BAUKULTUR Zeitschrift des DAI Verband Deutscher Architekten- und Ingenieurvereine e.V.
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Schwerpunkte Energieeffizientes Bauen Bauen mit Holz
AIV zu Berlin-Brandenburg Schinkel-Wettbewerb 2021 entschieden
BAUKULTUR
klima
WENIGER CO2 – MEHR CEMEX FÜR PROJEKTE MIT ZUKUNFT
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editorial
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LIEBE LESERINNEN UND LESER, VEREHRTE FREUNDE DER BAUKULTUR, der Erhalt des Klimas ist unsere wichtigste und zugleich umfassendste Aufgabe, in die sich alle anderen Themen, ja sogar die Themen des Gesundheitserhaltes, einordnen müssen. Die vorliegende Zeitschrift unseres Verbandes zeigt Best-Practice-Beispiele des aktuellen Bauens, die auf unterschiedlichste Weise einen Beitrag zu einer klimaneutralen Entwicklung geben. Ressource Boden Die sparsame Nutzung der Ressource Boden ist vom Bundeskabinett im Januar 2017 mit konkreten Zielvorgaben formuliert worden. Bis zum Jahr 2030 will die Bundesregierung den Flächenverbrauch für die Neuausweisung von Verkehrsund Siedlungsflächen auf weniger als 30 Hektar pro Tag verringern. Für das Jahr 2050 ist sogar ein Flächenverbrauch von Netto-Null im Sinne einer Flächenkreislaufwirtschaft gefordert. Hiervon sind wir derzeit noch weit entfernt. Derzeit werden pro Tag in Deutschland noch etwa 56 Hektar Bodenfläche für die Bebauung neu ausgewiesen. Der DAI ist Teil des Bündnisses Bodenwende, welches die sozial gerechte und nachhaltige Entwicklung von Stadt und Land fordert. Als Mitunterzeichner dieser Initiative setzt sich der DAI für einen verantwortlichen Umgang mit der Ressource Boden gegen die Bodenspekulation mit Bauland, aber auch gegen das so genannte Landbanking mit Ackerland ein. Neben den ökologischen Aspekten sind hier auch soziale Aspekte von größter Bedeutung, wenn wir zukünftig lebendige öffentliche Räume und bedarfsgerechte soziale Infrastrukturen erhalten wollen. Erhalt des Bestandes und Verdichtung Die wirksamste Ressourcenschonung entsteht durch eine möglichst lange Nutzung von Gebäuden und Infrastrukturen. Hierzu müssen diese vorausschauend geplant werden und eine dem Standort angepasste, angemessene Dichte erhalten. Möglichkeiten der Nachverdichtung sind zu nutzen. Eine langfristige Nutzung eines Gebäudes stellt aber auch Ansprüche an Bauqualität, Emissionsschutz und Energieverbrauch. Der geplante Gebäudeeffizienzerlass der Bundesregierung soll dabei nicht den Abriss von Gebäuden fördern, sondern Weiternutzung und kluge Sanierungs- und Umbaukonzepte bevorzugen.
ten Bauteilen und lösbaren Verbindungen ein Weiterbauen und ein Umbauen erleichtern. Für eine Vielzahl von Nutzungen sind Systembauten in Stahl- und Stahlbeton seit langer Zeit Stand der Technik. Die Nutzung von Holz als konstruktivem Baustoff in diesem Bereich zeigt allerdings in den letzten Jahren einen enormen Zuwachs, der insbesondere auf die positive CO2-Bilanz des Baustoffes zurückgeführt werden kann. Die Systembauten als solche profitieren von der modellbasierten Planung (BIM), die Grundlage für die koordinierte Planung, die Steuerung von CNC-Maschinen, die Prozessorganisation von Baustellen und den Betrieb der Gebäude ist. Die Planung ist leicht anpassbar und weiterzuentwickeln. Vor diesem Hintergrund ist auch zu verstehen, dass der sich stetig erweiternde Baukasten an Systemen nicht vorrangig zu Copy-Paste-Lösungen führt, sondern die Variantenbildung geradezu fördert. Gut geplante und optimierte Systembauten sind ressourcenschonend und lassen sich in