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Modernste Leittechnik für eine neue Maschine

Foto: VERBUND

Das Kraftwerk Gerlos (Gebäude rechts) gehört zu den Tiroler Traditionskraftwerken. Es wird bis zum Herbst dieses Jahres in einem aufwändigen Prozess maschinen- und leittechnisch erneuert.

MODERNSTE STEUERUNGS- UND LEITTECHNIK FÜR NEUE MASCHINE IM SPEICHERKRAFTWERK GERLOS

Aktuell laufen die Modernisierungsarbeiten am bestehenden VERBUND-Speicherkraftwerk Gerlos im Zillertal auf Hochtouren. Parallel zum geplanten Tausch des bestehenden Maschinensatzes wird auch die gesamte Steuerungs- und Leittechnik erneuert. Damit beauftragt sind die Branchenspezialisten von Rittmeyer Österreich, die neben den technischen Herausforderungen aktuell auch mit dem allgegenwärtigen Lieferkettenproblem konfrontiert sind. Dennoch befinden sich die Arbeiten im Zeitplan, die Fertigstellung und Inbetriebnahme der neuen Komponenten im traditionsreichen Speicherkraftwerk im Tiroler Zillertal ist noch für Oktober dieses Jahres geplant.

Im Zillertal betreibt Österreichs größter Stromerzeuger aus Wasserkraft VERBUND acht Wasserkraftwerke an fünf Speicherseen. Eines davon ist das Kraftwerk Gerlos, das bereits im Zweiten Weltkrieg in der Ortschaft Rohrberg im Zillertal am Steilhang des Rohrerberges erbaut wurde. Die dazugehörige Sperre Gmünd gilt als die älteste Gewölbestaumauer Österreichs, sie wurde zwischen 1945 und 1948 errichtet. Hinter der 40 m hohen Staumauer befindet sich ein Wochenspeicher mit einem Nutzvolumen von circa 0,85 Mio. m3. Seit 1948 ist das Speicherkraftwerk durchgehend in Betrieb und erfuhr in seiner Geschichte mehrere Ausbaustufen. Zwischen 2004 und 2007 wurde die Anlage um das Kraftwerk Gerlos II mit einer 200 MW starken Maschine erweitert. Der Kraftabstieg erstreckt sich über 7,6 Kilometer entlang der rechten Seite des Gerlostales. Dabei nutzen die Maschinen des bestehenden Kraftwerks Gerlos einen Gesamtdurchfluss von 14 m3/s und eine Fallhöhe von circa 610 m. Die vier 2-düsigen Peltonturbinen mit ihren Synchrongeneratoren waren auf eine Gesamtleistung von 65 MW ausgelegt. Doch sie sind mittlerweile Geschichte. Im Rahmen eines durchaus radikalen Modernisierungsprozesses werden sie gerade gegen eine einzige horizontalachsige 6-düsige Peltonturbine mit 80 MW Nennleistung ausgetauscht. Und parallel dazu wird auch die gesamte Steuerungs- und Leittechnik erneuert. Ein Auftrag für die erfahrenen Branchenspezialisten der Firma Rittmeyer Österreich.

UMFASSENDES LEISTUNGSPAKET „Für uns steht bei diesem Projekt die Leittechnik für den neuen Maschinensatz im Mittelpunkt. Die umfasst ein ganzes Paket an Leistungen“, erklärt der Projektleiter von Rittmeyer, Dieter Beer. Engineering, Liefe-

Die bestehenden vier Maschinensätze haben ausgedient. Sie werden nun durch eine einzelne 80 MW starke Peltonturbine ersetzt.

Foto: VERBUND

Blick in den Schaltkasten: Das Team der Firma Rittmeyer setzt die komplette Erneuerung der Leittechnik um.

Foto: Rittmeyer

rung, Montage und Inbetriebnahme, sowie das gesamte Kraftwerksüberwachungssystem gehören hier dazu. Die Maschinenautomatik mit Anfahr- und Stillsetzungssequzenz sowie der mechanisch-thermische Schutz – im Übrigen beides in einer Komponente integriert – sowie die Steuerung der Hilfsbetriebe werden alle mit redundanten CPUs ausgeführt. Als technische Basis dafür dient das bewährte Automatisierungs- und Fernwirksystem RIFLEX M1. „Zum Funktionsbereich Maschine gehören die Anbindung aller Funktionsbereiche, Funktionseinheiten, Anlagenteile und Betriebsmittel, die für den Betrieb, die Regelung, Steuerung und Überwachung des Maschinensatzes erforderlich sind. Darunter fallen unter anderem die Maschinenschaltanlage inklusive Generatorableitung, der Maschinentransformator, Hilfsbetriebe, Erregung, Turbinenregler, zweimal Kugelschieber, elektrischer Schutz Generator, der Generator selbst, die Kühlwasseranlage und der Triebwasserweg. All diese Anlagenteile gilt es zu erfassen und in die neue Maschinenautomatik funktionell einzubinden“, so Dieter Beer.

