Zucker 20

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ZUCKER MAG SONNE,

MOND UND STERNE

Free Art Magazin Issue 20

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INHALT 04 Lorenz Bethmann 07 Elisabeth Wolf 08 Hijo 10 Katharina Roeber 12 Sladge Nexus 14 Jonathan Falk 16 Simon Lober

Idee/Layout/Einband: Jonathan Falk & Elisabeth Wolf, Leipzig Kontakt: zucker.mag@web.de


Die amerikanische Toilette von Lorenz Bethmann

Ein fernes Gurgeln späten Wassers Ich hörte es Nicht mehr, als Fließen im Stein eines kleinen Lebens Nicht schwer an Gewicht Rinnsal Diener Fällt leicht stetig an winzige Unebenheiten entscheiden ewig dasselbe

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„Klingt wie von einem traurigen Achtklässler mit einem Faible für Emerson und Fried.“, hörte ich den gelb getünchten Mann neben den ächzenden Regalen sagen. So gelb glänzend, wie die Kacheln in der Frankfurter Allee am späten Nachmittag. Sein Kopf war fast kreisrund und viel zu groß für den brüchigen Körper, der ihn trug und wenn er sich zu einem umdrehte, war sein Kopf wie eine erschöpfte Glühbirne, die mit letzter Kraft einige fahlgelbe Zuckungen versendete. Ich hatte vorsorglich behauptet, eine größere Kiste unveröffentlichter Lyrik auf dem Dachboden meiner Großtante gefunden zu haben. Schön und traurig; traurigschön. Habe ich behauptet und ob wohl etwas damit zu machen sei, gefragt. Traurigschön. Wie die Popmusik heutzutage, eine Poesie schwitzende Erlösung herbei sehnend, habe ich meinem besten PR-Deutsch verkündet. Gut, etwas oldschool, aber heute kommt ja auch kein Vengabus mehr die Leute abholen, wo sie sind. „... sind ja mehr ein Nischenprodukt.“ Den Anfang seiner Ausführungen habe ich vor Schreck ob meiner Abwesenheit ganz überhört. Die ausgebrannte Glühbirne zuckte schon eine ganze Weile und ich hatte nur meinen Gedanken und dem steten Geräusch des Zimmerspringbrunnens, der nicht da war, nachgehangen. „... bleibt man da doch lieber bei den üblichen, bei denen, die sich bewährt haben, Rilke, Fried, Kästner, sie verstehen schon.“ Der getünchte Herr musste wohl schon seit zwanzig Minuten plappern, denn die Zeiger hatten sich bewegt, aber nur zwei Halbsätze haben sich mit der kinetischen Energie ihrer Relevanz für den Rest meines Kiste-bei-GroßtanteProjektes in mein Rosinengehirn gebohrt. Ich verstand schon. Es plätscherte noch etwas, das brüchige Stäbchen fuchtelte in Zeitlupe verständnisvoll mit den kleinen, gebogenen Stäbchen, die an der Seite des größeren Stäbchens angebracht waren, um verständnisvoll zu fuchteln, der viel zu große Glühkopf flackerte, ich hatte verstanden und die Zeiger bewegten sich im taktlosen Fließen des gut hinter der Realität verborgenen Zimmerspringbrunnes. „... keine Verwendung, blubber blubb spratz blubber schluck.“ 05


Platt gedrückt von den Sonnenstrahlen verließ ich ein sehr modernes Terrarium, welches voll verglast eine mittelmäßig teure Straße mit Modernität prägte und bog auf eine wesentlich teurere und noch weit modernere Hauptstraße ein. „... besonders Lebensratgeber unter den Sachbüchern, How to, sozusagen, verstehen sie?“, krümelte es sich aus meiner Erinnerung an das Flimmern und Plätschern und Denken und den bewegten Zeigern dieses Vormittages mit der plättenden Kinoformatsonne. Ich verstand. „How to deal with Sachen like Leben“ So würde ich es nennen. Leicht zu benutzen für die Verwendung. Tropft genug leicht wächst Leere die frei für kleine Kräfte die fluten können

