Megafon Nr. 293

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m egafon Nr. 293

Zeitung aus der Reithalle Bern www.megafon.ch

M채rz 2006

Preis Sfr. 5.--

mit P R O g r a m m


IM MÀRZ ENTREE

INNENLAND

3 CARTE BLANCHE FÜR UVM

25 QUEERE KRITIK ALS BESTANDTEIL DES NEOLIBERALEN GESCHLECHTERREGIMES? Von der Privatisierung des Geschlechts

3 MEILENSTEINE UND STOLPERSTEINE Editorial

28 INVASION: FREIRAUMDEMO - WAGENPLÄTZE

4 ENTREE

30 INVASION: INTERNATIONALER FRAUENTAG

SCHWERPUNKT MORAL

31 DIE FREUDE DES KLAUS SCHWAB Wef 2006: Rückblick auf Pro und Contra

5 MORAL VERSTEHT SICH VON SELBST Einleitung

POSTFACH

6 DAS GUTE UND DAS SCHLECHTE Ethik und Moral in der Philosophie

29 REPLIK AUF «DIE EUROPÄISCHE VERFASSUNG UND DIE LINKE»

8 KUNST WILL MORAL – WENN AUCH NICHT IMMER MIT HEHREN ABSICHTEN Kunst und gesellschaftliche Verantwortung

BLICK NACH RECHTS

11 «DAS IST DANN ABER GAR NICHT ['PI: 'SI:]» Politisch korrekt – sprachlich moralisch ohne Fehl und Tadel

32 SPAGAT ZWISCHEN GERICHTSSAAL UND PARLAMENT Die Berner Neonaziszene 2005 33 INVASION: ANTIFASCHISTISCHER ABENDSPAZIERGANG

12 BUM-BALA-BALA Ethikdiskurs am Wäschehaufen

KULTUR ET ALL

15 GÄÄHN… ODER WIE? Linke Politik und Moral

34 GLAUSER TRIFFT AUF STUDER TRIFFT AUF BINDER Hannes Binder: «Nüüd appartigs»

17 SANS-PAPIERS GEHÖREN ZUM PROFIL DER KIRCHEN Moralisch handeln – zum Beispiel in der Kirche

35 MIKE REBER HÖRT BOSS HOG Scheiben

18 RAUS AUS DER ZWEIERKISTE Pomme/Apfel: Wege zum Glück

36 PROGRAMM

21 VON LEEREN KASSEN UND KRANKEN MENSCHEN Gesundheitsversorgung – für alle?

46 STORY OF HELL

23 ENTSCHEIDUNGEN TREFFEN Pflegefachleute zu Willen und Sterben

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megafon Nr. 293, März 2006

1 Abo = 12 Monate megafon für FR. 54.– PRO JAHR <> megafon zur Probe = 3 Monate gratis <> 1 Geschenkabo = 12 Monate an untenstehende Adresse (oben eigene Adresse):

INHALT

Name/Adresse

Die in den Beiträgen wiedergegebene Meinung muss sich nicht mit der Meinung der Redaktion decken. Die Schwerpunkt-Beiträge dokumentieren die Entwicklung von Kunst- und Jugend- und Politszenen. Weder mit bildlichen noch textlichen Inhalten sollen die LeserInnen dazu aufgerufen werden, Straftaten zu begehen. Für unsignierte Beiträge ist in der Regel die jeweilige AG verantwortlich.

MEGABO

Redaktionsschluss 8. Februar 2006 näxter 15. März 2006 | Erscheint monatlich Auflage ca. 1300 Ex.; Jahresabo (mind. Fr. 54.–) bei obenstehender Adresse.

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Redaktion AG megafon | Postfach 7611, CH-3001 Bern megafon@reitschule.ch | Fon 031 306 69 66 Layout megafon Plakat #tt Umschlag mäz Bilder uvm Druck Kollektiv Druckwelle, Reitschule In dieser Nummer Ruth Ammann (tut), Ursula Häni (ush), Tom Hänsel (#tt), Agnes Hofmann (ans), Christa Kläsi (cdk), Zacharias Krumm (zak), Heiko Morf (hako), Lisa Strahm (las), Urslé von Mathilde (uvm), Markus Züger (mäz).

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IMPRESSUM

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Briefmarke

47 MANIFEST DER REITSCHULE 2006


CARTE BLANCHE FÜR UVM

EDITORIAL

MEILENSTEINE, STOLPERSTEINE Manches dauert lange, sehr lange, in der Reitschule. Dafür soll es gut werden und nachhaltig sein. Gültig für mindestens eine Reitschule-Generation – die, so ist im Reitschule-Sonderheft nachzulesen, ungefähr vier Jahre währt. Nach den Gewalteskapaden vom Sommer 2003 ist ein Diskussionsprozess in Gang gekommen, jetzt ist es da: Das neue Manifest. Mit einer Art Philosophie der Reitschule – passend zum Schwerpunkt Moral? – definieren die ReitschülerInnen ihre eigenen Haltungen. Abgesegnet wurde das neue Manifest von mehr als 100 ReitschülerInnen Ende Januar 2006 im Kino. Der Weg dazu, wie bei allen allgemeingültigen Regelwerken, war ein langer und schwieriger und das Echo auf das Resultat ist von aussen lauter als von innen. Kein Wunder, denn eigentlich ist der Inhalt uns allen klar. Wer sich noch nicht ganz sicher fühlt beim Rezitieren… das neue Manifest gibts nachzulesen auf der rückwärtigen Umschlagsseite, auf dickem Papier, sozusagen haltbar oder zum Ausschneiden.

Was in diesem megafon nicht zu finden ist: Nichts zum Streik der Swissmetal-ArbeiterInnen in Reconvillier, nichts zur Entwicklung im Iran, kaum was zum Konflikt um die Mohammed-Karikaturen, nichts zum Prozess gegen die Polizisten auf der Autobahnbrücke von Aubonne, nichts über die Referenden gegen das Asyl- und AusländerInnengesetz – tut uns leid, wir sind über anderes gestolpert. Oder zu spät gestolpert, keine AutorInnen mehr gefunden, zu lange Produktionszeit als Monatszeitschrift... – Wir machen es uns für einmal einfach und verweisen auf die freien Radios. Respektive auf Radio RaBe. Die Geschichte des ersten nichtkommerziellen, kulturorientierten Radio in Bern ist definitiv verhängt mit derjenigen der Reitschule (bis vor einigen Jahren sogar mit eigener Sendung «Störung aus dem Pferdestall»). RaBe feiert diesen Monat sein zehnjähriges Jubliläum – bei uns in der Reitschule mit einem feinen Programm. Herzlichen Glückwunsch, liebes RaBe und viel Spass beim Feiern! Kommt alle auch, auch an andere Veranstaltungen – und aber auch an all die Demos im März und im April, für die es Mobilisierungstexte in der Rubrik Innenland zu lesen gibt! > ANS & LAS <

EDITORIAL megafon Nr. 293, März 2006

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ENTREE mal wieder draussen. durchatmen. leide im honigtee rührn. in die weite schaun. versuchsweise mit den beinen baumeln, in der hoffnung, dass sich die gewohnte leichtigkeit einstellt. but NOT today! der ärger lässt sich nicht so einfach verdrängen. findet nahrung in allem. zum beispiel dem «hier». … heisst «schweiz». schön. daraus abgeleitet «schweizer». soweit auch ganz gut. doch warum «~ERin»?! … wessen?! oder: warum?? haben wir das «patriarchat» nicht einmal in dieser gruusligen verklausulierung abgeschafft, welche ihrerseits so «wunderhübsche» wortkreationen schenkte, wie «lesbierinnen» oder «gästinnen» … aber ohne auf dem für und wieder dieser «revolution» rumzuhacken, wie siehts aus? ganz praktisch. wenn wir uns vor augen halten wollen, dass der erste internationale frauentag auf neunzehnhundertundelf datiert wird. mal ganz realistisch: hauptsächlich bin ich mensch. wie ich fühle weiss wenn überhaupt nur ich. dennoch werde ich – als gesellschaftliches individuum – ständig in geschlechterrollen gepresst, à la «ihr frauen», «wie ihr männer» … helfen nicht diese «schubladen», «klischees» zu bewahren?! «naklar! - wir männer sind so», «als frau macht man das so». ganz einfach. allerdings hab ich auch schon «scheissmacker» weiblichen geschlechts erlebt, und auch kerle, die versuchten, sich von der «üblichen rollenverteilung» zu befreien. aber in dieser «gesellschaft» wird dies sehr schnell zum «fulltimejob». mensch wird immerwieder «fremdbestimmt», und wer sich anders fühlt, kommt in rechtfertigungsnotstand. rund um die uhr. … unter diesen, sowie noch ein paar weiteren gesichtspunkten sehe ich kaum ein chance für eine «reale» gleichberechtigung. nehmen wir das beispiel politik, welche in dieser gegend nach wie vor extrem patriarchal funtioniert. als frau fällst du sofort auf, musst «rollen spielen», was «energien» raubt. einschränkt. ich empfehle einen kompletten austausch! ENTREE

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frauen an die macht! versuchsweise für ein oder zwei jahre, und dann mal schauen wie's läuft. obs vielleicht nicht eventuell sogar besser würde… und dann irgendwann können vielleicht auch an derartien posten (regierungen, veraltungs- und aufsichtsräte, firmenleitungen etc.) unterschiedlichste menschen miteinander arbeiten, ohne hauptsächlich verbal oder nonverbal gezwungen zu sein, «ihre rolle» zu bestätigen, zu verteidien oder auch von sich zu weisen. EIGENTLICH gibt es wichtigeres zu tun! schon auch deshalb: für einen freudigen & lauten achten und märz. für eine bessere welt! und noch mal schnell bei wikipedia geblättert: Der Begriff Patriarchat bezeichnet: 1 in der Soziologie das Vorrecht der Väter, also die traditionelle Gesellschaftsordnung, in der die Männer und Väter die Entscheidungen innerhalb der Gemeinschaft treffen… 2 im Alten Testament die Summe der dort genannten Führer des Volkes Israel: Abraham, Isaak, Jakob und dessen zwölf Söhne… 3 in der katholischen und orthodoxen Kirche Würde und Amtsbereich eines Patriarchen… Der Internationale Frauentag wird weltweit von Frauenorganisationen am 8. März begangen. Die Idee dazu wurde am 27. August 1910 auf der Internationalen Sozialistischen Frauenkonferenz in Kopenhagen von der deutschen Frauenrechtlerin und Sozialistin Clara Zetkin ins Leben gerufen: Der 19. März wurde als Internationaler Sozialistischer Frauentag zum Kampftag für das Frauenwahlrecht bestimmt.

Zur Erklärung des Datums werden je nach Quelle verschiedene Ereignisse erwähnt, darunter eine Arbeiterinnendemonstration in St. Petersburg während der russischen Revolution 1917 (da galt noch der julianische Kalender, das russische Datum war der 23. Februar) oder die brutale Niederschlagung einer Demonstration New Yorker Textilarbeiterinnen im Jahr 1857. 1911 demonstrierten Frauen in Deutschland, Dänemark, Österreich, Schweden, der Schweiz und den USA für Gleichberechtigung. Seit 1921 wurde der Tag, der bis dahin am 19. März begangen worden war, auf den 8. März festgelegt. Da die sozialistischen Bewegung massgeblich an der Entstehung des Frauentages Anteil hatte, wurde er in Deutschland zwischen 1933 und 1945 verboten. Alternativ wurde der Muttertag hoch gehalten, der auch mehr dem nationalsozialistischen Frauen (=Mutter)-Ideal entprach. Wegen seines Ursprungs wurde nach 1945 der Frauentag in den Ostblockländern verstärkt gefeiert, während er in Westdeutschland im Schatten des Muttertages eine untergeordnete Rolle spielte. > DYS <


EINLEITUNG SCHWERPUNKT

MORAL VERSTEHT SICH VON SELBST WIE WIR UNS BEMÜHTEN DIESES HEFT ZU FÜLLEN, EIN ARTIKELNETZ ZU KONSTRUIEREN, DAS SICH IM SCHWERPUNKT MORAL VERDICHTEN SOLLTE,

WURDE UNS KLAR, WIE WENIG KLARHEIT WIR ÜBER DIESEN BEGRIFF HABEN. NICHT DASS ER UNBEKANNT WÄRE, ER IST SCHWER FASSBAR.

Da gab es in unserer kleinen Redaktionsrunde schon diverse Vorstellungen von Moral und was deren Funktion sein könnte, Antipathien gegen Moralismus wurden geäussert, aber auch Bekenntnisse zu moralischem Handeln und Bewerten. Das widerspricht aber dem verbindlichen Charakter, den Moral per definitionem als institutionalisierte Normen und Werte, die das zwischenmenschliche Verhalten in einer Gesellschaft regulieren, haben soll. Möglicherweise hat sie ihre Geltungskraft verloren in Zeiten der Postmoderne, wo das Individum ins Zentrum rück und kollektive Bindungen zunehmends suspekt werden. Sind diese Regeln oder Zwänge passé, ein Überbleibsel aus finsteren Zeiten, wo Sitten noch nötig waren? Erst das Fressen, dann die Moral oder ist die «Rational Choice» gar die Moral von der Geschichte?

Jenny Holzer Lustmord

Keine Bange, es gibt sie noch, sonst hätten wir kaum dieses Heft zusammengebracht. Da tauchen auch Argumente auf, die gegen die Individualisierungsthese sprechen. Moral könnte genauso als Instanz beschrieben werden, die es Individuen ermöglicht, in sozialen Systemen mitzuwirken, die zu komplex sind, als dass sie in ihrer Gesamtheit zu erfassen wären. Verlangen nicht unsere überkomplexen Lebenswelten nach verlässlichen Wertehaltungen und Handlungsanleitungen? Trotz oder gerade wegen der Entzauberung von Gemeinschaft und Ideologie? Moral kann dabei sicher nicht als etwas fixes verstanden werden, sie verändert sich, passt sich an und ist ausserdem (sub)kulturell bestimmt, wie sich auch jüngst bei der weltweiten Entrüstung über einige Karikaturen in einem dänischen Provinzblättchen zeigte. «Der Irrsinn ist bei Einzelnen etwas seltenes – aber bei Gruppen, Parteien, Völkern, Zeiten die Regel» befand Nietzsche, ein radikaler Kritiker der Moral, der sich jenseits von Gut und Böse wähnte und irgendwann selbst durchgeknallt ist. Und damit sind wir wieder bei jenen, die der Moral kritisch gesinnt sind oder sie ganz ablehnen. «Ist das Hirn zu kurz gekommen, wird sehr gern Moral genommen» meinte etwa Wiglaf Droste. Eine abschliessende Antwort können und wollen wir nicht bieten, aber es sind spannende Texte aus verschiedensten Bereichen zusammengekommen, die ein Netz um diesen diffusen Begriff spannen und ihn aus verschiedenen Perspektiven beleuchten, emporheben oder relativieren.

VOILÀ Eine Einführung in die Begriffe der Ethik und Moral in der Philosophie und deren Konfliktlinien skizziert der Text «Das Gute und das Schlechte» ab Seite 6. Soll sich Kunst nicht nur mit dem Schönen, sonder auch mit dem Guten beschäftigen? Der Text ab Seite 8 hat Kunst, die sich als moralische Instanz präsentiert, mit der aber auch Geld verdient wird, zum Thema. Moralisches Wissen wird mit der Sprache erworben, bereits in früher Kindheit gibt es bei fast allen Kindern den Wunsch «das Richtige zu tun, weil es das Richtige ist». Mit dem Faktor Sprache und ihren Unzulänglichkeiten befasst sich der Artikel auf Seite 11. Auf Kleiderkauf mit professionellen «Amoralischen» geht es in der fiktiven Geschichte «BumBala-Bala» ab Seite12. Wenn im megafon ein Text publiziert würde, der den Angriff auf den Irak befürwortet, käme erst ein grosser Aufschrei und dann würde argumentiert werden. Linke Politik ist oft moralisch: «Kein Blut für Öl» ist nicht nur bildlich triefend. Linke Werthaltungen und deren Konsequenzen werden im Interview ab Seite 15 diskutiert. Was moralisches Handeln für die Kirche bedeuten könnte, reflektiert der Text auf Seite 17 aus religiöser Perspektive. Oscar Wild sagte einmal: «Die Moral ist immer die letzte Zuflucht von Leuten, die die Schönheit nicht begreifen.» Ab Seite 18 folgt ein Interview mit zwei Menschen, die ihre Beziehungen und Sexualität unkonform leben: «Raus aus der Zweierkiste«. Zum Schluss zwei Texte zur (Un)Moral im Pflegebereich der Spitäler ab Seite 21. Schöne Lektüre. > ZAK <

SCHWERPUNKT megafon Nr. 293, März 2006

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ETHIK UND MORAL IN DER PHILOSOPHIE

DAS GUTE UND DAS SCHLECHTE DENKT MAN AN ETHIK, KOMMEN EINEM VIELLEICHT FOLGENDE ODER ÄHNLICHE SCHLAGWÖRTER IN DEN SINN WIE: BÜRGERLICHE MORAL, ZWANG, FREIHEIT UND GERECHTIGKEIT, DIE FRAGE NACH

MORALISCH «FALSCH» UND «RICHTIG» UND DIE

NACH EINEM FREIEN WILLEN. VIELLEICHT DENKT

MAN AUCH AN AKTUELLE THEMEN WIE BEISPIELSWEISE AN DIE GENTECHNOLOGIE, AN DAS RECHT

AUF ABTREIBUNG UND AN BESTIMMTE MISSHANDLUNGEN IN BESTIMMTEN GEFÄNGNISSEN.

Die Frage nach moralisch gut und schlecht – um Ethik erstmal so zu charakterisieren – ist eine der Hauptfragen des Menschen und als theoretische Reflexion doch gleichzeitig untrennbar mit der Praxis verknüpft. Aristoteles, welcher als einer der Ersten eine systematische Ethik begründete, verstand den Menschen als gut, wenn er, im Sinne einer Rebschere, seine Funktion erfüllt. Eine umfassende Abhandlung über Ethik ist kaum möglich, da sich erstens verschiedene Schulen (Denkrichtungen) ausgebildet haben, welche ihre je eigene Bedeutung von Ethik in den Mittelpunkt rücken und damit auch eine je eigene Herangehensweise an die Thematik. Zweitens hat die Ethik sich in die unterschiedlichsten Richtungen und Themenfelder verästelt. Einige wurden bereits oben genannt, weitere Themenfelder sind beispielsweise die feministische Ethik, die politische Ethik, die Bioethik und weiter mehr. Ähnlich verhält es sich mit den ethischen Grundbegriffen wie eben «das Gute», «Gerechtigkeit», «Verantwortung» usw. Auch über ihre Bedeutung herrscht kein Konsens, vielmehr muss ihr Sinnzusammenhang in der jeweiligen Denkrichtung gesucht werden. Allgemein lassen sich aber drei Richtung der Ethik unterscheiden: • Die normative (oder präskriptive) Ethik, welche die «Richtigkeit» moralischer Werte untersucht.

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• Die deskriptive Ethik, welche die historischen Grundlagen von moralischen Gesetzen reflektiert. • Die Metaethik welche grob gesagt die Strukturen ethischen Denkens und Handelns beziehungsweise ihre Möglichkeit überhaupt untersucht. Die Moral wird im Gegensatz zu der Ethik meist im Sinne einer subjektiven Moral oder eben tatsächlich gegebenen gesellschaftliche Normen verstanden (im Sinne eben einer persönlichen Moral, oder eben auch einer bürgerlichen Moral). Soviel nur als sehr grobe Einleitung. Wir werden im Weiteren den Begriff der Ethik in dem Sinn verwenden, dass wir erstens damit die Voraussetzung ihrer Allgemeingültigkeit verknüpfen und weiter eine rationale Begründung (was auch immer das im Genauen heissen mag) der von ihr aufgestellten Maximen verlangen. Ich stütze mich auf diese sehr groben Definitionen um im Weiteren einige (subjektiv empfunden) interessante Sachverhalte kurz zu streifen. Dabei werde ich wenig darauf eingehen, wie meiner Meinung nach nun unsere Ethik sein sollte, was falsch oder richtig ist. Einige Denkanstösse werden sich aber vielleicht aus den folgenden Gedankengängen ergeben. Fragen wir nach einer richtigen Ethik, können wir nicht um die Frage nach der Verantwortung herum. Möchten wir Richtlinien für ein gesellschaftliches Handeln aufstellen, müssen wir auch voraussetzen, dass jeder und jede verantwortlich für sein/ihr Handeln ist. Dabei scheint sich gleichzeitig die Frage nach einem freien Willen aufzudrängen. Denn gehen wir von einem Kausalprinzip aus, scheint jegliches determiniert zu sein, wobei der freie Wille dem Menschen abgesprochen werden kann (denn beispielsweise schreibe ich jetzt, da ich durch alle gegeben vorherigen Umstände nicht anders kann). Ohne freien Willen aber keine Möglichkeit zur Verantwortung und somit auch keine Ethik, so die Schlussfolgerung. Damit müsste aber die Entdeckung nicht

deterministischer Mechanismen in der Natur (beispielsweise in der Quantenphysik) quasi für unseren freien Willen sprechen. Oder nicht? Das dem wohl kaum so ist, macht die Irrungen und Wirrungen der Sprache und der Philosophie deutlich. Folgend: auch wenn wir davon ausgehen, dass beispielsweise radioaktiver Zerfall nicht vorhergesagt werden kann sondern lediglich statistischen Wahrscheinlichkeiten folgt, tangiert diese Erkenntnis die Frage nach einem freien Willen nicht im Geringsten. Denn freier Wille bedeutet eine Übereinstimmung eben mit dem eigenen Willen, die Freiheit von Zwang. Freier Wille wird eben nicht durch Zufälligkeit garantiert. Stellen Sie sich beispielsweise vor, ich würde in dieser Sekunde «zufällig» an einen Elefanten denken- was hat das mit einem freien Willen zu tun?! Indeterminismus hat konsequent gedacht also nicht weniger unerwünschte Folgen als der Determinismus (entweder prügle ich zufällig meinen Nachbarn oder ich konnte halt nicht anders). Das war eine grobe und teilweise auch ungenaue Anschauung über den Determinismus und seinen Gegenpart. Tatsächlich ergeben sich bei genauerer Betrachtung noch weitreichendere Probleme, welche klar machen würden, dass es im Endeffekt darauf ankommt, welche Bedeutung wir mit den jeweiligen Begriffen verknüpfen. Schliesslich hat uns aber folgender Sachverhalt zu interessieren: Steh ich nun als hartgesottene Deterministin vor einem Apfelregal, bleibt mir trotz meiner philosophischen Überzeugungen nichts anderes übrig, als mir einen Apfel auszusuchen, möchte ich nicht in letzter Konsequenz verhungern. Was ich damit sagen will, ist, dass wir im Praktischen auf ethische Richtlinien angewiesen sind. Worauf sollen diese aber beruhen? Gehen wir aber nun von einer Gleichheit aller Menschen aus, müssen wir untersuchen woher dieser Gedanke stammt. Natürlich ist uns allen klar,


Alle Bilder dieses Schwerpunktes sind Bilder, die Kontroversen ausgelöst haben. Rachel Mader und uvm haben sie für uns zusammengestellt. Der Artikel ab Seite 8 geht detaillierter auf die Thematik ein.

Marina Abramovic Cleaning the mirrow

dass diese Forderung nach universaler Gleichheit nicht schon immer da war, sondern sich in einem gewissen Kontext entwickeln musste. Das ist erstmals die historische (genealogische) Betrachtungsweise: Woher kommt der Begriff, in welchem Kontext ist er entstanden, wie wurde er verstanden? Gewiss ist unser heutiges Verstehen der Ethik im Lichte ihrer Entstehung und ihres Ursprunges zu sehen. Diese Betrachtungsweise zeigt aber gleichzeitig auch, dass wir von einer Letztbegründung der Ethik weggekommen sind: es gibt keinen letzten, absoluten Grund für die Richtigkeit ethischer Normen. Damit wiederum, und aus der Tatsache nach der steigenden Relevanz von globalen Zusammenhängen, scheinen viele einen Relativismus zu verknüpfen, denn ich persönlich für vollkommen falsch und äusserst gefährlich halte. Die Argumentation von RelativistInnen läuft ungefähr so: es gibt keine absolute Richtigkeit von Normen, also darf jede Menschengruppe/Kultur/Ethnie tun was auch immer sie für richtig hält. Denn nichts anderes heisst ja schliess-

lich Toleranz und schlussendlich müssen wir die Menschen in ihrem jeweiligen Sinnzusammenhang verstehen. Diese Sichtweise wird meist von wohlmeinenden WesteuropäerInnen vertreten, und hat ihre Richtigkeit darin, zu unterstreichen, dass Werte immer im jeweiligen Zusammenhang verstanden werden müssen (in diesem Rahmen müssen sich meines Erachtens auch zukünftige Diskussionen über die Ethik bewegen). Dies heisst aber nicht, alles wahllos gelten zu lassen! Leute die mit ähnlichen Argumenten Werthaltungen anderer Kulturen verteidigen wollen, machen meist nichts anderes, als von den Medien vermittelte Bilder unkritisch zu übernehmen um daraus beliebige Schlussfolgerungen abzuleiten. Erstens kann davon ausgegangen werden, dass in den meisten Ländern der Anspruch nach Gleichheit und Gleichberechtigung vorhanden ist. Genauso wird also auch dort die Verletzung dieser Ansprüche wahrgenommen. Weiter muss zwischen verschiedenen Formen des Relativismus und der Normen unterschieden werden: beispielsweise

zwischen fundamentalen und davon abgeleiteten Normen. Diese Unterscheidung erlaubt es, allgemeingültige Normen festzulegen und trotzdem eine Plurale Auslegung und Umsetzung in ihrem je verschiedenen Kontext zu zuzulassen. Denn meines Erachtens müssen ethische Normen darauf hinauslaufen, dass wir im Sinne unserer Möglichkeit, uns reflexiv in jeweils andere Person hineinzuversetzen (wobei sich hier spannende Fragen der psychologischen Ethik auftun) schlussendlich auf die Umsetzung absoluter Gleichheit und Gleichberechtigung hin arbeiten müssen. Die konkrete Auslegung ist dabei work in progress. > RAMSEY <

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Quellen und weiterführende Literatur: plato.stanford.edu/entries/ethics-virtue/ Richard b. Brandt: Value and obligation, Brace & world 1961 Moritz Schlick: Fragen der Ethik, Springer 1930. Krohs, Toepfer: Philosophie der Biologie, Suhrkamp 2005. Werner Heisenberg: Philosophie und Physik, Hirzel 2000. Sowie verschiedene Einträge aus der englisch- und deutschsprachigen wikipedia

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KUNST UND GESELLSCHAFTLICHE VERANTWORTUNG

KUNST WILL MORAL – WENN AUCH NICHT IMMER MIT HEHREN ABSICHTEN SEIT JAHREN GIBT ES IMMER WIEDER KOLLEKTIVE ODER KUNSTPROJEKTE, DIE KUNST ALS MORALI-

SCHE INSTANZ ODER ALS GEWISSEN DER GESELLSCHAFT PRÄSENTIEREN. MANCHMALS NÜTZT EIN

SKANDAL ABER AUCH BLOSS DEN VERKAUFSZAHLEN.