ARBEITEN IM ZEITPLAN Zum aktuellen Stand der Dinge haben Dieter Beer und sein Team das Hardware-Engineering, das vorwiegend den Aufbau-, den Stromlauf-, den Klemmen- und Kabelplan umfasst, bereits abgeschlossen. „Derzeit ist das Erstellen der Signallisten und der Software im Gange. Was die Allgemeinkomponente – also Kühlwasser, Eigenbedarf, Schaltanlagen sowie die Hilfs- und Nebenanlagen – betrifft: Da sind wir mitten im Hardware-Engineering. Unser Zeitplan sieht vor, dass die Schaltschränke ab Mitte Juni gefertigt werden. Das Aufsetzen, Engineering und Zeichnen der Anlagenbilder für die Touch Panels und Kraftwerksüberwachungssystem ist für Juni/Juli geplant“, schildert der Projektleiter den Status Quo der Arbeiten. Die technische Aufgabenstellung ist durchaus fordernd, ebenso der knapp bemessene Zeitplan der Arbeiten. Die größten Kopfschmerzen bereiten dem Team von Rittmeyer aber die schwierigen Bedingungen bei den Lieferketten. So manch Lieferant tut sich aktuell sehr schwer, vereinbarte Liefertermine zu halten. Beer: „Das macht gewisse Planungen schwierig. Wir müssen daher versuchen, zeitgerecht, vorausschauend und flexibel auf den Markt zu reagieren.“

ZUKUNFTSFÄHIGE LEITTECHNIK Das technische Rückgrat der neuen Leittechnik bildet das Riflex M1. Es zeichnet sich durch seine hervorragende Skalierbarkeit, die hohe Verfügbarkeit, integrierte Sicherheitsfunktionen sowie eine durchgängige Redundanz aus. Die Kommunikation zwischen den Prozessstationen und den lokalen Bedienfeldern – insgesamt sind drei Touch-Panels vorgesehen – erfolgt über den Prozessbus, der als LWL-Ethernet-Netzwerk mit Kommunikationsprotokoll nach IEC 60870-104 ausgeführt ist. Für die drei Touch Panels und das Kraftwerksüberwachungssystem kommt das ebenfalls

Foto: Rittmeyer bestens bewährte Leitsystem RITOP zum Einsatz. Dieses übergeordnete Prozessleitsystem der Firma Rittmeyer macht die lokale Visualisierung und eine intuitive Bedienung des Kraftwerks möglich. Parallel zur Vor-Ort-Bedienung an den Panels kann die Anlage in Zukunft auch von der Kraftwerkswarte des VERBUND mit entsprechenden Berechtigungen bedient werden. Die graphischen Oberflächen werden von den Programmierern der Firma Rittmeyer anlagenspezifisch und den Kundenwünschen angepasst gestaltet. Auf diese Weise ist auch eine übersichtliche, sichere und intuitive Bedienung gewährleistet. „Sollten spontane Veränderungen im Kraftwerk eintreten, so werden diese umgehend am Monitor dargestellt“, erläutert Dieter Beer die dynamischen Qualitäten des Systems.

AMBITIONIERTER ZEITPLAN Auch wenn es bei jedem neuen Auftrag neue Herausforderungen zu meistern gilt, stellt der Modernisierungsauftrag am Kraftwerk Gerlos für die Firma Rittmeyer kein Neuland dar. Im Gegenteil: Das erfahrene Branchenunternehmen kann bereits auf große Erfahrung aus einem ähnlich Projekt in den Zillertaler Alpen verweisen. Dieter Beer: „Wir haben schon zwischen 2010 und 2014 über mehrere Etappen die gesamte Leittechnik der VERBUND-Kraftwerksgruppe Zemm-Ziller erneuert. Damals wurden von uns die Prozesssteuerung aller zwölf Hauptmaschinensätze ersetzt. Daher kennen wir die Systemkomponenten der Anlagen recht gut – und sind auch mit dem Umfeld vertraut.“ Dennoch ist der Terminplan ambitioniert. Bis September/Oktober soll die erste Inbetriebnahme erfolgen, die betriebsbereite Fertigstellung ist für Ende Oktober dieses Jahres geplant. Dann soll die nagelneue, technisch hoch spannende, horizontalachsige 6-düsige Peltonturbine ihren Betrieb aufnehmen und für noch höhere Stromausbeute am Standort sorgen – gesteuert durch die modernen Systeme aus dem Hause Rittmeyer.

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