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Walliser Gemeinde maximiert ihre Energieproduktion

KRAFTWERK GISENTELLA MAXIMIERT ÖKOSTROMPRODUKTION VON WALLISER GEMEINDE BLATTEN

Mit dem Neubau des Wasserkraftwerks Gisentella in der Walliser Gemeinde Blatten wird das hydroenergetische Potential des Gebirgsbachs nun vollständig ausgereizt. Realisiert wurde das Projekt von der Gemeinde und der Genossenschaft Elektrizitätswerk Blatten, die mit ihren insgesamt vier Kleinkraftwerken im Lötschental nun alljährlich ca. 20 GWh Ökostrom erzeugen. Das jüngste Kraftwerk an der Gisentella mit 2,1 MW Engpassleistung wurde als Erweiterung einer bestehenden Anlage konzipiert und nutzt 800 l/s Ausbauwassermenge und knapp 300 m Fallhöhe. Im Krafthaus sorgt eine 4-düsige Pelton-Turbine in vertikalachsiger Ausführung mit direkt gekoppeltem Synchron-Generator für ein Maximum an Effizienz. Dank günstiger Witterungsbedingungen und dem vorbildlichen Einsatz der beteiligten Unternehmen konnte das Kraftwerk schon etwas mehr als ein Jahr nach dem ersten Spatenstich im Mai 2022 den Betrieb aufnehmen.

Im Oberwalliser Lötschental, das wegen seiner malerischen Landschaft bei Natur- und Bergliebhabern große Wertschätzung genießt, wurde der Ausbau des Wasserkraftpotentials in den vergangenen zehn Jahren bemerkenswert vorangetrieben. Gleich vier neue Wasserkraftwerke wurden seit 2012 in der zum UNESCO-Weltnaturerbe zählenden Region errichtet. So hat die BKW Energie AG im Herbst des vergangenen Jahres gemeinsam mit den namensgebenden Gemeinden Wiler und Kippel am Gewässer Lonza das Kraftwerk Wiler-Kippel in Betrieb genommen. Auf dem Gebiet der Gemeinde Blatten wurde 2012 das Kraftwerk Wolfrätsch fertiggestellt, 2019 folgte die Inbetriebnahme der Anlage Breithorn. Im Frühjahr 2022 ging mit dem Kraftwerk Gisentella die dritte Ökostromanlage, die innerhalb einer Dekade in Blatten realisiert wurde, erstmals ans Netz. Andreas Ritler, Mitglied des Verwaltungsrats der KW Gisentalla AG, bekräftigt, dass die Stromgewinnung aus Wasserkraft im Lötschental einen bedeutenden Wirtschaftsfaktor darstellt. „Bei rund 300 Einwohnerinnen und Einwohnern sind die Steuereinnahmen in Blatten überschaubar. Durch die Vermarktung des selbst erzeugten Stroms werden lukrative Erlöse erzielt, die der Gemeinde und verschiedenen Infrastrukturprojekten zugutekommen.“

Die Wasserfassung des Kraftwerks Gisentella auf der Tellialp wurde mit Einbezug der bestehenden Anlage umfassend erweitert. Über das Tiroler Wehr werden nun maximal 980 l/s Ausbauwassermenge für die beiden Kraftwerke eingezogen. Foto: zek

ERSTES WASSERKRAFTWERK IM LÖTSCHENTAL

Andreas Ritler fährt fort, dass die Stromerzeugung aus Wasserkraft in Blatten eine lange Tradition besitzt: „Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts hat ein Elektroingenieur aus Basel um eine Konzession zum Bau eines Wasserkraftwerks in Blatten angesucht. Vom damaligen Gemeinderat wurde dieses Ansuchen allerdings abgelehnt, um die Wertschöpfung der wertvollen Ressource nicht aus der Hand zu geben.“ 1916 wurde schließlich durch die Blattener „Gesellschaft für elektrisches Licht“ das erste elektrische Wasserkraftwerk im Lötschental an der Gisentella in Betrieb genommen. Im Laufe der darauffolgenden Jahrzehnte wurde das Leistungs- und Erzeugungspotential der Pionieranlage sukzessive gesteigert. 1951 wurde die ursprüngliche Gesellschaft aufgelöst und die „Genossenschaft Elektrizitätswerk Blatten“ gegründet, die das bestehende Kraftwerk in den Jahren 1953, 1984 und 1994 ausbaute bzw. erneuerte. Um das hydroelektrische Potential der Gisentella voll auszuschöpfen, planten die Gemeinde und das Elektrizitätswerk Blatten ein neues Kraftwerk wobei auch die Altanlage miteinbezogen wurde. „Das Projekt wurde sowohl von behördlicher als auch von umweltschutzrechtlicher Seite gut akzeptiert. Anders als beim Kraftwerk Breithorn, das erst nach jahrelangen Gerichtsprozessen die Bewilligung erhalten hatte, wurde die Genehmigung für das Kraftwerk Gisentella vergleichsweise schnell erteilt“, so Andreas Ritler. Während die Bestandsanlage weiterhin ganzjährig betrieben wird, ist der Neubau – je nach Wasserdargebot – für den Betrieb zwischen April und November konzipiert.