hoher Qualität vorfertigen. Die Verlagerung der qualitätsgesicherten Fertigungsprozesse in die Halle und der vermehrte Einsatz von industriellen Fertigungsmethoden sind eine wirksame Lösung gegen den erkennbaren Fachkräftemangel auf den Baustellen. (Auch) Holz als Konstruktionsmaterial Der Einsatz von Holz als konstruktives Baumaterial ist keine Neuerung im eigentlichen Sinne, eher eine Renaissance eines bewährten Baumaterials. Bereits im 19. Jahrhundert entstanden in den Großstädten bis zu neungeschossige Industrie- und Lagergebäude in Holz-Skelettbauweise. Die Beton- und Stahlbetonbauweise war aber wirtschaftlich attraktiver und bestimmte schnell das Bauwesen. Durch die Entwicklung von hochwertigem Brettsperr- und Brettschichtholz wurden wirtschaftliche, statisch und brandschutztechnisch nachweisbare Bauweisen entwickelt und weltweit das Baurecht überarbeitet. Tatsächlich gibt es auch in dieser Zeitschrift viele andere gute Beispiele für nachhaltiges Bauen etwa mit Ultraleichtbeton oder der Kombination von Speichermasse und intelligenter Gebäudetechnik. Die Qualität entsteht aus der Vielfalt der Lösungen! Herzlichst, Ihr
Lebenszyklusbetrachtung Die ganzheitliche Betrachtung von Gebäuden summiert neben dem Aufwand der Errichtung von Gebäuden deren Betrieb und Erhalt sowie deren Beseitigung. Im besten Fall sind Bauteile einfach recyclebar oder wiederzuverwenden. Dies trifft besonders auf Systembauten zu, die mit definier-
Dipl.-Ing. Arnold Ernst DAI Präsident
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DAI bundesweit
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Kiel
Pinneberg
DAI Fachexkursion 2021 Infolge der Coronapandemie ist die für das vergangene Jahr nach Dubai geplante DAI Fachexkursion für Architekten und Ingenieure auf dieses bzw. nächstes Jahr verschoben worden. Es werden drei Reisetermine angeboten:
Osnabrück
Leipzig
• • •
06.11.2021 – 13.11.2021 20.11.2021 – 27.11.2021 05.02.2021 – 12.02.2022
Düsseldorf
Oberhessen
www.dai.org/veranstaltungen Wiesbaden Aschaffenburg Bamberg
Mainz
Saar
Mannheim
Nürnberg
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kein DAI Mitgliedsverein DAI Mitgliedsverein mit Textbeitrag in der vorliegenden Ausgabe
DAI MITGLIEDSVEREINE AIV Aschaffenburg AIV Aschersleben-Staßfurt AIV Bad Hersfeld AIV Braunschweig AIV Frankfurt AIV Hanau AIV Hannover AIV Hildesheim AIV Karlsruhe AIV Koblenz
AIV KölnBonn AIV Konstanz AIV Leipzig AIV Marburg AIV Mark Sauerland AIV Oberhessen AIV Schweinfurt AIV Stuttgart AIV Ulm AIV Würzburg
AIV zu Magdeburg AIV zu Berlin-Brandenburg Mittelrheinischer AIV Darmstadt Münchener AIV Münsterländer AIV Oldenburgischer AIV Ruhrländischer AIV zu Essen Schwäbischer AIV Augsburg
inhalt
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Rubriken Nachrichten Kolumne Bundesstiftung Baukultur Wirtschaft + Recht DAI aktuell Aus dem Präsidium
12–27 12–13 14–15 16–17 18–19 20–21 22–23 24–25 26–27
Schwerpunkte: Energieeffizientes Bauen | Bauen mit Holz DeA architectes: Golfanlage im Elsass Manuelle Gautrand: Wohngebäude in Paris Dok architecten: Wohngebäude in Amsterdam Baumschlager Eberle Architekten: Mehrfamilienhaus in Dornbirn Kaden + Lager: Oberschule in Leipzig NKBAK Architekten: Integrierte Sekundarschule in Berlin asp Architekten: Betriebshof in Stuttgart pbr Planungsbüro Rohling: Technologiekomplex in Jena
28–50 28 30–31 32 33 34 35 36–37 38 39 40 41 42 43 44 45 46–47 48–49 50
