PILOT -Ausgabe 7

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Schutzgebühr 3,00 € Ausgabe 7 | Sommer-Herbst 2018

MAGAZIN DER ZENTRIFUGE

ARDO - ADBK N O E L S U A H MUSEUM - HEIZ S E H C S T U E D RSPEKTIVEN: E P R E G R E B N CREATE 2050 R T NÜ S N U K E D N 025 - FORSCHE 2 T D A T S T P U A KULTURH



LIEBE LESERINNEN UND LESER, Nürnberg stellt gerade die Weichen für die nächsten 20 Jahre – zusammen mit der TH Nürnberg Georg-Simon-Ohm, der Akademie der Bildenden Künste und der Musikhochschule sowie vielen weiteren Akteuren, Projekten und Institutionen wie z.B. dem Deutschen Museum Nürnberg oder dem Holodeck des Fraunhofer Instituts besteht ein gewaltiges Synergiepotenzial. Dieses wird gerade in ersten Ansätzen ausgelotet, vor allem das Projekt LEONARDO dürfte hier wegweisend werden, zumal es die Künste mit einbezieht und auch gesellschaftliche Teilhabe und Kooperationen mit Unternehmen ausbaut und verstärkt. Mit dem Schwerpunkt „Perspektiven für Nürnberg“ möchten wir anlässlich des 10-jährigen Jubiläums der Zentrifuge einen Blick in die Zukunft werfen und ausgewählte Institutionen ebenso wie Initiativen und Akteure vorstellen, die in dieser zukunftsweisenden Phase die kommenden Veränderungsprozesse auf den Weg bringen und (mit)gestalten. Auch präsentieren wir einige Einblicke in die Arbeit der Zentrifuge – vom Ästhetischen Prozess über Engineering 2050 bis hin zu einer Zusammenschau der letzten zehn Jahre. Ich danke insbesondere Ramona Obermann für die kreative Leitung und für ihre Koordination mit den Studierenden, die Illustrationen beigesteuert und mit ihr zusammen das Layout für diese Ausgabe entwickelt haben. An diese Studierenden natürlich auch mein herzlichster Dank – und den Studierenden, die ihre Texte beigesteuert haben, danke ich sowieso. Herzlicher Dank auch an Prof. Max Ackermann, der zu Beginn eines jeden Semesters unsere Themenwünsche aufgreift und diese in seinem Fachbereich „Verbale Kommunikation“ be­ arbeiten lässt und fachlich begleitet. Leider gestaltet es sich immer wieder schwierig, Anzeigenkunden für unser ehrenamtliches Magazin-Projekt zu gewinnen – die von uns angefragten Unternehmen schalten ihre Werbung lieber auf herkömmliche Weise. Das finden wir sehr schade, wir lassen uns aber davon nicht entmutigen. Auf jeden Fall viel Spaß und kreative Anregungen beim Lesen! Ihr Michael Schels


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NHA LT 6 Bratwurst oder Nürnberger Gesetze? – Ein Interview mit Nico Degenkolb dem Koordinator von Kulturhauptstadt 2025 8 „Manchmal muss es knallen ... dann werden Denkmuster durchbrochen“ – LEONARDO: ein Innovationszentrum der Hochschulen Nürnbergs, für Künstler, Musiker, Ingenieure, Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler 10 Im Westen viel Neues – Alles hat ein Ende, nur das Heizhaus hat noch keins 13 Unendliche Welten im Nordostpark – Ein Besuch im Holodeck des Fraunhofer IIS 16 Vom besten Sound der Stadt und einem Spaziergang mit Henker 18 Viel zu lernen du noch hast! – Das Deutsche Museum bringt Zukunft und Science Fiction in die Nürnberger Altstadt 20 Wo wohnt die Kunst in Nürnberg? – Zwischen Tiergarten und Altenheim: die AdbK 22 Fitness für den Lehrkörper – Altenpflegeschule betreibt „Forschende Kunst“ zum Thema Veränderung 24 Klang­schöpfung, Seelen­begegnung und Synästhetische Räume 28 Create 2050 – In der IHK Akademie Nürnberg 30 10 Jahre Zentrifuge: Eine Zusammenschau – Vom Kunstraum zur Kreativplattform zum Ideen-Ikubator 34 Impressum


BRATWURST ODER NÜRNBERGER GESETZE? Gibt es Vorbehalte? Und wie geht man mit Erwartungen um? – Diese und weitere Fragen beantwortet uns der Koordinator der Bewerbung Nico Degenkolb. Ein gläsernes Büro in der Spitalgasse 1, wie es heißt: ein „Ort der Begegnung und Beteiligung”. Am Ende des Interviews erkundigt sich Nico Degenkolb interessiert nach unserer eigenen Meinung zur Bewerbung als Kulturhauptstadt. Doch wir kommen kaum dazu, sie ihm mitzuteilen. Denn als wir uns gerade verabschieden, hören wir, wie ein älterer Herr sich empört. Er spricht viel, zetert und poltert und wird zwischendurch immer lauter. Wörtlich sagt er: „Man wird Nürnberg immer mit den Nürnberger Gesetzen und den Prozessen verbinden. - Da klappt das niemals, dass wir Kulturhauptstadt werden.” Und weiter, auf dem Höhepunkt seiner Tirade: “Außerdem werden sich die Juden dagegen sträuben.” Und dann plötzlich nachdenklicher und offenbar resigniert: “Wie soll etwas mit so einem geschichtlichen Hintergrund jemals Kulturerbe sein? Das kann man doch überhaupt nicht positiv darstellen!“ Nico Degenkolb, der vorher in München für das Goethe-Institut gearbeitet hat und intensive Erfahrung mit digitalen Großprojekten und der Antragstellung bei der EU mitbringt, kennt das Phänomen nur allzu gut. Es ist nicht immer leicht, wenn man zur Partizipation aufruft. Denn einige Bürger kommen vorbei und laden hier nur ihren Ärger und ihre Vorurteile ab. Sie haben sich schon mit Nürnberg auseinandergesetzt und werden es in den nächsten Jahren noch intensiver tun. Was denken Sie über die Stadt? Ich bin von München aus hierher gezogen. Und ich nehme Nürnberg als wahnsinnig tolle Stadt wahr, die ihren Bürgern so einiges zu bieten hat. Als ich hierher kam, waren da erst einmal die riesigen Events wirklich gigantisch für mich, die man hier unter

freiem Himmel und ganz umsonst besuchen kann: das Bardentreffen, die Konzerte im Luitpoldhain und vieles mehr. Von außen kennt man so etwas gar nicht. Eine Bewerbung um den Titel „Kulturhauptstadt“ ist aufwändig und langwierig. Gibt es etwas, das schon umgesetzt wurde? Wir hatten einen großen Kulturhauptstadt-Tag, an dem wir mit über zweihundert Menschen über spannende Themen gesprochen haben. Zum Beispiel darüber, was für eine Kulturhauptstadt wichtig ist und sein sollte und was die Nürnberger so bewegt. – Denn: Was wünschen sie sich von einer Kulturhauptstadt? Was macht ihnen Bauchschmerzen? Was wollen sie ganz Europa zeigen? Was macht Nürnberg einzigartig? – Außerdem gibt es jetzt eine große Befragungsaktion, die wir an über zweitausend Haushalte geschickt haben und die es auch online gibt. Im Augenblick interessieren sich die Bürger vor allem für Themen wie „Migration“, „Erinnerungskultur“ und die „Zukunft der Arbeit“. Wir versuchen das Ganze zusammen mit der Bevölkerung zu realisieren. Dazu gab es bislang schon sechzig Informationsveranstaltungen, einen Videowettbewerb und jeden Monat rufen wir auf zur Diskussion im Künstlerhaus am Hauptbahnhof. Aus all diesen Bausteinen entstehen dann Pilotprojekte. Bleiben wir doch gleich beim Thema „Pilotprojekte“: Wie sieht denn da der Workflow aus? Und was entwickelt sich wie? Ich will jetzt nicht Kristallkugel spielen, weil wir noch ganz am Anfang stehen. Denn wir erarbeiten ja gerade das große Konzept für die Stadt. Es entstehen aber auf jeden Fall mehrere Pilotprojekte zu verschiedenen Themen. Für die suchen wir dann passende Partner in der Metropolregion Nürnberg und in Europa, die gut zusammen arbeiten können. Wir begeben uns also erst einmal auf Partnersuche für kleinere Kulturprojekte; manche sprechen hier auch von: „Appetithappen“. 2019 muss ein so genanntes „Bewerbungsbuch“ abgegeben werden. Was muss man sich darunter vorstellen?

Foto Marion Hammer Text Laura Kryjom, Livia Schrader und Rebecca Prell

NÜRNBERG – DIE STADT DER LEBKUCHEN UND DER GESCHICHTE. ABER HAT SIE DAS ZEUG ZUR KULTURHAUPTSTADT EUROPAS IM JAHR 2025?


Und ja, meistens ist es letzteres. Oder eben die Nürnberger Prozesse der Nachkriegszeit. Der europäische Gedanke ist uns deshalb auch sehr wichtig. Wenn zum Beispiel ein Portugiese mit in der Jury sitzt, dann wird der sicherlich an die Nürnberger Prozesse denken. Aber dann muss er auch bei diesem Gedanken abgeholt werden. Auch unser Portugiese sollte am Ende finden: „Das berührt mich, als Europäer wie als kulturaffiner Mensch.“ Das ist manchmal gar nicht so leicht, weil manche hier sagen: „Bitte nicht dieses Thema. Nicht schon wieder.“ Aber uns ist das dennoch wichtig. Wenn wir einen Blick in eine Zukunft wagen, in der Nürnberg Kulturhauptstadt ist: Wie wird sich das auf mich persönlich auswirken? Wenn Sie 2025 da sind, wird es, denke ich, jeden Tag ein hochwertiges Kulturprogramm geben. Viele Menschen aus Europa werden zum ersten Mal nach Nürnberg kommen und sich – wer weiß - vielleicht sogar hier niederlassen. Nürnberg wird als Stadt wahrgenommen werden, die in die Zukunft denkt. Und natürlich soll sie danach besser dastehen als zuvor. Ich glaube, in unserer Welt, die sehr auf Effizienz bedacht ist und die vor allem wirtschaftlich denkt, wird der Mensch nur als ökonomischer Faktor gesehen. Genau deswegen ist Kultur das Feld der Wahl, wo man Freiräume und Zukunftsvisionen umsetzen kann.

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Die Struktur ist vorgegeben: Es wird kein Roman, den man schreiben muss. Sondern es werden rund hundert Seiten mit circa achtzig Fragen sein, die wir alle beantworten müssen. Und danach, nachdem sich eine Jury das angesehen hat, wird eine Shortlist von zwei bis fünf Städten erstellt, die dann aufgefordert werden, weiter zu arbeiten und ein zweites Bewerbungsbuch abzugeben. Kommen wir zu den harten Fakten: Wie viel Geld wird in das Projekt investiert? Und ist das, Ihrer Meinung nach, gut angelegt? Was spricht denn dafür? Ja, meiner Meinung nach ist das Geld gut angelegt. Wir verstehen all das auch als Beitrag zur Stadtentwicklung. Ich finde, dass Kultur ein leichtes Opfer ist. Aber gerade in unserer Zeit spielt sie eine zunehmend wichtige Rolle für die Zukunft unserer Gesellschaft. Nürnberg wird auf jeden Fall keine Kulturhauptstadt, die Milliarden kostet. Es wird nicht dazu kommen, dass, wie in Marseille, 800 Millionen Euro in Gebäude investiert werden. Über die nächsten drei Jahre hinweg sind uns erst einmal fünf Millionen Euro zugesichert. Das sind pro Bürger etwa drei Euro im Jahr. Aber wenn Nürnberg tatsächlich Kulturhauptstadt wird, steht der Stadt ein Budget von zehn bis hundert Millionen zur Verfügung. Was möchte Nürnberg mit der Bewerbung erreichen? Unsere Ziele sind: Die europäische Vielfalt aufzuzeigen, Europa als Kulturraum erfahrbar zu machen, Gemeinsamkeiten und Unterschiede innerhalb des Kontinents sichtbar werden zu lassen und Kultur als Teil der Stadtentwicklung zu begreifen. Also nicht primär: ein riesiges Festival zu machen, sich selbst zu feiern oder jeden Tag ein Feuerwerk abzubrennen. Und welche Argumente gäbe es für oder gegen die Wahl dieser Stadt? Also man muss ganz klar sagen: Wir sind sicher nicht eine Kulturhauptstadt Europas im klassischen Sinn. Das sind wahrscheinlich nur London, Berlin oder Paris. Wir werden nicht Kulturhauptstadt, weil wir die ärmste Stadt Europas sind, oder weil wir schon immer die tollsten Kulturprojekte gemacht haben. Aber wir bewerben uns als eine Stadt, die immer wieder gefallen und aufgestanden ist, und die sich intensiv mit ihrer Vergangenheit auseinander setzt. Ich denke, da haben wir viel zu erzählen. Inwiefern spielt denn Nürnbergs Vergangenheit eine Rolle? Und welche? Sprechen wir hier vom Mittelalter, der Renaissance oder dem Nationalsozialismus? Wenn man „Nürnberg“ hört, dann oft im historischen Kontext. Da stellt sich gar nicht die Frage: Nürnberger Bratwurst oder Nürnberger Gesetze?


