ZEIT für Unternehmer Ausgabe 3/23

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SCHWERPUNKT FINANZIERUNG

Die EU-Taxonomie verändert die Wirtschaft. Wie

Firmen an grünes Geld kommen

UNTERNEHMER Wie schlimm ist es wirklich?

Der Mittelstand beklagt die Bürokratie und die zögerliche Politik.

Ein Gespräch mit Marie-Christine Ostermann, der Stimme der Familienunternehmer

Oktober 2023 Nummer 3

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J
E D E F L O T T E H A T E I N F L A G G S C H I F F .

Diese Unternehmerin mischt sich in die Politik ein. Strebt sie auch ein Amt an? S. 14

Über dieses Heft

Liebe Leserinnen und Leser, kennen Sie das aus Ihrer Praxis: Da will man Innovationen voranbringen, wachsen, Jobs schaffen –und dann stehen riesige bürokratische Hürden im Weg? Wir erzählen eine solche Geschichte aus der Windenergie. Eine Frau, die gegen Überregulierung kämpft, ist Marie-Christine Ostermann. Im Gespräch bezieht die Unternehmerin und Lobbyistin Stellung und erhebt neue Forderungen. Haben Sie viel Freude beim Lesen. Ihr »ZEIT für Unternehmer«-Team

An dieser Ausgabe haben unter anderem mitgearbeitet:

Maximilian Münster recherchierte, wie Unternehmer die Bürokratie erleben. Und siehe da: Nicht alle schimpfen, nützlich ist sie durchaus auch

Carolin Jackermeier ist neu im Team und hat sich mit den veganen Buletten einer transformationsfreudigen Fleischfirma beschäftigt

Wildwuchs in der Wirtschaft? Neue Regeln sollen das verhindern S. 32

Er will den Erfindergeist im Land wachrütteln. Gar nicht so einfach, oder doch? S. 52

Von Flensburg bis Leutkirch

Wo die Firmen ihren Sitz haben, die in dieser Ausgabe vorkommen

4 INHALT
Titelfoto: Marina Rosa Weigl für ZEIT für Unternehmer; Fotos: Marina Weigl (o. l.); Philotheus Nisch; Sprin-D (u. l.); Alexander Nowak; privat (r.)

Was Sie erwartet

BÜROKRATIE

Unternehmer beklagen sie, Politiker geloben ihren Abbau. Wie schlimm ist die Bürokratie – und hat sie Vorteile? 6–11

Die deutsche Bürokratie in Zahlen 12/13

TITELTHEMA

Marie-Christine Ostermann wählt als Lobbyistin oft scharfe Worte. Ein Gespräch über ihre neue Rolle, ihren Antrieb und einen sehr persönlichen Kampf 14–17

DIGITALISIERUNG

Anja Bauer erlebte einen Cyberangriff auf ihre Firma – und liquidierte sie 18–22

KLIMA-CHECK

Warum sich der Getränkehersteller Vilsa nicht als »klimapositiv« bezeichnet 24/25

FOTOSTORY

Zu Besuch in der pflanzlichen Fleischerei der Rügenwalder Mühle 26–29

CEO Michael Hähnel im Interview 30

SCHWERPUNKT FINANZIERUNG

Warum Mittelständler der EU-Taxonomie nicht entkommen 32–34

Wer nachhaltiger wirtschaftet, kommt günstiger an Darlehen 36

Familienunternehmer versuchen sich als Start-up-Investoren. Eine gute Idee? 38–40

Wie sich Firmen gegen Zahlungsausfälle ihrer Kunden wappnen können 42/43

GENERATIONSWECHSEL

Ein Unternehmer findet keinen Nachfolger. Bis er einen adoptiert 46–48

UNTERWEGS MIT ...

... Rafael Laguna de la Vera, der Deutschland endlich wieder innovativer machen soll 52–57

DIE ERFINDUNG MEINES LEBENS

Jahrelang brütet ein Mann über einer Idee. Mit über 50 will er es wissen –und gründet eine Firma 58

Korrekturhinweis: Im Text »Auf der Ölspur« in der Ausgabe Nr. 2/2023 ist uns ein Fehler unterlaufen. Der Jahresumsatz der Erich Menke GmbH beträgt nicht 4,5 Millionen Euro, sondern nach Firmenangaben gut 100 Millionen Euro. Wir bitten, den Irrtum zu entschuldigen.

IMPRESSUM

Herausgeber: Dr. Uwe Jean Heuser Art-Direktion: Haika Hinze Redaktion: Jens Tönnesmann (verantwortlich); Carolin Jackermeier Autoren: Carolyn Braun, Adrian Breitling, Daniel Erk, Jennifer Garic, Manuel Heckel, Leon Igel, Kristina Läsker, Maximilian Münster, Navina Reus, Jan Schulte, Eva Wolfangel Redaktionsassistenz: Andrea Capita, Katrin Ullmann Chef vom Dienst: Dorothée Stöbener (verantwortlich), Mark Spörrle, Imke

Kromer Textchef: Dr. Christof Siemes Gestaltung: Christoph Lehner Infografik: Pia Bublies (frei) Bildredaktion: Amélie Schneider (verantw.), Navina Reus Korrektorat: Thomas Worthmann (verantwortlich) Dokumentation: Mirjam Zimmer (verantwortlich) Herstellung: Torsten Bastian (verantw.), Jan Menssen, Oliver Nagel

Druck: Vogel Druck und Medienservice GmbH, Höchberg Geschäftsführung: Dr. Rainer Esser

Verlagsleitung Magazine: Sandra Kreft, Malte Winter (stellv.) Magazinmanagement: Stefan Wilke

Anzeigen: ZEIT Media: www.media.zeit.de Verlagsleitung Marketing und Vertrieb: Nils von der Kall

Leitung Unternehmenskommunikation und Veranstaltungen: Silvie Rundel

Anzeigenpreise: Sonderpreisliste Nr. 1 vom 1. 1. 2023

An- und Abmeldung Abonnement (4 Ausgaben): www.studiozx.de/events/zfu

Verlag und Redaktion: Zeitverlag Gerd Bucerius GmbH & Co. KG, Helmut-Schmidt-Haus, Buceriusstraße, Eingang Speersort 1, 20095 Hamburg, Telefon: 040/32 80-0, E-Mail: DieZeit@zeit.de

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WARUM?
„Wollen wir die Welt jeden Tag ein bisschen sicherer machen.“

24,5

Monate dauern Genehmigungsverfahren für neue Windräder aktuell im Schnitt

Unternehmer; Quelle: Fachagentur Windenergie an Land

Thomas Victor für

BÜROKRATIE REPORT
Foto: ZEIT

Zeit, dass sich das dreht

Unternehmer beklagen die Bürokratie, Politiker geloben seit Jahren ihren Abbau. Wie schlimm ist sie wirklich – und hat sie auch Vorteile?

VON MAXIMILIAN MÜNSTER

Das Elend füllt sieben Aktenordner. Hunderte Seiten, auf denen Vögel gezählt werden, Schallwellen berechnet, Windkraftanlagen beschrieben. Acht Jahre hat es gedauert, bis Falk Zeuner, 57, alles zusammengetragen hat, was die Behörden wollten. In manchen Nächten schlief er spät ein und wachte zu früh wieder auf. Die Genehmigung hat ihn bis in den Schlaf verfolgt.

Zeuner will Windräder bauen, aber es geht um mehr: um die Zukunft der Energie. Zeuner möchte bei Bad Lauchstädt im Saalekreis grünen Wasserstoff herstellen. Mit seiner Firma Terrawatt hat er sich dafür mit Energieversorgern zusammengetan. Die kümmern sich um die Speicher für den Wasserstoff, die Pipelines und die Anlage, die den Wasserstoff produziert. Terrawatt baut den Windpark, der den Strom liefert.

Die Anlage soll einzigartig in Deutschland sein, wenn nicht sogar in der Welt. Die Bundesregierung fördert das Projekt als »Reallabor der Energiewende«. Robert

Habeck, Michael Kretschmer und Reiner Haseloff waren schon da: Der Bundeswirtschaftsminister und die Ministerpräsidenten von Sachsen und Sachsen-Anhalt lobten es. Zeuners Vorhaben ist ein Vorzeigeprojekt für die Nationale Wasserstoffstrategie, mit der Deutschland zu einem der globalen Marktführer für den »Energieträger der Zukunft« werden will. Zur »Wasserstoffrepublik«. Doch Zeuner musste fürchten, dass sein Reallabor Fiktion bleibt – weil er den Windpark nicht genehmigt bekommt.

Deutschland will weg von fossilen Energieträgern, es will das Land sein, in dem investiert wird und aus dem die Innovationen kommen. Doch mit seiner Bürokratie steht es sich im Weg, schimpfen die Unternehmer. Die Mitglieder des Verbands der Familienunternehmer bezeichneten die Bürokratie zu Jahresbeginn als »Sorge Nummer eins« – in einer Zeit, in der ein Krieg in Osteuropa tobt und der Klimawandel für Dürren und Überflutungen sorgt.

DIn einer Umfrage beklagen auch die Leserinnen und Leser von ZEIT für Unternehmer die Bürokratie. Zwei Drittel der Befragten sagen, sie litten im Geschäftsalltag sehr darunter. Fast genauso viele fühlen ihre langfristigen Produktentwicklungen von der Bürokratie ausgebremst. Wovon genau?

Den Zollvorschriften. Dem Vergaberecht. Den Anforderungen des Marktstammdatenregisters. Den Prüfverfahren für Rolltore.

Die Liste ließe sich fortsetzen.

Interessant ist: Schaut man etwas genauer hin, zeigt sich, dass die Bürokratie in Deutschland im internationalen Vergleich gar nicht so schlimm ist (siehe Seiten 12/13). Aber die Unternehmen nervt sie im Moment mehr als sonst. Es mangelt an Fachkräften, und Energieträger wie Gas sind teuer und knapp. Und weil es das mit der Energie gern schnell ändern würde, spürt zum Beispiel Terrawatt die langen Genehmigungsverfahren besonders.

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Der Wind steht still an diesem Montag im Sommer, und die Sonne scheint jeden Zweifel am Klimawandel verbrennen zu wollen. Im Empfangsbereich des Bürogebäudes von Terrawatt in Leipzig begrüßt Falk Zeuner barfuß, in Shorts und T-Shirt. Zeuner sagt, es gebe zu viele Regeln und zu viel Bürokratie. Das lähme vor allem die Pioniere, die neue Ideen umsetzen wollen.

Zeuner hat 1995 angefangen, Windräder zu bauen. Mit zwei Geschäftspartnern besorgte er sich einen Bagger, sie hoben bei Grimma in Sachsen Gruben für die Fundamente aus und zogen Gräben für die Kabel. Dabei half die Bürokratie auch: Das Geschäft mit der Windkraft lohnte sich erst so richtig, als der Staat im Jahr 2000 Netzbetreiber mit dem Erneuerbare-EnergienGesetz verpflichtete, Strom aus der Windkraft abzukaufen, auch wenn er teurer war.

Heute baut Terrawatt Wind- und Fotovoltaikparks selbst und berät andere dabei.

An Tausenden Windrädern hat das Unternehmen mitgewirkt, sie stehen in Deutschland, in Japan und Südkorea – und ihre Pläne in Aktenordnern in Zeuners Büro. Dazwischen sammeln sich die Unterlagen der Windräder, die die grüne Wasserstoffproduktion in Bad Lauchstädt antreiben sollen. Die Probleme begannen damit, dass die Fläche nicht für Windkraft ausgewiesen war. Zeuner lieferte sich Schriftwechsel mit dem Landratsamt, mit Bundesministerien. Die Erlaubnis bekam er, weil das Projekt für die Forschung wichtig ist.

Bei der Genehmigung hatten im Landkreis Saale sieben Ämter mitzureden. Die Brandschutzbehörde wollte wissen, ob die Wege für Feuerwehrautos geeignet sind, falls ein Windrad brennen sollte. Der Wasserbehörde musste Zeuner erklären, dass Schläuche sicher sind, damit keine Öle oder Kühlflüssigkeiten ins Grundwasser laufen. Die Naturschutzbehörde brauchte ein Gut-

BÜROKRATIE REPORT
Falk Zeuner baut seit Jahren Windparks und hat auch von der Bürokratie profitiert. Aber er sagt: Sie hat überhandgenommen Foto: Thomas Victor für ZEIT Unternehmer

achten, ob gefährdete Vögel in der Nähe der Anlagen brüten, die sich an den Rotorblättern verletzen könnten. Zeuner hat Verständnis für Regeln, doch manches hält er für nicht verhältnismäßig. Beim Vogelschutz zum Beispiel sei das Risiko durch Windräder lange überbewertet worden. So seien Regeln oft dazu missbraucht worden, neue Anlagen zu verhindern.

Bürokratieabbau ist Abwägungssache. Regeln und Verfahren mögen die Unternehmen bremsen – dafür können sie die Natur schützen. Und die Demokratie – etwa, wenn Bürger angehört werden müssen, bevor eine neue Fabrik errichtet werden darf.

Unter dem Druck der Krise verändert sich, wie der Staat zwischen diesen Interessen abwägt. Kürzlich hat die Bundesregierung zum Beispiel das Bundesnaturschutzgesetz überarbeitet. Angesichts der Klimakrise und des russischen Angriffskrieges bestehe eine »doppelte Dringlichkeit«, Planungs- und

Genehmigungsverfahren zu beschleunigen. Und so dürfen Windräder nun auch in Landschaftsschutzgebieten stehen, wenn es dort windig genug ist. Das freut die Unternehmer und ärgert die Naturschützer.

Falk Zeuner hatte Ende 2021 alles zusammen. Die Antragsunterlagen hatte er in mehrfacher Ausführung einreichen müssen. Mit einer Sackkarre hievte er 66 Ordner ins Landratsamt. Die Genehmigung hatte Zeuner spätestens ein halbes Jahr später erwartet. »Der Druck war enorm«, erinnert er sich. Die Bank wartete auf die Genehmigung, um die Finanzierung zuzusagen. Der Vertrag mit dem Windradhersteller drohte zu platzen. Die Behörden mussten die Unterlagen noch öffentlich auslegen. Bedenken von Bürgern wurden erörtert. Ämter forderten Unterlagen nach. Die Genehmigung kam schließlich im Dezember 2022. Die Anzahlung für die Windräder musste Zeuner von privaten Konten zusammenkratzen,

weil die Finanzierung nicht rechtzeitig stand. Aber nun wird gebaut.

Unternehmen wie Terrawatt führen jahrelang solche Papierkriege. Bis zum Schluss können Pläne platzen, weil sich ein Formfehler einschleicht, jemand einen Einwand formuliert oder erfolgreich klagt. Die Gefahr ist, dass manche Unternehmer es dann lieber gleich sein lassen. Oder ihre Anlagen da bauen, wo sie die Genehmigungen schneller erhalten. Dazu kommt: Die Bürokratie trifft Mittelständler härter als Konzerne.

Eigentlich soll es ja so sein: Egal ob Intel eine Chipfabrik oder Konditor Schmidt eine Backstube baut – die Verfahren gelten für alle. Fachbehörden passen auf, dass die Regeln eingehalten werden und sich Rotmilan und Anwohner nicht gestört fühlen. Alles wird aufgeschrieben, abgeheftet und mit Aktenzeichen versehen. Behördenleiter achten darauf, Genehmigungen glattzubügeln wie ihre Anzüge, denn Ungereimtheiten

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bieten Angriffsfläche, wenn vor Verwaltungsgerichten gestritten wird. Das macht die Verfahren transparent und gerecht. Und langwierig. Je kleiner ein Unternehmen aber ist, desto belastender ist die Bürokratie, weil dort die Ressourcen fehlen, um die Dokumentationspflichten im Alltag zu stemmen.

Andreas Köpf muss immer genau im Blick behalten, ob sein Unternehmen groß oder klein ist. Er ist Geschäftsführer bei SycoTec in Leutkirch. Die Firma baut Antriebe. Für Bohrer, mit denen Zahnärzte Karies beseitigen, oder für Spindeln, mit denen Automobilhersteller Kolben schleifen. Köpf beschäftigt 250 Mitarbeiter, in manchen Jahren ein paar mehr, in anderen ein paar weniger. Das ist ein Problem.

Wenn SycoTec mehr als 250 Beschäftigte hat, zählt es zu den Großunternehmen. Dann finden mehr Gesetze auf die Firma Anwendung. Zum Beispiel muss sie im Rahmen des Hinweisgeberschutzgesetzes Meldestellen einrichten, damit Mitarbeiter anonym Missstände anzeigen können. Sie muss ab 2025 einen Nachhaltigkeitsbericht vorlegen, in dem steht, wie viel CO₂ sie einspart und ob ihre Lieferketten Menschenrechte achten. SycoTec hat es also doppelt schwer: Der Betrieb ist so klein, dass die Bürokratie im Alltag besonders ins Gewicht fällt. Und so groß, dass es sich mit Gesetzen auseinandersetzen muss, für die SAP oder Mercedes ganze Abteilungen beschäftigen.

Damit kein Gesetz und keine Regel durchrutscht, hat Andreas Köpf vor drei Jahren eine Arbeitsgruppe eingerichtet, eine Art Soko Bürokratie. Zehn Mitarbeiter aus sämtlichen Abteilungen ermitteln, was in Berlin und Brüssel ausgeheckt wird und was das für SycoTec bedeutet. Jemand aus dem Personalwesen befasst sich mit dem Arbeitsschutz, ein Liegenschaftsverwalter mit dem Energie- und Umweltschutz und der Einkaufsleiter mit den Lieferketten.

Köpf muss sich aber auch Sorgen um die Gesetze machen, die SycoTec gar nicht direkt betreffen, um das Lieferkettengesetz zum Beispiel. Seit Anfang 2023 müssen Unternehmen nachweisen, dass nicht etwa Kinder ihre Rohstoffe schürfen, sondern fair bezahlte Arbeiter unter ordentlichen Bedingungen. Das Gesetz gilt eigentlich für Fir-

men mit 3000 Mitarbeitern, ab 2024 dann auch für Betriebe mit 1000 Mitarbeitern. Mittelständler müssen sich trotzdem damit auseinandersetzen, wenn sie Geschäfte mit den großen Konzernen machen. Denn die verschicken seitenlange Fragebögen an ihre Zulieferer. Kunden von SycoTec machen saubere Lieferketten zur Bedingung in den Verträgen. Indem Köpf unterschreibt, garantiert er, dass Menschenrechte bei der Produktion auch am anderen Ende der Welt geachtet wurden. »Letztlich kann ich es aber nur schwerlich nachprüfen«, sagt er.

Er habe seinen Gesellschaftern schon empfohlen, einen Teilverkauf des Unternehmens zu prüfen. SycoTec würde langfristig unter die Grenze von 250 Mitarbeitern schrumpfen. Dann wäre es einige Gesetze los.

Unternehmen, die überlegen, Aufträge abzusagen und Geschäftsbereiche zu verkaufen. Regelmäßig warnen Wirtschaftsverbände, der Standort Deutschland sei nicht mehr attraktiv. Wie konnte es so weit kommen, wenn die Politik doch seit Jahrzehnten um das Problem weiß und jede Regierung den Bürokratieabbau verspricht?

Seit 2006 gibt es eine Instanz, die der Politik bei Gesetzen auf die Finger schaut: der Normenkontrollrat. Er hat drei Entlastungsgesetze angestoßen, die Dokumentationspflichten entschärften. So ist der Aufwand für Dokumentationspflichten in den letzten Jahren eher gesunken, und die Kosten, die durch neue Gesetze anfallen, sind nicht großartig gestiegen. Das Problem mit der Bürokratie war also schon mal größer.

Vorgaben wie das Lieferkettengesetz nerven Mittelständler aus zwei Gründen. Erstens wirken sie wie zahnlose Bürokratiemonster: Der Aufwand ist enorm, doch ob sie am Ende Kinderarbeit in den Minen verhindern, ist fraglich. Zweitens sind es international agierende Konzerne, die Verantwortung dafür tragen. Die reichen bürokratischen Aufwand aber nach unten durch.

Köpf sagt, im Zweifel würde er Verträge nicht mehr unterschreiben, wenn der Aufwand durch das Lieferkettengesetz zu groß würde. »Wenn ich verpflichtet werde, die Arbeitsbedingungen in Asien vor Ort zu kontrollieren, macht es keinen Sinn mehr.«

Aber im vergangenen Jahr mutete der Staat den Unternehmen wieder mehr zu. Das hat zum Beispiel damit zu tun, dass die Bundesregierung den Mindestlohn angehoben hat – weswegen nun Unternehmen vieler Branchen Arbeitszeiten dokumentieren müssen. Es lag aber auch daran, dass die Ampelkoalition wegen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine verordnete, die Gasspeicher zu füllen. Das verteuerte die Energie. Dazu setzte die Regierung die Energiestandards beim Neubau von Gebäuden hoch. Wer nun als Unternehmen wegwollte vom teuren Gas, musste sich mit mehr Bürokratie auseinandersetzen.

In der Krise reguliert die Regierung mehr. Dabei hätten Betriebe mit Genehmigungsverfahren, Lieferkettengesetz oder Nachhaltigkeitsberichten schon genug zu tun. Deshalb fühlt sich die Bürokratie gerade besonders übergriffig an. In diesen Zeiten kann es helfen, wenn man versucht, der Bürokratie etwas Positives abzugewinnen.

Nela Novakovic, 49, liebt die Bürokratie. Die Pharmamanagerin leitet das operative Geschäft von betaSense mit Sitz in Bochum. BetaSense arbeitet an einer Maschine, ein Gebilde, das mal einer wuchernden Schlingpflanze ähnelte: unzählige Schläuche fanden

»Stellen Sie sich mal vor, Medizin, Lebensmittel oder Autos würden ohne Vorgaben auf den Markt kommen«
BÜROKRATIE REPORT
Nela Novakovic, Pharmamanagerin und Bürokratieliebhaberin

ihre Enden in Kunststofffläschchen und Behältern. Der Apparat soll Krankheiten wie Alzheimer Jahre vor Ausbruch erkennen, damit Ärzte sie früher therapieren können. Dafür beschießt er Proteine aus Körperflüssigkeiten mit Infrarotstrahlen. So entdecken die Forscher Proteine, die in ihrer Struktur verändert sind. Je größer deren Anzahl, desto höher das Risiko, später zu erkranken.

Die Maschine ist das Lebenswerk von Klaus Gerwert, einem Forscher von der Uni Bochum. Er gründete betaSense 2020. Mittlerweile beschäftigt der Biophysiker 50 Mitarbeitende, viele kommen direkt von der Uni. Nela Novakovic sagt: »Forschung ist frei. Wenn es aber darum geht, Produkte zu entwickeln, muss sie sich an Produktrichtlinien halten.« Deswegen versucht sie, ihr Team an Industriestandards zu gewöhnen, an Zertifizierungen und Formulare.

Novakovic arbeitet seit Jahren in einer hochregulierten Branche – erst bei einer

Firma, die klinische Studien von Medikamenten durchführt, dann für einen Pharmakonzern. Sie schätzt es, wenn Institutionen Vorgaben machen und sie genau weiß, wie sie an einen Kredit kommt oder die Zulassung eines Medikaments. »Stellen Sie sich mal vor, Medizin, Lebensmittel oder Autos würden ohne Vorgaben auf den Markt kommen«, sagt sie. Bürokratie sorge für Sicherheit, für gerechteren Wettbewerb und für Struktur im Arbeitsalltag.

Nun also betaSense. Der Diagnostikapparat wucherte mal auf gut fünf Quadratmetern. Für die Marktreife wollte das Team ihn kleiner bauen, damit er in Laboren weniger Platz wegnimmt. Mit Bürokratie versuchte Novakovic, Ordnung in all die Ventile und Schläuche zu bringen. »Forscher arbeiten manchmal monatelang an etwas. Am Ende muss klar sein, wie sie zu ihrem Ergebnis gekommen sind«, sagt die Managerin. Also habe sie das Team angewiesen,

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jeden Arbeitsschritt zu dokumentieren. Herausgekommen ist eine Bauanleitung, nach der betaSense die Maschine in kurzer Zeit in kleinerer Form konstruieren konnte.

