbeschäftigung nach der Ankunft seien tagelange Spaziergänge: »Ich gehe einfach ohne Ziel durch die Gegend, manchmal zehn Stunden lang. Ich meide die Touristenattraktionen und gehe in die Nebenstraßen, dorthin, wo die Leute leben.« Noch nie sei sie von einem Reiseziel enttäuscht worden, aus einem einfachen Grund: »Ich gehe nirgendwo mit vorgefassten Erwartungen hin.« Und so hat Sophie Green in aller Welt bestätigt gefunden, was schon die Grundannahme ihrer Arbeiten in England war: »Es gibt wirklich überall irgendetwas Faszinierendes, Einzigartiges zu entdecken.«
Anders als die meisten Handy-Touristen ist Sophie Green beim Fotografieren sehr wählerisch, was auch mit technischen Aspekten zu tun hat. »Die meisten Brief Encounters-Fotos habe ich
auf 35-Millimeter-Film gemacht«, sagt sie, das analoge Format habe für sie »eine Textur, eine Magie«, die mit digitalen Mitteln nicht zu erreichen seien. Nicht weniger wichtig dürfte dabei ein limitierender Effekt dieser Technik sein: »Der Film und die Entwicklung sind fürchterlich teuer, pro Bild kommt man da inzwischen auf zwei Pfund.« Das zwinge sie, viel disziplinierter vorzugehen als jemand, der mit dem iPhone so viel wie möglich knipst, in der Hoffnung, dass eines der Tausenden von Bildern schon irgendwie ganz gut werden wird. »Beim analogen Fotografieren findet die Auswahl und die Entscheidung viel mehr im Moment der Aufnahme statt.« Und um
sophie green wurde 1991 in London geboren. Sie absolvierte ein Studium der Modefotografie am London College of Fashion. Als freiberufliche Fotografin hat sie für Medien wie den »Guardian« und die »New York Times« gearbeitet, ebenso für Auftraggeber wie Adidas oder Airbnb. All das gibt ihr Freiraum für ihre Dokumentar- und Kunstprojekte. Hier ist sie 2019 in Odessa zu sehen
diesen einen Moment geht es in allen Bildern ihrer Brief Encounters-Serie.
Als sie zum Beispiel bei einer Wanderung durch MexikoStadt auf eine Gruppe prächtig gekleideter Salsa-Tänzer und -Tänzerinnen stieß, fiel ihr ein Detail besonders auf: die silberfarbene, liebevoll gepflegte Haartolle eines älteren Herrn (S. 44). »Ich fragte ihn, ob ich ihn fotografieren darf und ob er vielleicht noch etwas mehr nach unten gucken könnte, damit sein Haar besser zur Geltung kommt – die Perspektive war hier entscheidend!« Im Lächeln des alten Tänzers scheinen sich zugleich sein Stolz und ein entspanntes Verhältnis zur eigenen Eitelkeit zu spiegeln. »Weil ich eine richtige Kamera dabeihabe, sind Leute mir gegenüber häufig offener, als sie es wären, wenn ich einfach als Fremde mit einem iPhone auf sie zugehen würde«, sagt sie. »Die Kamera gibt mir einen guten Vorwand, Menschen anzusprechen, an Türen zu klopfen, an Orte zu reisen, die ich sonst nie gesehen hätte. Ganz ehrlich: Es ist einer der besten Jobs, die es gibt.« Normalerweise, sagt sie, seien ihre Projekte »mit sehr viel Recherche verbunden, und ich denke viel über die ethischen Fragen meines Zugangs zu verschiedenen Gemeinschaften nach. Für mich hat es etwas sehr Befreiendes, auch einmal an einem Projekt zu arbeiten, in dem es ausschließlich um einzelne Situationen geht.«
Da sind etwa die Zwillinge auf Karussellfahrt, die auf dem Cover dieses ZEITmagazins zu sehen sind. Sophie Green hat sie an der britischen Westküste fotografiert, in Westonsuper-Mare. Der Eskapismus eines Strandrummels wirkt in diesem Foto seltsamerweise eher wie ein Moment der stillen Einkehr. Das grüne Taxi in Tokio, das auf dem zweiten Cover zu sehen ist, fotografierte sie von einer Brücke aus – vor allem, sagt sie, weil sie schon immer ein Faible gehabt habe für die grafische Schönheit japanischer Schriftzeichen. Ein einzigartiges Farb- und Modespektrum erblickte Green auf einem Fischmarkt in der vietnamesischen Stadt HÔ i An (S. 34), wo ihr zwei sehr energische Frauen auffielen: »Ich beobachtete die beiden eine Weile, sie dominierten diesen Markt mit ihrer lautstarken Art komplett. Und ich liebte sofort die Kombination aus den Mustern ihrer Kleidung mit ihren Gummistiefeln und traditionellen Hüten.«
Hüte stehen auch beim berühmten Pferderennen in Ascot im Blickpunkt: »Bei diesen Rennen gibt es sehr strenge Dresscodes«, sagt Sophie Green, »es gibt vorgeschriebene Kleiderlängen, die Herren tragen Frack und Zylinder.« Inmitten dieser Konventionen erblickte sie auf dem Kopf einer Dame eine umzäunte Kunstrasenfläche, bevölkert von Plastikpferdchen (S. 52): »Diese Frau hat mit ihrem fantastischen Hut einfach ihre eigenen Regeln aufgestellt. Und obwohl ihr Gesicht nicht zu sehen ist, bekommt man sofort einen starken Eindruck von ihrer Persönlichkeit.«
Das Bild aus einem intensiv orangefarbenen Supermarkt in Japan (S. 36) resultierte aus einer der Gewohnheiten, die Sophie Green auf Reisen pflegt: »Ich erkunde sehr gern die Supermärkte und Marktplätze in anderen Ländern. Es ist oft das Erste, was ich mache. Man kann da sofort sehr viel über
Kultur findetLand
Musik, Kuns t, Architek tur, Literatur: Kultur kommtinvielenG ew ändern daher. Undsie br auchtimm er einenO rt ,andem sies tatt findet. Eine Entdeckung sreise durch Niederös terreich
Kultur is tNahrung fürSeele und Geist: Sieberührt undsetzt Impulse, ir ritier tb eizeiten aufpro duktive Weiseund lä ss tide aler weise niemalsk alt. SchonzuZeitendes FindeSièclehat Niederös terreich Küns tler:innen undDenker:innen magischangezogen –man denke nurandie Somm er fr ischeinden Wiener Alpeno deranden Wienerwald,der so vieleG eistesgröß en zu ihrenWer keninspirier that .Noch heutek annman aufZeitreise in die Vergangenheitgehen –esgibtaber auch vieleneue, zeitgeis tige Formate,die nach vorneblicken und Möglichkeitenauf zeigen,die in den einzelnenRegionenschlumm er n. Eine Entdeckertourz ahlt sich aus, beispielsweise zu Festivals, in kleine Museen,prunk volleSchlösser und pr ächtigeG ründer zeitbauten
Kultur findet nichtnur statt ,sondern auch Land –inallen möglichen Ausprägungen.Und gibt jederReise zusätzliche
Intensität
Dieimb es tenSinne unaufgereg te Landschaft desMarchfeldsist die ideale Kulisse fürdie fünf Schlösser, dieman dort unbeding tbesichtigen sollte. Die Marchfeld-Schlösser im Weinvier tellasseneinen Geschichte hautnaherleb en: SchlossHof mit seinem pr acht vollen Garten,das baro cke SchlossNiederweiden, SchlossEck ar ts au, derlet zte Wohnsitz derk aiser lichen Familie Ös terreichs, SchlossM archeg g, wo Ös terreichsgrößtebaumbr ütendeWeißs torchkolonie zu Hauseist ,o der SchlossO rth alsTor zu denunb er ührten Donau-Auen
Kultur undNatur gedeihen auch in Litschau,der nördlichsten St adt Österreichs, besondersgut .Highlights ausbeidenWeltengibtesetwa beim Schrammel.Klang.Festival,das
im Juli Naturbühnenr undumden HerrenseeimWaldviertel bespielt , oder beim zeitgenössischen TheaterfestivalHIN &WEG
Diefruchtbaren Ufer derDonau habenneb en Wein undMar illen auch eine lebendigeKulturher vorgebracht:Vom KonzertinGrafenegg üb er eine Wander ungauf da s Kunstwerk Vierte Wand bishin zum Besuch der Kunstmeile Krems überzeug tdie Weltkulturer be -Region.