Aber was genau kann man sich darunter vorstellen? Mit LEONARDO wollen wir eine gemeinsame Plattform für die Studierenden, Lehrenden und Forscher von drei Hochschulen schaffen. Dort wird es um die ersten Schritte im Innovationsprozess gehen. Also um den Moment, in dem eine Idee geboren wird. LEONARDO soll da Antworten geben: Wann entstehen Ideen? Wann, wo und wie ist der Mensch kreativ? Wie kann diese Kreativität gefördert werden? Und auch: Was braucht es, um aus einer Idee einen Erfolg zu machen? Und wie soll so ein Zentrum wie LEONARDO ausgestattet werden? Dafür wird es auf etwa 1.000 Quadratmetern eine Arbeits- und Lernumgebung geben, mit Besprechungsräumen, einer Präsentationsfläche, aber auch mit Laboren, wie etwa einem Musiklabor. Und es ist eine Digitale Werkstatt geplant, mit 3D-Drucker, Tabletts und VR-Brillen. Aber ebenso eine Analoge Werkstatt, mit Werkzeugen wie Sägen und Nähmaschine. Außerdem wird es einen Coworking-Space mit fünfzehn Arbeitsplätzen geben. Den können die Studierenden auch außerhalb ihrer Vorlesungen für einige Monate nutzen, um beispielsweise Prototypen zu bauen. Zur Unterstützung werden im Zentrum CreativeManager arbeiten, aus Kunst oder Musik, aus Sozial- oder Ingenieurwissenschaften. Diese werden die Projekte konzipieren und begleiten und KreativWorkshops durchführen. Die Methoden, die dabei

„MANCHMAL MUSS ES KNALLEN ...“ LEONARDO - EIN INNOVATIONSZENTRUM DER HOCHSCHULEN NÜRNBERGS, FÜR KÜNSTLER, MUSIKER, INGENIEURE, WIRTSCHAFTS- UND SOZIALWISSENSCHAFTLER

Illutration Julia Michel Text Sandrino Maier und Antonia Hartmannshenn

Immer mehr Unternehmen gründen Innovationslabore und erkennen den Wert von interdisziplinärer Arbeit. Nach dem Prinzip: Je mehr unterschiedliche Köpfe zusammenkommen, desto mehr Ideen können entwickelt und desto unkonventioneller können Probleme gelöst werden. Das betrifft auch die Hochschulen. In der Regel haben Studierende während ihrer Studienzeit nur wenig Kontakt zu anderen Fachgebieten oder gar Erfahrung mit übergreifender Zusammenarbeit gemacht. Um das zu ändern, wurde ein Konzept verfasst, das sich im Förderprogramm „Innovative Hochschule“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung behaupten konnte: Und das war auch der Beginn des Kreativzentrums LEONARDO. Mit einer Fördersumme von knapp zehn Millionen Euro soll es innerhalb von fünf Jahren aufgebaut werden, in einem Zusammenschluss der Technischen Hochschule Georg Simon Ohm mit der Akademie der Bildenden Künste und der Hochschule für Musik in Nürnberg. „Wir haben an der Technischen Hochschule festgestellt, je mehr unsere Studierenden und Wissenschaftler mit anderen Institutionen zusammenarbeiten, desto mehr kommt dabei heraus. Die gemeinsame Arbeit läuft nicht immer reibungslos, schon weil dabei Personen zusammentreffen, die unterschiedliche fachliche Hintergründe, Branchenkenntnisse und Perspektiven haben. Doch genau dann werden Denkmuster durchbrochen und es entstehen die besten Ideen. Dafür wollen wir eine Plattform schaffen.“ Das erklärt uns Monika Hegner, Administratorin von LEONARDO und Persönliche Referentin des Präsidenten der TH Nürnberg. Zusammen mit ihrer Kollegin Sandra Knakrügge, Leiterin der Zentralstelle Wissensund Technologietransfer, hat sie das Konzept verfasst. Darin wird in Aussicht gestellt einen „Innovations- und Transferprozess“ zu etablieren, der sich auf die „kritische Frühphase der Ideengenerierung“ konzentriert.


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zum Einsatz kommen, reichen dann von Design Thinking über Workshops mit LEGO-Mindstorms bis hin zu „World Cafés“, bei denen auch mal auf Tischdecken gemalt wird. Sie sprechen von Projekten, aber um was geht es dabei? Die Projekte sollen direkt die Region betreffen. Daher werden die Aufgabenstellungen idealerweise von externen Partnern kommen. Mit dabei sein werden, das weiß man schon jetzt: das Neue Museum, die Arbeiterwohlfahrt, die Stadtverwaltung und das Klinikum Nürnberg. Beispielsweise kann ein Wohlfahrtsverband ein Problem vorstellen, das mit Pflege zu tun hat – und mit einem technischen Studienprojekt zum Thema „Robotik in der Pflege“ gelöst werden könnte. Aber wir würden nicht nur die technischen Aspekte betrachten wollen, sondern Sozialwissenschaftler und Designer einbinden, um Fragen zu klären: „Wie reagieren Menschen darauf, wenn ein Roboter sie pflegt?“ und „Ist es von Vorteil, wenn er humanoid aussieht?“ Das Projekt geht dann weiter, so dass zusätzlich die Sozialwissenschaften mit eingebunden werden, mit der Frage „Wie reagieren Menschen darauf, wenn ein Roboter sie pflegt?“ Überdies werden auch viele Projekte von Professoren ausgehen. Unter anderem aus einer hochschulübergreifenden Vorlesung zu digitalen Musikinstrumenten, angesiedelt bei Musikern und Informatikern. Über solche Vorlesungen kann pro Semester eine Aufgabenstellung erarbeitet werden, für die die Studierenden der verschiedenen Fachgebiete zusammen neue Ideen entwickeln. Bedeutet das, dass alle Projekte in LEONARDO interdisziplinär bearbeitet werden müssen? Genau. An den Projekten sollen am besten Studierende der drei verschiedenen Hochschulen beteiligt sein. Auch wenn es auf den ersten Blick ein rein technisches Projekt ist, wie zum Beispiel ein Abwassersystem. Da kann ein Musiker vielleicht nicht viel Fachliches dazu beitragen, aber sich durch seine eigenen Methoden in der Ideenfindung einbringen. Auf diese Weise soll jeder von jedem lernen und sich über seinen eigenen Bezugsrahmen hinaus weiterentwickeln. Dieses interdisziplinäre Zusammenarbeiten kann auch innerhalb einer Hochschule über mehrere Fakultäten hinweg erreicht werden. Da immer mehr Unternehmen Innovationslabore einführen, wollen wir die Studierenden auch an das Thema Kreativitätsmanagement heranführen. So sollen sie ein Gespür dafür entwickeln, wie man in heterogenen Teams arbeitet, speziell mit Vertretern anderer Fachgebiete, und wie man auf diese Weise an unkonventionelle Ideen kommt.

Im Konzept heißt es, dass LEONARDO der Region nutzen soll. Aber inwiefern wirken sich solche Projekte wirklich auf die Stadt Nürnberg und ihre Umgebung aus? Wie wirksam kann so etwas sein? Idealerweise soll alles, was an neuen Ideen und Erkenntnissen im LEONARDO entwickelt wird, für die Region sichtbar und erlebbar werden. Das können Kulturprojekte sein, neue Produkte und Unternehmensgründungen oder ganz Konkretes, das auch von Einzelnen genutzt werden kann, wie etwa eine Service-App für Senioren. Wie weit ist der Plan schon gediehen? Gibt es ein Eröffnungsdatum? Wir hoffen noch im Jahr 2018. Offizieller Projektstart war im Januar und wir kümmern uns momentan um die passenden Räumlichkeiten. Das Team versuchen wir bis zum Herbst, wohl bis Oktober einzustellen. Im Sommersemester 2018 sollen bereits die ersten Pilotprojekte starten. Dabei wird es um Aufgaben gehen, die direkt mit dem Aufbau des Zentrums zu tun haben: Wie wird das Logo und die Webseite aussehen? Welche IT-Infrastruktur benötigen wir? Und wie muss das Zentrum innenarchitektonisch gestaltet werden, um eine besonders kreative Atmosphäre zu schaffen? Ab 2019 steht das LEONARDO dann den drei Hochschulen und der Region offen - und jeder kann seine Fragen, Aufgaben und Projekte mit einbringen.


IM WESTEN VIEL NEUES

Gemeinsam kreativ sein. - Alles hat ein End’ – nur die Quelle hat noch keins: Das heizhaus als Fortsetzung einer Utopie. Im Westen von Nürnberg, im Stadtteil Eberhardshof: Hier ragt der alte Quelle-Turm neunzig Meter in die Höhe. Ein Wahrzeichen längst vergangener Zeiten. Darunter liegt das Quelle-Gebäude, still und verlassen, wie ein riesiges Schiffswrack. Im heizhaus aber, gleich nebenan, ist es noch lebendig. Hier haben einige Kreative eine neue Heimat und eine neue Plattform gefunden. Einst wurde hier Wärme für das größte Versandhaus Europas erzeugt, heute: kleine und große Produkte, Sounds und Designs aller Art. Und schon beim Betreten des Hinterhofs weiß man: Hier wohnt bestimmt kein Rechtsanwalt.

Fotografie: Nicole Röbisch, Isabel Engelhardt Text: Isabel Engelhardt, Marion Hammer und Nicole Röbisch

ALLES HAT EIN ENDE – NUR DAS HEIZHAUS HAT NOCH KEINS


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Wild wuchernde Blumenbeete in Einkaufswägen. Dahinter: eine glitzernde Kunststoffpalme. Auch ein altes Kanu findet hier seinen Platz. Wir sind ein bisschen aufgeregt und sehr gespannt, was uns wohl erwartet hinter diesen schweren Stahltüren. Sebastian Taute öffnet uns mit hipper Strickmütze und breitem Grinsen das Tor zum Inneren der Kreativfabrik. Und schon stehen wir direkt in seinem Showroom der eigens gegründeten Marke „Subucoola“. An den Wänden hängen Dutzende von sorgfältig eingerahmten Stoffmotiven, die bereits auf verschiedene T-Shirts gedruckt wurden. Während unsere Blicke von Bild zu Bild wandern, erinnert Sebastian daran, dass im Jahr 2015 das Quelle-Versandzentrum zwangsversteigert wurde und damals alle Kreativen ausziehen mussten, die dort ihren Platz gefunden hatten. Die ehemalige Quelle ist mit einer Größe von fast 40 Fußballfeldern Nutzfläche das zweitgrößte leerstehende Gebäude Deutschlands. Immer noch. Aber alle, die dort – nach der Pleite des Riesen - billige Büros, Ateliers, Werkstätten und Ausstellungsflächen nutzen konnten, mussten gehen. Alle Träume vom alternativen Wohnen, Leben und Arbeiten, von freien Galerien und wilden Festen, internationaler Kunst und demokratischer Stadtteilkultur in diesem riesigen Gebäude hatten sich plötzlich zerschlagen. Etwa drei Dutzend Designer, Künstler, Musiker und Handwerker blieben übrig und fanden sich wieder im deutlich kleineren heizhaus. Einer davon: Sebastian, der hier seine Druckwerkstatt einrichten konnte. Bei ihm stapeln sich auf langen Holzregalen halbleere Behälter mit Farben. Direkt daneben verziert ein frischer Blumenstrauß den Tisch, umgeben von gebrauchten Kaffeetassen und Skizzenpapier. Die aufragenden blauen Druckmaschinen beanspruchen die größte Fläche des Raums, der durch seine hohe Decke dennoch Luft zum Atmen lässt. Sebastian erzählt, dass er für seinen Druck hauptsächlich BioFarben und Fair Trade-Stoffe verwende. Denn: „Subucoola ist alles andere als eine Discount-Druckerei. Langlebigkeit ist für mich der Kern von Nachhaltigkeit.” Und: “Nach diesem Prinzip arbeiten so gut wie alle Menschen hier im heizhaus“, berichtet er stolz. Er experimentiert gerne, auch gerne mit Naturpigmenten und zeigt uns dann ein T-Shirt, das mit Senf bedruckt wurde. Weiter geht es zur Schneiderei: Konzentriert hantieren hier zwei Frauen an Tischen voller bunter Stoffe mit Fäden und Scheren. Nur kurz schauen sie auf und lächeln, bevor sie wieder in ihren Knäueln versinken. An der Wand hängen bunte Garne, die im Zusammenspiel wie ein heiteres Gemälde wirken. Schnell

