Kurt Siegenthaler – Frauen powern anders

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Kurt Siegenthaler Frauen powern anders



Kurt Siegenthaler

Frauen powern anders Lรถsungsorientierte Politik

Z y tglo g g e


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Inhalt

I

| Reizwort Geschlechterkampf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9

Das Ende des Patriarchats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 FDP-Frauen: Nicht mehr oben ohne! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Lösungen statt unheilige Allianzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Eine gewagte These? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 Frauen weder sensibler noch besser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 Michael Hermann: Frauen denken ökologischer .

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Die ersten Frauen im Parlament . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 Drei Wege ins Bundeshaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 Elisabeth Blunschy: Erste Präsidentin der Bundesversammlung . . . . . . . . . . . . . . . 26 Kampf für Familien- und Eherecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 Elisabeth Kopp: Erste Bundesrätin denkt grünliberal . . . . . . . . . . . 29 Das Tempo der Bundesrätinnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 Klima im Bundesrat ist gut – wie schon lange nicht mehr .

. . .

34

Maurer und Widmer-Schlumpf sind quitt . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 Rundumschlag gegen den Gesamtbundesrat . . . . . . . . . . . . . . 35 Zickenkrieg im Bundesrat? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 Nichts von ‹Fertig lustig› im Bundesrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38


II | Doris Leuthard: «Eine Schweizer Revolutionärin» . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 Rückblick auf tränengasreiche Ereignisse . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 Erinnerungen: ‹Spion› der AKW-Gegner beim Fernsehen

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41

AKW-Befürworter wittern Morgenluft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 Fukushima erschüttert die Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 Doris Leuthard ist gefordert .

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43

Bundesrat unter Druck der Wirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 Geheimhaltung wegen Störmanöver . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 Spekulationen und Gerüchte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 Harte Knochenarbeit für die Energiewende .

. . . . . . . . . . . . . . .

47

Atomausstieg ohne Verzicht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 Berner Kraftwerke ziehen 2019 Mühleberg-Stecker! . . . . . . . . . . . . 50 Mühleberg ist nur der Anfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 Suzanne Thoma: CEO der BKW AG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 Pascale Bruderer Wyss: Die Brückenbauerin . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 Verena Diener: «Eigenwillige Respektsperson»

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63

Erinnerungen: Ein nicht alltägliches Interview . . . . . . . . . . . 64

Peter Bieri: Konsenspolitiker vom Dienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66

III | Eveline Widmer-Schlumpf: Mit der Rache im Nacken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 Mehrwertsteuer weiterhin umstritten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 . . . . . . . . . . . . .

74

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75

Gierige Banker bringen Finanzplatz in Gefahr . Widmer-Schlumpf: UBS-Retterin .

Ausblick: Wenn eines Morgens die Sonne . . . .

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Die UBS-Rettung hat Steuerzahler nichts gekostet .

. . . . . . . . .

75 76

Widmer-Schlumpf: «Mass an Anstand unterschritten» . . . . . . 76


Probleme ohne Ende

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77

Bankgeheimnis: «Unantastbar wie eine Klosterfrau» . . . . . . 78 FDP will Widmer-Schlumpf entmachten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 FDP und BDP streiten um Bundesratssitz . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 Das iPhone meldet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81

Bankgeheimnis auch für Schweizer aufheben? . . . . . . . . . . . . 82 «Damals war ich nicht wirklich ich selbst» . . . . . . . . . . . . . . . . 84 Ursula Haller Vannini: Die Mutige

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87

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94

Erinnerungen: Missratene Strafaktion gegen Moritz

Christa Markwalder: Die Konsequente .

86

Maya Graf: Erste grüne Nationalratspräsidentin . . . . . . . . . . . . . . 100 Toni Bortoluzzi: Treuer Parteisoldat .

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106

Erinnerungen: Knochen abstauben und zurücktreten . . . . 109

IV | Simonetta Sommaruga: Eingeholt vom Gurten-Manifest . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 Tiefschläge für das Gurten-Manifest . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 Als Bundesratskandidatin gesetzt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 SP: Es gibt keine Ausländerdebatte .

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113

Sommaruga stellt Weichen neu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 Migrationsministerin auf heissem Stuhl . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 Vorauseilender Gehorsam .

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116

Rundumschlag von Peter Bodenmann .

. . . . . . . . . . . . . . . . . . 117

Erinnerungen: Schelte vom grossen SP-Vorsitzenden . . . . 119

Christine Egerszegi: «Mutter Courage» . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 Schlagfertig .