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WHO KNOWS THE OTHER SIDE

Elisabeth Wolf Who Knows The Other Side 07


stadtkrank

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Hijo stadtkrank 09


Von der Z.A.G.haften Sehnsucht des Meeres nach dem Mond von Katharina Roeber

Bin so süchtig nach den Strahlen, die brüchig wie Schalen feinsten Porzellans zum Malen viel zu flüchtig sind, zum Streicheln viel zu unbestimmt… Bist in der Weite aufgegangen – Spiegel einer andr’en Macht – und kreist gefangen in der Ferne, Nacht für Nacht – meine Laterne. Halb ziehst du mich, halb sink‘ ich hin, bin ganz zerrissen innendrin. Ich folge dir, du lässt mich gehn‘, verebbte Fluten, aufgeschmissen. Wo eine Welle ist, sind tausend Wege! Und alle Hoffnung, die ich hege, dass deine Kräfte mich erheben, wird offenbar in meinem Beben. Und Gehabe! Dir zu imponieren, reflektiere ich allabendlich dein Licht in fabelhaften Spritzern – 10


Schicht für Schicht, fein aufgetragen versuch ich mich in allerschönstem Glitzern. So nah, wenn du vollkommen bist, so weit, wenn du verdunkelt schweigst! So wechselhaft, wie du dich zeigst, entgegne ich dir Stetigkeit. Geraume Gezeiten schon spüre ich sie, deine Zurückhaltung tut mir weh! Abstand aus Anstand, wahre Entfernung, ich übe mich in fraktaler Entbehrung. Fast meisterlich versteh‘ ich mich auf Z.A.G.haftes Gedulden. Doch sei gewiss, du wirst mir nie irgendetwas schulden! Z.A.G. = Zeitabschnittsgefährten 11


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Sladge Nexus Neumond 13


Mond - Herr der Steine von Jonathan Falk

Du blinkst nicht für den, der dich nicht sieht. Nicht für den, der dich sieht und deinem Weg flieht. Für den, der dich sieht, aber den Weg nicht versteht, Blinkst du, Trabant, leise leitend bis spät. Man sagt, die ersten Liebenden hätten das bösartige Feuer der jungen Galaxie in den Himmelskörpern, die uns Menschen umgeben, gebunden. Man sagt, die schwarzen Kräfte wurden in die Dunkelheit geworfen und abseits des Empfindbaren gebannt, dem Menschen verborgen gelagert, auf dass er sie nutzt, sobald sie ihm verständig sind. Das ist eine schöne Vorstellung, die meiner Geliebten auf Terra gefallen hätte. Mir, Bernhard Tush, geboren Dublin 2169, Sektor AC, Ingrammnummer E4-F562-B14, liegt derlei Poesie hingegen nicht. Ich mache einen mäßig bezahlten Job als Weltraummineraloge auf Station EP-6. „Herr der Steine“ - so nennen mich die Frischen - alt geworden bin ich hier, verschlossen, aber doch erfahren und ein versierter Raumingenieur. Ich bin an sich kein emotionaler Mann, doch gehört mein Herz dem Schreiben eines Tagebuchs. Manchmal dauert es Jahre, bis ich empfinde, was ich erlebt habe, darum halte ich es schriftlich fest. 14