wird klar: Dass die Druckerei gleich neben der Schneiderei liegt, ist für beide von großem Nutzen. Generell kooperieren die verschiedenen Bereiche im heizhaus miteinander. „Genau das ist ja auch der Sinn hinter alledem“, wirft Sebastian ein. Neben den getrennt genutzten Räumen gibt es einen Gemeinschaftsraum, das so genannte “Wohnzimmer”. Beruf und Freizeit vermischen sich miteinander - oft ganz unbewusst. „Für mich ist das heizhaus momentan mein Lebensmittelpunkt. Und manchmal fühlt sich die Arbeit gar nicht wie Arbeit an“, erklärt uns Sebastian. Außer Leichtigkeit sorgen auch feste Regeln für das Weiterkommen der kreativen Truppe, zwischen Designbüro und Proberaum. Kreativität: ja. Chaos: nein. Als selbsternanntes „Arbeitsamt“ haben sich ein paar Mitglieder des Quellkollektivs e.V. zusammengefunden, die sich um die Organisation, um die Infrastruktur und alle Erledigungen rund um das heizhaus kümmern. Jeden Montag treffen sich die Freiberufler, Handwerker und Designer, um aktuelle Themen und To Do’s zu besprechen. Denn im Gegensatz zum AEG-Gelände und der Leipziger Spinnerei ist das heizhaus selbstverwaltet. Die Mieter müssen von der Buchhaltung bis zur Einreichung von Bau- und Förderanträgen alles selbst erledigen. Sie sind Chef und Hausmeister und Bürokraft in einem. Und jeder muss mit anpacken. Allrounder sind da besonders gefragt. Und wenn es darum geht, für den Fortbestand des heizhauses zu kämpfen, sind Argumente schnell zur Hand: So habe es schließlich auch für die Perspektiven Nürnbergs einen gewissen Stellenwert. Im Sinne eines Images, aber auch ökonomisch. - Neben Lebkuchen und Christkindlesmarkt habe die Stadt ja viel mehr zu bieten, als die verstaubten Strukturen vermuten ließen: Möglichkeitsräume und Veränderungspotentiale. In einem Interview heißt es, es gehe darum “für das Quartier und die gesamte Nürnberger Gesellschaft Mehrwert zu generieren.” Und weiter: “Wir wollen … Verständnis für das positive Zusammengehen von Kultur, Gesellschaft und Wirtschaft schaffen.” - Bislang verteilten große Firmen wie adidas, Siemens oder der Nürnberger Flughafen ihre Aufträge in alle Welt. Mittlerweile aber übernehme das heizhaus schon ein paar davon. Was schließlich bedeute, dass mehr Geld in der Region bleibe. Da könne und solle sich die Stadtregierung doch endlich mal um mehr Räume bemühen, so dass hier ansässige Künstler und Designer auch gerne blieben. Denn Kreativität sei ja schließlich die Basis einer lebendigen Stadtkultur. Und wie heiße noch einmal das Motto der Europäischen Metropolregion Nürnberg: Ja, richtig … “Heimat für Kreative”. Über den Hinterhof gelangen wir in eine weitere Halle. “Immer den Spänen nach …” – denn hier bauen Schreiner gerade an neuen Stehtischen für eine angesagte Bar in der Stadtmitte. Es duftet nach Holz. Wir bahnen uns einen Weg durch Splitter, Staub und Reste bis zum anderen Ende des Raums. - Gleich neben der Schreinerei hat sich für Tobias Witt ein Raum gefunden, in dem er an seinen Glasobjekten tüfteln und experimentieren kann. Heraus kommen verblüffende Formen und Farben, die man bereits auf einigen Ausstellungen bewundern konnte. “Hier vermischen sich Kunst und Handwerk“, sagt Sebastian grinsend.


„Wir sind froh, dass wir das heizhaus wieder zum Leben erwecken durften”, meint er. Und für die Zukunft haben wir jede Menge Pläne.“ Denn Kreativwirtschaft entsteht ja nicht nur in hippen Agenturen. Sie wächst und gedeiht dort, wo man sie in Ruhe lässt. Die Freiräume und Flächen des heizhauses sind der perfekte Nährboden für neue Ansätze. „Allerdings kann es mit alledem auch jeden Tag zu Ende gehen. Dabei wäre es wirklich schade, wenn sich unsere Kreativ-WG auflösen würde. Denn meine Katze Minki hat sich schon an die Räume und vor allem an die Menschen hier gewöhnt.“ Zum Schluss wollen wir von Sebastian wissen, ob er vielleicht der Zeit im Quelle-Gebäude nachtrauere, was er jedoch schnell verneint. „Im heizhaus gibt es einen großen Vorteil: die Wege sind kürzer. Man arbeitet automatisch mehr zusammen. In der Quelle waren wir oft zehn Minuten und länger mit dem Cityroller unterwegs, wenn wir etwas mit anderen zu besprechen hatten.“ Während Sebastian seinen großen Schlüsselbund aus der Hosentasche kramt, ertappt er uns, wie wir über den Sinn und die Möglichkeiten des Quelle-Turms philosophieren. „Wir hatten da schon eine Menge Einfälle“, wirft er ein. „Wir haben uns vorgestellt, der Turm wäre ein gigantisches Kettenkarussell, das wir zum Spaß nutzen könnten. Für das heizhaus gibt’s klare Ziele. Die Nutzung des Turms ist noch unklar. Doch an Ideen mangelt es uns nicht.“

Das „heizhaus“ ist eine Coworking-Community im Nürnberger Westen. - Zukünftig bietet das 2000 m² große Areal Platz für rund 40 Mieter, die in Werkstätten, Ateliers, Musik- und Fotostudios, Büros, Proberäumen und einem Veranstaltungsraum ihre Berufe ausüben werden. - Die Künstler, Designer, Musiker und Handwerker eint die Idee, ihr selbstständiges Wirtschaften dafür einzusetzen, innovative Strategien und Lösungsansätze für den städtischen Raum und gesamtgesellschaftliche Problemstellungen zu entwickeln und zu erproben. Das „heizhaus“ ist das Pilotprojekt des Quellkollektiv e.V. am Fuße des Turmes des ehemaligen Quelle­ versandhauses. http://www.heizhaus.org/ heizhaus KATALOG: heizhaus.INTERVIEW In diesem Video äussert sich die Mieterschaft (September 2017)


UNENDLICHE WEITEN, UNENDLICHE WELTEN IN NÜRNBERGS NORDOSTPARK Virtuelle Realitäten, ein Holodeck wie auf der Enterprise: Einfach einen Raum betreten, Programm auswählen und schon sind wir in einer anderen, einer glaubwürdig simulierten Welt? Tolle Sache. Und eine beliebte Vision, spätestens seit der Fernsehserie “Star Trek: The Next Generation”. Aber wie weit sind wir davon entfernt? Virtual Reality ist ganz sicher ein Hype-Thema. Neben Robotern, Künstlichen Intelligenzen und der Besiedlung des Mars scheint sie das nächste große Ding im Silicon Valley zu sein. Hier, in der Region, gibt es, was das angeht, vor allem eine zukunftsträchtige Entwicklung: Das Holodeck 4.0, ein kurz vor der Ausgründung stehendes Projekt der Fraunhofer Gesellschaft, genauer: des Fraunhofer IIS im Nürnberger Nordosten. Aber was heißt das? Findet der Geschichtsunterricht an Nürnberger Gymnasien vielleicht schon bald in begehbaren Computersimulationen statt? Im großzügigen, modern gestalteten Foyer werden wir abgeholt: „Na klar haben wir uns bei dem Namen an der Serie orientiert, im Team sind wir mehrere Trekkies“, meint Star Trek-Fan René Dünkler, DiplomWirtschaftsingenieur und zuständig für das Technologie-Marketing des Fraunhofer-Instituts für Integrierte Schaltungen IIS.

Viel gibt es auf dem Weg in den Besprechungsraum nicht zu sehen. Dafür bekommen wir auf dem Rückweg spannende Einblicke in die Arbeit vor Ort. Zunächst aber unterhalten wir uns erst einmal eine anregende Dreiviertelstunde lang über das Holodeck, seine technischen Hintergründe, seine aktuellen Verwendungzwecke, aber auch über zukünftige Möglichkeiten. Entwickelt wurde das Holodeck nach langjähriger Forschung. Da ging es zunächst einmal um Lokalisierungstechnologie und ihre Verbindung mit Netzwerken. Auch Bewegung und Präzision sind dabei ein Thema. So beschäftigt man sich am Fraunhofer ISS mit der ersten “Torlinientechnik”, mit Tor- und Ballerkennung und einer sicheren Datenübertragung, die bereits bei der FIFA Fußball-Weltmeisterschaft in Japan eingesetzt wurde. Hier wurden spezielle Tools erarbeitet, die professionelle Sport-Teams zur Analyse ihres Trainings nutzen. Und für Logistikunternehmen forscht man an einer „Wo ist mein Gabelstapler?“-Technologie. Das alles findet in einer Halle des Instituts statt, auf einem 1.400 Quadratmeter großen Feld. Auf dem werden – von ein und demselben Lokalisierungssystem – bis zu hundert Personen gleichzeitig erfasst. Und so können sie in der Virtuellen Realität des Holodecks miteinander interagieren. René Dünkler erklärt, dass das in dieser Größe weltweit einmalig sei. Und: Es funktioniert. Als wir die Technik im Herbst 2017 selbst ausprobieren durften, erlebten wir sie am Beispiel eines Gruselkabinetts. Ventilatoren, die wir hinter der VR-Brille nicht sahen, pusteten uns Wind um die Ohren, wenn wir in Virtual Reality einen Balkon betraten.

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EINE BEGEHBARE VIRTUELLE REALITÄT? – EIN BESUCH AUF DEM „HOLODECK“ DES FRAUNHOFER IIS



Illustration Lea Hald Text David Brummer und Franz Walser

wohldosiert Abwechslung und Bewegung zu offerieren. Gemeinsam spinnen wir den Faden weiter und fabulieren über die Verwendung im öffentlichen Raum. - Warum nicht ein Holodeck im Hof der Nürnberger Kaiserburg aufbauen und mittelalterliche Veranstaltungen inklusive historischer Umgebung (virtuelle) Realität werden lassen? – Oder wie wäre es mit einem Naturkunde-Museum, das bei Ausstellungsgegenständen nicht auf Leihgaben anderer Museen angewiesen wäre, weil Dinoknochen, zum Anfassen nah, neben der Mumie vom Ötzi zu betrachten sind: im Holodeck? Dann geht es um den Schulunterricht, in dem andere Welten betreten werden. Davon träumen Menschen ja nicht zum ersten Mal; schließlich hat schon Erich Kästner in seinem „Fliegenden Klassenzimmer“ seine Tertianer auf eine Reise um die Welt mitgenommen, ohne dass sie ihren angstammten Raum in der Schule je hätten verlassen müssen. Klar, das wären schöne Einsatzmöglichkeiten, stimmt René Dünkler zu. Warum aber haben dann bislang nur Anbieter von Messeständen und Einkaufszentren das Glück, diese spannende Technik einzusetzen? Es ist das altbekannte Problem: Der soziale Sektor; Kultur und Bildungswesen, denn in diesen Bereichen verorten wir die genannten Einrichtungen, sind chronisch unterfinanziert. Neuerungen können einen noch so großen gesellschaftlichen Mehrwert haben - wenn der Gewinn nicht zählbar ist, kommen ausgefallene „Spielereien“ wie das Holodeck nicht in Frage. Es ist ein zweischneidiges Schwert: Denn verständlicherweise freut sich die Kommunalpolitik über den Technikstandort Nürnberg, braucht man doch damit einhergehende Investitionsanreize und Arbeitsplätze. So schätzt man auch die Entwicklungen, die vom Fraunhofer IIS ausgehen. Aber finanziell schwächeren Institutionen und Anbietern werden die Neuerungen zunächst nicht zuteil. Da muss der technische Fortschritt erst noch bezahlbar werden. Fest steht: Es lohnt sich, die Augen offen zu halten, wo das Holodeck 4.0 in nächster Zeit eingesetzt wird. Eine bemerkenswerte Erfahrung ist es allemal – und wer weiß, vielleicht können Nürnbergs Schulkinder wirklich einmal Pyramiden und Regenwälder besuchen oder auf dem Mars spazieren gehen: im Erdgeschoss, gleich hinter der Sporthalle links: Willkommen im Holodeck!