Weresurbaner mag, derist in St .Pölten goldrichtig, denn hier blühtdie lokale Kultur szeneauf Mitdem Tangente Fe stival für Gegenwar tskultur setz tman für Besucher:innen undKunst schaffendeaus derg anzenWeltdie Landeshaupts tadt in einneues Lichtund lädt zu einerEntdeckungsreiseein
Im Wiener wald in dieKulturszeneeintauchen? Bitteger ne!
Beieinem Besuch deshis torischen Thermalbades Vöslau samt Kultur bühne, beim Wander nauf »des Wa sser sSpuren« durch Badenbei Wien undb eim Best aunendes im ehemaligen Fr auenbadb eheimateten Arnulf Rainer Museum s –hiererlebtman Geschichte hautnah.
So verträumtdie Gegend der Wiener Alpenauchw ir kt ,esgibt hier einreges kulturellesLeb en
Ob beim Sommercamp de rISA , derUniversit ät fürMusik und dars tellendeKunst Wien,o derb ei den Fe st spielenReichenau:Die beiden Fe stiv alsbringen hö chste Kultur aufdie hö chsten Gipfel Niederös terreichs.
Fein kuratier te Kultur-Entdeckertouren unter: →niederoesterreich.at/ entdeckertouren-kultur
UN BE DI NG TB ES UC HE N:
30.April bis6.Oktober 2024 TA NG EN TE SA NK TP ÖLTE N Da sFes tivalzeigt Bilden de Kuns t, Th eate r, Pe rfor mances ,Musik , Lite ratursow ie Wissenschaft sun dDiskurs fo rmate. Th em en de r Gege nw ar t–Ö kologie, Er inne rung , De mo kr at ie –s tehe ndab ei im Mittelpunk t. Da sFes tivalzentr um,S onderspie lo rte, ne ue Infr as tr uk turp rojekte sowiedie be steh en de nKultur- un d Bildungs einr ichtunge nSt. Pöltens we rden zumS chauplat znat io nale r un dinter nationaler Projek te →tangente-st-poelten.at
5. bis14. Juli 2024 SCHR AMMEL.KL ANG. FESTIVAL
Die»Schr amme ln «bil dete nam Ausg angdes 19 .Jahrhun de rt sden Höhe punk tder volk stümliche n Wien er Musik. Da sFes tival er inne rt nichtnur daran, sondern beleuchtet auch moderneA sp ek te de rS chramm elmusikinder Naturkuliss eamHer re nsee →schrammelklang.at
20.Junibis
8. September 2024 MUSIKFESTIVALGRAFENEGG
Groß einter nationaleO rche ster un d be steS olis t:inne naus alle rWeltt re ffe n aufate mb er aube ndeKulis se .Zentr ale Spie ls tätten sind dieO pe n- AirB ühne im Wolkenturm inmitten de simp os ante nS chlosspark sund de rKonze rt saal Audito rium →grafenegg.com
einen Ort lernen.« Auf einem opulenten Markt in Boliviens Hauptstadt La Paz (S. 43) begeisterte sie besonders die Farbpalette eines kurzen Moments: »Da stand diese Frau mit ihrem pink-lilafarbenen Outfit vor einem Berg roter Zwiebeln und Schalotten, die durchsetzt waren mit all diesen glorreichen Rot- und Pink-Schattierungen.«
Eine sehr spezielle Form von Food-Präsentation hat es Sophie Green besonders angetan: Autos, die zu Gemüseständen umfunktioniert werden (S. 48): »Das ist ein Motiv, das ich schon in mehreren Ländern fotografiert habe: Essen im Kofferraum. Ich habe eine wachsende Sammlung solcher Bilder.« Was findet sie an dieser Kombina-
Weiser reisen mit Sophie Green:
Ohne feste Erwartungen ankommen; ziellos umherwandern, statt Touristenziele abzuklappern; sehen, statt zu knipsen
tion so toll? »Ich liebe Essen, und ich liebe Autos. Essen gehört normalerweise in die Küche und auf den Esstisch, ich finde es irgendwie lustig, es an einem unerwarteten Ort zu sehen. Und weil ich Autos so mag, dokumentiere ich sie auch gern in einem ungewohnten Kontext.«
Wie eng Essen, Fotografie und Reisen für Sophie Green miteinander verwoben sind, wird endgültig klar, als wir über ein Bild sprechen, das sie auf der griechischen Insel Hydra gemacht hat (S. 45): »Diese Art von Nachtisch, in Sirup eingelegte Früchte, wird Süßigkeit vom Löffel genannt. Das musste ich fotografieren: all das Licht, die Schatten, die die Kristallteller werfen, dazu dieser im Sonnenlicht glänzende Sirup ...« Als sie das erzählt, seufzt Sophie Green so tief, dass man für einen Moment mit ihr in der griechischen Sonne zu sitzen glaubt. Ihre Fotos, sagt sie, seien für sie »Trigger«: eine Möglichkeit, »noch einmal mittendrin in einem Erlebnis zu sein«. Sie ist so viel gereist in den vergangenen Jahren und hat so viele Länder zum ersten Mal besucht, dass die Frage nach dem einen Ort, den sie mehr als alle anderen wiedersehen will, natürlich eine Zumutung ist. Sie überlegt eine Weile, vielleicht müsste es etwas in Indien sein (S. 40 und 46) –die Farben, das Essen, die permanente Reizüberflutung überall: »Alles findet dort draußen auf
der Straße statt, es gibt keine Routinen oder Formalitäten, alles ist voller Energie und Überraschungen. Da gibt es so viel zu fotografieren. Ich fand es absolut magisch dort, und ich habe erst einen Bruchteil dieses Landes gesehen.«
Als ein konkretes Lieblingsreiseziel, das sie jederzeit wieder aufsuchen würde, nennt sie dann noch Ambrolauri, einen kleinen Ort in der Ratscha-Landschaft im nordwestlichen Georgien. »Das ist eine wunderschöne Gegend«, sagt sie, »alle bauen da ihren eigenen Wein an, man kann bei Familien übernachten. Man isst die Mahlzeiten gemeinsam und probiert ihre unglaublichen Naturweine. Und das traditionelle Essen dort ist fantastisch.« In der Provinz Ratscha wohnte sie im Margvelidze Winery & Guesthouse, das sie wärmstens empfiehlt, ebenso das Hotel Gallery in einem Ort namens Oni. Sie habe in den Landschaften dort viele Wanderungen gemacht (Foto S. 51) und dabei winzige Bergdörfer entdeckt. »Es war wie eine Zeitreise, eine andere Welt. Es ist manchmal schwer zu sagen, warum man sich einer Gegend verbunden fühlt. Aber ich werde nie das Gefühl der Verbundenheit vergessen, das ich in Georgien hatte.«
Wie hält sie es als professionelle Fotografin, die mit Aufträgen aus der Werbebranche ihre Dokumentar- und Kunstprojekte finanziert, mit dem Fotografieren in ihrem Privatleben, etwa, wenn sie mit ihren Freunden oder ihrer Familie unterwegs ist? »Ich bin furchtbar schlecht darin, mein eigenes Leben zu fotografieren«, sagt sie. »Ich fotografiere zwar bescheuerte Sachen wie die Rote Bete auf meinem Schneidebrett – aber wenn ich ein Wochenende mit meinen Freunden verbringe, vergesse ich es permanent, auch nur ein einziges Foto zu machen.«
Die küchenpsychologische Vermutung, dass sie ja vielleicht unbewusst ihre privaten Lebenserinnerungen lieber frei halten möchte von ikonischen Momentaufnahmen, überzeugt Green nicht: »Mein Gedächtnis ist so schlecht, wenn irgendjemand Bilder als Erinnerungshilfen braucht, dann bin ich das. Und ich möchte mich später wirklich sehr gern an meine Erlebnisse im Freundeskreis erinnern. Ich weiß nicht, warum ich sie nicht fotografiere.«
Ein Grund fällt ihr dann doch noch ein: »Ich hasse diese posierten Gruppenaufnahmen, die man typischerweise in solchen Situationen macht und bei denen alle ihr spezielles Lächeln für die Kamera aufsetzen.«
Die Serie Brief Encounters ist längst nicht abgeschlossen, sie soll fortlaufend wachsen. »Ich werde in den nächsten Jahren und Jahrzehnten hoffentlich noch viel reisen können, und dabei werden auch immer mehr Bilder entstehen, die in diese Serie passen könnten«, sagt Green. Und gerade weil die Serie kein inhaltliches Konzept habe, könnten die in ihr enthaltenen Geschichten und Erlebnisse im Laufe der Jahre vielleicht anwachsen zu einer Art von »abseitigen Memoiren der Menschheit«.