Die gleichen Vorgaben macht Novakovic bei der Softwareentwicklung oder bei der Arbeit an den Antikörpern, die es für die Diagnostik braucht. Mitarbeiter sollen jeden Arbeitsschritt in leicht verständlicher Sprache in Formulare eintragen, damit bei Krankheit oder Urlaub jemand anderes ohne große Einweisung einspringen kann. So spare der Papierkram Zeit und Geld.

Mit ihrem Netz an Regeln und Vorgaben fängt Novakovic die Ideen ihrer Mitarbeiter ein. Und wenn sie mal wieder mit einem neuen Formular kommt, lädt sie in den Konferenzraum ein. All die Dokumentationen zerstörten die Kreativität, bekomme sie dann zu hören. »Das ist strukturierte Kreativität«, antworte sie dann und gibt zum Feierabend eine Kiste Bier aus.

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68 % der Unternehmer in Deutschland geben in einer Studie des Instituts für Mittelstandsforschung (IfM) an, sehr schlechte Erfahrungen mit Bürokratie gemacht zu haben. Nur ...

1 %

der Unternehmer berichtet von überwiegend guten Erfahrungen

Als wie nervig Unternehmer die Bürokratie empfinden ...

Die Unternehmen wollen dem Staat vertrauen können und umgekehrt. Damit das funktioniert, gibt es die Bürokratie. Allerdings belastet sie gerade viele Unternehmerinnen und Unternehmer. Das zeigen Umfragen. Die Probleme beginnen schon, wenn man eine neue Firma gründen will, wie eine Studie der KfW belegt:

Anteil der Gründer, die das im Umgang mit Ämtern, Kammern und Behörden als (sehr) belastend empfinden

55 %

gaben in der jüngsten Quartalsumfrage des Verbands der Familienunternehmer an, Bürokratiekosten und Überregulierung seien ihr größtes Investitionshemmnis. Zu Beginn des Jahres beklagten ...

79 %

Formulare und Prozesse sind zu komplex

Anliegen werden zu langsam bearbeitet

Es gibt zu wenige OnlineServices

Es sind zu viele Behördengänge nötig

Die gleichen Angaben werden mehrfach erhoben

der Befragten die »Bürokratie durch Berichtspflichten«. Damit war dies eine größere Sorge als etwa die Energiekosten oder die allgemeine Inflation

Deutschlands Wirtschaft ist exportorientiert wie wenige andere, viele Mittelständler verkaufen ihre Produkte in alle Welt –und stehen im Wettbewerb mit Firmen aus dem Ausland. Die deutschen Firmen sehen ihre Wettbewerbsfähigkeit zurzeit besonders durch die Bürokratie gefährdet, wie der aktuelle Internationalisierungsbericht der Förderbank KfW zeigt:

Bürokratie

Steuern und Abgaben

Umwelt- und Klimaschutzbestimmungen

Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz

73 % 71 % 69 % 61 % 50 %
Fachkräftemangel Energiekosten Mangelnde digitale Infrastruktur 48 34 35 20 10 1 26 26 2 24 27 27 19 24 18 7 21 22 46 2 8 21 24 29 20 32 4 8 35 34 14 3 1 24 2 hohes Risiko mittleres Risiko geringes Risiko kein Risiko nicht relevant
... wie sehr sie der Wirtschaft schaden dürfte ...
BÜROKRATIE IN ZAHLEN

... wie schlimm sie wirklich ist ...

8 Tage

dauert es in Deutschland im Schnitt, ein Unternehmen zu gründen. Vor 20 Jahren waren es noch über 40 Tage

20 Tage

dauert eine Gründung im weltweiten Durchschnitt. China liegt mit 8,6 Tagen sogar knapp hinter Deutschland

4 Tage

dauert es etwa in den USA und Frankreich. Die Zahlen hat die UN-Sonderorganisation Weltbank erhoben

3,9 Mrd.

Euro könnten Unternehmen einsparen, wenn der Staat Aufbewahrungsfristen für handelsund steuerrechtliche Belege verkürzen würde. Das hat das Statistische Bundesamt ermittelt

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Maßnahmen sollen den bürokratischen Aufwand für Unternehmen mit dem neu geplanten Bürokratieentlastungsgesetz der Bundesregierung zukünftig verringern

Schaut man genauer hin, wird deutlich, dass die Bürokratie in Deutschland nicht so extrem ist, wie sie manchem vorkommt. Der Bürokratiekostenindex des Statistischen Bundesamtes gibt an, wie groß der zeitliche und finanzielle Aufwand für den »Papierkram« und das Umsetzen neuer Regulierungen für Unternehmen ist. Es zeigt sich: Die Bürokratie hat zwar zuletzt wieder zugenommen, sie war aber auch schon mal schlimmer:

285 Mio.

Euro kostete es Unternehmer im vergangenen Jahr, amtliche Statistiken auszufüllen. Damit macht dieser Bereich nur ein Prozent der gesamten Bürokratiekosten aus.

Die lagen bei ...

64,8 Mrd.

Euro, etwa 20 Milliarden mehr als 2012. Dabei sind die Folgekosten der Bürokratie noch gar nicht berücksichtigt – also etwa die Kosten neuer Abgasfilter, die durch ein Gesetz nötig werden

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Vorschläge

zum Bürokratie-Abbau hat das Bundesjustizministerium bei 57 Verbänden aus der Wirtschaft und der Zivilgesellschaft im Frühjahr eingesammelt. Diese beklagen lästige Übersetzungspflichten in der Schifffahrt, die komplizierte Anerkennung ausländischer Führerscheine oder unnötige Doppelmeldungen im Lobbyregister. Herausgekommen ist dabei ein Dokument, das nun den Bundesministerien vorliegt. Es hat

616 Seiten

26 Minuten

Arbeitszeit pro Antrag könnten laut einer Studie für die Stiftung Familienunternehmen gespart werden, wenn man die Erteilung von A1-Bescheinigungen vereinfachen würde. Diese Dokumente werden von Arbeitgebern Jahr für Jahr tausendfach immer dann beantragt, wenn sie einen Arbeitnehmer vorübergehend in ein anderes EU-Land entsenden

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VON ADRIAN BREITLING Bürokratiekostenindex 2012 2014 2016 2018 2020 2022 2024 101 100 99 98 97 96 Januar 2012 = 100
... und was dagegen getan werden könnte.
Marie-Christine Ostermann, 45, im Warenlager ihres Unternehmens in Hamm

»Angst habe ich in der Regel nie«

Marie-Christine Ostermann leitet in Hamm den Großhandel Rullko und in Berlin den Verband der Familienunternehmer. Als Lobbyistin wählt sie oft scharfe Worte. Ein Gespräch über ihre Rolle, ihren Antrieb und einen sehr persönlichen Kampf

ZEIT für Unternehmer: Frau Ostermann, seit April sind Sie Präsidentin des Verbands der Familienunternehmer und melden sich lautstark zu Wort. Finden Sie in der gegenwärtigen Krise noch Zeit, sich um Ihr eigenes Unternehmen zu kümmern?

Marie-Christine Ostermann: Es sind schwierige Zeiten, in denen viele richtungsweisende Entscheidungen anstehen, deswegen bin ich sicher die Hälfte meiner Arbeitszeit für den Verband tätig. Mir hilft sehr, dass es bei Rullko einen Betriebsleiter gibt, der die Firma ausgezeichnet managt, wenn ich in Berlin bin.

Und wenn Sie in Hamm sind: Fühlt sich das dann wie Erholung an?

Ich bin sehr gerne hier in Hamm, erlebe aber auch die großen Probleme der Wirtschaft im Kleinen. Besonders die Bürokratie. Im Moment müssen wir uns zum Beispiel alle drei Monate um Ausnahmegenehmigungen für unsere Lkw kümmern, damit die durch Lüdenscheid fahren dürfen, weil die dortige Autobahnbrücke abgerissen wurde und der Neubau nicht rechtzeitig begonnen hat. Ein Desaster. Davon abgesehen, werden uns immer neue Vorschriften auferlegt, während nicht im selben Ausmaß alte Vorschriften abgeschafft werden.

Was meinen Sie konkret?

Nehmen Sie das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, das uns als Lebensmittelgroßhändler sehr beschäftigt. Wir haben mehr als 20.000 Artikel im Sortiment, von Hunderten Lieferanten aus aller Welt. Wie sollen wir als Mittelständler sicherstellen, dass die alle Umwelt- und Sozialstandards einhalten? Ich kann da ja nicht jeden Tag selbst vorbeischauen.

Mussten Sie deswegen schon Artikel aus dem Sortiment nehmen?

Wir sind Teil eines Einkaufsverbunds. Dessen Servicegesellschaft kümmert sich darum, dass wir nur bei Lieferanten einkaufen, die die Standards einhalten.

Dann spüren Sie die damit verbundene Bürokratie doch gar nicht selbst. Aber wir bezahlen etwa 70.000 Euro an den Dienstleister. Pro Jahr!

Das ist weniger als ein Promille Ihres Umsatzes von über 80 Millionen Euro. Sind saubere Lieferketten das nicht wert?

Auch wir wollen nicht, dass Menschen ausgebeutet werden. Aber es ginge viel unbürokratischer, wenn nicht jedes Unternehmen jeden Lieferanten kontrollieren müsste, sondern sich jeder Lieferant einmal für alle seine Kunden bei der EU zertifizieren lassen müsste. Und Sie dürfen nicht

vergessen: Der bürokratische Aufwand läppert sich.

Wo spüren Sie ihn noch?

Wenn wir Fachkräfte aus dem Ausland anwerben wollen, die wir dringend brauchen. Wenn der Zoll vorbeikommt und die Mindestlohndokumentation kontrolliert, wird man behandelt wie ein Schwerverbrecher. Und auch sehr lange Genehmigungsverfahren für den Bau neuer Anlagen bremsen den Mittelstand aus

... weil sie vorsehen, dass Anwohner angehört werden und Einsprüche von Naturschützern verhandelt werden. Meinen Sie manchmal eigentlich die Demokratie, wenn Sie die Bürokratie beklagen?

Es ist richtig, wenn Entscheidungen hier länger dauern, weil man alle Interessen abwägt. Ich bin froh, nicht in einem Land wie China zu leben, auch wenn es dort ohne diese Abwägungen schneller geht. Aber davon abgesehen, sind viele Genehmigungsverfahren sehr kompliziert. Und das ist ein Problem, wenn wir eigentlich ziemlich schnell Windräder, Wohnungen und auch Fabriken bauen müssen. Von Olaf Scholz’ neuer Deutschlandgeschwindigkeit spüre ich wenig – und der Wirtschaftsminister Robert Habeck redet sich die Lage viel zu schön.

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Foto: Marina Rosa Weigl
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Mitglieder zählt die Vereinigung der Familienunternehmer. Im April wählten sie Ostermann zur ersten Präsidentin in der 74-jährigen Verbandsgeschichte

Sie dagegen klingen oft alarmistisch: Robert Habeck scheue das Wort Deindustria lisierung wie der Teufel das Weihwasser, sein Industriestrompreis sorge für Kollateralschäden und gehöre in die Kiste der wirtschaftlichen Schnapsideen. Wird man nicht leicht überhört, wenn man immer so zuspitzt? Klartext muss sein. Das Problem ist eher, dass es im Mittelstand viele Champions gibt, die traditionell sehr hidden agieren, während die Politik unsere Interessen oft ignoriert. Wir Unternehmer müssen lauter werden, damit Deutschland wieder auf einen Wachstumskurs zurückfindet. Seit den Arbeitsmarktreformen von 2003 und der Unternehmenssteuerreform von 2008 gab es für uns nur zusätzliche Belastungen. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Deutschland viele Jahre des Booms hinter sich hat. Wie passt das mit Ihrer fundamentalen Kritik zusammen?

Kritiker werfen Ihnen vor, dass Ihr Verband die Energiewende ausbremsen will. Wir sind keine Verhinderer. Deutschland soll bis 2045 klimaneutral werden, und das ist richtig so. Aber die Transformation kostet Geld. Neue Technologien zu entwickeln kostet Geld. Auf grüne Energien umzusatteln kostet Geld. Und dieses Geld haben Unternehmer nur, wenn Energie bezahlbar ist und sie im Wettbewerb mithalten können. Deswegen wäre es gut gewesen, die Atomkraftwerke gleich zwei oder drei Jahre länger laufen zu lassen. Sie waren früher Schatzmeisterin der FDP in Nordrhein­Westfalen. Fühlen Sie sich bei den Liberalen überhaupt noch wohl, seit sie Teil der Ampel sind?

Jahresumsatz und zehn Mitarbeiter sind Voraussetzung, um Mitglied in dem Verband werden zu können

Die Politik des billigen Geldes der Europäischen Zentralbank hat geholfen, die Finanzkrise zu bewältigen – aber sie hat eben unterschwellige Probleme verdeckt. Und die Politik hat versäumt, diese Phase für Reformen zu nutzen. Und so leben wir von der Substanz, während andere Länder massiv in Fortschrittstechnologien wie künstliche Intelligenz investieren. Die Ampel will mit dem Gebäudeenergiegesetz bewirken, dass die Energieversorgung fortschrittlicher und klimafreundlicher wird. Sie haben kritisiert, dass »Placebo­Experten« die Regierung beraten, und den Ministerien Arroganz vorgeworfen. Das ist nah dran am AfD­Sound ... Das teile ich nicht. Solche klaren Worte sind angebracht, wenn die Politik an den Nöten der Menschen vorbeiregieren will. Viele Leute fürchten einfach, sich die Kosten für eine Wärmepumpe oder eine bessere Dämmung nicht leisten zu können. Die können auch nicht auf Fördermittel warten. Aus meiner Sicht braucht es dieses Gesetz nicht. Viel besser wäre es, den Handel mit Emissionszertifikaten schneller auf alle Branchen auszudehnen, die Menge der Zertifikate zu beschränken und sie auf diese Weise zu verteuern. Das würde die Anreize erhöhen, klimafreundlich zu wirtschaften.

Seit ich Präsidentin des Verbands wurde, lasse ich meine Mitgliedschaft ruhen . Unabhängig davon bin ich froh, dass die FDP Teil der Regierungskoalition ist. Zum Beispiel, weil Christian Lindner für die Einhaltung der Schuldenbremse kämpft. Das ist wichtig, damit wir nicht auf Kosten zukünftiger Generationen leben. Lassen Sie mich raten: Sein Wachstumschancengesetz, das die Regierung auf den Weg bringen will, finden Sie gut? Es zeigt, dass die FDP auch in der Regierung noch ihrem ordnungspolitischen Kompass folgt. Allerdings müsste viel mehr Wumms dahinterstecken. Sieben Milliarden Euro Entlastungen sind wahrlich nicht der Befreiungsschlag, den die Wirtschaft braucht. Ich hätte mir gewünscht, dass die Regierung die Möglichkeiten zur Gewinnthesaurierung verbessert und die Unternehmenssteuern senkt – die liegen im Durchschnitt bei 30 Prozent und damit höher als in den meisten anderen Industrieländern. Man merkt, dass in der Regierung unterschiedliche Weltanschauungen aufeinanderprallen: SPD und Grüne wollen Probleme mit Eingriffen in den Markt lösen – die Liberalen mit marktwirtschaftlichen Anreizen. Und die FDP scheint den Kürzeren zu ziehen, wie Umfragen zeigen. Haben Sie Angst, dass die Partei nach vier Jahren Ampel wieder aus dem Bundestag fliegt? Angst habe ich in der Regel nie. Und ich glaube auch nicht daran, dass es so kommt. Wichtig wäre, dass die drei Ampelparteien

»Wir Unternehmer müssen lauter werden, damit Deutschland wieder auf einen Wachstumskurs zurückfindet«
Marie-Christine Ostermann, 45
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TITELTHEMA INTERVIEW
Fotos: Marina Rosa Weigl für ZEIT für Unternehmer (l.); Rullko

jetzt an einem Strang ziehen. Dann hätte die AfD auch nicht so viel Zuspruch. Wenn mit ihr hierzulande eine Partei an die Macht käme, die auch von Rechtsextremen geprägt wird, wäre das fatal für die Menschen und die Wirtschaft im Land, es würde ein Ende des EU-Binnenmarkts und der deutschen Willkommenskultur bedeuten.

Wollen Sie eines Tages selbst wieder ein politisches Amt anstreben?

Politik fasziniert mich. Aber wenn Sie erfolgreich Politik machen wollen, müssen Sie das in Vollzeit machen. Sie müssen präsent sein, Menschen überzeugen, Mehrheiten organisieren. Mein Herz schlägt nun einmal für das Unternehmen, das ich in vierter Generation führe. Das geht nicht nebenbei. Seit Sie vor Jahren in einer Talkshow aufgetreten sind, werden Sie von einem Mann gestalkt. Wie schlimm ist es gerade? Ich war gerade für ein paar Tage im Urlaub, und als ich wiederkam, sollen hier bestimmt zehn Briefe gelegen haben. Seit neun Jahren schreibt der fast täglich. Der schickt Gewaltdarstellungen oder malt sich aus, der und ich hätten eine Tochter zusammen. Vergangenes Jahr hat der Postkarten geschickt, am Stempel konnte die Polizei erkennen, dass der die hier in Hamm eingeworfen hatte; darin hat der mir angedroht, mit einem russischen Syrien-Kämpfer zu mir nach Hause zu kommen. Da hat mich die Polizei eine Woche lang rund um die Uhr bewacht. Das war eine bedrückende Erfahrung. Sie sprechen sehr offen darüber. Warum? Weil ich erlebe, wie schwer es für Opfer von Stalking ist, sich dagegen zu wehren –und wie wenig sie geschützt werden. Jener Mann macht immer weiter, obwohl sogenannte Gewaltschutzbeschlüsse ihm jeden Kontakt verbieten und der auch schon mehr als zwei Jahre deswegen im Gefängnis saß. Aber es ist ihm sogar noch gelungen, aus dem Gefängnis Briefe an mich zu schreiben. Ausgerechnet ein Gericht hat ihm in einem Beschluss mal meine private Adresse verraten, ich musste umziehen. Und als ich noch für die FDP Politik gemacht habe, musste ich mir anhören, ich sei ja eine öffentliche Person und das Stalking deswegen kein schwerer Eingriff in meine Lebensführung.

Haben Sie deswegen gezögert, das Amt als Verbandspräsidentin zu übernehmen? Ich habe schon darüber nachgedacht. Aber mich dann entschieden, dass ich in meinem Leben das machen will, was mir wichtig ist. Das lasse ich mir nicht kaputt machen. Auch wenn das Stalking dadurch spürbar zugenommen hat und ich ziemlich viele Sicherheitsvorkehrungen ergreifen muss, nicht über mein Privatleben spreche und ziemlich viel für Anwälte ausgebe. Aber ich weiß inzwischen, dass es viele andere Betroffene gibt, vor allem Frauen, aber auch Männer. Und viele können sich weniger gut schützen und wehren. Deswegen bin ich sehr dafür, das Strafrecht zu verschärfen.

Auch Ihr Vater Carl-Dieter Ostermann hat sich früher in öffentliche Debatten eingemischt und war wie Sie eine Zeit lang Präsident der Jungen Unternehmer. Inwiefern ist er Ihr Vorbild?

Für ihn war es selbstverständlich, sich auch außerhalb des Unternehmens zu zeigen und zu äußern. Als ich 2006 seine Nachfolge angetreten habe, hat er mich zu einem Treffen der Jungen Unternehmer angemeldet. Ich wollte gar nicht hin, weil ich im Betrieb so viel zu tun hatte. Aber er hat gesagt: Du fährst. So habe ich gelernt, wie sehr es hilft, sich mit anderen Nachfolgern zu vernetzen. Er ist mein Vorbild, genau wie meine Urgroßmutter Elly Rullkötter, die unser Unternehmen einige Jahre lang geführt hat, nachdem mein Urgroßvater Carl gestorben war – in den 1960er-Jahren, also einer Zeit, in der es kaum Unternehmerinnen gab. Eine sehr resolute Frau, die ich als kleines Mädchen noch kennenlernen durfte. Ihr Vater hält noch 50,1 Prozent der Firmenanteile. Wie sehr redet er Ihnen rein? Gar nicht. Er ist nicht mehr operativ tätig und hat auch verstanden, dass ich meinen Freiraum brauche. Er hat das Geld eher zusammengehalten, während ich gerade in eine neue und energetisch sparsamere Lkw-Flotte investiere und in neue Warenausgangstore. Umgekehrt verstehe ich gut, welche emotionale Verbindung er zum Unternehmen hat und dass es da schwer ist, ganz loszulassen.

Die Fragen stellte Jens Tönnesmann

Beschäftigte arbeiten für Rullko. Ihre Zahl wächst seit einigen Jahren, 2020 waren es noch 174

Rullko wurde 1923 gegründet. Dieses Bild aus den 1950er-Jahren zeigt einen Kaffee-Einzelhandelsladen

Rullkos Umsatz stieg zuletzt deutlich. Auch das Jubiläumsjahr 2023 läuft gut

81,2 Prozent

beträgt die Eigenkapitalquote des Unternehmens. Ein gutes Finanzpolster: Im deutschen Mittelstand lag der Wert zuletzt im Schnitt bei 31,4 Prozent

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80 Mio. 0 40 2013 2016 2019 2022

Es ist der perfekte Zeitpunkt für einen Cyberangriff. Ein Freitagabend im Juni 2022, Ferienzeit, und vor allem: Beim Autohaus Albert Bauer in Flensburg findet ein Sommerfest statt. Alle feiern ausgelassen, ein Zauberer tritt auf, es wird getanzt. »Wir hatten es geschafft«, erzählt die Geschäftsführerin Anja Bauer heute. Soll heißen: wirtschaftlich überlebt trotz geschlossener Autohäuser in der Pandemie. Sie hatte nicht nur die Zentrale in Flensburg, sondern auch die Filialen in Husum, Schleswig, Heide und Stralsund durch eine der größten Krisen des Unternehmens gebracht.

An diesem Abend im Juni schaut Anja Bauer wieder nach vorne: Ihr Betrieb, den ihr Großvater 1930 gegründet hat und den sie seit 2004 leitet, wird in wenigen Jahren 100 Jahre alt. Sie kann noch nicht ahnen, dass er dieses Jubiläum nie erreichen wird. »Wäre es ein normaler Freitag gewesen, wäre vielleicht irgendjemandem aufgefallen,

dass der Mailserver nicht mehr lief«, sagt die 54-Jährige heute. »Aber wir waren mit Tanzen und Lachen beschäftigt.« Gleichzeitig fahren erst in Husum und dann in Heide die Server herunter, nachts folgen die Server an den anderen Standorten.

Als bei Anja Bauer am Tag nach dem Fest um 9.05 Uhr gleichzeitig mit der Eieruhr das Telefon klingelt, ist ihr klar, dass aus einem entspannten Frühstück nichts wird. Auf dem Display erscheint die Nummer des IT-Mitarbeiters. Bauer wundert sich: »Tim würde niemals samstagmorgens anrufen –

Eaußer es ist etwas Schlimmes passiert.« Anja Bauer ist endgültig hellwach. »Wir sind gehackt worden«, sagt Tim. Dieser Samstagmorgen wird für die folgenden Wochen ihr ausgeschlafenster bleiben.