Advertorials | Anzeigen VdF: Expertenwissen für spezielle Herausforderungen redstone GmbH & Co. KG: Maximale Reduktion GUTEX Holzfaserplattenwerk: Für ein besseres Stadtklima elka-Holzwerke GmbH: Wohngesunde Produkte FVHF: Ressourcen- und klimagerechtes Planen und Bauen Kebony AS: Die Zukunft ist aus Holz KLEUSBERG GmbH & Co. KG: Holz und Stahl im Tragwerk Brüninghoff GmbH & Co. KG: Holz-Hybridbau auf dem Vormarsch Rubner Holzbau GmbH: Höchste Expertise im Holzbau NATURinFORM GmbH: Mit starken Bezügen zur Natur NOVO-TECH Trading GmbH & Co. KG: Holzverbundwerkstoffe Rudolf Hensel GmbH: Dauerhaftigkeit von Brandschutzbeschichtungen Schlagmann Poroton GmbH & Co. KG: Monolithische Bauweise Klimaleichtblock GmbH: Stein auf Stein im Zeichen der Umwelt CEMEX Deutschland AG: Klimaschutz und Nachhaltigkeit haben Priorität Schüco International KG: Innovation aus Prinzip Stiebel Eltron GmbH & Co. KG: Erste Effizienzhaus-Plus-Siedlung Deutschlands Hansa Armaturen GmbH: Neue Generation von Badarmaturen und Brausen
51 Titel: Wohngebäude „Edison Lite“ in Paris von Manuelle Gautrand Architecture (Foto: Luc Boegly)
Editorial Arnold Ernst DAI bundesweit Inhalt
Autoren | Vorschau | Impressum
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nachrichten
Nationale Projekte des Städtebaus Mit dem Investitionsprogramm „Nationale Projekte des Städtebaus“ fördert das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI) 24 Vorhaben von besonderer nationaler bzw. internationaler Wahrnehmbarkeit, hoher baukultureller Qualität, mit überdurchschnittlichem Investitionsvolumen und hohem Innovationspotenzial. Die Fördersumme beträgt 75 Mio. Euro. Auf die Förderung hatten sich 98 Städte und Gemeinden aus ganz Deutschland beworben. Die Projekte zeigen, wie Innenstädte und Wohnquartiere mit Leben erfüllt werden. www.bbsr.bund.de
Siedlungshäuser aus dem 3D-Drucker (Visualisierung: Mario Cucinella Architects)
Bauen wie gedruckt Ist das ein zu groß geratenes Wespennest oder Nachhaltigkeit pur? In der Nähe von Ravenna wird gerade ein Haus gedruckt. Das Baumaterial ist Erde. An Ort und Stelle geschichtet wird sie mit mehreren 3D-Druckern, die gleichzeitig an ihrem gemeinsamen Werk arbeiten. Die Konstruktion besteht aus einer Außen- und einer Innenkuppel. Bei Bedarf können mehrere Bauten miteinander gekoppelt werden. www.mcarchitects.it
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Baumaterialien von morgen Wie können wir das Bauen mithilfe nachhaltiger Baustoffe umweltfreundlicher machen? Dieser Frage geht die Seminarreihe “Baustoffe der Zukunft – Wie Klassiker und Newcomer das Bauen nachhaltig verändern” noch bis zum 8.7.2021 nach. Die Referenten stellen die Baumaterialien Holz, Ziegel, Lehm, Bambus sowie sekundäre Rohstoffe und unbekannte Produkte mit Überraschungseffekt vor. www.natureplus.org Projekt „iClimaBuilt“ Die EU-Kommission hat im Rahmenprogramm Horizon 2020 das interdisziplinäre Forschungsprojekt „iClimaBuilt“ bewilligt. Beteiligt sind 27 Partner aus 14 verschiedenen europäischen Ländern. Ihr Ziel: die Entwicklung von intelligenten Leichtbaumaterialien für den Bausektor und Technologien zur Integration von Energiespeicher- und Energierückgewinnungssystemen in Gebäudehüllen. Im Fokus stehen u. a. die Entwicklung von Carbonfasern aus nachwachsenden Rohstoffen für Bewehrungssysteme, die Integration von ultraleichtem Porenbeton mit niedriger Wärmeleitfähigkeit in Carbonbetonstrukturen oder die Verwendung von Aerogelen als Dämmstoff
Innovative Straßenbeleuchtung mit speziellen Verdunstungsoberflächen sorgt für eine Verbesserung des innerstädtischen Klimas (Visualisierung: Lena Knoblauch/Jonas Haug)