In den 1980er Jahren machte eine Gruppe von Leuten unterschiedlichster beruflicher Herkunft in New York mit provokanten Posteraktionen auf sich aufmerksam. Einziges Thema ihrer Interventionen war die durch die Ignoranz der amerikanischen Regierung unter Reagan verursachte ADIS-Krise, auf welche sie mit aufklärerischen Kampagnen hinwiesen. Obwohl nur wenige Mitglieder der Gruppe Gran Fury (dies der Namen eines Fahrzeuges der amerikanischen Geheimpolizei) Kunstschaffende waren, operierte das Kollektiv Zeit seines Bestehens in enger Zusammenarbeit mit dem Kunstkontext. Ihr Interesse daran umschrieben sie pragmatisch: «We want money and access to public spaces». So nutzte das Kollektiv 1990 die Einladung an die traditionsreiche Biennale in Venedig, um auf einem im öffentlichen Raum installierten Werbeplakat das päpstliche Abraten vor dem Gebrauch von Kondomen als reaktionär anzukreiden (Abb.1). Das Plakat erlangte die beabsichtigte Aufmerksamkeit: Der Biennale-Direktor wollte es vorerst verbieten, am Abend vor der Eröffnung gab der Zoll das Plakat frei und es wurde doch noch montiert. Am Skandal interessiert, widmete die italienische Presse Gran Fury viel Raum, das Kollektiv seinerseits nutzte die erhöhte Sensibilität, um im Rahmen der Biennale Vorurteilen gegenüber AIDS mit Fakten zu begegnen. Gran Fury war eines von zahlreichen KünstlerInnenkollektiven, das in den 1980er Jahren in New York der Kunst ihre gesellschaftliche Verantwortung in

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Erinnerung rufen wollte. «We invite everyone to question the entire culture we take for granted» beschreibt einige Jahre früher das Kollektiv Group Material seine Absicht und formuliert damit eine der wohl umfassendsten Kulturkritiken, die sich Kunstschaffende je vorgenommen haben. Ganz so neu ist jedoch das Anliegen nicht, mit Kunst in den Lauf der Welt einzugreifen und damit für deren Befinden verantwortlich zu zeichnen. Die Forderung, die Kunst habe sich nicht nur mit dem Schönen, sondern auch dem Guten und dem Wahren zu beschäftigen, gilt seit dem frühen 19. Jahrhundert als Allgemeinplatz. Die in zahlreichen Verfassungen verbriefte Freiheit der Kunst sollte dafür den notwendigen Schutz bieten. Kunst sollte, so die traditionelle Auffassung, als Parallelstimme und in Form zeitloser Parabeln das Publikum und somit die breite Öffentlichkeit zur Reflexion ihres Handelns auffordern. Kunst als moralische Instanz, als Gewissen der Gesellschaft? Grosse Ziele, die die Kunst nie einlösen konnte, was ihr nicht selten den Vorwurf der Selbstbezüglichkeit, des «l’art pour l’art» eintrug. Nicht zuletzt dagegen revoltierten die KünstlerInnenkollektive in den 1980er Jahren: sie machten sich – entgegen dem stets anwesenden Aufruf zur gediegenen, ästhetischen Reflexion der Welt – mit politischen Parolen und strategischem Zugriff auf den Kunstbetrieb an die Umsetzung ihrer moralischen Verpflichtung. Aussergewöhnlich dabei ist die Ungeduld und Militanz, mit der die Gruppen und vereinzelt auch EinzelkünstlerInnen einforderten, was seit langem als Kerngeschäft der Kunst galt. Dass es dabei nicht selten zu Skandalen kam, gehörte mit zum Kalkül, auch bei Gran Furys. Die öffentliche Platzierung des von ihnen entworfenen Plakates «Kissing doesn’t kill – greed and indifference do» (Abb.2) wurde in Chicago vom Senat mit 49 zu 2 Stimmen abgelehnt. Die Firma HoffmannLa Roche versuchte, die vom Kollektiv

gestaltete Seite der Kunstzeitschrift Artforum zu verbieten, weil dort dem Konzern Gewinnsucht auf dem Rücken Aids-Kranker vorgeworfen wird (Abb.3). Der Kunstbetrieb bot dem Kollektiv Gran Fury nicht nur finanziellen und institutionellen Rückhalt, sondern auch die notwendige Redefreiheit, so konnte es die Profiteure und Ignoranten der AIDS-Krise trotz Zensurdrohungen anklagen. Obwohl die Interventionen in realpolitische Anliegen Hauptabsicht von Gran Fury und ähnlich agierenden Kollektiven waren, galt ihre Kritik auch dem Kunstbetrieb selbst. «With 42 000 dead – art is not enough. Take collectiv direct action to end the aids crisis» (Abb.4) war 1988 der Aufruf des Kollektivs auf ihrem Plakat für die Ausstellung in dem subkulturellen Kreisen zugerechneten Veranstaltungsort The Kitchen (New York). Die Kunst, so der Vorwurf, könne sich nicht länger nobler Reflexion hingeben, sondern hätte angesichts der gesellschaftlichen Lage ihr Handlungspotential auszuschöpfen. Implizit verbunden mit dieser Forderung ist die Ansicht, dass Kunst nicht ein von der realen Gesellschaft losgekoppeltes System darstellt, sondern als Teil davon ihren Beitrag zur Behebung von Missständen leisten sollte. Die Einsicht, dass sich im Kunstsystem Gesellschaftsverhältnisse abbilden haben die Guerilla Girls zum Gegenstand ihrer Arbeiten gemacht. Ihre bekanntesten und Aufsehen erregendsten Arbeiten sind ebenfalls Plakate, auf denen sie den auch im Kunstbetrieb vorherrschenden Sexismus anklagen. Mit eingängigen Parolen (Do women have do be naked to get into the met? Abb.5) oder der simplen Auflistung statistischer Werte (Abb.6) legen sie die Beteiligung des Kunstbetriebes an der Reproduktion traditioneller Gesellschaftsordnungen offen. Hans Haacke hat dies mit seiner Arbeit «Manets Spargelstilleben» für den Vorgang der Wertsteigerung von Kunstwerken durch deren Einschluss ins ökonomi-


Abt. 2 Abt. 4

Abt. 1

Abt. 3

Abt. 5 sche Systeme nachgewiesen. Anlässlich einer Ausstellung im renommierten Ludwig-Museum in Köln wollte der Künstler die wechselnden Besitzverhältnisse, des sich mittlerweile im Besitz der Sammlung befindenden Spargelstilllebens von Manet dokumentieren. Sämtliche am Kauf beteiligten Personen wurden mit Hinweis auf ihre Verwaltungsratsmandate aufgeführt. Ziel Haackes war das Nachweisen der Verbandelung von Entscheidungsträgern der Kultur mit denjenigen der Wirtschaftseliten. Der aus dieser Arbeit resultierende Skandal ist heute, wo Kulturförderung Finanzmogule nobilitiert, schwierig nachvollziehbar. In den 1970er Jahren aber wurde Haackes Arbeit auf Druck der Vorsitzenden des Museums aus der Ausstellung zurückgezogen, bald darauf in einer Kölner Galerie gezeigt und hat –

wie abzusehen war – mittlerweile in der Kunstgeschichte Kultstatus erreicht. Dass Kunstskandale sich hervorragend eignen, um Kunst aus ihren elitären Mauern heraus an eine breitere Öffentlichkeit zu holen, ist eine Einsicht, die sich längst nicht nur KünstlerInnen, sondern auch Sammler wie der britische Werbefachmann Charles Saatchi angeeignet haben. Seit den 1980er Jahren kauft Saatchi Arbeiten junger britischer KünstlerInnen, von denen er 1997 in der Ausstellung mit dem viel versprechenden Titel «Sensation» in der Royal Academy in London eine Auswahl vorführt. Eine erste Durchsicht durch den Katalog macht klar, dass Schock, Ekel und Provokation für Saatchi als Qualitätskriterien für gute, zeitgenössische Kunst gelten, oder dass er sich davon zumindest üppig Publikum verspricht (Abb.7). Dieser Umstand

interessiert nicht nur den Berufsmann der Werbebranche, dem Mehrheitsfähigkeit als deformation professionell entschuldigt werden könnte. Saatchi konzipierte seine Sammlung nachweisbar als Geldanlage, die eigens dazu inszenierten Skandale und das Labeling seiner Sammlung als «Young British Artists» sind dabei nur zwei von zahlreichen geschickten Schachzügen, mit denen er die jungen KünstlerInnen der Wertsteigerung zuführt. Und damit tritt die von Gran Fury, den Guerilla Girls und Haacke mit emanzipativen Interessen nachgewiesene Verbindung von Kunst und gesellschaftlicher Rea>

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Abt. 7

lität in eine neue Runde. Der Sammler macht sich die Werturteile und Mechanismen des Kunstbetriebes zu eigen, um damit spektakuläre Kunst zu hippen und so seine Geldanhäufung hinter scheinbar selbstloser Kunstförderung besonders effizient weiterzuführen. Moral, mit dem Bildungsauftrag der Kunst implizit verbunden, hat in jüngerer Zeit im Kunstbetrieb ihre Funktion gewechselt – wie zahlreiche andere Faktoren auch. Genauso wie KünstlerInnen zu UnternehmerInnen oder

DienstleisterInnen werden mussten, um sich und ihre Arbeiten gewinnbringend zu positionieren, wurde Moral, zumindest latent Thema zahlreicher künstlerischer Produktionen – immer mehr auch als Mittel zum Zweck instrumentalisiert. Kunstschaffende schockieren nicht nur, um die Welt an ihre Verluderung zu erinnern, nicht weniger wichtig ist die damit gesteigerte Aufmerksamkeit des Publikums, ohne welches sich heute Kunst kaum mehr legitimeren lässt. Ist Kunst also ein Drecksgeschäft wie jedes andere?

Ich meine ja. Wie so vieles hat auch dies seine guten Seiten: Die Kunst vom Sockel zu holen ist auch ein Versuch, ihr elitäres Antlitz in ein demokratisches umzuwandeln. > RACHEL MADER <

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POLITISCH KORREKT – SPRACHLICH MORALISCH OHNE FEHL UND TADEL

«DAS IST DANN ABER GAR NICHT ['PI: 'SI:]» DASS SPRACHE MEHR IST, ALS DIE KOMMUNIKA-

TIONSFORM DER MENSCHEN, IST EIGENTLICH EIN ALLGEMEINPLATZ.

SIE HAT UND NIMMT EINFLUSS

AUF DAS DENKEN UND DIE VORSTELLUNGSKRAFT – UND WIRD DAMIT ZUM KAMPFPLATZ.

Das Fräulein ist jetzt definitiv tot, oder? Seit Ende der 1960er Jahre kämpften in den USA Linke, Schwarze und Feministinnen in Kampagnen mit dem Begriff der «Political Correctnes» für die Veränderung von Sprache, weil sie sich damit ein Zurückdrängen der Diskriminierung von Minderheiten erhofften. Der Begriff wurde bald zur moralpolitischen Beurteilung von Sprache und Verhaltensweisen benutzt, und sprachliche Konventionen zu bestimmten Themen – vor allem zur Frage der Geschlechterbeziehung und bezüglich gesellschaftlichen Minderheiten – wurden eingeführt und über Nordamerika auch in Europa verbreitet. Obwohl nicht homogene Gruppen hinter der PC-Bewegung standen, wurde der Begriff, als er in den 1970/80er Jahren in Europa aufgegriffen wurde, eindeutig der Linken zugeordnet. Darum wohl auch meine Erinnerung an einen in den Politgrüppli der 1980/90er Jahre häufigst ausgesprochenen Satz: «Das ist dann aber gar nicht ['pi: 'si:]». Egal, in welcher Gruppe, in welcher Diskussion: Jede Aussage, jede Meinung, jede Formulierung musste – neben anderen Ansprüchen – auch ['pi: 'si:] sein. Ich will das gar nicht kritisieren. Im Gegenteil: Wahrscheinlich hat diese strenge Schule bewirkt, dass ich heute die Sprache automatischer hinterfrage und dass mir zum Beispiel geFormulierungen schlechtsneutrale selbstverständlich und kein Mühsal sind. Und dass ich mich grad nicht erinnere, wann ich das letzte Fräulein Dingsbum gehört hab. Aber auch, dass ich bemerke, wie lasch «man» wieder geworden ist.

GUTMENSCHEN Nicht dass die Kurzform mit den beiden Buchstaben «p» und «c» ausgestorben ist, sie wird aber wohl heute von den meisten als ['pe: 'tse:] erkannt, ['pi: 'si:] ist out. Getötet von den Gutmenschen!? Natürlich nicht – aber vielleicht von den Schöpfern der Gutmenschen. Kaum waren die Diskussionen um die Einschätzung der Sprache als Ergebnis einer laufend fortgeschriebenen sozialen Konvention warmgelaufen, kaum wurde der Prozess, dass Sprache das Denken beeinflusst, bewusst und sichtbar gemacht, kamen die kritischen Stimmen hinzu. Zum einen weil der Begriff aus der (uneinigen) Linken kam: (Rechte) Kritiker attestierten umgehend eine Bevormundung in Sprache und Denken. Andere benutzten die ['pi: 'si:]-Sprache dazu, ihre Machenschaften schönzureden (in Deutschland vor allem in Bezug auf den Täter/Opferstatus im Nationalsozialismus). Aber es gab auch viel linke «interne» Kritik an der ['pi: 'si:]-Sprache: Zum Beispiel weil damit der Opferstatus zementiert würde. Oder weil ein exzessiver Gebrauch der ['pi: 'si:]-Sprache nur die Unfähigkeit, die tatsächlichen Ursachen von Rassismus und Sexismus zu überwinden, verdecke. Oder weil nur schön ['pi: 'si:] reden und die alte Politik weiterführen auch nichts bringt. Oder weil die ['pi: 'si:]-Sprache ihren Ansprüchen nicht gerecht werden kann, wenn die weibliche Form nur bei positiv besetzten Begriffen hinzugefügt wird. Oder weil sie zu einer bevormundenden Zwangsmoral werde und darum grundsätzlich ein Ärgernis sei. Eine Sprache für Fundis oder für «Gutmenschen» halt, alle drei grad/wieder/immer nicht sehr populär – übertriebener politischer Ernst und/oder humorlos…

Ist die ['pi: 'si:]-Sprache, neben anderen Projekten, Ideen und Utopien der 1980/90er Jahre in der postmodernen Beliebigkeit untergegangen? Mit einigen Überbleibseln in der linken Szene, im akademischen Bereich und in der geschlechtsneutralen Sprache der Bundesverwaltung? Und ganz viel nicht-['pi: 'si:]-Stand Up-Comedy! In dem Fall sag ich nur: Jeder kann Papst werden! > ANS <

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Cindy Shermann Untitled #150

ETHIKDISKURS AM WÄSCHEHAUFEN

BUM-BALA-BALA Schauplatz: Ein Kaufhaus des Westens, wollzwickel und kleinen Schnallen verziert. Träger und abnehmbare, fernUnterwäsche-Abteilung steuerbare Strapsen. 100 % Polyester für nur 68 Mäuse. Figuren: • Uschi Lee, semiprofessionelle Por- Uschi Lee: Ich mag kein Polyester. Noch dazu gelb-schwarz. nodarstellerin • Kurt Kamezzi, semiprofessioneller Kurt Kamezzi: Oder dieses Camouflage-Korsett mit Häkchenverschluss vorPornodarsteller • Fritzi Habermus, Verkäuferin von ne, eingearbeiteten Forming-Stäbchen und Schnürung im Rücken für deine, Unterwäsche. ähm, Wespentaille, also fast WespenUschi Lee und Kurz Kamezzi sind privat taille. Ohne Strümpfe. 60 Prozent ein Pärchen. Sie wühlen sich durch die Baumwolle, 40 Prozent Viskose. KomWäsche auf der Suche nach Requisiten plett gefüttert: 100 Prozent Baumwolle. für einen semiprofessionellen Porno- Hm, 312 Franken. Uschi Lee: Aii, zeig. Schaut sich die Ware film. an, überlegt. Das liegt nicht im Budget. Kurt Kamezzi: Ein Corsage-Set in die Höhe Wir müssen die Sachkosten minimieren. haltend Hase, was hältst du von diesem Kurt Kamezzi: Wir könnten es für privagelb-schwarzen Corsage-Set? Da ist te Zwecke kaufen. alles tutti quanti, Corsage mit Forming- Uschi Lee: Private Zwecke? Stäbchen und leicht gepolsterten Bü- Kurt Kamezzi: Verzeih, ich dachte nur gel-Cups, passener String mit Baum- so. Uschi Lee: Was dachtest du? Kurt Kamezzi: Ich könnte es dir schenken. SCHWERPUNKT Uschi Lee: Schenken? Wozu denn megafon Nr. 293, März 2006 12 schenken?

Kurt Kamezzi: Na vielleicht für ein bisschen Bum-bala-bala auf dem Küchentisch. Uschi Lee: Hä? Pause. Scharf nachdenkend. Krieg ich Geld dafür? Kurt Kamezzi: Ach woher. Uschi Lee: Mit dem rechten Finger auf Kurts Stirn tippend Dann schlag dir das Balabala-Zeugs aus deinem Häle-häleKopf, kapiert. Kurt Kamezzi: Was ist nur aus uns geworden. Uschi Lee: Nichts. In einem Wäschehaufen wühlend, seufzend Diese Lingerie ist zu bürgerlich für einen Low-Budget-Film. Kurt Kamezzi: Ich dachte du magst das Camouflage-Korsett? Uschi Lee: Tue ich ja. Kurt Kamezzi: Wo ist dann bitteschön das Problem? Uschi Lee: Wenn du es mir kaufst, ich es anziehe, auf unserem Küchentisch Bum-bala-bala darin mache, dann werde ich ganz offensichtlich zum Objekt deiner Begierde. Scharf nachdenkend Gut, das bin ich ohnehin. Doch wird es mir dann, in ekelerregender Weise, bewusst.


Kurt Kamezzi: Du machst dich doch dauernd zum Objekt der Begierde. Uschi Lee: Ja. Aber ich kriege Geld dafür. Kurt Kamezzi: Wir finden uns, beruflich bedingt, in weitaus anstrengenderen Verrenkungen wieder als in bisschen Bala-bala. Uschi Lee: Stimmt. Kurt Kamezzi: Denk an die Filmszene, in der ich aufm Kopf stehe, eine Papaya im Mund, während du mich auspeitschst. Dort mach ich mich auch zum Affen, sprich, ich erniedrige mich. Uschi Lee: Klar. Aber Du bist dann eben ein Individuum, das sich erniedrigt. Doch wenn ich in der nächsten Szene den Kopf in die Panna Cotta stecke und gleichzeitig von dir erniedrigt werde, dann werde nicht ich als einzelne Frau unterdrückt, sondern dann werden alle Frauen unterdrückt. Kurt Kamezzi: Auch wenn sie Spass dabei haben? Uschi Lee: Versteh doch, ein Mitglied einer unterdrückten Klasse steht nicht für sich, sondern gleichzeitig für alle. Das ist das Entscheidende. Spass hin oder her. Kurt Kamezzi: Verzeih, ich dachte du magst Camouflage-Korsetts. Uschi Lee: Ich hab keine Ahnung, was ich mag. Ich orientier mich ja dauernd an einer männlichen Ästhetik. Kurt Kamezzi: Aber wir wissen doch beide, dass du Macht über mich hast, manchmal. Uschi Lee: Ja. Und wie. Nur was nützt mir das? Kurt Kamezzi: Du bist die Herrscherin unserer vier Wände. Uschi Lee: Mag sein. Doch die Herrschenden draussen geben vor, was begehrenswert ist. Kurt Kamezzi: Du weisst, dass du mich quälen kannst. Uschi Lee: Zurückschlagen, ohne tatsächliche Macht zu besitzen, ist ineffizient. Pause. Hier findet sich nichts für den Dreh. Kurt Kamezzi: Manchmal bin ich dir total ausgeliefert.

Uschi Lee: Ich bitte dich. Kurt Kamezzi: Es gibt Situationen, da bin ich nicht mehr Herr der Lage. Uschi Lee: Komm mir jetzt nicht mit verlogener Naturhaftigkeit. Kurt Kamezzi: Und komm du mir nicht mit der diskursiven Besatzung, ähm, ich meine Besetzung des Körpers. Du verrätst dein Geschlecht ja andauernd. Du verdienst dein Geld mit dieser Naturhaftigkeit, die in deinen Augen nur scheinbar existiert. Ausserdem magst du Camouflage und du magst Bala-bala. Uschi Lee: Was hälst du von diesem Gnufell-Höschen?. Kurt Kamezzi: Bisschen bieder. Uschi Lee: Was wir bräuchten ist eine busenfreie Straps-Bügel-Corsage aus grau-melierter Schimpansenhaut. Und ein Rio-String ouvert. Dazu passende Strümpfe, Spitzenverzierung, 100 Prozent Schimpanse. Fritzi Habermus: sich anschleichend Kann ich behilflich sein? Uschi Lee: Ou ja. Sehen Sie, wir brauchen etwas knalliges, etwas mit Lack vielleicht, billig sollte es sein, für eine Szene in einem semiprofessionellen Hardcore-Porno. Kurt Kamezzi: Nun, es sollte was sein, dass sich nicht mit Weiss beisst, weil Uschi und ich in der betreffenden Szene von einem weissen Pitbull erniedrigt werden. Fritzi Habermus: Kriegt der Hund Geld dafür? Uschi Lee: Nö. Scharf nachdenkend Eigentlich unfair. Kurt Kamezzi: Das ist eine Frage der Einstellung. Fritzi Habermus: Wurde der Pitbull gefragt? Kurt Kamezzi: Ich glaube ja. Uschi Lee: Ich denke nein. Fritzi Habermus: Jä was jetzt? Kurt Kamezzi: Klaro, Dirk hat den Hund gefragt. Zu Fritzi Habermus Dirk ist unser Produzent. Uschi Lee: Nein, Dirk tut immer so, als werden alle alles gefragt, als wären wir ein Kollektiv, dabei haben die entfes-

selten Marktkräfte längst den ganzen Pornobereich gefesselt, gewissermassen eingekesselt. Dirk ist der Boss. Wir sind Marionetten. Der Hund wurde nicht gefragt. Schweinerei. Kurt Kamezzi: Ich war dabei, als er den Hund fragte. Uschi Lee: Ich war dabei, als er den Hund nicht fragte. Fritzi Habermus: Also was nun? Das ist gewissermassen der fundamentale Punkt. Der Dreh- und Angelpunkt des menschlichen, ähm, und tierischen Miteinanders ist die durch Argumentation gekennzeichnete Form der Kommunikation. Meiner Meinung nach gelten für die formale Struktur des Diskurses folgende Minimalregeln: Jedem und jeder, der, also die, es wünscht, muss das Recht und die Möglichkeit eingeräumt werden, am jeweiligen Diskurs teilzunehmen; allen Diskursteilnehmern ist zudem dasselbe Recht zuzubilligen, jede, egal von wem aufgestellte Behauptung zu hinterfragen und kollektiv zu besprechen bis sie menschlich, und, ähm, in diesem Fall tierisch, logisch nicht widerlegbar beziehungsweise belegt oder ergänzt beziehungsweise weiterentwickelt ist. Somit stellt sich Übereinkunft ein. Diese ermöglicht Raum für das nächste zu behandelnde Problem beziehungsweise die nächste Frage zum Weg der Lösungsfindung. Kurt Kamezzi: Sagen Sie, haben sie Unterhosen mit Eingriff? Fritzi Habermus: Beleidigt Wir sind doch nicht der Coop in Schaffhausen! Kurt Kamezzi: Eingeschnappt Hier würde Markus Werners Protagonist nie einkaufen. Nie, nie, nie. Sie haben ein lausiges Sortiment. Fritzi Habermus: Verärgert Nun werden sie nicht frech! Und verschonen sie mich mit Werner. >

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Sigrid Landau, Baeded Hula, Videoperformance am Strand von Tel Aviv

Kurt Kamezzi: Brüllend Ich würde mich schämen, hier zu arbeiten! Fritzi Habermus: Schreiend Sie Flegel, Sie! Sie fragen ja nicht einmal ihren Filmhund, ob er sie erniedrigen will!! Uschi Lee: Entschuldigend, schlichtend Leider gibt es in unserem Metier keine eigentliche Diskursethik. Sie haben natürlich recht. Ich fühle mich sehr schlecht. Wir hätten den Hund fragen sollen. Fritzi Habermus: Triumphierend Eben. Uschi Lee: Was wir taten, war verwerflich. Doch Sie wissen ja, wie das geht. Beim Prozess, Allgemeingültigkeit aufzustellen, passiert es oft, dass eine Reihe von Fehlern gemacht werden. Man bietet ein Prinzip der Universalität an, und es stellt sich heraus, dass es mit Ausschlüssen und einer bestimmten Gewalt arbeitet. Kurt Kamezzi: Ich erhebe ja gar keinen Anspruch auf die universelle Gültigkeit unseres Filmprojekts! Uschi Lee: Wir müssen einsehen, dass das Universelle kulturabhängig ist. Kurt Kamezzi: Aber ich versteh den Hund nicht! Fritzi Habermus: Zu Kurt Kamezzi Das ist nicht weiter schlimm. Sehen sie, wenn man akzeptiert, dass man den andern nie ganz versteht, dann kann man ihm oder ihr auch nichts vorschreiben. Uschi Lee: Stimmt. Ausserdem erhöht die Unerkennbarkeit des Andern meine Rücksichtnahme, meine Verantwortlichkeit ihm gegenüber. Zu Kurt Ka-

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mezzi Nüdelchen, wir hätten das Hundchen fragen sollen. Kurt Kamezzi: Okay, okay. Nächstes Mal fragen wir ihn. Aber Dirk soll mit ihm reden. Uschi Lee: Zu Fritzi Habermus Wie schön, dass wir uns verstehen. Pause. Sie haben keine busenfreie Straps-BügelCorsage? Fritzi Habermus: Natürlich nicht. Kurt Kamezzi: Ich kaufe dir das Camouflage-Korsett und dann ziehen wir Leine. Uschi Lee: Ich dachte, das hätten wir geklärt. Zu Fritzi Habermus Werden sie auch immer wieder Opfer heterosexueller Zwangsvorstellungen? Fritzi Habermus: Bitte? Uschi Lee: Tanzen sie vor ihrem Partner auf dem Küchentisch Bum-balabala? Fritzi Habermus: Es kommt vor. Uschi Lee: Hm. Haben sie Spass dabei? Fritzi Habermus: Ja. Uschi Lee: Das kann ich verstehen. Fritzi Habermus: In scharfem Ton Wo liegt dann das Problem? Uschi Lee: Die Frau kann nicht wählen, sondern sie wird gewählt. Fritzi Habermus: Verächtlich Dann werden sie doch lesbisch. Uschi Lee: Sie haben sehr recht. Aber sehen sie, ich brauche wohl, wie Sie, das mir Unbegreifliche, den Kampf. Ich bin masochistisch. Scharf nachdenkend Wir Frauen sollten uns zusammentun, gemeinsam kämpfen. Kurt Kamezzi: Lächelt Uschi Lee süss an Das Camouflage-Korsett täte Dir gut stehen. Uschi Lee: Verunsichert Ich weiss nicht.

Findest du wirklich? Fritzi Habermus: Zu Uschi Lee Ich denke, Sie sind etwas, nun ja, wie soll ich sagen, etwas zu mollig dafür. Uschi Lee: Pah! Fritzi Habermus: Ich denke, mit Ihrer Konfektionsgrösse suchen sie besser ein anderes Geschäft auf. Verschwindet hinter einem Wäscheberg. Uschi Lee: Ihr nachschreiend Das werden wir! Sie verkaufen ja nicht einmal Unterhosen mit Eingriff!! Kurt Kamezzi: Wie schön, es werden weiterhin – wie die Bachmann sagt – alle Gedanken fast aller Frauen um die Männer kreisen. Uschi Lee: In scharfem Ton zu Kurt Kamezzi Gehen wir! Kurt Kamezzi: Eingeschüchtert Wie du meinst, Hase. Uschi Lee: Das macht mich alles ganz fertig, Nüdelchen. Ich muss diese Geschlechterkategorien abschaffen. Kurt Kamezzi: Muss das sein? Uschi Lee: Es muss. > ELSA FITZGERALD <


LINKE POLITIK UND MORAL

GÄÄHN… ODER WIE? WENN ES DENN SCHON SO IST, DASS WIR THEMEN

WIE KIRCHE UND MORAL ODER SPRACHE UND MORAL GENAUER BETRACHTEN, DARF DIE SUCHE NACH DER MORAL IN LINKEN POSITIONEN NICHT FEHLEN. DIE FRAGE IST BLOSS, WIE ICH ZU DIESEM

THEMA EINIGERMASSEN SPANNENDE ANTWORTEN FINDEN KANN.

Das Thema Moral hat mich auf einen Genossen gebracht, der in Sachen linker Politik, Konsequenz und Durchhaltewille (und wohl auch Moral?) etwas zu sagen hat. Politisiert durch die Antiapartheidsbewegung in Südafrika und Namibia in den 1970er Jahren, seither politisch aktiv, mal mehr, mal weniger organisiert, in den 1970er Jahren Teil einer Gruppierung namens ORL (Organisation revolutionärer Linker) erfüllt eben dieser Genosse genau das Anforderungsprofil für ein Gespräch über linke Politik und Moral. Ein langes und spannendes Gespräch – hier der Versuch, etwas davon weiterzugeben. megafon: Die Tatsache, dass ich gerade dich für ein Interview angefragt habe, zeigt irgendwie, dass man in dir gewissermassen eine moralische Instanz sieht. Weshalb?

Max (Name wurde von der Redaktion geändert): Das weiss ich auch nicht, da kann ich nichts dazu sagen. Ich kann höchstens sagen, dass ich Leute, bei denen ich finde, dass sie eine Kontinuität in ihrem moralischen Handeln, in ihrem Bewusstsein haben, in der Art und Weise, wie sie mit Menschen umgehen oder auf sie zugehen, wie sie Menschen zuhören, dass sie nämlich mit Herz handeln, als moralische Instanzen sehe. Ich von mir, kann das so nicht beurteilen, denke aber, dass ich ein zuwenig leuchtendes Beispiel bin. Ich habe aber Freunde, in denen ich das sehe, die mir Halt geben, ein Gefühl von Sicherheit, an denen ich mich orientieren kann, dass ich auch immer noch «Pfupf» habe zum Weitermachen. Ich weiss nicht, ob ich diese

Menschen als moralische Instanzen bezeichnen möchte, das hat doch auch immer so etwas Ehrfürchtiges, vor diesen Menschen hat man doch auch ein bisschen Angst… Und das ist doch eigentlich nicht so unser Ding, oder? Also ich glaube, ich möchte eher nicht, dass man mich als das sieht. Du sprichst von moralischem Handeln. Was bedeutet für dich Moral?

Für mich ist es Moral, wenn ich sagen kann, ich muss für etwas einstehen, ich muss mich gegen etwas wehren und ich spüre, dass es unmoralisch wäre, einfach nichts zu tun. In Bezug auf die Politik und auf meine Politisierung in der Antiapartheids-Bewegung hatte ich ein enormes Empfinden von Ungerechtigkeit, das mich zum Handeln gezwungen hat. Ich glaube, dass man sich Moral im Handeln für oder gegen etwas erarbeiten muss, die entsteht dann erst. Für mich steht eine Moralbewertung immer im Zusammenhang mit konkretem Handeln, und Handeln nicht einfach so für sich, sondern zusammen mit andern. Ich möchte den Begriff auch negativ abgrenzen, zum Beispiel von linken Fingerzeigparolen im Sinne von «du musst, du sollst, das ist richtig, das ist falsch…» Das ist für mich eher moralisierend. Das sind eher individuelle Positionen, die nicht im Austausch mit andern ausgehandelt und diskutiert wurden, mit allen Widersprüchen, die dazu gehören und die daherkommen, als könne man Moral für sich pachten. Häufig beruft man sich auch auf Moral in Situationen, die unmoralisch sind. Die jetzige Situation weltweit, die verschiedenen Wirtschafts- und Unterdrückungssysteme sind unmoralisch. Und wenn du auf eine Moral kommen möchtest, die allgemein, für dich, deine Leute oder die-

jenigen, für welche du kämpfst, moralisch sein soll, musst du gegen diese Unmoral ankämpfen. Rein mit einem moralischen Zustand, positiv definiert, damit kann ich nicht viel anfangen. Das sind dann Regeln die aufgestellt werden, sei es in den Gesetzen, in der Bibel, in der so genannten bürgerlichen Moral, das sind Vorschriften, die besagen, dass man sich danach zu richten hat. Ich habe die Bibel erwähnt, auch die Kirche kommt mit ihren absoluten Moralvorstellungen oft so daher, als hätte sie die Moral gepachtet, obwohl es natürlich auch dort engagierte Leute gibt. Auch die Linken berufen sich manchmal etwas unbeholfen auf Parolen… Vielleicht stört das auch viele Leute, die vorgefasste Flugblattideologie, die etwas stier daherkommt. Da fehlt eben auch mir oft die fundierte Auseinandersetzung mit den Themen. Parolen, Flugblattideologien, wie du so schön sagst, damit verbunden vielleicht auch eine weniger ernsthafte Auseinandersetzung mit linken Positionen. Denkst du, dass die Linke an Moral verloren hat?