Was in dieser Nacht auf den Rechnern von Anja Bauer passiert, kann heute jede Firma treffen. Von 3500 Fällen von Computer- und Datensabotage hat das Bundeskriminalamt 2022 erfahren – das sind zehn pro Tag. Der wirtschaftliche Schaden durch »Ausfall, Diebstahl oder Schädigung von Informations- und Produktionssystemen oder Betriebsabläufen« dürfte nach Berechnungen des Digitalverbands Bitkom dieses Jahr bei 35 Milliarden Euro liegen. Und laut der Förderbank KfW wurden allein zwischen 2018 und 2020 drei von zehn Mittelständlern Opfer von Cyberangriffen.

Die Geschäftsführerin eilt an jenem Morgen zu dem Backsteinbau ihres Autohauses in Flensburg. »Die Vögel zwitscher-

DIGITALISIERUNG   CYBERANGRIFFE

ten, alles war so friedlich«, erinnert sie sich. Der Eindruck täuscht. Das wird ihr klar, als sie die einzige Datei liest, die sich auf dem Server noch öffnen lässt. Sie heißt »Readme« und enthält diesen Text: »Ihre Daten sind gestohlen und verschlüsselt.« Die Angreifer bieten an, die Daten wieder zu entschlüsseln, wollen dafür aber ein Lösegeld. Bauer möge dazu bitte eine Webseite im Darknet aufrufen, es folgt eine kryptische URL.

Ransomware-Attacke nennt man diese Art von Cyberangriff, bei der Hacker die Daten mit einer Soft ware verschlüsseln und ein Lösegeld (ransom) fordern, oft Zehntausende Euro. Vor allem größere mittelständische Unternehmen sind ein lukratives Ziel für Hacker: Sie sind umsatzstark, während sie ihre Systeme oft unzureichend gegen Cyberattacken schützen.

Wie viel Geld die Erpresser von ihr wollten, habe sie gar nicht erst nachgeschaut und die Internetadresse nicht geöffnet, sagt

Keine Knete für Black Basta

Anja Bauer. Wenn sie an die Erpresser-Mail denkt, wird sie heute noch laut: »Ich lasse mich doch nicht erpressen!« Mit Kriminellen verhandeln? Auf keinen Fall.

Bauer tritt die Flucht nach vorn an. Noch am Wochenende informiert sie alle 250 Mitarbeitenden. Dafür nutzt sie jene WhatsApp-Gruppen, die sie in Pandemiezeiten gegründet hat. »Keine Panik«, schreibt sie, »es geht nur um Geld.«

Sie kauft neue E-Mail-Adressen und leitet Nachrichten an die alten Adressen dorthin um. Ein Kollege hat einen alten Server zu Hause, damit bauen sie ein provisorisches Netzwerk auf, sodass das Unternehmen am Montag wieder erreichbar ist.

Per Google-Suche findet Bauer heraus, dass ihre Firma mutmaßlich ein Opfer der russischen Erpressergruppe »Black Basta« geworden ist, die schon viele deutsche Firmen attackiert hat – die verschlüsselten Dateien haben die Endung »basta«.

Der Angriff auf Bauers Unternehmen sorgt für lange und hektische Tage in ihrem Leben. An deren Ende steht stets das gleiche Ergebnis: Die Daten sind und bleiben verschlüsselt. Alle. Selbst eine auf Datenrettung spezialisierte Firma kann nicht helfen. Ihr Unternehmen ist wie gelähmt. »Wir machen weiter«, verkündet sie zwar. Doch ohne Daten kann ihr Team weder Autos verkaufen noch reparieren. »Wir wussten ja nicht einmal mehr, welche der Autos auf dem Hof uns gehörten«, erinnert sie sich.

Als am Montag nach dem Angriff die ersten Kunden kommen, wird die ausweglose Lage klar. Ein Dialog, an den sich Bauer erinnert, geht so:

Kunde: »Ich soll das Auto vorbeibringen.«

Bauer: »Was muss denn getan werden?«

Kunde: »Ich weiß es nicht, Sie hatten doch angerufen.«

Normalerweise würde der Schlüssel nun digital eingelesen: Auf ihm ist der aktuelle

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Anja Bauer liquidierte nach einem Cyberangriff kurzerhand das Unternehmen, das ihr Großvater aufgebaut hatte. Um es dann wieder neu zu gründen
VON EVA WOLFANGEL
Fotos: Alexandra Polina für ZEIT für Unternehmer

Zustand des Autos protokolliert, er enthält Informationen über Wartungszyklen und Fehlermeldungen. Die digitalen Prozesse der Autohäuser der Bauergruppe waren vor dem Angriff so aufeinander abgestimmt, dass die Soft ware sowohl die nächsten Schritte vorgeschlagen als auch die dafür benötigten Teile aufgelistet hat. Sie kannte den Ort, an dem diese Teile zu finden waren – Regalreihe, Regalnummer, Fach – sowie deren Preis. Anja Bauer hatte fortschrittlich auf Digitalisierung gesetzt – aber jetzt waren alle digitalen Back­ups verschlüsselt, und analoge Back­ups wie Ausdrucke gab es nicht.

Laut dem Mittelstandspanel der KfW sind kleine und mittelständische Firmen mit Digitalisierungsstrategie öfter Cyberangriffen ausgesetzt als jene ohne eine solche. So überraschend ist das eigentlich nicht, aber die Firmen sehen die Gefahr selten: Sie halten sich für zu klein, zu unbedeutend für Hacker. Zudem sind umfassende SecurityLösungen oder eigenes IT­Personal teuer. Die Folge: Systeme werden digitalisiert, aber nicht ausreichend geschützt.

Der Digitalverband Bitkom empfiehlt dagegen, nicht weniger als 20 Prozent des IT­Budgets für IT­Sicherheit auszugeben. Das scheint aber alles andere als Realität zu sein: Obwohl laut einer repräsentativen Umfrage des Bitkom zwei Drittel der Firmen mit einer Cyberattacke in den nächsten zwölf Monaten rechnen, sieht sich nicht einmal die Hälfte gut gerüstet, eine solche Attacke auch abzuwehren. Vier von zehn Befragten antworten in der Bitkom­Umfrage sogar: »Wir haben das Thema Cyberkriminalität bisher verschlafen.«

Für sie sollte die Geschichte von Anja Bauer ein Weckruf sein. Wer IT­Systeme

206 Milliarden

Euro Schaden dürften überwiegend digitale Angriffe auf Unternehmen im Jahr 2023 zur Folge haben, etwas mehr als im Vorjahr. Quelle: Bitkom

gut auf ungewöhnliche Vorgänge hin überwacht, Angreifer schnell bemerkt und Back­ups auf separaten, vom Netz getrennten Servern hat, hat gute Chancen, einen Angriff zu überstehen. Und auch für die Reaktion im Notfall und den Neustart nach einem Cyberangriff sollte es in jedem Unternehmen bereits Pläne in der Schublade geben, raten Fachleute: Denn das spart wertvolle Zeit. Und die ist teuer.

Anja Bauer macht fehlende Notfallpläne in diesen Tagen im Juni durch eine ihr innewohnende Entschlossenheit wett: Sie fackelt nicht lange, sondern wird im Zweifel lieber schnell aktiv. Sie ruft ihre Mitarbeiter zusammen ins Labyrinth aus Regalen, Schubladen und Schachteln und bittet alle, Gedächtnisprotokolle zu schreiben: Welche Arbeiten habt ihr in den vergangenen Tagen erledigt? Welche Termine vereinbart? Wo sind noch Rechnungen zu stellen? Was ist an den Autos zu tun, die sich in den Werkstätten der Niederlassungen befinden?

Alles wird auf Zettel geschrieben, sie kleben überall, auf Bildschirmen, an Regalen, an der Wand. Anja Bauer zeigt der Reporterin Fotos von damals. »Zum Glück habe ich einige erfahrene Mitarbeiter, die noch wussten, wie wir das alles vor der Digitalisierung gemacht haben«, sagt Bauer. Sogar alte Rechnungsformulare tauchen auf, sie tragen noch die »Fernschreiber«Nummer des Unternehmens. All das hilft nur übergangsweise. Eine langfristige Lösung muss her. Und die sieht ganz anders aus, als man vielleicht denkt.

Trifft man die Unternehmerin heute in Flensburg, läuft sie durch eine weitgehend leer geräumte Halle neben der Werkstatt, sie findet hier noch eine Schraube, dort

noch einen Ölfilter: »Das muss alles raus«, sagt sie. Mit ihrem damaligen Prokuristen und heutigen Mit­ Geschäftsführer Hauke Brodersen hat Anja Bauer nämlich im Juni 2022 eine ungewöhnliche Entscheidung getroffen: Sie liquidierten die bestehenden Firmen – die Bauergruppe bestand zu diesem Zeitpunkt historisch gewachsen aus sieben eigenständigen GmbHs – und gründeten zwei neue. So radikal dieser Schritt klingt: Womöglich war das die einzige Möglichkeit, den Angriff zu überleben.

Denn eines wurde immer klarer: Ohne Daten sind ihre Unternehmen quasi wertlos. Sie sei handlungsunfähig gewesen, erinnert sich Anja Bauer, und jeder Versuch, das Chaos zu sortieren, brauchte nicht nur viel Zeit, sondern endete in einer Sackgasse, weil dafür nötige Daten fehlten. »Andere melden Insolvenz an«, sagt Bauer. »Wir sind aber Macher, den Kopf in den Sand zu stecken ist nicht unsere Art.«

Nach der Neugründung schickt die Industrie­ und Handelskammer ein Glückwunschschreiben, wie es an jedes Start­up geht. Dann geht es darum, die alte Firma abzuwickeln. Die zentrale Frage: Wie lassen sich Einnahmen und Ausgaben erfassen, wenn alle Daten verschlüsselt sind? Zunächst habe sie das in Absprache mit dem Finanzamt anhand der Kontoauszüge versucht, berichtet Bauer. Aber was bedeutet eine Überweisung, wenn die zugehörige Rechnungsnummer ins Nichts führt?

Also einigt Bauer sich mit dem Amt so: Alles, was an Wert noch vorhanden ist, wird von den alten an die neuen Firmen verkauft und entsprechend verbucht. Immerhin: Die beiden neuen Firmen können alle Mitarbeitenden übernehmen.

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DIGITALISIERUNG CYBERANGRIFFE

Die besten Entscheidungen zeigen sich in TURBULENTEN ZEITEN.

Risiken und Chancen managen. #DasIstMir Wichtig

Wer früh vorausschaut, ist auch in schwierigen Zeiten im Vor teil Deswegen beraten wir von der HypoVereinsbank unsere Unternehmen s o, dass sie nicht nur f ür K risen gewappne t sind, s ondern ges t ärk t aus ihnen her vor gehen können S o konnten wir unter ander em uns er em Kunden D e t t mer Gr oup dab ei helf en , durc h Er w eiter ung der F inanzier ung sspielräum e Wac hs tums c hancen zu nu t zen . S o wird aus Weit sic h t Zu ver sic h t .

hvb.de/de t tmer

Heiner De t tmer

Zunächst ist vieles für Bauer einfacher als gedacht: Benachbarte Firmen hätten Hilfe und Kredite angeboten und die Zuständigen beim Amtsgericht die Neugründung unterstützt. Die Gewerbeämter an den einzelnen Orten seien umsichtig und das Finanzamt sei erstaunlich pragmatisch gewesen.

Schwierigkeiten gibt es laut Bauer bis heute mit der Datenschutzbehörde, auch wenn sie sich direkt nach dem Angriff dort meldete: Datenschutzrechtlich muss ein Datenverlust umgehend bei den Behörden gemeldet werden. Nur habe sie einen Fragebogen bis heute nicht im Detail ausfüllen können: Denn sie habe genau angeben sollen, wie viele und welche Art von Daten betroffen seien. »Das weiß ich nicht, denn die sind verschlüsselt«, sagt Bauer. Zudem wisse sie nicht, ob tatsächlich Daten abgeflossen seien; bisher gebe es dafür keine Belege.

Skurril sind die Verhandlungen mit dem Bundesanzeiger, in dem Unternehmen ihre Bilanz veröffentlichen müssen. Wer das nicht tut, riskiert eine Strafe. Nur kommt Bauer damals ja nicht mehr an ihre Zahlen heran. Was also tun? »Sie müssen warten, bis wir Sie verklagen«, habe die Antwort gelautet – denn es brauche erst ein Aktenzeichen. Anfang Juni 2023 trifft endlich der ersehnte gelbe Brief des Bundesjustizministeriums bei Bauer ein, mit dem ein Ordnungsgeldverfahren eröffnet wird. Mit Aktenzeichen. »Jetzt können wir endlich etwas tun«, sagt Anja Bauer – und muss selbst lachen. Dass sich jemand über ein solches Verfahren freut, das kommt sonst wohl kaum vor.

Den Brief des Ministeriums wie auch diverse andere Schriftwechsel mit Behörden hat Anja Bauer ZEIT für Unternehmer gezeigt. So ein Hackerangriff kann viel Büro-

61 %

der Angreifer sind inzwischen der organisierten Kriminalität zuzurechnen, also Hackergruppen wie Black Basta. Dieser Anteil steigt seit Jahren

kratie nach sich ziehen. Dazu kommt der Ärger mit den Fahrzeugherstellern, denn auch deren Regularien sind streng: So dürfe ein Händler einen bestehenden Vertrag nur dann übernehmen, wenn das Unternehmen »im Ganzen« übernommen werde, teilt eine Marke ihr mit. Allerdings kann Bauer das mangels Daten kaum nachweisen. Sie bestellt also Fahrzeuge auf den Vertrag und Namen der alten Firma und verkauft sie im Namen der neuen – es geht ja nicht anders.

Außerdem braucht Bauer eine neue Handelsregisternummer, eine neue Steuernummer und eine neue Umsatzsteuernummer. Letztere brauche drei Monate, erfährt Bauer. Also macht sie erst einmal ohne weiter. Bis ein Lieferant an der Grenze zu Polen aufgehalten wird, weil genau diese Nummer fehlt. Einmal habe sich eine Finanzamtsmitarbeiterin aus einer kleinen norddeutschen Stadt für eine Lohnsteuerprüfung angemeldet, erzählt Bauer. Doch als sie der Frau gesagt habe, dass sie zwar kommen, aber nichts prüfen könne, habe diese zunächst vermutet, das sei eine Ausrede und die Geschäftsführerin wolle ihr etwas verheimlichen. »Ich habe dann immer angerufen und alles erklärt«, sagt Bauer – und das habe meist geholfen. Meist. Der Schriftverkehr mit dem Transparenzregister füllt inzwischen einen ganzen Ordner, weil auch von dort immer wieder Beschwerden über widersprüchliche Angaben ins Haus flattern.

»Wir haben damals wichtige Entscheidungen im Minutentakt getroffen«, verteidigt sich Anja Bauer. Mehr als ein halbes Jahr lang hat sie ihre Unternehmen im Blindflug gesteuert, das Buchhaltungsprogramm musste neu geschrieben und angepasst werden. »Wir wussten nicht, ob wir

Geld verdienen, wir haben einfach die Rechnungen bezahlt, die reinkamen.« Erst in diesen Tagen im Sommer 2023 werden die letzten Teile der Soft ware freigeschaltet, unter anderem ein Ablagemanagement und ein Workflow für Eingangsrechnungen. Da die Soft ware passgenau für das Unternehmen entwickelt werde, sei das aufwendig gewesen und habe so lange gedauert, erklärt Bauer.

Bauer sagt, die Kripo habe ihren Schaden in den ersten Tagen auf rund 2,5 Millionen Euro geschätzt – eine Million Euro Forderungsausfall, eine Million für neue Server, Programme, Systeme und 500.000 Euro durch Image verlust. »Die haben wirklich gute Erfahrungswerte«, sagt Bauer. Nach fast einem Jahr bezifferte ihr Steuerbüro den Forderungsausfall tatsächlich auf 977.461 Euro.

Anja Bauer führt über den Hof, durch Werkstätten, es riecht nach einer Mischung aus Öl und dem sterilen Geruch von Neuwagen. Jeden, den sie trifft, begrüßt sie mit einem energisch-freundlichen »Moin«. Man merkt: Bauer ist eine zupackende, eine optimistische Frau. Und so versteht man, wenn sie sagt, dass sie nie an ihrer Entscheidung gezweifelt habe: »Wir haben die Entscheidungsgewalt über unsere Firma nicht abgegeben, das ist das Wichtigste.«

Hätte sie das Lösegeld bezahlt, wären die Angreifer vielleicht früher oder später wiedergekommen. Und die Schad soft ware würde womöglich immer noch in ihren IT-Systemen stecken. »Ich bin froh, dass wir alles plattgemacht haben«, sagt die Unternehmerin.

Plattgemacht, damit es weitergehen kann.

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DIGITALISIERUNG CYBERANGRIFFE

Schnellere Implementierung von Energieeffizienztechnologien

zur Bewältigung von Klima- und Energiekrise

Um die weltweiten Klimaschutzziele sozial und wir tschaftlich erfolgreich zu erreichen, ist eine verstärkte Investition in Energieef fizienzmaßnahmen erforderlich. Laut einem kürzlich veröf fentlichten Bericht der Internationalen Energieagentur IEA muss der For tschritt in der Energieef fizienz bis 2030 weltweit verdoppelt werden. Dies ist entscheidend, um die angestrebten CO2-Ziele zu erreichen und gleichzeitig eine sichere und kostengünstige Energieversorgung zu gewährleisten. Der Bericht mit dem Titel 'Energy Ef ficiency: The Decade for Action' wurde im Rahmen der 8. IEA Global Conference on Energy Ef ficiency veröf fentlicht sowie konkrete Strategien zur Steigerung der Energieef fizienz in Form von 10X10-Aktionen def inier t.

1. Messen und Analysieren

Erzielen Sie ergebnisorientierte Leistungen, indem Sie sich digitalisieren und vernetzen. Nutzen Sie Software zur Erstellung von Berichten

2. Aufklär ung und Wissen

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Regierungen sollten bei eigenen Gebäuden und bei Infrastrukturen mit gutem Beispiel vorangehen.

7. Vorschriften

Bei der Schaf fung von Anreizen stehen vor allem ergebnisorientier te Maßnahmen im Vordergrund; sollten Zwangsmaßnahmen notwendig werden, ist es wichtig, einen vorhersehbaren und ausreichend langen Zeithorizont zu ermöglichen.

8. Stär kung des Grids

Insbesondere für industrielle Anwendungen sind bessere Übertragungskapazitäten für den Zugang zu erneuerbaren Energien wichtig

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Folge 1: Vilsa

DAS UNTERNEHMEN: Vilsa-Brunnen Otto Rodekohr, Bruchhausen-Vilsen

Direkter Ausstoß von Klima gasen, gemessen in CO₂-Äquivalenten, der »Scope 1«: 9966 Tonnen (12,1 Prozent)

Indirekter CO₂-Ausstoß aus eingekaufter Energie, bezeichnet als »Scope 2«: 214 Tonnen (0,3 Prozent)

Indirekter CO₂-Ausstoß von Zulieferern, Dienstleistern und Kunden, »Scope 3«: 72.478 Tonnen (87,7 Prozent)

CO₂-AUSSTOSS INSGESAMT: 82.658 Tonnen

QUELLE: Klimabilanz 2021, Angaben in CO₂-Äquivalenten

KLIMAZIEL: Vilsa-Brunnen will bis 2050 entlang der kompletten Wertschöpfungskette emissionsfrei sein –und maximal zehn Prozent des Ausstoßes kompensieren

JAHRESUMSATZ 2022: 145 Millionen Euro

MITARBEITER: knapp 600

WICHTIGSTES PRODUKT: Mineralwasser mit Kohlensäure

ABFÜLLUNGEN PRO JAHR: etwa 600 Millionen Flaschen. Knapp die Hälfte sind Glasflaschen, der Rest Plastikflaschen (PET). 95 Prozent werden in Mehrwegflaschen abgefüllt

Volle Pulle

DER AUSLÖSER:

Was hat Vilsa motiviert?

Was das Ozonloch ist, hat Henning Rodekohr schon als Teenager mitbekommen. In den Achtzigern sei der Treibhauseffekt ein »großes Thema« am Frühstückstisch der Familie gewesen, erzählt der Unternehmer. Der Schutz der Umwelt ist ihm seither persönlich wichtig. Der 51-Jährige ist an diesem Sommertag in die Firma geradelt, um über Klimaschutz – sein »Herzensanliegen« – zu sprechen. Seit dem Jahr 2007 führt der Jurist das Familienunternehmen VilsaBrunnen in Bruchhausen-Vilsen, einem kleinen Ort südlich von Bremen. Nun sitzt Rodekohr im Besprechungsraum. Vor dem Fenster blüht eine Wildblumenwiese, hinten erstrecken sich mehrere Hallen, in denen auf sechs Linien Mineralwasser und Saftschorlen abgefüllt werden. Das Wasser stammt aus den firmeneigenen Brunnen.

Rodekohr leitet den Getränkehersteller in vierter Generation, er hat zwei Kinder. Der 111 Jahre alte Betrieb gehört ihm zu 51 Prozent, 49 Prozent hält seine Schwester. Seit 2010 erfassen die Geschwister den internen Ausstoß von Kohlenstoffdioxid und reduzieren ihn. Rodekohr hat damit losgelegt, sobald er als neuer Chef den Kopf frei hatte. Vilsa war mit dem ökologischen Umbau früher dran als andere und »lange bevor es en vogue war«, so Rodekohr. Seit 2019 ist die Marke als Bio-Mineralwasser zertifiziert. Dafür musste Vilsa eine Klimabilanz erstellen, die die Emissionen der gesamten Wertschöpfungskette über das eigene Unternehmen hinaus erfasst.

VON KRISTINA LÄSKER

DIE GRÖSSTEN KLIMASÜNDEN: Was schadet dem Klima am meisten? Anfangs hätten sie eher »hemdsärmelig« den CO₂-Ausstoß aus dem Energieverbrauch der Anlagen abgeleitet, erzählt der Firmenchef. Nach und nach montierte Vilsa Zähler, das brachte Aha-Momente: »Die Flaschen-Waschmaschine verbrauchte damals am meisten Energie«, sagt er. Bis zu 50-mal befüllt Vilsa Glasflaschen neu und spült sie zuvor intensiv durch – das benötigt enorm große Mengen an Wasser. Um die Klimabilanz seines Unternehmens zu verbessern, begann Rodekohr mit kleinen

Im Klima-Check stellen wir Ihnen in jeder Ausgabe ein Unternehmen vor, das nachhaltiger wirtschaften will.
Den Auftakt macht ein Getränkehersteller
KLIMA-CHECK   VILSA

Maßnahmen. Er isolierte die Maschinen besser, das sparte Strom und Emissionen. Den Durchbruch brachte aber eine größere Investition: Seit 2018 werden Wärme und Strom in einem eigenen Blockheizkraftwerk erzeugt. Die indirekten Emissionen, die vorher beim Einkauf der Energie entstanden, fielen so nahezu vollständig weg (Scope 2).

Die selbst erzeugten Treibhausgase (Scope 1) machen heute zwölf Prozent der gesamten Emissionen des Unternehmens aus. Zwei Drittel der internen Emissionen stammen aus der Wärmeerzeugung. Im nächsten Jahr will Vilsa auf eine neue Biogasanlage umsteigen, um diesen Ausstoß weiter zu senken.

Ein weiteres Drittel der direkten Emissionen stammt aus den Auspuffen der 17 Lkw und 80 Firmenwagen des Getränkeherstellers. Vilsa betankt den Fuhrpark bereits heute mit einem synthetischen Diesel aus Rest- und Abfallstoffen. Der Treibstoff ist teurer und umweltfreundlicher als normaler Diesel. Aber das wird nicht ausreichen: Um das Klimaziel zu erreichen, darf Vilsa bis 2050 keine fossilen Brennstoffe mehr nutzen.