Es wird nicht leicht, die verbliebenen Mineralien im Schatten des Sonnensystems zu bergen. Aber es ist nötig - wie meine Hoffnung - denn nur so werden wir unsere Zivilisation vor dem Ausbrennen retten können. Diese schwarze Kraft – bittere Energie, die den Himmel mittlerweile auch über Europa verdunkelt hat – nein, die hat heutzutage nichts Poetisches. Im Gegenteil, im Jahr 2231 ist sie Triebfeder der postterranen Wirtschaft und Übungsplatz einer der Technologie naiv zugewandten Jugend. Junge Wesen, die vieles auf der Suche nach der wertvollen, dunklen Materie aufgeben, solche Menschen gibt es zuhauf - trotz und wegen des gern kleingeredeten Risikos an Strahlenkrankheiten. Es ist festzustellen, dass die Menschen in unserer Gesellschaft hinter dem offiziell Propagierten durch und durch masochistisch sind. Aber für uns, die alte Garde des ersten Aufbruchs, die gelernt hatte, diese Prozesse zu durchschauen, liegt keine Freude im Leid, in der beworbenen Lebenserweiterung oder in der Ablenkung durch die stets verfügbaren Mentats. Für uns beginnt aktuell das persönlich letzte, berufliche Stechen, und zwar um eine Führungsposition in der 2. Siedlungswelle zum Jupiter. Mir war das klar: Wolltest du dein Stückchen Frieden im Raum finden, dann war es dort hinter dem reich angelagerten Asteroidengürtel in der Nähe des gigantischen Gasriesens in Sol-1. Es war kein ungewöhnlicher Job, das Ausschreibungsverfahren fand wie üblich statt: Dokumentation der fachspezifischen Tätigkeiten der letzten 5 Jahre, Motivation bezüglich der ausgeschriebenen Positionen, aktuelle Blutprobe. Das und die Links zu Dritte-Gruppe-Einschätzungen konnten direkt über das V-Net versendet werden, Termine für Holomeetings sind freizuhalten. Auf diesem Brocken radioaktiven Schlamm mit seinem bürokratischen Gewäsch, den die Ureinwohner vor langer Zeit Erde zu nennen pflegten, das war mir klar, würde ich nach dem Verfahren keinen Moment länger verweilen können. So oder so, ich wollte weg von meiner ergrauten Heimat. Ich hatte 2214 eine erste Chance auf Aussiedlung verstreichen lassen, dies scheint der wahre Tag meiner Schuld zu sein. Es ist ein Rätsel, wie das geschehen konnte. Nie schien mir klarer, dass nur die gefilterte, trockene Luft im All mein Überleben sichert und dass es nur einen Weg und nur ein Ziel geben kann. Das Weltall, der Blick auf die elementaren Körper, ist mir als einzige Perspektive geblieben. 15


Mond von Simon Lober

sie sieht gut aus heute abend. sie hat abgenommen. aber sie raucht wieder und lässt sich schlecht in die karten schauen. ich erinnere mich noch an den abend in dubai, als sie völlig entspannt am hafen lag und dem muezzin lauschte. oder bei einer dieser partys, als wir uns beide betrunken anschauten und einer voller war als der andere. ich vermisse die langen gespräche am fenster, als es noch sommer gab. ich hatte mich lange nicht gemeldet… sehr lange… und nun hat sie sich verändert. früher war sie viel größer, viel heller, viel stärker und vor allem war sie geheimnisvoll. sie hatte mich genauso gern wie ich sie. sie war immer da, wenn ich sie brauchte, doch mit der zeit haben wir uns aus den augen verloren. nur kurze blicke und die gewissheit, dass da jemand ist. das reichte und es wurde seltener, dass wir uns brauchten. und so verlor sie wohl das glänzende kleid, das ich ihr gab. darin sah sie immer so mondän aus…

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Dies ist die zweite von drei Ausgaben im Themenkreis „Sonne, Mond und Sterne“, Erscheinungsdatum 1. Juli 2013, Zucker Magazin, Leipzig, Ausgabe 20. Die Ausgabe 21 erscheint am 1. Oktober 2013, Redaktionsschluss ist der 31. August. Wir danken allen teilnehmenden Künstlern! ZUCKER ist ein 2008 gegründetes Magazin. Die Redaktion präsentiert regelmäßig, thematische Arbeiten aus verschiedenen, künstlerischen Bereichen. Das Magazin erscheint vierteljährlich als PDF im Internet. Unser digitales Archiv und Netzwerk erreicht man unter: issuu.com/zucker oder facebook.com/zucker.mag Wer das Magazin künstlerisch, organisatorisch oder in Sachen Bekanntheit unterstützen möchte, wende sich an die oben genannte Adresse. Wir freuen uns über jede Zuschrift. Außerdem danke ich allen Lesern für Ihr stetes Interesse am Projekt.

ISSN 2191-6985

Jonathan Falk, Herausgeber



„SWEET side of the moon...“


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