Und so ist am Ende auch diese Serie von Momentaufnahmen doch wieder ein Beispiel für Sophie Greens Lieblingsform: ein Langzeitprojekt. Vielleicht sogar das allerlängste von allen, ein Lebenslangzeitprojekt.
Der Berliner Regisseur Ersan Mondtag, 36, in Venedig
Von früh auf hatte er den unbedingten Willen aufzusteigen – jetzt hat er es geschafft: Unterwegs mit dem Theaterregisseur Ersan Mondtag, der auf der Kunstbiennale in Venedig den Deutschen Pavillon gestaltet
»FÜR MICH KAMEN NUR BERUFE
INFRAGE, IN DENEN
ICH MACHT ÜBER ANDERE MENSCHEN HÄTTE«
Der Regisseur Ersan Mondtag wirft eine Mappe auf den Tisch, mitten zwischen die Campari-Spritz-Gläser. »Hier drin ist es: Das Leben meines Großvaters, wie eingefroren an seinem letzten Tag«, sagt er. »Nach der Ausstellung wird diese Mappe Millionen wert sein. Wenn wir die heute im Lauf der Nacht verlieren, haben wir ein Problem.« Es ist halb zehn, ein Dienstagabend Anfang April. Mondtag und seine Crew – sein Assistent, ein Schauspieler und ein Komponist – sitzen unter der dunkelroten Markise einer kleinen Weinbar, auf dem Vorplatz einer Kirche in Venedigs nördlichem Viertel Cannaregio. Alle vier sind noch halbwegs nüchtern, sie tragen Käppis, als wären die ihre Uniform. Mondtag ist ansonsten elegant gekleidet, mit einem wehenden beigen Trenchcoat und einem warmen Schal über dem aufgeknöpften Sommerhemd. Die vier Männer beugen sich über die Mappe. Mondtag sieht sie zum ersten Mal. Sein Assistent hat sie bei Mondtags Großmutter abgeholt und erst gestern aus Berlin nach Venedig mitgebracht. Mondtag zieht einen kleinen braunen Taschenkamm daraus hervor: »Mein Opa hat sehr auf sich geachtet, er liebte seine kaum mehr existierenden Haare«,
ein kleiner Jubiläumsanstecker und ein Gratulationsschreiben des Bezirksamts Neukölln zu 25 Jahren in der Firma. Für Eternit fertigte Hasan Aygün Dachschindeln und Blumentöpfe aus einem Zement, der Asbest enthielt; wie viele seiner Kollegen starb er früh an Krebs, mit 66 Jahren. »Ich war damals keine zwanzig, war gerade im Ausland und hielt auch absichtlich Abstand zu meiner Familie, weil ich den Abschied schwer zu ertragen fand«, sagt Mondtag. Der Regisseur scheut keine schwierigen Themen, er hat in seinen Stücken schon Gewalt, Terror und Rassismus behandelt, aber seine eigene Geschichte oder die seiner Familie hat er bislang nicht gezeigt. Venedig wird eine Premiere, sein persönlichstes Werk.
1996, als Aygün 56 Jahre alt war, schloss die Fabrik: »Wir wünschen Herrn Aygün für seinen weiteren Lebensweg alles Gute«, schrieb Eternit in das Arbeitszeugnis. »Heute versteht man erst, was das bedeutet und was da Düsteres mitschwingt«, sagt Mondtag. Seine Großmutter und sein Vater berichteten ihm, wie kurzatmig und glühend heiß Aygün kurz vor seinem Tod gewesen sei, dass er sein Fieber beschrieb als Gefühl, innerlich zu verbrennen.
Der Deutsche Pavillon soll ein gigantisches Denkmal für Ersan Mondtags Großvater werden: Den Gastarbeiter Hasan Aygün
sagt er, seine Stimme klingt gerührt. Auch Passfotos von Hasan Aygün sind in der Mappe, ein Mann mit Schnauzbart, großen Augen und bereits sehr hoher Stirn. Mondtag holt ein edel aussehendes Schlangenleder-Portemonnaie heraus, darin ein gespielter Lottoschein von 2006, dem Todesjahr des Großvaters. 5, 7, 20, 25, 34, 46, Glückszahlen, die kein Glück bringen sollten. Und eine Art Schuldschein: eine lange Liste mit Namen und Geldbeträgen. Der Komponist am Tisch vermutet gleich, es wären Aygüns Schulden bei anderen Leuten. »Andersrum!«, sagt Mondtag, »mein Opa schuldete niemandem Geld, das war ihm wichtig.« Und im gleichen väterlich-strengen Tonfall, der so typisch für ihn ist: »Vorsicht, dass die Spritz-Gläser nicht umkippen!« Die Objekte in der Mappe sind Belege für eine Geschichte, die Mondtag hier in Venedig als halbstündiges Theaterstück auf die Bühne bringen will, Teil des deutschen Beitrags zur Biennale. Bald wird die ganze Welt von Hasan Aygün erfahren, einem türkischen Gastarbeiter in Deutschland – dank seines Enkels, des Theater- und Opernregisseurs Ersan Mondtag, 36, der jetzt, nach dem Tod von René Pollesch, sogar als möglicher nächster Intendant für die Berliner Volksbühne gehandelt wird. Mondtags rasante und erstaunliche Karriere war möglich, weil Hasan Aygün 1968 als Gastarbeiter aus Istanbul nach Berlin kam. In den Siebzigerjahren holte er seine Familie nach. Sein Arbeitszeugnis liegt auch in der Mappe, von 1969 bis 1996 war er Angestellter der Firma Eternit. Dazu
»Es gibt weit und breit kein einziges Denkmal für die Schicksale der Gastarbeiter, für diese unbekannten Menschen«, sagt Mondtag. Deshalb wird der Deutsche Pavillon der Venedig-Biennale nun also ein gigantisches Denkmal für Hasan Aygün, inklusive seiner letzten Besitztümer. Zum »Grabmal« wird der Pavillon durch 240 Tonnen venezianischer Erde, an den Wänden des Gebäudes und in Form eines den Eingang versperrenden Hügels; eine gewaltige Masse, von der ein kleiner Teil von Aygüns Grab in der Türkei stammt.
Der Kellner bringt die nächste Runde, die Männer schließen die Mappe und schieben sie sich über den Tisch zu, keiner möchte die Verantwortung auf sich nehmen, darauf aufzupassen. Sie planen das Stück weiter – bürgerliche Konzepte von Feierabend oder freien Wochenenden gibt es in der Welt von Ersan Mondtag nicht. Der Komponist, der mit am Tisch sitzt, probte heute tagsüber mit dem Chor das Requiem für Hasan Aygün. »Alle werden weinen«, verspricht er. Der Schauspieler wird den HasanDarsteller in ein Leichentuch einwickeln und davor eine rituell-muslimische Waschung des Körpers durchführen. Dazu fällt Mondtag ein, dass zum ersten Mal in der Geschichte sogar der Papst die Venedig-Biennale besuchen soll: »Vielleicht könnte er Hasan noch die Füße waschen!« Großes Gelächter am Tisch.