Vielleicht kann ich es so sagen, dass es eine Zeit gegeben hat in den 1970er Jahren, wo in linken Zusammenhängen eine Aktivität und ein Gefühl von Widerstand entwickelt wurde, mit der Idee, es gehe ernsthaft um radikale Veränderungen, wir haben tatsächlich daran geglaubt! Wir waren wirklich überzeugt, dass es so, wie wir das machen, zu Veränderungen führt, und das hat es auch zum Teil. Als wir dann merkten, der Gegner schlägt zurück, ziemlich heftig zum Teil, und nicht nur repressiv, sondern auch spaltend, vereinnahmend, da sind wir auf die Welt gekommen. Es hat ein paar gegeben, die >

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haben nicht locker gelassen und sind in die Maschinerie gekommen, in den Knast, andere haben resigniert und dann hat es natürlich auch jene gegeben, die einen Wandel durchgemacht haben in der Einschätzung, was linke Positionen sind. Sie haben sich für den Marsch durch die Institutionen, dass heisst in die Institutionen reingehen und versuchen, von Innen heraus etwas zu verändern, entschieden. Dies ist dann aber bei vielen auch gescheitert, weil sie angefangen haben, die Vorzüge des Systems zu schätzen. Viele haben dann in die Sozialdemokratie und in den Parlamentarismus gewechselt. Vielleicht hat die Linke nicht einfach an Moral, sondern auch an Radikalität verloren. Was war damals eure Moral? Was wolltet ihr?

Was wir wollten war schon eine radikale gesellschaftliche Veränderung im Sinne einer Revolution, wir wollten aufs Ganze gehen. Wir haben damals mit vielen Genossen und Genossinnen aus dem Ausland zusammengearbeitet, wir hatten keine rein schweizerische Lösung parat, vielleicht haben wir sogar etwas zu global gedacht, und dabei die lokalen Realitäten etwas aus den Augen verloren. Aber wir wollten Sozialismus, gegen Kapitalismus, gegen Profit, gerechte Entlöhnung für alle, gegen Arbeitszwang… Aber da brauchts längeren Schnauf. Aber es war nicht alles für nichts, es gab in dieser Zeit den ganzen antikolonialistischen Kampf, Befreiungskämfe, den feministischen Kampf, antiautoritäre Bewegung… Da war ein radikales Denken vorhanden, aber es wurde dann schwierig, genügend Durchhaltewille zu behalten, wir wussten zwar, dass wir eine Etappe weitergekommen waren, aber die Frage war dann auch, was und

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Sarah Lucas Know it ain’t easy

wie nun weiter? Nichts desto trotz gibts ja auch heute noch Gruppen, die aus einem moralischen Imperativ heraus, ich nenne das nun so, aus einem linken moralischen Anspruch heraus, aktiv sind. Das kann man wirklich so sagen; ich halte es für moralisch, gegen Rassismus zu sein, für Gleichberechtigung, gegen Ausbeutung, da stehe ich dazu. Wo stehst du heute? Wie sieht dein politisches Handeln heute aus?

Ich kann es so sagen, ich kann nicht einfach mein Hemd wechseln, ich will aber auch nicht auf jene zeigen, die die Seite gewechselt haben, aber ich kann das sicher nicht. Eigentlich bin ich immer noch zu haben für allerlei , aber ich schwärme halt immer noch von den alten Zeiten. Ich denke, es ist schwierig, jemandem, der nicht dabei war, dieses Gefühl zu vermitteln. Es war so eine

aktive Zeit mit einem Projekt, dem alles untergeordnet wurde. Was mir fehlt, ist ein grösserer Zusammenhang für politische Arbeit, ich habe eher Mühe mit all den Teilbereichsgrüppchen. Ich habe auch schon an verschiedenen Versuchen mitgearbeitet, grössere Netzwerke aufzubauen, und diese Diskussionen fand ich immer sehr spannend. Auch wenns längerfristig dann immer wieder auseinandergefallen ist, müsste man es wohl immer wieder probieren. Ich bin nach wie vor der Meinung, dass Organisierung in grossen Zusammenhängen, Bündnissen, dem Gegner, ich nenne es nun so, dem System, am meisten zu schaffen macht. Das heisst also, ich bin nicht organisiert in einer Gruppe, aber ich bin immer wieder an Aktionen dabei, und, wie gesagt, mit mir kann man immer noch rechnen! > USH <


MORALISCH HANDELN – ZUM BEISPIEL IN DER KIRCHE

SANS-PAPIERS GEHÖREN ZUM PROFIL DER KIRCHEN MIT GELD UND MIT WORTEN UNTERSTÜTZEN DIE

BERNER KIRCHEN UND DIE JÜDISCHEN GEMEINDEN ZUSAMMEN MIT GEWERKSCHAFTEN, HILFSWERKEN

UND PRIVATPERSONEN DIE BERNER BERATUNGS-

STELLE FÜR SANS-PAPIERS, DIE MITTE LETZTEN JAHRES AN DER SCHWARZTORSTRASSE 124 IHRE ARBEIT AUFNAHM.

Warum setzen sich die Kirchen für Sans-Papiers, für Menschen ohne formelle Aufenthaltsberechtigung in der Schweiz ein? Die Frage ist verständlich. Von bis ziemlich weit ins Fettgewebe hinein verbürgerlichten Kirchen erwartet man das nicht gerade. Jahrhunderte lange Gewöhnung lässt uns anderes erwarten: Halt in persönlichen Krisen, Almosen in Notlagen, ein wenig Kultur auch in den Dörfern und ziemlich viel Ermahnung zum Gehorsam in politischen Dingen. Dass die Kirchen mit der Arbeiterbewegung nichts zu tun haben wollten, hat man nicht vergessen. Entsprechend sind die Erwartungen. Warum also setzen sich die Kirchen für Sans-Papiers ein? Um sich zu profilieren, argwöhnte man ein Zeit lang, zum Beispiel im seinerzeitigen Bundesamt für Flüchtlinge. Die Antwort ist gar nicht so schlecht. Denn der arme, weitgewanderte Mann, die illegalisierte, schwer arbeitende Frau – sie gehören tatsächlich zum Profil der Kirchen, in deren Gewebe es trotz allem immer noch Stellen hat, die nicht ganz verbürgerlicht sind, Menschen, für die die biblischen Traditionen massgebender sind als die ökonomistisch gewordene bürgerliche Ideologie. In biblischer Perspektive misst sich die Stabilität und Zukunftsfähigkeit des Gemeinwesens tatsächlich daran, dass diejenigen, die «tief unten sind» (so drückt sich die Bibel im dritten Buch Mose aus), geschützt werden und nicht tief unten bleiben müssen. Darum entwarf das alte Israel gesellschaftliche und ökonomische Mechanismen, die dafür sorgen sollten, dass wieder an die gesellschaftliche Oberfläche und ans ökonomische Tageslicht gelangen konnte, wer einmal tief gesunken war.

Dazu stellte man zwei Verbote auf: das Verbot Sklaven zu halten und das Verbot der Akkumulation. Nicht dass diese Verbote mehrheitlich eingehalten worden wären. Aber gerade weil sie nicht eingehalten wurden, haben die prophetischen Kreise darauf bestanden: Keine Sklaven, keine Akkumulation, also eine andere Gesellschaftsordnung als die der Grossmächte, ein anderer Gott! Beide Verbote zielen auf dasselbe, auf die Verhinderung der Konzentration von Besitz (damals vor allem Boden) und der Zentralisation von Macht. Und die beiden Verbote bestimmen die ganze Rechtsordnung, die den Propheten vorschwebte. Der Grundregelkatalog des alten Israel ist darum kein Moralkodex, er sagt nicht, wie die Leute im Detail leben sollen, er sagt aus, dass die Menschen auf alle Fälle nicht als Sklaven und Sklavinnen und nicht in einer Kommandowirtschaft leben wollen und sollen. Darum vor allem Verbote (siehe Tom Veerkamp, Der Gott der Liberalen. Eine Kritik des Liberalismus, Argument Verlag 2005). Der sehr geraffte Blick in die Bibel ist nötig, um verständlich zu machen, weshalb die Kirchen eigentlich nicht anders können, als sich für die SansPapiers, das heisst für deren Grundrechte stark zu machen. Anders würden sie ihre eigene Grundlage verleugnen und aufhören Kirchen zu sein. Denn noch immer geht es um die gleichen Grundverhältnisse, auch wenn die gesellschaftlichen Systeme sehr verschieden sind: Sans-Papiers sind Menschen, die tief unten sind. Sie gelten zwar rechtlich nicht als Sklaven und haben manchmal auch ordentlich bezahlte Arbeit. Viele von ihnen, gerade auch Frauen, die Hausarbeit verrichten, erfahren dennoch, wie Sklaverei schmeckt: einem Patron, einer Patronne ganz zur Verfügung stehen. Und sie

wissen, wie Kommandowirtschaft funktioniert: gehorchen oder rausfliegen. Die ständige Angst, rauszufliegen, ist das, was die Sans-Papiers verbindet, so unterschiedlich ihre Situation sonst auch sein mag. Diese Angst zeigt an, was los ist: die Sicherheit der einen beruht auf der Angst der anderen. Die Tendenz dabei: immer weniger Leute kennen Sicherheit, immer mehr die Angst. In den Kirchen hat man erkannt, dass diese Tendenz sie zur Stellungnahme zwingt. Nichts sagen und nichts tun, heisst, diese Tendenz unterstützen, die beiden Verbote missachten und Gott verleugnen. Darum versuchen die Berner Kirchen zusammen mit den jüdischen Gemeinden etwas zu sagen und zu tun. > JACOB SCHÄDELIN <

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POMME/APFEL: WEGE ZUM GLÜCK

RAUS AUS DER ZWEIERKISTE SEXUALITÄT UND ZWISCHENMENSCHLICHE BEZIE-

HUNGEN SIND EIN STARK MORALISCH NORMIERTER LEBENSBEREICH. POMME UND APFEL LEBEN IN BEWUSST ABWEICHENDEN VERHÄLTNISSEN, SIE

WURDEN BEFRAGT ÜBER IHRE ERFAHRUNGEN UND VORSTELLUNGEN.

megafon: Pomme und Apfel, wie seht ihr die herrschende Sexualund Beziehungsmoral?

Pomme: Ganz allgemein mal finde ich sie Scheisse, die gängige Moral heute ist spiessig, noch reservierter als auch schon. Traditionelle Werte sind wieder wichtiger, es gibt wieder mehr Hochzeiten oder Medienberichte, welche die junge Mütterlichkeit bejubeln. Das junge Paar und traditionelle Formen sind irgendwie wieder in. Es ist eine total verlogene Moral, die herrschende. Einerseits wird ein Streben nach Individualität betont, andererseits wirst du abgekanzelt wenn du ausserhalb der Normen lebst. Apfel: Ich empfinde diese Moral als etwas Unausgesprochenes. Sie besteht aber in der Gesellschaft. Diese Moral geht von Paarbeziehungen aus, was für «normal» gehalten wird. Mensch hat treu zu sein. Zur Beziehungsmoral gehört für mich auch die Doppelmoral. Es wird nicht genau das gelebt, was man eigentlich von sich und anderen erwartet; geht auch mal aus einer Beziehung raus, meist ohne darüber zu sprechen. Nach aussen wird aber was anderes vorgelebt.

Kannst du erklären, was du mit «Wünsche abwehren» meinst und was für Wünsche?

Ich bin bisexuell und das muss ich den Leuten immer erklären, das scheint nicht verständlich zu sein. Dass das Geschlecht so wichtig ist, finde ich erA: Ich unterstelle den Leuten, dass sie staunlich. ihre eigenen Wünsche abwehren, was die natürlich nicht zugeben würden. A: Bei mir gab es einen Bruch mit meiAber dass käuflicher Sex dermassen nen Vorstellungen. Ich hatte mir sehnfloriert, deutet schon darauf hin, dass lich so eine Traumbeziehung geda ein Problem besteht, über das die wünscht, der ich mein Leben lang treu Mehrheit nicht bereit ist zu sprechen. sein wollte, wie ich das von meinen ElDas gehört zum Moralbetrieb und dazu tern kannte. Meine grosse Liebe wollte aber auch offen sein für andere Mengehört auch der Rückzug ins Private. schen und holte mich damit auf den Boden zurück. Wir waren damals sehr Was ist eure eigene Idee von einer Moral in zwischenmenschlichen eng zusammen und ich war auf Vorrat eifersüchtig. Aber ich lernte einen anBeziehungen? deren Zugang kennen, indem ich mich A: Meine eigene Vorstellung ist eine prompt in jemand anderen verliebte. Moral im Sinne von Respekt und Achtung gegenüber den Anderen und de- P: Und wieder wirft die Liebe alle Prinren Bedürfnissen. Zu einer Beziehung zipien und Moralen über den Haufen. gehört für mich ein Dialog, in dem geäussert werden kann, wenn man sich A: Aber wie damit umgehen? Normalnicht wohl fühlt. Das Wort Moral ist schema wäre, die eine Beziehung zu beenden und mit der nächsten zu beaber ungebräuchlich für mich. ginnen. Bei mir war das nicht so, ich bin P: Moral ist ein Begriff für institutiona- heute noch mit beiden zusammen und lisierte Wertvorstellungen. Sie bindet seit zwei Jahren hat noch ein dritter die Menschen zusammen und dazu Mensch in meinem Herzen Platz. Damuss ein Konsens über den Umgang neben gibt’s für mich auch noch die zwischen Menschen bestehen. Mich rein sexuellen Kontakte. So ist das und engt das irgendwie ein, aber ich habe ich fühl mich wohl dabei. gleichzeitig auch eine Moral mit meinen Wertvorstellungen. Ich möchte Könnt ihr gut damit leben? Gibt meine Gegenüber fair behandeln, es Konflikte zwischen theoretischen Ansprüchen und moralischen wahrheitsgemäss.

P: Gleichzeitig wird ein solches Verhal- Es ist ja nicht ganz einfach aus ten anderen zum Vorwurf gemacht. den gängigen Schemen auszubre-

Vorstellungen?

A: Ja, ich lebe gut damit, aber es ist nicht so, dass da bei mir keine Reste A: Ganz schlimm moralistisch sind die von moralistischen Vorstellungen gäbe. Leute, die Wünsche abwehren müssen P: Bei mir war da eine Übersättigung, Ich bin nicht frei von schlechtem Gewisund bei anderen dann quasi den Teufel ich war Jahre in einer relativ engen Be- sen. entdecken. ziehung, in der mir wohl gewesen ist. Wir haben uns aber nicht zusammen P: Ich denke, es gibt Phasen, wo man weiterentwickelt und dann ging das viele Beziehungen lebt und dann triffst auseinander. Seither nehme ich mir du wieder auf jemanden, die/der dich mehr Freiheiten raus, bin in einer an- wie ganz konsumiert, wo du nichts daderen Lebenslage, die vielleicht eine neben suchst. Ich versuch mich von SCHWERPUNKT andere Moral nach sich zieht und meinem Bauch leiten zu lassen und mir megafon Nr. 293, März 2006 18 manchmal nicht verstanden zu werden. keine Gedanken drüber zu machen. chen, wie ist euch das gelungen?


Niki De Saint Phalle Shooting painting 1962

Wenn ich auf jemanden anspreche, möchte ich mich hingeben. Ich finde man klemmt sich viel ab mit der gängigen Moral, das ist nicht gesund. Das Problem, das ich habe, ist den Betroffenen meine (Moral-)Position klar zu machen, mich erklären zu müssen. Ich werde manchmal als amoralisch oder «Schlampe» bezeichnet. Das erkläre ich mir mit dem Singularitätsanspruch und der Eifersucht dieser Leute. Was bekommt ihr für positive und negative Reaktionen?

P: Ich bekam Sanktionen von Freunden von meinen Gegenüber zu spüren. Ich würde sie oder ihn schlecht behandeln, aber es wird oft nicht wirklich mit mir gesprochen, es ist eine Parteinahme und Distanzierung. Das ist schade, aber ich dränge dann auch nicht drauf. Ich habe auch erlebt, dass dieselben Leute sobald sie sich in ähnlichen Situationen befinden, mir mehr Verständnis entgegenbringen.

ein richtiger Stress. In letzter Zeit P: Es braucht Abmachungen, einen faischätze ich es immer mehr auch allei- ren Umgang, Ehrlichkeit, Austausch ne zu sein. über Empfindungen, Wünsche. Das kann schwierig sein, ist aber wichtig. Ist denn nicht die Absicht, alles Auch ein One-Night-Stand muss als solcher definiert werden. dauerhaft mit jemandem teilen zu wollen, das was eine Beziehung am Leben hält?

P: Ich mag mich nicht verpflichten in Beziehungen im Sinne von Kontinuität. Die gibt’s zwar, aber nur solange ich das will, ich könnte mich morgen anders entscheiden. Ich nehme mir raus, eine gewisse Distanz zu wahren. So ist’s auch schwierig etwas aufzubauen. Mir ist bewusst, dass ich viel von meinen jeweiligen PartnerInnen verlange, wenn ich erwarte im Moment zu leben.

Wenn ihr eine visionäre Beziehungs- und Sexualmoral entwerfen könntet, wie würdet ihr diese Begriffe besetzen?

P: Purer Hedonismus… he, he.

A: Vielleicht ist es weniger ein Besetzen als ein Öffnen. Beziehungen sind nie einfach. Es soll auch nicht drum gehen aus einem Angebot das Tolle rauszuziehen wie im Supermarkt, sondern es geht auch um Auseinandersetzung, um A: Das ist doch auch das Irr-Sinnige an die Bedürfnisse des anderen. Es ist der Ehe, dieses Treuegelübde, selbst wichtig Veränderungen zuzulassen. wenn es nicht mal sexuell gemeint ist. Ewig bis ans Lebensende an der Seite P: Eine Moral, die zugleich die Sterne eines Menschen zu gehen, das geht vom Himmel in den Schoss holt, für genicht, das ist eine masslose Überforde- wagte Sprünge und zugleich Sicherheit rung. Klar geh ich mit der Vorstellung sorgen soll, gibt es eh nicht… Irgendwie von etwas Längerfristigem in eine Be- hat Moral auch etwas an sich unmögliziehung rein. Das heisst längst nicht, ches, soll über Ungereimtheiten wegdass ich diese Erwartung habe vom helfen und ist immer ein Kompromiss. Gegenüber, das wäre eine totale Über- Man ist gezwungen an ihr zu verzweiforderung. Es ist eine Illusion alles für feln. Dies ist zwar einsichtig, bringt immer in einer Person finden zu wol- aber wenig weiter. Der Fehler in den len. >

A: Ich erlebe es sehr unterschiedlich. Das Negativste ist Schweigen oder ein gewisses Befremden. Ich interpretiere das als Verunsicherung. Es gibt aber auch Leute, die auf mich zukommen und sagen, sie fänden das sehr spannend und auch von sich erzählen. Oder Leute, die wieder davon weggekommen sind und wieder einen Partner oder ei- Braucht es Moral um Beziehungen ne Partnerin suchen. Die Bedürfnisse leben zu können? ändern sich. Früher habe ich mich pro Jahr ein bis zwei mal verliebt, das war

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meisten Beziehungen ist, den anderen Menschen für sich besitzen zu wollen. Ich finde, man sollte jede Begegnung als Geschenk nehmen und nicht als etwas betrachten, dass ewig dauert, auch wenn wir uns das vielleicht oft wünschen. A: Moral kann eine Schutzfunktion haben, Schutz vor Verletzungen, Schutz vor Enttäuschungen, Schutz vor der Angst nicht mehr im Korsett zu leben, in dem man lebt. Dieses Korsett muss gleichzeitig andern aufgedrängt werden, denn es entstehen Unsicherheiten, wenn andere anders leben. Es kann also nicht darum gehen eine neuen Moralbegriff zu suchen, sondern verschiedene Moralen nebeneinander gelten zu lassen? Stichwort Toleranz?

P: Ich denke das ist nicht möglich. Die geltende Moral ist eine Konsens-Moral, die Menschen bindet, ihnen eine Art Dach aufsetzt. Sie verändert sich nicht und toleriert nichts daneben. Darum ist Moral für mich negativ konnotiert, ich möchte mich nicht unter das Dach zwängen lassen. Nun neigen Menschen dazu die Lebensweisen anderer Menschen zu verwerfen, natürlich wünschte ich mir eine Öffnung, da mensch sich selbst als Mass nimmt.

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A: Werteverlust fände ich nicht gut, sonst besteht die Gefahr die Grenzen des Gegenübers nicht mehr zu sehen. Für mich ist es eine Grenzüberschreitung, über andere zu urteilen, wie sie zu leben haben. Sorgfalt und Respekt gegenüber den anderen anstelle eines grenzenlosen Ge- und Missbrauchs, könnte eine Aufgabe von Moral sein, deshalb ist sie auch wichtig.

P: Sie hat eine Schutzfunktion, ich versuche Menschen so zu behandeln, wie ich auch gerne behandelt würde. Vielleicht nehme ich mich dabei zu stark als Massstab, andererseits kann ich nur von mir ausgehen, ich weiss nicht wie’s in anderen aussieht. A: Du musst mir dir selbst im Reinen sein, um überhaupt eine Beziehung aufbauen zu können. Sonst hast du die Erwartung, dass dir jemand das Glück bringt oder du versuchst jemandem das Glück aufzuzwingen. Dazu gehört auch eine Sexualmoral. Sexualität zu praktizieren heisst auch jemanden schön zu finden, sich darüber zu freuen und dazu Sorge zu tragen, auch wenn du verschiedene Beziehungen hast.

P: Safer-Sex ist noch ein weiterer Aspekt der Sexualmoral, das heisst A: Ich habe das Gefühl Moral, das seien niemanden zu gefährden. die anderen, weil ich den gängigen Vorstellungen nicht entspreche. Es gibt Zum Schluss? aber zuviele, die von dieser Moral abweichen, als dass man sie noch als gel- P: Ich habe mehr von mir entdeckt, es tend bezeichnen könnte. Die Gesell- ist ein Privileg für sich rausnehmen zu schaft befindet sich in einem Werte- können, was man braucht, will im Umwandel… gang mit anderen Menschen und das mit ihnen teilen zu können. P: … oder Zerfall, als wär das was schlimmes. Es könnte doch was Neues A: Für mich ist es die tollste Bezieentstehen? hungsform, ein Geschenk. Ich bin froh, dass nicht mehr ein Mensch allein alle meine Wünsche erfüllen muss.

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> INTERVIEW: UVM & ZAK <

Sun Yuan und Peng Yu Civilization Pillar, menschliches Fett


GESUNDHEITSVERSORGUNG – FÜR ALLE?

VON LEEREN KASSEN UND KRANKEN MENSCHEN DIE GESUNDHEITSKOSTEN STEIGEN. DEMOGRAFISCH BEDINGT UND AUCH DURCH DIE FORTSCHRITTE IN DER MEDIZIN, DIE HALT KOSTEN. DOCH IST ES VERTRETBAR, ALLGEMEINEN PATIENTINNEN

ÄLTE-

RE, BILLIGERE, ABER MIT MEHR NEBENWIRKUNGEN VERSEHENE, MEDIKAMENTE ZUKOMMEN ZU LASSEN? IST ES ACHTUNG VOR DEM LEBEN WACHKOMAPA-

TIENTINNEN ÜBER JAHRE HINWEG PER MAGENSONDE ZU ERNÄHREN? IST DER SCHLANKE STAAT GESUND ODER FÜHRT ER IN LETZTER KONSEQUENZ AUCH ZUM SCHLANKEN, SCHNELLEN ABLEBEN?

VIELLEICHT IST ES AN DER ZEIT ÖFFENTLICH

MITZUTEILEN: DER VOLKSSPORT DES STEUERNSPARENS IST DER VOLKSGESUNDHEIT NICHT ZWINGEND FÖRDERLICH.

Die Vorstellungen von Gut und Böse unterscheiden sich von Ort zu Ort, von Epoche zu Epoche. Das lässt sich kaum ändern und bedeutet für die meisten Bedrohung und Absurdität. Die Wahrheit ist einzig, die Irrtümer zahlreich, – und was gilt für die moralische Richtigkeit? Geht es in der Gesundheitsversorgung nicht vor allem um Ethik? Ja, es gibt die medizinisch-ethischen Richtlinien der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften, welche das Handeln der Ärzte leitet. Doch gerade wenn es um das Handeln geht ist die Moral ebenfalls anwesend. Hier eine mögliche Vorstellung von Ethik und Moral: «Die Ethik liegt in der Verpflichtung eigene Positionen zu benennen und zu begründen. Wer autonom auf diese Weise Stellung beziehen darf – und auch soll – wird die eigene Moral als handlungsleitend anerkennen.» Ein wenig abgehoben, doch eben: wer nicht autonom Stellung beziehen kann oder nicht will, wird sein Handeln auch nicht als moralisch erfahren.

ALLOKATION? Die Allokation ist die Verteilung der Ressourcen auf die Kranken. «Auf dieser Ebene wird schon gar nicht diskutiert», tönt es von vielen Seiten. Die Kranken und Sterbenden mit einem Marktwert in

Verbindung zu bringen, wird als verwerflich betrachtet. Richtig ist: Diese Verteilung auf Kosten betagter Menschen, die hier sind, unsere Nächsten sind, nur schon auszusprechen, löst Widerstände aus. Richtig ist aber auch: Was nicht existiert, kann auch nicht verteilt werden, ob ausgesprochen oder nicht. Die Verknappung der Güter tangiert die eigentliche Handlungsfreiheit nicht, doch sie verlangt Entscheidungen, die sich vielleicht auch nicht mehr mit der eigenen Moral decken. Und alle, in der Pflege oder Medizin Tätigen, handeln mit den Gütern, die das jeweilige Budget zulässt. Medizinischer Fortschritt, steigendes Lebensalter und fehlender Nachwuchs kosten immer mehr, kosten jedes Jahr mehr. Die von den Gesundheitsdirektionen verordneten Spar- und Wettbewerbsübungen mögen ein anerkennendes Schulterklopfen anderer DepartementsvorsteherInnen bewirken, das Ausmass der steigenden Kosten im Gesundheitswesen bremsen sie mitnichten.

BUDGETMORAL Nicht nur die Haustiere sind keine Goldesel. Nein. Auch die meisten Menschen sind keine Goldesel. Da sind die sattsam bekannten Umverteilungsmechanismen oder die medial seit weit über einem Jahrzehnt auf uns niedergehenden Aufrufe zu «Eigeninitiative» und «wir sind alle Wirtschaft» bis zum kulminativen Exzess des Sparbudgetglaubens verbrieft in der Verfassung. Viele Esel, wenig Gold. Gesellschaften in so einer Verfassung sollte es eigentlich ein Leichtes sein, über die Allokation zu diskutieren. Wäre da nicht eine laue Erinnerung an Werte, den Wert sich selber zu sein, Mensch zu sein.

GERECHT Gerechtigkeit ist das Ziel, wird immer Ziel bleiben. Angesichts vieler Ungerechtigkeiten, die vonnöten sind Gerechtigkeit herzustellen, vielleicht auch besser so. Ich selbst möchte nicht Hand anlegen, doch es lässt sich streiten ob und wie Gerechtigkeit näher rükkt. Wie und unter welchen Kriterien werden denn nun die medizinischen Leistungen verteilt werden? Wer rationiert und wer wird rationiert? In der Bewegung auf den Tod hin bekommt das Wort «wegrationieren» gerade seine finale Bedeutung. Es kommen Widerstände auf.

LÄNGER LEBEN Erfreulicherweise leben die Menschen immer länger. Die Medizin übernimmt jedoch gegen Ende des Lebens immer mehr Hilfeleistungen. Das kostet. Die medizinischen Neuerungen verlängern das Leben, verlängern aber auch das Leben mit Pflege und Hilfsmitteln. Eine Nierentransplantation ist alltäglich, ein künstliches Hüftgelenk Standard. Eine Chemotherapie gegen die veränderten Zellkörper? Immer, ausser die/der PatientIn weigert sich. Das ist so, nur die Kassen nicht mehr voll. Der Wettbewerb hat das, was an Musse (Betreuung) war, bereits weggeerbt. Eben: PrivatpatientInnen zuerst operieren, Leistungen dort erbringen, wo sie abgerechnet werden können, Medikamentensplitting usw. In England muss kein gewöhnlich versicherter Mensch über siebzig sich die Frage stellen ob künstliches Hüftgelenk oder nicht. Es gibt keins. Punkt. In den USA, die das teuerste und aufgrund der hohen Kosten nicht sehr soziale Gesundheitssystem haben, gab es >

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Sun Yuan Honey 1999

Kommissionen, die dann entschieden welche PatientInnen eine neue Niere erhielten, nach Alter, Zuverlässigkeit und dem Wert der betroffenen Person für die Gesellschaft. In der Schweiz wurde 2001 ein Transplantationsgesetz verabschiedet, das 2007 in Kraft treten soll. Dort ist die Verteilung von Organspenden ausführlich geregelt. Die Schweiz hat genügend Geld und Mittel die Gesundheitsversorgung allen zu garantieren. Die Frage ist: Wollen wir es finanzieren? Diese Frage zu stellen, und wenn die Frage mit: «Nein» beantwortet wird, die Allokation zu definieren, scheuen sich die PolitikerInnen. Noch kann ja gekürzt und gespart werden, einzelne Zahlen aufpoliert und Belastungen abgeschoben werden. Diese Belastungen dann zum Beispiel das Budget des Sozialamtes blühen lässt, und da dieses auf der untersten Stufe der Leiter seine Kosten nicht mehr weiter umlenken kann. Also schon kann, indem die Kosten gar nicht erst fürgesprochen werden. Das wiederum das schnelle Sterben nicht aktiv fördert, doch passiv beschleunigt. Quasi passive Sterbehilfe. Dazu passt, dass das Sozialamt von einigen Kreisen schon als «Amt für Sozialschmarotzer» bezeichnet wurde. Auch das bezeichnend für

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unsere Gesellschaft. Die unangenehme, weil ausschliessende Allokation wird still praktiziert. Obschon der Entscheid ein öffentlicher, ein politischer ist. Ist die Moral als Sittlichkeit, sittliches Verhalten wiedergegeben, könnten ÄrztInnen und PflegerInnen ihre Verteilung der Güter zumindest moralisch rechtfertigen. Diskurs statt Volkssport.