Vilsas größte Klimasünden erzeugen die Zulieferer und Transporteure, die für das Geschäftsmodell zentral sind (Scope 3): Bis zu 87 Prozent der Emissionen verursachen die Hersteller der Glas- und Plastikflaschen und die Transporteure, die die Getränke an Supermärkte liefern. Dort CO₂ einzusparen sei schwierig, sagt Rodekohr. »Das geht nur in enger Zusammenarbeit mit den Lieferanten.«

REDUZIEREN ODER KOMPENSIEREN?

Im Mai 2021 überraschte Vilsa mit einem TV-Spot, in dem es vollmundig behauptete, jetzt »klimapositiv« zu sein. Man gebe der Natur mehr zurück, als man von ihr geschenkt bekomme, hieß es. Rein rechnerisch stimmte das sogar: Der Mittelständler stieß Kohlenstoffdioxid aus, aber finanzierte zeitgleich das Anpflanzen von Kiefern und Eukalyptusbäumen in Uruguay. Der CO₂-Wert der Wald-Zertifikate überstieg die internen Klimasünden.

Doch der Werbespot sorgte für Ärger: Die Initiative Foodwatch zweifelte öffentlich an, dass die Kompensation wirkungsvoll sei. Er habe das ernst genommen und die Verbraucherschützer nach BruchhausenVilsen eingeladen, erzählt Rodekohr. Die Vorwürfe liefen ins Leere: »Das hat sich nicht bewahrheitet.« Bei ihm und seiner Schwester führte der Vorfall aber zu einem Umdenken in Bezug auf Zertifikate und den damit möglichen Ausgleich in der Bilanz: »Wir verzichten auf die Bezeichnung klimapositiv.«

Künftig will Rodekohr solche Zertifikate nur noch kaufen, wenn er »einen unmittelbaren Zugriff darauf« habe. Kurz: wenn er kontrollieren kann, ob es korrekt läuft. Seit 2022 fließt das Geld aber statt in Wälder in Uruguay nun in Windparks in Indien. Langfristig will Vilsa so wenig wie nötig kompensieren und lieber lokale Klimaprojekte fördern. Zweimal hat Rode-

beigetreten und hat sich dem Netto-NullZiel verpflichtet. Bis 2050 will Vilsa entlang der kompletten Wertschöpfungskette emissionsfrei sein – und dafür maximal zehn Prozent Ausgleiche zulassen.

Vilsa ist anderen Getränkeherstellern damit voraus. Das zeigt der Vergleich mit dem Verband Deutscher Mineralbrunnen. Dieser will mit der Initiative »Klimaneutralität 2030« erreichen, dass die Branche bis zum Ende des Jahrzehnts ihre gesamte Prozess- und Lieferkette klimaneutral stellt. Was ehrgeiziger klingt als bei Vilsa, ist in der Praxis aber weit weniger strikt: Denn die Hersteller dürfen demnach durch den Kauf von Zertifikaten weiterhin so viele Emissionen kompensieren, wie sie wollen. Für diese Art Ablasshandel gibt es keine Obergrenze.

WAS KOSTET ES?

Zeit: Henning Rodekohr widmet bis zu 20 Prozent seiner Arbeitszeit dem Klimaschutz. Mühe: Teile der Belegschaft hätten für Klimaschutz sensibilisiert werden müssen, sagt Rodekohr: Vielen Mitarbeitern sei das Gewohnte »das Liebste« gewesen.

kohr in den letzten Jahren einen kleinen Wald in der Region pflanzen lassen. »Wer Fortschritt beim Klimaschutz erreichen will, sollte sich besser vor Ort engagieren.« Was ihn ärgert: Die Aufforstungen tauchen nicht in Vilsas Klimabilanz auf, weil sie nicht zertifiziert sind.

SO WIRD GEMESSEN

Die Beratung Climate Partner aus München unterstützt Vilsa beim Erstellen der Treibhausgas-Bilanz und vermittelt die Zertifikate. Außerdem hat Vilsa einen eigenen Nachhaltigkeitsmanager, der direkt an Rodekohr berichtet. »Es reicht nicht aus, das Thema an externe Berater zu geben«, sagt der Firmenchef.

Inzwischen erfasst Vilsa die Emissionen mit dem Greenhouse Gas Protocol, einem oft verwendeten Standard für Klimabilanzen. Im Juli ist das Unternehmen der sehr strengen »Science Based Targets«-Initiative

Geld: Vilsa hat in den letzten Jahren einen »zweistelligen Millionenbetrag« investiert, um den Energieverbrauch und die CO₂Emissionen zu reduzieren. Das wurde laut Rodekohr aus den Gewinnen bezahlt und nicht durch eine Erhöhung der Preise.

WAS BRINGT ES?

Gute Noten: Die Qualität des Wassers und der Verpackung werden von Testern gelobt. Im Juli bewertete die Stiftung Warentest die Qualität von »Vilsa Naturfrisch Medium« mit einer 1,7. Die Umweltaspekte der Verpackung bekamen eine 1,6 – besser schnitt keine andere der geprüften Wassermarken ab.

Attraktive Arbeitsplätze: Immer mehr Bewerber legten Wert darauf, dass sich Vilsa für Klimaschutz einsetzt, so der Firmenchef. Das hilft gegen den Fachkräftemangel.

Treue Mitarbeiter: Das Engagement für mehr Nachhaltigkeit bindet Mitarbeiter. Je jünger diese seien, desto wichtiger sei der Klimaschutz für sie, so Rodekohr.

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Henning Rodekohr, der Chef von Vilsa, musste sich Kritik anhören – und reagierte Illustration: Pia Bublies für ZEIT für Unternehmer; Foto: privat

FOTOSTORY   RÜGENWALDER MÜHLE

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1 Eine Windmühle ist seit 1903 das Markenzeichen der Familienfirma Rügenwalder Mühle. Die Mühle im Bild hat weniger Tradition: Das Unternehmen hat sie erst 2012 auf dem Firmengelände in Bad Zwischenahn gebaut –aus Marketinggründen

2 Seit 2014 stellt die Fleischfirma auch fleischlose Produkte auf Sojabasis her. Ein Drittel des Sojas stammt aus Deutschland – so wie diese Bohnen, die Rügenwalder lokal anbauen ließ

3 Die Landwirte liefern das Sojaprotein säckeweise. So aufgequollen soll es zu veganen Mini-Frikadellen werden

Ran an die Buletten

In Niedersachsen produziert das Familienunternehmen Rügenwalder Mühle seit 1834 Wurst. Heute ist die Firma deutscher Marktführer für vegetarische und vegane Ersatzprodukte. Zu Besuch in der pflanzlichen Fleischerei

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4 In diesem »Fleischwolf« wird das bereits gequollene Sojaprotein mit Zwiebeln, Öl und Gewürzen vermengt. Rügenwalder nutzt für die Herstellung baugleiche Maschinen wie in der Fleischproduktion. Die beiden Linien sind räumlich aber streng getrennt: Wer die pflanzliche Produktion betreten will, muss durch die Hygieneschleuse und Schutzkleidung anziehen. In der kühlen Halle riecht es intensiv nach allerlei Gewürzen

5 Die Soja-Masse wird in einen Trichter gepresst, zerteilt und zu kleinen Klopsen geformt. Damit Kunden die Mini-Buletten auch als kalten Snack verspeisen können, werden die Bällchen noch in der Produktionsstraße gegrillt. Hier kontrolliert ein Mitarbeiter, ob auch alle Buletten gar sind, und sortiert verbrannte Stücke aus

6 Ein Fließband transportiert die Frikadellen zur Mehrkopfwaage, die diese laut ratternd abwiegt und portioniert. Von hier aus fallen die veganen Hack-Bällchen direkt in die Plastikverpackung

4 5 6 FOTOSTORY   RÜGENWALDER MÜHLE

7 Mit den veganen Fleischklöpsen und anderen pflanzlichen Lebensmitteln machte Rügenwalder 2021 erstmals mehr Umsatz als mit Fleisch; der Umsatz damit sank da sogar um fast ein Zehntel. Die Firma ist inzwischen führender Anbieter von Fleisch-Ersatz in Deutschland. Ihr Marktanteil: 40 Prozent

8 Finaler Check: Mitarbeiter packen die Frikadellen in Kartons ab. Von hier werden sie an die Supermärkte geliefert

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UNTERNEHMER-FRAGEBOGEN

Bloß nicht rumwursteln

ZEIT für Unternehmer: Herr Hähnel, was macht Ihr Unternehmen?

Rügenwalder Mühle stellt seit mehr als 190 Jahren Fleisch- und Wurstprodukte her. Seit knapp zehn Jahren haben wir auch vegetarische und vegane Produkte im Angebot und sind mittlerweile deutscher Marktführer für pflanzliche Ersatzprodukte. Was ist Ihre größte Herausforderung?

Die Macht des deutschen Einzelhandels, die die Preise im Einkauf drückt. Und natürlich die aktuelle Krise mit hohen Energiekosten und Rohstoffen, die immer schwieriger zu bekommen sind, vor allem für die Veggie-Produktion. Das Problem gibt es beim Fleisch nicht. Fleisch ist ein sehr simpler Rohstoff.

Die Rügenwalder Mühle gibt es seit 1834, was hat sich seither nicht geändert?

Sehr vieles hat sich nicht geändert. Wir kommen vom Handwerk und beherrschen die Veredlung von Fleisch. Darauf haben wir aufgebaut, als wir die pflanzlichen Produkte entwickelt haben. Und was hat sich am meisten verändert? Wir sind sehr stark gewachsen. Seit 2019 haben wir etwa 40 Prozent mehr Mitarbeitende. Viele Prozesse sind heute automatisierter, es ist nicht mehr pures Handwerk. Außerdem gibt es in der Bevölkerung ein sehr viel größeres Bewusstsein für gesunde Ernährung. Das hat auch bei uns dazu geführt, dass wir 2014 vegetarische Produkte einführt haben, inzwischen sind 98 Prozent davon sogar vegan.

Woran wäre die Rügenwalder Mühle beinahe gescheitert?

Während des Zweiten Weltkriegs musste die Familie von Pommern nach Niedersachsen flüchten. Sie musste alles aufgeben und unter extrem schwierigen Bedingungen wieder neu aufbauen.

Was sind die Hürden als externer CEO in einem Familienunternehmen?

Gesellschafter und Geschäftsführer müssen sich gegenseitig vertrauen und sich nahestehen. Als Geschäftsführer repräsentiere ich die Strategie des Unternehmens, aber immer mit der Vision der Unternehmerfamilie. Wir schauen also nicht so sehr auf Quartalsergebnisse, sondern entscheiden bei Investitionen über Generationen hinweg. Erfolg wird erst ganz am Ende gemessen und nicht in kurzfristigen Zyklen.

Wir wollen uns als Firma weiterentwickeln. Über 80 Prozent der Menschen unter 25 würden laut einer Umfrage des Good Food Institute, einer NGO, die die Entwicklung neuartiger Lebensmittel unterstützt, heute schon kultiviertes Fleisch essen.

Welche ist Ihre wichtigste Maschine?

Damit am Ende ein fertiges Produkt rauskommt, sind alle Maschinen gleich wichtig. Wir nutzen für die Veggie-Produktion die gleichen Geräte wie zur Fleischveredlung. Wobei beide Produktionslinien räumlich streng voneinander getrennt sind. Und was braucht es noch für den Erfolg? Planungsgenauigkeit. Wie genau die funktioniert, üben wir gerade noch. Wir sind in der Pandemie stark gewachsen, daher musste sich das Unternehmen neu strukturieren. Was begrenzt Ihr Wachstum?

Die Inflation sorgt dafür, dass viele Menschen knapp bei Kasse sind. Deswegen kaufen sie weniger ein. Das spüren wir auch. Welche Entwicklung Ihrer Firma erfüllt Sie mit der größten Genugtuung?

Vervollständigen Sie diesen Satz: Die Rügenwalder Mühle wäre nichts ohne ... ... vegetarische Produkte. Wird es irgendwann eine Rügenwalder Mühle ohne Fleischprodukte geben?

Solange die Verbraucherinnen und Verbraucher Fleischprodukte kaufen, werden wir sie auch anbieten. Ich glaube, dass die Menschen auch in vielen Jahren noch Fleisch essen werden.

Die Rügenwalder Mühle forscht auch zu kultiviertem, also im Labor gezüchtetem Fleisch. Warum?

Dass alle unsere Mitarbeitenden die Transformation mitgetragen haben. Unser gesamtes Forschungs- und Entwicklungsteam hat schon bei uns gearbeitet, als wir noch ausschließlich Fleisch verarbeitet haben. Was schätzen Sie am Unternehmertum?

Ich darf viel Verantwortung übernehmen und habe Spielraum, mich zu entfalten. Umgekehrt muss ich aber auch für alles geradestehen.

Welche Unternehmerin oder welchen Unternehmer würden Sie gern treffen?

Ehrlich gesagt kann ich mich da nicht festlegen. Ich finde es unglaublich reizvoll, mich mit Unternehmern zu treffen, die frisch gegründet haben, aber auch mit Chefs von Milliardenkonzernen.

Die Fragen stellte Navina Reus

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Michael Hähnel, CEO
FOTOSTORY RÜGENWALDER MÜHLE
Foto (Ausschnitt): Rügenwalder Mühle

Wie werden w ir er folgreich nachhaltig und nachhaltig er folgreich?

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Taxonowiebitte?

Die EU will die Wirtschaft umbauen, damit sie klimaneutral wird. Also hat sie ein System entwickelt, um nachhaltige Aktivitäten zu klassifizieren. Für manche klingt die Idee fortschrittlich, für andere abschreckend. Entkommen kann man ihr nicht

VON JAN SCHULTE

ERadioaktiv strahlt bei solch einem Unternehmen eigentlich gar nichts. Einen Disziplinarmaßnahmenkatalog hat Jöst auch nicht. »Was soll ich da reinschreiben«, fragt er, »fünf Stockschläge bei einem Fehler?«

Wozu also dann all der Aufwand?

Reihe von Rechtsakten. Die bekannteste Verordnung ist sicherlich die im Juli 2020 in Kraft getretene EU-Taxonomie, ein Regelwerk, das definiert, welche Wirtschaftstätigkeiten als nachhaltig gelten.

Exakt 33 Arbeitstage hat der Unternehmer Christian Jöst im vergangenen Jahr gemeinsam mit seinen Assistentinnen damit verbracht, Fragebogen um Fragebogen auszufüllen. 33 Tage, in denen er sich nicht ums eigentliche Geschäft kümmern konnte. Verwendet sein Unternehmen Asbest? Gibt es einen Disziplinarmaßnahmenkatalog für Mitarbeiter? Wie hoch sind die CO₂-Emissionen – und geht von den Produkten eine radioaktive Strahlung aus?

Strahlung, Asbest, Disziplinarmaßnahmen? Für Jöst, 49 Jahre alt, schwarze Haare, Dreitagebart und ausgerüstet mit einer dicken, schwarzen Brille, sind das Fragen, die – sagen wir mal – jetzt nicht unbedingt seinen Geschäftsalltag bestimmen. Er ist Chef von Jöst Abrasives, einem Familienunternehmen mit Sitz in Wald-Michelbach in Südhessen, und sitzt außerdem im Sustainable-Finance-Beirat der Bundesregierung. Seine Firma produziert Schleifmittel und -geräte und exportiert sie in 30 Länder. »Big Boy« heißt eines der Produkte, mit dem sich große Arbeitsplatten, Türblätter oder kleine Räume schleifen lassen. Gut elf Millionen Euro setzte die Firma damit zuletzt um.

Früher war die Welt einfacher. Ein Unternehmen wünschte sich ein Produkt, ein Mittelständler wie Jöst lieferte Maschinen oder Teile zu, und der Firmenkunde wickelte das Geschäft mit seinem Endkunden ab. Heute kann das deutlich komplizierter werden. Inzwischen wollen große Firmen häufig genau wissen, wie Zulieferer es mit dem Klimaschutz und weiteren Faktoren halten. Wie viel CO₂ emittiert die Firma? Wird Ökostrom genutzt? Und wie energieeffizient sind die Maschinen? Auch geht es um soziale Aspekte, etwa: Lässt sich Kinderarbeit in der kompletten Lieferkette ausschließen? All diese Fragen, die Jöst nun immer wieder gestellt bekommt, dienen einem Zweck: herauszufinden, wie nachhaltig sein Unternehmen aufgestellt ist, in Umweltfragen wie auch in sozialen. Beantwortet er sie nicht, bekommt er auch keinen Auftrag.

Die Fragen resultieren aus neuen Auflagen für große Unternehmen. In Deutschland etwa ist es das Lieferkettengesetz, über dessen Regeln viele Firmen klagen. Weit anspruchsvoller aber sind einige Verordnungen der Europäischen Union, und auch die gelten hierzulande. Die EU will bis 2050 klimaneutral sein. Deshalb muss sich die Wirtschaft wandeln. Also hat die EUKommission den »Green Deal« beschlossen. Er besteht unter anderem aus einer ganzen

Die EU-Taxonomie ist damit entscheidend für den Finanzsektor. Denn auch der muss berichten, wie seine Investitionen auf die Nachhaltigkeit einzahlen. Wenn Banken wissen, wie grün ein Unternehmen ist, können sie es gezielt mit Krediten fördern. Im Idealfall erleichtert die EU-Taxonomie also Unternehmen den Zugang zu Geld. Man kann es aber auch umgekehrt sehen: Geldhäuser können Kredite verweigern oder höhere Zinsen verlangen, wenn sie eine Firma für nicht nachhaltig genug halten. Es hängt also viel ab von der Frage, was im Sinne der Taxonomie nachhaltig ist.

Oft ist die Einstufung komplex. Denn bewertet werden nicht Firmen als Ganzes, sondern ihre einzelnen Aktivitäten. Der Bau von Windrädern gilt etwa als nachhaltig, die Produktion von Verbrenner-Autos nicht. Positiv auf die Bilanz kann sich aber auswirken, wenn man sich eine FotovoltaikAnlage auf das Dach der Kantine setzt: Unternehmen müssen also ihre gesamten Prozesse und Investitionen analysieren – vom Diensthandy für die neue Mitarbeiterin bis zum Kraftstoffverbrauch des Lieferanten.

Das bedeutet: Es gibt zahlreiche individuelle Details; die Taxonomie ist trotz ihres Umfangs von über 500 Seiten und diversen Anhängen noch nicht vollständig. Für eine Reihe von Maschinen gibt die Taxonomie etwa keine CO₂-Grenzwerte vor, ab wann diese als nachhaltig gelten. Maschinenbauer

SCHWERPUNKT FINANZIERUNG EU-TAXONOMIE
33 Foto: Philotheus Nisch für ZEIT für Unternehmer
Wildwuchs in der Wirtschaft? Das war einmal

müssen daher darlegen, dass ihre Maschine die effizienteste am Markt ist, um sie als nachhaltig einzustufen. Was aber, wenn es gar kein Konkurrenzprodukt gibt, womit sie sich vergleichen lässt? Eine praktikable Antwort auf diese Frage gibt es noch nicht.

Bisher galt die EU-Taxonomie nur für große, an der Börse gelistete Unternehmen mit über 500 Mitarbeitern und für die Finanzbranche. Doch das ändert sich nun. Und das liegt am Zusammenspiel der Taxonomie mit der CSRD, einer Regelung zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (englisch: Corporate Sustainability Reporting Directive). Noch so ein Begriff, der abschreckt, dem man aber nicht mehr entkommt.

Die CSRD wird ab dem kommenden Jahr schrittweise eingeführt und legt die Schwellen fest, ab denen Unternehmen Nachhaltigkeitsdaten ermitteln und darüber berichten müssen – auch im Sinne der EU-Taxonomie. Von der CSRD und somit auch der Taxonomie werden Unternehmen betroffen sein, wenn sie zwei der drei folgenden Kriterien erfüllen: Bilanzsumme von mehr als 20 Millionen Euro, Nettoumsatzerlöse von über 40 Millionen Euro oder mehr als 250 Beschäftigte.

In Deutschland trifft das direkt auf gut 15.000 Unternehmen zu. Doch indirekt sind noch viel mehr Firmen betroffen, wie Industrie- und Handelskammern sowie Unternehmensberatungen seit Längerem warnen. Denn wenn ein großer Konzern zum Beispiel ermitteln muss, wie viele CO₂-Emissionen er durch seine Produkte verursacht, dann muss er dazu auch seine Lieferanten befragen. Der Unternehmer Jöst wird also, obwohl er gar nicht selbst in der Pflicht ist, zukünftig wohl noch mehr Zeit mit Fragebögen verbringen müssen. Zwar muss er aktuell noch keinen ausführlichen Nachhaltigkeitsbericht schreiben –seine CO₂-Bilanz sollte er aber kennen.

»Diese umfasst Emissionen, die Kunden selbst direkt verursachen und die durch die Energieträger entstehen, auf die sie setzen«, erläutert Carola Menzel-Hausherr von der Frankfurt School. Als Scope-1- und Scope2-Emissionen wird das in der entsprechenden Systematik bezeichnet. Wer also im

Betrieb auf Elektromobilität setzt und Ökostrom bezieht, dürfte eine etwas bessere Bilanz vorlegen können. »Die Emissionen umfassen jedoch auch Scope 3 – also alle Klimagase, die entlang der ganzen Wertschöpfungskette ausgestoßen werden«, gibt Menzel-Hausherr zu bedenken. Und die zu ermitteln ist, vorsichtig formuliert, komplex.

Menzel empfiehlt Unternehmen, ein Umweltmanagementsystem einzuführen. Dann seien sie in der Lage, Kunden und Banken die benötigten Informationen zu liefern. Anbieter, die Firmen beim Ermitteln ihrer Emissionen unterstützen, finden sich viele. Auch gibt es kleinere Tools für einen ersten Schnellcheck – diese liefern zwar

vorlegen. »Wir wollen das aber zukünftig je Produkt ausweisen, das ist viel aussagekräftiger«, erläutert Röhrig. Um Scope-3Emissionen zu erfassen, hat sein Unternehmen selbst wiederum Fragebögen an seine Geschäftspartner verschickt. »Wir mussten dabei feststellen, dass gerade einmal ein Prozent unserer Geschäftspartner eine CO₂Bilanz vorlegen konnte«, erzählt er. Seiner Firma blieb daher nichts anderes übrig, als die Scope-3-Emissionen zu schätzen. Mit der EU-Taxonomie und der CSRD musste sich der Unternehmer zwar noch nicht direkt auseinandersetzen, er ist zu klein. »Wir erleben aber, dass in Ausschreibungen immer häufiger nach dem CO₂-Fußabdruck gefragt wird«, berichtet er.

Viele mittelständische Unternehmen sorgen sich vor diesem Aufwand, die kleineren von ihnen haben zumeist keine eigene Nachhaltigkeitsabteilung. »Sie wissen gar nicht, wie sie das angehen sollen«, sagt Katharina Hurka, die für die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) in Brüssel sitzt und sich mit EU-Regulierungen beschäftigt. Sie rät Managern, sich unbedingt mit anderen auszutauschen, die schon mehr Erfahrungen gemacht haben. Außerdem sagt Hurka: »In vielen Unternehmen wird es nötig sein, Personal einzustellen.«

keine belastbaren Ergebnisse, zeigen aber auf, was da auf ein Unternehmen zukommt. Für eine komplette Umweltbetriebsprüfung bietet sich laut Menzel zum Beispiel das Eco Management and Audit Scheme (EMAS) der EU an. Heißt konkret: Ein Gutachter kommt und durchleuchtet die Firma.