Das Wasser aus der Totenwaschung will Mondtag am liebsten gläserweise abfüllen und nach der Biennale auf
dem Kunstmarkt verkaufen. Überhaupt plant er, möglichst viel davon gewinnbringend weiterzuverwerten. In den vergangenen Tagen hat er sich mit Kunstsammlern getroffen, die alles begehren, was nur im Entferntesten mit der Biennale in Berührung war. Aus den 240 Tonnen Erde will er während der Biennale Skulpturen von Hasan Aygüns Kopf in Überlebensgröße pressen, die dann für immer mit dieser Ausstellung und mit Aygüns Leben verbunden sein werden. Man braucht nur eine gute Geschichte, dann kann jede der Skulpturen auf dem Kunstmarkt eine fünfstellige Eurosumme einbringen. Die Biennale ist Mondtags Einstieg in die Kunstwelt, er fängt gleich dort an, wo andere Künstlerkarrieren nach Jahrzehnten ihren krönenden Abschluss finden: bei der wichtigsten Kunstausstellung der Welt. Für ihn ist das kein Zufall, sondern folgerichtig: »Ich habe mir immer genau das als Nächstes ausgesucht, was zum Weiterkommen nötig war«, sagt er. Als Jugendlicher habe es nur zwei Möglichkeiten für ihn gegeben: Entweder würde er sehr erfolgreich oder kriminell. Mondtag entschied sich für den Erfolg. »Wäre ich als Regisseur gescheitert, dann wäre ich ein hochrangiger Politiker geworden. Oder ich hätte als Priester im Vatikan Karriere gemacht«, sagt er, »für mich kamen nur Berufe infrage, in denen ich Macht über andere Menschen hätte. Die Macht hat mich sehr interessiert.« Eigentlich sind in der aktuellen Kunstwelt eher Kollektive und flache Hierarchien angesagt. Mondtag hält davon wenig, er findet sie realitäts
fremd. In dem Wort Regisseur steckt bereits das Lenken und Regieren, das er so gut beherrscht. Auch hier, in der Bar beim Spritz, gibt er selbstverständlich stets den Ton an. Er dominiert jedes Gespräch mit seiner Ausstrahlung. Er hat sich über die Jahre hinweg eine zweite Familie aufgebaut, seine Theaterfamilie, die oft in seiner Berliner Wohnung zusammentrifft: Menschen, die er immer wieder in seinen Produktionen beschäftigt. Es ist ein richtiger Clan, ähnlich wie bei Rainer Werner Fassbinder. Der Vergleich mit dem großen deutschen Regisseur fällt in jedem Gespräch über Mondtag früher oder später. Fassbinder blickte ebenfalls von den Rändern aus auf die Gesellschaft und sah trotzdem – oder gerade deshalb – Dinge, die alle Menschen etwas angingen. Der Vergleich bezieht sich aber auch auf Mondtags ebenso schnelle, rastlose Arbeitsweise. Er steckt immer in mehreren Projekten gleichzeitig und benötigt nur wenige Wochen zum Proben.
Fassbinder war nicht bloß gnadenlos mit sich selbst, sondern auch mit seinen Schauspielern, terrorisierte sie zuweilen mit seinen Launen. Ein paar Jahre lang hatte Mondtag wegen seiner Wutanfälle denselben Ruf. Er räumte in Interviews ein, seine Schauspieler angeschrien und fertiggemacht zu haben. Einmal trat er vor Zorn so fest gegen ein Stuhlbein, dass er sich den Zeh brach. Als sein heutiger Partner, der Regisseur Wilke Weermann, ihn 2017 zum ersten Mal sah, sagte er zu seiner Begleitung: »Ist das nicht das TheaterArschloch, über das alle sprechen?«
Die einen nannten das damals Heuchelei: Da will jemand Geschichten über strukturelle Gewalt erzählen, und hinter den Kulissen kommt es wieder zu Machtmissbrauch. Andere hielten Mondtag zugute, dass große Emotionen eben nötig seien, um große Werke zu erschaffen; dass Benimmregeln das Ende aller Kunst wären. Mittlerweile ist Mondtag sanfter und beherrschter geworden. So schildern es mehrere Personen, die in den letzten Monaten mit ihm arbeiteten. Er hat sich besser im Griff.
In Venedig zahlt Mondtag in der kleinen Bar die Rechnung und zieht mit seinem TheaterClan los in die Nacht. Sie laufen durch die engen Häuserschluchten und über eine endlose Abfolge von Treppen. Wenn sie stehen bleiben, um miteinander zu reden, hat Mondtag beide Arme auf dem Rücken und hält eine Hand in der anderen. Seine Familie sagt, das habe er als Kind von seinem Großvater Hasan übernommen, sogar mit einem Wegbier in der Hand nimmt er diese Pose ein.
Die Gruppe kommt an der Kirche vorbei, in die sie erst wenige Tage zuvor einbrechen wollte. An der Mauer hatten sie bereits eine Räuberleiter gebildet, weil die Ostermesse so mitreißend schön klang und sie keine offene Tür finden konnten. »Das wäre ein Katholizismus, dem ich mich anschließen könnte«, sagt Mondtag, der als Kind muslimisch erzogen wurde und sich heute als Atheist bezeichnet.
Wenn schon nicht in die Kirche, dann wollen sie heute Nacht zumindest in den Deutschen Pavillon einsteigen, über den Zaun des BiennaleGeländes klettern, wie es, so
Lottoschein und ÖPNV-Karte: Objekte aus dem Nachlass von Mondtags Großvater, die in Venedig gezeigt werden sollen
Foto
haben sie es gehört, auch die Kunststudenten machen. Falls jetzt, nach 23 Uhr, noch ein Pförtner da sein sollte, könnte man sich von ihm aber einfach den Schlüssel aushändigen lassen, um im Pavillon einmal nach dem Rechten zu sehen, sagt Mondtag. »Das muss man sich manchmal erst wieder bewusst machen«, ruft er euphorisch, »dass ich jetzt auf Wunsch den Schlüssel zum Deutschen Pavillon von Venedig bekomme. Dass ich mich tatsächlich bis hierhin hochgestapelt habe, ins Zentrum der Hochkultur!« Aufgewachsen ist Mondtag in einer kleinen Wohnung in Berlin-Kreuzberg. Eigentlich heißt er mit Nachnamen Aygün, wie sein Großvater, 2005 legte er sich den Künstlernamen Mondtag zu, eine Übersetzung des Familiennamens ins Deutsche. In Kreuzberg betrieb sein Vater damals ein Café. Seine Mutter, sagte Mondtag mal in einem Interview, sei Putzfrau gewesen – worüber sich seine Mutter dann offenbar fürchterlich aufregte. Immerhin putzte Nurten Aygün während seiner Kindheit nur für eine Weile, wenige Stunden pro Woche in Restaurants. Die restliche Zeit über blieb sie als Hausfrau bei ihm, seiner Schwester und seinem Bruder zu Hause.