WÜRDE «Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen, ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt» So steht es im deutschen Grundgesetz. Doch scheint es Phasen zu geben, in denen dieser Schutz Auslegungsssache ist, wenn nicht gar als verhandelbar gilt, vor allem am Anfang und Ende eines menschlichen Lebens. Ich möchte sagen: Heute – je nach Ort verschieden – tritt dieses Verhandelbare in viele Phasen des Lebens ein, ermöglicht und ausgelöst durch den medizinischen Fortschritt. Der Erfindung der PEG-Sonde verdanken Zehntausende ihr Leben. Diese Sonde wird durch die Bauchdecke in den Magen geführt und versorgt die PatientIn mit Nahrung und Flüssigkeit. Bis zur Erfindung der PEG-Sonde war die künstliche Ernährung eine heikle, unhygienische Angelegenheit, die nur zur Überbrückung von Krisensituationen taugte. Vor der Erfindung der Son-

de wurde die künstliche Ernährung aufgrund von Entzündungen, Verletzungen und starken Schmerzen für die PatientInnen schnell einmal eingestellt bzw. die Behandlung abgebrochen und somit die passive Sterbehilfe angewandt. Heute ist es aber möglich, Menschen in den unterschiedlichsten Zuständen jahrzehntelang am Leben zu erhalten. Beispiele dafür sind das Lokked-In-Syndrom oder der Zustand des Wachkomas. Die Würde gebührt aber nicht allein den zu Pflegenden. Wie gut kann die Betreuung sein, wenn Pflegende von Pflegedokumentation zu Pflegedokumentation hetzen (Planung und Controlling) und keine Pflege des Teams bzw. der Verständigung über die zu leistende Pflege verbleibt. Anzunehmen ist, dass der Umgang mit den PatientInnen nur so gut sein kann wie innerhalb des Teams. > HAKO <


PFLEGEFACHLEUTE ZU WILLEN UND STERBEN

ENTSCHEIDUNGEN TREFFEN IM ANSCHLUSS AN DIE AUSEINANDERSETZUNG MIT DEM THEMA GESUNDHEIT UND STERBEN. VON DER NUR EIN KURZES MORALISIERENDES STAKKATO

ÜBRIGGEBLIEBEN IST, KONNTE ICH NOCH EINIGE

FRAGEN AN ZWEI PFLEGEFACHLEUTE DES UNIVERSITÄTSSPITALS ZÜRICH STELLEN. DANKE AN HANS-JÜRGEN UND IRENE.

Was passiert wenn einE PatientIn sich nicht mehr zu ihrem Schicksal äussern kann? Also nicht mehr fähig ist auf irgendeine Art seinen/ihren Willen zu bekunden? Wer entscheidet endlich, und wie wird eine Antwort gefunden?

IR: Es werden die Angehörigen beigezogen und mit ihnen diskutiert welche Möglichkeiten verbleiben, doch letzlich entscheidet immer die ÄrztIn. Manchmal auch allein. Das Pflegeteam versucht die Entscheidung zu beeinflussen, denn die PatientInnen sind ja letzlich in unserer Obhut. Ihr seid also an der Entscheidungsfindung beteiligt?

IR: Ja. Angenommen die Entscheidung der Ärztin entspricht nicht euren Vorstellungen. Was dann?

IR: Nun ja, dann richten wir uns danach. Ich besitze aber auch einen bestimmten Freiraum um das zu tun, was ich als richtig erachte. Solche Fälle sind aber schon selten, denn eigentlich finden wir schon meist den Konsens mit den Ärzten. HJN: Falls nicht, und sofern das ganze Pflegeteam der Abteilung die Anweisungen nicht nachvollziehen kann, und das ist auch schon vorgekommen, wird der Patient verlegt. Ist es den PatientInnen möglich sich ein eigenes Bild ihrer Krankheit zu machen? Werden sie informiert und aufgeklärt?

IR: Mein Eindruck ist, dass die Patienten oft gar nichts wissen. Irgendwie städtisch. Also die Leute kommen zu uns und haben meist keine Ahnung, was ihre Krankheit bedeutet. Die Diagnose wird ihnen vom Arzt mitgeteilt. Und bei jenen, die es dann interessiert, übersetzen wir die Diagnose, damit sie sich ein Bild davon machen können. Viele wollen aber gar nichts wissen. Sie interessiert nicht einmal, was sie täglich an Medikamenten schlucken.

Gegen wen? Es darf ja keine Behandlung ohne die Einwilligung der PatientIn eingeleitet werden.

IR: Schon, doch seinen Willen durchzusetzen gegen die Entscheidung der Ärzte braucht Durchsetzungsvermögen, denn man wird ja bezichtigt gegen besseres Wissen zu handeln und da entsteht automatisch ein Druck. Und gerade das Universitätsspital ist im Vergleich mit anderen Spitälern schon behandlungsaktiv. Dieses Haus ist ja HJN: Viele holen sich auch das Wissen auch eine Ausbildungsstätte, das muss im Internet. Sie können aber mit diesen sich der Patient schon auch bewusst Informationen meist nicht umgehen. sein. Das führt dann auch zu abstrusen Vorstellungen und Forderungen seitens Wie gestaltet sich die Situation der PatientInnen. Die Informationen für Menschen, die ihre letzten seitens des Spitals sind unterschied- Tage oder Wochen zuhause verbrinlich. Zum einen sind sie sehr ausführ- gen möchten? lich und wirklich gut, wie beispielsweise die Lungentransplantation. Zu HJN: Das ist den Leuten schon möganderen Krankheitsbildern gibt es hin- lich, doch gibt es hier in der Schweiz ja gegen oft gar keine Informationen in nicht mal ein Hospiz, also das Lighthouse könnte man ansatzweise so nenschriftlicher Form. nen. Doch ist natürlich die Betreuung Erlebt ihr oft, dass PatientInnen dann Privatsache, alle Aufwendungen, eine Behandlung ablehnen. Weil es die im Spital von der Krankenkasse beihnen selbst keinen Sinn ergibt zahlt werden, müssen selber bezahlt oder eine nochmalige Behandlung werden. Ausgenommen davon sind die nicht mehr wollen? Leistungen der Spitex. Viele Menschen möchten aber auch auf der Station (im IR: Also das ist äusserst selten. Der Spital) sterben, denn die Betreuenden Arzt ist immer noch «Gott in Weiss», die sind dann oft auch schon zu einer letzte Instanz. Der Glaube an die Medi- «Familie» geworden. zin ist sehr gross. Es mangelt eben auch an Informationen über die diver- Besitzen viele eine Patientenversen Krankheitsbilder. Die Patienten fügung, also ein Schriftstück, sind meist überfahren, aus Glauben wie das festlegt, welche Behandlungen Unwissenheit. Es kommt auch selten durchgeführt werden oder was zu vor, dass sie auf eine Behandlungs- unterlassen ist, für den Fall, möglichkeit verzichten. Wenn sie ver- nicht mehr bei Bewusstsein zu zichten wollen, dann müssen sie dafür sein oder sich schlicht nicht kämpfen. mehr äussern zu können? >

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IR: Selten bis gar nie. Ich selbst habe auch noch nie eine gesehen. Ich wollte auch schon einer Patientin ein solches Formular besorgen, doch hier am Unispital habe ich keines gefunden und so blieb sie ohne Verfügung. HJN: Da muss ich widersprechen, es kommt viel häufiger vor als früher, aber um bei den Tatsachen zu bleiben: In den letzten zwei Jahren waren es drei auf unserer Station. Andererseits muss auch gesagt werden: wer sterben will, der stirbt auch. Was bei Wachkomapatienten natürlich nicht der Fall ist, doch ohne Bewusstsein auch keine Willensäusserung. Weder für, noch gegen das Leben. Generell muss halt jede Fallsituation wieder neu gegangen werden, seitens der Pflegenden wie der Angehörigen. Wie möchtet Ihr diese Welt verlassen? Wie stellt Ihr euch diesen Schritt vor - oder habt ihr gar vorgesorgt mit einer Patientenverfügung?

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IR: Also ich habe ja noch nicht vor zu sterben und habe auch keine Verfügung gemacht. Doch ich würde mich freuen bei Bewusstsein den eigenen Sterbeprozess begleiten zu können. Also nicht unvermittelt zu sterben, durch Unfall oder ähnliches. HJN: Ich habe auch keine Verfügung, doch hoffe ich, dass meine Frau alles in die Wege leiten wird, meinen Willen durchzusetzen. Ich habe mit ihr auch schon ausführlich darüber gesprochen. Mein Sterben müsste aber nicht mehr unbedingt zuhause sein. Ich kann mir auch gut vorstellen im Tagraum des Spitals zu sterben. Wichtig ist mir die Ambiance, also dass ich meine Musik hören kann, einige mir wichtige Dinge in meiner Nähe sind und Kerzen brennen. > INTERVIEW: HAKO <


VON DER PRIVATISIERUNG DES GESCHLECHTS

QUEERE KRITIK ALS BESTANDTEIL DES NEOLIBERALEN GESCHLECHTERREGIMES? DIE VORSTELLUNG, KEINE EINDEUTIG MÄNNLICHEN ODER WEIBLICHEN GESCHLECHTERNORMEN ERFÜLLEN ZU MÜSSEN, IST VERFÜHRERISCH. DOCH FÜHRT

DIESE ZUR ÜBERWINDUNG DER HIERARCHIE ZWI-

schlechtlichkeit als Effekt «disziplinierender Vereindeutigungs- und VereiSCHEN DEN GESCHLECHTERN? ODER IST SIE DIE genschaftlichungs-Prozesse» aufzuLOGISCHE KONSEQUENZ EINER NEOLIBERALEN, fassen (Maihofer 2002, 107) oder ganz INDIVIDUALISTISCHEN GESELLSCHAFTSORDNUNG, allgemein – um Judith Butler zu zitieDIE STRUKTURELLE UNGLEICHHEITEN ZUR PRIVAT- ren – von einer «disziplinären Hervorbringung des Subjekts» auszugehen SACHE ERKLÄRT? IST DIE QUEER-BEWEGUNG DAS (Butler 2001b, 82). Wenn jedoch FouVERSPRECHEN EINER NICHT-KAPITALISTISCHEN caults Vermutung stimmt, dass sich ZUKUNFT ODER WASSER AUF DIE MÜHLEN DES unsere Gegenwart bereits nicht mehr DEREGULIERTEN KAPITALISMUS? als Disziplinargesellschaft verstehen lässt, so stellt sich die Frage, was dies für eine Geschlechterkonzeption beDies ist der erste Teil der gekürzten Version deutet. eines Vortrages, den Tove Soiland im Rahmen des queer-feministischen Wochenendes DIE LIST DER MACHT vom 3./4. Dezember 2005 im «Denk:mal» gehalten hat und welchen sie in anderer Grundlage dieser Zeitdiagnose ist Form am 13. April 2005 an der Paulus-Akade- die Unterscheidung zwischen drei vermie unter dem Titel «Geschlechterregime schiedenen Machtformen, die Foucault des Postfordismus» vorstellte. Der zweite in seinem Spätwerk vornimmt (FouTeil folgt in der April-Nummer. Unter megacault 1987/2004). Hatte Foucault in seifon.ch ist der ganze Artikel abgedruckt. nem Bemühen, die «Positivität» der Macht zu denken, das heisst zu verste«Foucault gilt nicht selten als Denker hen, wie Macht nicht lediglich represder Disziplinargesellschaften und ihrer siv, sondern produktiv wirkt, zunächst prinzipiellen Technik, der Einschlies- der Rechtsnorm die disziplinäre Norm sung… Aber in Wirklichkeit gehört er zu entgegengestellt, indem er seit dem den ersten, die sagen, dass wir dabei 19. Jahrhundert eine zunehmende sind, die Disziplinargesellschaften zu Kolonisierung des Rechts durch Meverlassen, dass das schon nicht mehr chanismen der Disziplinierung diagnounsere Gegenwart ist.» (Deleuze 1993, stizierte, so postuliert er für spätkapita250) listische Gesellschaften die VorherrWenn ich diese Äusserung Gilles schaft eines anderen Machttypus, der Deleuzes über seinen Freund Michel eine gewisse Abstinenz im Bezug auf Foucault an den Beginn meiner Aus- die unmittelbare oder direkte Formung führungen stelle, so gebe ich damit die der Individuen erkennen lässt. Diese Richtung an, in der ich im Folgenden Fokusverlagerung, die die Einbindung versuchen werde, Geschlechtlichkeit zu der Individuen in Macht primär anhand denken. Michel Foucault gilt zwar als von Praktiken studiert, die Menschen wichtigste Referenz jener diskursana- an sich selbst vollziehen, Selbststeuelytisch orientierten Gender-Ansätze, rungsmechanismen also, die nicht pridie gegenwärtig auch bei uns Hochkon- mär als Internalisierung äusserer Anjunktur feiern. Doch seine eigene zu- forderungen zu verstehen sind, sonnehmende Skepsis gegenüber einer dern als induziert durch ein ganzes SyVorstellung von Macht, in der diese pri- stem von Anreizungen und Verspremär als Mechanismus der Disziplinie- chen, stösst heute in den unterschiedrung erscheint, wird kaum zur Kenntnis genommen. Vielmehr haben wir uns daran gewöhnt, die Annahme des Geschlechts als Prozess disziplinärer Festschreibung zu betrachten, Ge-

lichsten Feldern der Sozialforschung auf ein zunehmend breites Echo. In Anschluss an Michel Foucault wurde dieser Ansatz unter dem Namen Gouvernementalitätsstudien zunächst in den USA, seit Ende der 1990er Jahre auch im deutschsprachigen Raum dazu verwendet, jenen Wandel zu verstehen, der manchmal als Übergang vom Fordismus zum Postfordismus, manchmal auch schlicht als Neoliberalismus bezeichnet wird. (…) Foucault wurde nicht müde, jene juridische Machtkonzeption zu geisseln, die als Theorie der Souveränität genau zu dem Zeitpunkt auf den Plan trat, als die Souveränitätsmacht in Tat und Wahrheit dabei war, von der Disziplinarmacht unterwandert zu werden. Er hielt der Bewegung der 1968er Generation entgegen, dass ihre Vorstellung eines unterdrückten und demnach zu befreienden Sexes sie genau in jenem Sexualitätsdispositiv verankerte, das am meisten Macht über sie ausübte (1977). Analog dazu scheint mir diese Machtanalytik die Frage aufzuwerfen, ob nicht der Kampf gegen die Disziplin – beispielsweise ein und nur ein Geschlecht sein zu müssen – genaugleich wie der Kampf gegen die Unterdrückung des Sexes, uns heute erneut in ein, nunmehr wiederum gewandeltes, Machtdispositiv der Gegenwart verstrickt. Nicht nur scheint mir das Konzept von Gender mit seiner nahezu ausschliesslichen Fokussierung auf Fragen normativer Geschlechtlichkeit viel eher denn eine heutige Gesellschaft das Geschlechterarrangement der 1950er Jahre im Visier zu haben; es stellt sich mir darüber hinaus auch die Frage, ob Gender nicht gerade mit seiner dezidierten Einforderung von Gestaltungsmöglichkeiten des eigenen Selbst nunmehr seinerseits Bestand>

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minanz des Queer- oder Butler-Ansatzes innerhalb der gegenwärtigen Gender-Diskussion spreche und mich in meiner Kritik auch vorwiegend auf diese beziehe, so meine ich Dominanz nicht in einem institutionellen, sondern in einem hegemonialen Sinn: Dieser Ansatz beansprucht nicht nur, anderen Konzeptionen von Geschlecht überlegen und innerhalb der verschiedenen Gender-Ansätze der radikalste zu sein; er stösst mit diesem Anspruch auch auf eine beachtliche Resonanz und ist damit zur kaum mehr befragbaren Richtlinie für politische Radikalität geworden. Ich möchte im folgenden diesen Gender-Begriff, das heisst die Vorstellung, dass die Geschlechterkonstruktion primär als Herstellung bipolarer Geschlechtsidentitäten verstanden werden kann, befragen. Das ist eine theoretische Frage, aber natürlich hat sie politische Implikationen. Denn die Geschlechter werden offenbar nicht einfach konstruiert, sondern sie werden solchermassen konstruiert, dass GENDER UND QUEER bezüglich wesentlicher sozialer, kultuMit Gender meine ich ein Theorie- reller und ökonomischer Parameter feld, das primär nach der Herstellung unter dem Strich eine Hierarchie zwider normativen Zweigeschlechtlichkeit schen ihnen entsteht. fragt, um in einem nächsten Schritt und quasi als dessen weitest reichender, GESCHLECHTER SIND wenn auch nicht von allen Ansätzen geKEINE IDENTITÄTEN teilter Horizont deren Dekonstruktion anzustreben. Damit einher geht eine Der Gender-Begriff thematisiert Geimplizite Skala der Radikalität, die schlecht primär als Identität. Die Frage gleichzeitig eine Rangordnung politi- nach der Herstellung der Zweigescher Subversivität zu sein bean- schlechtlichkeit legt dies nahe: Das Gesprucht und in deren Fluchtpunkt schlechterverhältnis wird als eine FraQueer als die fortschrittlichste Position ge der Geschlechtszugehörigkeit thesteht. Wenn ich deshalb von einer Do- matisiert und diese wiederum auf die Formung durch normative Geschlechterleitbilder zurückgeführt. Problematisch an dieser Vorstellung ist, dass GeINNENLAND schlecht damit nahezu ausschliesslich megafon Nr. 293, März 2006 26 als eine Frage normativer Geschlechteil des gegenwärtigen Geschlechterregimes geworden ist. Vergegenwärtigt man sich, dass die meisten europäischen Länder in der ersten Nachkriegszeit einen markanten Wandel im Geschlechterverhältnis zu verzeichnen hatten, obwohl diese Zeit von einer äusserst konservativen Geschlechterideologie begleitet war, während umgekehrt seit den 1980er Jahren wichtige Parameter geschlechtlicher Segregation stagnieren, obwohl wir es gerade in diesem Zeitraum mit einer eindrücklichen Aufweichung tradierter Geschlechterklischees zu tun haben, so stellt sich die Frage, welche Bedeutung wir überhaupt normativen Geschlechterleitbildern zumessen können. Auch aufgrund dieser empirischen Daten scheint mir die nur allzu berechtigte Frage nach der Wandelbarkeit des Geschlechterverhältnisses als eine Frage des normativen Wandels kaum adäquat formuliert. (…)

terrepräsentationen verhandelt wird: Geschlechtlichkeit wird auf Sichtbarkeit, auf das, was von Geschlecht sichtbar ist, reduziert, womit die Verankerung von Geschlechtlichkeit in den Produktionsverhältnissen in Vergessenheit gerät. Ich halte dem entgegen, dass Geschlechter zwar durchaus von Strukturen produziert werden, diese aber nicht primär auf Identitäten gerichtet sind, sondern Funktionen in der Produktion darstellen. Diese Strukturen tragen einen männlichen Bias, dessen Geschlechtlichkeit/Männlichkeit nicht an der Identität von Personen festgemacht werden kann: Das Bruttoinlandprodukt hat keine männlichen Eigenschaften in einem personalen Sinn, trotzdem hat es Vorlieben: Es misst lieber die Tätigkeit von Männern als die von Frauen! In diesem Sinn möchte ich an die alte Erkenntnis der feministischen Theorie anknüpfen, die nicht davon ausging, dass zwei Geschlechter konstruiert werden, sondern die skandalisierte, dass das Subjekt in der abendländischen Tradition stillschweigend als männlich vorausgesetzt wurde. Das Neutrum ist männlich. Ist Queer ein solches Neutrum? Es gibt in der Konstruktion der Geschlechter eine kategoriale Asymmetrie, in deren Folge – weil sie nicht einfach zwei Geschlechter produziert – ich es zweifelhaft finde, ob man überhaupt zwei Geschlechter dekonstruieren kann. Gibt es zwei Geschlechter, oder nicht viel mehr nur eines? (…)

GESCHLECHTERREGIME DES POSTFORDISMUS Ich will zunächst erklären, warum ich darauf beharre, Geschlecht anders denn als normative Geschlechtsidentität und also das, wogegen das Konzept von Gender und Queer sich hauptsächlich richtet, zu thematisieren. Ich tue dies, weil ich als Sozialwissenschaftlerin nicht darum herumkomme, etwas zur Kenntnis zu nehmen, das, wenn ich es so formuliere, vielleicht


erstaunt: Ich glaube, dass das Regime, in welchem wir uns gegenwärtig befinden und das gemeinhin als Neoliberalismus bezeichnet wird, zumindest in der Form, in der wir es hier bei uns, also in westlich-demokratischen Staaten kennen, keine normativen Geschlechterideologien mehr produziert. Zumindest, wenn unter «Geschlechterideologie» die Produktion normativer geschlechtlicher Identitäten verstanden wird, also eben das, was dann als Gender dekonstruiert werden könnte. Ebenso sehr bin ich aber davon überzeugt, dass der gegenwärtige neoliberale Umbau unserer Gesellschaft, der vielleicht einer der grössten gesamtgesellschaftlichen Umwälzung seit Bestehen des Kapitalismus überhaupt darstellt, stark geschlechtersegregierende Wirkung haben wird, dass er die bestehenden sozioökonomischen Unterschiede zwischen den Geschlechter verstärken, ja, ich glaube sogar, massiv verstärken wird. Wir haben damit das Phänomen zu erklären, dass trotz einem eindrücklichen Rückgang staatlich produzierter Geschlechterideologien – und ich würde auch sagen, trotz einem eindrücklichen Rückgang von deren Verankerung in der Gesellschaft – wir davon ausgehen müssen, dass sich die Unterschiede zwischen den Geschlechtern, und damit ganz eigentlich auch deren «Produktion», weiter verschärfen werden. Aus einer geschlechtertheoretischen Perspektive kann ich dieses Problem nicht anders lösen als anzunehmen, dass es Mechanismen der Geschlechtersegregation und damit letztlich auch der Geschlechter-«Konstruktion», geben muss, die nicht mehr primär über Zuschreibungen von Eigenschaften oder Rollenzuweisungen operieren und die damit schwerer zu fassen, aber auch schwerer zu durchschauen sind als offensichtlich repressive Geschlechternormen. Wer sich die Regierungsprogramme gegenwärtiger westlicher Nationen ansieht, muss zum Schluss gelangen,

dass sich hier ein starker politischer Wille zum Abbau veralteter Geschlechterklischees artikuliert: Was uns entgegentritt, ist eine staatlich verordnete Gleichstellungspolitik, dekretiert von oberster Stelle. Genannt sei hier beispielsweise die Verpflichtung zu Gender Mainstreaming im Rahmen der Europäischen Union oder der Post-Beijing-Aktionsplan zur Gleichstellung der Geschlechter im Rahmen der UNO. Öffentliche Einrichtungen wie Schulen, Universitäten, aber auch der staatliche Verwaltungsapparat und zunehmend sogar die Privatwirtschaft geben sich mit Gleichstellungsbeauftragten die grösste Mühe, Geschlechtervorurteile abzubauen; und ich würde sagen, diese Bemühungen sind ehrlich gemeint. Lässt sich, so möchte ich fragen, angesichts all dieser gleichstellungspolitischen Anstrengungen die These tatsächlich aufrechterhalten, dass sich unsere Gesellschaft noch immer an Leitbildern normativer Geschlechtlichkeit orientiert? Und wird damit nicht übersehen, dass die gegenwärtige Entwicklung des Spätkapitalismus gerade nichts mehr anzufangen weiss mit veralteten Vorstellungen von Geschlecht, dass sie neue und andere Anforderungen an die Menschen stellt, in denen diese von ihrem Geschlecht – und allem, was dazu gehört – gerade abstrahieren sollten? Dass sich hier ein grundleGender gesellschaftlicher Wandel vollzogen hat, weg vom Modell des Fordismus mit seinem Ideal des männlichen Familienernährers hin zu dem, was die Soziologen «Postfordismus» nennen (Lemke 2003), ein Wandel, der ganz neue Erfordernisse an die Gesellschaft stellt und in welchem sich normative Geschlechtervorstellungen gerade als hinderlich erweisen. Ich denke, es ist das, was uns heute vor neue Herausforderungen stellt.

Literatur: Adkins, Lisa / Lury, Celia, 1999: The labour of identity: performing identities, performing economies. In: Economy and Society, vol. 28, no. 4. Adkins, Lisa, 2004: Gender and the post-structural social. In: Marshall, Barbara L. / Witz, Anne (Ed.): EnGendering the social. Feminist encounters with sociological theory. Mc Gruw Hill / Open University Press. Brodie, Janine, 2004: Die Re-Formierung des Geschlechterverhältnisses. Neoliberalismus und die Regulierung des Sozialen. In: Widerspruch 46, 24. Jg., Nr. 1. Butler, Judith, 2001: Psyche der Macht. Das Subjekt der Unterwerfung. Frankfurt/M. Butler, Judith, 2004: Undoing Gender. Routledge: London/New York. Deleuze, Gilles, 1993: Unterhandlungen 19721990. Frankfurt/M. Foucault, Michel, 1977: Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahrheit 1. Frankfurt/M. Foucault, Michel, 1987: Das Subjekt und die Macht. In: Dreyfus, Hubert L. / Rabinow, Paul: Jenseits von Strukturalismus und Hermeneutik. Frankfurt/M., S. 241-291. Foucault, Michel, 1993a: Die politische Technologie der Individuen. In: Martin, Luther H. / Gutman, Huck / Hutton, Patrick H. (Hg.): Technologien des Selbst. Frankfurt am Main, S. 168-186. Foucault, Michel, 2004: Die Gouvernementalität, Band I+II. Frankfurt/M. Lemke, Thomas, 2003: Andere Affirmationen. Gesellschaftsanalyse und Kritik im Postfordismus. In: Saar, Martin / Honneth, Axel: Michel Foucault. Zwischenbilanz einer Rezeption. Frankfurter Foucault-Konferenz 2001. Frankfurt/M., S. 259-274. Schunter-Kleemann, Susanne, 2002. Gender Mainstreaming, Workfare und «Dritter Weg» des Neoliberalismus. In: Nohr Barbara / Veth Sikle (Hg.). Gender Mainstreaming. Kritische Reflexionen einer neuen Strategie. Dietz. Berlin. Maihofer, Andrea, 2002: Von der Frauen- zur Geschlechterforschung: ein Schritt zurück? In: Brüchert, Oliver / Resch, Christine (Hg.): Zwischen Herrschaft und Befreiung. Münster, S. 99-110. Nohr, Barbara, 2003: «Frauenförderung ist Wirtschaftsförderung». Zur Geschlechterpolitik der rot-grünen Bundesregierung. In: Widerspruch 44, Jg. 23, Nr. 1. Soiland, Tove, 2005: Kritische Anmerkungen zum Machtbegriff in der Gender-Theorie auf dem Hintergrund von Michel Foucaults Gouvernementalitätsanalyse. In: Widersprüche, April, 7-25.

> TOVE SOILAND < INNENLAND

Fortsetzung folgt im April-Heft.

megafon Nr. 293, März 2006

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HERAUS ZUR FREIRAUMDEMO AM 11. MÄRZ 2006, 14 UHR KORNHAUSPLATZ Das gegenwärtige Profitdenken, das alle Bereiche des Lebens kommerzialisieren will, lässt keinen Platz für Freiräume. Im Gegenteil: Freiräume werden bekämpft und schikaniert oder «bestenfalls» mit Verträgen zurück ins System eingegliedert. Wir sind der festen Überzeugung, dass Räume, wo die verschiedensten Menschen sich ohne Konsumzwang treffen können, dringend nötig sind. Der Wunsch kreativ zu sein, seiner Fantasie freien Lauf zu lassen, seine Fähigkeiten und sein Wissen mit anderen Menschen auszutauschen ist gross, und wird mit der zunehmenden Durchkapitalisierung aller Lebensbereiche nur noch grösser werden. Wir wollen selbstbestimmt leben und weigern uns zu akzeptieren, dass unser einziger Lebenszweck darin bestehen soll, acht Stunden am Tag zu schuften, um dann in der verbliebenen Zeit unser Geld für Dinge auszugeben, die uns nur scheinbar glücklich machen. Da unser Wirtschaftssystem auf Konkurrenz, Zwang und Autorität beruht, braucht es dringend Räume, die zeigen, dass es mit Kooperation, Eigeninitiative, Fantasie, und Freiwilligkeit keinen Chef braucht, der alles regelt und kontrolliert. Unser Verständnis von Kultur unterscheidet sich in ein paar wesentlichen Punkten, von dem, welches die so genannten Kulturbetriebe propagieren. Für uns muss zum Beispiel: Kunst in erster Linie weder unterhalten noch einen Profit abwerfen. Kunst muss gar nichts. Wir

finden es nämlich hässlich, wenn «Kultur» zu einem Produkt wird, das sich möglichst gut verkaufen muss. Es geht nicht darum Kultur zu besitzen. Unser Ziel ist es Kultur zu leben! Die Schule hat die Aufgabe, aus uns funktionierende Rädchen im System zu machen. Da das Leben aber nicht nur «Arbeit» beinhaltet, liegt es auf der Hand, dass es noch sehr viel mehr über das Leben selbst zu lernen gibt. In Freiräumen ist es für uns möglich uns gegenseitig beizubringen was uns interessiert. Dazu brauchen wir selbstverständlich weder LehrerInnen noch Noten, da es uns wie gesagt, interessiert… Es geht nicht zuletzt auch darum, Alternativen zu entwickeln zum herrschenden Arbeits- und Lebensmodell, zum gescheiterten Modell der Kleinfamilie und zum repressiven Schulsystem. Echte Alternativen werden nicht herbeigeredet, sie werden gelebt. Wir fordern: • Die Anerkennung von Freiräumen als notwendige Plattformen für alternatives Leben und Lernen jenseits der herrschenden und destruktiven Profitlogik! • denk:mal bleibt! • Raum für Wagenplatz Alternative!