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Eine Riesenspinne fiel direkt vor uns von der Decke und wirkte so plastisch und förmlich „da“, dass wir uns ordentlich erschreckten. Klar, ähnliches gibt es schon in Freizeitparks, aber: meistens kann man sich dort nicht so frei bewegen, sondern sitzt beispielsweise in einer Achterbahn. Der MultiplayerAspekt, die enorme Fläche und die kaum eingeschränkte Bewegungsfreiheit sind die großen Pluspunkte des Holodecks 4.0. So jedenfalls fasst Dünkler die Vorzüge des eigenen Ansatzes zusammen. Konkurrenz in diesem Bereich gebe es weltweit vielleicht von ein, zwei Unternehmen – etwa von The Void in den USA („It’s hyper-reality. It’s technical achievement. But mainly, it’s fun!“). Das Holodeck im Raum Nürnberg wird nun bald in eine eigenständige Firma umgewandelt, um – wie Dünkler erklärt - flexibler und spezifischer auf Kundenwünsche eingehen zu können. Im Augenblick werde es hauptsächlich auf Messen eingesetzt. Auch eine Installation in einem örtlichen Einkaufszentrum sei geplant. Denn: Die Größe der bespielten Fläche ist variabel. VR-Computerspiele werden hier ebenfalls angegangen, benötigen aber vor allem auf der technischen Seite noch Entwicklungen, um eine größere Immersion der Spielenden zu ermöglichen. Gemeinsam mit Herrn Dünkler sinnieren wir über mögliche Verbesserungen: In den zentralen Bereichen Interaktion, Grafik, Sound, Geruch und Haptik fällt uns so einiges ein. Die Beispiele legen den Eindruck nahe: Das Holodeck scheint vielseitig einsetzbar. Aber dann möchten wir wissen, ob jenseits der kommerziellen Verwendung auch schon andere Optionen in Betracht gezogen wurden. Wie wir erfahren, kann das Holodeck auch bei Therapien von Angststörungen und traumatischen Belastungen genutzt werden. Dann erwähnt unser Gesprächspartner, dass auch Altersheime interessiert wären, um älteren Menschen mittels VR den Alltag zu versüßen und ihnen


VOM BESTEN SOUND DER STADT UND EINEM SPAZIERGANG MIT HENKER ZWEI KÜNSTLER, ZWEI PERSPEKTIVEN: NÜRNBERG.

Illustration: Malena Guinet Text: Benjamin Seuss, Juliane Weigel und Sophie Wetterich

Es gibt ein historisches “Nürnberger Künstlerlexikon”, das Wirtschaftsreferat der Stadt hat schon 2010 einen Kreativreport herausgegeben, auf einer Website versammeln sich Bildende Künstler, die Europäische Metropolregion präsentiert “Künstler des Monats” und lädt die “Kultur- und Kreativwirtschaft” zu Symposien im alten Rathaussaal. – Aber in Gesprächen ergeben sich ganz andere Einblicke in das Leben der Stadt und den Alltag der Kreativen, Blicke auf Merkwürdigkeiten und bedeutende Details: “Wenn ich jetzt durch die Stadt gehe, sehe ich meine Geschichten”, sagt eine Autorin und ein Musiker erwähnt, “… ein paar Dachziegel auf der Nürnberger Burg, die wie ein Xylophon klingen“. - Mit dem Tod beschäftigt sich Monika Martin. Sie schreibt Krimis. Und Schauplatz ihrer Morde ist Nürnberg, auf den Straßen und Plätzen der Gegenwart, wie in der Geschichte. - Yogo Pauschs Herz schlägt für die Musik. Und mit seinen schon über 60 Jahren gehört er zu den ganz großen „Geräuschemachern“ in Nürnberg. Und was da klingt und singt, fasziniert ihn nach wie vor.


Yogo Pausch

Sie kommen nicht aus Nürnberg, was hat hat Sie hierher gelockt? Ich wollte raus aus der Kleinstadt. Aber mein seniler Passat-Kombi hätte die Strecke nach München nicht mehr geschafft. Nürnberg war die zweite Wahl, wurde aber zum Ort meiner Inspiration. Sie sind Schriftstellerin. Wie kamen Sie darauf, auch Stadtführerin zu werden? Und wie verknüpfen sie den Beruf mit Ihrer Arbeit als Autorin? Im Café Fatal ist mir ein Flyer in die Hände gefallen: „Geschichte für alle e.V. – wir suchen einen Rundgangsleiter“. Ich komme nicht aus Nürnberg, habe mich nie sonderlich für Geschichte interessiert, nie an einer Stadtführung teilgenommen. Trotzdem war mir klar: Die suchen mich! Ich laufe durch Nürnberg mit der anregenden Frage: Könnte ich das in einem meiner Bücher verbraten? Ich schreibe über Orte, die mein Herz höher schlagen lassen. Deshalb gibt es jetzt einen Toten auf dem Albrecht Dürer-Platz, eine Wasserleiche im Nummernweiher und schwere Körperverletzung am Tiergarten. In meiner Buchreihe „Krimis mit Geschichte“ fließen auch historische Fakten über die Stadt mit ein. Zum Beispiel treibt der Henker “Meister Franz” sein Unwesen. Nachdem ich ein Buch veröffentlicht habe, verlasse ich das Haus nicht ohne drei Exemplare und einen Signierstift. Stadtführungen sind da eine wunderbare Verkaufsplattform. Und inwiefern haben Ihre Bücher Sie selbst verändert? Wenn ich jetzt durch die Stadt gehe, sehe ich meine Geschichten.

Sie leben seit Ihrer Geburt in Nürnberg – warum fühlen Sie sich so wohl hier? Ich konnte in dieser Stadt meine verrückten Ideen als Trommler ausleben. Weil es Nürnberg immer zugelassen hat. - Denn eins darf man nicht vergessen: Ich wollte nie eine Rhythmusmaschine im Hintergrund sein, sondern eigentlich immer im Rampenlicht stehen. Auch sind mir Städte wie München, Berlin oder Frankfurt einfach zu groß. Obwohl ich gerne wegfahre, komme ich auch gern zurück. So finde ich es in Nürnberg immer gemütlich. Nicht so stressig. Wann haben Sie ihre brennende Leidenschaft für die rhythmische Musik entdeckt? Da gibt es eine kleine Geschichte: Ich habe mit sechzehn Jahren bei einem Umzug aus einem kaputten Stuhl zwei Streben herausgebrochen. Das waren dann meine Drumsticks. Mit denen habe ich angefangen, auf meiner Gitarre zu trommeln. Kurze Zeit später hatte ich mein erstes Schlagzeug bei meinen Eltern im Keller stehen. Wenn Sie die Möglichkeit hätten, Ihrem jüngeren Ich einen Tipp an die Hand zu geben. Was würden Sie ihm sagen? Was würden Sie ihm raten? “Fürchte dich nicht!” – Ich hatte vor meinem ersten Solo-Job Bedenken, dass ich es nicht schaffe, dass mir die Leute nicht zuhören. Kurze Zeit später habe ich aber gemerkt: “Hoppla, das klappt ja!” Die Leute fanden es toll. Und so schnell ich angefangen habe, so schnell war das Konzert auch schon wieder um. Der beste Sound in Nürnberg … ... ist der Messingknauf der großen Tür des Gebäudes der Industrie- und Handelskammer. Ein stumpf klingender, blecherner Ton. Einfach einzigartig! Und neben diesem Knauf gibt es ein paar Dachziegel auf der Nürnberger Burg, die wie ein Xylophon klingen. Was ich auch durch einen Zufall entdeckt habe, ist das fränkische Bierfass. Nach einem Konzert hatte ich eins im Kofferraum. Und jedes Mal, wenn ich eine Kurve gefahren bin, rollte das Fass gegen die Seitenwand des Autos. Das Geräusch, das da zu hören war, war ein volltönendes: „Gloing!“ Was würden Sie sich für das Nürnberg der Zukunft wünschen? Ich würde mir wünschen, dass Nürnberg geselliger wäre. Ich vermisse den Plausch nach einem Konzert, den Moment, wenn man zusammen mit den Zuhörern noch ein Bierchen trinken geht und die Sommernacht genießt. Es liegt wohl an Franken, dass sowas nicht mehr möglich ist. Es ist grauenhaft: Dreihundert Leute und man kann nicht mal in Ruhe ein Bier zusammen trinken, weil alle schon nach Hause gegangen sind. Na ja, vielleicht müssen die früh wieder raus? Aber ansonsten bin ich mit Nürnberg sehr einverstanden.

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Monika Martin


VIEL ZU LERNEN, DU NOCH HAST! Es regnet. Ein Raumschiff landet auf einer Plattform. Blitze zucken, als die von Klon-Kriegern flankierte Trage des schwer verletzten Anakin Skywalker in ein hohes Gebäude gleitet. Schmerzensschreie dringen aus dem Operationssaal, während Maschinen seine verstümmelten Gliedmaßen durch Prothesen ersetzen und seine verbrannte Haut mit einer Schutzlegierung überziehen. Schließlich wird eine Maske auf sein Gesicht gesenkt. Mit dem ersten keuchenden Atemzug ertönt das so bekannte Geräusch, das seine Identität für immer mit der dunklen Seite der Macht verbindet: Anakin Skywalker ist zu Darth Vader geworden. – Die Zukunftsvisionen aus Filmen faszinieren schon Generationen. Inzwischen sind viele Wirklichkeit geworden. Welche Möglichkeiten bietet uns die Wissenschaft schon jetzt? Wie wirken sich Innovationen auf unser Leben aus und inwiefern können uns Zukunftsgeschichten Vorbild oder Warnung sein? Und: Wie weit darf der Mensch gehen, bevor er seine Menschlichkeit verliert? Mit diesen Fragen wird sich die Zweigstelle des Deutschen Museums beschäftigen, die schon

bald in Nürnberg eröffnet werden soll. Bereits 2020 soll sie fertig und zu besuchen sein, am Augustinerhof, unweit des Hauptmarkts. Auf drei Ebenen und fast 3.000 Quadratmetern Fläche werden Besucher zu einer Reise in die Welt von Morgen eingeladen. „Das Museum soll vor allem Spaß machen!“ Grafiken, Vitrinen, Wandläufe, Licht und Raumgefühl … auch gestalterisch werden die Ausstellungsräume futuristische Züge tragen. Das jedenfalls versichert Dr. Dorle Meyer. „Ein Highlight wird sicherlich,“ so meint die promovierte Kunsthistorikerin, “das zentral gelegene, zweigeschossige Forum, durch das der Besucher die Ausstellung betritt und von dem aus er sich die einzelnen Themenbereiche erschließen kann.” Dr. Meyer ist die Chefkuratorin des Museums und erarbeitet bereits seit 2015 gemeinsam mit dem Projektleiter Dr. Andreas Gundelwein alle Pläne für die neue Zweigstelle des Deutschen Museums. „Das Museum soll vor allem Spaß machen! - Ziel der Ausstellung ist es, insbesondere jungen Menschen Technologie und Naturwissenschaft zu vermitteln. Dafür wird auch ein spezieller Rundgang entwickelt, der sich mit dem Aspekt Spiel beschäftigt. Er soll das Bewusstsein dafür wecken, dass man der Zukunft gegenüber eigene Gestaltungsmöglichkeiten hat. Das Holodeck - ein großer Virtual Reality-Bereich im dritten Obergeschoß wird dabei eine der zentralen Attraktionen.“ Die weiteren Themeninseln sollen sich auf das Leben

Illustration Annabelle Feiler Text Franziska Reiser und Lisa Grünholz

DAS DEUTSCHE MUSEUM BRINGT SCIENCE FICTION UND ZUKUNFT IN DIE NÜRNBERGER ALTSTADT


Vom Innovationspotential und Kritik „Unseren Partnern der Metropolregion Nürnberg bieten wir die Möglichkeit, ihr Innovationspotential zu zeigen“, erklärt Dr. Meyer. So habe das Deutsche Museum bereits sehr früh den Kontakt gesucht zu Museen, Forschungs-, Kultur-, und Bildungseinrichtungen sowie Vertretern aus Wirtschaft und Politik. „Eine konkrete Zusammenarbeit ist bislang unter anderem mit dem Fraunhofer Institut IIS, dem Verband Deutscher Ingenieure (VDI), der Friedrich-Alexander-Universtität und der Technischen Hochschule Nürnberg geplant. Auch mit anderen Partnern, wie

Unternehmen und Schulen, befinden wir uns im Gespräch. Wir kommunizieren das Projekt ja jetzt schon seit zwei Jahren. Seitdem ist man uns - nach Überwindung einer kurzen Skepsis zu Beginn - mit viel Interesse, Wohlwollen und Unterstützung begegnet.“ Dabei waren die Pläne nicht unumstritten: Kritiker bemängelten, es ginge gar nicht um ein Museum oder gar um Inhalte, nur um ein teures Prestigeprojekt bayerischer Landespolitiker, um ein Trostpflästerchen aus der Hauptstadt oder eine Art Pyramide zu Repräsentationszwecken, es sei schlicht falsch investiertes Kapitel, auch sei die Standortentscheidung fragwürdig und es liefen viel zu hohe Mietkosten für die Ausstellungsräume auf, an denen sich wieder einmal nur die üblichen Verdächtigen bereichern würden. - Dem setzt Dr. Meyer etwas entgegen: Der Augustinerhof sei als Standort für die neue Zweigstelle unschlagbar attraktiv! Und dann holt sie weiter aus: “Im Herzen der Stadt, inmitten vieler anderer Kultureinrichtungen, wird unser Museum für Interessierte aus nah und fern optimal zu erreichen sein. Und es wird das Portfolio der touristischen Angebote der Stadt sehr gut ergänzen. Auch für unsere Kooperationspartner besteht eine sehr gute Anbindung. Zumal wir etwa den Schulen unser Museum - mit zwei geplanten Besucherlaboren und entsprechenden Experimentier-Workshops - als außerschulischen Lernort zur Verfügung stellen wollen.“ Einige Herausforderungen Als Chefkuratorin ist es die Aufgabe Dr. Meyers, das fünfköpfige Team zu leiten, das bislang für das Deutsche Museum Nürnberg zuständig ist. Dazu gehören das Ausstellungskonzept und die Beschaffung von Objekten, auch die nötigen Wand- und Katalogtexte und nicht zuletzt, sich mit den Gestaltern abzustimmen. Da es bislang kein vergleichbares Projekt gebe, könne man sich an keinem Vorläufer orientieren. Auch wird es eine besondere Herausforderung sein, die Ausstellung stets auf dem neuesten Stand zu halten, da sich die Zukunft und unsere Vorstellung von ihr ja in einem stetigen Wandel befinden. „Mich begeistert grundsätzlich, dass ich in diesem Projekt die Möglichkeit habe, die Planung und Umsetzung eines neuen Museums komplett und von Beginn an zu begleiten. So eine Museumsgeburt erlebt man ja nicht alle Tage“, schwärmt Meyer. Übrigens begannen die Bauarbeiten im Herbst 2017 und verliefen bisher ganz nach Plan. Vielleicht werden wir bald schon in der Lage sein, das Holodeck zu besuchen und die Geschichten aus Star Trek und Star Wars und vielen anderen Filmen, Romanen, Comics und Games hautnah mitzuerleben und neueste Technologien selbst auszuprobieren und zu diskutieren. Ein Forum dafür könnte das neue Museum bieten. Noch können wir nicht in die Zukunft reisen, aber vielleicht bringt uns die Ausstellung dem ein kleines Stückchen näher.