aus jedem erdenklichen Blickwinkel reflektieren werden. Das ist das räumliche Denken, wie er es in seinen Hospitanzen am Theater gelernt hat. Am Berliner Ensemble lehrte ihn der große Theatermacher Thomas Langhoff, dass man während der Proben überall im Saal einmal gesessen haben müsse, vorn, ganz an der Seite und oben auf dem Rang. Der 18-jährige Mondtag trug Langhoff damals ein Glas Wasser oder eine Bratwurst an das Regiepult, an dem er Jahre später selbst als Regisseur sitzen würde. Am besten versteht man Mondtags Venedig-Beitrag jedoch im Kontext des Berliner Maxim Gorki Theaters, »dem letzten Theater mit Idealen«, wie er sagt, wo er sechs Theaterstücke umsetzte. Die Kuratorin des Deutschen Pavillons, Çağla Ilk, die ihn auswählte, hat hier von 2012 bis 2020 gearbeitet und Mondtags Karriere begleitet. Mit dem Wegbier in der Hand spaziert Mondtag durch Venedig Richtung Deutscher Pavillon, rechts das tiefschwarze Lagunenwasser, links die Restaurant- und Barmeile. Er zählt die »allerliebsten« Verrisse seiner Stücke auf. Geschwister von 2022 bekam relativ schlechte Kritiken, denen er sich, das gibt er jetzt zu, eigentlich als Autor und Regisseur des
»Das muss man sich manchmal erst wieder bewusst machen: Dass ich mich
tatsächlich bis hierhin hochgestapelt habe, ins Zentrum der Hochkultur!«
»Alle um ihn herum haben damals gemerkt, dass er etwas Besonderes hatte«, sagt sein ehemaliger Lehrer Carlo Nordloh an einem Märzabend in Berlin. Er hat Mondtag an der Hauptschule kennengelernt, ihn später beim Wechsel auf das Gymnasium unterstützt – und wurde dann noch Lehrer am selben Gymnasium. In der 11. Klasse vermittelte Nordloh Mondtag einen einjährigen Schüleraustausch in den USA. Mondtag hätte dort in einer Kleinstadt im Mittleren Westen landen können – er kam durch Glück aber nach Washington, D.C., in die Familie eines hochrangigen Politikers. Mondtag besuchte zum ersten Mal in seinem Leben klassische Konzerte, mit Logentickets für 800 Dollar, erzählt er. Er habe Präsident George W. Bush im Weißen Haus getroffen und sich mit 17 Jahren wie ein Besessener in die High Society gestürzt. Bis heute hört er viel klassische Musik. Er stellt gern wie beiläufig unter Beweis, dass er die verschiedenen Komponisten auf Anhieb erkennt. Auch Wissen und Sachverstand sind ja eine Form von Macht. »Wenn ich mich entscheiden müsste, wäre ich lieber blind als taub«, sagt Mondtag. Obwohl bei ihm das Visuelle so wichtig ist? »Die Bilder entstehen ja vor meinem inneren Auge.« Wie detailliert er diese Bilder plant, zeigt sich, wenn man seine Proben eine Weile lang begleitet: Ende März besprechen er und sein Team ein Bühnenbild mit drei großen Spiegeln, für ein Schweizer Theaterfestival. Mondtag bremst, stopp, stopp, hier sei noch nichts fertig, er wolle erst ganz genau modellieren, was die drei Spiegel
Stücks nur anschließen konnte. Er hatte mehrere Schauspieler im Lauf der Proben rausgeschmissen, ihre Rollen fielen weg und hinterließen Lücken. Das Stück handelte unter anderem von einer Haushälterin aus der ersten Generation türkischer Gastarbeiter und bereitete Mondtag somit zumindest gut auf Venedig vor. Ganz ähnlich wie bei seinem Durchbruch als Regisseur, dem Theaterstück Tyrannis von 2015, gab es in Geschwister ein Sechzigerjahre-Wohnzimmer, wie nun auch in Venedig, in dem der Alltag zum Horrortrip wird. In Tyrannis bewirkten das die stummen Fratzen der Schauspieler – die Familie redete gar nicht – und vereinzelte Schreie aus der Ferne. In Geschwister war alles in Schwarz-Weiß getaucht, bis hin zur Haut der Schauspieler. Die Eltern diktierten sogar den Takt, in welchem ihre Kinder den Löffel zum Mund führen mussten. Mondtags Stücke sind oft surreal, voller Untoter und Monster, er selbst gilt als der Meister des Unheimlichen. Dadurch, dass er sich für Venedig so eingehend mit seiner Familiengeschichte beschäftigt habe, sei Mondtag seinen Eltern wieder nähergekommen, die er die letzten Jahre auf Abstand gehalten habe, erzählt sein Partner Wilke Weermann in einer Mittagspause im März. Mondtags Eltern konnten nicht verstehen, dass er 2005 nach Washington ging, und wunderten sich seitdem auch über manch andere Entwicklung in seinem Leben. Jetzt sind die Eltern wieder öfter in der Berliner Wohnung des Paars zu Gast. Der Kühlschrank wird dann vollgestopft
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mit Milchreisgläschen, die Nurten Aygün zubereitet hat; ein Familienrezept, das Mondtag sehr mag.
Der Pförtner der Biennale schläft nicht. Mondtag zeigt ihm seine Befugnis. Einmal habe er den Pförtner schon aus dem Schlaf gerissen, »das grenzte an Machtmissbrauch«, spottet er. Dafür, dass es bis zur Eröffnung am 20. April nur noch zwei Wochen sind, sieht das Gelände Anfang April noch sehr unfertig aus, ein Irrgarten aus Bauzäunen und Gruben. Bei den Japanern blinken ein wenig trostlos Glühbirnen auf einer Hexenfigur (»Das kann ja wohl nicht alles sein«, sagt Mondtag). Vor dem Pavillon der Skandinavier hat man zumindest schon einen großen Drachenkopf aufgebaut (»Hoffentlich speit er wenigstens Feuer«). Und bei Deutschland? Da brennt gegen Mitternacht noch Licht. Im Pavillon sind einzelne Scheinwerfer auf die riesige Baustelle gerichtet. Kabel hängen aus der Decke oder schlängeln sich über den Boden, zwischen Leitern und Farbeimern hindurch. Innerhalb weniger Wochen haben Mondtag und sein Team hier im Inneren des Pavillons ein dreistöckiges Gebäude aus Holz, Gips und Beton hochgezogen, ein Gebäude im Gebäude.
ren zu finden, wie diesmal, wegen des Israel-Gaza-Kriegs«, sagt er. Viele rechnen mit einem neuen AntisemitismusSkandal in Venedig, auch wegen der Boykott-Aufrufe gegen den israelischen Pavillon. Deshalb seien große Unternehmen nun viel zögerlicher mit ihrem Sponsoring, sagt Mondtag, ohne Namen nennen zu dürfen. Er teilt sich den Pavillon zur Hälfte mit der israelischen Videokünstlerin Yael Bartana. Beide wurden als Provokateure und Schockkünstler berühmt – das ist im Moment wenig gefragt. »Es gibt in der Kunstwelt wahnsinnig viele Eitelkeiten, Befindlichkeiten und Ängste darüber, dass etwas missverstanden werden könnte«, sagt Mondtag. Während der Aufbauarbeiten besteht sein Arbeitsweg in der Fährstrecke zwischen Lido und Venedig. Ist er manchmal überwältigt oder gar besoffen davon, wie schön er es hat? Er schüttelt den Kopf. »Anfang des Jahres war ich sogar überzeugt, mein Glück wäre jetzt endgültig aufgebraucht.« Im Januar und Februar war er schwer krank, zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt, als er gleichzeitig eine Oper in Rom und die Biennale in Venedig vorbereitete. Er habe wochenlang hohes Fieber gehabt: »Ich dachte, das wäre mein Ende.«
Innerhalb weniger Wochen haben Mondtag und sein Team hier im Inneren des Pavillons ein dreistöckiges Gebäude aus Holz, Gips und Beton errichtet
Die vier Männer steigen darin die Wendeltreppe nach oben. Der Assistent macht begeistert Handyfotos von allem, er ist heute zum ersten Mal da. Ganz unten, im Erdgeschoss, soll die Fabrik entstehen, in der Hasan Aygün schuftet. Durch diese Fabrik treten die Zuschauer ein und erleben als Erstes Hasan bei der Arbeit. Staub und Nebel werden in der Luft liegen, gleich daneben ist ein Laden mit den Eternit-Produkten in Vitrinen. Gemeinsam mit Hasan steigt man als Zuschauer nach oben in die Wohnung der Familie, folgt den Darstellern also durch die Etagen. Das könnte eng werden auf der Treppe. Die Darsteller der Familie werden viele Stunden in den Kulissen verbringen, sie dürfen als Geister der Vergangenheit hier kochen, essen, ein Nickerchen machen und vieles improvisieren. Ganz oben im dritten Stock stirbt Hasan, danach beginnt das Stück von Neuem. Mondtag will in den nächsten Tagen alle Wände mit der Erde verputzen lassen, die er herangeschafft hat. Da der Erdhügel den Haupteingang zum Pavillon versperrt, müssen sich die Besucher durch den Seiteneingang zwängen.