Die Röhrig Granit GmbH lässt sich bereits seit 2004 Jahr für Jahr so zertifizieren. Das Familienunternehmen um den Geschäftsführer Marco Röhrig betreibt drei Steinbrüche im Süden von Hessen und liefert nach eigenen Angaben grob in einem Radius von 150 Kilometern aus. Für die Scope-1- und Scope-2-Emissionen kann die Firma bereits einen Durchschnittswert

Wer keines findet, hat noch eine andere Möglichkeit. Laut Katharina Reuter vom Bundesverband Nachhaltige Wirtschaft, in dem sich Unternehmen wie der Bergsportausrüster Vaude und die Online-Suchmaschine Ecosia zusammengetan haben, gibt es viele Fortbildungsangebote. »Nachhaltigkeit sollte Teil der modernen Geschäftsstrategie sein«, sagt sie. Schon kleine Schritte würden helfen: »Auch als Unternehmen kann ich mein Konto bei einer nachhaltigen Bank haben.« Wie Mitarbeiter zur Arbeit kommen, könne ebenfalls ein großer Hebel sein. Katharina Reuter findet sogar, dass Firmen die neuen Richtlinien als Chance begreifen sollen und nicht als bloße Pflicht zum Erfüllen nerviger Auflagen: »Es ist eine Investition in die Zukunftsfähigkeit jedes Unternehmens.«

Der Unternehmer Christian Jöst wartet nur noch darauf, dass die sich auszahlt.

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SCHWERPUNKT FINANZIERUNG EU-TAXONOMIE
»Wir müssen nicht nur in Nachhaltigkeit investieren, sondern auch nachhaltig investieren«
Ursula von der Leyen

Privat wegweisend anlegen

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B e i d e s a u s e i n e r H a n d : U n s e r e E n t r e p r e n e u r & E n t e r p r i s e B e r a t u n g b e t r a c h t e t S i e u n d I h r U n t e r n e h m e n a l s E i n h e i t u n d g i b t A n t w o r t e n a u f Z u k u n f t sf r a g e n

Bisher brauchten Unternehmer:innen eine Privatbank und zusätzlich eine Bank für F i r m e n fi n a n z e n B e i u n s b e r ä t e i n Te a m b e i d e B e r e i c h e , m i t d e n S c h w e r p u n k t e n E n e r g i e , M o b i l i t ä t u n d D i g i t a l i s i e r u n g D a s h e i ß t , S i e m ü s s e n w e n i g e r e r k l ä r e n , b e k o m m e n m a ß g e s c h n e i d e r t e L ö s u n g e n u n d n u t z e n S y n e rg ie n M e hr er f ah r en a uf b e t hm a nn b an k - u n t er ne h me n .d e

Echt. Nachhaltig. Privat.

Geschäftlich
dynamisch investieren

Wenn die Bank den Abfall zählt

Wer nachhaltiger wirtschaftet, kommt an günstigere Darlehen.

Aber wie funktioniert das genau? Die wichtigsten Fragen

Die drei Unternehmen könnten unterschiedlicher kaum sein: Voith aus Heidenheim an der Brenz baut Maschinen, Babor aus Aachen produziert Kosmetika, und die Wiesbadener Firma Knettenbrech & Gurdulic entsorgt Abfall. Doch eines haben die Firmen gemeinsam: Sie gehören zu den ersten deutschen Mittelständlern, die sich mit einem ESG-Linked Loan finanzieren. Das sind Bankkredite, deren Zinssatz an Nachhaltigkeitsziele gekoppelt ist.

Wie funktioniert ein Nachhaltigkeits-Kredit?

Der Kreditvertrag legt fest, welches Nachhaltigkeitsziel ein Unternehmen innerhalb einer festgelegten Frist erreichen muss. Zum Beispiel: die CO₂-Emissionen binnen dreier Jahre um 50 Prozent zu reduzieren. Gelingt das der Firma, muss sie weniger Zinsen an die Bank zahlen. Andernfalls fallen womöglich Strafzinsen an. In der Regel können die Unternehmen mit dem Geld machen, was sie wollen, das Vorhaben selbst muss also nicht zwangsläufig nachhaltig sein.

Die Zinsvorteile sind nicht übermäßig groß; sie belaufen sich meist auf 0,02 bis 0,05 Prozentpunkte. Dieter Royal, Finanzchef der Berliner Firmengruppe Dussmann, ist deswegen etwas anderes wichtiger: So ein Kredit bringe alle Abteilungen dazu, Ideen zu entwickeln, wie man das damit verknüpfte Ziel erreichen könne. So trage er dazu bei, das Thema Nachhaltigkeit im Bewusstsein der Mitarbeiter zu verankern. Das Unternehmen hat 2021 einen ESG-Kredit über 140 Millionen Euro aufgenommen.

Welche Ziele können vereinbart werden?

Emissionen verringern, den Anteil erneuerbarer Energien am Strommix erhöhen oder Abfälle reduzieren: Banken und Kreditnehmer können eine Vielzahl an Zielen vereinbaren. Neben der Dimension E, also dem Klima- und Umweltschutz, lassen sich auch Ziele aus der Kategorie S, den sozialen Standards, definieren. Etwa: mehr Frauen in Führungspositionen bringen. Oder: Die Zahl der Arbeitsunfälle verringern. Wichtig ist, dass die Ziele ambitioniert und für die Branche relevant sind.

Ist ein ESG-Rating sinnvoll? Statt einzelne Ziele festzulegen, können Unternehmen ihre Nachhaltigkeitsstrategie von Öko-Rating-Agenturen wie EcoVadis oder ISS ESG bewerten lassen. Verbessert sich die Bewertung, sinkt die Zinslast. Dafür hat sich zum Beispiel der Maschinenbauer Voith entschieden. Dort verbesserte sich das Rating 2021 nach Firmenangaben von C+ auf B– und die Bank reduzierte die Zinsen. Bei vielen Banken sind ESGRatings allerdings nicht sehr beliebt. Die Rating-Kriterien seien »nicht transparent«, sagt die Nachhaltigkeitsexpertin Christine Rademacher von der Commerzbank. Unternehmen sollten also vorab mit ihrer Bank klären, welche Ratings diese akzeptiert.

Für welche Unternehmen ist eine solche Finanzierung geeignet? ESG-Kredite kommen für Firmen aus allen Branchen infrage. Sie bedeuten allerdings mehr Aufwand als konventionelle Kredite.

Die Banken prüfen regelmäßig, ob der Kreditnehmer die Ziele einhält – also etwa den Abfall wie vereinbart reduziert.

Das lohnte sich anfangs nur bei hohen Beträgen: Die ersten ESG-Linked Loans, die Dax-Konzerne wie Henkel, E.on oder Continental aufgenommen haben, hatten ein Volumen von mehreren Hundert Millionen oder gar Milliarden Euro. Mittlerweile vergeben Banken auch deutlich niedrigere Kredite. Bei der Commerzbank liegt die Untergrenze bei fünf Millionen Euro. Der Hautpflegespezialist Babor etwa hat sich bei der Deutschen Bank 15 Millionen Euro grünes Geld geliehen und damit den Bau einer energieeffizienten Fabrik finanziert.

Warum gewähren die Banken überhaupt einen Zinsrabatt?

Für Kreditinstitute haben die geringfügigen Rabatte eher symbolische Bedeutung. Sie sollen Unternehmen motivieren, in die ökologische Transformation zu investieren und so als Kunde attraktiv zu bleiben. Denn auch Mittelständler werden künftig für ihre CO₂-Emissionen vom Staat zur Kasse gebeten. Fabriken und Bürogebäude verlieren an Wert, wenn sie in puncto Energie-Effizienz nicht auf der Höhe der Zeit sind – und taugen nicht mehr so gut als Sicherheit. »Unternehmen mit einer unzureichenden Nachhaltigkeitsstrategie besitzen ein hohes transformatorisches Risiko«, sagt die ESGExpertin Christine Rademacher von der Commerzbank. Sie warnt: »Damit laufen sie Gefahr, kreditunfähig zu werden.« Und dann kappt auch die treueste Bank irgendwann ihre Geschäftsverbindung.

36 SCHWERPUNKT FINANZIERUNG ESG-KREDITE
GÜNTER HEISMANN
VON
Illustration: Pia Bublies für ZEIT für Unternehmer

© D r e a m s t i m e

Investitionen unter Druck: objektbasierte Finanzierungen helfen KMU

Vo n e i n e m »W a r n s i g n a « f ü r D e u t s c h l a n d s p r a c h e n W i r t s c h a f t s w i s s e n s c h a f t l e r d e s K i e l I n s t i t u t s f ü r We l t w i r t s c h a f t k ü r z l i c h i n e i n e m H a n d e l s b l a t t - B e i t r a g ¹ : N a c h n e u e n Z a h l e n d ü r f t e n s i c h d i e I n ve s t i t i o n e n h i e r z u l a n d e b i s E n d e 2 0 2 4 n u r s c h w a c h e n t w i c k e l n . M i t e i n e m A n s t i e g vo n l e d i g l i c h 2 , 2 P r o z e n t i m Ve r g l e i c h z u m l e t z t e n Q u a r t a l 2 0 1 9 d r o h e d i e B u n d e s r e p u b l i k z u m S c h l u s s l i c h t d e r g r o ß e n I n d u s t r i e n a t i o n e n z u w e r d e n H i e r s e i d r i n g e n d g e g e n z u s t e u e r n D i e Z u r üc k h a l t u n g b e i d e r A n s c h a f f u n g n e u e r Te c h n o l o g i e n , I m m o b i l i e n o d e r A n l a g e n i s t a b e r n i c h t n u r f ü r d e n W i r t s c h a f t s s t a n d o r t , s o n d e r n a u c h f ü r d i e e i n z e l n e n U n t e r n e h m e n e i n R i s i k o D e n n o c h i s t d a s Ve r h a l t e n n a c h v o l l z i e h b a r. S o w u r d e n d e u t s c h e M i t t e l s t ä n d l e r s t a r k v o n d e r E n e r g i e k r i s e , d e n L i e f e r k e t t e n s c h w a n k u n g e n u n d d e n E i n s c h r ä n k u n g e n d u r c h C o r o n a - K r i s e u n d U k r a i n e - K r i e g g e t ro f f e n H i n z u k o m m t d i e f o r t w ä h re n d h o h e I n f l a t i o n , d i e t r ü b e K o n j u n kt u r u n d d e r i m m e r p r ä s e n t e r e F a c h k r ä f t e m a n -

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A n g e s i c h t s d e r L a g e h e r r s c h e Z u r ü c k h a l t u n g b e i d e n I n ve s t i t i o n e n B e i m T h e m a ö k o l o g i s c h e N a c h h a l t i g k e i t e t w a g a b ü b e r d i e H ä l f t e d e r

B e f ra g t e n a n , d i e A u s g a b e n ve r r i n g e r t z u h a b e n

Z U R Ü C K H A LT E N D E B A N K E N

Z u d e n S c h w i e r i g k e i t e n k o m m t a u c h d i e z un e h m e n d e V e r u n s i c h e r u n g u n d d a m i t e i nh e r g e h e n d e Z u r ü c k h a l t u n g d e r B a n k e n S i e m ü s s e n a u f g r u n d d e r a l l g e m e i n e n K r i s e , d e r g e o p o l i t i s c h e n Ze r w ü r f n i s s e u n d d e m W a n d e l v i e l e r W i r t s c h a f t s b e re i c h e e i n ve r s t ä r k t e s R i s ik o m a n a g e m e n t b e t re i b e n D a s s c h l ä g t s i c h a u c h i n ve r s c h ä r f t e n K re d i t r i c h t l i n i e n u n d e i n e r re st r i k t i ve re n Ve r g a b e p o l i t i k n i e d e r, w i e e t w a d e r B a n k L e n d i n g S u r ve y d e s E u ro s y s t e m s ³ g e z e i g t

h a t E s g i b t f ü r U n t e r n e h m e n m i t I n v e s t i t i o n sv o r h a b e n j e d o c h m i t t l e r w e i l e A l t e r n a t i v e n z u d e n t r a d i t i o n e l l e n K r e d i t g e b e r n D a z u z ä h l e n a u c h o b j e k t b a s i e r t e F i n a n z i e r u n g e n w i e A s s e t B a s e d C re d i t u n d S a l e & L e a s e B a c k ( S L B )

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F I N A N Z I E R U N G S A LT E R N AT I V E N S L B r i c h t e t s i c h a l s r e i n e I n n e n f i n a n z i e r u n g b e s o n d e r s a n m a s c h i n e n r e i c h e M i t t e l s t ä n d l e r :

K M U ve r k a u f e n i h re we r t h a l t i g e n , m o b i l e n u n d g ä n g i g e n M a s c h i n e n, A n l a g e n - o d e r F u h r p a r k s u n d m i e t e n s i e d i r e k t w i e d e r z u r ü c k D a d u r c h w i r d L i q u i d i t ä t f r e i , b e i s p i e l s w e i s e f ü r I n v e st i t i o n e n Z u g l e i c h k ö n n e n d i e M a s c h i n e n w i e g e wo h n t we i t e r g e n u t z t we r d e n O f t l a s s e n s i c h m i t S L B a u c h s t i l l e R e s e r ve n h e b e n . D a d a s M od e l l b o n i t ä t s u n a b h ä n g i g i s t u n d d i e A u s z a h l u n g i n n e r h a l b w e n i g e r Wo c h e n vo n s t a t t e n g e h t , i s t S L B a u c h f ü r b e we g t e Ze i t e n g e e i g n e t D e r S p e z i a l k re d i t A s s e t B a s e d C re d i t b i e t e t d a n e b e n P ro d u z e n t e n , H ä n d l e r n , D i e n s t l e i s t e r n

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ÜBER MATURUS FINANCE

Die Maturus Finance GmbH ist eine Finanzierungsgesellschaft, die objektbasierte Lösungen anbietet, um Unternehmen zu mehr Liquidität zu verhelfen Die Gesellschaft ist Ansprechpartnerin für Mittelständler, die banken- und bonitätsunabhängige Wege der Finanzierung suchen Maturus Finance hat seinen Hauptsitz in Hamburg, Deutschland, und ist seit 2015 auch in Österreich vertreten www.maturus.com

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Geduld verleiht Flügel

Immer wieder versuchen sich Familienunternehmer als Start-up-Investoren. In Krisenzeiten ist das ein besonderes Wagnis

Die Sommersonne strahlt über Kitzbühel, über den grasgrünen Zieleinlauf der berühmten Abfahrtspiste Streif ziehen Golfer ihren Trolley. Conny Hörl steht einige Meter daneben, inmitten einer Traube von Menschen im schicken Anzug, im Sommerkleid oder im Trachtenjanker. Beim österreichischen »Business Angel Summit« sprechen Menschen, die viel Geld haben, mit Menschen, die viel Geld brauchen.

Hörl kennt beide Seiten gut. Groß geworden ist sie in einem Familienunternehmen im Münchner Raum, das ihr Vater vom Baudienstleister zum Gewerbeimmobilienspezialisten entwickelte. Mit ihrem Mann baute sie nach dem Studium von Salzburg aus eine Kette von Fitnessstudios und Wellnessbetrieben auf, reichlich Medienpräsenz inklusive – »sie ist bekannt von Hamburg bis Bozen«, hatte sie der Moderator kurz zuvor auf der Bühne vorgestellt.

Vor vier Jahren das nächste Kapitel. Mit ihrer Schwester Katja Ruhnke begann sie, in Start-ups zu investieren. Einen Plan hatten die beiden nicht: »Wir haben einfach angefangen«, sagt die 49-Jährige. Die Unternehmerinnen gründeten 2019 die Investmentgesellschaft CK Venture Capital und sind an 15 Start-ups beteiligt. »Es ging alles viel schneller als gedacht«, sagt Hörl. Zumindest das Geldanlegen – auf den ersten lohnenden Exit warten die beiden noch.

Vom Macher zum Berater, von der Gestalterin zur Geldgeberin: Willkommen in der Welt der »Business Angels«. So bezeichnet die Start-up-Welt Privatpersonen, die sich mit ihrem Kapital an jungen Unternehmen beteiligen. Laut dem Business Angel Report sind sie an 66 Prozent aller Finanzierungsrunden in Deutschland beteiligt. Erst in späteren Phasen steigen in der Regel Risikokapitalgeber mit millionenschweren Fonds und Finanzfahrplänen ein. Über 10.000 Business Angels hat der Branchenreport in den vergangenen drei Jahren in Deutschland registriert. Unter ihnen zahlreiche Familienunternehmerinnen und -unternehmer. Sie bringen viel von dem mit, was Start-ups kurz nach der Gründung benötigen: spezifisches Branchenwissen, jahrzehntelange Unternehmererfahrung, Kontakt zu Kunden oder Geldgebern.

VON MANUEL HECKEL
SCHWERPUNKT FINANZIERUNG BUSINESS ANGELS
Foto: Philotheus Nisch für ZEIT für Unternehmer Kleine Triebe, große Pläne: Wie dieser Pflanze geht es vielen Start-ups

Ein bekanntes Beispiel für Investoren mit Unternehmer-DNA ist die Familie Viessmann, die im Frühjahr den Verkauf ihrer Klimasparte verkündet hat. Das Kerngeschäft des Heizungsbauers geht für zwölf Milliarden Euro an einen amerikanischen Wettbewerber. Und einige dieser Milliarden will die Unternehmerfamilie in Fonds und Start-ups investieren. Kürzlich hat sie sich am Aachener Start-up Voltfang beteiligt, das alte Batterien von Elektroautos zu Stromspeichern umbauen will. Häufiger geht es bei den Investments aber um mittlere fünfstellige oder niedrige sechsstellige Beträge. »Die Offenheit gegenüber Start-up-Investments ist bei Familienunternehmern sehr viel größer als noch vor einigen Jahren«, beobachtet Matthias Helfrich. Der Unternehmer steckt sein Geld seit mehr als 20 Jahren in junge Techfirmen, hat in seiner Heimat Wiesbaden einen Investmentclub aufgebaut. Vor zwei Jahren kürte ihn das Business Angels Netzwerk Deutschland zum »Business Angel des Jahres« – gleich sechs seiner Beteiligungsunternehmen hatten ihn nominiert. Helfrich ist heute »Engel« in Vollzeit.

Einmal Business Angel sein und einer Idee, einem Gründer, einem Start-up Flügel verleihen. Klingt romantisch! Aber jeder Euro kann nur einmal investiert werden –und was in ein fremdes Start-up fließt, fehlt im Zweifel der eigenen Familienfirma. Meist dauert es Jahre, bis klar ist, ob sich eine Investition auszahlt. Und so spiegelt sich in jedem Investment sehr viel Hoffnung: mehr Rendite zu erzielen als anderswo und das eingesetzte Kapital mit etwas Glück in ungeahnte Höhen zu katapultieren.

Klar ist: Als Investmentklasse sind Startup-Investitionen riskant. Der Totalverlust ist um einiges wahrscheinlicher, als nebenbei rasch das nächste OpenAI auf den Weg zu bringen. Und die Goldgräberstimmung ist vorbei: Laut des Start-up-Barometers der Beratungsgesellschaft Ernst & Young erhielten deutsche Gründungen im ersten Halbjahr 2023 nur 3,1 Milliarden Euro an neuem Risikokapital – fast 50 Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum. Schlechte Nachrichten vor allem für Business Angels. Die kommen häufig früh an Bord und sehen

nun, wie ihre Beteiligungen vergeblich nach Anschlussfinanzierungen suchen.

Laut der Auskunftei Creditreform haben in den ersten sechs Monaten dieses Jahres 8400 Unternehmen Insolvenz angemeldet, 16 Prozent mehr als im selben Zeitraum 2022. Das trifft auch die Gründerszene –und damit indirekt investitionsfreudige Familienunternehmen. So meldete zum Beispiel die Handelsplattform Mädchenflohmarkt Insolvenz an, die ihr Kapital unter anderem bei den bekannten Familienunternehmen Breuninger und Vorwerk eingesammelt hatte. Zur Jahresmitte veröffentlichte das Portal Deutsche-Startups. de eine Liste von 64 bekannten Jungfirmen, die 2023 gescheitert sind. Eine Frage stellt sich in diesen Zeiten besonders: Warum kann es sich trotzdem lohnen, das Geld außerhalb der eigenen Familienfirma zu investieren und möglicherweise Jahre zu warten, bis sich der Einsatz vervielfacht hat?

Tobias Neuberger etwa will lernen. Der promovierte Mediziner baute eine Firmengruppe mit etwa 60 Mitarbeitern auf, die Kosmetikprodukte entwickelt, vermarktet und vertreibt. »Vor ein paar Jahren habe ich gemerkt, dass ich nicht mehr weiterkomme – als Manager, als Mensch«, sagt der 48-Jährige. In den kommenden Jahren will er sich vom Tagesgeschäft lösen, mehr in beratender Rolle tätig sein. Jetzt steht Neuberger kurz davor, seine ersten Beteiligungen an Start-ups einzugehen. Er wirbt bei den Gründern mit Zugängen zu wichtigen Handelsmarken und erhofft sich im Gegenzug Inspiration. Neuberger sagt: »Es ist enorm spannend, in junge Unternehmen reingucken zu können.«

Er wählt einen typischen Weg für angehende Business Angels: Er schließt sich versierteren Bekannten an, folgt deren Hinweisen und bringt zusätzliches Kapital mit an den Tisch. Huckepack ins Investorenleben. Mit einer Vision, aber realistischem Blick: »Ich werde ganz sicher auch scheitern«, sagt Neuberger, »daher nehme ich das Geld, das ich nicht wirklich benötige.« Die grobe Faustregel, die Fachleute gerne nennen: Etwa zehn Prozent des frei verfügbaren Vermögens können durchaus in Start-up-Investments fließen. Im Ideal-

fall ist dieser Betrag hoch genug, um ihn über die Jahre auf fünf oder zehn Gründungen aufzuteilen.

Ist das Kapital vorhanden, sind die Einstiegshürden niedrig. Häufig ergeben sich aus dem eigenen Unternehmernetzwerk die ersten Gelegenheiten, bei Sympathie folgen Notartermin und Überweisung. Vor allzu viel Sorgfalt bei kleineren Investments in frühen Unternehmensphasen raten sogar Fachleute ab: »Das sind Unternehmer, die sind gewohnt, mit Risiken umzugehen. Da macht es wenig Sinn, viel Geld in anwaltliche Beratung zu stecken«, sagt Lorenz Jellinghaus von der Kanzlei Lutz Abel, der Investoren und Gründer berät.

Es knackt, es knirscht, aber das Videosignal von Felix Wöllner dringt nicht durch – die Firmen-Firewall hält dicht, entschuldigt er sich. Immerhin das Audiosignal kommt an. Mit seinem Bruder Martin ist er gerade an einem Produktionsstandort in Tschechien. Über 1300 Mitarbeiter beschäftigt die CiS electronic mit Hauptsitz in Krefeld dort, in Rumänien und in Deutschland. Die Mitarbeiter bauen Kabelbäume und andere Baugruppen für zahlreiche Branchen zusammen, von der Autoindustrie bis zu Medizintechnikherstellern. Die Brüder haben in den vergangenen Jahren immer mehr Verantwortung im Unternehmen ihres Vaters übernommen. »Wir wollen einen frischen Wind reinbringen als zweite Generation«, sagt Martin Wöllner. Dazu gehört die Digitalisierung des Familienbetriebs. Und dazu gehören Start-ups.

Mit zahlreichen Gründerinnen und Gründern haben die Brüder in den vergangenen Jahren Projekte umgesetzt, an zwei jungen Firmen haben sie sich beteiligt. Zum einen bei einer Gründung, die die Suchmaschinenoptimierung verbessert. »Das klingt auf den ersten Blick weit weg vom Kerngeschäft – aber auch wir brauchen Know-how im Online-Marketing«, berichtet Felix Wöllner. Die Zusammenarbeit verbesserte den Auftritt von CiS electronic bei Google. Zum anderen stiegen die beiden bei einer Plattform ein, die Handwerksbetriebe vernetzt. Den Fachkräftemangel kennen die beiden aus dem eigenen Betrieb. »Wir können unser Wissen und unsere

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Kontakte einbringen«, sagt Felix Wöllner. Nach und nach erarbeiten sie ihre Investmentstrategie: »Das Produkt muss disruptiv sein, das Team muss überzeugen – und im besten Fall können wir es für unser Unternehmen nutzen«, fasst Martin Wöllner die bisherigen Erkenntnisse zusammen.