abkühlt, und indem er Schatten spendet. Prof. Dr. Bernhard Lenz von der Fakultät für Architektur und Bauwesen an der Hochschule Karlsruhe – Technik und Wirtschaft hat mit seinem Team eine technische Verdunstungseinrichtung entwickelt, die sich z. B. an bestehende Straßenlaternen ankoppeln lässt. Dieses „cooling device“ besteht aus nach außen geschlossenen Ringelementen, in denen Wasser über die innenliegenden Oberflächen geführt wird. Der Grad der Verdunstung lässt sich dabei über die Luftgeschwindigkeit, also die Lüfter, regeln. Dadurch gibt das „cooling device “ kühle und feuchte Luft an die Umgebung ab – ähnlich wie sein biologisches Vorbild. www.hs-karlsruhe.de
Wie sich Gebäudebegrünungen am besten fördern lassen – das Hauptthema beim „Städtedialog Gebäudegrün“ (Foto: BuGG, G. Mann)
ArchitekTOUR virtuell Noch bis zum 14.5.2021 lädt das Bauportal Heinze in den virtuellen Raum ein, um dort über das „Bauen von morgen“ zu sprechen. Neben Herstellern aus dem Bereich Bau, Einrichtung und Ausstattung, die neue Produkte und Features vorstellen, informieren auch Experten aus Architektur und Forschung über neue Entwicklungen und Technologien. Die Teilnahme ist kostenfrei. https://event.heinze.de/virtuelletour
Bauteil aus dem innovativen Dämmstoff Slentex (Foto: HTWK Leipzig)
in Fassadenelementen. Das Gesamtbudget liegt bei knapp 16,5 Mio. Euro. www.cordis.europa.eu Innenstädte innovativ kühlen Als probates Mittel gegen Hitze gilt die Begrünung der Städte. Ein Baum kühlt dabei auf zwei Arten: Indem er einen Teil des Sonnenlichts absorbiert und Wasser transpiriert, das dann verdunstet, wodurch die Umgebung unmittelbar
Bepflanzte Dächer und Fassaden Das Begrünen von Dachflächen und Fassaden wird bereits in vielen Städten als Anpassung an den Klimawandel genutzt. Mit dem „Städtedialog Gebäudegrün“ wird nun ein regelmäßiger Erfahrungsaustausch von Städten und Kommunen eingeführt. Inhaltlich geht es um das direkte und indirekte Fördern von Dach- und Fassadenbegrünungen. Die Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU) fördert das Vorhaben mit 215.000 Euro. Der Dialog wird u. a. durch eine Internetplattform und den Weltkongress Gebäudegrün, der vom 28.–30.9.2021 stattfindet, ergänzt. www.gebaeudegruen.info
kolumne
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BAUKULTUR ALS ZENTRALER HEBEL EINER KLIMA- UND RESSOURCENSCHONENDEN ERNEUERUNG IM BAUEN UND WOHNEN Die Diskussionen rund um das Einfamilienhaus in den vergangenen Wochen machen eines sehr deutlich: Beim Bauen und Wohnen geht es um den Kopf, vor allem aber um den Bauch. Für den Kopf liegt vieles auf der Hand: Das Bauen muss sich Fragen nach der eigenen Klimabilanz energischer stellen. Rund 40 % der Treibhausgas-Emissionen Deutschlands entstehen durch die Herstellung und Errichtung sowie die Nutzung und den Betrieb von Gebäuden. In der jüngst vorgelegten CO2Bilanz der Bundesregierung für das Jahr 2020 konnte einzig der Gebäudebereich nicht die gesteckten Ziele erreichen. Im Bereich der verbauten Ressourcen trägt jeder Bürger einen Materialbestand von rund 187 t Gebäude und 175 t Infrastruktur an „grauer“ oder besser „goldener Energie“ auf den eigenen Schultern – das entspricht in etwa dem Leergewicht eines ICE pro Kopf. Im Jahr 2018 machten Bauund Abruchabfälle ca. 55 % des bundesdeutschen Abfallaufkommens aus. Alleine beim Rückbau eines Einfamilienhauses mit 130 m² Wohnfläche fallen ca. 400 t Bauabfall an. Von den weiteren ökologischen und fiskalischen Folgewirkungen bei der Neuausweisung und Erschließung von Einfamilienhaus-Gebieten ganz zu schweigen. Die eingangs erwähnten Diskussionen machen auch deutlich: Viele dieser Probleme sind schon lange bekannt. Es braucht somit starke Argumente für den Bauch und damit eine anspruchsvolle, überzeugende Gestaltung und neue Ästhetik. Fakten allein scheinen nicht zu genügen, es braucht überzeugende Bilder und gute Beispiele. Derweil gerät aber in der Pandemie rechts Materialbestand pro Einwohner in Deutschland Quelle: Wuppertal Institut 2017 (Grafik: © Bundesstiftung Baukultur, Erfurt Kluger Infografik)