Ersan Mondtag steht jetzt breitbeinig oben, auf dem Dach des Gebäudes. Es ist wie ein Schiff geformt und bietet durch das hohe Fenster des Pavillons einen Ausblick bis auf das Meer. Normalerweise, ohne die ehrgeizige Konstruktion, reichte man an das Fenster nie heran. In den letzten Wochen hatte Mondtag immer wieder Probleme mit dem Budget. »Nie zuvor war es so schwierig, Sponso-
Mithilfe von starken Schmerzmitteln und Cortison setzte er die Proben fort, dachte nicht ans Aufgeben. Er nahm 20 Kilo ab, »seitdem werde ich wieder viel mehr angeschaut.«
So brachte es in seinen Augen etwas Gutes mit sich, wie übrigens alles im Leben für ihn, nie wirkt er bitter oder nachtragend. Auch das Stück über Hasan Aygün sei kein Vorwurf, sagt er, sondern eine Chance auf Versöhnung. Er erzählt, dass ihm während der Krankheit seine Großmutter Fatma Aygün mit einem magischen Ritual half. Mondtag zeigt das Ritual – er hat es als Video auf seinem Handy. Man sieht ihn darin lachen über das Prozedere, das er widerspruchlos über sich ergehen lässt. Die Großmutter erhitzt ein wenig Silber in der Pfanne, gießt es in eine Schale kaltes Wasser, die auf einem Tablett auf seinem Kopf steht, der mit einem Tuch abgedeckt ist. Weitere wichtige Zutaten: eine Münze, eine Nadel, eine Zwiebel, eine Scheibe Brot. Bald nach dem Ritual – sowie einem Arztbesuch, wie er anfügt – erholte sich Mondtag von dem Fieber. Fatma Aygün, Hasans Witwe, führte die Krankheit des Enkels übrigens nicht auf die Arbeit, den Stress der vergangenen Monate zurück, sondern auf einen Fluch. Ersan, nie ein Kandidat für falsche Bescheidenheit, habe den »bösen Blick« der Neider auf sich gezogen.
Mehr zur diesjährigen Biennale in Venedig lesen Sie im aktuellen Feuilleton der ZEIT
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Foto Peter Langer
man kennt die Franse als Teil der Kleidung indigener Völker Nordamerikas.
Dort hatte sie eine wichtige Funktion: Die Franse am Ärmel sorgte dafür, das Regenwasser schnell von einem Kleidungsstück abgeleitet wird und nicht in das Gewebe eindringt.
Dieser praktische Effekt dürfte jedoch nicht die Erklärung dafür sein, dass Fransen gerade so in Mode sind. Der Grund dafür wird eher mit einer Art von Verschleierung zu tun haben, die sich auch in der Natur beobachten lässt: Um sich vor Fressfeinden zu schützen, plustern sich Vögel auf, um größer zu erscheinen. Fische versuchen mit bizarren Flossen von ihrer eigentlichen Körperform abzulenken, Insekten lassen sich Haare stehen, um für Vögel nicht wie ein Leckerbissen auszusehen. Immer geht es um einen geschickten Materialeinsatz, durch den man größer, unheimlicher oder zumindest mysteriöser wirkt, als man ist. Und so sind wohl auch all die Fransen zu verstehen, die zurzeit in den Kollektionen zu sehen sind. Prada hat in der Frühjahrskollektion Röcke im Programm, die fast nur aus Fransen bestehen. Bei Bottega Veneta sehen wir blaue Abendkleider, die komplett verfranst sind, und Jil Sander bietet Oberteile mit Kragen, die mit langen, breiten Fransen versehen sind. Überall schwingt, hängt und baumelt es. Und in Aktion kann man leicht erkennen, wieso: Wenn etwa die Schauspielerin Isabelle Huppert in einem metallisch blinkenden Fransenkleid bei den Filmfestspielen von Venedig über den roten Teppich raschelt, dann ist es unmöglich zu sagen, wo Isabelle Huppert anfängt und wo sie aufhört. Es ist verwirrend. Und gerade deswegen passt der Fransenlook gut in unsere Zeit. Wie man eigentlich aussieht, ob dünn oder dick, groß oder klein, ist in einem Fransenkleid, das in alle Richtungen schwingt, nicht so leicht festzustellen. Allerdings haben die Fransen einen Nachteil, der ebenfalls in der Natur beobachtet werden kann: Sie schränken häufig die Bewegungsfreiheit ein. Ein Tier, das trotz Fransentarnung entdeckt wird, kann Probleme beim Weglaufen bekommen. Und so ähnlich ist es auch beim Menschen. Je mehr man ausfranst, desto häufiger bleibt man irgendwo hängen.
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Christel*, 67: »In den Siebzigerjahren studierte ich Romanistik. Um mein Französisch zu polieren, ging ich als AupairMädchen nach Toulouse. Die Familie wohnte in einem riesigen Stadtpalais, und meine Patronne O., eine 40jährige, sehr elegante, distinguierte Dame, übertrug mir viel Verantwortung für die vier Kinder, auch für das 18monatige Kleinkind. Da ihr Gatte meist abwesend war, blieben wir unter uns, duzten uns, lachten viel, wurden unzertrennlich.
Am Morgen meiner Abreise nahm O. meine Hand und gestand mir ihre Liebe. Ich wusste nicht, was ich, 22 Jahre alt, in meinem mit Bärchen bedruckten Baumwollpyjama sagen sollte, schließlich war sie verheiratet, eine vierfache Mutter. Der Pfeil Amors hatte mich jedoch getroffen.
Bald danach besuchte mich O. Während eines Konzerts in einer Kirche in Tübingen, wo sie mir unter Tränen einen Ring zusteckte, heirateten wir ›entre nous‹. Ich schrieb die leidenschaftlichsten Liebesbriefe meines Lebens. Dann versuchte
Wenn Sie uns etwas über die Liebe erzählen wollen, schreiben Sie uns an liebe@zeit.de
ich, andere Männer und Frauen zu lieben, aber die Liebe zu O. war nicht zu löschen, keine andere hielt ihr stand. Für O. war es genauso. Wir lebten diese Liebe als unser Geheimnis. Anfangs auch in sexuellen Annäherungen, bis sie feststellte, dass sie doch lieber mit Männern schlafe. Aber letztlich war es unwichtig, denn was dann kam, war dennoch erfüllend, eine große innere Geschichte seit mehr als vierzig Jahren. Ein Schatz, an den nichts heranreicht.
Später wurde ihre Ehe geschieden. Wir überlegten, wie wir zusammenkommen, aber es gab zu viele äußere Hindernisse – und vielleicht wollte ich diese Liebe auch gar nicht in die Realität verlegen.
Heute lebt O. bei ihrer Tochter, dem damaligen Kleinkind. Wenn wir telefonieren, halten wir den Atem an. Nie habe ich einen Menschen mehr geliebt als sie, und ich bin unendlich dankbar, ein so großes Gefühl in mir zu tragen.«
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Nina Bengtson, Mirko Merkel, Gianna Pfeifer; Mitarbeit: Leon Lothschütz, Jana Schnell
Bildredaktion
Nora Hollstein
Autor(inn)en
Heike Faller, Dmitrij Kapitelman, Harald Martenstein, Jana Simon, Matthias Stolz
Korrektorat
Thomas Worthmann (verantw.), Oliver Voß (stv.)
Dokumentation
Mirjam Zimmer (verantw.)