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124

Susanne Hochuli: «Erfrischende Regierungsrätin» . . . . . . . . . . . . 128 Elisabeth Zäch: Unabhängige Kämpferin für Burgdorf .

. . . . . . . . . 136

Andreas Gross: Erfahrung als Alibi-Mann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144


V

| Ausblick und Bilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 Wahlen 2015: Prognosen – Spekulationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 Urs Schwaller einflussreichster Parlamentarier . . . . . . . . . . . 150 Von Ratings zu den Wählerbefragungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 SVP: Mit Initiativen-Flut Wählerverluste aufhalten Blochers gefährliche Avancen an die SP .

. . . . . . . . 151

. . . . . . . . . . . . . . . . 153

Erinnerungen: Grundstein für Abzocker .

. . . . . . . . . . . . . . . 153

SP: Ruhe und weniger Streit dank Christian Levrat . . . . . . . . 156 FDP: Weg von der Wirtschaftspartei – nichts wie los! . . . . . . 157 CVP: Hält sich Schaden dank Leuthard in Grenzen? .

. . . . . . . 159

Grüne Partei Schweiz: Die Grünliberalen im Rücken . . . . . . . 160 Grünliberale Partei: Neue bekannte Gesichter sind gefragt .

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161

BDP: zweiter Anlauf mit Eveline Widmer-Schlumpf . . . . . . . . 162 Der Bundesrat 2016 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 Achille Casanova: Frauen resistenter gegen Druck als Männer .

. . 166

Frauen täten Kantonsregierungen gut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 Frauenparteien: «Mauerblümchen in der Parteilandschaft» . Streit in der SVP wegen Abtreibungsfinanzierung? .

. . . . 170

. . . . . . . . 171

Einfluss auf Abstimmungen ist gering . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 Carmen Walker Späh: «Die Korrekte» .

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172

Nachtrag: Kämpfen FDP-Frauen weiter? .

. . . . . . . . . . . . . . . . . 176

Hommage an die Konkordanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177  . . . an den Föderalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177  . . . an den Ständerat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178


I

| Reizwort Geschlechterkampf

Das Thema beschäftigt die Medienwelt schon seit Jahren, und in letzter Zeit ist es auch in der Schweiz vermehrt aktuell geworden. Keine Woche vergeht, in der nicht darüber geschrieben wird. «Frauen stürmen Schweizer Börse und verlangen mehr Verwaltungsratsmandate», stand im Tages-Anzeiger. «Frauen verdrängen die Männer», prangte auf dem Titelblatt einer helvetischen Familienzeitschrift. «Die Welt tickt immer weiblicher», war in der NZZ zu lesen. Und als Justizministerin Sommaruga die finanzielle Situation geschiedener Frauen verbessern wollte, hiess es: «Zündstoff für den Geschlechterkampf.» Ein Reizwort offenbar, das zieht: Geschlechterkampf. Und wie immer in solchen Fällen will auch die Spassgesellschaft profitieren. Unter der Rubrik «Geschlechterkampf» kann «Das Partyspiel für Mann und Frau» gekauft werden. Und auf einer Internetseite gibt es «Witze über den Geschlechterkampf».

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Das Ende des Patriarchats

Kommentieren will ich das nicht. Es zeigt aber: Das Thema ist populär. Auch Bücher über den Geschlechterkampf werden zu Bestsellern. Begonnen hat es einmal mehr in den USA. Für das weltweit wohl grösste Echo sorgte die Schriftstellerin Hanna Rosin. ‹Frauen verdrängen Männer – Ende der Männer und Aufstieg der Frauen›, lautet der Titel ihres Buches, in dem es um die Frauen und Männer in der Wirtschafts- und Arbeitswelt geht und provokative Fragen gestellt werden, u. a.: «Werden Frauen bald an der Spitze der Gesellschaft stehen?» oder: «Ist die jahrtausendealte Herrschaft des Patriarchats am Ende?» – «Noch nicht, aber bald», sagt Hanna Rosin, «denn die heutigen Anforderungen wie Flexibilität, soziale Intelligenz, Kommunikationsfähigkeit spielen eindeutig Frauen in die Hände.» In den USA hat das Buch heftige Kontroversen ausgelöst. Das ‹Wall Street Journal› machte ein Interview mit Rosin, und im Magazin der ‹New York Times› wurde das Buch zur Titelgeschichte. Und das auf­ lageträchtige Thema schwappte auch auf Europa über. Prompt konterte die deutsche Autorin Christine Bauer-Jelinek mit ihrem Buch ‹Frauen sind nicht die besseren Menschen›. Sie vertritt die Ansicht, dass heute im Beruf der Mann zum Feind stilisiert wird, den es zu bekämpfen gelte. «Frauen und Männer werden in der Wirtschaft aufeinander gehetzt. Der Feind ist aber das herrschende System. Beide Geschlechter sind das Opfer eines finanzgetriebenen Neolibera­ lismus.» Das trifft wohl eher zu.