WAGENPLÄTZE… Die Schattenparker wohnen in Bauwägen, Anhängern und kleinen Lastwagen zusammen in der Stadt Freiburg in Deutschland. Bis im Herbst wurde die Gruppe auf dem Gelände der Firma OBI toleriert, bekam dann aber eine Räumungsandrohung auf den 25. November 2005. Sie verliessen frühzeitig den Ort um das Gelände einer Chemiefirma zu besetzten. Noch am gleichen Tag wurden sie von dort vertrieben, es wurden sogar sechs Fahrzeuge beschlagnahmt. Nach Protesten in der Innenstadt haben sie am 3. Dezember 2005 ein Gelände besetzt, auf dem bis 1999 ein Teil einer Kaserne gestanden ist, und das seit dann Brachland ist. Nach kurzer Zeit schritt die Polizei ein und beschlagnahmte weitere 24 Wägen der Schattenparker.

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megafon Nr. 293, März 2006

Seit diesem Tag sind die rund dreissig Fahrzeuge, die den Schattenparkern auch als Wohnung dienen, nicht rausgerückt worden, die BewohnerInnen sind also faktisch obdachlos. Ausserdem wurden Bussen verhängt, deren Summe seit der Beschlagnahmung stetig ansteigt. Oberbürgermeister Salomon, Mitglied der Grünen Partei, rechtfertigt die Aktion und hat sich bis jetzt nicht ernsthaft um Vermittlungen bemüht. Die Schattenparker treten mit verschieden Aktionen an die Öffentlichkeit und erhalten breite Unterstützung, unter anderem auch von ProfessorInnen, Gemeinderatsmitgliedern, GewerkschafterInnen und Vertretern der Kirche. Eine dauerhafte Lösung, sprich einen festen Standort für die Wagenburg, ist aber bis heute nicht in Aussicht.

Seit der Beschlagnahmung sind die Bussen auf mehrere Tausend Euro angestiegen. Um die Schattenparker finanziell zu unterstützen organisieren wir, die ortsansässigen WagenburglerInnen, am 17. März 2006 eine Soliparty im denk:mal, für und mit den SchattenparkerInnen. Weiterer Infos zur Veranstaltung unter www.denk-mal.info, Infos zu den Schattenparkern auf www.schattenparker.net.

US NPARKER A E T T A H C S E RT FÜR DI DENK:MAL SOLI-KONZE(D) AM 17. MÄRZ IM FREIBURG


LESERBRIEF ZUM ARTIKEL VON GEORG LUTZ «DIE EUROPÄISCHE VERFASSUNG UND DIE LINKE» IM FEBRUAR-MEGAFON Warum bloss kommen Äusserungen (vieler) schweizerischer Linker über die EU so realpolitisch und staatstragend daher? Warum ist es Leuten, die hierzulande – zu Recht – die Abschaffung der Armee und des Staatsschutzes fordern, das Referendum gegen die Liberalisierung des Strommarktes gewinnen, die gegen den Abbau des Asylrechts und die abgeschottete Grenzen für ImmigrantInnen protestieren … – warum ist es solchen Leuten nicht möglich, dieselben richtigen politischen Kriterien an die Politik der EU anzulegen? Und vor allem: Warum rücken sie immer wieder diejenigen, die die EU kritisieren, in den Dunstkreis des Nationalismus? Nachdem SP und Grüne in ihren Käseblättchen (SP-links und Greenfo) schon vor geraumer Zeit das hohe Lied auf den EU-Verfassungsvertrag gesungen haben, teilt uns nun Georg Lutz im letzten megafon mit, dass er unseren Protest – den Protest der Linken und der Bürgerrechtsorganisationen der EU – gegen diesen Vertrag nicht recht verstehen kann.

Beispiel so interessant. In dieser Kampagne ist es gelungen, den Zusammenhang herzustellen zwischen der Privatisierungspolitik der Regierung Chirac und der neoliberalen Konzeption der EU, dem nunmehr in den Rang eines Verfassungsprinzips erhobenen ungebremsten Binnenmarkt. Laut der Umfrage des «Euro-Barometers» der EU-Kommission war das Nein vor allem von sozial- und wirtschaftspolitischen Einwänden geprägt. Nationalistische Parolen haben kaum eine Rolle gespielt. Noch kurz vor der Abstimmung hatte das französische Innenministerium eine Sondersitzung der Gruppe der fünf Starken der EU (Frankreich, Italien, Grossbritannien, Spanien und Deutschland) in Evian anberaumt, die erneut eine schärfere Gangart gegen die «illegale Einwanderung» propagierte. Der Versuch, den EU-Staatsrassismus einmal mehr zu mobilisieren, hat dem Ja nichts genutzt.

Glaubt man Georg Lutz, dann war der ganze Aufwand dieser Volksbewegung – viel Bewegung mit wenig Anlass: Die EUGeorg Lutz stellt richtig fest, dass es gegen Verfassung bringe eigentlich nicht viel die EU-Verfassung zweierlei Opposition geNeues. «Wirtschaftslastig» sei die EU geben hat und gibt: Da ist zum einen die schon immer gewesen. Das mit dem «Derechtspopulistische und neofaschistische Opmokratiedefizit» sei «eigentlich schon imposition. In Frankreich, wo es eine Volksabmer so» gewesen. Und wegen dem bisstimmung über den Vertrag gegeben hat, schen «Besserstellung» der Aussen- und wurde diese rechte Opposition verkörpert militärischen Sicherheitspolitik lohne sich durch die Rechtskatholiken des Grafen Phidie Aufregung auch nicht. Überhaupt sei lippe de Villiers und Le Pens Front National, das keine richtige Verfassung, sondern die im Abstimmungskampf im Frühjahr letznur ein etwas aufgepeppter Vertrag. ten Jahres die üblichen rassistischen Parolen herausgelassen und vor allem gegen den – kontraproduktiv, denn die kleinen Verbesserungen – die Grundrechte-Charta und Beitritt der Türkei gewettert haben, der mit die erweiterten Kompetenzen des EU-Parder Verfassung definitiv nichts zu tun hat. laments – könnten jetzt nicht in Kraft treUnd da ist zum anderen die linke Kritik geweten. sen: Diese reichte in Frankreich von der Linken der Sozialistischen Partei über die Kom- – gefährlich: Dass die EU-Verfassung von rechts und von links bekämpft wurde, sei munistInnen bis zur trotzkistischen LCR, «noch verzeihlich». Nicht verzeihen will schloss die Gewerkschaften CGT und SUD uns Georg Lutz, dass wir angeblich die sowie Gruppen wie Attac, die Liga für Men«alte linke Forderung der Überwindung schenrechte oder die Flüchtlingshilfsorganinationalistischer Grenzen» aufgegeben sation GISTI mit ein und lebte vor allem von den vielen lokalen Komitees, linken Basisgruppen und Initiativen. Der Sieg des Nein war ein Sieg von links unten, der auch gegen die Führung des PS und der CGT errungen wurde. Genau das macht das französische

hätten und nun gegen die friedliche Vereinigung Europas seien. Der Reihe nach: Der Verfassungsvertrag ist in der Tat ein Vertrag. Er soll nicht von den EU-BürgerInnen in einer gesamteuropäischen Volksabstimmung angenommen, sondern jeweils von den Mitgliedstaaten ratifiziert werden. Nur einige haben diese Ratifizierung an ein Plebiszit gebunden. Dieser Vertrag umfasst 448 Artikel auf rund 200 Seiten; hinzukommen weitere 280 Seiten Protokolle und Erklärungen. Was diesen Wälzer von den vorhergehenden EU-Verträgen (von Maastricht 1992, Amsterdam 1997 und Nizza 2000) unterscheidet, ist, dass er offiziell mit dem Anspruch verbunden ist, eine Verfassung für die EU zu sein. In dieser merkwürdigen Mischung werden nicht nur Grundrechte und institutionelle Regeln fixiert, wie das in einer Verfassung üblich ist, sondern Politikziele, die für die EU und die Mitgliedstaaten verpflichtend sind und die – insbesondere in Teil III des Vertrags – im einzelnen ausformuliert werden. Die Richtung, in die sich die EU in den nächsten Jahren entwickeln soll, wird teilweise bis aufs i-Tüpfelchen festgelegt. Drei Bereiche sind besonders störend: – die Festlegung auf einen Binnenmarkt mit «unverfälschtem Wettbewerb», der die vollständige Liberalisierung der Dienstleistungen und damit die Privatisierung weiter Teile des öffentlichen Dienstes mit einschliesst. Der freie Dienstleistungsverkehr ist als eine «Grundfreiheit» gefasst. – die weitere Militarisierung der Aussenpolitik – Kampfeinsätze «Out of area» inbegriffen: Der Verfassungsvertrag verpflichtet die Mitgliedstaaten zur Verbesserung ihrer «militärischen Fähigkeiten», im Klartext: zur Aufrüstung. Vehikel dessen ist u.a. eine «Verteidigungsagentur», die für die «Stärkung der industriellen und technologischen Basis des Verteidigungssektors» sorgen soll. Der militärisch-indust> POSTFACH megafon Nr. 293, März 2006

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EUROPA IST EINE GESCHLOSSENE GESELLSCHAFT Die Einreise nach Europa wird mittels moderner Techniken und einer verstärkten Zusammenarbeit europäischer Staaten immer schwieriger. Einerseits werden die EUAussengrenzen zu nahezu unüberwindbaren Hindernissen und anderseits werden die innereuropäischen Staatsgrenzen abgebaut. Daraus folgt, dass sich nur diejenigen «frei» bewegen dürfen, die dazugehören sollen, nämlich die europäischen finanzkräftigen Bürgerinnen. Der Rest wird festgehalten, eingesperrt und ausgegrenzt. Die globalisierte Wirtschaft baut auf Grenzen. Der Zugang zu Arbeit, zu Rechten und zu Sozialleistungen wird durch immer neue Einund Ausschlüsse reguliert. Die Schweiz ist ganz vorne dabei, den Trikont so gut wie möglich auszupressen. Sie ist ein Motor und verantwortlich für Vertreibung, Armut und Hunger. Aufgrund dieser aggressiven, imperialistischen Ausbeutungspolitik werden viele Frauenlesben dazu gezwungen in den reichen Westen zu fliehen. Es ist so, dass sich die Arbeitsteilung geschlechtlich, gesellschaftlich und international vollzieht. Wenn wir ausgehen von einer Aufspaltung entlang der Linie der internationalen und auch der klassenbedingten Arbeitsteilung in «Hausfrauen», die hauptsächlich produzieren, und in solche die hauptsächlich konsumieren, zeigt sich folgendes Bild: Erstere befinden sich vor allem im Trikont oder in ärmeren Ländern und den unteren Klassen, letztere in den reichen Staaten und den oberen Klassen. Die Reproduktionsarbeit

wird nicht unter den verschiedenen Gesellschaftsmitgliedern gleichwertig verteilt, sondern mehrheitlich von jenen übernommen, denen aufgrund ihres Ausländerinnen- oder Flüchtlingsstatus der Zugang zu anderen Arbeitssektoren versperrt bleibt. Mit den kategorien «Ausländerinnen» und «Inländerinnen» werden sie unterschiedlich in das Produktionsverhältnis integriert, ohne dass der Staat sich verpflichtet, den «Ausländerinnen» auch die gleichen Arbeitsbedingungen zu garantieren. Der Nationalstaat bedient sich einer geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung, die von einer rassistischen Arbeitsteilung überlagert und dadurch transformiert wird. Sie vollzieht sich nicht nur zwischen den Geschlechtern, sondern auch zwischen Frauen unterschiedlicher Klassenzugehörigkeit und Herkunft. Die verschiedenen Unterdrückungsverhältnisse stehen nicht nebeneinander, sondern zueinander in Bezug, wodurch ein gut funktionierendes System von Ausbeutung entsteht. Es ist deshalb wichtig, die gesellschaftlichen Verhältnisse zu hinterfragen, um so Handlungsansätze zu gewinnen, um gegen jede Form von Unterdrückung aufzustehen, und Position zu beziehen. Das Ziel ist eine Gesellschaft ohne Klassen, wo alle nach ihren Fähigkeiten und alle nach ihren Bedürfnissen solidarisch zusammen leben, ohne die Herrschaft des Kapitals. Wir treten ein für eine Gesellschaftsordnung ohne kapitalistische und patriarchale Ausbeutung und Unterdrückung. Es lohnt sich, für eine solche Veränderung zu kämpfen und wir heute bereits kleine

rielle Komplex erhält Verfassungsrang. – eine Ausweitung der polizei- und justizpolitischen Zusammenarbeit: eine weitere Ausdünnung des Asylrechts, die Bekämpfung der «illegalen Einwanderung», ein System des «integrierten Grenzschutzes», mehr Befugnisse für Europol, eine Harmonisierung des Strafprozess- und des Strafrechts, die absehbar auf dem schärfsten Modell basieren wird … Sicher: die EU verfolgt diese Politik seit Mitte der 1980er Jahre. Sollen wir aber hinnehmen, dass diese Richtung nicht im Ansatz änderbar ist? Sollen wir feierlich erklären, dass all dies der «Wille der Völker Europas» ist?

POSTFACH/INNENLAND

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megafon Nr. 293, März 2006

Schritte in diese Richtung tun können. Indem wir zum Beispiel uns über Frauenkämpfe weltweit informieren und uns mit ihnen solidarisieren. Schliessen wir uns zusammen und kämpfen gegen dieses mörderische System. Deshalb: KEINE FRAU IST ILLEGAL GEGEN STAAT, KAPITAL UND PATRIARCHAT ANERKENNUNG FRAUENSPEZIFISCHER FLUCHTGRÜNDE UND BLEIBERECHT FÜR ALLE SOLIDARITÄT MIT GEFANGENEN UND KÄMPFENDEN FRAUEN FÜR SOLIDARISCHE VERHÄLTNISSE UND BEZIEHUNGSFORMEN KAMPF GEGEN IMPERIALISTISCHE KRIEGE 8. MÄRZ INTERNATIONALER FRAUENKAMPFTAG WEG MIT HERRSCHAFTSSICHERNDEN GRENZEN! BLITZKUNDGEBUNG

Mittwoch 8. März, 12.15 Uhr, Paradeplatz, Zürich FRAUENDEMO

Samstag 11. März, 13.30 Uhr, Hechtplatz, Zürich FRAUENFEST

Samstag 11. März, ab 22.00 Uhr, Kalkbreitestr. 4, Zürich KOMMT ALLE FRAUENLESBEN !

Wie sieht es mit den Zückerchen aus? Die Grundrechte-Charta, für die sich Georg Lutz begeistert, bleibt erstens in vielen Punkten hinter den nationalen Verfassungen zurück und reflektiert nicht im Ansatz, dass es in einem so grossen Staatsgebilde wie der EU neuer Formen des Grundrechtsschutzes bedürfte. Sie ist zweitens weit gehend deklaratorisch. Über das grossspurig verkündete Recht der Versammlungsfreiheit braucht sich die EU keine Sorgen zu machen, weil nicht sie, sondern die Mitgliedstaaten über das polizeiliche Vorgehen bei Demos entscheiden und in diesem Falle fest zusammen arbeiten. Kurz gesagt: diese Charta kann man vergessen. Mehr Kompetenzen für das Parlament: Erstens ist das Parlament an wichtigen Punkten gezielt ausgeschaltet: Bei der Aussenund Militärpolitik und bei der «operativen» Zusammenarbeit von Polizeien und Sicherheitsdiensten entscheidet die Exekutive al-

leine, das Parlament wird «auf dem Laufenden gehalten». Zweitens hat das Parlament schon jetzt gezeigt, dass es jedes Mal umkippt, wenn die nationalen Regierungen und die sie tragenden sozialdemokratischen und konservativen Parteien sich einig sind. Warum sollen wir uns hierfür stark machen? Was ist die Alternative?

Sicherlich nicht der Nationalstaat mit seiner kriegerischen Vergangenheit und seinen Grenzen, die die EU in neuer Form fortsetzt. Was letzteres bedeutet, zeigt sich gegenwärtig an den Rändern der EU – in Ceuta und Melilla oder an der polnischen Ostgrenze. Das ist ein Teil des Status Quo der EU, gegen dessen rechtliche Fortschreibung im Verfassungsvertrag sich das linke Nein gerichtet hat. Lieber Georg, verstehen wir uns jetzt besser? > HEINER BUSCH <


WEF 2006: RÜCKBLICK AUF PRO UND CONTRA

DIE FREUDE DES KLAUS SCHWAB

DAS WEF KANN ZUFRIEDEN SEIN. DAS VON IHM

ORGANISIERTE OPEN FORUM HAT SICH ALS WEF-

GEGENVERANSTALTUNG ETABLIERT, MANAGER SIND UNTERDESSEN WIEDER MEHR UNTER SICH, UND

PROTESTE WURDEN DIESES JAHR NUR MARGINAL ERWÄHNT.

Dem WEF ist es gelungen, sich wieder diskreter zu inszenieren. Den Beschwerden einiger WEF-Stammteilnehmern entsprechend, hat es die Teilnahme von PolitikerInnen und Stars zurückgefahren, das Medienwirksame wie etwa den Auftritt von Angelina Jolie ans Open Forum ausgelagert, so dass Manager und Unternehmer wieder mehr unter sich sein konnten. Das Open Forum stand im Zentrum der Berichterstattung über das WEF, und das WEFJahrestreffen selbst erhielt nicht mehr viel Aufmerksamkeit und kaum Kritik. Höchstens das Sex-Seminar für Unternehmer und die Treffen von PolitikerInnen am Rande des Forums waren Thema in den Medien. Die zahlreichen Proteste gegen das WEF und die immensen Kosten für die Abschirmung der Reichen wurden nur nebenbei erwähnt. Ebenfalls hat es das WEF geschafft, das von ihm ins Leben gerufene Open Forum als «Gegenveranstaltung» zu sich selbst darzustellen. Auf der Website des Weltwirtschaftsforums ist das Open Forum denn auch kaum mehr auffindbar, auf derjenigen von Radio DRS dafür ist es zynischerweise unter «Anti-WEF» oder der Kategorie der «Ohnmächtigen» aufgelistet. WEF-Gründer Klaus Schwab könnte sich nicht mehr wünschen. An dem als WEF-kritisch präsentierten Open Forum nahmen wie auch in früheren Jahren keine KritikerInnen teil. Podien waren kurz vor dem Stattfinden umge-

stellt worden, man war unter sich. Dass etwa der Brasilianer Franklin Frederick, Vertreter einer Gemeinde, die sich seit langem gegen Nestlés skrupellose Wasserausbeutung wehrt, die Teilnahme aus politischen Gründen abgesagt hatte, wurde nur nebenbei erwähnt. Behörden und Sicherheitskräfte haben sich dieses Jahr entschieden – ganz im Gegensatz zur Politik der vergangenen Jahre –, Proteste in verschiedenen Städten zu bewilligen und kein Konfrontationsszenario heraufzubeschwören. Dies möglicherweise deshalb, weil ihnen das Demoverbot und die Repression rund um das WEF mehr Kritik eingebracht und dem WEF mehr Aufmerksamkeit geschenkt hat als erwünscht. Möglicherweise haben die Behörden von den Protestierenden gelernt und sich das Ziel gesetzt, sie ins Leere laufen zu lassen – so wie diese das im Januar 2005 mit dem riesigen Polizeiaufgebot in Bern taten. Das ist ihnen fast gelungen. Die Proteste wurden nur noch in kleineren Meldungen erwähnt und durchwegs als von «Jugendlichen» durchgeführt dargestellt. Als nicht ernst zu nehmender Protest. Das WEF kann zufrieden sein. In Davos selbst wurde kaum Protest zugelassen. Im Januar hatte der Kleine Landrat der Landschaft Davos eine Anordnung erlassen, laut der selbst künstlerische Darstellungen im öffentlichen Raum während der Dauer des WEF bewilligt werden müssten. Die Davoser Exekutive lehnte dann auch praktisch alle Bewilligungsgesuche für Aktionen ab. Selbst eine so harmlose Darstellung wie sich auf der Promenade gegen das WEF auf den Kopf stellen, wies sie zurück. Dass eine kurzfristig organisierte Demo auf der Talstrasse bewilligt wurde, war eine kleine Konzession, damit es nicht nach Demover-

bot roch. Tage vor der Demo waren noch AktivistInnen aus Davos weggewiesen worden – einige von ihnen hatten lediglich in einem Luxushotel Kaffee getrunken.

VERLAGERUNG NACH BEIJING? Laut Sonntagszeitung war das WEF schon lange nicht mehr so wirtschaftsbezogen wie dieses Jahr. Es habe sich ein bisschen seinen Wurzeln angenähert, als es noch ein Stelldichein von Wirtschaftsgrössen in den Schweizer Bergen war. Trotzdem sind die WEFler nicht ganz zufrieden. Sie möchten wieder eine Konzentration aufs «eigentliche Geschäft» anstelle von 240 verschiedenen Veranstaltungen. Dem versucht das WEF nun Rechnung zu tragen. Bald soll nämlich eine Art «Sommer-Davos» in Beijing stattfinden, ein jährlicher Globaler Industriegipfel («Global Industry Summit»), offen für die schnelle Wachstumsindustrie und die Mitglieder und Partner des WEF. So könnte also das Kerngeschäft des WEF auf Beijing verlagert werden, während Davos vorerst noch ein Promitreffen bleibt und mit der selbst inszenierten «Gegenveranstaltung» vor allem PR-Zielen dienen soll. Soviel zur Kreativität im Landwassertal. > YVONNE ZIMMERMANN <

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DIE BERNER NEONAZISZENE 2005

SPAGAT ZWISCHEN GERICHTSSAAL UND PARLAMENT POLITISIEREN, AUFMARSCHIEREN UND RANDALIEREN: OB DIE GEBILLIGTE GROSSVERSAMMLUNG

AUF DEM RÜTLI, MEHREREN UNBEWILLIGTEN AUFMÄRSCHEN (AARAU, SOLOTHURN, BRUNNEN) ODER

und stand wohl eher im Zeichen der Bemühungen um eine weisse Weste. REGELMÄSSIGE MEDIENPRÄSENZ – ÖFFENTLICHE Denn erst einen Monat vorher sind dieAUFTRITTE LIEGEN IM TREND. selben vier vom Bezirksgericht Aarau wegen Aufruf zu Rassenhass im PNOSParteiprogramm – das dem 25. Punkteprogramm von Hitlers NSDAP so Besonders im Mittelland ist die rechts- sehr ähnelt – verurteilt worden. Am 21. extreme Szene gut strukturiert und mit August 2005 präsentierte die PNOS den rund 750 aktiven Neonazis auch perso- neuen fünfköpfigen Bundesvorstand. nell überproportional stark vertreten. Die Polizei geht schweizweit von 1700 GRATWANDERUNG DER PNOS Mitgliedern aus. Rund ein Viertel aller Die PNOS-Mitglieder – mitunter bis rechtsextrem motivierten Vorfälle fallen im 2005 auf das Mittelland (BE, SO, AG). in die Führungsriege – kommen nicht Galt die rechtsextreme Szene seit jeher wirklich los von den Gerichtssälen. Im als eindeutige Männerdomäne, sind Gegenteil, sie spielen regelmässig mit vermehrt auch Frauen anzutreffen, so- den Grenzen des Gesetzes. Weit beunwohl auf der Strasse als auch in Füh- ruhigender als die öffentlichen Strassenprügeleien sind aber ihr Anklang in rungspositionen. der Bevölkerung, der sich in Wahlerfolgen niederschlägt – trotz klarem BeROCHADE IN DER kenntnis zu völkischen Rassetheorien à FÜHRUNGSETAGE la Hitler. In verbalen Statements geizen Die Partei National Orientierter sie nicht mit eindeutig rassistischen Schweizer (PNOS) nahm das Jahr 2005 Äusserungen und wurden so auch im mit der Gründung der Ortsgruppe Lan- 2005 wieder des öftern vor den Richter genthal in Angriff – einen Tag vor Tobias zitiert. Hirschi’s Debüt im Stadtrat. Denn das Auch Tobias Hirschi, vor seiner Wahl braune Potential im Mittelland entging in den Stadtrat ein unbescholtenes auch der PNOS nicht: Lunte riechend Blatt und Aushängeschild des neuen richtete sie ihr Augenmerk vermehrt «Saubermann»-Image mit schwiegeraufs Mittelland: Sie verlegte ihren sohntauglichem Bürstenschnitt, sorgt Dreh- und Angelpunkt von Basel nach seither für einigen Wirbel. Gegen den Aarau und stampfte fast zeitgleich zwei «Rassepolitiker» laufen mehrere Strafneue Sektionen aus dem Boden. verfahren. Auf Anzeigen wegen VerFazit: Vier von fünf PNOS-Ablegern stoss gegen das Antirassismusgesetz (die Landesführung in Aarau sowie die folgte sein missliebiger Auftritt am Sektionen Bern [Sitz in Interlaken], Solo- 1. August auf der Rütliwiese. Bei der thurn und Langenthal – liegen neu eng anschliessenden unbewilligten Dezusammen und zeigen so deutlich den monstration der rund 700 «heimattreuen Eidgenossen» durch Brunnen, marSchwerpunkt ihres Agitationsraumes. Mitte Jahr wurde auch die Landes- schierte er vorneweg – gemeinsam mit leitung einer komplett ausgewechselt, etlichen Gefolgsleuten der PNOS oder die bisherige Parteispitze zog ge- dem Aargauer Jung-SVP-Politiker Paschlossen den Hut. Diese Rochade scal Trost, der den Bogen damit überschien nicht von langer Hand geplant spannte und aus der Partei ausgeschlossen wurde. BLICK NACH RECHTS

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Hirschi pflegt aber auch regen Kontakt zur Helvetischen Jugend (HJ), die vor allem im Oberaargau, Luzerner Hinterland und Wiggertal aktiv ist. Die Kameradschaft hat die PNOS, insbesondere Hirschis Wahlkampf, tatkräftig unterstützt und war auch zum 1.MaiAufmarsch in Solothurn gerufen. Dass im Februar 2005 bei Hausdurchsuchungen von HJ-Mitgliedern – als Folge des Übergriffs auf eine bewilligte antifaschistische Demonstration in Willisau (Oktober 2004) – ein mittleres Waffenarsenal ans Tageslicht gelangte, hat die PNOS nicht von einer intensiven Zusammenarbeit abgehalten.

AUFGEFLOGEN, UMGEZOGEN, WEITERSUCHEN Gleich zweimal wurde im 2005 die Berner Neonaziszene aus dem Umfeld der Nationalen Offensive in ihren konspirativen Treffpunkten aufgespürt und innert Kürze gezwungen das Feld zu räumen. Anfang März 2005 wurden die Mieträumlichkeit am Stadtrand von Burgdorf publik, die während mehreren Monaten von Akteuren der extremen Rechten – von organisierten Naziskins über die PNOS bis hin zu Mitgliedern der Schweizer Demokraten – regelmässig frequentiert wurde. Ein Lokal also, in dem sich die regionale, gelegentlich auch nationale, extreme Rechte zum regelmässigen Stelldichein traf. Wenn sich die ausserparlamentarische Neonaziszene (Nationale Offensive (NO), Helvetische Jugend (HJ), Schweizer Hammerskins (SHS), NaziRocker von Indiziert) und die parlamentarische Rechte (PNOS, Schweizer Demokraten) die Klinke in die Hand drücken, können inhaltliche und personelle Überschneidungen nicht weit her sein. Dies bestätigt wieder mal ihre ideelle Verbundenheit. Vom Pech verfolgt fliegt nur kurze Zeit nach dem Rausschmiss in Burgdorf auch ihr neues Lokal in der Hefefabrik in Hindelbank auf. Auch dort


7 GRÜNDE, WARUM AUCH DU AM 7. ANTIFASCHISTISCHEN ABENDSPAZIERGANG TEILNEHMEN SOLLTEST: 1.Überheblichkeit

5. Hunger

Weil noch immer Menschen über andere herrschen. Weltweit glauben Menschen, ihre Herkunft, ihre Hautfarbe, ihr Geschlecht oder ihre gesellschaftliche Stellung berechtige sie dazu, andere zu unterdrücken.

Weil auch im 21. Jahrhundert noch Hunderttausende (ver)hungern und (ver)dursten, während andere mehr haben, als sie essen können.

2. Gier

Weil noch immer Menschen auf Grund ihrer sexuellen Ausrichtung herabgesetzt, ausgegrenzt oder gar verfolgt werden.

Weil es viele gibt, die (zu) wenig haben, und wenige, die alles haben. Denn dank dem Kapitalismus können sich die Habgierigen bereichern, während alle anderen ausgebeutet werden. 3. Neid

Weil die heutige Gesellschaft auf Konkurrenz aufbaut und nicht auf Solidarität. Weil nur zählt, wer (mehr) besitzt. Und weil hier selbst Liebe und Lust zum Eigentum gemacht werden. 4. Hass

Weil rechtsextreme und religiöse Gruppen Hass auf alles schüren, was nicht ihren Wahnvorstellungen entspricht. Diskriminierung und Rassenhass bis hin zu Mord und Krieg sind die Folge davon.

kennt der Vermieter kein Pardon und kündet den Mietvertrag. Seither probt Indiziert in einer Halle im Industriegebiet von Roggwil, wo bereits am 16. Juli 2005 ein Treffen der rechtsextremen Kameradschaft Helvetische Jugend (HJ) beobachtet worden ist. Dort tönt es vorerst anders: Mit galanter Unterstützung durch den greisen Besitzer, der die Gastgewerbebewilligung gleich selbst beantragte, sollte der Bandraum – der sich bereits zum überregionalen NeonaziTreffpunkt gemausert hat – in ein Clublokal verwandelt werden. Doch die Vorfreude währte nicht lange: Als die Polizei nach einer Hausdurchsuchung rechtsextremes Material beschlagnahmte, wurde es dem Besitzer dann doch zu bunt, und er setzte Indiziert auf die Strasse.