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in Alltag und Freizeit beziehen, auf die Zukunft der Arbeit, unsere Mobilität, Fortschritte in der Medizin und Energiegewinnung und natürlich auch die Raumfahrt. Wichtig sei es dabei, so Meyer, auch kritische Fragen zu zu stellen und für mehr Verantwortlichkeit zu plädieren. Ausgestellt werden Exponate aus Wissenschaft und Technik, an der Grenze zwischen Vision und Innovation. Das werden vorrangig Prototypen sein. Science Fiction-Begeisterte werden außerdem das eine oder andere Element aus geliebten Filmen oder Serien wiederfinden, Zitate, Videos, Storyboards und Sets. Denn oft beeinflussen sich Wissenschaft und Science Fiction gegenseitig. Und Popkultur bietet den perfekten Ansatzpunkt, sich auf unterhaltsame Art und Weise mit Technik zu beschäftigen.


Zweimal besuchen wir das Gelände der Akademie; zweimal in nasskaltem Dauerregen. Der Campus ist seit 2013 um einen Neubau reicher. Sep Rufs Pavillonbauten aus den fünfziger Jahren konnten die wachsende Zahl der Studierenden nicht mehr fassen. - Im Barock gegründet, ist die Nürnberger Akademie heute die älteste im deutschsprachigen Raum. Doch mittlerweile studieren hier 350 Künstler Freie oder Angewandte Kunst, begleitet von 17 Professoren und 18 Werkstattleitern beziehungsweise Lehrbeauftragten. „Grau, leer und schlicht.” Das ist unserer erster Eindruck. Doch im Klassen- und Werkstattbereich stapeln sich Arbeitsmaterialien, Pappen, Hasendraht, Farbeimer; „Zum Mitnehmen“ betitelt ein Schild eine der Ansammlungen. In den Fenstern der Gipswerkstatt warten Skulpturen in jedem Arbeitszustand. Wie in einer Vorratskammer gelagerte Kreativität, die auf ihren nächsten Einsatz wartet. Doch im Moment arbeitet hier kaum jemand. Wir flüchten vor dem Regen unter die überdachten Verbindungsgänge der Pavillons. Und schließlich treffen wir Miruna Gavaz im Klassenraum ihres Professors. Sie studiert Freie Kunst mit Schwerpunkt

Malerei. Und das im dritten Semester. Die Kälte lässt sich von den großen Glasflächen nicht abhalten; wir wollen die Winterjacken gar nicht ausziehen. Wir trinken Leitungswasser aus Weingläsern und bekommen Lollis angeboten. Der Zucker bringt Miruna in Gang. Mehr und mehr Leidenschaft mischt sich in ihre zunächst müden und etwas gedehnten Antworten. Schließlich spricht sie mit Nachdruck und einiger Energie. Miruna lacht, ein eher spontaner Impuls habe sie hierher geführt, an die Akademie. „Irgendwas muss man ja machen“, sagt sie und dass sie zu einem anderen Beruf unfähig wäre. Sie zeichnet und malt, am liebsten mit Kuli oder Öl, macht Video-Installationen und Objekte, vor allem aus Gips. Oftmals seien für sie Materialien inspirierender als Emotionen zu transportieren. Bei unserem nächsten Besuch ist plötzlich viel los auf dem Campus. Es ist nämlich Mittwoch. Heute treffen sich die Klassen mit ihren Professoren zum wöchentlichen Forum. Professor Holger Felten, seit Oktober 2017 Präsident der AdBK, holt uns an seinem Pavillon ab. Zusammen mit Professor Friederike Girst leitet er die Klasse für Grafik-Design und Visuelle Kommunikation, die zu den Angewandten Künsten zählt. Nach einigem Hin und Her führt Felten uns in den Neubau: „Ich vergesse immer, dass ich hier auch noch ein Zimmer habe“, sagt er zerstreut. Unausgepackte Kartons stehen herum und es riecht nach frischer Farbe. Wir nehmen an einem runden Konferenztisch Platz, die frisch gedruckten Weihnachtskarten der Akademie direkt vor der Nase. Felten war vorher bereits Vize-Präsident. Aber „es ist eine ganz andere Intensität für jemanden, der nun an der Spitze steht“, erklärt er. Und über sich selbst sagt er: „Ich möchte aufrecht und mir treu sein“, und führt weiter aus: „Ich denke, ich kann motivierend wirken. Dadurch könnte es dynamische Impulse geben und damit ein schnelleres Voranschreiten.“ Mit der Neuwahl des Präsidenten machte sich auch unter den Studierenden eine Aufbruchsstimmung breit. Wen man fragt, die meisten sind sich sicher, dass sich mit Felten viel verändern werde, wenn man auch noch so nicht genau weiß, was. In der Presse wurde kritisiert, dass die Absolventen nicht ausreichend auf das Arbeitsleben vorbereitet wären; ein “Realitätsschock” sei die Folge. Wir fragen Professor Felten, was mittlerweile unternommen werde, die jungen Künstler besser für das Leben

Illustration Pia Salzer Text Katharina Koch, Joana Oehm und Theresa Straub

Am Schmausenbuck gehen wir dem nach, was die Akademie ausmacht. Wir erfahren von den Zielen und Vorstellungen des neuen Präsidenten Professor Holger Felten, aber auch von der künstlerischen Entwicklung der Studierenden. Wir erkunden, was an der Lehre dort besonders ist und wie so eine Institution nach außen wirkt und wirken kann.

WO WOHNT DI KUNST IN N

ZWISCHEN TIERGARTEN UND ALTENHEIM: DIE AKA BILDE


IE NÜRNBERG?

ADEMIE DER ENDEN KÜNSTE NÜRNBERG

werden solle, „… was wir machen, was wir können.“ Was er mit seinen Studierenden in Nürnberg gern verändern würde? - Nicht nur innerhalb geschlossener Wände bleiben, auch ein weiteres „von außen sichtbares Element“, würde Felten reizen. „Ob groß oder vielleicht ganz klein“, darüber ist er sich noch unklar. - Die Stadt sei im Prinzip sehr bereitwillig, sagt er zur Kooperation mit Politik und Kulturpolitik. Doch meint er auch: Nürnberg könne durchaus daran denken, dass hier oder da ein Raum ist, der genutzt werden kann. Können wir zukünftig auf Großprojekte im Stadtbild hoffen? - „Man braucht Leute, die sich in eine Idee reinverlieben“, weiß Felten. Wir fragen Miruna: Setzen sich die Studierenden denn - ihrer Meinung nach mit Nürnberg auseinander? „Eher weniger. Da gibt es nicht so viele regionale Bezüge. Man denkt da lieber international.“ Aber sie verweist auch auf den postgradualen Studiengang “Künstlerisches Handeln im öffentlichen Raum”. Und von Präsident Felten erfahren wir, dass gerade der weiter ausgebaut werde. „Die Akademie ist ein belebendes Elixier“, sagt Präsident Felten. Miruna teilt diese Auffassung. Und bei beiden klingt das sehr überzeugt.

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nach dem Studium zu rüsten. „Wir arbeiten daran, für diese Schwelle zur Selbstständigkeit Programme zu entwickeln.“ Und dann fasst er es genauer: „Wir geben Hilfestellung für Künstler als Unternehmer.“ Auch ein modularisiertes Master-Aufbaustudium solle künftig angeboten werden, fährt Felten fort. Ein reguläres Bachelor-Master-System werde es allerdings nach wie vor nicht geben. Und dergleichen sei auch nicht geplant. Denn: Diese Art von aufgesetztem und eng-gerastertem System sei dem kreativen Prozess gegenläufig. Doch wie sieht hier der kreative Prozess, die Entwicklung zum Künstler aus? - Das Studium verläuft in gewisser Weise in einem dualen Angebot. Es beinhaltet die Arbeit in Werkstätten und die inhaltliche Lehre in Klassen. Felten beschreibt es so, dass die fünf Jahre an der Akademie ein sehr freier, geschützter Raum seien, in dem sich junge Menschen frei entwickeln könnten und sollten. Wo man sich selbst in die Unsicherheit begebe, auch mal nicht “Lehre” zu haben. Und wo es förderlich sei, möglichst wenig Struktur respektive Organisation vorzufinden. Die wichtigsten Parameter seien Freude, gepaart mit Durchhaltevermögen und Konzentration. „Am Anfang meines Studiums war ich überfordert von der Selbstständigkeit“, räumt die Studierende Miruna ein. Heute weiß sie: „Man muss was zeigen.“ Und zwar im Forum, also der Klasse und dem leitenden Professor. - Felten erklärt, dass er lieber in der Gruppe diskutiere, als zu sagen, was richtig oder falsch sei. „Die Kritik der Studierenden untereinander ist … konstruktiv, meist … präzise.“ Miruna empfindet das etwas anders: Die Klasse beeinflusse zwar sehr, aber auch der Dozent lenke und zeige einem den Weg. Was die Studierenden und Dozenten leisten, „ist von außen oft gar nicht so wahrzunehmen. Wir bieten wahnsinnige Qualität.“ Es ist Felten ernst, dennoch spaßt er kurz: „In Düsseldorf würde es einem nicht passieren, dass der Taxifahrer nicht weiß, wo die Akademie ist.“ Die Lage „zwischen Tiergarten und Altenheim“ ist nun wirklich nicht zentral, aber die AdBK bespielt außerdem eine Vitrine am Hauptbahnhof und die Akademie Galerie Auf AEG. Felten verfolgt schon länger die Idee, dass stärker wahrgenommen


Die Berufsfachschulen für Altenpflege und Altenpflegehilfe der Gemeinnützigen Gesellschaft für Soziale Dienste (GGSD) am Bildungszentrum für Pflege, Gesundheit und Soziales in Nürnberg Langwasser gehen neue Wege bei Teambildung und Innovation: Mit dem „Ästhetischen Prozess“ erprobte das Kollegium bei seinem jährlichen Pädagogischen Tag diesmal ein Workshop-Format aus dem Ideenlabor der Kreativplattform Zentrifuge. Dabei lernten sich die KollegInnen auf neue Weise kennen und entwickelten Perspektiven für selbstorganisiertes Lernen und Arbeiten. Die künstlerische Begleitung gestaltete Uwe Weber vom Theater von Menschen für Menschen (Theater thevo).

Perspektiven, von positiven bis zu negativen Gefühlen, von Chancen bis zu Risiken, von Ohnmacht bis zu Gestaltungsfreude, von Neugierde bis zu Angst, von Festhalten bis zu Loslassen, von langsam bis schnell… Veränderung geschieht in jedem Augenblick und betrifft uns alle. Wir begegnen ihr auf unterschiedlichste Weise. Veränderung lässt sich nicht vermeiden und hat viele Facetten. Die Wahrnehmung von Veränderung – und damit die Wahrnehmung von uns selbst und der Welt – verändert sich selbst fortwährend. Alles ist im Fluss und es kommt darauf an, gemeinsam Beweglichkeit einzuüben – in geteilter Freude wie in geteiltem Leid.