die qualifizierte Planung ins Hintertreffen. Blickt man auf die Zahlen der Wettbewerbsplattform competionline, so ging die Anzahl von Wettbewerben bei architekten- und ingenieurrelevanten Bauaufgaben 2020 um 17 % im Vergleich zum Vorjahr zurück – und dies bei insgesamt leicht steigender Anzahl von Ausschreibungen. Komplexität zu reduzieren darf aber nicht heißen, schlichter zu bauen. Das zeigt sich auch bei der aktuellen Diskussion um den geplanten Gebäudeeffizienzerlass der Bundesregierung, der von einigen schon als Abrisserlass bezeichnet wird. Es braucht eine ganzheitliche, lebenszyklusorientierte Betrachtung des Gebäudebestands. Abriss und Ersatzneubau sollten nur noch die begründeten Ausnahmen darstellen. Gerade die öffentliche Hand hat hier Vorbildcharakter. Insgesamt bedarf es einer neuen Umbaukultur, die den Bestand als kulturelle wie materielle Ressource ernst nimmt und mit klugen Strategien weiternutzt, umbaut und ausbaut. Es gilt hier, Sanierungs- und Umbaukonzepte zu bevorzugen, die sich durch kleinst-
105,4 t
Wohngebäude davon* 47,0 t Beton 13,3 t Ziegel 4,5 t Stahl 2,2 t Holz 1,5 t Flachglas 0,9 t Kunststoffe 0,4 t mineralische Dämmstoffe
*Rest zur Gesamtmenge: sonstige Materialien
187,1 t
gesamter Gebäudebestand
mögliche Eingriffe und einen geringen und nachhaltigen Ressourceneinsatz auszeichnen und auch schrittweise umsetzbar sind. Die Verleihung des diesjährigen Pritzker-Preises an das Büro Lacaton und Vassal erscheint hier nur folgerichtig. Die Pariser Architekten sind Pioniere des Bewahrens und der Umnutzung. Ihre Auszeichnung hat Signalwirkung. Mit ihren Projekten liefern sie einerseits Antworten auf ökologische Fragen, andererseits suchen sie aber auch nach Lösungen für soziale Herausforderungen insbesondere im Wohnungsbau. Umbau als Haltung. Hier könnte auch das EU-Projekt „Neues Europäisches Bauhaus“ anknüpfen. Denn die ebenfalls angekündigte Europäische Sanierungswelle wird vermutlich nur dann ein Erfolg werden, wenn sie nicht allein auf additive Schichtung, Dämmwerte und energetische Zahlengrößen abzielt, sondern den Bauch der Menschen erreichen kann und durch kluge Lösungen zu überzeugen weiß. Baukultur eben. Julian Latzko www.bundesstiftung-baukultur.de
175,2 t
81,7 t
Nichtwohngebäude davon* 32,0 t Beton 9,7 t Ziegel 6,3 t Stahl 1,8 t Holz 2,6 t Flachglas 1,9 t Kunststoffe 0,4 t mineralische Dämmstoffe
gesamte Infrastrukturen 2010/11 10,0 t Energieinfrastruktur 23,8 t Telekommunikationsinfrastrukturen 27,6 t Wasser- und Abwasserinfrastruktur 113,8 t Verkehrsinfrastruktur
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wirtschaft + recht
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§§ Die in Berlin, München, Frankfurt und Wien ansässige Kanzlei Zirngibl Rechtsanwälte Partnerschaft mbB ist Premiumpartner des DAI. Zu ihren bundesweiten Arbeitsschwerpunkten zählen das Immobilien-, Bau- sowie das Vergaberecht.
NEUES AUS DEM... ...Bau- und Architektenrecht
...Vergaberecht
Welche Voraussetzungen muss eine Regel der Technik erfüllen, um als „anerkannt“ zu gelten?
Keine Klärung von Urheberrechtsverletzungen im Nachprüfungsverfahren!