Stark in industriellen Anlagen und Maschinen.

Effizient, sicher und umweltfreundlich.

Den kompletten Stahlwasserbau für die Wasserfassung lieferte die Walliser Stahltec GmbH. Der ca. 30 m lange Entsander wurde mit dem patentierten HSR-Sedimentabzugsystem ausgestattet.

Foto: zek

WASSERFASSUNG MIT HSR-ENTSANDER

Im April 2021 ging das Projekt mit den Bauarbeiten an der Wasserfassung auf der Tellialp in die Realisierungsphase über, kurz danach startete die Verlegung der Druckrohrleitung und die Errichtung des neuen Maschinengebäudes. Die Wasserfassung, an der für das alte Kraftwerk zuvor maximal 180 l/s ausgeleitet wurden, sollte im Zuge der Erneuerung umfassend erweitert werden. Der Einzug von nun 980 l/s erfolgt mit einem klassischen Tiroler Wehr, das vom Walliser Branchenexperten Stahltec GmbH geliefert wurde. Nach der Ausleitung fließt das Wasser in ein rund 30 m langes Entsanderbauwerk, das von Stahltec mit dem patentierten HSRSedimentabzugsystem ausgestattet wurde. Das Patent des innovativen Sand- bzw. Kiesabzugs, der sich vor allem durch seinen geringen Spülwasserverbrauch auszeichnet, wurde von Stahltec übernommen und kommt mittlerweile bei mehr als 50 Standorten im In- und Ausland zum Einsatz. Komplettiert wurde der Stahltec-Lieferumfang an der Wehranlage durch einen dreireihigen Beruhigungsrechen, die Spülleitung, die Prallwand und den Grundablassschütz inklusive dem dazugehörigen Hydraulikaggregat. Gleich nach dem Entsander strömt das Triebwasser weiter zu den beiden Druckrohrleitungen, wobei für den unveränderten Kraftabstieg des Altkraftwerks ein neuer Anschluss hergestellt wurde. Andreas Ritler macht auf eine Besonderheit der Wasserfassung aufmerksam: „In unmittelbarer Nähe der Wehranlage befindet sich eine ergiebige Trinkwasserquelle der Gemeinde. Deren überschüssiges Wasser fließt über eine Rohrleitung in das Entsanderbauwerk und kann somit ebenfalls für die Stromproduktion genutzt werden.“

Foto: Gemeinde Blatten

Die duktilen Gussrohre für den 985 m langen Kraftabstieg DN600 wurden im Steilgelände von einem Transporthubschrauber eingeflogen. Umgesetzt wurde die Rohrverlegung von der Walliser Lauber IWISA AG.

ROHRTRANSPORT MIT HELIKOPTER

Bei der Materialauswahl der insgesamt 985 m langen Druckrohrleitung DN600 entschieden sich die Betreiber für duktile Gussrohre, deren robuste Eigenschaften bei Wasserkraftprojekten im gesamten Alpenraum geschätzt werden. Aufgrund des anspruchsvollen Terrains wurde die Druckrohrleitung zur Gänze in schub- und zuggesicherter Ausführung hergestellt. Die Verlegungsarbeiten des komplett unterirdischen Kraftabstiegs wurden synergetisch genutzt, indem im gleichen Rohrgraben auch eine Abwasserleitung sowie ein Stromkabel zur Erhöhung der Versorgungssicherheit der Tellialp mitgeführt wurden. Durchgeführt wurde die Rohrverlegung von der ebenfalls im Wallis ansässigen Lauber IWISA AG, die bei dem Projekt einmal mehr ihre Kompetenz im Wasserkraftsektor unter Beweis stellen konnte. Zur digitalen Kommunikation zwischen Wasserfassung und Zentrale wurde zudem ein Lichtwellenleiterkabel mitverlegt. Da die Trassenführung der Druckrohrleitung teilweise über äußerst steiles Gelände führt, wurde zur Anlieferung der massiven Rohre Luftunterstützung angefordert. Mittels Transporthelikopter wurden die Rohre eingeflogen und in Funkabstimmung mit den Monteuren am Boden punktgenau zugestellt. Die Montage der mit einem verlegefreundlichen Muffensystem ausgestatten Druckrohre erfolgte im Steilgelände mithilfe eines Schreitbaggers.