KONZERTPARADIES SCHWEIZ Für LiebhaberInnen rechtsextremer Musik ist die Schweiz ein attraktiver Wallfahrtsort. Mindestens zehn Veranstaltungen mit Gastspielen aus dem rechtsextremen Spektrum haben im Jahr 2005 stattgefunden. Im Vergleich zu den Nachbarländern werden die BesucherInnen hier mit Samthandschuhen angefasst. Die Organisatoren profitieren von einer wässrigen Gesetzeslage, unbeholfen re- und agierenden Regierungen, die das unliebsame Thema lieber unter den Tisch kehren, und überforderten Polizeikorps. So auch im Kanton Bern, wo am 2. Juli 2005 die Schweizer Hammerskins (SHS) in Ammerzwil ihr 15-Jahr-

Jubiliäum zelebrierten. Auf dem Gelände einer Schiessanlage bei Lyss hüpften rund 350 Neonazis – die Hälfte davon aus Deutschland – zu den rüden Klängen einschlägig bekannter Bands wie Blitzkrieg (D), Hatemachine (USA) und Civico (I). Bühnenpräsent waren auch die vier Haudegen von Indiziert aus der Region Burgdorf, die mit neun Auftritten im In- und Ausland vergangenes Jahr wohl die reisefreudigste Schweizer Rechtsrock-Combo stellt.

PROPAGANDAINSTRUMENT RECHTSROCK In Aargauer Bezirksschulen wurden Ende September kistenweise so genannter «Schulhof-CDs» verteilt. Das Sortiment beinhaltete den in Deutschland verbotenen Tonträger «Anpassung ist Feigheit» der deutschen Kameradschaftsszene, die amerikanische «Project Schoolyard»-CD von Panzerfaust Records sowie die aktuelle NPD-Wahlkampf-CD. Der Vertrieb dieser CDs, bespielt mit melodiösen Rechtsrock-Balladen, soll Jugendlichen neonazistisches Gedankengut näher bringen – getreu dem Nachwuchskonzept der NPD. Verantwortlich für den Propaganda-Effort waren Mitglieder des «Bund Oberland», die die Silberlinge gleich en masse bestellten. Die rechtsextreme Gruppierung setzt sich bescheidene Ziele: sie will «eine Volksbewegung ins Leben rufen, die den Fall des gegenwärtigen Systems zum Ziel hat». Kurz nachdem die Verteilaktion publik geworden ist, haben sie reagiert: Nazi-Symbole und

6. Homophobie

7. Trägheit

Weil, obwohl uns allen diese Missstände bekannt sind, kaum jemand bereit ist, etwas dagegen zu tun. Heraus zum 7. Antifaschistischen Abendspaziergang in Bern! 1. April 2006 , 20.30 Uhr, Heiliggeistkirche

Unterseiten wie der Bereich «Revisionismus» wurden umgehend entfernt. Geblieben sind Links zu Webseiten mit Holocaust leugnenden Inhalten.

KEIN RUHIGES HINTERLAND Den letztjährigen Höhepunkt rechtsextremer Gewalttätigkeit ereignete sich in Thun, als Thomas Rohrer – ein stadtbekannter Neonazi – in der Nacht vom 8. auf den 9. Juli 2005 auf eine Gruppe heimkehrender AktivistInnen aus dem «Anti-G8-Basiscamp» schoss. Auch die PNOS fasst Fuss im beschaulichen Berner Oberland. So stellen Michael Haldimann und Adrian Spring seit dem Sommer die Berner Vertretung im Bundesvorstand der PNOS und auch das Postfach der Sektion Bern befindet sich neu in Interlaken. Alles in allem ist das Jahr 2005 geprägt vom Aufstieg einer Partei, die aus dem Blood&Honour Umfeld entstanden ist und aus ihrem rassistischen und antisemitischen Programm keinen Hehl macht. Regelmässig überschreiten Exponenten die Grenzen der schwammigen AntirassismusStrafnorm. Politische Wahlerfolge wie in Langenthal oder Günsberg verleihen dabei den rechtsextremen Ideologien einer PNOS eine bisher nicht da gewesene gesellschaftliche Legitimation. > ANTIFA BERN < BLICK NACH RECHTS megafon Nr. 293, März 2006

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HANNES BINDER: «NÜÜD APPARTIGS»

GLAUSER TRIFFT AUF STUDER TRIFFT AUF BINDER DER ZÜRCHER ZEICHNER HANNES BINDER HAT SEIT 1988 MEHRERE STUDER-GESCHICHTEN ADAPTIERT.

MITTE 2005 ERSCHIENEN DIE COMICS IM SAMMELBAND «NÜÜT APPARTIGS».

der, den qualmenden Stumpen in der Hand, schlurft sich seinen Weg durch das ganze gesellschaftliche und menschliche Dickicht und verfolgt konsequent seine eigene Vorstellung von Recht und Gerechtigkeit.

SCHARFES AUGE FÜR GESELLSCHAFT Er stand irgendwie quer in der Landschaft, dieser Glauser: Geboren 1896 in Wien als einziger Sohn eines Schweizer Vaters und einer österreichischen Mutter, pendelte er von belgischen Kohlenminen zur französischen Fremdenlegion. Immer wieder geriet der Morphiumsüchtige mit Gesellschaft und Gesetz in Konflikt und in die Fänge von Justiz und Psychiatrie. Der Vater sah stets nur die Schande, die ihm der nach wirtschaftlichen Massstäben so erfolglose Sohn bereitete. Andere, wie die Schriftstellerin Martha Ringier, glaubten stets an den Schriftsteller und unterstützten ihn nach Kräften.

Seine Geschichten sind voller Widersprüche, Wiederholungen prägen seinen Stil und auch über sein Deutsch liesse sich mäkeln. Er lässt viel zu viele Personen auftreten, verliert sich auf Irrwegen und verstrickt sich so stark in Nebensächlichkeiten, dass am Ende fast die Auflösung verloren geht. Alles kein Problem. Denn mit seinem Wachtmeister Studer hat Friedrich Glauser die Literatur um ein unvergessliches Original bereichert. Stu-

KULTUR ET ALL

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megafon Nr. 293, März 2006

Endlich schien es, als würde doch noch alles gut: Glauser wollte seine langjährige Gefährtin Berthe Bendel heiraten. Dazu kam es nicht: 1938 starb der Autor in Zürich unter nicht restlos geklärten Umständen. Trotz oder wegen der Unstetigkeit seiner eigenen Geschichte bewahrte sich Glauser ein scharfes Auge für die Welt, in der er lebte: Das manchmal absurde oben und unten der Gesellschaft samt ihren «karitativen» Einrichtungen, die eher Gefängnissen denn Heimen ähneln. Oder für die bitteren Ungerechtigkeiten, die Menschen erleben, die eigentlich nur ein eigenes Leben forderten. Immer wieder fliesst auch Glausers eigene Biografie in seine Bücher ein.

SELBST ZU ENDE GEDACHT Insgesamt sechs Geschichten behinhaltet «Nüüt appartigs». Den Anfang macht der voluminöse Band mit «Dada», den illlustrierten Erinnerungen an Glausers Zeit im Kreis der Sur-


MIKE REBER HÖRT BOSS HOG

Eyehategod ist das tatsächlich Rock'n'Roll, komplett mit mit publicityträchtiger Fucked-up-Provokations-Attitüde und mansonmässigem Gotteswahn. Dennoch: Von solidem, garantiert spassfreiem Unterhaltungswert, diese Gotteslästerer.

KINO DACHSTOCK TOJO SOUSLEPONT FRAUENRAUM GROSSE HALLE INFOLADEN

Eyehategod – In the Name of Suffering Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Leids. Hautkrankheiten und unangenehme Nacktheit auf dem Cover und eine böse, langsame Steinzeitmetall-Füllung innen drin. Keineswegs kreischend neu, was die so garstigen Herren aus dem verrückten New Orleans so zu bieten haben, dennoch eine wunderbare Ergänzung der Melvins/Fu Manchu/etc. Liga. Infolge alter Verbundenheit zu Black Flag genehmigt man sich ab und an mal einen kurzen Hardcore-Sprint, ansonstens gibts Oberschenkelknochenmahlen bis zum Abwinken. Und bei

Boss Hog – Drinkin Leching & Lyin Bandmitglied Christina als Femme Fatal Cover Gal (wie immer), schwarze Mähne, schwarze Lackhandschuhe bis zu den Oberarmen, schwarze Lackstiefel bis zum Schritt und sonst nichts. Der erotische Atomschlag. Dazu in fetten Lettern: Boss Hog – ein S/W-Klassiker. Innen drin: Die erste Mini-LP einer Band mit eben diesem Namen. Vier Ex-Pussy-Galore-Leute plus ein Honeymoon-Killer (inzwischen umbesetzt), produziert von Steve Albini, rausgebracht von Amphetamine Reptile. Nicht so noisy wie der Stammbaum vermuten liesse, dafür umso rockender, aber The Sleazy Way, fies, schleppend, mitunter fast heavy, auf jeden Fall aber roh und immer mit feisten Riffs, dazu enthemmter Gesang. Crazy as Shit, dabei aber gleichzeitig traditionell. Schlüpfrig, geschmacklos, gut. Ab 18 Jahren!

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> CDK <

The Monks - Black Monk Time Ah richtig, wenn man Ami war und jung genug, konnte man Soldat werden und sich tot schiessen lassen, wenn's sich traf. Nun, diese fünf Monks trafen sich in irgendwelchen «Barracks» bei Wiesbaden (stationiert von 1961 bis 1964) und beschlossen, ebensolche zu werden, Mönche nämlich. Sie schoren sich eine Tonsur in ihren GI-Rappo und gebaren zusammen grossartige Ungeheuer menschlicher Ausdruckskraft, rhythmisch und intensitätsmässig völlig jenseits, grooven sich die Kutten in Fetzen und sind uns armen Spätgeborenen weisheitsmässig immer noch eine Nasenlänge voraus. Simpelste Quäk-Orgeln, schabbernde Banjos, 3.-Weltkrieg-artiges Bassspiel und eine Gitarre, die ausser Rhythmik auch sehr gemein sein kann, und trotzdem klingt alles zusammen wie Jahrmarkt, aber im Orbit. Währe das Raumschiff Orion mal auf einen Planeten mit groovenden Aliens gestossen, hätten da wohl die Monks auf Eva und Dietmar gewartet. Zack und ab.

PROGRAMM

realisten. Diese Geschichte ist auch die einzige, die Binder speziell für diesen Band geschaffen hat. Bereits 1988 hat der 59-jährige Zürcher Illustrator Hannes Binder mit «Der Chinese» den ersten Glauser-Krimi umgesetzt. 1990 folgte mit «Krock & Co.» der zweite Band. 1992 erschien der Bilderkrimi «Knarrende Schuhe». Folgten diese drei Geschichten noch streng den Vorlagen, so war die lineare Erzählweise spätestens mit dem Roman «Die Fieberkurve» zu Ende: Hier verhinderte die schiere Fülle an teils surrealen Figuren und Ereignissen schlicht eine 1:1 Adaption. Mit «Glausers Fieber» trägt Binder dem Rechnung: Er überblendet die eigentliche Erzählung mit der Entstehungsgeschichte des Romans, lässt Glauser und Studer parallel auftreten und verschmelzt so die Erzählung mit der Biografie, Träume mit Erlebtem. Ähnlich das Vorgehen in «Wachtmeister Studer im Tessin»: Von Glauser sind nur Notizen zu einer Tessiner-Geschichte erhalten. Also hat Binder die Ereignisse selbst zu Ende gedacht. Und so einen eigenen Studer-Krimi geschaffen. Augenzwinkernd lässt der Zeichner dabei erst Glauser auftreten und seiner eigenen Romanfigur begegnen, dann taucht zum Schluss auch noch der Zeichner in der Geschichte auf. Neben den Glauser-Bänden hat Hannes Binder Lisa Tetzners «Die schwarzen Brüder» illustriert und mit Urs Widmer «Das Buch der Albträume» veröffentlicht. Zudem arbeitet Binder regelmässig für «Das Magazin» und den «Tages Anzeiger».

KULTUR ET ALL megafon Nr. 293, März 2006

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KINO

TAWFIK ABU WAEL, PALÄSTINA 2004

ATASH (DURST)

DONNERSTAG, 16. MÄRZ FREITAG, 17. MÄRZ, JE 21.00 UHR

MICHEL KHLEIFI, EYAL SIVAN, FRANKREICH/BELGIEN/ DEUTSCHLAND

ROUTE 181, FRAGMENTS D’UN VOYAGE EN PALÉSTINE-ISRAEL

SAMSTAG, 11. MÄRZ, 18.30 UHR: 2 TEIL SAMSTAG, 11. MÄRZ, 21.00 UHR: 3 TEIL

MICHEL KHLEIFI, EYAL SIVAN, FRANKREICH/BELGIEN/ DEUTSCHLAND

ROUTE 181, FRAGMENTS D’UN VOYAGE EN PALÉSTINE-ISRAEL

FREITAG, 10. MÄRZ, 21.00 UHR: 1 TEIL IN ANWESENHEIT VON MICHEL KHLEIFI*

MIT VERSCHIEDENEN GÄSTEN: U.A. SOBHI AL-ZOBAIDI*, JEANNINE HALBREICH, AUTORIN ZUR THEMATIK ISRAELISCH-PALÄSTINENSISCHER FILM, CLAUDIA GAMPERLE, BELECRAN, LEITUNG MATTHIAS HUI, OEME BERN

PODIUMS-GESPRÄCH

SOBHI AL-ZOBAIDI, PALÄSTINA 2003 ANSCHLIESSEND

CROSSING KALANDIA

SOBHI AL-ZOBAIDI, PALÄSTINA 2005

HAWAL AGAIN

DONNERSTAG, 9. MÄRZ, 19.30 UHR

SHARIF WAKED, PALÄSTINA 2003

CHIC POINT

RAM LOEVY, ISRAEL 2002

GAZA, L’ENFERMEMENT

SAMSTAG, 4. MÄRZ, 21.00 UHR

RASHID MASHARAWI, PALÄSTINA 2002

TICKET TO JERUSALEM

DONNERSTAG, 2. MÄRZ FREITAG, 3. MÄRZ, JE 21.00 UHR

megafon 06.03

PROGRAMM

Der Wahlsieg von Hamas in Palästina scheint Ausdruck davon zu sein, dass neben der Politik auch das soziale Gefüge ins Rutschen geraten ist. Woher kommt die palästinensische Gesellschaft – seit bald sechzig Jahren traumatisiert durch Enteignung und Vertreibung, seit vierzig Jahren kontrolliert durch ein Regime von Besatzung, Fragmentierung und Entfremdung? Der Palästinenser Edward Said sah die Aufgabe von Intellektuellen darin, in Zeiten der Unsicherheit – für Palästina der Normalfall – als Gedächtnis zu agieren. Diese Rolle kommt auch dem Film zu. Die Schlagzeilen zum Nahostkonflikt kommen und gehen, die so genannt historischen Momente lösen sich halbjährlich ab. Die Menschen und ihre Biografien, Verstrickungen und Sehnsüchte bleiben – oft hinter Mauern, Schleiern, Uniformen, Ängsten und Parolen verborgen. Der palästinensische Film hat hohe Qualitäten erlangt und erfüllt eine wichtige Funktion für eine Gegend, auf die die Augen der Welt gerichtet sind. Der Filmemacher Sobhi AlZobaidi sagt: «Wenn man heute auf ein Festival reist,

Mit seiner Filmreihe will das Kino in der Reitschule, in Zusammenarbeit mit der Association BelEcran, Lausanne, dem Collectif Urgence Palestine/Vaud sowie mit der Fachstelle OeME Bern, zu einem denkwürdigen Zeitpunkt die Situation in Palästina und Israel einmal mehr vor Augen führen. Dass auf beiden Seiten eine lebendige, lebensbejahende Kultur existiert, dokumentieren neue filmische Begegnungen.

kann man sicher sein, einen palästinensischen Film zu sehen, aus Gaza, Israel oder der Diaspora. Ich glaube, in fünf Jahren wird das palästinensische Kino so etwas sein wie das iranische Kino, weil es von den Dingen erzählt, über die sonst nicht gesprochen wird.» Auf der anderen Seite – der Mauer – spielt das israelische Kino. Auch es vermag bisweilen meisterhaft Brüche in Lebensläufen und Identitäten festzuhalten. Es beschreibt, was die stündlichen Nachrichten, die so viele Menschen hören wie nirgendwo sonst, nicht berichten können: Wie Gewalt nie nur gegen den Feind gerichtet bleibt. Spannende Bilder, langfristige Hoffnungen entstehen in Israel an diesen Bruchlinien. Dort, wo Menschen nicht mehr länger im Zug «wir gegen die andern» mitfahren, weil das Andere – zum Beispiel das Arabische, das (Un)Religiöse, das Traumatisierte – auch Teil des Eigenen ist. Am Anfang der Debatte in Israel soll also nicht etwa die Polemik gegen Hamas, die Betonung der Erhabenheit der (jüdisch-)israelischen Demokratie oder der (instrumentalisierte) Rückgriff auf die eigene Angst stehen. Dies ist eine gemeinsame Haltung auch mancher FilmerInnen. Zuerst ist Einsatz gegen die Besatzung gefragt, die allen Beteiligten das Menschsein nimmt. Denn, so die israelische Journalistin Amira Hass zur gegenwärtigen Lage: «Wir stossen ein ganzes Volk in unmögliche Situationen, eklatant unmenschliche Situationen, um ihm sein Land, seine Zeit, die Zukunft und die Freiheit der Wahl zu stehlen.» > Matthias Hui <

PALÄSTINA – ISRAEL: EINE FILMISCHE BEGEGNUNG

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Der Palästinenser Sharif Waked reagierte mit seiner «Chic Point», einer Modenschau für absurde Kleidung, auf die politischen Verhältnisse seines Landes. Kleidung, die den Männerbauch offen lässt, da israelische Grenztruppen hinter jedem Passanten einen Selbstmordattentäter vermuten.

SHARIF WAKED, PALÄSTINA 2003, 7 MIN., DVD, VIDEO OHNE WORTE

CHIC POINT

SAMSTAG, 4. MÄRZ, 21.00 UHR SAMSTAG, 18. MÄRZ, 21.00 UHR

Rashid Masharawi erzählt eine eindrückliche Geschichte aus dem täglichen Leben im von Israel besetzten Palästina: Jaber arbeitet als Filmvorführer. Er will Kindern lustige Filme zeigen, die sie wenigstens einen Moment lang glücklich machen sollen. Mit seinem Projektor reist er in einem klapprigen Auto durchs Land und durch die unzähligen Sperren der Besatzungsmacht. Seine Frau Sana ist freiwillige Sanitäterin beim Roten Halbmond und hilft mit der Ambulanz. Jaber und Sana leben in einem Lager bei Ramallah. Auf Grund der steigenden Spannungen hat Jaber allerdings immer grössere Schwierigkeiten, mit seinem Fahrzeug bestimmte Orte zu erreichen. Dennoch lässt er sich überreden, eine Vorführung für eine Schule in der Altstadt von Jerusalem zu organisieren.

RASHID MASHARAWI, PALÄSTINA 2002, 85 MIN., 35MM, OV/DF, FIC.

TICKET TO JERUSALEM

DONNERSTAG, 2. MÄRZ, 21.00 UHR FREITAG, 3. MÄRZ, 21.00 UHR


SAMSTAG, 18. MÄRZ, 21.00 UHR

*NOCH NICHT BESTÄTIGT

DANAE ELON, ISRAEL 2004

ANOTHER ROAD HOME

SAMSTAG, 1. APRIL, 21.00 UHR

SAVERIO COSTANZO, ITALIEN 2003

PRIVATE

DONNERSTAG, 30. MÄRZ FREITAG, 31. MÄRZ, JE 21.00 UHR

DANAE ELON, ISRAEL 2004

ANOTHER ROAD HOME

SAMSTAG, 25. MÄRZ, 21.00 UHR

EYTAN FOX, ISRAEL 2003

WALK ON WATER

FREITAG, 24. MÄRZ, 21.00 UHR

SIMONE BITTON, FRANKREICH, 2004

LE MUR

DONNERSTAG, 23. MÄRZ, 21.00 UHR

SHARIF WAKED, PALÄSTINA 2003

CHIC POINT

RAM LOEVY, ISRAEL 2002

GAZA, L’ENFERMEMENT

In seinem Video-Tagebuch «Crossing Kalandia» setzt sich Sobhi al-Zobaidi mit dem Alltag während der al-Aqsa-Intifada, israelischen Angriffen und den Folgen des 11. September auseinander. Kalandia ist der berüchtigtste israelische Checkpoint. Ihn müssen der Filmemacher und seine Frau jedes Mal überqueren, wenn sie nach Jerusalem gehen – dort erfahren sie immer dieselben Erniedrigungen und Strukturen eines Apartheidsystems. In Kontrast zum Horror dieser alltäglichen Schikanen, der Zerstörung und dem Leid gelingt es Sobhi al-Zobaidi in bewundernswerter Weise, die Fähigkeit der Menschen einzufangen,

SOBHI AL-ZOBAIDI, PALÄSTINA 2003, 30 MIN., DVD, OV/E, DOC.

CROSSING KALANDIA

DONNERSTAG, 9. MÄRZ, 19.30 UHR

Ein Gefängnis mit einer Million Insassen: So sehen die BewohnerInnen des Gazastreifens ihr Land. Das palästinensische Gebiet umfasst 288 Quadratkilometer, umgeben von einem elektrischen Zaun. Die Bevölkerung des Gazastreifens lebt in grosser Armut, fruchtbares Land ist Mangel. Sie leben in Abhängigkeit von Israel, ihrem Feind. Je nach der politischen Lage öffnen und schliessen sich die Zäune für die Bevölkerung Gazas. Ram Loevy ist Israeli und Pazifist. Zusammen mit einem palästinensischen Team filmte er das Leben der Palästinenser im Gazastreifen. Menschenschlangen, die sich vor den Bussen bilden, palästinensische Arbeiter, die den Kontrollpunkt Erez passieren. Entstanden ist ein parteiischer Film, der die aktuelle politische Lage mit historischen Etappen verbindet, die zur Einschliessung des Landes führten. «Ist es möglich, in einem nicht endenden Konflikt die Dinge zu hören und zu sehen wie sie sind, wenn jedes Bild von vorneherein mit Bedeutung beladen ist? Ist es möglich, die Dinge von der anderen Seite aus zu betrachten?» (Ram Loevy)

RAM LOEVY, ISRAEL 2002, 60 MIN., DVD, OV/F, DOC.

GAZA, L’ENFERMEMENT

SAMSTAG, 4. MÄRZ, 21.00 UHR SAMSTAG, 18. MÄRZ, 21.00 UHR

Im Sommer 2002 reisen zwei Regisseure durch ihr Geburtsland. Der Palästinenser Michel Khleifi und der Israeli Eyal Sivan haben ihre Strecke auf eine Karte gemalt und sie die Route 181 getauft. Diese imaginäre Linie markiert die durch die UN-Resolution 181 vom 29. November 1947 geschaffene Grenze, die Palästina in zwei Staaten teilen sollte. Auf ihrer Reise treffen sie unbekannte Israelis und Palästinenser, die über ihr Leben und die Zukunft ihres Landes reden. Keine der Begegnungen wurden vorher vereinbart – keines Gespräche zuvor konzipiert. Route 181 ist der erste Film mit palästinensisch-israelischer CoRegie. Die Reise führt die beiden Filmemacher Michel Khleifi und Eyal Sivan vom Gaza-Streifen über Jerusalem bis hin zur libanesischen Grenze und eröffnet einen ungewöhnlichen Blick auf das Leben der EinwohnerInnen.

MICHEL KHLEIFI, EYAL SIVAN, FRANKREICH/BELGIEN/DEUTSCHLAND, 270 MIN., DVD, ARABISCH UND HEBRÄISCH/DF, DOC.

ROUTE 181, FRAGMENTS D’UN VOYAGE EN PALÉSTINE-ISRAEL

FREITAG, 10. MÄRZ, 21.00 UHR: 1 TEIL IN ANWESENHEIT VON MICHEL KHLEIFI SAMSTAG, 11. MÄRZ, 18.30 UHR: 2 TEIL SAMSTAG, 11. MÄRZ, 21.00 UHR: 3 TEIL

Bereits 2001 hat Al-Zabaidi in Looking Awry sich über die Fürsprecher von Oslo mockiert, heute sagt er, mache ich mich erneut lustig über die Fürsprecher des Friedens. Ein sehr persönlicher Film, sich über den Frieden lustig zu machen…

SOBHI AL-ZOBAIDI, PALÄSTINA 2005, 29 MIN., DVD, OV/E, DOC.

HAWAL AGAIN

DONNERSTAG, 9. MÄRZ, 19.30 UHR

weiterzuleben, ins Konzert oder ins Kino zu gehen. Vor allem aber zeigt er den Respekt und die Grosszügigkeit, die immer wieder auch PalästinenserInnen und Israelis miteinander verbinden – ganz im Gegensatz zu dem von den Politikern verordneten Hass.

Der Titel sagt exakt, worum es in dem Dokumentarfilm von Simone Bitton, einer aus Marokko stammenden Jüdin geht: um eine Mauer. Es ist diejenige, die Israel derzeit zwischen sich und den palästinensischen Gebieten errichtet. Die Filmemacherin greift damit eines der politisch brisantesten Themen auf und sucht doch einen Zugang, der so unpolitisch und so nahe am Leben ist wie möglich. Die Mauer schafft Grenzen, die so klar nie verlaufen sind und die nicht einfacher werden, weil nun Betonelement an Betonelement gereiht wird. Manchmal kann man während des Films einfach nur staunen über den logistischen Aufwand, der da betrieben wird, um einen Stein an den nächsten zu fügen, bis Israel eingeigelt ist und die palästinensischen Gebiete aus- und abgeschlossen sind.

SIMONE BITTON, FRANKREICH, 2004, 35MM, 96 MIN. OV/DF, DOC.

LE MUR

DONNERSTAG, 23. MÄRZ, 21.00 UHR

«Atash» bedeutet Durst. Und Durst ist etwas Allgegenwärtiges im Niemandsland, in dem der Familienvater Abu Shukri mit seiner Frau und den drei Kindern lebt. Um ihr Leben dort erträglicher zu machen und sich das mühselige Wasserholen zu sparen, beschliesst er eines Tages eine Wasserleitung zu bauen. Doch mit dem Wasser sprudeln auch die lange unterdrückten Gefühle, enttäuschten Hoffnungen und Einsamkeiten einer Familie, die in einer fast hermetisch abgegrenzten Welt lebt, plötzlich wieder an die Oberfläche. Zwar spürt man überall die Anwesenheit der Nahost-Konfliktes, thematisiert wird er selbst allerdings nicht, was übrigens westliche Stiftungen und Förderinstitutionen davon abhielt, diesen Film zu unterstützen, da in ihm die typischen Symbole des Konfliktes fehlen würden. Doch genau die Innenperspektive einer palästinensischen Familie ist es, die diesen Film zu einem grossartigen kleinen Meisterwerk werden lässt.

TAWFIK ABU WAEL, PALÄSTINA 2004, 110 MIN., 35MM, OV/D, FIC.

ATASH (DURST)

DONNERSTAG, 16. MÄRZ, 21.00 UHR FREITAG, 17. MÄRZ, 21.00 UHR


megafon 06.03

PROGRAMM

KINO

In «Walk on Water» ist der Mossad-Agent Eyal, ein patriotischer und einsamer Macho, der niemals Gefühle zeigt und die Welt in Schwarz/Weiss sieht. Er erhält den Auftrag, einen Nazi-Kriegsverbrecher zu jagen. Dadurch begegnet er dessen homosexuellen Enkelsohn Axel, einem naiven, fröhlichen und lebensbejahenden Pazifisten und Idealisten. Die Jagd nach dem alten Nazi, der übrigens vom jüdischen Darsteller Ernst Lenhard gespielt wird, ändert beide Männer und am Ende tanzen sie in der Villa der Familie am Wannsee einen israelischen Volkstanz. Die Begeisterung für den Film war so gross, dass die Veranstalter zwei zusätzliche Vorführungen organisierten. Fox konnte jedoch jahrelang keine Fördermittel für die Produktion bekommen. «Die Israelis konnten die Verbindung zwischen Homosexualität, dem Verhältnis zu den Palästinensern und dem Holocaust nicht verstehen», sagt Fox. «Die Deutschen fürchteten die Verbindung zwischen dem heutigen Deutschland und dem Nationalsozialismus. Ich sagte beiden, dass man unangenehme Themen nur überwinden kann, wenn man sich mit ihnen auseinandersetzt.»

EYTAN FOX, ISRAEL 2003, 103 MIN., 35MM, OV/DF, FIC.

WALK ON WATER

FREITAG, 24. MÄRZ, 21.00 UHR

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PRIVATE SAVERIO COSTANZO, ITALIEN 2003, 94 MIN., 35MM, ARABISCH/DF Mohammad B. lebt mit seiner fünfköpfigen Familie im Niemandsland zwischen einem palästinensischen Dorf und einem israelischen Militärstützpunkt – exakt in der Schusslinie der verfeindeten Parteien. Die israelische Armee beschliesst, diesen strategisch wichtigen Ort einzunehmen. Da Mohammad sich jedoch weigert, sein Haus zu verlassen, nimmt man eine beinah undenkbare ZonenAufteilung vor: Der obere Stock wird zum Militärlager, den unteren Stock bewohnt die Familie, die weiterhin ihren alltäglichen Verpflichtungen nachgehen darf, die Nacht aber im Aufenthaltsraum eingesperrt verbringen muss. Das Doku-Drama «Private» basiert auf einer wahren Begebenheit und erzählt von einer kleinen Welt, in der das Private politisch, das Politische privat geworden ist. Die Beweggründe der einzelnen Parteien kristallisieren sich auf den wenigen Quadratmetern Spielraum heraus, die die Protagonisten zur Verfügung haben. Indem Regisseur Saverio Costanzo den Nahost-Konflikt in vier Wände verlagert, gelingt es ihm, ungewöhnliche Einsichten zu vermitteln.