Beim Bauen sind regelmäßig die anerkannten Regeln der Technik zu beachten. Doch wann gilt eine technische Regel eigentlich als „anerkannt“? Mit dieser Frage beschäftigte sich jüngst das OLG Rostock (Beschluss vom 23.09.2020, IBRRS 2021, 0939).
Die Vorschrift des § 14 Abs. 4 Nr. 2 c VgV, wonach der Auftraggeber öffentliche Aufträge im Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb vergeben kann, wenn der Auftrag wegen des Schutzes von ausschließlichen Rechten nur von einem bestimmten Bieter erbracht werden kann, ist nicht bieterschützend. Das entschied kürzlich das OLG München (Beschluss vom 28.09.2020, Verg 3/20). Was war passiert?
Verpflichtet sich ein Auftragnehmer gegenüber einem Auftraggeber zur Erbringung eines Werkerfolgs, so schuldet er im Rahmen der Leistungserbringung regelmäßig die Einhaltung der anerkannten Regeln der Technik. Sind die einschlägigen Regeln der Technik im maßgeblichen Zeitpunkt der Abnahme nicht eingehalten, ist das Werk in der Regel mangelhaft. Der Auftraggeber kann dann Mängelgewährleistungsrechte geltend machen. Das OLG Rostock hält eine technische Regel für allgemein anerkannt, wenn sie der Richtigkeitsüberzeugung der technischen Fachleute im Sinne einer allgemeinen wissenschaftlichen Anerkennung entspricht und darüber hinaus in der Praxis erprobt und bewährt ist. Auf beiden Stufen muss die jeweilige technische Regel der überwiegenden Ansicht der technischen Fachleute entsprechen. Vor diesem Hintergrund bestehe eine Vermutung dafür, dass kodifizierte technische Normen (z.B. DIN-Vorschriften) allgemein anerkannt sind. Diese Vermutung ist jedoch insbesondere dann widerlegbar, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Norm veraltet oder überholt ist. Die Bautechnik unterliegt einem ständigen Wandel. Steht die Einhaltung einer bestimmten technischen Regel in Streit, kann sich die Prüfung lohnen, ob die konkrete Regel noch den anerkannten technischen „Stand“ widergibt. Zivilprozessual wird diese Frage durch einen gerichtlich bestellten Sachverständigen geklärt werden. Rechtsanwalt Lukas Ritter, LL.M. (TCD)
Die Antragsgegnerin schrieb Objektplanungsleistungen für ein Blindeninstitut auf einem Campus losweise im Verhandlungsverfahren mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb aus. Der bauliche Komplex war zuvor durch einen verstorbenen Architekten und zugleich Vater der beiden einzigen Gesellschafter der Antragstellerin geplant worden. Die Antragstellerin rügte die Verwendung der von dem verstorbenen Architekten erstellten Pläne und Skizzen. Es fehle an der potentiellen Eignung anderer Bieter, da das Urheberrecht allein der Antragstellerin zustehe. Daher sei sie als einzige in der Lage, die Aufträge auszuführen. Aus diesem Grund sei die Antragsgegnerin nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet gewesen, gemäß § 14 Abs. 4 Nr. 2 c) VgV die Aufträge im Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb zu vergeben. Auch eine Aufteilung in Lose sei unzulässig. Der durch die Antragstellerin eingelegte Nachprüfungsantrag blieb jedoch ohne Erfolg. Ein Verstoß gegen § 14 Abs. 4 Nr. 2c) VgV liegt nicht vor. Weder war die Antragsgegnerin verpflichtet, ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb durchzuführen, noch könnte sich die Antragstellerin auf einen derartigen Verstoß berufen. § 14 Abs. 4 Nr. 2 VgV dient allein dem Schutz der Vergabestelle. Diese soll sich in bestimmten Fällen den mit einem offenen Verfahren bzw. einem Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb verbundenen Aufwand an Zeit und Kosten ersparen können. Die Norm bezweckt aber nicht den Schutz von Bietern, die bei einem Verzicht auf eine öffentliche Bekanntmachung leichter und ohne konkurrierende Mitbieter zum Vertragsschluss gelangen können. Rechtsanwältin Sarah Lisa Bohn Ansprechpartner Berlin: RA Lars Robbe Tel.: 030–880331–231, Mail: l.robbe@zl-legal.de, www.zl-legal.de Ansprechpartner München: RA Dr. Ulrich May Tel.: 089–29050–231, Mail: u.may@zl-legal.de, www.zl-legal.de