FITNESS FÜR DEN LEHRKÖRPER Der Einstieg in den Pädagogischen Tag begann mit einem Klatschkreis: Der Schauspieler und Theatermacher Uwe Weber stellte die knapp 30 TeilnehmerInnen zu einem Kreis auf und rief in die Runde: „Klatscht in die Hände, seht euch dabei in die Augen und ruft „Pah“. Diesen Impuls nehmt ihr auf und gebt ihn dann an eure Nachbarn weiter.“ Die Übung kam früh am Morgen etwas unvermittelt, umso schneller waren alle wach und es gelang allen zusammen, gleichzeitig mehrere hintereinander angestoßene Klatschimpulse zu „verarbeiten“ – und das sogar quer über den Kreis hinweg. Der erste gemeinsam gemeisterte Lernerfolg machte sichtlich Spaß und Lust auf mehr. Nach diesem energiegeladenen Einstieg bat Moderator und Deutschlehrer Michael Schels seine Kolleginnen in den Sitzkreis und erläuterte kurz den Hintergrund: Der „Ästhetische Prozess“ sei eine Workshop-Methode der Kreativplattform Zentrifuge, die im Laufe mehrerer Jahre im Rahmen des Projekts „Forschende Kunst“ entwickelt wurde. Ästhetik werde dabei im weitesten Sinne als „Wahrnehmung“ verstanden. Wesentliche Merkmale des „Ästhetischen Prozesses“ seien Ziellosigkeit und Offenheit. Zudem sei immer mindestens ein(e) Künstler(in) eingebunden, was die TeilnehmerInnen inspiriere, „die Künstlerin/den Künstler in sich“ zu entdecken. Das Erforschen von sich selbst und anderen im gemeinsamen Tun werde quasi zur Kunst erhoben. Deine erste Begegnung mit „Veränderung“? 15 Minuten Stille: Mit der Frage nach der persönlichen ersten Begegnung mit „Veränderung“ gingen die TeilnehmerInnen in sich und spürten Erinnerungen, Gefühlen und Gedanken nach, die sie dann in Zweier- und Dreiergesprächen austauschten. Im Podium zeigte sich danach die ganze Bandbreite von „Veränderung“: Von individuellen bis zu gesellschaftlichen

Sinn spüren: Skulpturen bauen will gelernt sein Mit einigen Lockerungs- und Aufwärmübungen lenkte Uwe Weber die Aufmerksamkeit zuerst in den eigenen Körper und dann hin zur Berührung. Bei einer „Magnet“-Improvisationsübung lernten die TeilnehmerInnen, spontan zu einer bestimmten Körperhaltung ihres Gegenübers selbst eine korrespondierende oder kontrastierende Haltung einzunehmen. Aus dem Augenblick heraus entstanden unterhaltsame und zum Nachdenken anregende Zweier-Skulpturen und schließlich eine Gruppenskulptur, bei der sich eine(r) nach dem/der anderen als Statue einbrachte, und die einen großen Interpretationsspielraum eröffnete. Danach durfte am in Zweiergruppen abwechselnd eine aktive und eine passive Rolle ausprobieren: Als „Bildhauer“ oder als „Statue“. Der aktive Part brachte den passiven Part durch Berührungen in eine bestimmte ausdrucksstarke Position. Am Ende konnte das Publikum durch eine Ausstellung flanieren, in der sich Statuen zum Thema „Befreiung“ bewundern ließen. Teamgeist im Möglichkeitsraum In der anschließenden Gruppenarbeit wurde die Statuenarbeit im sogenannten „Möglichkeitsraum“ weiter entwickelt. Der Möglichkeitsraum heißt so, weil er alle Freiheiten bietet – alles ist möglich, sofern Konsens besteht. Die hier verhandelten Themen und Inhalte konnten individueller, gesellschaftlicher, innerer oder äußerer Natur sein, egal ob beruflich oder privat. Die Gruppen stellten selbst gewählte Themen bzw. Situationen in zwei Bildern dar – vor und nach einer Veränderung und das Publikum interpretierte das Gesehene. Es kamen verschiedenste Veränderungs-Szenen zur Darstellung: von Gewalt zur Versöhnung, von Überlastung zur Entlastung, von Stress zur Erholung, von Angst zur Befreiung. Auffallend war, dass alle Veränderungen hin zum

Fotografie GGSD/M. Schels Text Michael Schels

ALTENPFLEGESCHULE BETREIBT „FORSCHENDE KUNST“ ZUM THEMA „VERÄNDERUNG“


die Szenen auf Veränderungsmöglichkeiten hin abklopften. Vorschläge aus dem Publikum wurden gleich ausprobiert, d.h., wer eine Idee hatte, wie ein Konflikt verändert oder gar aufgelöst werden könnte, nahm eine Rolle ein und probierte die Veränderung gleich aus. Es zeigte sich, dass das Forumtheater eine sehr gute Methode ist, Szenen aus dem Leben darzustellen, sie als veränderbar wahrzunehmen und durch persönlichen Einsatz zu modifizieren. Man kann dabei lernen, wie viel man selbst bewegen kann und auch, wie verschieden bestimmte Situationen interpretiert und verstanden werden können. Beispielsweise spielte eine Gruppe eine Szene, in der eine Lehrerin ihre Schülerinnen zur Mitarbeit motivieren will, jedoch am Widerstand der Schülerinnen scheitert. Aus dem Publikum bot sich eine Kollegin an, anstelle einer der „Schülerinnen“ in das Spiel einzugreifen. Die neue Spielerin verhielt sich in der noch einmal gespielten Szene vermittelnd und konstruktiv und es gelang ihr schnell, den Widerstand aufzulösen. Alle Lehrer-KollegInnen waren von dieser Möglichkeit der Darstellung und Kommunikation begeistert und hätten gern noch viel mehr erfahren und ausprobiert. Ihr einhelliger Tenor: „Das können wir auf jeden Fall

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Positiven gestaltet wurden. Unabhängig davon, ob mehr Wunsch oder Wirklichkeit im Spiel waren: Der Teamgeist des Kollegiums war durchweg spürbar. Veränderung als Chance, etwas besser zu machen Nach der Mittagspause lud Michael Schels dazu ein, sich über Veränderungspotenziale auszutauschen. Der „Ästhetische Prozess“ gibt dabei nicht vor, wo diese Veränderungspotenziale ausfindig gemacht werden sollten. Dementsprechend abwechslungsund ideenreich vielen die Ergebnisse aus. Eine Gruppe fokussierte auf die Veränderungspotenziale, die in jedem von uns schlummern und postulierte: „Ich kann mich nur selbst verändern, nicht den anderen!“. Eine andere Gruppe sah viel Veränderungspotenzial im Bereich des Schulklimas und machte sich stark für den Anbau eines Wintergartens. Eine weitere schöne Idee ging in Richtung Umweltschutz mit dem Vorschlag, Umweltschule zu werden. Und nicht zuletzt gab es den Wunsch bzw. die Idee, das Bewertungssystem zu ändern – freie Entfaltung statt Noten. Unterricht und Schule müssten dazu ganz neu gedacht werden. Die Ideen wurden von Kollegium und Schulleitung positiv aufgenommen und haben gute Chancen, weiter verfolgt zu werden.

Szene im Möglichkeitsraum. Statuen, die Erholung brauchen

für den Unterricht verwenden!“ Auch Schulleiter Marcel Haas teilt die Begeisterung seines Kollegiums: „Forschende Kunst hat sehr viel Spaß gemacht. Wir haben uns kreativ ausprobieren können und uns dabei auf spielerische Weise noch besser kennen gelernt. Außerdem sind wertvolle Ideen entstanden, von denen wir wohl einige weiter verfolgen werden. Und wir haben unseren didaktischen Methodenkasten erweitern können. Ein rundum gelungener Pädagogischer Tag!“

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Forumtheater: Veränderung ist machbar Die Forschende Kunst mit Mitteln der Theaterarbeit ging zum Ende des Workshoptages in szenisches Spiel über, d.h. Skulpturen und Standbilder wurden mit Bewegung und Sprache angereichert. Uwe Weber, der jahrzehntelange Erfahrung im Forumtheater mitbringt, wies die Teams an, Szenen zu einem frei gewählten Veränderungs-Thema zu entwickeln und diese zur Darstellung zu bringen. Einzige Bedingung: Die dargestellten Figuren und Beziehungen sollten in einen Konflikt münden. Dieser Konflikt wurde im Anschluss an die Präsentation gemeinsam mit dem Publikum bearbeitet, indem die Zuschauer


ANNÄHERUNG AN DIE KLANGKÜNSTLERISCHE VERSUCHSANORDNUNG „INSTANT AKUSMATIK 2.0“

Fotografie M. Schels | Illustration Lisa Espach Text Michael Schels

KLANGSCHÖPFUNG, SEELENBEGEGNUNG UND SYNÄSTHETISCHE RÄUME


Forschung mit Mitteln der Kunst: Das menschliche Bewusstsein ist in der gegenwärtigen globalen Krise der Menschheit in Aufruhr, es transformiert in eine neue Ebene, in einen integralen Zustand, von dem man objektiv nichts aussagen kann, der sich aber subjektiv wenigstens sublim anzukündigen scheint. Das „neue“ Bewusstsein trägt Aspekte der Verfeinerung, Fokussierung und Befreiung mit sich, es ähnelt der kindlichen Wahrnehmung und achtet auf das, was gegenwärtig ist im Sinne einer starken Sensibilität verbunden mit einer situativen Reflexion der gegebenen Energieströme im Jetzt – die Vorrangstellung des Sehens tritt zurück und eröffnet „un-erhörte“ Gebiete des Wahrnehmens und damit einer tieferen Wirklichkeit. Dabei spielt der Hörsinn eine zentrale Rolle, ist dieser doch unser zentraler Sinn für die Wahrnehmung von Resonanz und damit für das gegenwärtige Einschwingen und mit-fühlende Dasein in der Welt. BRAWK / Instant Akusmatik am 27. August 2017 im Kunstverein Kohlenhof. Nürnberg, v.l.n.r.: Julian Bossert, Uwe Weber, Michael Ammann, Barbara Kastura

Verflüssigung etablierter Kategorien zur Erzeugung interdisziplinärer Perspektiven und Erkenntnishorizonte vor Augen. Das phänomenologische Forschungsfeld von Michael Ammann entfaltet sich überwiegend im Klangraum der menschlichen Stimme, aber auch Instrumente oder Gegenstände werden auf ihre Klangmöglichkeiten hin erforscht und „erhellt“. Solcherart geschaffene Töne und Geräusche werden durch stereophon angeordnete, hochempfindliche Mikrofone so erfasst, dass sie über Lautsprecher fein nuanciert in einem holofonen Klangraum wiedergegeben werden. Der Klang wird durch hochauflösende Kleinmembranmikrofone erfasst und wie durch ein Vergrößerungsglas in den Raum projiziert. Bewegungen des Stimmgebers an den Mikrofonen sind geradezu körperlich nachvollziehbar, Klänge und Geräusche sind an bestimmter Stelle im Raum positioniert oder bewegen sich mit unterschiedlicher Intensität und Färbung analog der Bewegung des Stimmgebers an den Mikrofonen durch den Raum. Die Wahrnehmung dieses Ereignisses erfolgt mit geschlossenen Augen, der Fokus der Wahrnehmung richtet sich auf das pure, spürende Hören. Als Klangquellen fungieren mindestens zwei Akteure bzw. Spieler, die jeweils an zwei Mikrofonen im stereophonen Feld agieren und über Kopfhörer sowohl die eigene Stimme als auch die der bzw. des Mitspieler(s) erfahren. Es entsteht ein „begeh-barer“ Klangraum, der von den Spielern unmittelbar erzeugt wird und der sich aus dem Hören der eigenen und der anderen Stimme(n) und Klänge heraus entfaltet.