DANAE ELON, ISRAEL 2004, 77 MIN., DVD, OV/E, DOC. Fast zwanzig Jahre lang war der Palästinenser Musa Obeidallah für die Erziehung der israelischen Regisseurin Danae Elon, zuständig. Er kümmerte sich um des Mädchens Wohl von der Wiege bis zur seiner Einberufung ins israelische Militär. «Another Road Home» untersucht sehr differenziert die Beziehungen unter den Elon und den Obeidallah Familien, die gleichzeitig jene zwischen Palästina und Israel widerspiegeln. Der Film konfrontiert den Zuschauenden mit der ganzen Komplexität des israelisch-palästinensischen Konfliktes mit Gewalt, Politik, Klassen- und Geschlechterfragen. Gleichzeitig zeigt der Film, wie sich Unterwerfung, Besatzung und Widerstand auf die Mitglieder beider Familien ausgewirkt hat. «Another Road Home» ist nicht zuletzt ein Bekenntnis, dass Liebe die Menschen jegliche Grenzen überwinden lässt, seien diese religiöser, kultureller oder politischer Natur.

DONNERSTAG, 30. MÄRZ, 21.00 UHR FREITAG, 31. MÄRZ, 21.00 UHR

ANOTHER ROAD HOME

SAMSTAG, 25. MÄRZ, 21.00 UHR SAMSTAG, 1. APRIL, 21.00 UHR


DACHSTOCK

LSD MARCH

10 JAHRE RADIO RABE FEST, FEAT.: MO' HORIZONS ( CA F É D E L M A R ) , RALF DROESENMEYER & MARK «FOH» WETZLER ( S T E R E O D E LU X E ) , DANIEL IMHOF ( S U P E R N OVA ) , DJ DIFERENZ ( D U B Q U E S T )

SAMSTAG, 11. MÄRZ, 22.00 UHR

10 JAHRE RADIO RABE FEST, FEAT.: PYRANIA ( D ) , GREIS,GAUGEHILL, DJS KERMIT & PERCY (CH)

FREITAG, 10. MÄRZ, 22.00 UHR

LSD MARCH ( JA P )

SONNTAG, 5. MÄRZ, 21.00 UHR

NIGHT OF THE SOLO-ENTERTAINERS, FEAT.: GEOFF BERNER ( CA N ) , REVEREND BEATMAN ( B E ) , JENNY POPPER ( B E ) ,GUITARFUCKER ( V D ) , LINDSAY FERGUSON ( CA N )

SAMSTAG, 4. MÄRZ, 22.00 UHR

megafon 06.03

PROGRAMM

Klezmer hingezogen, unter die Leute bringt: Die Musik, welche von denjenigen gespielt wird, die dich deine Eltern nicht kennenlernen lassen möchten, in deren Texten es ums Trinken, Politik und Leidenschaften, kurz, um den Alltag geht. «Respect for the one who stands up there alone to represent a vision – don't talk, listen!».

Zu selten sind fast die Gelegenheiten, da die ganze Aufmerksamkeit eines Publikums der Darbietung eines einzelnen Menschen auf der Bühne zuteil wird. Die Herausforderung, die Spannung zu erzeugen, uns mit den dabei erzählten Geschichten zu fesseln. Sei dies mittels Elektronik und Cabaret, durch deren Verbindung uns wohl Jenny Popper, sonst auch als Akku oder Sandra Künzi unterwegs, in einer Art Elektro-Pop-Karaoke mit eigenen und wohl etwas fremden Songs unterhalten wird, sei dies in der Persiflierung und Pervertierung von Rock'n'Roll Frontmann-Gehabe, der sich endlich der lästigen Begeleitband entledigen konnte, wie sie der Waadtländer Guitarfucker zelebriert, oder dem urbanen Gospel des Reverend Beatman, dessen Lamente jedes Herz zu ergreifen und in der Luft zu zerreissen imstande sind. Ernsthaft aufwühlen wird uns die aus Ontario stammende Singer-Songwriterin Lindsay Ferguson, die mit Gitarre und Stimme unterwegs ist, ihre Erfahrungen und ihre Gefühlswelt mit den restlichen Erdlingen, soweit sie ihr zuhören, zu teilen, mit Anmut manchen Sonnenstrahl in fremde Wesen scheinen lassend. In einer kleinen Welt lebt sie zur Zeit in Luzern, was sie hier in Bern auf ihren Landsmann Geoff Berner aus Vancouver treffen lässt, welcher nach der Auflösung seiner Band Terror of Tiny Town als Singer-SongwriterAkkordeonist die Beweglichkeit, allein unterwegs zu sein, geniesst, ebenso wie den Umstand, dass die Leute endlich seine Texte akustisch mitbekommen. Denn um diese geht es vor allem in den Songs, welche er, von osteuropäischen Juden abstammend, nach einem Studien-Aufenthalt mit dem Akkordeon in Rumänien immer mehr zum

Immer wieder kommen Bands aus dem Land der aufgehenden Sonne, welche selbst altgediente Formeln wie Gitarre/Bass/Schlagzeug neu zu erfinden imstande sind. Dazu gehört sicher das von Gitarristen Michishita Shinsuke 1997 mit siebzehn Jahren gegründete Trio LSD March aus dem psychedelischen Untergrund von Tokio, nach einem Track auf dem ersten Album der Krautrocker Guru Guru benannt. Im Verbund mit Bassisten Kawaguchi Masami, der auch bei Miminokoto als Gitarrist und Keij Hainos eigenwilliger Coverband Aihiyo aktiv ist, und Drummer Takahashi Ikuro, der die Felle und Metalle für High Rise, Maher Shalal Hash Baz und Hainos Fushitsusha bearbeitet hat, entlädt das Trio von düster-dunklen Feedback-Orgien hin zu abgedrehtem Rock'n'Roll alles, was eine musikalische Welt von den Velvet Underground der späten 1960er-Jahre zu den Jam-Sessions von Acid Mother's Temple umfassen kann: Sanfte Balladen, brutalen Lärm, seltsam losgelöst und trotzdem berührend, mitreissend, doch mit Tiefgang. Nach dem Re-Issue des auf 300 limitierten Albums «Suddenly, Like Flames» auf dem amerikanischen Label Last Visible Dog, in Europa auf dem auf Perlen aus dem japanischen Untergrund spezialisierten, französischen Eclipse-Label, und dem Beitrag zu «The Night Gallery», einer Compilation aus dem zeitgenössischen japanischen Untergund, einer Schar Eingefleischten bekannt, bringt ihre erste Europa-Tour die Gelegenheit, sie auch live zu erleben.

NIGHT OF THE SOLO-ENTERTAINERS FEAT.: GEOFF BERNER ( CA N ) REVEREND BEATMAN ( B E ) JENNY POPPER ( B E ) SONNTAG, 5. MÄRZ, AB 21.00 UHR GUITARFUCKER ( V D ) LSD MARCH ( JA P ) LINDSAY FERGUSON ( CA N )

SAMSTAG, 4. MÄRZ, AB 22.00 UHR

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Die Art, wie sich in der baskischen Unabhängigkeitsbewegung volkstümliche Traditionen mit Ska und Punk verschränken, die dort schon zur Folklore geworden zu sein scheinen, ist wohl einzigartig. Gleich mit ihrer ersten Veröffentlichung 1997, und einer 7"-Single, welche vom … >

SKALARIAK ( B A S K E N L A N D ) & OBRINT PAS ( E )

SONNTAG, 12. MÄRZ, AB 21.00 UHR

Die Geschichte des ersten, nichtkommerziellen, kulturorientierten und multi-kulturellen lokalen Radios der Stadt Bern ist definitiv verhängt mit derjenigen des Kulturzentrums Reitschule, und so ist es auch nicht von ungefähr, dass das zehnjährige Bestehen des Radio RaBe hierorts mitgefeiert wird. Ein von RaBe gehostetes Programm mit den Schwerpunkten Hip Hop (Freitag) und Electronics (Samstag) wird den Rahmen der Feierlichkeiten im Dachstock setzen, nebst Aktivitäten in anderen Räumlichkeiten, das erste «Indoor Radio-Ballet» in der Geschichte des Senders zu verwirklichen.

10 JAHRE RADIO RABE FEST, FEAT.: MO' HORIZONS ( CA F É D E L M A R ) , RALF DROESENMEYER & MARK «FOH» WETZLER ( S T E R E O D E LU X E ) DANIEL IMHOF ( S U P E R N OVA ) DJ DIFERENZ ( D U B Q U E S T )

SAMSTAG, 11. MÄRZ, AB 22.00 UHR

10 JAHRE RADIO RABE FEST, FEAT.: PYRANIA ( D ) GREIS, GAUGEHILL, DJS KERMIT & PERCY ( C H )

FREITAG, 10. MÄRZ, AB 22.00 UHR


DACHSTOCK

WHO MADE WHO ( D K ) , SUPPORT: ROUND TABLE KNIGHTS ( B E )

FREITAG, 31. MÄRZ, 22.00 UHR

BLAST ( N L / I / C H )

DONNERSTAG, 30. MÄRZ, 21.00 UHR

ALICE RUSSELL FEAT.: TM JUKE ( Q U A N T I C ORCHESTRA, TRU THOUGHTS/UK), SUPPORT: DJS STUDER TM ( B O N Z Z A J / V S )

SAMSTAG, 25. MÄRZ, 22.00 UHR

ROOTS, REGGAE, DANCEHALL SPECIAL FEAT.: DJ MOYA & MC JAH ED, BOSS HI-FI FEAT. DJ BUZZ ( JA M / C H )

FREITAG, 24. MÄRZ, 22.00 UHR

MARBLE SHEEP ( JA P ) , RED SPAROWES ( U S A ) , DRIVE BY SHOOTING ( D )

SONNTAG, 19. MÄRZ, 21.00 UHR

DACHSTOCK DARKSIDE PRESENTS: DJ TRACE (DSCI4/UK), SUPPORT: DJS VCA ( B I OT I C R E C S . ) , DEEJAY MF ( U T M )

SAMSTAG, 18. MÄRZ, 22.00 UHR

HUGO RACE & TRUE SPIRIT ( A U S ) , SUPPORT: DELANEY DAVIDSON ( N Z / C H )

FREITAG, 17. MÄRZ, 22.00 UHR

SKALARIAK ( B A S Q U E C O U N T R Y ) & OBRINT PAS ( E )

SONNTAG, 12. MÄRZ, 21.00 UHR

megafon 06.03

PROGRAMM

Noch als Teenager verunsicherte er Bühnen mit Nick Cave's Birthday Party, bevor er 1983 Teil der Urformation von dessen Bad Seeds wurde. 1985 verliess Hugo Race die Band, um in Melbourne mit The Wreckery eine über Australien hinaus Kultstatus erlangende 80ies GarageBlues-Band zu gründen. Nach dem letzten Album dieses Projekts, «Laying Down Law», zog er 1989 nach Berlin, wo er sein Kollektiv True Spirit ins Leben rief, seine Aktivitäten als Produzent, Multi-Instrumentalist, Songwriter, Soundtrack-Komponist, und Schauspieler bündelte, von wo aus er mal solo als Singer-/Songwriter, mal mit True Spirit die Welt bereist hat. Inzwischen hat der Weltenbummler an mehreren Orten seine Basis errichtet, unter anderem in Italien, wo er einen Teil seiner Projekte verwirklicht. Mit dem diesen Februar erscheinenden Album «Taoist Priests» schliesst Hugo Race eine Reihe von Veröffentlichungen ab, welche ihn seine musikalische Welt ohne weitere Vorgaben ausloten sahen, als nur was echt und tief ist aus sich herauszuholen. Daraus resultierten

HUGO RACE & TRUE SPIRIT (AUS) SUPPORT: DELANEY DAVIDSON ( N Z / C H )

FREITAG, 17. MÄRZ, AB 22.00 UHR

baskischen Fernsehen als Signet für eine Sommersendereihe verwendet wurde, erlangte die achtköpfige Band Skalariak über ihre Heimat hinaus Aufmerksamkeit. Bis zur Veröffentlichung ihres zweiten Albums 1999 waren schon Touren durch Frankreich, Italien und Spanien unternommen, es folgten Touren durch weitere Teile Europas, und eine vierwöchige durch Mexiko. Inzwischen wurden ihre Alben auch in Deutschland und Frankreich (Mad Butcher) und Italien (Gridaldo Forte) herausgebracht, und ihr Name steht für ihre eigene Mischung aus traditionellem Ska und Reggae mit einer Spur Punk, offenbar eine Universalsprache. Dieser bedient sich auch Obrint Pas, eine Formation aus der katalanischen Hauptstadt Valencia, welche mit ihrem «Rebel Ska» Skalariak auf dieser Tour begleitet.

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

Filmsoundtracks, vom musikalischen Geschehen bestimmt, das nur an der Oberfläche ruhig zu sein scheint, während untergründig ein wahres instrumentales ActionSpektakel stattfindet. Unnötig zu sagen, dass es sich um den Soundtrack zu einem Breitleinwand-Film handelt, episch ohne pathetisch zu werden, musikalisch auf abenteuerlichem Terrain. – Aus dem psychedelischen Untergrund Tokios stammen die Marble Sheep, welche 1987 von Ken Matsutani, dem ehemaligen Gitarristen von White Heaven, gleichzeitig Kopf des Captain Trip Labels und Vertriebes, ins Leben gerufen wurden. Anfänglich bekannt für ausgedehnte Jams und avantgardistische Improvisationen, Covers von Pink Fairies- und Velvet UndergroundSongs, wurde mit der Zeit mehr von der rauhen, wilden Energie des Rock'n'Roll von MC5 oder den Stooges im Sound hörbar, immer in dieser Gruppen aus Japan eigenen, überdrehten Art. Diese Entwicklung hat ihre Entsprechung im Line Up gefunden, welches zur Zeit aus zwei von einer Drummerin und einem Drummer bedienten Schlagzeugen, Synthesizer, Bassistin und Gitarre besteht, in welchem sie schon eine ganze Reihe von Alben herausgebracht haben, zuletzt «The Gate Of A Heavenly Body», welche das in Berlin ansässige Label Fünfundvierzig auch für Europa zugänglich macht. Erstaunlich, dass eine Band, deren Namen im gleichen Atemzug mit Acid Mother's Temple, White Heaven oder Ghost genannt wird, dadurch zum ersten Mal zu einer Europa-Tour findet, deren einzige CHStation Bern sein wird. – Aus Berlin mit auf die Tour von Marble Sheep geschickt wurden Drive By Shooting, eine Gruppe, die in Bezug auf Derbheit, Geschwindigkeit, und dreckiges Abgerocke noch einen Zacken zulegen wird. «Punk trifft auf bluesigen Noiserock mit ordentlich WahWah und einer Ladung Motörhead im Blut» (Flying Revolverblatt), wahlweise: «Schneller, völlig benebelter Drogenrock mit pfundweise Effekten und dreckigen Riffs» (Green Hell).

(NL/I/CH)

Der Dancefloor wird nicht müde, mit zahlreichen BastardHybriden neue Trends zu setzen, in immer neuen Spielarten die Leute, die sich darauf befinden, in Bewegung zu versetzen, gleichzeitig Musiker und Produzenten zu neuen Experimenten anzuregen. Eine dieser neuen Richtungen

WHO MADE WHO ( D K ) SUPPORT: ROUND TABLE KNIGHTS ( B E )

FREITAG, 31. MÄRZ, AB 22.00 UHR

Nach einigen Auftritten auf unserer Bühne mit Gästen, unter anderen Saadet Türköz und Hans Koch, gibt es die Musik des internationalistischen Projektes Blast wieder einmal im Quartett zu hören: In der Verbindung von progressivem Rock, wie er vor allem in den 1970er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts gespielt wurde, experimentellem Jazz, und komponierter, zeitgenössischer E-Musik, schaffen die Holländer Dirk Bruinsma (reeds) und Frank Crijns (guitar), der Bassist Paed Conca aus Bern, wobei alle drei Kompositionen beisteuern, im Verbund mit dem italienischen Schlagzeuger Fabrizio Spera eine musikalische Welt, die beim ersten Hinhören dem leichten Zugang verschlossen bleibt, mit der Zeit jedoch ihren Facettenreichtum offenbart, durch die Verbindung von komponiertem Material mit freier Improvisation ständig neu entsteht und lebendig bleibt, am Ende auf die Zuhörenden befreiend wirkt, indem sie Konventionen und Hörgewohnheiten auflöst.

BLAST

DONNERSTAG, 30. MÄRZ, AB 21.00 UHR

ti, Nature Boy und Quantic mitproduziert wurde, ausschliesslich zusammen mit TM Juke schrieb und einspielte, was der Produktion gegenüber dem Erstling einiges mehr an Dichte verleiht. Ein Publikum auch auf dem Kontinent von den Qualitäten ihrer Stimme zu überzeugen, setzt Alice Russell nun zu einer Live-Tour an, die sie an der Seite von TM Juke als Frontfrau ihrer Band sieht.


1. APRIL: NO INFO (I) / 7. APRIL: AWOL ONE (USA) / 8. APRIL: NORTHERN SOUL, VOL. V / 14. APRIL: FOR GOD CONSOUL (D) / 15. APRIL: MOUTHWATERING CLUBNIGHT / 16. APRIL: GUTBUCKET (USA) / 20. APRIL: BRANT BJORK & THE BROS. (USA) / 22. APRIL: ED BANGER LABELNIGHT (F) / 28. APRIL: KLASHNEKOFF (UK) / 29. APRIL: DACHSTOCK DARKSIDE

VORSCHAU: DACHSTOCK IM APRIL

ALICE RUSSELL GEOFF BERNER

RECS.)

Nicht nur geographisch, wo der Weg der Bahn der Sonne nach von Tokio über Berlin nach Los Angeles führt, auch musikalisch werden an diesem Abend Distanzen zurückgelegt, wie sie Tag und Nacht trennen, verbunden durch das Zwielicht der Dämmerung. «At The Soundless Dawn» heisst das letztes Jahr veröffentlichte Debut der Red Sparowes, dessen sieben Titel jeweils aus ganzen Sätzen bestehen, die nacheinander gelesen einen zusammenhängenden Abschnitt ergeben. Dementsprechend ihre Musik Sound-Poesie zu nennen, mag zutreffen, beinhaltet aber nur einen Teil dessen, was das Kollektiv aus dem Umfeld von Isis, Neurosis, Dillinger Escape Plan und weiteren Bands schafft: Aus scheinbar minimalen InstrumentalPassagen wachsen Landschaftsbilder, assoziationsreiche

RED SPAROWES ( N E U R OT / U S A ) MARBLE SHEEP ( JA P ) DRIVE BY SHOOTING ( D )

SONNTAG, 19. MÄRZ, AB 21.00 UHR

Zusammen mit Ed Rush und Nico gehörte er zu den Begründern des No U-Turn-Labels, zu dessen Erfolgen er mit einigen Tracks beitrug. Um die Jahrtausendwende verlagerte er seinen Heimatsitz nach Philadelphia, ohne dass es dabei um ihn stiller geworden wäre, wie die Veröffentlichungen auf seinem neuen Label DSCI4 beweisen, ebenso wie das auf Breakbeat Science erschienene Album «23 Degrees from Vertical», welches eine Reihe von DSCI4-12"es vereint.

DJ TRACE ( D S C I 4 / U K ) SUPPORT: DJS VCA ( B I OT I C DEEJAY MF ( U T M )

DACHSTOCK DARKSIDE PRESENTS:

SAMSTAG, 18. MÄRZ, AB 22.00 UHR

Alben, welche von auf die Knochen reduziertem Blues, über psychedelisch angehauchten Rock und Drone-Noise, eleganten Trip Hop, zu traumartigen Ambient-SoundtrackLandschaften, eine ganze Palette von Klangwelten durchwandern. Mit dem neuen Album will er nun die verschiedenen Schattierungen seiner musikalischen Identität, die Erfahrungen beim Experimentieren mit Produktionsmethoden, die Essenz aus den vergangenen sechs Werken, in neue Songs verarbeitet präsentieren.

FREITAG, 24. MÄRZ, AB 22.00 UHR

Nicht wenige staunten als sie erfuhren, dass die unter dem Namen Quantic veröffentlichten Jazz-, Soul- und Funk-Themen, die da, mit Breaks und Afrobeats versehen, für den Dancefloor aufpoliert wurden, von einem jungen, weissen DJ und Musiker arrangiert worden waren: Vom Erfolg seines Rezepts beflügelt, trug Will Holland sein Ding eine Stufe höher, und gründete mit dem Quantic Soul Orchestra, zusammen mit einer Reihe ebenso junger Virtuosen auf ihren jeweiligen Instrumenten, die vollkommen ohne Samplings auskommende Live-Version seiner Formel, derjenigen des amerikanischen Breakestra verwandt. Noch einmal ins Staunen versetzt wurde die Welt beim Erscheinen von dessen Debut «Stampede», oder anlässlich einer der raren Gelegenheiten, das Orchester live zu sehen, wenn offenbar wurde, dass diese reifen, ausdrucksvoll und selbstsicher vorgetragenen Vocals nicht einer schwarzen Soul-Diva, sondern der ausgebildeten Stimme der ebenso jungen und weissen Alice Russell aus Brighton zuzuschreiben waren. Nun liegt mit «My Favourite Letters» ihr zweites Solo-Album vor, welches sie, nachdem ihr erstes von Leuten wie Bah Samba, Kush-

(BONZZAJ/VS)

SUPPORT: DJS STUDER TM

TRU THOUGHTS/UK)

ALICE RUSSELL FEAT.: TM JUKE ( Q U A N T I C O R C H E S T R A ,

SAMSTAG, 25. MÄRZ, AB 22.00 UHR

DJ Buzz vertritt an diesem Abend Boss Hi-Fi, die Nummer 1 Juggling Sound Crew Zürichs, die unter anderen jeden Montag Zürichs schönste Bar, «Stall 6» des Theaterhauses Gessnerallee, und das monatliche Reggae- und Soundsystem-Event der Roten Fabrik «Enter the Dancehall» als Resident-DJs rockt. Aus Bern stammt der vor sieben Jahren gegründete More Fire Sound, mit Moya als Selecter und Jah Ed am Mikrophon. «Move your Feet to that Rocksteady Beat, it's Dancehall Night, can you feel the Heat?».

DJ MOYA & MC JAH ED, BOSS HI-FI FEAT. DJ BUZZ ( JA M / C H )

ROOTS, REGGAE, DANCEHALL SPECIAL FEAT.:

(BE) Bereits zum siebten Mal findet dieses Jahr der Antifaschistische Abendspaziergang statt, ein Zeichen gegen das erstarkende Selbstbewusstsein unserer braunen Zeitgenossen zu setzen. Einmal mehr soll der Geist der Veranstaltung nach der Demonstration in unserem Haus, das sich mit den Anliegen des veranstaltenden Bündnisses solidarisiert, weiterleben, der Beweis erbracht werden, dass schnelle, laute und harte Musik, welche Nazi-Gedankengut vermittelt, eine Randerscheinung in der Musikszene darstellt. Hardcore und Punk, wie wir ihn leben und verstehen, ist ein Ausdruck der Wut der Unterdrückten, eine gemeinsame Sprache der Ausgegrenzten, ein Aufruf zum Widerstand, nie eine Aufforderung, Leben zu vernichten. Dass die Qualität der Inhalte, die mit der Musik vermittelt werden, in Wechselwirkung mit derjenigen der sie transportierenden Musik steht, dass dem Nazi-Punk die Marschmusik zugrundeliegt, intelligente Texte dagegen auch von musikalisch verfeinert zu Werke gehenden Menschen begleitet werden, lässt sich unschwer erkennen. So auch bei No Info aus Turin, wohl nicht von ungefähr der italienischen Hardcore-Hauptstadt, die schon Negazione und I Fantastici 4 hervorgebracht hat. Bemerkenswert, dass ihre zweite Veröffentlichung «Nothing 'till now» von nicht weniger als 14 unabhängigen italienischen Labels herausgebracht wurde.

NO INFO ( I ) STONED MONKEYS

SAMSTAG, 1. APRIL, AB 22.00 UHR

nennt sich Electroclash, taugt aber nicht zu umschreiben, was die drei Dänen von Who Made Who auf die Bretter legen: Ein Schlagzeuger, der auch Electronics beisteuert, der früher als House-DJ tätig war, ein Bassist und Sänger, der aus der Garage-Szene stammt, und ein vom Jazz her kommender Gitarrist schaffen einen Sound, der ebenso ihre gemeinsame Liebe für Disco, Funk und Pop, allen voran für Italo-Disco offenbart, wie er Elemente aus der Rockmusik, Post-Punk und New Wave, ein Flair für akustischen Electro aus den 1980ern enthält. Wie es sich gehört, kommt das Ganze mit einer gehörigen Portion Humor und Ironie daher, die ihren Ausdruck vor allem auch in ihrer schrillen Bühnen-Präsenz findet. Eh wird ihren Live-Auftritten nachgesagt, dass sie die Musik des Trios dem Publikum am besten nahe zu bringen vermögen.


1. APRIL: NO INFO (I) / 7. APRIL: AWOL ONE (USA) / 8. APRIL: NORTHERN SOUL, VOL. V / 14. APRIL: FOR GOD CONSOUL (D) / 15. APRIL: MOUTHWATERING CLUBNIGHT / 16. APRIL: GUTBUCKET (USA) / 20. APRIL: BRANT BJORK & THE BROS. (USA) / 22. APRIL: ED BANGER LABELNIGHT (F) / 28. APRIL: KLASHNEKOFF (UK) / 29. APRIL: DACHSTOCK DARKSIDE

VORSCHAU: DACHSTOCK IM APRIL

ALICE RUSSELL GEOFF BERNER

RECS.)

Nicht nur geographisch, wo der Weg der Bahn der Sonne nach von Tokio über Berlin nach Los Angeles führt, auch musikalisch werden an diesem Abend Distanzen zurückgelegt, wie sie Tag und Nacht trennen, verbunden durch das Zwielicht der Dämmerung. «At The Soundless Dawn» heisst das letztes Jahr veröffentlichte Debut der Red Sparowes, dessen sieben Titel jeweils aus ganzen Sätzen bestehen, die nacheinander gelesen einen zusammenhängenden Abschnitt ergeben. Dementsprechend ihre Musik Sound-Poesie zu nennen, mag zutreffen, beinhaltet aber nur einen Teil dessen, was das Kollektiv aus dem Umfeld von Isis, Neurosis, Dillinger Escape Plan und weiteren Bands schafft: Aus scheinbar minimalen InstrumentalPassagen wachsen Landschaftsbilder, assoziationsreiche

RED SPAROWES ( N E U R OT / U S A ) MARBLE SHEEP ( JA P ) DRIVE BY SHOOTING ( D )

SONNTAG, 19. MÄRZ, AB 21.00 UHR

Zusammen mit Ed Rush und Nico gehörte er zu den Begründern des No U-Turn-Labels, zu dessen Erfolgen er mit einigen Tracks beitrug. Um die Jahrtausendwende verlagerte er seinen Heimatsitz nach Philadelphia, ohne dass es dabei um ihn stiller geworden wäre, wie die Veröffentlichungen auf seinem neuen Label DSCI4 beweisen, ebenso wie das auf Breakbeat Science erschienene Album «23 Degrees from Vertical», welches eine Reihe von DSCI4-12"es vereint.

DJ TRACE ( D S C I 4 / U K ) SUPPORT: DJS VCA ( B I OT I C DEEJAY MF ( U T M )

DACHSTOCK DARKSIDE PRESENTS:

SAMSTAG, 18. MÄRZ, AB 22.00 UHR

Alben, welche von auf die Knochen reduziertem Blues, über psychedelisch angehauchten Rock und Drone-Noise, eleganten Trip Hop, zu traumartigen Ambient-SoundtrackLandschaften, eine ganze Palette von Klangwelten durchwandern. Mit dem neuen Album will er nun die verschiedenen Schattierungen seiner musikalischen Identität, die Erfahrungen beim Experimentieren mit Produktionsmethoden, die Essenz aus den vergangenen sechs Werken, in neue Songs verarbeitet präsentieren.

FREITAG, 24. MÄRZ, AB 22.00 UHR

Nicht wenige staunten als sie erfuhren, dass die unter dem Namen Quantic veröffentlichten Jazz-, Soul- und Funk-Themen, die da, mit Breaks und Afrobeats versehen, für den Dancefloor aufpoliert wurden, von einem jungen, weissen DJ und Musiker arrangiert worden waren: Vom Erfolg seines Rezepts beflügelt, trug Will Holland sein Ding eine Stufe höher, und gründete mit dem Quantic Soul Orchestra, zusammen mit einer Reihe ebenso junger Virtuosen auf ihren jeweiligen Instrumenten, die vollkommen ohne Samplings auskommende Live-Version seiner Formel, derjenigen des amerikanischen Breakestra verwandt. Noch einmal ins Staunen versetzt wurde die Welt beim Erscheinen von dessen Debut «Stampede», oder anlässlich einer der raren Gelegenheiten, das Orchester live zu sehen, wenn offenbar wurde, dass diese reifen, ausdrucksvoll und selbstsicher vorgetragenen Vocals nicht einer schwarzen Soul-Diva, sondern der ausgebildeten Stimme der ebenso jungen und weissen Alice Russell aus Brighton zuzuschreiben waren. Nun liegt mit «My Favourite Letters» ihr zweites Solo-Album vor, welches sie, nachdem ihr erstes von Leuten wie Bah Samba, Kush-

(BONZZAJ/VS)

SUPPORT: DJS STUDER TM

TRU THOUGHTS/UK)

ALICE RUSSELL FEAT.: TM JUKE ( Q U A N T I C O R C H E S T R A ,

SAMSTAG, 25. MÄRZ, AB 22.00 UHR

DJ Buzz vertritt an diesem Abend Boss Hi-Fi, die Nummer 1 Juggling Sound Crew Zürichs, die unter anderen jeden Montag Zürichs schönste Bar, «Stall 6» des Theaterhauses Gessnerallee, und das monatliche Reggae- und Soundsystem-Event der Roten Fabrik «Enter the Dancehall» als Resident-DJs rockt. Aus Bern stammt der vor sieben Jahren gegründete More Fire Sound, mit Moya als Selecter und Jah Ed am Mikrophon. «Move your Feet to that Rocksteady Beat, it's Dancehall Night, can you feel the Heat?».