DAI aktuell
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AUS DEM PRÄSIDIUM Das Superwahljahr 2021 hat im März mit den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz begonnen, und es wirft seine Schatten weiter voraus. Die Bundestagswahl Ende September wird einen Großteil des politischen Diskurses in den nächsten Monaten bestimmen. Die planenden und bauenden Berufe haben dazu Mitte März die so genannten Wahlprüfsteine 2021 veröffentlicht. Schon fast traditionell werden bestimmte Positionen bei den Parteien abgefragt. Es geht um ein Dutzend Themenbereiche vom Wohnungsbau über die Bodenpolitik bis hin zu einem eigenen Bundesbauministerium. In den kommenden Wochen werden nach und nach die Antworten eintreffen, die wir dann zumindest online veröffentlichen werden. Das Planen und Bauen braucht zweifelsohne einen hohen politischen Stellenwert. Es geht weit über die Frage des reinen Bauens hinaus. Die Aspekte Ressourcen, Arbeitsbedingungen, Klima, Kreislaufwirtschaft u.v.m. sind ebenso berührt. Beim DAI selbst wird sich dieses Jahr weiterhin vieles um die 150 Jahre seit der Verbandsgründung im Jahr 1871 drehen. Die Vorbereitungen der Festschrift laufen auf Hochtouren, und der Jubiläumsband soll zum geplanten DAI Tag Ende
September in Aschaffenburg – wir rechnen Stand heute mit einer Vor-Ort-Veranstaltung – fertig sein. Beiträge aus den Mitgliedsvereinen werden im Mai noch gerne entgegengenommen. Die Architekten- und Ingenieurvereine wiederum können bestimmte Stückzahlen verbindlich vorbestellen. Ebenfalls stattfinden soll dieses Jahr die DAI Fachexkursion zur verschobenen EXPO nach Dubai. Es gibt zwei Termine im November 2021 und einen im Februar 2022. Die Reisedetails finden Sie im vorliegenden Heft auf Seite 11 und auf der DAI Web-Seite unter www.dai.org/veranstaltungen. Udo Sonnenberg
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DAI regional
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rechts Schinkelpreis in der Fachsparte Landschaftsarchitektur: „terra.fluida.“ von Marcel Tröger und Magnus Hehlke (TU Berlin, University of Copenhagen)
AIV zu Berlin-Brandenburg
SCHINKEL-WETTBEWERB 2021 ENTSCHIEDEN Die Preisträger des 166. Schinkel-Wettbewerbes stehen fest. Der AIV zu Berlin-Brandenburg hatte den Förderwettbewerb dieses Mal ausgelobt, um neue Ideen für den Berliner Westhafen und den Großmarkt zu finden. Das Motto lautete „grossWEST – Stadt als Ressource: Die Versorgung Berlins“. Die Aufgabenstellungen wurden von den Teilnehmern in den Fachsparten Architektur, Städtebau, Landschaftsarchitektur, Verkehrsplanung, Konstruktiver Ingenieurbau und Freie Kunst bearbeitet. Eingegangen waren insgesamt 90 Beiträge. Aufgrund der hohen Qualität der Arbeiten wurden in diesem Jahr neben den Preisen auch diverse Anerkennungen ausgesprochen. Gesche Gerber und Ernst-Wolf Abée, Vorsitzende des AIV-Schinkel-Ausschusses: „Das Wettbewerbsgebiet liegt am Westhafenkanal zwischen Putlitzbrücke und Charlottenburger Verbindungskanal. Der Westhafen und der