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Dieses geahnte und sich zunehmend global zeigende integrale Bewusstsein ruft aus der Natur wie aus einer weiten Vergangenheit oder einer fernen Zukunft zu uns und ist schon immer da, jedoch weitgehend unbedacht und unerfahren. Es ist umfassend, gegenwärtig und über-individuell. Unser gegenwärtiges menschliches Bewusstsein, welches die letzten Jahrtausende in egozentrischer Gefangenschaft verbrachte, wird durch das umfassende „neue“ Bewusstsein überhaupt erst hervorgebracht und beginnt sich langsam aus seiner Vereinzelung zu lösen. Das kommende Bewusstsein lässt sich sprachlich nur umkreisen und kann z.B. durch kontemplative Übungen erfahren werden. Mit herkömmlichen (wissenschaftlichen) Methoden ist es nicht darstellbar, da die vom egozentrisch und funktional bestimmten Logos geprägten Kategorien und Begriffe bei dieser geistigen Bewegung hin zum Gegenwärtigen nicht greifen. Im Zuge dieser Transformation erfahren unsere herkömmlichen Begriffe eine Neubewertung, wobei noch nicht klar ist, wer oder was nach der Neubewertung der, die oder das Erkennende und wer oder was der, die oder das zu Erkennende sein wird, zumal sich solcher Dualismus in einem Bewusstsein der Resonanz aufhebt bzw. auflöst. Die künstlerische Versuchsanordnung „Instant Akusmatik“ nimmt bereits Aspekte künftigen Forschens, das aus einem „neuen“ Bewusstsein heraus entsteht oder besser: in dieses hineinwächst, vorweg: ein definiertes Setting mit größtmöglichen Freiheitsgraden zur Erforschung unbekannter Gebiete – in diesem Fall auf den Feldern der zwischenmenschlichen Resonanz, der Wahrnehmung und des Bewusstseins. „Eigentlich ist es ganz einfach: Die beteiligten Künstler bzw. Spieler achten auf das Geschehen im Augenblick und üben ihre Intuition, Wahrnehmung und Ausdrucksmöglichkeiten in einem Klangraum, den sie gemeinsam erschaffen. Solche Echtzeitkunst wirkt entzaubernd, da sie zeigt, was ist – unsere immer aktuell gegebene Begegnung mit sinnlich und geistig erfahrbaren Phänomenen“, erläutert Ammann. Klassischerweise ist Ammans Versuchsanordnung¹ dem Feld der Kunst zuzuordnen, aber auch auch Fragestellungen der Psychologie, Physik, der Biologie, der Soziologie oder der Philosophie werden hier berührt. Diese forschende Kunst führt uns die Möglichkeit, wenn nicht gar die Notwendigkeit der


Instant Akusmatik 2.0: Michael Ammann und Barbara Kastura am 25. August 2017 beim ZIKADEN Festival im Kunstverein Kohlenhof, Nürnberg

Die Spieler „arbeiten“ in einem klanglichen Spannungsfeld und fokussieren auf Mikroklänge und unbekannte Klangobjekte (UKO´s)². Jeder akustische Reiz ist von Bedeutung – sei es sprachlich, stimmlich, musikalisch oder geräuschhaft. Diese Herangehensweise stellt hohe Anforderungen an die Spieler – allesamt professionelle Musiker, Performer, Klangkünstler oder Sänger mit großer Improvisationserfahrung. Erst ihr sensibles und gekonntes Zusammenspiel macht den Klangraum lebendig und erlebbar. Die Spieler gehen unmittelbar auf das klangliche Geschehen ein und lassen dabei nur die Stimme(n) sowie mit dem Mund oder durch Berührung mit Gegenständen oder Instrumenten erzeugte Geräusche wirken, ohne dass die Quellen noch als individuelle Äußerungen erkennbar wären. Es entsteht eine akusmatische Situation, „… der sich im Klangraum befindliche Hörer (der die Möglichkeit hat, eine Schlafbrille zu nutzen) kann sich auf produktiv-assoziative Prozesse und auf reines Hören einlassen.“ (M. Ammann).³ Die Identität der Spieler scheint auf diese Weise aufgelöst oder doch zumindest in Frage gestellt – ja, die Klänge wirken so, als würden sie sich aus solch fragwürdig gewordener Identität heraus überhaupt erst entfalten: Die Spieler stellen sich der Herausforderung, möglichst gegenwärtig wirksam zu sein – bei größtmöglicher Sensibilität und Zurücknahme der eigenen Persönlichkeit (zumindest was deren konventionelle Ausprägungen betrifft). Es ist, als würden sich hoch empfindsame Seelen im Weltall begegnen und in Kommunion die Möglichkeiten und Qualitäten ihres Daseins ausloten, wenn nicht gar feiern.

So weit zur Versuchsanordnung im Bereich der Stimmgeber bzw. Spieler. Im Bereich der Rezipienten wird die introspektive Betrachtung klanglichen Erlebens erforscht. Der Rezipient erfährt sich im klanglichen Feld ebenso präsent wie die Akteure. Die Wahrnehmung entfaltet sich unmittelbar und gegenwärtig, da keine herkömmlich interpretierbaren Muster im Raum stehen, sondern der Klang von Sekunde zu Sekunde aufs Neue entsteht. Der Akt der akustischen Wahrnehmung tritt auf diese Weise in der Vordergrund und bietet sich als Forschungsfeld an: Welche Phänomene begegnen mir bei der Wahrnehmung dieses Ereignisses und was kann ich ggf. daraus für meine Wahrnehmung im Allgemeinen ableiten? Zuerst einmal ist das Phänomen offensichtlich, dass mir die Klänge, die hier im Raum sind, nicht vertraut sind. Ich weiß zwar, dass diese klanglichen Erscheinungen von Menschen im Rahmen dieser Aufführung produziert werden, doch bin ich dazu angehalten und als Kunst-Rezipient auch gerne dazu bereit, von diesem Zustand abzusehen und mich rein auf das klangliche Geschehen einzulassen. Sobald mir dies gelingt (was nicht ganz einfach ist und auch seitens des Zuhörers ein Absehen von sich selbst erfordert) stoße ich auf die unmittelbaren klanglichen Qualitäten bzw. diese stoßen auf mich. Ich erfahre mich als Erfahrenden und nehme in diesem Augenblick wahr, dass „ich“ ein wahrnehmendes Organ bin, das mit Erinnerungsspuren belegt und von sprachlichen und emotionalen Mustern und Prozessen durchdrungen ist. Die UKO´s, d.h. die Phänomene, die mir in diesem Klangraum begegnen, scheinen nicht wie gewohnt von „dieser“ Welt zu sein, was mir meinen Hörsinn nochmals ganz neu aufschließt und mir auch mein


Künstlerische „Versuchsanordnungen“ wie Instant Akusmatik 2.0 von Michael Amman eröffnen neue Möglichkeiten einer verschiedenste Wirklichkeits-, Wahrnehmungs- und Bewusstseinsbereiche aufschließenden und diese integrierenden Erforschung noch unbekannter Gebiete und Weisen menschlichen In-der-Welt-Seins. Identitäten werden verflüssigt und tiefer liegende Schichten des In-der-Welt-Seins scheinen auf. Diese tieferen Schichten rühren an unser Bewusstsein als etwas für sich und für uns Bewusstes außer und in uns. Das, was wir als Menschen über die Jahrtausende unserer technischen, egomanischen Entwicklung ausgeblendet haben, kommt hier zum Vorschein und fordert unsere Aufmerksamkeit und unsere Fähigkeit, die Welt auf andere Weise verstehen und gestalten zu lernen. Es ist eine intuitive Wahrnehmung, die dem kosmisch sich entfaltenden Bewusstsein, das seit jeher leise in uns strömt, suchend entgegenkommt. Dieses Bewusstsein stülpt der Welt keine menschlich-eingeengten Sichtweisen und Interessen über, sondern es teilt sich von einer beseelten Welt her in lebendiger Gemeinsamkeit mit. Künstlerisch inspirierte Forschungsfelder wie „Instant Akusmatik“ können uns dabei helfen, die Dimensionen des Bewusstseins auf intuitive Weise zu erfassen und die uns tragende und hervorbringende Welt dankend in jedem Augenblick willkommen zu heißen, so wie wir selbst in dieser Welt jeden Augenblick aufs Neue zur Welt kommen. Die Freiheitsgrade, Identitäten und Intensitäten, die hier auf uns zukommen, sind unermesslich und warten darauf, durch künstlerisches Forschen freigelegt zu werden. Michael Schels ist Gründer des Ideenentwicklungslabors und Kreativclusters Zentrifuge und Mitinitiator der interdisziplinären Projekte „Forschende Kunst“ und „Engineering 2050“. ¹ Michael Ammann beschreibt seine Versuchsanordnung folgendermaßen: „Unter Verwendung der klassischen, aber nicht im traditionellen Kontext verwendeten Klangerzeuger, Saxophone/ Klarinette, Kontrabass und Stimme untersuchen die Künstler abstrahierend-improvisatorisch die Bandbreite ihrer Klangquellen und deren Vernetzung im stereophonen Raum. ... Wesentlich ist die Fokussierung auf Klangpartikel, jedes noch so leise Geräusch, jeder Mikroklang bekommt als klangskulpturales Bauteil in diesem Zusammenspiel Bedeutung. So wird mittels einer speziellen Mikrofonierung versucht einen Klangraum zu erschaffen, als würde man sich innerhalb des Korpus des Kontrabasses, einer quergelegten Klarinette oder im Mundraum befinden. Über die Lautsprecher soll eine Spreizung der Instrumentalräume erreicht werden. Diese holophone Übertragungstechnik ermöglicht zudem, Klänge im Raum zu platzieren, zu bewegen und mit spatialer Nähe und Tiefe zu agieren. ² UKO (Unbekanntes Klangobjekt) ist eine Begrifflichkeit aus der Filmmusik und beschreibt die Fokussierung auf nicht- determinierte Klänge, die keiner Quelle zugeordnet werden können und räumlich schwer zu orten sind. „Das nicht eindeutige Klangobjekt stellt eine Frage, und der Zuschauer wird versuchen das Rätsel durch Interpretation zu lösen.“ (Quelle: Barbara Flückiger – Sound Design 2002 Schüren Verlag). Aus diesem Grund wird visuell unauffällig gearbeitet, damit der sich im Klangraum befindliche Hörer (der die Möglichkeit hat, eine Schlafbrille zu nutzen) sich auf produktiv-assoziative Prozesse und auf reines Hören einlassen kann. Eine akusmatische Situation.“ (Pressemitteilung, Juli 2017) ³ Der Begriff Akusmatik (griechisch Akousma „auditive Wahrnehmung“) bezeichnet eine Musik, deren Klangerzeugungsmittel nicht sichtbar und meist auch nicht identifizierbar sind. Es entsteht eine Situation reinen Hörens, da die Aufmerksamkeit nicht durch eine sichtbare oder vorhersehbare Klangquelle beeinflusst wird. (Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Akusmatik)

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Bewusstsein und mein Denken und Fühlen im Hören vor Augen (!) führt. Ich nehme das klangliche Ereignis wahr, bin inmitten eines klanglichen Geschehens, dem ich mich allerdings nicht eindeutig ins Verhältnis setzen kann (es ist keine Musik, der ich lauschen könnte und kein Geräusch, das in der üblichen „Realität“ zu verorten wäre) – ich befinde mich mitten in einer Vieldeutigkeit und bin darin Regisseur und Interpret zugleich. Gerade entstehen fremdartige, beinahe bedrohlich wirkende Laute, es hat sich etwas zwischen den Klängen (sind es Geräusche, sind es Stimmen?) aufgeschaukelt, der dynamisch-dialogische Prozess zwischen den Stimmgebenden tritt in den Vordergrund, zugleich bemerke ich ein beengendes Gefühl. Welche Intentionen sind hier im Spiel, wie interagieren die Stimmgeber, wo gehen sie aufeinander ein, wo gibt wer den Ton an, welchen Grad der Sensibilität erreichen sie und welchen Grad der Sensibilität erreiche ich gerade? Wenn ich keine Quelle eindeutig zuordnen kann, so sind mir doch wenigstens die Stimmen bekannt – ich erkenne jeden der Spieler als klangliche Ursache und achte nun darauf, wer mit wem auf welche Weise interagiert. Schlagartig tritt Stille ein, der ein versöhnliches, beruhigendes Summen folgt, ich beobachte mich beim Wahrnehmen und beim Denken und bemerke, wie langsam eine beruhigende Stimmung mein Denken überflutet, als ob dieses Gefühl mir den Weg meines weiteren Denkens und Wahrnehmens weisen könnte. Ich vertraue auf dieses Gefühl und erfahre die klanglichen Eindrücke als Anregungen für zeichnerische und malerische Impulse, die nun auch meinen inneren Sehsinn anregen und modellieren. Der Klangraum wandelt sich vor meinem inneren Auge zu einem Fühl- und Sehraum, die Klänge und Geräusche schlagen sich synästhetisch nieder und es entfalten sich Linien, Punkte, Flächen und Formen und Farben. Hier ein Tupfer-Stakkato, dort ein Strich, darüber eine Fläche, dahinter ein pulsierendes Rot. Manches davon bleibt etwas länger stehen, manches verblasst sofort wieder, anderes wird überlagert und gewandelt. In dieser Wahrnehmung eines abstrakten expressionistischen Bildraums erfahre ich hohen ästhetischen Genuss – im Spiel der synästhetischen Assoziation meiner im klanglichen Ereignis sich entfaltenden begriffslosen Vorstellung. Dann aber eben doch wieder der Begriff, der mich einholt – die Reflexion dieses Geschehens, das Denken darin und darüber und der Versuch des Verstehens. Selbst Momente der Kontemplation treten bei diesem Experiment zutage. Ein ideeller Raum scheint in solchen Augenblicken durch den sinnlichen hindurch, es sind Energieströme, die sich offenbaren und die weit über das hinausgehen, was mir an diesem Ort und in diesem Moment begegnet. Es ist, als öffneten sich die Pforten der Wahrnehmung – es ist ein „Trip“ in die Welt der Vorstellung und des Fühlens – angetriggert durch ein klangliches Geschehen in einem künstlerischexperimentellen Setting.