Gründer freuen sich über die investitionswilligen Unternehmer. Fast jedes zweite Start-up wünscht sich einen Business Angel als Investor, zeigt der Deutsche Startup Monitor aus dem vergangenen Herbst. »Branchenwissen hilft natürlich, weil ein Teil des Angel-Daseins ›Smart Money‹ ist«, sagt der Vollzeit-Engel Matthias Helfrich. Wer im – oft unternehmerisch geprägten –Bekanntenkreis begeistert von seinem Investment erzählt, sichert dem Start-up erste Kunden. Wer kurz per WhatsAppNachricht bei einer Fachfrage hilft, erspart dem Start-up teure Beraterkosten. Und wer seinen eigenen Betrieb für Pilotprojekte bereitstellt, verhilft den Gründern früh zu wertvollen Rückmeldungen. Fachsimpeln reicht jedoch nicht, sagt Helfrich: »Entscheidender ist, dass man eine gewisse emotionale Bindung zu den Gründern oder deren Produkten hat.«

Die Unternehmerin Conny Hörl musste das lernen. »Wir wollten am Anfang in Themen wie Fitness oder Food investieren, weil wir uns da auskennen«, berichtet sie. Doch dann stellten sie und ihre Schwester Katja Ruhnke fest: Mit den eigenen Unternehmen im Rücken konzentriert sich das finanzielle Risiko bei solchen Investments zu stark auf wenige Branchen. Zudem wuchs der Wunsch, sich neue Themen zu erschließen: »Ich hatte schon so viel gesehen, da wollte ich nichts über die nächste innovative Kohlsuppe hören«, sagt Hörl. Mittlerweile besteht das Portfolio der Schwestern vor allem aus Start-ups, die einen positiven Einfluss auf Umwelt und Gesellschaft haben wollen – etwa über pestizidfreie Schädlingsbekämpfung oder Saatgut-Drohnen.

Ihre Rolle gefunden haben die Investorinnen als Sparringspartner: »Das technologische Know-how fehlt uns«, sagt Hörl. Doch mit Pitch-Trainings bereiten sie ihre Gründer auf die nächsten Finanzierungs-

Das Chef-Briefing

Vorab klären: Wer hält welchen Anteil zu welchem Wert – und hat dadurch welche Rechte? Eine gute Grundlage bieten kostenlose Musterverträge des Bundesverbands Deutsche Startups und des Business Angel Netzwerks Deutschland

Zuschuss sichern: Business Angels erhalten über das im Februar neu aufgelegte Förderprogramm »Invest« einen staatlichen Zuschuss von bis zu 25 Prozent ihrer Investitionssumme, wenn sie sich privat oder aus einer Beteiligungsgesellschaft mit mindestens 10.000 Euro an einem Start-up beteiligen

runden vor, vor wichtigen Auftritten feilen sie gemeinsam an der Rhetorik – Ruhnke ist ausgebildete Musicaldarstellerin. Und manchmal reicht es, am späten Abend noch ans Handy zu gehen, wenn ein Start-up anruft: »Manchmal ist es nur eine Schulter zum Anlehnen, die ein Gründer gerade braucht«, sagt Hörl.

Doch der Grat ist schmal: Weil Business Angels in der Regel früh an Bord kommen, sind die Bande zu den Gründern eng. Das sorgt für Nähe – und birgt die Gefahr emotionaler Auseinandersetzungen, wenn es schlecht läuft. Familienunternehmer und Start-up-Gründer brennen in der Regel beide für ihren Betrieb. Nur ihr Fokus unterscheidet sich: Die eine Seite denkt häufig an Konstanz, die andere an exponentielles Wachstum. »Mein Mann schlackert angesichts der Bewertungen häufig mit den Ohren«, sagt Hörl. Bei den einen dominiert die Sorgfalt, bei den anderen das Tempo. »Bei uns hat die kaufmännische Sorgfaltspflicht oberste Priorität«, sagt Felix Wöllner, »da ist der Austausch mit Start-ups schon eine gewisse Herausforderung.«

Dazu kommt eine viel grundsätzlichere Herausforderung für Gesellschafter mit Unternehmer-Genen: stillzuhalten. Eine umfangreiche Datenauswertung des Dienstleisters Startupdetector zeigt, dass die meisten Business Angels zwischen 25.000 und 100.000 Euro investieren und dafür ein bis fünf Prozent der Anteile erhalten, abhängig von Co-Investoren und Bewertung. Übersetzt heißt das: Daheim ist der Unternehmer Alleinherrscher, im Gesellschafterkreis des Start-ups einer von vielen. Und je größer ein Start-up wird, je mehr Risikokapital dazukommt, desto unwichtiger werden meist die ersten Unterstützer. Wer am Anfang mit Ratschlägen hilft, kann nach zwei Jahren mit Nachrichten nerven.

Wenn auf die ersten Investments weitere folgen, wenn die Freude am Business-AngelDasein wächst – dann sollte aus Zufallsbeteiligungen eine Strategie werden. Es kann sinnvoll sein, nicht direkt aus dem Familienbetrieb, sondern aus einer eigenen Investmentgesellschaft heraus zu investieren, damit die Start-up-Beteiligungen dem eigenen Betrieb bei finanziellen Engpässen nicht im Wege stehen. »Wenn sich die Start-up-Investments mit den Strategien des Hauptunternehmens vermischen, kann es kompliziert für die Investoren und auch die Gründer werden«, warnt Jellinghaus.

Grundsätzlich sind Familienunternehmer als Investoren in einer guten Position: Sie können frei entscheiden, schnelle Zusagen machen und sind nicht an die starren Investmentkriterien gebunden. Setzt sich der Trend trotz der Krise fort, kann der familiengeführte Mittelstand einiges bewegen: »Es kommt in Europa gerade sehr stark darauf an, altes Geld für Innovationen zu aktivieren«, sagt der Anwalt Jellinghaus, »die Beteiligung an Start-ups ist dafür ein guter Hebel.« Im sommerlichen Kitzbühel, mittlerweile im Veranstaltungssaal mit Hirschgeweih an der Wand, treibt Conny Hörl auch dieses Ziel um: »Wir brauchen die, die Geld aus Erbe, aus Familie, aus Verkäufen haben«, ruft sie von der Bühne herab. »Es gibt gerade jetzt viele günstige Einstiegsmöglichkeiten – ich wünsche mir, dass man einfach mal reinspringt.«

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SCHWERPUNKT FINANZIERUNG BUSINESS ANGELS

Nachhaltigkeit b rau cht g ezielte A n s töße, damit sie langfris tig wirk t W ie b ei eine m Perp e tuum mobile, da s sich nach eine m er s te n Impul s von außen immer wie der selb s t antreibt . Die se s is t z war fik tiv, dient uns von d er DZ BA N K ab e r al s Vorbild un d Haltung s grun dlag e. W ir d e nke n in K reisläufen un d unter s tü t ze n un s e re Kun d e n dab ei, nachhaltig e Ve rän d erung en anzu s toßen Dab ei hab en wir imm e r die langfris tig en Au s wirkungen un sere s Handelns im Blick S o sichern wir gemein s am die Zukunf t durch nachhaltig e Leis tung s fähigkeit . Er fahre n Sie m ehr üb er un s ere Haltung unte r: dzbank .d e/haltun g

Unter Na c h h a lt ig keit ver ste hen w i r, heute die L eistungsfähigkeit von morgen zu sichern.

Vorsicht, ansteckend!

Steigende Kosten und sinkende Nachfrage setzen viele Firmen unter Druck. Um nicht selbst zahlungsunfähig zu werden, sollten sich Unternehmer gegen Zahlungsausfälle ihrer Kunden wappnen

Eigentlich ist das Team des Dresdner Unternehmens Büromöbel-Experte sehr vorsichtig. Wenn ein neuer Firmenkunde Rollcontainer, Schiebetürenschränke oder Sideboards bestellt, holen die Mitarbeitenden eine Kurzauskunft bei Creditreform ein. Für rund zehn Euro pro Anfrage liefert die Auskunftei die wichtigsten Stammdaten eines Unternehmens und gibt eine Risikoklasse an. Klasse 1 bedeutet: Die Firma ist sehr zahlungskräftig und wird ihre Rechnungen mit einer fast 100-prozentigen Wahrscheinlichkeit bezahlen. Klasse 6 heißt: Es könnte gut sein, dass die Firma ihre Rechnung nicht bezahlt. Steht es schlecht um die Bonität des Kunden, heißt das: Nur gegen Vorkasse! Diese Vorsichtsmaßnahme lässt sich das Unternehmen immerhin etwa 4000 Euro im Jahr kosten. Und trotzdem: Jährlich werden rund 30 von 8000 Bestellungen ausgeliefert, die nie bezahlt werden. Bei

einem Jahresumsatz von neun Millionen ist das zwar kein großer Anteil, tut Paul Eilfeld, dem Chef, aber trotzdem weh.

Die Sorge, auf den gestellten Rechnungen sitzen zu bleiben, belastet immer mehr Unternehmer. Laut Statistischem Bundesamt ist die Zahl der beantragten Unternehmensinsolvenzen im Juli 2023 im Vergleich zum Vorjahr um fast ein Viertel gestiegen. Darunter große Firmen mit vielen Gläubigern, etwa das Modeunternehmen Peek & Cloppenburg. Die Tendenz seit August 2022: steigend. Das liegt neben hohen Energie- und Materialpreisen unter anderem an den auslaufenden Staatshilfen und den milderen Insolvenzantragspflichten, die während der Pandemie galten. Nun sind die Unternehmen wieder mehr auf sich allein gestellt. Der Kreditversicherer Allianz Trade beschreibt »eine sukzessive Normalisierung des Insolvenzgeschehens«. Heißt: Mehr Unternehmen gehen bankrott. Die

EGefahr: Wenn klamme Firmen nicht zahlen, kann das andere anstecken. Laut einer Umfrage des Fintech-Unternehmens iwoca unter Bankern, Maklern und Plattformbetreibern befürchten neun von zehn kleinen und mittelgroßen Firmen Liquiditätsengpässe.

»In den kommenden zwölf Monaten werden noch einige Unternehmen einknicken«, sagt Walter Stahli, der Unternehmen in Finanzierungsfragen berät. Besonders schwarz sieht er für die kriselnde Baubranche. »Der Bauboom hat bisher auch Unternehmen am Leben gehalten, die nicht gut aufgestellt waren«, sagt Stahli, »die werden jetzt nicht mehr so einfach durchkommen.« Für Unternehmer heißt das: Sie müssen noch vorsichtiger sein, um am Ende nicht selbst in Bedrängnis zu geraten. Wer schuldet mir noch was? Wen habe ich schon gemahnt? Wo ist die zweite Mahnung nötig?

Paul Eilfeld von Büromöbel-Experte macht es so: Sein internes Rechnungssystem

SCHWERPUNKT FINANZIERUNG ZAHLUNGSMORAL

versendet automatisch eine erste Mahnung, wenn ein Kunde nicht pünktlich zahlt. »Dann reagieren die meisten und zahlen pflichtbewusst«, sagt der Unternehmer. Kommt trotzdem kein Geld, versendet der Online-Shop eine zweite Mahnung und prüft den Fall individuell. Pro Jahr kommen 200 Stück zusammen. »Bei langjährigen Kunden greifen wir zusätzlich zum Telefon und haken nach«, sagt Eilfeld.

Hilft das alles nichts, geht der Fall an das Versicherungsunternehmen Atradius, bei dem Eilfeld seine Firma gegen Forderungsausfälle versichert hat. Atradius leitet für das Unternehmen ein Inkassoverfahren ein. Ist auch dieses aussichtslos, springt die Warenkreditversicherung (WKV) ein.

finanzierte Summe fällig, bis der Kunde zahlt. Wer Factoring nutzt, nimmt also weniger ein – dafür gibt es das Geld sofort.

Ein weiterer Vorteil: Während es nur wenige Warenkreditversicherer gibt, haben Firmen beim Factoring eine große Auswahl. Einige der Factorer sind auf Branchen oder Kundengruppen spezialisiert. Zahntechniker haben beim Geldeintreiben schließlich andere Probleme als Automobilzulieferer.

Paul Eilfeld hat auch schon mal auf Factoring gesetzt. »Bei unseren Kunden hat das aber immer einen faden Beigeschmack hinterlassen«, sagt der Unternehmer. Denn wer Factoring nutzt, ist vielleicht selbst eher knapp bei Kasse – dann sucht sich der Kunde für die nächste Bestellung womöglich lieber

Denn bis die WKV einsteht, können schon mal Monate vergehen. Die Deckungssumme liegt in der Regel nur bei 70 bis 80 Prozent. Das deckt meist immerhin den Material- und Personaleinsatz.

Volker Riedel rät dazu, solchen Konflikten nicht aus dem Weg gehen – auch bei altbekannten Kunden. »Es muss klar werden, dass es ernst ist«, sagt der Finanzexperte bei der Mittelstandsberatung Wieselhuber & Partner. »Da kann es helfen zu sagen: Entweder Sie zahlen ab sofort pünktlich, oder der Preis muss nachverhandelt werden.« Umgekehrt können Unternehmer darüber nachdenken, bei sehr schneller Bezahlung Skonti zu gewähren und so ihre Kunden anzuspornen, früh zu zahlen.

Rund 40.000 Euro bekommt der Geschäftsführer pro Jahr von der Versicherung erstattet. Die Versicherungsleistung kostet ihn etwa 20.000 Euro pro Jahr. Allgemein bemessen sich die Kosten einer WKV am jeweils zu erwartenden Umsatz.

Möchten es Unternehmer gar nicht erst so weit kommen lassen, können sie sich schon im Voraus mittels »Factoring« absichern. Dabei verkaufen Unternehmer ihre Forderungen direkt nach Lieferung an den Factoring-Anbieter. Gerade bei größeren Projekten, die ein Kunde erst am Ende bezahlt, kann Factoring dafür sorgen, dass man flüssig bleibt. Factoring-Anbieter zahlen dem Unternehmer meist sofort 80 bis 95 Prozent des fälligen Rechnungsbetrags. Den Rest gibt es, wenn der Kunde die Rechnung beglichen hat. Klingt bequem, kostet aber auch: Die Gebühren liegen bei um die zwei bis drei Prozent, manchmal auch deutlich höher. Zusätzlich wird ein Zins auf die vor-

einen vermeintlich stabileren Partner. Walter Stahli rät zu großer Vorsicht bei der Auswahl des Factorers: »In den vergangenen Jahren sind mehrere Factoring-Anbieter insolvent gegangen.« Seine Faustregel: Wer nicht besonders liquide ist, also schnell Geld braucht, kommt ums Factoring nicht herum. Wer dagegen Zeit hat, für den sei eine WKV-Police die bessere Wahl.

Bevor Unternehmer auf einen WKVoder einen Factoring-Anbieter zugehen, sollten sie klare Prozesse entwickeln, die vorgeben, wie sie mit Rechnungen, Mahnungen und säumigen Kunden umgehen. »Eigentlich sollte das selbstverständlich sein, aber gerade im Mittelstand erleben wir noch viele Überraschungen«, sagt der Berater Stahli. »Viele Unternehmer wissen gar nicht, wie gut oder pünktlich ihre Kunden bezahlen. Andere trauen sich nicht abzumahnen, weil sie fürchten, die Beziehung zu belasten.« Dieses Wissen ist aber bares Geld wert.

Paul Eilfeld aus Dresden erlebt solche Konflikte bisher eher selten. Aber etwas anderes macht ihm zu schaffen: »Leider wurden wir schon mehrfach Opfer von Betrug«, erzählt er. Die Masche: Der Betrüger gibt sich zum Beispiel als Mitarbeiter von Bosch aus und bestellt im Auftrag seines angeblichen Arbeitgebers. Signatur und Mailadresse sehen korrekt aus. Alles ist stimmig. Die Auskunftei bescheinigt für Bosch natürlich eine gute Bonität, Eilfeld fühlt sich sicher. Kurz vor der Auslieferung bittet der Kunde um eine Lieferung an eine andere Adresse; so etwas kann schon mal vorkommen. Doch an der neuen Adresse warten keine BoschMitarbeiter, sondern Betrüger im BoschBlaumann. Nehmen die Schiebetürenschränke, die Rollcontainer und Sideboards an, unterschreiben den Lieferschein, grinsen fröhlich – und sind weg. Das Geld kommt dann nie an, und die Versicherung zahlt meist auch nicht.

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»Es kann helfen zu sagen: Zahlen Sie ab sofort pünktlich – oder der Preis muss nachverhandelt werden«
Volker Riedel, Unternehmensberater
Illustration: Pia Bublies

Um Punkt neun Uhr im Büro erscheinen, Aufgaben abarbeiten und um 16.30 Uhr nach Hause gehen – und das teilweise sieben Tage die Woche. Spätestens seit der Pandemie haben viele Menschen und Arbeitgeber diesem starren Arbeitsmodell den Rücken zugekehrt. Der kurzzeitige Wechsel ins Homeoffice hat nämlich gezeigt: Es kann auch anders gehen. Wer beispielsweise von zu Hause arbeitet, spart sich lange Pendelwege oder kann in der Mittagspause etwas für sich selbst tun. Die Zeit im Homeoffice hat vielen Angestellten die Freiheit geschenkt, nach ihren eigenen Bedürfnissen zu arbeiten. Flexible Arbeitsmodelle, die Chance, an der Gestaltung der gemeinsamen Arbeitsroutinen teilzuhaben und die Balance zwischen Arbeit und Leben selbst zu bestimmen –das sind Werte, die unter New Work zusammengefasst werden.

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Ein Modell, das dm-drogerie markt schon seit vielen Jahren praktiziert. Zum Beispiel in Form von Räumen. Räume für Entwicklung, Dialog, Selbstständigkeit und zum Lernen. Aber nicht von oben herab: dm verfolgt das Ziel, Mitarbeitende zu befähigen, selbstständig zu lernen und zu agieren. Sie zu ermutigen, Initiative zu ergreifen und ihre Ideen einzubringen. Um sich fortzubilden, nutzen Mitarbeitende zum Beispiel die dm-Lernwelt, eine Online-Plattform, die für alle zugänglich ist und die individuelle Entwicklung fördert.

Denn dm versteht es als seine Aufgabe, Arbeitswelten zu schaffen, die Mitarbeitenden ermöglichen, ihre Arbeit als sinnerfüllend wahrzunehmen. Und das geht mit Verantwortung und Freiraum um eigene Ideen zu entwickeln und einzubringen.

Ann-Katrin Schmitz beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Influencer- und Social-Media-Marketing und hostet ihren eigenen Podcast „Baby got Business“ Als Geschäftsführerin und Arbeitgeberin erlebt und prägt auch sie neue Arbeitsweisen. Am 28. September diskutiert sie diese mit Expertinnen und Experten auf der dm-Zukunftswoche in Berlin. Wir haben sie vorab gefragt, wie sie zu New Work steht.

Stichwort: New Work. Bemerkst Du gerade einen wirklichen Wandel in der Arbeitswelt und wie sieht dieser aus?

___Ich bin selbst Millennial und für mich und meine Generation besteht das Leben eben nicht nur aus Arbeit. Warum auch?! Wir verbringen einen erheblichen Teil unseres gesamten Lebens mit Arbeit. Ich finde es in diesem Rahmen durchaus fair und angemessen, ein gewisses Maß an Selbstverwirklichung einzufordern.

Was bedeutet New Work für Dich persönlich: Welche Chancen verbindest Du mit dem Ansatz?

Eine Forderung, die vor allem von jüngeren Generationen wie den Millennials und der Gen Z häufiger gestellt wird. Sinnhaftigkeit und eine ausgewogene Work-LifeBalance sind Anforderungen, denen Arbeitgeber gerecht werden müssen. Wenn sie beim Nachwuchs punkten wollen, kommen sie also an New Work nicht vorbei, denn Gen Z und Millennials fordern die für sie wichtigen Arbeitsbedingungen selbstbewusst ein. Zu Zeiten des Fachkräftemangels bleibt Arbeitgebern daher keine andere Wahl, als alteingesessene Arbeitsstrukturen anzupassen, um neue Angestellte anzuziehen.

Millennials und die Gen Z strömen auf den Arbeitsmarkt. Welche Anforderungen bringen sie ans Arbeitsleben mit und wie müssen Arbeitgebende sich darauf einstellen?

___Arbeitgeber müssen verstehen, dass Arbeiten keine Einbahnstraße ist. Das klassische „Du arbeitest für mich und ich verfüge über Dich und Deine Zeit von 9-5“ ist überholt. Millennials und Gen Z wünschen sich eigentlich nichts Utopisches von ihrem Arbeitgeber: Wertschätzung, Flexibilität, individuelle Förderung entlang ihrer Talente und eine faire Bezahlung in unsicheren Zeiten.

___Für mich als Arbeitgeberin sehe ich hier zwei große Chancen: Erstens habe ich ein Team, auf das ich an vielen Standorten zurückgreifen kann. Findet eine Produktion in Hamburg statt, hole ich sofort meine dort lebende Kollegin dazu. Zweitens spare ich mir Kosten durch Mitarbeiter, die nicht in teuren Großstädten arbeiten, zum Beispiel weil monatliche Kosten durch Büro und Verwaltung wegfallen. Dieses eingesparte Geld gebe ich gerne zurück in den Kreislauf, zum Beispiel in Form von Gehältern. Letzte Woche hat mir eine Werkstudentin erzählt, dass sie bei uns das allererste Mal fair bezahlt wird. Das hat mich berührt und auch stolz gemacht.

Unsere Arbeitswelt wandelt sich in vielen Aspekten und neue Generationen fordern andere Arbeitsbedingungen Wir wollen wissen, wie Du sie in Zukunft siehst: Glaubst Du, dass künstliche Intelligenz Deinen Job erleichtern wird? Macht Diversität ein Unternehmen erfolgreicher? Mach jetzt bei unserer Umfrage mit und teile uns mit, wie Du zu dieser und weiteren Fragen stehst, die wichtig für uns, unsere Zukunft und unser Zusammenleben sind Wenn Du möchtest, verknüpfen wir Dich mit einem anderen Teilnehmer oder Teilnehmerin: Unterhaltet Euch darüber, was Ihr zu verschiedenen Themen denkt und erfahrt mehr über die Sichtweisen und Beweggründe Eures Gegenübers. Zusammen könnt Ihr so ganz neue Impulse und Perspektiven erfahren.

d md r o g e ri e ma rk t Gmb H + C o K G • Am d mP l a t z 1 • 76 2 2 7 K a rl sru h e
„Gen Z und Mi l l enni al s fordern di e für s i e w i c hti gen Arbei tsbe di ngungen selbstbewusst ein.“
„Arbei tgeber m üs s en vers tehen, das s Arbei ten kei ne Ei nbahns traße i s t.“
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VORGÄNGER

Die erste Generation

Alter: 69

Funktion: Gründer und geschäftsführender Gesellschafter

Anteile: aktuell noch 100 Prozent

Eine halbe Million Unternehmerinnen und Unternehmer wollen bis 2026 ihre Nachfolge regeln. Von nun an stellen wir Ihnen in jeder Ausgabe Menschen vor, denen das gelungen ist.

In Folge eins geht es um einen Unternehmer, der seinen Nachfolger adoptierte VON LEON IGEL

»Wenn ich einmal im Himmel von meiner Wolke herabschaue, soll auf den Firmengebäuden noch immer in Großbuchstaben ›BINDER‹ stehen. Wir Binders sind Unternehmer. Vor dem Ersten Weltkrieg hatten wir eine Schuhfabrik, danach eine Metallwarenfabrik, und 1983 habe ich mein Unternehmen gegründet. Nun trägt mein Sohn Michael unseren Namen – und das ehrt mich sehr. Er hat sich dazu aus freien Stücken entschieden. Und damit wird auch unser Name fortbestehen.