Herstellung
Torsten Bastian (verantw.), Oliver Nagel, Frank Siemienski
Vor gut hundert Jahren war Deutschland in der Welt des Schachs führend, vor allem aufgrund seiner jüdischen Spieler und unter diesen zuallererst Emanuel Lasker (1868–1941), der von 1894 bis 1921 unglaubliche 27 Jahre lang auf dem WM-Thron saß, und Siegbert Tarrasch (1862–1934), der »Lehrmeister Deutschlands«. Beide blickten weit über die 64 Felder hinaus: der promovierte Mathematiker und Philosoph Lasker, der promovierte Arzt Tarrasch. Doch die Zeitläufte spielten auch ihnen übel mit. Lasker starb 1941 im amerikanischen Exil in New York, Tarrasch bereits 1934 in München, wo dieser zeitlebens deutschnational gesinnte Mann noch den Arierparagrafen auch im deutschen Schach erleben musste. Siegbert Tarrasch, der zwar dogmatisch, aber immer wieder auch humorvoll seine schachlichen Lehrsätze verkündete, liebte das Schachspiel. So schreibt er: »Die sinnbetörende Schönheit unseres herrlichen Spiels nahm mich mit unwiderstehlicher Gewalt gefangen.« Und weiter: »Ich habe ein leises Gefühl des Bedauerns für jeden, der das Schachspiel nicht kennt, so wie ich jenen bedaure, der die Liebe nicht kennengelernt hat. Das Schachspiel hat wie die Liebe, wie die Musik die Fähigkeit, den Menschen glücklich zu machen ... Daß diese wunderbare Gabe aus dem Morgenlande nicht nur das edelste und schönste aller Spiele ist, sondern, auch an der Grenze von Spiel, Kunst und Wissenschaft stehend, zu den größten geistigen Genüssen gehört, dies wird jeder Schachspieler gern bestätigen.«
In diese Lobeshymnen fallen sicher auch andere gerne ein; Goethe: »Dies Spiel ist ein Probierstein des Gehirns«, Schopenhauer: »Das Schachspiel übertrifft alle anderen Spiele so weit wie der Chimborasso einen Misthaufen« und Tolstoi: »Bringt das Schachspiel schon dem Lernenden Freude, so führt es den Kenner zu hohem Genuss«.
Und Sie mögen jetzt die einzigartige Mattkombination genießen, die Tarrasch 1914 in Neapel gegen ein Beratungsteam gelang. Mit welchem herrlichen Zug konnte er als Weißer den schwarzen König in wenigen Zügen mattsetzen?
Lösung aus Nr. 15
In jeder Zeile, jeder Spalte und jedem mit stärkeren Linien gekennzeichneten 3 × 3-Kasten müssen alle Zahlen von 1 bis 9 stehen.
Nächste Woche an dieser Stelle: die Lebensgeschichte und die Auflösung aus Nr. 16
Lösung aus Nr. 16: Der weiße Springer ist bedrohlich ins schwarze Lager eingedrungen. Wie eroberte Weiß am Zug nun die schwarze Dame?
Mit 1.Ld2! Db6 2.a5 Dxb2 3.Lc3! Schwarz gab auf, weil nach 3…Db5 die Springergabel 4.Sc7+! die Dame erobert
waagerecht 6 Hier mit Tafelvorfreude, da mit Einspannkraft an Ort und Stelle gebracht 10 Macht Blattplatz zum Marktplatz 14 Wie die Dinge sind, so sind sie ... – oder: Chefs Kommando nach Bedarfsdeckungsmöglichkeitenentdeckung 17 Je profilierter der Profi, desto profitabler seine 19 Erzeuge Stimmiges kraft Stimmenvielfalt 20 Gewohnheit ist die ... der Freien (A. Bierce) 21 Vom Winde verwehte Familie 22 Die sollte es bringen, beibringensbezüglich 23 Unter ihrem Sturz, neben ihrem Schild 24 Wer ... tun will, soll es gleich tun (La Rochefoucauld) 25 Sein Schlüssel: auf der Frühlingswiese gefunden 27 Ein Ort mit Primat des Handelns 31 Kommentar zu Gernegroßes Plänen oder wenn’s nicht passt 34 Dorn im Literarischen Quartett 36 Bei ihr gibt’s einen Übernehmer und einen Überlasser 37 Voller Tücke für
die von der Brücke 40 Als solche mag Seefahrer 15 senkrecht ansehen 41 Bei akutem Personalbedarf landen Bewerber auf der auf der 42 Einsamkeit tut weh, aber doch nicht so wie falsche ... (Th. Fontane) 44 Der 16 senkrecht macht’s, und zwar nicht mit den Fingern 45 Flussfracht zuweilen zur Winterade-Zeit senkrecht 1 Arbeitsgang in der Lampenfabrikation? Maßnahme derer, die andere nicht im Regen stehen lassen 2 Hinterließ Markantes an der Seine-Kante 3 Wann war alles mehr nach Nostalgikergeschmack? 4 Lima-Lady, Panama-Madame 5 Bringt Bewegung ins Wettkampfgeschehen 6 Der ist nicht ganz ..., der nicht einmal ein Narr sein kann (Sprichwort) 7 Kleiner Schlenker vom Weg der Regeltreue 8 Hier tröpfelnd, dort felsreich 9 Position im Nach-
Feiertags-Speiseplan 11 Schmeckt nach Meer – oder: Grund für Bella-Italia-Urlaub 12 Wie eher Apfel als Ei auf den Tisch kommt 13 Kumpanin des inneren Schweinehundes 15 An, um, über die geht’s beim Barrenturnen 16 Reift eben neben dem Urkleid 17 Sprichwörtlich: ... bekommt’s Geld, und Wahrheit geht betteln 18 Krümmt mal eigenes, mal fremdes Haar 24 Mehr Schmaus und Braus als guttut 26 Blau-schwarz-weiß flaggt sein Land 28 Manch einer lädt im April zur Party 29 Nebst 32 senkrecht gewünscht von Drossel, Fink und Star 30 Ihr Hub-Raum ist der Ozean 32 Volksmunds Hoffnung: Geduldig sein bringt ... ein 33 Gemacht dafür, dass darin ein 40 waagerecht 35 Verdachttilgemittel 38 Kurzer Name am Ende kurzen Schreibers 39 Wiederkäuer unter flacherer Sonne 43 Viel Rebensaft, plus Beerenkraft
»Die Lerche stieg am Ostermorgen empor ins klarste Luftgebiet« lautet die Lösung des Osterpreisrätsels aus dem Gedicht »Ostermorgen« von Emanuel Geibel. Lösung von Nr. 2739: Waagerecht 6 EINGELADEN, zum Fest gebeten und eingepackt 11 DOTTER 14 PIROL 16 GURU 17 FIES 18 Keilschrift und Feststell-KEILE 20 DIELERCHESTIEG 21 HERR (Luk. 24,34) 23 ROSI in Rosi-na (»Der Barbier von Sevilla«) 24 ERWERB 26 AMOSTERMORGEN mit Rom 29 REGISTER 31 HEISER 33 EMPORINSKLARSTE 39 Träne und Eiderzufluss TREENE 42 Fluss SAVA = Save (kroat.) 43 ESSER 44 NEIN 45 LUFTGEBIET 46 LEER 47 ANGESEHEN, betrachtet und renommiert 48 ENKELIN aus K-l-e-i-n-e-n – Senkrecht 1 BIRD = Vogel (engl., »Alle Vögel sind schon da«) 2 REGLOS 3 KARRIERIST 4 KNIE 5 REIGEN 6 Ei der Ente und EIDERENTE 7 NOIR = schwarz (franz.), in Re-noir 8 LUESTER 9 DUC = Herzog (franz.) 10 EFH = Einfamilienhaus 11 DES in Aben-des-sen, La-des-tation 12 OSTERHASE 13 TEE-löffel 15 L + Eros = LEROS 18 KIR Royal 19 LORBEEREN 22 RAGE 25 Bienenkönigin WEISEL 27 MIMEN 28 GERSTE 30 TONUS 32 STREIT-hahn, -hammel 34 PELE, »Rei do Futebol« 35 NAGEL 36 SVEN und Sven-ja 37 KABEL 38 LEIN, Flachs 40 Finger-, Ohr-RING 41 EFEU
Lösung von Nr. 2741: Waagerecht 6 (jmdm.) etwas VORMACHEN und vor Machen 11 AESTHET 15 BEAUS 17 CHARAKTER 18 Spielkartenfigur OBER und Ober(-kellner) 20 Augsburger Puppenkiste: LECH 21 AUGE 22 Druck-, Jagd-TREIBER 23 Spiel-SACHEN 24 SCHRANKEN 29 SPUKEN 30 CEO = Chief Executive Officer = Geschäftsleitungsvorsitzender (engl.) 32 TOGA 33 ELTON in der Quizshow »Wer weiß denn sowas?« 35 Leder GERBEN 37 DESIGNER 39 ein Zug und der EINZUG 41 GELESEN 44 MAU in Mau-mau 45 CLEVER 47 OESEN in L-ösen 48 chem. ELEMENT 49 RINGEN bei den Olympischen Spielen 50 GEWINNEN – Senkrecht 1 KOALA 2 LACHEN 3 BERG-rücken 4 BETRAG 5 Karten GEBEN 6 VERSPIELT 7 RUECKEN 8 CHANCE 9 HAUS und Hotel im Monopoly-Spiel 10 NAEHTE 11 (Schauspiel-)AKT 12 SEE 13 TRI-berg, Trifels 14 HOBEL 16 SCHERZEN 19 ERHOLUNG 25 CODES 26 ROSEN 27 NAGELN 28 KENNEN 31 Land-, Meer-ENGEN 34 TRAENE 35 GIER 36 BURG 38 Aare-Zufluss EMME in S-emme-l 40 GOER 42 LEER 43 SEIN 46 VIE = Wege (ital.), Leben (franz.)