CREATE 2050 IN DER IHK AKADEMIE NÜRNBERG

Am 16. Juni 2018 trafen sich beim von ENGINEERING 2050 initiierten Event CREATE 2050 Menschen unterschiedlichster Disziplinen und Berufe in der IHK Akademie Nürnberg und tauschten sich über die Zukunft von Mensch, Gesellschaft, Technik, Nachhaltigkeit und Digitalisierung sowie Kunst und Natur aus. Interdisziplinäre Kreativ-Teams formulierten bei dieser Tagesveranstaltung Anforderungen an die Technologie der Zukunft (aus gesellschaftlicher, individueller, technologischer, künstlerischer, unternehmerischer, philosophischer etc. Sicht). Die Kunst spielte dabei eine zentrale Rolle. Dem Aufruf folgten über 30 Menschen zwischen 15 und 70 Jahren, darunter Künstler/innen, Ingenieur/innen, Philosoph/ innen, Unternehmer/innen, Pädagog/innnen, Wissenschaftler/innen, Schüler/innen und Studierende. Die IHK Nürnberg für Mittelfranken stellte für diese engagierte Zusammenkunft den großen Saal in der IHK Akademie zur Verfügung.

Matthias Barbian, Sprecher für Industrie 4.0 im VDI Bayern Nordost / VDE Nordbayern und Mit-Initiator des Projekts ENGINEERING 2050

Folgende Stationen konnten im Laufe des Tages besucht werden: Thema Kreativität und Kunst: „KI 4.0 – Künstlerische Intuition“ (Ignazio Tola) und „Forschende Kunst im virtuellen Raum“ (Klaus Haas) / Thema Mensch: „Wie wird sich das MindSet bis zum Jahr 2050 verändern?“ (Impuls und Moderation: Ronald Zehmeister, Zukunftsforscher) / Thema Gesellschaft: „Ein visionäres Briefing mit Botschaften aus der Zukunft an die Technologie von heute.“ (Zeitreisebegleiter: Michael Schels, Uwe Weber und Michael Wolf) / Thema Technik: „Fortsetzung der Konzepterstellung für eine open CEO (Cyber Engineering Objects) Cloud Plattform für die Produkte, Produktionen und Services der Zukunft“ (Moderation: Frank Wolter, Christina Wolf) / Nachhaltigkeit und Digitalisierung: „Wie kann die Digitalisierung der Nachhaltigkeit nutzen? (Dr. Dina Barbian, Institut für Nachhaltigkeit).

Fotografie Veronika Riedelbauch Text M. Schels

Matthias Barbian, Mit-Initiator des Projekts ENGINEERING 2050 gibt den Startschuss zum Kreativtag CREATE 2050 im großen Saal der IHK Akademie


An der Station von Klaus Haas vom Institut für Forschende Kunst im virtuellen Raum konnte man in dessen dreidimensionale Kunstwelt eintauchen

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Rege philosophische Diskussion über das “MindSet” im Jahr 2050 am Tisch des Zukunftsforschers und ENGINEERING 2050 Mitinitiators Ronald Zehmeister (3.v.l.)

Ignazio Tola (r.) erläutert seine Skulptur “Künstlerische Intuition KI 4.0” anhand mehrerer Modelle

Entsprechend der Philosophie von ENGINEERING 2050 (www.engineering2050.de) soll der interdisziplinäre Austausch dazu dienen, ein umfassenderes und auf die Zukunft gerichtetes Verständnis von Technologie zu gewinnen. Ziel dabei ist die Entwicklung einer Open-Source-Engineering-Plattform, an der Menschen unterschiedlichster Lebenswelten und Kulturen mit all ihren Fähigkeiten und Wünschen mitwirken. Die Vision dabei ist, technologische Prozesse für jedermann und –frau nachvollziehbar und zugänglich zu machen. Die Technologie soll dadurch transparenter und menschlicher und mit der Natur in Einklang gebracht werden. Der von ENGINEERING 2050 initiierte und von VDI Bayern Nordost / VDE Nordbayern und der Kreativplattform Zentrifuge organisierte interdisziplinäre Kreativ-Event soll nach dieser erfolgreichen Premiere nun in regelmäßigen Abständen fortgesetzt werden. Bis 2021 möchten die Veranstalter CREATE 2050 zu einem europäischen Zukunfts- und TechnologieForum weiter entwickeln.


Fotografie Freunde der Zentrifuge Text M. Schels


10 JAHRE ZENTRIFUGE EINE ZUSAMMENSCHAU Anfang 2008 bekam ich als Freiberufler – ich war damals Kulturmacher und Kommunikationsdienstleister mit Büro im Defet Haus – die Möglichkeit, in der Halle 14 Auf AEG ein Projekt zu starten. Der neue Besitzer suchte nach Leuten, die an der Transformation des postindustriellen Areals mitwirken und bot mir die 700 qm große Halle mietfrei an. Im Gegenzug sollte ich dafür sorgen, dass dort regelmäßig und kontinuierlich kreative und künstlerische Aktivitäten stattfinden, die das Gelände beleben. Sofort war klar, dass das allein nicht zu schaffen war und ich startete einen Aufruf in meinem Netzwerk – schnell fanden sich einige Mitstreiter/innen und wir beschlossen einen Verein zu gründen. Der Name Zentrifuge war dabei Programm, wurden doch in der Halle noch kurz zuvor Waschmaschinentrommeln verbaut. Zudem ist eine Zentrifuge ein schönes Bild für Kraftentfaltung, Bewegung und Verdichtung, ja auch Verwandlung. Insgesamt konnten wir sechs Jahre Auf AEG wirken – über 30 Einzel- und Gruppenausstellungen mit mehreren hundert regionalen und auch internationalen Künstlern konnten wir in der Halle realisieren, darunter auch einige von sehr hoher Qualität (u.a. Weißes Gold von Susanne Neumann und Astronauten zur Venus von Wilfried Appelt). Auch kooperierten wir mit vielen Initiativen und Institutionen – von Schulen und Theaterinitiativen bis hin zur Akademie der Bildenden Künste, der TH OHM oder der FAU waren alle vom Flair und der Aufbruchstimmung angetan, die die Zentrifuge ausstrahlte. Auch einige Abteilungen der städtischen Verwaltung und der Parteien ließen sich vom postindustriellen Charme der Halle faszinieren und nutzten den Ort für Inspiration und Gedankenaustausch. Natürlich durften dabei auch Firmenevents nicht fehlen – die Zentrifuge galt einige Zeit als angesagte Hip-Location.

Seit 2009 setzten wir uns auch kreativwirtschaftlich für die Nürnberger Szene ein – in der Zentrifuge wurde der Creative Monday geboren, das FabLab und der CoworkingSpace machten hier ihre ersten Schritte und sogar das Bayerische Zentrum für Kreativwirtschaft nutzte in seiner Aufbauphase unser Netzwerk. Wir waren von alledem sehr angetan, wagten sogar eine Zentrifuge Akademie zu gründen und mieteten ca. 100 qm für Büro und Seminarraum im darüberliegenden Stockwerk an. Beinahe hätten wir uns dabei verhoben – denn dafür war eine Miete mit relativ hohen Nebenkosten zu zahlen, die wir gerade so mit unseren Kreativ-Seminar-Einnahmen und gelegentlichen Eventvermietungen decken konnten. Verdient war dabei noch lange nichts. Nach zwei Jahren haben wir die Reißleine gezogen, nachdem klar wurde, dass von der Stadt bzw. der Kulturpolitik trotz hoffnungsstiftenden guten Zuredens keine nachhaltige Unterstützung zu erwarten war und die Zentrifuge Akademie privatwirtschaftlich keine realistischen Perspektiven bot. Mit dem Umbau der Halle (eine Hälfte wurde mit EU-Fördermitteln zur Werkstatt 141 umgebaut) wurde dann endgültig unser Ende Auf AEG eingeläutet – die mehr als sechsmonatige Umbauphase hat uns den letzten Schwung genommen, die Halle war danach nicht mehr so attraktiv wie zuvor. Hinzu kam, dass nun in direkter Nachbarschaft mehr und mehr städtische Mitarbeiter/innen ihre Soziokulturarbeit verrichteten, was unserer eh schon geschwächten Motivation endgültig den Garaus machte. Ende 2013 war dann offensichtlich, dass unsere Zeit Auf AEG abgelaufen war – die Stadt hatte die Weichen in Richtung KUF-Kulturwerkstatt gestellt und das Kulturreferat kürzte die eh schon spärlichen Zuschüsse. Es war höchste Zeit zu gehen – wir verließen das Gelände im Sommer 2014. Heute sind wir froh, dass wir

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VOM KUNSTRAUM ZUR KREATIVPLATTFORM ZUM IDEEN-INKUBATOR


damals ausgezogen sind, denn bis Herbst 2018 müssen alle Künstler und Kreativen den Bau 14 verlassen. So sparen wir uns heute den Aufwand. Nach unserem Auszug Auf AEG nahm uns Ende 2014 die Weinerei unter ihre Fittiche – in der Ostermayr Passage führten wir ein knappes Jahr unsere Projekte, kleinere Veranstaltungen und Meetings fort, doch konnten wir als Untermieter den Ort nicht so frei nutzen, wie es für eine längere Nutzung nötig gewesen wäre. Auch die Projekträume im Z-Bau erwiesen sich als nur bedingt für unsere Zwecke geeignet. So gewöhnten wir uns schließlich daran, uns von festen Räumen frei zu machen und mehr und mehr an unterschiedlichen Orten zu wirken. Dabei pflegten wir unsere Projekte Forschende Kunst und die Kooperation mit ENGINEERING 2050, sendeten regelmäßig auf Radio Z und brachten weiterhin gemeinsam mit Studierenden der TH OHM unser PILOT-Magazin heraus. Nach zehn Jahren ist die Zentrifuge wieder in eine neue Phase eingetreten – viele Wegbegleiter stehen der Zentrifuge nach wie vor nahe. Der anfängliche Enthusiasmus ist schon lange verflogen und für größere Projekte möchte sich – nach all den lust- wie leidvollen Erfahrungen – niemand von uns mehr wie aus dem Nichts heraus verausgaben. Unser Idealismus besteht nach wie vor, unser Engagement für die hiesige Kultur- und Kreativ(wirtschaft)-Szene haben wir aber deutlich heruntergefahren. In diesen Aufgabenfeldern gibt es ja viele gut bezahlte und kompetente städtische und staatliche Angestellte, denen wir ihre wertvolle Arbeit nicht streitig machen möchten. Vielen Kreativen fehlt für solche Dinge ja auch schlicht die Zeit. Ein wenig schade ist das schon, gerade im Hinblick auf die Kulturhauptstadtbewerbung. Aber vielleicht ist es besser so, damit das zarte Pflänzchen alternative („freie“) Kultur von offiziösen Bestrebungen und wirtschaftlichen Interessen möglichst unberührt bleibt? Andererseits ist solches Schubladen- und Lagerdenken ja auch nicht das Wahre …Mal seh´n, vielleicht kommt ja noch Bewegung ins Spiel. Ob und wie es die Zentrifuge in Zukunft gibt, steht in den Sternen. Vielleicht nicht mehr als Verein und auch nicht mehr unter diesem Namen. Wie heißt es nochmal in einer unserer Forschende Kunst Dokumentationen? „Zentrifugen sollte es tausendfach geben und keine wäre dabei wie die andere. Das macht sie unkalkulierbar und unbeherrschbar. Zentrifugen sind Prozessoren für eine lebenswerte Zukunft – eine andere und bessere, als wir heute mit unserem deformierten Bewusstsein erahnen können.“

In diesem Sinne bedanke ich mich ganz herzlich bei all den wertvollen und liebenswerten Menschen, die der Zentrifuge mit ihren Ideen und ihrem Engagement immer wieder Schwung gegeben haben. Ihr habt durch die und mit der Zentrifuge ganz schön viel bewegt – und alle hatten wir dabei auch unseren Spaß und haben viel gelernt. Ich wünsche euch weiterhin viel Freude bei all eurem Denken und Tun … bleibt gesund und lebensfroh und lasst euch nicht unterkriegen! Auf weitere gemeinsame Jahre – mit oder ohne die Zentrifuge, denn Namen sind Schall und Rauch … es lebe die Verwandlung!


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TSCH Impressum Zentrifuge e.V. c/o Michael Schels, Adam-Klein-Str. 112, 90431 Nürnberg, ms@zentrifuge-nuernberg.de, www.zentrifuge-nuernberg.de,Vereinssitz: Nürnberg, VR 200589 Vorstand: Michael Schels, Ronald Zehmeister und Angela von Randow Bankverbindung: Sparkasse Nürnberg IBAN: DE97760501010010253904 BIC: SSKNDE77XXX PILOT – Magazin der Zentrifuge Ausgabe 7 Sommer-Herbst 2018 Eine Kooperation des Zentrifuge e.V. mit der Technischen Hochschule Nürnberg, Fachbereich Verbale Kommunikation, Prof. Max Ackermann Redaktion: V.i.S.d.P.: Michael Schels Layout: Ramona Obermann, André Lindert, Diana Danoyan und Julia Riegelsberger


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