HERZSTÜCK STAMMT AUS SÜDTIROL

Die Zentrale des Kraftwerks Gisentella wurde im östlich von Blatten gelegenen Ortsteil Fuchsloch errichtet. Für die Gestaltung des Gebäudes, dessen Formgebung vom umliegenden Bergpanorama inspiriert wurde, sorgte der aus Blatten stammende Architekt JeanLuc Bellwald. Als Herzstück der Anlage kommt eine vertikalachsige Pelton-Turbine von der Südtiroler Troyer AG zum Einsatz, die einen direkt gekoppelten Generator antreibt. Die Kleinwasserkraftspezialisten waren bereits für die elektromechanischen Ausstattungen der Anlagen Wolfrätsch und Breithorn sowie das BKW-Kraftwerk Wiler-Kippel zuständig und schnürten für das Kraftwerk Gisentella erneut ein leistungsstarkes Paket, das die Betreiber sowohl in wirtschaftlicher als auch in technischer Hinsicht überzeugte. Mit den insgesamt vier innengeregelten Düsen, die von einem Hydraulikagg-

Technische Daten

• Ausbauwassermenge: 800 l/s • Nettofallhöhe: 293 m • Druckrohrleitung: 985 m / duktiler Guss • Ø: DN600 • Turbine: 4-düsige Pelton • Turbinenwelle: vertikal • Drehzahl: 1.000 U/min • Engpassleistung: 2.102 kW • Hersteller: Troyer AG • Generator: Synchron • Spannung: 6.000 V • Nennscheinleistung: 2.500 kVA • Kühlung: Wasser • Hersteller: Hitzinger Electric Power GmbH • Regelarbeitsvermögen: ca. 2,1 GWh

Kraftwerkswärter Stefan Ebner und Verwaltungsrat Andreas Ritler (v.l.) beim zek HYDRO Lokalaugenschein in Blatten Anfang September.

Das Maschinengebäude des neuen Kraftwerks wurde von dem aus Blatten stammenden Architekten Jean-Luc Bellwald gestaltet. Foto: zek

regat gesteuert werden, kann die Maschine auch bei verringerten Zuflüssen über ein breites Betriebsband hinweg effizient Strom erzeugen. Konzipiert wurde die Turbine für eine Ausbauwassermenge von 800 l/s und 293 m Nettofallhöhe, womit das Kraftpaket unter Volllast 2.102 kW Engpassleistung erzielt. Vervollständigt wird der Maschinensatz durch den Synchron-Generator vom oberösterreichischen Traditionshersteller Hitzinger. Der Generator dreht wie die Turbine mit exakt 1.000 U/min und wurde auf eine Spannung von 6.000 V und 2.500 kVA Nennscheinleistung ausgelegt. Ein mit Wasser gefüllter Kühlkreislauf um den Generatormantel, der an den Wärmetauscher im Unterwasserbereich der Maschine angeschlossen ist, gewährleistet optimale Temperaturen und sorgt für ein leises Betriebsgeräusch. Ebenfalls im Troyer-Lieferumfang enthalten war das elektro- und leittechnische Equipment der Anlage. Dem Stand der Technik entsprechend funktioniert die Stromproduktion natürlich vollautomatisch. Mittels Online-Anbindung kann das Kraftwerk von den Betreibern rund um die Uhr aus der Ferne überwacht und geregelt werden.

ERFOLGREICHES PROJEKT

Der erzeugte Strom wird zur Gänze ins örtliche Mittelspannungsnetz eingespeist, wofür eine neue 16 kV-Energieableitung erstellt wurde. Darüber hinaus wurden parallel zum Bau des Kraftwerks diverse Maßnahmen zur Verstärkung des Stromnetzes von der Gemeinde Wiler nach Blatten umgesetzt. Das von der Turbine abgearbeitete Triebwasser fließt über einen Unterwasserkanal im Bereich einer Grüngutdeponie ins Gewässer Lonza. Als ökologische Ausgleichsmaßnahme wird dieser Bereich noch revitalisiert und als Erholungsraum für die Bevölkerung aufgewertet. „Dank der günstigen Witterungsbedingungen im Vorjahr konnten die wesentlichen Bauarbeiten und die Rohrverlegung noch vor dem Wintereinbruch abgeschlossen werden. Bereits Mitte Mai 2022 speiste die Anlage im Rahmen des Probebetriebs erstmals ins Netz ein. Wegen eines äußerst heftigen Unwetters Ende Juli, das an der Wasserfassung erhebliche Schäden verursachte, musste die Anlage kurz nach der Erstinbetriebnahme wieder abgestellt werden. Glücklicherweise konnte das Bauwerk innerhalb weniger Wochen entsprechend verstärkt instandgesetzt und die Stromproduktion wieder aufgenommen werden. Die ersten Betriebserfahrungen mit dem neuen Kraftwerk sind sehr positiv, die Anlage ist auch im Hinblick auf das Bestandskraftwerk sehr gut abgestimmt“, resümiert Andreas Ritler. Mit dem Neubau kann das hydroenergetische Potential des Gebirgsbachs nun ganzjährig effektiv genutzt werden. Im Regeljahr wird das Kraftwerk Gisentella ca. 6,8 GWh sauberen Strom im Lötschental erzeugen.

Foto: zek Foto: zek

Im Volllastbetrieb erreicht die mit vier innengeregelten Düsen ausgestatte Pelton-Turbine von der Troyer AG 2,1 MW Engpassleistung. Ein direkt mit dem Laufrad gekoppelter Synchron-Generator von Hitzinger dient dem Maschinensatz als wirkungsgradstarker Energiewandler.

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