Juli ist 10 Jahre alt.
Ihr Vater Tillmann
Prüfer schreibt hier im wöchentlichen
Wechsel über sie und seine anderen drei
Töchter im Alter von 24, 18 und 16 Jahren
»Papa, wann machst du das? Papa?«
PRÜFERS TÖCHTER
Juli hat sich daran erinnert, dass ihre große Schwester Lotta einmal einen Schminktisch besaß. Das stimmt. Lotta hatte sich einmal sehnlichst einen Schminktisch zum Geburtstag gewünscht. Ich habe nichts gegen Schminktische, diese Möbelstücke, deren Fächer, Ablagen und Schubläden komplett mit Schminkutensilien, allerlei Püderchen, Lippenstiften und Wimpern-Boostern gefüllt sind. Ich käme aus eigenen Stücken niemals auf die Idee, einem Kind einen Schminktisch zu schenken, aber ich stemme mich nicht bis zur Selbstaufgabe gegen einen solchen Kinderwunsch. Ich will ja nicht, dass sich ein Kind vielleicht sein ganzes Leben lang extrastark schminken muss, bloß weil es sich unter der Obhut der Eltern nie schminken durfte.
Bei Lotta ging diese Überlegung auch auf. Sie bekam damals ihren Schminktisch, ein schweres Ding mit Schubladen und ausklappbarem Spiegel, man musste es mit großen Dübeln in der Wand verankern, eine fürchterliche Plackerei. Nach einem Jahr hatte es sich bei Lotta dann ausgeschminkt, der Schminktisch wurde wieder abmontiert und verschwand auf dem Speicher. Allerdings nicht aus Julis Gedächtnis. »Darf ich Lottas Schminktisch haben?«, fragte sie immer wieder.
Ich sagte »Nein«. Nicht weil ich meine Meinung zu Schminktischen für Kinder geändert hatte – ich hatte bloß von dem Schminktisch auf dem Speicher im Kopf, dass der schwer und sperrig war, dass ich ihn würde herunterschleppen müssen und Dübel brauchen würde und in die Wand bohren müsste. Bohren hasse ich übrigens, man weiß ja nie, ob man nicht irgendwas anbohrt versehentlich, eine Wasserleitung, ein Starkstromkabel oder so. »Darf ich Lottas Schminktisch haben?«, fragte Juli so, als hätte sie mein Nein gar nicht gehört. Sie akzeptierte das Nein einfach nicht. »Nein heißt Nein« gilt für Juli nicht. Ihre Philosophie ist »Nein heißt noch nicht Ja«. Leider zu Recht. Denn endlich sagte ich dann doch: »Okay, irgendwann mache ich das mal.« Damit war ich erledigt. »Wann baust du den Schminktisch auf?« – »Bauen wir heute den Schminktisch auf?« – »Wann bauen wir den Schminktisch denn auf?« – »Warum bauen wir heute den Schminktisch denn nicht auf?« – »Können wir vielleicht doch den Schminktisch heute aufbauen?« – »Papa, wann machst du das? Papa?« Nur noch ich stand zwischen Juli und ihrem Schminktisch. Ich war das einzige Hindernis, und es war klar, dass mein Kind sich nicht von meiner Bequemlichkeit aufhalten lassen würde. Sie würde mich über den Haufen rennen, ich war zu schwach. Am Ende verbrachte ich einen geschlagenen Tag mit Schminktischschleppen, Schminktischanschrauben, Schminktischbeschimpfen. Zweimal musste ich sogar zum Baumarkt fahren. Aber Juli hatte ihren Schminktisch. Daran sitzt sie jetzt jeden Tag und schaut andächtig in den Spiegel. Geschminkt hat sie sich allerdings noch nicht. Vielleicht ging es ja auch nicht um Schminke. Vielleicht ging es vor allem darum, zu gewinnen. Ich warte jetzt darauf, dass Juli unbedingt möchte, dass ich den Schminktisch wieder abbaue. Sollten bei einer sehr kleinen Gewerkschaft demnächst Tarifverhandlungen anstehen: Ich leihe Juli gern als Unterhändlerin aus.
Was ich gern früher gewusst hätte
Von James Blunt
Britische Männer, die in der Armee gedient haben, sind unterdrückte, emotional verkümmerte Wesen.
Du wirst niemandem mehr sagen können: »You’re beautiful«, also musst du dir größere Statements ausdenken.
Wenn du, seitdem du 14 Jahre alt bist, allen Menschen erzählst, dass du Sänger werden wirst, hast du es irgendwann so vielen Menschen erzählt, dass du es durchziehen musst.
Es ist schrecklich, zugeben zu müssen, dass man mal einen Traum hatte, aber einfach zu ängstlich war, ihn zu verfolgen.
Zwischen dem Leben im Tourbus und dem im Armeebus macht nur der Faktor Sicherheit einen Unterschied.
Songschreiben ist beschreiben, wie man sich fühlt.
In alten Zeiten nannte man uns Sänger Hofnarren. Heute feiert man uns auf Bühnen, wir bleiben aber Hofnarren.
Komm drüber hinweg, es wird okay sein.
Es zahlt sich aus, Lieder zu singen, die nicht von schnellen Autos und teuren Uhren handeln.
Bei meiner Musik ist Crowdsurfing keine gute Idee!
Reise immer nur mit Handgepäck.
Erwachsenwerden nimmt dir deine Unschuld und Naivität.
Erscheint vor deinem 50. Geburtstag ein Greatest-Hits-Album von dir, ist deine Karriere nicht vorbei, aber alle Songs, die du danach veröffentlichst, sind Bonussongs deines Lebens.
Wenn Kanye West anruft und fragt, ob ihr mal zusammen ins Studio gehen wollt, solltest du vielleicht zurückrufen.
Das Imposter-Syndrom hält dich davon ab, in großen Stadien zu spielen, es hält dich aber auch auf dem Boden.
Hier verraten jede Woche Prominente, was sie erst spät begriffen haben. Der britische Sänger James Blunt, 50, stammt aus einer Familie mit langer Militärtradition und diente selbst als Offizier, bevor er 2004 mit seinem Song »You’re Beautiful« weltbekannt wurde. Aktuell ist er mit seinem siebten Studioalbum »Who We Used to Be« auf Tournee
Or in lipp
Fotoabzug hinter Acr ylglas | Fuji Cr ystal DP II | Popart-Rahmen, neon orange
30 x 40 cm | printed by WhiteWall.com
Aus der Serie „EVOLUTION“: Aus Menschen werden weiche Formen, die in immer wechselnden Farben
miteinander verschmelzen – Ein abstrak tes Sinnbild vom Werden und Vergehen des Menschen.
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