Michael ist 2008 in mein Leben getreten. Meine jetzige Frau hatte für ihren Sohn ein Praktikum gesucht, ich hatte ihm eine Stelle in unserem Unternehmen in Malaysia

ermöglicht. Michael hat sich bewährt – und ist geblieben. 2013 habe ich seine Mutter geheiratet, mein richtiges Leben begann. Vor zwei Jahren habe ich Michael dann adoptiert, nun sind wir offiziell eine Familie. Das bedeutet uns sehr viel.

Michael durfte sich also einen Vater aussuchen, ich mir einen Sohn. Das ist ein seltenes Privileg. Sonst ist es ja wie bei einer Wundertüte. Genauso wie es ein Glücksfall ist, ob Unternehmerkinder die Firma ihrer Eltern weiterführen können und wollen.

Lange wusste ich nicht, wer meine Firma eines Tages übernehmen würde. Sollte ich sie irgendwann verkaufen? Schwierig. Damit wäre unsere Unternehmertradition zu

Ende gegangen. Dass ich die Firma nun meinem Sohn vererben kann, macht es einfacher. Er kann sie fortführen, ohne durch allzu hohe Steuern in Risiken zu geraten.

Wichtig ist: Michael musste sich wie jeder andere in der Firma bewähren. Er hat in verschiedenen Abteilungen gearbeitet und hatte nie eine Sonderstellung, nur weil er mein Sohn ist. Das war mein Test, er hat ihn bestanden. Das Streben nach Exzellenz ist ein steiniger Weg, den man jeden Tag aufs Neue gehen muss. Deshalb braucht ein guter Nachfolger mindestens zwei Dinge: Er muss fähig sein und jeden Tag den Erfolg mit aller Kraft wollen. Michael ist mir da erstaunlich ähnlich.«

Name: Binder

Gründung: 1983

Produkte: Simulationsschränke für wissenschaftliche und industrielle Labore

Standort: Tuttlingen

Umsatz: 102 Millionen Euro (2022), davon 55 Prozent außerhalb der EU

Mitarbeiter: 490 (2022)

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GENERATIONSWECHSEL   BINDER
DIE FIRMA
Foto: Binder

Unternehmen sensibilisieren und Mitarbeitende schützen

Die Juristin Bianca Biwer leitet seit 2013 die Bundesgeschäftsstelle des WEISSEN RINGS und koordiniert die Arbeit von rund 2 700 ehrenamtlich Mitarbeitenden

I m Alltag sve r ständ nis wird sexuelle B elästig ung of t mit körp e rliche r G ewalt gleichge set z t D o ch sexuell ü b e rg riffig e s Ve rhalte n b eginnt viel frü he r, und nicht nu r zu Hau se – und richtet sich hau pt s ächlich g ege n Fraue n D e r WEIS S E R I N G ste ht de n O pfe rn sexualisie r te r G ewalt zu r Seite Sp eziell f ü r d ie Anforderu ng e n von U nte rne hm e n bietet de r WEIS S E R I N G ein u mf as se nde s For tbildu ng s ang e b ot an , u m Führungsk räf te und Mitarbeitend e e n t s p r e c h e n d zu s e n s i b i l isie re n .

Mehr als zwei von drei Frauen er fahren im Laufe ihres Lebens sexualisier te Gewalt Wenn auch nicht derar t häufig, können auch Männer zu Opfern werden Of tmals findet sexualisier te Gewalt in häuslicher Umgebung statt, aber auch am Arbeit splatz kann sie vorkommen Diese Form der

Gewalt muss nicht immer körperlicher Natur sein, sondern kann sich auch in Nötigung oder sexueller Belästigung ausdrücken »Der WEISSE RING hat es sich zur Aufg abe gemacht, ganz gezielt m i t Au f k l ä r u n g s a r b e i t U n te rnehmen zu sensibilisieren , u m d a m i t M i t a r b e i te nd e a u c h a m A r b e i t splatz vor Übergriffen zu s c h ü t ze n « , s te llt B u nd e s g e s c h ä f t s f ü h r e r i n B ia n c a B iwe r h e ra u s L a u t e i n e r St u d i e i m

D er WEIS SE RING wurde 1976 in Mainz als » Gem einnüt ziger Verein zur Unter s tüt zung von K riminalität s opfern un d zur Verhütung von Straf taten e. V.« gegr ün det un d is t mit r un d 41.0 0 0 Mitgliedern D eut s chlan ds größ te Hilf s organis ation f ür O pfer von K riminalität Bian ca Biwer is t seit 2013 B un desges chäf t s f ührerin

E I N S I CH E R E S

Unterstützen Sie die Arbeit des WEISSEN RINGS weisser- ring .de

Auf trag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes sind Frauen von sexueller Gewalt im Job doppelt so häufig betroffen wie Männer, und zwar unabhängig von Branche und beruflicher Position. »Zumeist findet sexualisier te Gewalt im Nahbereich der Opfer sta tt«, so Biwer, »in diesen Nahbereich fällt dementsprechend auch der Arbeitsplatz «

I H R E U N T E R N E H M E N S S P E N D E H I L F T

A R B E IT S U M FE LD B I E TE N Fak t ist, dass der oder die Arbeitgebende gesetzlich verpflichtet ist, seine Mitarbeitenden vor sexualisier ter Gewalt zu schützen und ihnen damit ein sicheres A r b e it s u mfe l d z u b i ete n J e d e r Vo r f a ll v o n s e x u a l i s i e r t e r G ew a l t w i r k t s i c h i n d e s n e g a t i v a u f d a s B e t r i e b s k l i m a a u s , w e s h a l b e i n e P r äve n ti o n s- u n d Au fklä r ungs a rb eit im Sin n e d e r Unternehmensleitung ist Zudem haben alle Arbeitgebenden nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz die Auflage, eine betr i e b s i nte r n e B e s c hwe rd e s te ll e e i n z u r i c h te n und das Kollegium darüber zu informieren »Um also Opfern eine Plattform bieten zu können und auch schon präventiv vorzugehen, sollten sich Arbeit-

U n t e r n e h m e n k ö n n e n a n s t e l l e v o n G e s c h e n k e n b e i J u b i l ä u m s - o d e r W e i h n a c h t s f e i e r n z u s a m m e n m i t d e n M i t a r b e i t e n d e n d e m W E I S S E N R I N G

e i n e S p e n d e z u k o m m e n l a s s e n S i e h e l f e n d a d u r c h n i c h t n u r d e n O p f e r n v o n K r i m i n a l i t ä t , s o n d e r n s t ä r k e n d u r c h d i e g e m e i n s a m e A k t i o n

a u c h d e n Te a m g e i s t i m e i g e n e n B e t r i e b S p e n d e n s i n d m ö g l i c h u n t e r s p e n d e n .w e i s s e r - r i n g . d e o d e r I

g e b e n d e d e r H e r a u s f o r d e r u n g s te l l e n , A u f k l ä r u n g s a r b e i t b ewusst ins Unternehmen zu integrieren«, fasst Biwer zusammen

Mit ans Unternehmen angepassten Konzepten zum Thema Opferschutz und Prävention können Unternehmen ihre Exper tise aus- und weiterbilden, um damit auch langfristig das sichere A rb eit sumfeld zu gewährleisten

Auch für Einzelpersonen, etwa Recht s anwältinnen und Recht sanwälte, Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter oder Psychologinnen und Psychologen, die in ihrem beruflichen Kontext mit Opfern sexualisier ter Gewalt in Ber ü h r u n g ko m m e n , b i e te t d i e WEIS S ER R I N G A ka d e mie e ntsprech e n d e S e mina re a n .

I n fos u n te r: wr - a ka d e m ie.we i s se r - ri n g .d e

F o t o : © A n g e l i k a S t e h l e / W E I S S E R R I N G ANZEIGE
B A N
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NACHFOLGER

Die zweite Generation

Michael Binder-Pfaff

Alter: 39

Funktion: Vice President

Sales & International

Organizations mit Prokura

Anteile: bisher 0 Prozent

»Ich stehe vor einer Aufgabe mit Verantwortung: Ich darf das Lebenswerk von Peter Binder fortführen. Das war lange nicht klar. Peter wurde mir zum Vater. Das hieß aber nicht automatisch, dass ich auch die Firma übernehme. Wir haben viel darüber gesprochen, ob ich mir das überhaupt zutraue. Ich hätte das Unternehmen nicht übernehmen müssen. Er hat mich nicht adoptiert, damit ich sein Nachfolger werde, sondern weil wir zu einer Familie geworden sind.

Mein Vater wollte, dass ich mich in der Firma beweise. Also habe ich in allen Un-

ternehmensbereichen gearbeitet und quasi eine ganze Reihe von Prüfungen absolviert. Als hätte ich eine Checkliste abgehakt: fachliche Qualifikation zeigen, hartnäckig sein, Leistungs- und Verantwortungsbewusstsein demonstrieren. Mein Vater weiß, was ein guter Unternehmer braucht. Von ihm habe ich viel gelernt.

Jetzt planen wir die Nachfolge. Das Unternehmen existiert in der ersten Generation. Wir haben also keine Erfahrung damit, wie das abläuft. Deshalb besprechen wir die Übergabe bei jeder Gelegenheit innerhalb der Familie und lassen uns auch

beraten. Da gibt es Themen, die man so gar nicht auf dem Radar hat. Ich finde, ein paar einfachere Gesetze und Regeln würden nicht schaden.

Wann genau ich die Unternehmensleitung von Peter übernehme, ist noch nicht klar. Sein Credo ist: Erst kommt das Unternehmen, dann die Familie. Da geht man natürlich nicht von heute auf morgen. Ich verstehe das. Wenn ich darüber nachdenke, was die vergangenen Jahre passiert ist und was für eine Aufgabe vor mir liegt, wird mir manchmal schwindelig. Ich bin jetzt ein Binder.«

I. Was kann der andere von Ihnen lernen?

Vater: Visionäres Denken.

Sohn: Klare Strukturen und Prozesse.

II. Ihr Vater/Sohn kommt zu Ihnen und sagt, er möchte für ein Jahr ins Sabbatical gehen. Was sagen Sie?

Vater: Michael, das lassen wir lieber bleiben!

Sohn: Okay!

4 FRAGEN, 8 ANTWORTEN

III. Ein Bewerber stellt sich beim jeweils anderen von Ihnen beiden vor. Welche Tipps schreiben Sie dem Bewerber auf seinen Spickzettel?

Vater: Selbstverständlich gar keinen!

Sohn: Komm zum Punkt, nicht rumeiern.

IV. Eine namhafte Organisation möchte entweder Sie als Unternehmer des Jahres

ehren – oder stattdessen Ihren Vater/ Sohn. Mit welchen Argumenten überzeugen Sie die Organisation von sich?

Sohn: Das hat mein Vater verdient, nicht ich! Er hat das Unternehmen groß gemacht. Ich bleibe gerne im Hintergrund.

Vater: Wenn schon, dann als Unternehmen des Jahres. Um mich geht es überhaupt nicht.

Sie kennen ein interessantes Nachfolge-Doppel aus dem Mittelstand? Dann schreiben Sie uns an: unternehmer-magazin@zeit.de

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GENERATIONSWECHSEL   BINDER
Foto: Binder

Seit 1993 zeichnet der Innovationswettbewerb TOP 100 die innovativsten Mittelständler Deutschlands aus.

Sie werden durch ein unabhängiges, wissenschaftliches Benchmarking ermittelt und erhalten das begehrte TOP 100-Siegel – die Eintrittskarte zum Netzwerk der Besten.

Anmelden bis 31. Oktober 2023 w w w.t o p 1 0 0 . d e

F A C H K R Ä F T E M A N G E L ? N I C H T B E I U N S !

Qualifizierte Arbeitskräfte scheinen in vielen Bereichen zu fehlen. We g s i n d s i e n i c h t – u n d k l u g e U n t e r n e h m e n w i s s e n g u t e Leute für sich zu begeistern. Wie und womit, das wird der Deutsche Fachkräftepreis sichtbar machen.

I n D e u t s c h l a n d s i n d i m S e pt e m b e r 2 0 2 3 r u n d 7 7 1 0 0 0 of fe ne Stellen bei der Bunde sagentur f ür A rbeit gemeldet –Tendenz s teigend . Der Bedar f an Fachk r äf ten bir g t f ür v iele Unternehmen ein enormes Ges c h ä f t s r i s i ko . St a t t d e n Kopf in den S and zu stecken , haben einige von ihnen clevere St r ategien e nt w ickelt . S o g e h ö r e n e t w a d i e F ö r d er u n g i n t e r n e r We i t e r b i l d u n g u n d d i e Tal e nt a kq u i s e zu d e n e f f e k t i v s t e n L ö s u n g s w e g e n Daneben gibt e s aber noch v iel e w e i t e r e k r e a t i v e A n s ä t z e W i e s i e h t e s b e i I h n e n a u s?

G e h ö r e n S i e zu d e n A r b e i t geber*innen , die e s ge schaf f t haben , kluge Köpfe und helfende

H ä n d e l a n g f r i s t i g zu b i n d e n?

W i e i s t I h n e n d a s g e l u n ge n? E r z ä h l e n S i e u n s d a v o n ! U m j u n g e Ta l e n t e u n d ko mp e t e n t e Mit arbeitende zu f inden und zu fördern, braucht es noch mehr A u s t a u s c h . U n d e s b r a u c h t Vorbilder wie Sie , die ge s ehen u n d g e w ü r d i g t w e rd e n A u s d i e s e m G r u n d h a t d a s B u n d e s m i n i s t e r i u m f ü r Arbeit und Soziales (BMA S) den D e u t s c h e n F a c h k r ä f t e p r e i s i n s L e b e n ge r u fe n . B e we r b e n k ö n n e n s i c h U n t e r n e h m e n , N e t z wer ke un d Ins t it u t i o n e n , die er fol greich neue Wege zur F a c h k r ä f t e s i c h e r u n g e n t w ic ke l t u n d u m g e s e t z t h a b e n . Die innov ati vs ten A ns ät ze werd e n a m 2 6 . F e b r u a r 2 0 24 i n B e r l i n a u s g e z e i c h n e t

3 FRAGEN AN HUBERTUS HEIL

B u n d e s m i n i s te r f ü r A r b e i t u n d S oz ial e s

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1

W i e kö n n e n S i e U n t e rn e h m e n b e i d e r S i c h er u n g v o n F a c h k r ä f t e n unte r s tüt ze n?

Mit der Fachkr äf tes tr at gie unte r s t ü t z t d i e B un d e s regierung Unternehmen mit e i n e m g a n z e n B ün d e l von M a ß n a h m e n . M i t i h n e n s o l l u n t e r a n d e r e m e i n e z e i t g e m ä ß e A u s b i l d u n g u n d g e z i e l t e W e i t e r b i ldung e r m ög l icht , A r b e it sp o t e n z i a l e w i r k s a m e r g ehoben , die A rbeit squalit ät v e r b e s s e r t s o w i e d i e E i nw a n d e r u n g vo n Fa c h k r ä fte n e r le ic hte r t we rd e n

We l c h e E r f o l ge ko n n t e d a s B M A S b i s h e r v e rze ich ne n?

M i t d e m A u s- u n d We i t e rbildungsgeset z verbessern w i r d i e F ö rd e r m ö g l ic h ke it e n f ü r A u s b i l d u n g u n d Q u a l i f i z i e r u n g . D a s B ü rge r ge l d u nt e r s t ü t z t L a n gzeit ar beit slos e ge zielt mit B i l d u n g s a n g e b o t e n , u m s i e e r f o l g r e i c h i n d e n A rbeit smar k t zu integ r ieren Z u d e m hab e n w i r d a s E inw a n d e r u n g s r e c h t m o d e rnisier t , um noch mehr qualif izier te Zuwanderung zu e r m ög l ic h e n

A NZE IG E

D E U T S C H E R F A C H K R Ä F T E P R E I S

In diesen Kategorien zeichnet die Bundesregierung vorbildliche Ideen aus:

A R B E I T S K U LT U R W i e ge s t alte t s i c h e i n e n a c h ha lt ige Pe r s o na ls t r at e g i e u n d w e l c h e

A r b e i t s k u l t u r b i n d e t

A r b e i t s k r äf te l a n g f r i s t ig?

FAC H K R Ä F T E -

Z U WA N D E R U N G

W i e ge l i n g t d i e E i n s te l l u n g u n d I nte g r at i o n vo n A r b e i t s k r äf te n au s d e m A u s l an d ?

AU S B I L D U N G

W i e k an n m a n j u n ge n M e n s c h e n s p a n n e n d e Pe r s p e k t i ve n e r m ö g l ic h e n?

W E I T E R B I L D U N G W i e k a n n d a s Pot e n zia l d e r B e s c h äf t i g te n ge s t ä r k t we rd e n?

DIG I TA L E A N S ÄT Z E W i e kö n n e n d i g i t a l e A n s ät ze u n d Kü n s t l i c h e I nte l l i ge n z b e i d e r Fa c hk r äf te s i c h e r u n g h e lfe n?

I N N OVAT I V E S N E T Z W E R K Welche regionalen Net zwerkans ät ze e r m ö g l i c h e n e s A r b e i t g e b e r, d i e Pote n z ia l e vo r O r t b e s s e r zu nut zen?

W a s e r h o f f e n S i e s i c h vo m e r s t e n D e u t s c h e n Fachk r äf te p re i s?

D i e A u s ze ic h n u n g s o l l i nnovative Ansät ze und gute B e i s p i e l e d e r S i c h e r u n g von Fachkr äf ten w ürdigen u n d zum Nachahmen einl aden Mit K reativit ät und E n g a g e m e n t l e i s t e n U nternehmen und Initiativen schon h e u te e i n e n h e r au sr a g e n d e n B e i t r a g z u r S ic h e r u n g u n d E n t w i c k lung u n s e r e r F a c h k r ä f t e b a s i s D a s s t ä r k t n i c h t n u r d i e Wet tbewer bs f ähigkeit u ns e re r W i r t s c haf t , s o n d e r n n a t ü r l i c h a u c h d e n s oz i al e n Z u s a m m e n h a l t

E R W E R B S P O T E N Z I A L E

Welche Rahmenbedingungen

förder n das Potenzial von F r a u e n , ä l t e r e n A r b e i t n e h -

m e r*i n n e n , M e n s c h e n m i t B e h i n d e r u n g o d e r L a n g ze i ta r b e i t s l os e n?

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Preis verleihung in Berl in pr ämier t .

Die Vergabe des Deut schen Fachkr äf tepreises f indet unter A nwesenheit des Schirmher r s , B unde sminis ter Huber t us Heil , und einer ho chkar ät igen Jur y s t at t Mit dabei sind außerdem gel adene Pressever treter*innen. Die Preisträger*innen prof itieren nicht zu l e t z t vo n e i n e m b r e i t e n Ko m m u n i k a t i o n s p a ke t u n d m e d i a l e r A u f m e r k s a m ke i t

Möchten Sie dabei sein? Dann bewer ben Sie sich j e t z t b i s zu m 31 . O k t o b e r 2 02 3 u nt e r d i e s e m L i n k : w w w.deut scher-f achk r äf tepreis .de

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Springen lernen

Mit der Innovationsagentur Sprin-D soll Rafael Laguna de la Vera dafür sorgen, dass die Zukunft wieder made in Germany wird.

Kann das klappen?

UNTERWEGS MIT …   RAFAEL LAGUNA DE LA VERA Foto: Sprin-D
VON DANIEL ERK

Das Kanzleramt riecht nach Bratwurst. Auf der Westloggia des Dienstsitzes von Olaf Scholz, mit Blick über Spree und Tiergarten, grillen tätowierte Cateringleute trotz heftigster Regengüsse Würste und Fleisch; drinnen, im achten Stock, sitzen »150 Gründerinnen und Gründer, Enabler und Investoren«, wie es später in der Pressemitteilung heißt, auf den Stufen vor den Räumen des Bundeskanzlers.

In dieser »Skylobby« findet an diesem grauen Sommertag das »1. Start-up-Forum Ostdeutschland« statt, unter den Rednern: Carsten Schneider, der Ostbeauftragte der Bundesregierung, der zu der Veranstaltung eingeladen hat. Die SPD-Bundestagsabgeordnete Verena Hubertz, die früher mal ein Start-up für Kochrezepte leitete. Und Rafael Laguna de la Vera, der Mann, auf dem nicht nur im von Bratwurstduft erfüllten Kanzleramt sehr, sehr große Hoffnungen ruhen.

Laguna, so nennen ihn alle, hat mit 16 sein erstes Softwareunternehmen gegründet, ist seit über 20 Jahren Investor und vor allem durch seine Erfolge im Bereich Open Source und Linux bekannt. Seit 2019 ist er Gründungsdirektor einer Bundesagentur namens Sprin-D – der Name ist eine wortspielerische Komposition aus den Begriffen Sprung, Innovation und Deutschland. Seine Aufgabe: dafür sorgen, dass die Zukunft wieder made in Germany wird. Zum Start, erzählt Laguna, habe ihm die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel mitgegeben: Herr Laguna, hauen Sie nicht in den Sack! Was wohl so viel heißen sollte wie: Scheitern ist keine Option.

Laguna trägt an diesem Tag, wie sehr oft, ausschließlich Schwarz: schwarze Sneaker, schwarze Hose, schwarzes T-Shirt, ein schwarzes Jackett und ein schwarzes, kantiges Brillengestell, dazu einen grau melierten Dreitagebart, der den fast 60-Jährigen jünger wirken lässt, als er ist.

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D
Gleich informieren unter #AufstockungWagner auf w w w.baufrit z.de
Woh n rau m schaf fen? In d ie Höhe den ken.

Auch an diesem Tag stellt sich Laguna mit seiner Lieblingspointe vor: »Mein Name ist Rafael Laguna de la Vera«, sagt er. »Und wie Sie an meinem Namen sofort merken, bin ich gebürtiger Leipziger.« Das ist natürlich ein etwas plumper Witz – und doch ist es Laguna ernst damit. Er will, dass die Menschen aus Wirtschaft und Politik hinhören, dass sie, und sei es für einen kleinen Gag, ihre Klischees hinterfragen. Und er will gute Laune verbreiten. Ohne gute Laune, da ist er sich sicher, wird das nämlich nichts mit den Sprunginnovationen.

Laguna ist in Leipzig geboren und hat bis zu seinem zehnten Lebensjahr in der DDR gelebt, 1974 durfte die Familie aufgrund seines spanischen Vaters in den Westen ausreisen. Er wuchs im Sauerland auf, studierte Informatik in Dortmund und absolvierte 1998 einen Business-Master an der renommierten US-amerikanischen Harvard Business School. Zu diesem Zeitpunkt hatte er schon drei Softwarefirmen gegründet und seine Anteile bereits wieder verkauft.

Es ist eine volle Woche für Laguna: Neben dem Start-up-Forum Ostdeutschland ist er am Montag zu Gast bei einem Parlamentarischen Abend des CDU-Wirtschaftsrats, ist am Dienstag beim »Creative Destruction Lab« einer Wirtschaftshochschule und bei einer Veranstaltung namens »Sovereign Cloud Stack Summit«, wo er vorträgt, warum digitale Souveränität für Innovation, Frieden und Demokratie so wichtig sei. Und am Mittwoch erörtert er beim »Tag der innovativen Gesundheitsindustrie« mit der Bundesministerin für Bildung und Forschung, Bettina Stark-Watzinger, wo eigentlich Innovationen herkommen. Und was Sprunginnovationen überhaupt sind.