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FDP-Frauen: Nicht mehr oben ohne!

Auf den finanzgetriebenen Neoliberalismus, welcher Bundesrat und Parlament zum Überdruss beschäftigt (UBS-Rettung, Lex USA), wird später noch einzugehen sein. Tatsache ist, dass man in der Schweizer Wirtschaft (wie auch in der Politik) nach wie vor meilenweit von einer Gleichstellung entfernt ist. Die weiblichen CEOs können an einer Hand abgezählt werden. In vielen Verwaltungsräten gibt es oft lediglich eine einzige Alibifrau. Die FDP-Frauen gingen daher bereits vor den letzten eidgenössischen Wahlen zum Angriff über und verlangten mit einer frechen ­Broschüre mehr Frauen in der Top-Liga von Wirtschaft, Politik und Wissenschaft. Auf einer einschlägigen Foto der kämpferischen FDPGeneralsekretärin Claudine Esseiva steht auf einem schwarzen Balken: «Nicht mehr oben ohne!» Irritiert ob solcher Propaganda waren offenbar nur einige Freisinnherren – die provokative Aktion hingegen ist vergessen. Der Geschlechterkampf in der Schweizer Wirtschaft findet (noch) nicht statt. Mit einer Gleichstellung wäre schon viel erreicht.

Lösungen statt unheilige Allianzen

Befassen wir uns also mit dem Hauptthema: mit den starken Frauen im Bundesrat, in den Kantons- und Städteregierungen und im eidgenössischen Parlament. Bekannt ist, dass in vielen Gemeinden Frauen aller Parteifarben dafür sorgen, dass die Exekutive handlungsfähig ist. Sie setzen sich nicht nur für Kinder, Schulen, Altersheime und Lebensqualität ein. Sie übernehmen auch die Finanzen, Bau und Planung oder Sicherheit. Sie suchen zielorientiert und, wenn es sein muss, unabhängig von einer Parteidoktrin nach Lösungen. Vielerorts sind Männer nicht mehr bereit, | 11


s­olche schlecht bezahlte Ämter zu übernehmen. Trotzdem sind es oft gerade die Männer, die gegen Gemeindefusionen sind. Weil es jedoch weitergehen muss, haben die Frauen dann einzuspringen. Aber auch auf nationaler Ebene versuchen Frauen immer wieder, ‹überparteilich› das Ziel zu erreichen, wie z. B. bei der Mutterschaftsversicherung. Sie sind der Gegenpol zu den vermehrt praktizierten unheiligen Allianzen, welche für die Demokratie immer gefährlicher werden. Ganz Rechte und ganz Linke, bei denen es oft nur um Parteipolitik und nichts anderes geht, blockieren damit Lösungen. Monatelange, ja jahrelange Kommissionsarbeit kann mit einem Nichtein­ treten oder in einer Schlussabstimmung aus völlig gegensätzlichen Argumenten vernichtet werden, weil versucht wird, Maximalforderungen durchzubringen. Dringende Probleme werden so statt gelöst verschleppt. Dass damit auch Sitzungsgelder vergeudet werden, ist eine Nebenerscheinung. Meine langjährigen Beobachtungen im Bundeshaus haben gezeigt, dass Frauen diesbezüglich lösungsorientierter und unabhängiger politisieren. Sie wollen keine Endlosdiskussionen, sie wollen Resultate. Das kam auch in zwei Kolumnen zum Ausdruck, die ich vor einigen Jahren schon mit dieser These lancierte. Sie soll daher hinterfragt, bestätigt oder korrigiert werden.

Eine gewagte These?

Frauen politisieren lösungsorientierter, sachlicher und unabhängiger von den Parteien als Männer. Zu lesen war dies in der Kolumne des ‹Thuner Tagblatts›, vor vier Jahren, als am 5. Dezember 2009 Doris Leuthard zur Bundespräsidentin erkoren wurde, Pascale Bruderer zur Nationalratspräsidentin und | 12


Die drei höchsten Ämter der Schweiz sind alle erstmals in Frauenhand: Pascale Bruderer, Doris Leuthard und Erika Forster luden Frauen zu einem Fest ein. Der Ansturm war riesig.