Berliner Großmarkt können als „geheime Orte“ bezeichnet werden. Trotz verkehrsgünstiger und relativ zentrumsnaher Lage sind die baulichen Strukturen und die Bedeutung für die Ver- und Entsorgung der Stadt den meisten Berlinern unbekannt.“ Die Berliner Großmarkt Gesellschaft (BGM) wie auch die BEHALA als Betreiber des Westhafens sind bestrebt, die Wahrnehmung ihrer Einrichtungen in der Stadtgesellschaft zu erhöhen. Das Hafenfest zum 100. Geburtstag ist für das Jahr 2023 vorgesehen. Aufgrund der expandierenden Metropole stehen beide Landesbetriebe unter hohem Wachstumsdruck, zusätzliche Grundstücksflächen
stehen jedoch nicht zur Verfügung. Aus den funktionalen, baulichen und logistischen Anforderungen der beiden Institutionen am gemeinsamen Standort und den Herausforderungen eines nachhaltigen Stadtumbaus entstehen vielfältige Fragestellungen, die es zu lösen galt. Gesche Gerber: „Die hohe Komplexität des Ortes hat den Teilnehmern einiges abverlangt, wohl aber auch motiviert. So gab es einige interdisziplinäre Gruppen, die die Aufgaben mehrerer Fachsparten bearbeitet haben und so das Planungsthema nahezu vollumfänglich angegangen sind.“
links Schinkelpreis in der Fachsparte Architektur: „BAUKREIS“ von Felix Hauff und René Dapperger (Universität Stuttgart)
DAI regional
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Tobias Nöfer, AIV-Vorsitzender, ergänzt: „Im Städtebau-Manifest für BerlinBrandenburg, das der AIV aus dem Projekt „Unvollendete Metropole“ entwickelt und gemeinsam mit zehn weiteren Verbänden vorgestellt hat, haben wir genau das gefordert: Großprojekte sorgfältig mit der vorhandenen Stadt vernetzen! Die Arbeiten des diesjährigen Schinkel-Wettbewerbes zeigen
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oben Schinkelpreis in der Fachsparte Städtebau: „Drüber und Drunter“ von Arne Markuske, Jonathan Hertling und Robert Ritzel (BTU Cottbus-Senftenberg, TU Berlin)
durch die Weiterentwicklung von Berliner Großmarkt und Westhafen, wie das gehen kann.“ Der Schinkel-Wettbewerb zählt zu den bekanntesten und ältesten deutschen Nachwuchspreisen. Ins-
gesamt wurden in diesem Jahr Preisgelder in Höhe von fast 30.000 Euro vergeben. www.aiv-berlin-brandenburg.de
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/ &ĂĐŚĞdžŬƵƌƐŝŽŶ njƵƌ yWK ϮϬϮϬ* ƵďĂŝ Ϭϲ͘ϭϭ͘ ʹ ϭϯ͘ϭϭ͘ϮϬϮϭ ͬ ϮϬ͘ϭϭ͘ ʹ Ϯϳ͘ϭϭ͘ϮϬϮϭ ͬ Ϭϱ͘ϬϮ͘ ʹ ϭϮ͘ϬϮ͘ϮϬϮϮ „Gedanken verbinden, die Zukunft gestalten“ – unter diesem Motto treffen sich die Länder dieser Welt in Dubai. Vom 01. Oktober 2021 bis zum 31. März 2022 öffnet die EXPO ihre Tore erstmalig in einem arabischen Land. Innovationen werden vorgestellt, Ideen geteilt und Zusammenarbeit gefördert. Weltausstellungen bringen seit jeher Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur aller teilnehmenden Länder sowie Millionen von Besucher*innen zusammen, um sich über die Herausforderungen der Gegenwart auszutauschen und gemeinsam die Zukunft zu entwickeln. %IN &EST DES MENSCHLICHEN %RkNDERGEISTSÜ Neben dem Besuch der EXPO unter der Führung eines vor Ort lebenden und arbeitenden Architekten sowie exklusiven VIP-Zugang zu ausgewählten Pavillons auf der Weltausstellung werden an zwei weiteren Fachtagen in Dubai und Abu Dhabi unter der Führung der Guiding Architects die städtebaulichen und architektonischen Highlights der Region unterhaltsam und informativ auf hohem fachlichen Niveau präsentiert * Aufgrund der COVID-19-Pandemie wurde die EXPO 2020 auf den Zeitraum 01.10.2021 bis 31.03.2022 verschoben.
ĞƚĂŝůůŝĞƌƚĞ /ŶĨŽƌŵĂƟŽŶĞŶ ĞƌŚĂůƚĞŶ ^ŝĞ ƵŶƚĞƌ͗ ǁǁǁ͘ĚĂŝ͘ŽƌŐͬǀĞƌĂŶƐƚĂůƚƵŶŐĞŶͬǀĞƌďĂŶĚƐƚĞƌŵŝŶĞ Diese Fachexkursion des DAI wird organisiert und durchgeführt vom Reiseveranstalter: INTERCONTACT ͻ Tel.: 02642 2009-0 ͻ info@ic-gruppenreisen.de ͻ www.ic-verbandsreisen.de
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