Dass die Innovationen nämlich »springen« sollen, hat zwei Gründe. Der offizielle: weil es immer wieder Innovationen gibt, die nicht bloß durch das Optimieren von Prozessen, günstigeres Produzieren und ständiges Verbessern irgendwelcher Technologien entstehen. Sondern die echte Sprünge markieren und das Leben grundsätzlich verändern: Impfungen, das Auto, Mikrochips, das Internet. In dem Buch Sprunginnovation – Wie wir mit Wissenschaft und Technik die Welt wieder in Balance bekommen, das

40 %

beträgt der Anteil der Innovatoren im Mittelstand laut der KfW. Damit ist die Quote zuletzt etwas gesunken

Hochschulen und Forschungsinstituten nicht etwa intensiviert haben, sondern sogar schleifen lassen, wie die repräsentative Befragung unter 1000 Unternehmern zeigt. Die Frage, die Laguna beantworten soll, lautet also: Wie kommen Innovationen über diesen Graben zwischen Wissenschaft und Wirtschaft, zwischen Forschung und Finanzierung?

Nach seinem Vortrag steht er auf den Stufen zwischen ostdeutschen Erfindern einer neuartigen Beinprothese, die so konstruiert ist, dass sie in Entwicklungsländern bezahlbar wäre. Und rechts neben ihm steht jemand mit einer Umlaufmappe einer Bundesbehörde. Damit wäre Lagunas Aufgabe schon ganz gut beschrieben: Er ist Mittler zwischen der großen, oft bürokratischen Politik – und dem deutschen Erfindergeist.

Laguna mit dem Wissenschaftsjournalisten Thomas Range verfasst hat, heißt es etwas pompös: »›Innovare‹ heißt ›erneuern‹. Es heißt nicht ›ein bisschen besser machen‹.«

Der andere, inoffizielle Grund: weil in Deutschland eine Lücke klafft. Und zwar zwischen der Grundlagenforschung deutscher Universitäten und dem Research & Development der Unternehmen, die die Erkenntnisse erst übernehmen, wenn sie einen Markt und eine Refinanzierung erkennen. In dieser Lücke, das ist die Vermutung, versinken zu viele gute Ideen. Und kommen deswegen nicht in der Wirtschaft an.

Das spiegelt sich sehr eindrücklich in Zahlen: Nach Berechnungen der KfW ist die Quote der Innovatoren im Mittelstand zuletzt auf 40 Prozent gesunken. Trotz des Hypes um künstliche Intelligenz, trotz der Bestrebungen, nachhaltiger zu wirtschaften. Und laut einer Studie von IW Consult für die Bertelsmann Stiftung vom Mai ist der Anteil der »besonders innovativen« Unternehmen in Deutschland in den vergangenen drei Jahren von 25 auf 19 Prozent zurückgegangen. Was auch daran liegt, dass die Firmen ihre Zusammenarbeit mit

Für all das gibt es, was die Lage für Laguna nicht einfacher macht, ein großes –manche sagen: ein zu großes – Vorbild: die 1958 von US-Präsident Eisenhower gegründete Defense Advanced Research Projects Agency der USA, kurz Darpa. Sie ist so etwas wie der Brutkasten all jener Dinge, die die US-Wirtschaft, speziell Firmen aus dem Silicon Valley, in den letzten 50 Jahren so erfolgreich gemacht haben. Die Bilanz ist, man kann es eigentlich nicht anders formulieren: irre. Die Darpa hat in den Fünfzigerjahren die Erfindung von Spionagesatelliten gefördert, aus denen später GPS hervorging. In den Sechzigern entwickelte sie erste Vorläufer des Internets. In den Achtzigern investierte die Agentur Gelder in die Entwicklung von Spracherkennungssoft ware. 2004 veranstaltete sie Autorennen von fahrerlosen Fahrzeugen, der Grundstein des autonomen Fahrens. Und 2013 investierte die Darpa 25 Millionen Dollar in eine kleine, unbekannte Firma, die glaubhaft machen konnte, dass ihre Idee – wenn sie denn funktionierte – das Impfen für immer verändern würde. Der Name der Firma: Moderna. Die Idee: mRNA-Impfstoffe.

»Wenn dann Leute die Geschichte erzählen: Silicon Valley, freier Markt – so ein Quatsch. Mehr geht nicht an Subventionspolitik«, sagt Laguna. »Die ganzen Unternehmen im Silicon Valley haben jede Menge Geld für Research und Funding bekommen

54 UNTERWEGS MIT …   RAFAEL LAGUNA DE LA VERA

» E s g e h t u m h e u t e , n i c h t u m m o r g e n ! «

M i t d e m F ü h r u n g s a n s a t z N O W L e a d e r s h i p r ü c k t d i e B e r l i n e r S t r a t e g i e b e r a t u n g

s a s s e r a t h N O W j e d e n M i t a r b e i t e n d e n m i t s e i n e n F ä h i g k e i t e n i n d e n F o k u s –

i m H i e r u n d J e t z t . D a s E r g e b n i s i s t o r g a n i s a t i o n a l e L e i s t u n g s f ä h i g k e i t m i t e i n e m H ö c h s t m a ß a n i n d i v i d u e l l e m F r e i r a u m N e u e r N a m e , n e u e C h e f i n , n e u e r A ns a t z : D i e u n a b h ä n g i g e S t r a t e g i e b e r a t u n g s a s s e r a t h + m i t F i r m e n s i t z i n B e r l i n h e i ß t j e t z t s a s s e r a t h N O W. D a m i t u n t e r s t r e i c h t d a s U n t e r n e h m e n s e i n e D e n k - u n d Vo rg e h e n s w e i s e E s h i l f t , M e n s c h e n , M a r k e n u n d O r g a n i s a t i o n e n , i h r e E i n z i g a r t i g k e i t i m J e t z t w i r k s a m z u m a c h e n . W i e d a s e r r e i c h t w e r d e n k a n n , e r l ä u t e r t i m I n t e rv i e w A n n a L ü d e r s , d i e E n d e A p r i l z u r C E O a u f g e s t i e g e n i s t .

S t r a t e g i e b e r a t u n g e n g i b t e s v i e l e . W a s u n t e r s c h e i d e t s a s s e r a t h N O W v o n a n d er e n ?

Wir denken Beratung neu. Die meisten haben bei ihrer Arbeit das Next im Visier Wir konzentrieren uns auf das Jetzt und die Einzigartigkeit von Menschen, Marken und Organisationen. Ob bei Kundinnen, Kunden oder intern – wir können und wollen nicht mit bekannten Standardlösungen arbeiten, sondern lassen uns empathisch auf die individuellen Bedürfnisse ein und fokussieren uns auf die jeweilige Einzigartigkeit. Wir stehen für strategisches Denken gepaart mit Kreativität und für eine Wertschätzung gegenüber der Herkunft für die Zukunft. Denn wir glauben fest an das Prinzip des Yin und Yang für Entwicklung.

A n n a L ü d e r s Die Wirtschaftspsychologin ist seit Ende April CEO von sasserathNOW. Zuvor war sie Managing Partner und Director Strategy Die 32-Jährige vereint unternehmerisches Denken mit einer fundierten psychologischen Ausbildung.

le Leistungsfähigkeit in Kombination mit einem Höchstmaß an individuellem Freiraum.

I s t d e r E r f o l g v o n N O W L e a d e r s h i p m e s sb a r ? W e n n j a , w i e ?

Der Erfolg von NOWLeadership kann anhand der Zufriedenheit der Mitarbeitenden in Kombination mit der wirtschaftlichen Performance gemessen werden. Sind die Mitarbeitenden gerne in der Organisation tätig? Identifizieren sie sich mit dem Unternehmen? Haben sie Spaß an ihrer Arbeit? Wie hoch ist die Fluktuation oder die Bindung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter? Alles Fragen, deren Antworten Aufschluss geben. Zudem geht es darum, qualitativ herauszuarbeiten, wie die erforderlichen Fähigkeiten und Werte gelebt werden können. Es geht in gleichem Maße darum, die Individualität jeder und jedes Einzelnen wertzuschätzen, selbst wenn nicht jede oder jeder über die gleichen Fähigkeiten verfügt. Daher wäre ein rein standardisierter KPI-Ansatz in diesem Fall nicht zielführend.

S o n d e r n w a s i s t z i e l f ü h r e n d ?

I h r A n s a t z d a b e i i s t N O W L e a d e r s h i p W a s g e n a u s t e c k t d ah i n t e r ?

Es geht um heute, nicht um morgen. So steht für uns die direkte Wirkung im Jetzt klar im Fokus. NOWLeadership hat unmittelbar Impact und schafft es durch die Kombination aus Empathie, Diversität und Performance, eine Vision aufzuzeigen und Beziehungen einzigartig zu entwickeln. Wir sehen uns als Führungskräfte, die den Rahmen definieren und so Halt und Orientierung geben, damit sich Menschen, Marken und Organisationen individuell und frei entfalten können. Dafür benötigt es in einem Führungsteam unterschiedliche Persönlichkeiten mit verschiedenen Erfahrungen und Fähigkeiten. Denn Kreativität entsteht durch Diversität und Heterogenität. Das Ergebnis ist organisationa-

Empathie ist heutzutage wichtiger denn je Das bedeutet, Perspektivwechsel zuzulassen, Einzigartigkeit zu feiern und die Bedürfnisse der anderen zu verstehen. Dazu braucht man aber auch eine Organisation, die Unterschiedlichkeit fördert und zulässt. Erst durch komplementäre Ansichten, Erfahrungen und Einstellungen können alle Facetten einer Herausforderung beziehungsweise Fragestellung beleuchtet und bestmöglich und effektiv bearbeitet werden. Und es braucht eine Leistungskultur, die den wirtschaftlichen Erfolg sicherstellt. Dieses organische Zusammenspiel aus wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit und Menschlichkeit ist der Schlüssel zum Erfolg.

s a s s e r a t h N O W

Die unabhängige Strategieberatung hilft Menschen, Marken und Organisationen, ihre Einzigartigkeit wirksam zu machen. Das Team arbeitet unter anderem für Unternehmen wie Porsche, die Rewe Group oder die Deutsche Telekom.

A N Z E I G E
s a s s e r a t h + c o n s u l t a n t s G m b H S c h r ö d e r s t r a ß e 7 , 1 0 1 1 5 B e r l i n h e l l o @ s a s s e r a t h n o w c o m V o r d e n k e r D i g i t a l i s i e r u n g

und hatten dank des Militärs die Auftragsbücher voll.«

Die Antwort auf die Frage, wie die Forschung springen lernen soll, könnte also lauten: mit Steuergeld. Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Viel wichtiger ist: ohne politische Einmischung. Und das ist Lagunas vielleicht größte Aufgabe: den großen Drachen der deutschen Bürokratie zu erlegen –oder wenigstens zu zähmen. Dass das nicht leicht werden würde, sei von Anfang klar gewesen: »Wenn du der Bürokratie sagst: ›Du musst dich entbürokratisieren‹, ist das, als würdest du den Fröschen sagen, sie sollen den Teich austrocknen«, sagt er und lacht.

Schon bei der Art und Weise, wie die Agentur rechtlich etabliert wurde, erzählt Laguna, sei die Regierung Merkel nicht den Vorschlägen der Gründungskommission gefolgt. Mit der Konsequenz, dass Sprin-D quasi jeden Bleistift und jeden Klammerapparat nach den Regeln des Bundesrechnungshofes abrechnen musste. Selbst Bundeskanzlerin Merkel erklärte, das Set-up sei »sehr deutsch« und die zu erwartenden Ergebnisse seien »nicht so dramatisch«. Da half das vergleichsweise ordentliche Anfangsbudget von zehn Milliarden Euro für zehn Jahre wenig. »Daher«, merkte Merkel zwei Jahre nach der Gründung etwas spitz an, »ist der Sprung noch relativ klein.«

Es gibt nicht nur bürokratische Probleme, sondern auch inhaltliche Kritik: Als Sprin-D mehr als 19 Millionen Euro in die Datenbank-Software CortexDB investierte, recherchierte die Hackerin Lilith Wittmann, die unter anderem durch die Aufdeckung von Datenlücken bei der CDU bekannt geworden war, dass die Firma während ihrer zehnjährigen Existenz weder Gewinne erwirtschaftet noch einen erkennbaren technologischen Vorteil gegenüber anderen, vergleichbaren Systemen erreicht habe. »Der Staat gibt also mal wieder eine größere Summe für eine totale Quatschtechnologie aus«, schrieb Wittman damals auf Twitter. »So was passiert, wenn der Staat VC spielt«, also als Wagniskapitalgeber auftrete.

Doch es tut sich was. Sprin-D hat in den letzten drei Jahren über 1200 Projektvorschläge begutachtet und mehr als 60 davon positiv bewertet. 13 Tochterfirmen hat die

34 Mrd.

Euro haben Deutschlands Mittelständler 2021 in die Entwicklung von Innovationen investiert. Vor allem sehr kleine Firmen haben ihre Ausgaben deutlich reduziert

Agentur gegründet und hält derzeit fünf große Forschungswettbewerbe, sogenannte Challenges, ab, bei denen ursprünglich 33 Teams im Wettstreit Fragestellungen bearbeiteten; 24 davon sind noch im Rennen.

Einen kleinen »Chip-ManufacturingBoom«, sagt Laguna, hat seine Agentur ausgelöst, mittlerweile glauben die globalen Chiphersteller wieder an den Standort Deutschland, wenigstens ein bisschen: Der taiwanische Halbleiterhersteller TSMC errichtet mit Bosch und Infineon ein neues Werk in Dresden und investiert nach Angaben der Bundesregierung mindestens zehn Milliarden Euro. Der Chiphersteller Intel investiert gut 17 Milliarden Euro in eine neue Fabrik in Magdeburg, die mindestens 10.000 Arbeitsplätze schaffen soll. Zudem wurde das Budget der Agentur aufgestockt, auf 160 Millionen Euro pro Jahr, für 2024 hat die Bundesregierung sogar 240 Millionen Euro vorgesehen. Verglichen mit dem Budget der Darpa und gemessen an der Einwohnerzahl Deutschlands stehe man so schlecht nicht da: »Wir verdoppeln unser Engagement jedes Jahr. Das Tempo könnten wir sicherlich noch drei, vier Jahre halten.«

Den größten Erfolg konnte Laguna vor wenigen Wochen verzeichnen: das SprinD-Freiheitsgesetz, das Ende Juli vom Kabinett beschlossen wurde und noch dieses Jahr vom Bundestag verabschiedet werden soll. Etwas bürokratisch heißt es im Kabinettsentwurf, das Gesetz solle »Entscheidungskompetenzen bündeln«, »überjährige Haushaltsführung« ermöglichen, um »auf Änderungen bei hochrisikoreichen Projekten unmittelbar reagieren« zu können. Es sehe »eine Einschränkung des Besserstellungsverbotes« vor, was heißt, dass Laguna seine Mitarbeiter besser bezahlen darf als sonst üblich im öffentlichen Dienst. Bei aller Zurückhaltung: Damit hat Laguna den Drachen Bürokratie relativ weitgehend an die Kette bekommen. Und, da ist er optimistisch, das soll erst der Anfang sein. »Wenn erst einmal die ersten Leuchtturmprojekte da sind und zeigen, was man kann, wird das Grundprinzip der Agentur besser zu verstehen sein«, sagt Laguna. »Und dann wird es auch politisch einfacher, die notwendigen Mittel für die großen Innovationen zu bekommen.«

Denn die braucht Laguna – und die braucht Deutschland. Mit ihrem Aufholversuch ist Sprin-D nicht allein. »Eine wachsende Zahl von Regierungen hofft, Amerikas Darpa zu kopieren«, stellte der Economist 2021 fest. Japan arbeitet an einer Innovationsagentur namens Moonshot Research & Development Programme (Budget: eine Milliarde Dollar für die ersten fünf Jahre), Großbritannien hat die Advanced Research and Invention Agency gegründet, und vergangenen Dezember hat der US-Kongress auf Initiative von Präsident Biden der Einrichtung einer neuen, Arpa-H genannten Agentur zugestimmt, die sich um Gesundheitsfragen kümmern und, nach Möglichkeit, den Krebs für immer besiegen soll.

Auch die Projekte, die Sprin-D fördert, klingen – zumindest für Unbedarfte – nach leuchtendem Futurismus, nach ScienceFiction und den Wimmelbildern voller Schnellzüge, Hochhäuser und Flugkapseln aus der Buchreihe »Das neue Universum«.

Da wären die SpiNNaker2-Chips: »Multiprozessorsysteme für die ereignisbasier te Echtzeitverarbeitung«, letztlich

UNTERWEGS MIT …   RAFAEL LAGUNA DE LA VERA

Chips, die das menschliche Gehirn nachahmen. Oder die Smart Materials von SolyPlus, steuerbare Materialien mit mechanischen, chemischen oder pharmakologischen Eigenschaften, deren Weiterentwicklung finanziert wird. Oder die »passgenauen Virenfallen« der Sprin-D-Tochter Capsitec, die mittels »DNA-Origami« zu Wirkstoffen gegen Influenza und Sars-CoV-2 weiterentwickelt werden sollen.

Weil all das furchtbar komplex ist, erzählt Laguna bei Veranstaltungen gerne zwei andere Geschichten: die des Dateiformats MP3, das die Fraunhofer-Gesellschaft in den Achtzigerjahren entwickelte, aber das erst durch den iPod von Apple zum Verkaufsschlager wurde. Und die des 92-jährigen Ingenieurs Horst Bendix, der Laguna bei der Eröffnung von Sprin-D eine Kladde mit technischen Zeichnungen überreichte –für ein Windrad, das dreimal so viel Energie liefern soll wie herkömmliche Windräder

und dessen Konzept Sprin-D weiterverfolgt. Diese Beispiele verstehen alle: Wirtschaftsvertreter, Journalisten, Politiker.

In einem Interview mit Capital hat Laguna, für ihn eher untypisch, sich hinreißen lassen, zu sagen: »Wir müssen innovieren, dass es nur so knallt.« Reicht dafür das Geld? Reichen die Freiheiten? Reicht die Unterstützung aus Politik, Gesellschaft und Wirtschaft? Und ist allen klar, dass es nicht darum geht, ob Innovationen kommen –sondern darum, ob noch irgendetwas Bahnbrechendes in Deutschland erfunden wird?

Das ist nicht so klar, wie es sein sollte. Beim Parlamentarischen Abend der Landesverbände Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen des CDU-Wirtschaftsrats wird, kurz bevor Laguna spricht, Günther Oettinger etwas ungelenk mit »the floors is your« auf die Bühne gebeten, sofort setzt er zu einer dahingeschwäbelten Schimpftirade auf die Regierung und die Viertagewoche an. Haben

wir noch nie so gemacht, wo kämen wir da hin. »Marktwirtschaft, Eigentum und Leistung sind unsere Werte«, donnert der frühere EU-Kommissar für Digitale Wirtschaft und Gesellschaft. Später verkündet ein sächsischer CDU-Staatssekretär: »Der Staat ist niemals der bessere Unternehmer.«

Für Laguna ist das ein kniffeliger Moment. Einerseits könnte er viel dazu sagen, zu Innovationsbereitschaft, zu der Welt von gestern und der Welt von morgen und zu ideologischen Scheuklappen. Andererseits ist genau das nicht seine Aufgabe: Kontroversen austragen, Widerstände brechen, Politik machen. Stattdessen stellt sich Laguna de la Vera als der Mann aus Leipzig vor und erzählt von Horst Bendix und dem 300-Meter-Windrad. Er weiß vermutlich: Seine Energie ist anderswo besser eingesetzt. Er muss die Politik nicht bekehren. Dafür zu sorgen, dass sie sich raushält, reicht vollkommen aus.

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Der Schatz im Randstück

Zwei Studienfreunde beschließen mit über 50, eine Firma zu gründen. Ihre Idee: Wertvolle Metalle sauber trennen und zurückgewinnen. Der Start aber ist alles andere als einfach

Die Irritation

Schon in der ersten Hälfte seines Lebens hat Wolfram Palitzsch viele Ideen. Er ist als Chemiker bei einem Mittelständler angestellt, als er Mitte der Nullerjahre im Radio von der Pleite des thüringischen Fotovoltaik-Pioniers Antec hört. 600 Tonnen alte Solarmodule und Produktionsabfall sollen als Sondermüll entsorgt werden. Für eine halbe Million Euro. »Das kann ja nicht wahr sein«, sagt sich Palitzsch, das seien doch »Werte«!

Die Idee

Er besorgt sich Muster aus der Insolvenzmasse und merkt: Es braucht Technologien, mit denen sich die kostbaren Materialien trennen und wieder verwerten lassen. Palitzsch entwickelt Verfahren, die auf seinen Namen und den seines damaligen Arbeitgebers patentiert werden. Doch im Betrieb kann er seine Vision – einen Recyclingdienst für Metalle – nicht umsetzen. Es wird noch über zehn Jahre dauern, bis er sich mit Ingo Röver zusammentut, einem Studienfreund, der inzwischen sein Kollege geworden war. 2019, sie sind schon Anfang 50, sagt Röver zu Palitzsch: »Wenn wir noch selbst was Großes auf die Beine stellen wollen, dann jetzt.«

Die Marktlücke

Sie kaufen ihrem damaligen Arbeitgeber die Firmensparte ab, die sich auf die Be- und Verarbeitung von Silizium spezialisiert hat, übernehmen die Maschinen und 15 Mitarbeiter und gründen in Freiberg ihr eigenes Unternehmen: die LuxChemtech GmbH. Das Ziel: wertvolle Metalle wie Silizium, Gallium, Indium oder Lithium recyceln, statt die endlichen Ressourcen immer weiter abzubauen. Beispiel Fotovoltaik-Industrie: Beim Zuschneiden von Siliziumkristallen für Solarzellen fallen Randstücke an –eigent lich Abfall. Gäbe es nicht die Freiberger, die ihn so aufbereiten, dass der Hersteller das Silizium erneut für die Produktion nutzen kann.

Zweifler und Förderer

Am Anfang ihrer Unternehmerkarriere haben sie zwar Ideen, Maschinen und Mitarbeiter, die sie bezahlen müssen – aber kaum Geld. Also nehmen Palitzsch und Röver einen Kredit auf. Das Geschäft läuft nur schleppend an, die Pandemie lähmt die Wirtschaft. Und für Staatshilfen kommen die nicht mehr ganz jungen Jungunternehmer zumindest anfangs nicht infrage. Die

Rettung: Bekannte leihen ihnen kurzerhand einen sechsstelligen Betrag.

Der Erfolg

Inzwischen haben die Unternehmer diesen Kredit zurückgezahlt, sagt Palitzsch – inklusive Zinsen. Dank Kurzarbeitergeld und anderen Staatshilfen können sie in der Pandemie alle Mitarbeiter halten und weitere einstellen, 17 sind es heute. Im Sommer 2022 geht es aufwärts, bis der Ukraine-Krieg steigende Energiepreise bringt. Da recycelt das Team nach eigenen Angaben bis zu 80 Tonnen Silizium im Monat mit seinem Verfahren – ihr bisheriger Rekord. Für dieses Jahr hoffen Röver und Palitzsch auf schwarze Zahlen. LuxChemtech hat inzwischen eine ganze Reihe renommierter Preise gewonnen, unter anderem den IQ Innovationspreis Mitteldeutschland und den bundesweiten KfW Award Gründen. Palitzsch sagt, er schlafe trotzdem etwas schlechter als zu Zeiten, in denen er noch angestellt war. Aber der 57-Jährige sagt auch: »Ich würde alles wieder genauso machen – jedenfalls, wenn ich vorab nichts von Corona und den Folgen wüsste.« Ideen hat er schließlich genug – auch in der zweiten Hälfte seines Lebens.

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Wolfram Palitzsch (links) und Ingo Röver mit einem Klotz recycelten Siliziums
DIE NÄCHSTE AUSGABE VON ZEIT FÜR UNTERNEHMER ERSCHEINT AM 23. NOVEMBER 2023 Foto: Jonas Wresch
VON CAROLYN BRAUN
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