Erika Forster zur Ständeratspräsidentin und damit zum ersten Mal in der Geschichte der Eidgenossenschaft drei Frauen die wichtigsten Staatsämter innehatten. Als dann am 22. September 2010 für Moritz Leuenberger Simonetta Sommaruga in die Landesregierung gewählt wurde, ergo ein weiteres historisches Ereignis eintraf, schrieb ich in der Internetzeitung ‹Journal21› u. a.: Der heutige Tag ist aber auch ein Freudentag für die Frauen in der Schweiz. Als einziges Land in Europa wird die Schweiz in Zukunft von einer Frauenmehrheit regiert. Das ist gut . . . | 13


Das Echo meiner Geschlechtsgenossen auf beide Artikel liess jeweils nicht lange auf sich warten. Es gab Reaktionen wie: Brauchen unsere intellektuellen Frauen diese Rockschleicherkommentare? Bei meinen vielleicht etwas euphorisch formulierten Äusserungen muss berücksichtigt werden, dass damals in Sachen Gleichberechtigung ein wichtiger Schritt getan wurde. Die Frauenmehrheit im Bundesrat dauerte allerdings nur ein Jahr. Heute regieren wieder mehr Männer als Frauen, und in Sachen Gleichberechtigung ist nach wie vor viel zu tun. Im Nationalrat sind heute die Frauen mit 59 von 200 Mandaten vertreten, das sind 29.5 %. Im Ständerat sind es noch weniger: nämlich 9 von 24 Sitzen oder 19.6 %. Halt! Korrektur. Im Nationalrat wurden soeben (9.9.2013) zwei Frauen ­vereidigt. Es sind also 61. Mit 30.5 % ist die 30er-Hürde zwar genommen. Gleichstellung lautet jedoch 50 %. Doch wenden wir uns wieder der umstrittenen These zu. Die kämpferische frühere Fraktionschefin der Grünen Partei, Cécile Bühlmann, hat schon im Jahre 2009 die Frage nach den Unterschieden zwischen Mann und Frau in der Politik beantwortet. In einem Interview wurde ihr die Frage gestellt: «Wäre die Welt besser, wenn sie von Frauen regiert würde?» Antwort: Früher hätte ich, ohne mit der Wimper zu zucken, Ja gesagt. Heute sage ich: Man soll es uns doch einmal beweisen lassen! Frauen sind nicht die besseren Menschen als Männer. Aber ich habe in meinen 14 Jahren im Nationalrat festgestellt, dass sie im Durchschnitt fundierter arbeiten als die Männer. Frauen politisieren näher an der Sache, die Materie interessiert sie mehr als die persönliche Macht. Das liegt an ihrer Erziehung und Biografie, durch die sie oft eine ganzheitlichere Sicht auf die Dinge und einen hellhörigeren Zugang zu Themen haben, die sich nicht mit Zahlen messen lassen.

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Frauen weder sensibler noch besser

Argumente eher gegen die These haben wir von Jean-Martin Büttner im ‹Tages-Anzeiger› gefunden. Im Zusammenhang mit dem nach ­Fuku­shima von einer Frauenmehrheit im Bundesrat beschlossenen Atom­­ausstieg und somit einer Energiewende schrieb er, wie immer gekonnt formuliert: Frauen machen fallweise eine andere Politik als Männer, weil sie andere Erfahrungen gemacht haben. Deswegen handeln sie als Politikerinnen weder sensibler noch besser. Das zu behaupten, klingt genauso absurd wie die ebenfalls vorgebrachte Unterstellung, die vier Bundesrätinnen hätten am Mittwoch kollektiv die Nerven verloren. Behauptung und Unterstellung muss man, um ein feministisches Adjektiv zu verwenden, als sexistisch bezeichnen. Erstere geht davon aus, dass Frauen so sehr fühlen, dass sie nicht mehr taktisch denken. Letztere impliziert, dass Frauen nicht denken können, weil sie zu sehr fühlen. Unentschieden also. Versuchen wir weitere Argumente für und gegen die These zu finden. Eine Untersuchung der neutralen Wahlplattform vimentis.ch hat ergeben, dass die 1131 kandidierenden Frauen bei den Wahlen im Jahre 2011 deutlich linker und liberaler eingestellt seien als ihre männlichen Kollegen, die auch ins Bundeshaus wollen. Was sagen solche Zahlen aus? Wir fragten den Politologen Michael Hermann. Gibt die Wissenschaft eine Antwort auf die These?

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