DJ MOYA & MC JAH ED, BOSS HI-FI FEAT. DJ BUZZ ( JA M / C H )

ROOTS, REGGAE, DANCEHALL SPECIAL FEAT.:

(BE) Bereits zum siebten Mal findet dieses Jahr der Antifaschistische Abendspaziergang statt, ein Zeichen gegen das erstarkende Selbstbewusstsein unserer braunen Zeitgenossen zu setzen. Einmal mehr soll der Geist der Veranstaltung nach der Demonstration in unserem Haus, das sich mit den Anliegen des veranstaltenden Bündnisses solidarisiert, weiterleben, der Beweis erbracht werden, dass schnelle, laute und harte Musik, welche Nazi-Gedankengut vermittelt, eine Randerscheinung in der Musikszene darstellt. Hardcore und Punk, wie wir ihn leben und verstehen, ist ein Ausdruck der Wut der Unterdrückten, eine gemeinsame Sprache der Ausgegrenzten, ein Aufruf zum Widerstand, nie eine Aufforderung, Leben zu vernichten. Dass die Qualität der Inhalte, die mit der Musik vermittelt werden, in Wechselwirkung mit derjenigen der sie transportierenden Musik steht, dass dem Nazi-Punk die Marschmusik zugrundeliegt, intelligente Texte dagegen auch von musikalisch verfeinert zu Werke gehenden Menschen begleitet werden, lässt sich unschwer erkennen. So auch bei No Info aus Turin, wohl nicht von ungefähr der italienischen Hardcore-Hauptstadt, die schon Negazione und I Fantastici 4 hervorgebracht hat. Bemerkenswert, dass ihre zweite Veröffentlichung «Nothing 'till now» von nicht weniger als 14 unabhängigen italienischen Labels herausgebracht wurde.

NO INFO ( I ) STONED MONKEYS

SAMSTAG, 1. APRIL, AB 22.00 UHR

nennt sich Electroclash, taugt aber nicht zu umschreiben, was die drei Dänen von Who Made Who auf die Bretter legen: Ein Schlagzeuger, der auch Electronics beisteuert, der früher als House-DJ tätig war, ein Bassist und Sänger, der aus der Garage-Szene stammt, und ein vom Jazz her kommender Gitarrist schaffen einen Sound, der ebenso ihre gemeinsame Liebe für Disco, Funk und Pop, allen voran für Italo-Disco offenbart, wie er Elemente aus der Rockmusik, Post-Punk und New Wave, ein Flair für akustischen Electro aus den 1980ern enthält. Wie es sich gehört, kommt das Ganze mit einer gehörigen Portion Humor und Ironie daher, die ihren Ausdruck vor allem auch in ihrer schrillen Bühnen-Präsenz findet. Eh wird ihren Live-Auftritten nachgesagt, dass sie die Musik des Trios dem Publikum am besten nahe zu bringen vermögen.


Der Umgang mit Überwachungskameras, deren Hintergründe, Risiken und Auswirkungen sind die Ausgangslage zu «normiert». Bestimmte Verhaltensweisen werden als verdächtig, nicht erwünscht und überwachenswert eingeordnet. Man soll sich an einem bestimmten normierten und akzeptierten Verhalten orientieren. Normale, stereotype Alltagsbewegungen und einfache Gesten in der

In «entlaufenes ich» geht Daria Gusberti von der Situation alter, an Alzheimer erkrankten Menschen aus und erforscht, wie sich Desorientierung im Körper, in Bewegungen sowie in der Psyche auswirken kann. In Fragmenten beschreibt sie den Weg des Verfalls, die «Poesie des Scheiterns» von dementen alten Leuten. Die Orientierung zum Körper geht verloren, einfache Bewegungsabläufe entgleiten. Sinnentleerte, zweckentfremdete Bewegungen entstehen. Eigene Gesetzmässigkeiten und Regeln entführen sie in eine andere Welt. Zwischen Verwirrung und Angst tauchen Momente von Einfachheit und Zufriedenheit auf. Am Schluss bleibt aber das Auseinandergleiten ihrer inneren und der äusseren Realität.

In «a place like home» geht es um die Orientierung in der Heimat und in der Fremde. Heimat als ein Nest, das Geborgenheit, Vertrautheit und Sicherheit bietet, in dem die Tänzerin sich klar orientieren kann. Schliesslich bricht sie aus der Geborgenheit und zunehmenden Eintönigkeit auf, erkundet fremdes Neuland. Andere Orientierungen, Verhaltensweisen und Bewegungen tauchen auf. Die Grenze zwischen Heimat und Fremde verwischt, indem die Fremde langsam zur zweiten Heimat wird. «Heimaten» gibt es schlussendlich viele, und diese trägt die Tänzerin mit sich herum.

Die Choreografin und Tänzerin Daria Gusberti fokussiert in den drei Solostücken «a place like home», «entlaufenes ich» und «normiert» verschiedene Situationen von Orientierung und Desorientierung.

EIN TANZSOLO IN DREI TEILEN VON DARIA GUSBERTI. CHOREOGRAFIE UND TANZ: DARIA GUSBERTI. DRAMATURGIE: BEATRICE BURKART.

«DES.ORIENTIERUNG»

DONNERSTAG, 9. MÄRZ, 20.30 UHR FREITAG, 10. MÄRZ, 20.30 UHR SAMSTAG, 11. MÄRZ, 20.30 UHR

«Gaddafi rockt» ist Gegenwartstheater zu einem brennenden Thema, im richtigen Moment. Längst kein Geheimtipp unter den deutschen Autoren ist der 1964 in Hamburg geborene Oliver Czeslik. Er ist ein Sprachkünstler und ein scharfer Beobachter, der mit seinen Stücken wichtige Denkanstösse liefert. Czeslik hat mit Havarie in Afrika das erste deutschsprachige Stück zum BosnienKrieg geschrieben. Mit «gaddafi rockt» - vor dem 11. September und vor dem Geiseldrama im Moskauer MusicalTheater «Nord-Ost» entstanden - ist ihm ein fast schon visionäres Stück gelungen. Im Mittelpunkt steht ein Muslim, der von Hintermännern ausgeschickt wird, sich in einem Theater selbst in die Luft zu sprengen. Terrorismus, Islamismus, Fundamentalismus. Die neuen Feindbilder kommen zur Sprache und führen den Generalverdacht, unter dem Muslime heute bei uns stehen, ad absurdum: Die medial geschürten Feindbilder und Vorurteile halten einer Prüfung nicht Stand. Der Terrorist kann letztlich seiner wahren Identität nicht entfliehen.

Bei «gaddafi rockt» steht «rockt» nicht nur im Titel, sondern der Abend rockt auch! Pascal Ulli führt die Zuschauer nicht in eine Eins-zu-eins-Situation des gekidnappten Publikums, sondern verleiht der Inszenierung den Charakter eines Rockkonzertes. Der Audiokünstler Jörg Köppl wird zusammen mit dem Schauspieler Daniel Rohr auf der Bühne sein. Der Text von Czeslik funktioniert einerseits stark über den Inhalt, andererseits über den Rhythmus der Sprache. Köppl begleitet und verfremdet Rohrs Sprechkunst live. Er arbeitet seit Jahren an neuen Klängen, die er aus verschiedenen Materialien und Gegenständen herausfiltert und zu einem neuen Sounderlebnis am Computer zusammenbaut. Für «gaddafi rockt» hat er eigens ein Programm entwickelt, das neue Klänge aus einer E-Gitarre herausfiltert. Der Monolog ist ein eindringlicher Hilfeschrei. Sprache, Rhythmus, Sound und neue Klänge gewähren dem Zuschauer einen Einblick in das verwirrte Hirn unseres Protagonisten.

Liebe zu Susanne. In seinem trancehaften Monolog verirrt er sich in die Sphäre der islamischen Terror- und Fundamentalistenwelt, aus deren Geschlossenheit es kein Entrinnen mehr gibt. Werner Mittgross ist der letzte Mohikaner in einer Welt, in der nur noch die Prärie des Geldes herrscht und die die grossen Erzählungen verloren hat.


SOUS LE PONT

Radio RaBe, das Berner Kultur-Radio feiert seinen zehnten Geburtstag in der Reitschule: Im Sous Le Pont gibts Musik aus dem Schweizer Untergrund.

THAILAND SPEZIALITÄTEN

MITTWOCH, 8. MÄRZ 19.00 UHR

FLOHMARKT MIT BRUNCH

SONNTAG, 5. MÄRZ, 09.00-16.00 UHR

INDIEN SPEZIALITÄTEN

MITTWOCH, 1. MÄRZ, 19.00 UHR

megafon 06.03

PROGRAMM

(BE)

& SURPRISE ACT

Und… kein Geburtstagsfest ohne Überraschungen…

Die drei Mannen zelebrieren Troubadour-Musik adaptiert auf das 21. Jahrhundert. Schamlos klauen sie Riffs und Texte anderer Musiker und kreieren daraus ihre eigenen Ohrwürmer. Tomazobi sind unterhaltend, lustig und laden sogar ein, das Tanzbein zu schwingen.

TOMAZOBI

10 JAHRE RABE FEST

SAMSTAG, 11. MÄRZ, 22.00 UHR

THE FUCKADIES zelebrieren lauten Gentlemen-Rock ohne die unnötige Gitarren-Akrobatik, die eh niemanden interessiert. Aufs Wesentliche abgespeckte Songs mit Punkrock-Attitüde, die von Herzen kommen. Seit 2001 regelmässig durch Europa unterwegs, gibt das stets gut angezogene Quartett auf der Bühne alles, sei es vor fünf oder 500 durstigen Seelen. Schwere Zeiten und gebrochene Herzen haben noch nie besser getönt!

It's high noon, zumindest was die Dringlichkeit des Musikerlebnisses anbetrifft. Die Sonne bleibt in Deckung. Ein harter Wind bläst vom Rio Bravo her. Sechs Stiefel baumeln in der Luft. Schau höher Sergio! Das ist Musik. Der Aufhänger erweist sich als cleverer Trick. The sound is stilll alive. Das wird jetzt doch noch mit dem Wilden Westen. ZENO TORNADO bläst den Pulverdampf vom Gitarrenhals. Und die GOOGLE BROTHERS laden genüsslich nach…

(BS) Laute Rockgitarren aus den 1970ern, eine Handvoll Punkrock, Rauch und Schweiss. Fertig ist die Mischung, welche die Hüften der ZuhörerInnen zum Wackeln bringt und das Bier fliessen lässt. Die Bandmitglieder von Leaflet wohnen entlang der Achse des Bösen – Bern, Zofingen, Zürich. Shouter Sandro Peri-

LEAFLET ( B E ) THE BIG BANG BOOGIE

RADIESCHEN NACHT#11 RADIO RABE 95.6 MHZ

FREITAG, 24. MÄRZ, 22.00 UHR

LIBANON SPEZIALITÄTEN

MITTWOCH, 22. MÄRZ, 19.00 UHR

TÜRKEI SPEZIALITÄTEN

MITTWOCH, 15. MÄRZ, 19.00 UHR

Der Sonntag beginnt schon um 14 Uhr und RABE präsentiert Musik und Bands aus der ganzen Welt.

MIT HORNKNOX (BERN) / TAMANACO (SÜDAMERIKA) / ELA,ELA (GRIECHENLAND) / VICIANUM (BALKAN) / KARADJORDJE (SERBIEN) / DALLENDYSHE (ALBANIEN) / ANDROMEDA (BOSNIEN/CH/SERBIEN) / KUTÜSCH (KURDISTAN) / BHRATHA SHESTRA NADALAYAM (SRI LANKA) / FRAUENCHOR (JAPAN+CHINA LIEDER) / LAS PALOMAS (MEXICO) / TERRA CALIENTE (TANZGRUPPE LATEINAMERIKA+PERU) / DOMINIKANISCHE REPUBLIK (MUSIK+TANZ).

WORLDMUSIC & LATIN DISCO MIT DJ LUCA

FUCKADIES ( B E ) ZENO TORNADO & THE BONEY GOOGLE BROTHERS ( B E )

SONNTAG, 12. MÄRZ, 14.00 UHR

10 JAHRE RABE FEST

10 JAHRE RABE FEST

FREITAG, 10. MÄRZ, 22.00 UHR

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15 Minuten berühmt sein! Sieben Jahre Offene Bühne mit durchschnittlich fünf Acts, ergibt 400 Acts und 6000 Minuten Darbietung seit 1999!!!

OFFENE BÜHNE #80

MITTWOCH, 29. MÄRZ, 22.00 UHR

CHINA SPEZIALITÄTEN

MITTWOCH, 29. MÄRZ, 19.00 UHR

Nach dem nicht ganz überraschenden Erfolg der ersten und der zweiten Tangonacht im SousLePont können wir den Crashkurs von 19-20.30 Uhr nur noch mit Reservation anbieten. Dr Gschwinder isch dr Schneller! Reservationen per Mail an slp@reitschule.ch. Die Reitschule und das SousLePont einmal anders erleben und geniessen – an der Tangonacht #3 im SousLePont.

CRASHKURS VON 19-20.30 UHR (NUR MIT RESERVATION PER MAIL SLP@REITSCHULE.CH) – DANACH TANZEN FÜR ALLE BIS HALB EINS.

TANGONACHT #3

SONNTAG, 26. MÄRZ, 20.30 UHR

coloso ist für das Songwriting verantwortlich und lässt zusammen mit Mats Öhlund auf der Bühne kräftig die Gitarren krachen. Catherine LaBelle am Bass und Martin LeBatteur an den Drums sorgen für das rhythmische Fundament.


MIXMAX

for women and men

for women and men

Tanzabend für gleichgeschlechtliche Paare für Standardund Lateinamerikanische Tänze / ab Mitternacht Disco for women and men

TANZ-BAR

FREITAG, 24. MÄRZ, 21.00 UHR

for women and men

(LESBISCH-SCHWULES CHILLEN)

CRASH HELMET LOUNGE

DONNERSTAG, 23. MÄRZ, 20.00 UHR

ERICA PEDRETTI

WORTRAUM.WORTREICH PRÄSENTIERT:

SONNTAG, 19. MÄRZ, 11.00 UHR

MILOU’S LOUNGE

DONNERSTAG, 9. MÄRZ, 20.00 UHR

women only

FRAUENDISCO POPSHOP «DELETE MUSIC, PLAY POP» ANOUK & AMEISE

FREITAG, 3. MÄRZ, 22.00 UHR

BlaDAblaDAbbblllaahDA. Al b D D D Aaa a Bla! Da? A! D a a a D A D A bla B lalalala LLLLa ahA! bah! Wie immer mit Sesselmusik und Umtrunk Trank for women and men

SI.E & ANTON MEIER

DA-LOUNGE-DA PRES: DADAISTISCH SKURRILSARKASTISCHE NACHRICHTEN / LESUNG MIT

DONNERSTAG, 2. MÄRZ, 20.00 UHR

FRAUENRAUM

megafon 06.03

PROGRAMM

Reservation und Information: Tel. 078 854 58 66 oder www.grossehalle.ch Die Platzzahl ist beschränkt.

Wir bieten ein 3-Gang-Menu mit einer vegetarischen Variante. Rufen Sie uns doch einfach an, wir geben gerne Auskunft.

Lassen sie sich auf dieses Erlebnis der Sinne ein. Auf der «Blinden Insel» kocht jeden Abend einer unserer ausgewählten Köche der Berner Gastroszene. Unser sehbehindertes und ausgebildetes Serviceteam bewirtet Sie im völlig abgedunkelten Restaurantzelt in der Grossen Halle.

DINIEREN IN VÖLLIGER DUNKELHEIT

BLINDE INSEL

NOCH BIS 26. MÄRZ DIENSTAG BIS SONNTAG EINLASS UND BETRIEB: 19.00 BIS 19.45 UHR. DAS DINER BEGINNT UM 19.45 UHR UND DAUERT BIS CA. 22.00 UHR. BITTE KOMMEN SIE PÜNKTLICH.

UND BRUNCH IM SOUSLEPONT UND I FLUSS.

FLOHMARKT

SONNTAG, 5. MÄRZ, 9.00 BIS 16.00 UHR

GROSSE HALLE

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Vor fast zwei Jahren entschieden sich über 9 Prozent der sächsischen Wählerinnen und Wähler bei den Landtagswahlen im September 2004 für die NPD. Am 11. Februar 2005 marschierten unter ihren Fahnen mehrere tausend Alt- und Neonazis aus ganz Europa durch Dresden. Der Vortrag stellt die aktuelle Situation in Sachsen dar und thematisiert deren Entwicklung. In Anbetracht der Grossratswahlen im Kanton Bern, wo erstmals auch die PNOS kandidiert, gewinnt dieses Thema für die Schweiz an unliebsamer Aktualität. Referent: Peter Conrady, Mitarbeiter von «a.l.i.a.s. dresden» und Autor in der Zeitschrift «Der Rechte Rand».

RECHTS ROCKT SACHSEN – EINE OSTDEUTSCHE NEONAZISZENE

THEMENABEND ANTIFA BERN

AM SAMSTAG, 11. MÄRZ, 20.00 UHR¨

Im Rahmen der Vortragsreihe «Auftreten und Wirken von Rechtsradikalen» gastiert der Sozialwissenschaftler und Journalist Robert Andreasch am 4. März im Infoladen Bern. Als Kenner der süddeutschen Neonaziszene informiert er über die Zusammenarbeit der Rechten Szene in der so genannten Volksfront.

THEMENABEND AGRG & ANTIFA BERN

SAMSTAG, 4. MÄRZ, 20.00 UHR

INFOLADEN

Diesmal unter anderem mit: S. Hark et al: Queering Democracy O. Schröm / A. Röpke: Stille Hilfe für braune Kameraden J. Holloway: Die Welt verändern, ohne die Macht zu übernehmen.

Der Infoladen stellt vor: Perlen aus dem Infoladen. Zu jedem Buch gibt es einen ca. 10minütigen Vortrag und anschliessend vielleicht eine Diskussion. Alle vorgestellen Bücher können gratis im Infoladen ausgeliehen werden.

MIT DEM BÜCHERTIPP AUF DEN BÜCHERTRIP

FREITAG, 24. MÄRZ, 20.00 UHR


STORY OF HELL

c.a. ereignisreichste Folge diese Folge wird ihnen präsentiert von der Gesellschaft «Für einen globalen Freizeitpark», e.V. In den letzten Tagen ist so viel geschehen, es scheinen Jahre vergangen zu sein. Lange Jahre lang immer das selbe, Tag für Tag. Die Ereignisdichte ist so gross, dass von einem wahren Ereignisdickicht gesprochen werden kann. Die Orientierung zu ermöglichen, wurde eine Gruppe von Zeitschlaufenforschern angestellt, deren Aufgabe sein wird, das Gestrüpp zu entwirren, Ästen und Zweigen bis zu den Stämmen zu folgen, den Standort der Wurzeln zu ermitteln, so dass mal ordentlich gejätet werden kann, denn sonst wird das eine Missernte geben mit all dem Unkraut. Soviel zur Begrünung und zum Narrenkraut.

blauen Wassers als Hintergrund für Inszenierungen mit romantischem Charakter. Nie ist Land in Sicht. Soviel zu wunderbaren Landschaftsaufnahmen.

lich bald alle mit Mobiltelefonen und Pfeffersprays ausgestattet sind, da übertreibt der Streifen nichts. Und was daraus entsteht, in einem Klima, das von Misstrauen bestimmt wird, da die Zugehörigkeit zu dieser oder jener Gruppe in Bezug auf die Debatten um den Kurs, den das Schiff nehmen soll, über das Verhalten der Leute untereinander entscheidet, wird ziemlich realistisch dargestellt. An der Ausstattung lässt sich bemängeln, dass in Bezug auf Graffiti etwas dick aufgetragen wurde. Aber dazu lässt sich sagen, dass es immer den einen zu viele, den anderen zu wenig Graffiti hat, überall. Davon ist noch kein Schiff gesunken. Soviel zur Filmkritik.

Für Spannung sorgen nicht nur die Diskussionen um das Ziel der Fahrt. Durch das ständige miteinander Eingeschlossensein entstehen im zwischenmenschlichen Bereich die kleinen und grossen Geschichten, die dafür sorgen, dass die Handlung die Aufmerksamkeit des Publikums zu fesseln vermag. Sei dies, indem es sich am Schicksal dessen beteiligt, der mit seiner Neigung zur Paranoia kämpft und merkt, dass er Platzangst bekommt, sich aber nichts anmerken lassen will, sei dies, wenn es in der Sequenz mit der Meuterei In der nächsten Folge: Die Burg auf dem bewusst oder unbewusst Partei für die Jungfraujoch einen oder die anderen ergreift, ja, der Moment, als das Schiff zu sinken droht, Mittlerweile sind die ersten Probeaufnah- weil die Meuterer ein Leck in den Lademen für den Film und das Multimediaspek- raum geschlagen haben, und niemand takel zur Geschichte der Burg gemacht, weiss wo, und das muss jetzt unter all genauer hat sich das Projekt inzwischen zu dem Gerümpel erst mal gefunden werden, einer geplanten Serie ausgewachsen. immer enthält die Geschichte Elemente, Abenteuer ohne Helden oder Heldinnen, zu die die Zuschauenden in ihre Sessel Wasser und zu Lande, auf Bergen und in drückt. Soviel zum «Suspense» in unserem Tälern, auf Erden und im All sollen es wer- Film. den, mit Massenszenen, gewaltig viel emotionellem Gehalt, wunderbaren LandNicht unberechtigt ist die Frage nach der schaftsaufnahmen. Der Pilotfilm spielt auf Wahrscheinlichkeit dessen, was sich da den Weltmeeren, die Burg als Schiff. Die abspielt. Ist es zum Beispiel möglich, dass Handlung findet fast ausschliesslich auf irgendwer so blöd ist, auf hoher See ein dem Zwischendeck statt. Es gibt auch kei- Leck in den eigenen Kahn zu schlagen, nen Kapitän, der sich auf dem Sonnendeck dabei die Gefahr eingehend, selbst mit eine gute Zeit macht, keine Sklaven, welunterzugehen? Auch die Zustände im che im untersten Deck schuften. Das dra- Laderaum, dass es so lange dauert, bis matische Element lebt durch die Bestimdas Leck endlich gefunden wird, und mit mung der Richtung, die das Schiff nehmen was es schlussendlich gestopft wird, soll, welche im Zwischendeck heftig debat- gehören zu den Dingen, welche manchen tiert wird, wobei alle gleichberechtigt sind. unmöglich erscheinen. Aber schliesslich Daraus ergeben sich etliche spannende handelt es sich auch nicht um einen DokuSzenen, aufgelockert durch Aufnahmen mentarfilm, und irgendwoher muss ja die vom Sonnendeck, die endlose Weite des Action kommen. Dabei hilft, dass tatsäch

STORY OF HELL

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megafon Nr. 293, März 2006


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Mit der Besetzung der Reitschule versuchten wir, uns Freiräume zur Verwirklichung von selbstbestimmtem und solidarischem Leben zu nehmen. Die Reitschule soll ein ausserparlamentarisch linkes, politisches Zentrum einer vernetzten Bewegung in Bern und zugleich ein Ort sein, wo unsere Kultur gelebt wird. Rebellisch, unterhaltend und bewegend soll sie sein, diese Stätte – es geht darum Kritik zu üben, schonungslose Kritik an den herrschenden Verhältnissen, aber auch Kritik an uns und unseren Projekten. Wir wollen aber nicht nur Kritik üben, sondern auch Alternativen aufzeigen und umsetzen. Wollen wir sinnvollen Ansprüchen von Autonomie, Kollektivität, von nicht gewinnorientiertem Kultur- und Begegnungsangebot gerecht werden und mit unserem Experiment fortfahren, heisst dies, dass wir uns selbst einen Rahmen setzen müssen. Die Reitschule ist ein Ort, wo versucht wird, sich möglichst selbstbestimmt und kollektiv zu organisieren und sich kreativ und kritisch mit dieser Stadt und der Gesellschaft auseinanderzusetzen. – Die Reitschule ist ein Ort, der Begegnung und der Kommunikation, wo vieles möglich ist und sein soll. Essen, Filme und Theater anschauen, politische Arbeit leisten, trinken, tanzen, Konzerte veranstalten, wohnen, sich mit Leuten treffen. All dies soll möglich sein nebeneinander und wenn möglich sich ergänzen, ohne sich gegenseitig zu stören. – Die Reitschule ist ein politisch-kulturelles Zentrum, das unter anderem via Kultur politische Inhalte vermittelt, eine Widerstandskultur, die die teilweise auch gewinnbringende Veranstaltungen dazu nützt, untergründiges möglich zu machen. Die politische Arbeit soll durch die kulturelle Arbeit geprägt sein und umgekehrt. – Kultur umfasst für uns alles, was uns ermöglicht, uns selbst, die Gesellschaft und die Umwelt zu erkennen und sie zu verstehen, zu entwickeln und zu verändern: die bewusste Auseinandersetzung mit unseren Lebensbedingungen. Entsprechend haben die verschiedensten Veranstaltungen in der Reitschule nicht in erster Linie die Befriedigung der Konsumbedürfnisse zum Zweck, sondern sollen zum Mit-Denken, Mit-Leben, Mit-Fühlen und Mit-Machen anregen und die kritische Haltung des Publikums und der ReitschülerInnen herausfordern und bekräftigen. – Die Reitschule ist ein Teil der politisch-sozialen Infrastruktur der vielfältigen und vielfarbigen Bewegungen, bzw. Szenen, denen die unten folgenden Grundsätze gemeinsam sind. Die Veranstaltungsräume können für verschiedenste Solidaritätsveranstaltungen genutzt werden. – In der Reitschule sollen kollektive Arbeitsformen, zum Teil entlöhnt, im Rahmen von Arbeitsgruppen und von Projekten möglich sein. Die Räume werden als Arbeits- und Veranstaltungsstätten, Ateliers und Begegnungsorte genützt. Es gibt nur sehr beschränkte, permanente und kollektive Wohnmöglichkeiten. – Es ist wünschenswert, dass Menschen die hier tätig sind, sich darauf einstellen, hier längere Zeit aktiv zu sein und gewisse Verbindlichkeiten einzugehen; so können wir unsere Ideen und Vorstellungen vom Freiraum zur Verwirklichung von selbstbestimmtem und solidarischem Leben auch wirklich umsetzen. Ständiger Wechsel schadet der Weiterentwicklung. Die Reitschule ist nicht allein ein Zentrum für Jugendliche.

Grundsätze Wer die Reitschule besucht, akzeptiert und lebt ihre Grundsätze: – kein Rassismus (keine Diskriminierung aufgrund der Herkunft oder äusserlicher Merkmale), – kein Sexismus (keine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts), – keine physischen, psychischen oder sexuellen Übergriffe, – keine Homophobie (keine Diskriminierung aufgrund der sexuellen Ausrichtung), – keine Ausbeutung und Unterdrückung, – keine Selbstbereicherung (z.B. durch Deal, Klau, etc.), – kein Konsumzwang, – wir versuchen, Konflikte gewaltfrei zu lösen, – wir verhalten uns respektvoll miteinander und gegenüber der Infrastruktur. Mit Leuten, die gegen unsere Grundsätze verstossen, suchen wir das Gespräch, je

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nachdem verhängen wir (KG oder VV) zusätzliche Sanktionen, die bis zur Aufhebung des Schutzes gegen aussen führen können. Die Gespräche und Sanktionen sollen nicht in erster Linie «Bestrafung» sein, sondern ein anderes Verhalten herbeiführen, sowie dem Schutz des Freiraums und dessen BenutzerInnen dienen.

O rg a n i s a t i o n Der Verein «Interessensgemeinschaft Kulturraum Reitschule IKuR» ist das juristische Dach der Reitschule. Die Reitschule ist basisdemokratisch organisiert. Entscheide fällen diejenigen Gruppen, welche in der Reitschule aktiv und bereit sind, sich auf eine kollektive und solidarische Verbindlichkeit einzulassen, und die neben ihren eigenen Interessen auch diejenigen der gesamten Reitschule vertreten (=Reitschule-Gruppen1). Die Entscheidungs- und Sanktionsgewalt liegt beim koordinierenden Ausschuss (=Koordinationsgruppe KG2) und der Vollversammlung (=VV3) der ReitschuleGruppen, die in der Reitschule aktiv sind. Alle Entscheide der VV und der KG werden mittels Protokoll in die Gruppen zurückgeführt. Im Sinne der Basisdemokratie werden Entscheide bei Konsens gefällt. Die Betriebsgruppe (=BG4) ist für administrative Arbeiten im Auftrag der VV, beziehungsweise der KG zuständig. KG und BG treffen sich wöchentlich, eine VV kann jederzeit durch die ReitschuleGruppen über die KG einberufen werden. Gruppen, die sich in der Reitschule treffen, organisieren, engagieren und die keine Reitschule-Gruppe sein wollen/können, sind willkommen und sind Gastgruppen: Sie erklären sich mit den Grundsätzen der Reitschule einverstanden; sie nehmen je nach Thema, Anliegen, Anfrage an den Sitzungen der Reitschule-Gruppen oder an der KG teil. Sie fällen jedoch keine Entscheide betreffend der Reitschule.

Autonomie / Beziehung zur Stadt Jeder Mensch soll sich in der Reitschule frei bewegen und engagieren können, solange niemand anderes in seinen Freiheiten eingeschränkt wird, oder die Grundsätze der Reitschule verletzt werden. Die Reitschule-Gruppen bestimmen autonom über die von ihnen verwalteten Räume, jedoch im Interesse der gesamten Reitschule – Konflikte werden zwischen den Reitschule-Gruppen ausdiskutiert. Verhandlungen mit der Stadt erfolgen ausschliesslich durch die KG respektive ihre Delegierten. Entscheide werden nicht von den Delegierten gefällt, sondern wiederum an der KG. Wir versuchen unsere Probleme selbst zu lösen. Die Reitschule strebt eine weit gehende Autonomie an.

Finanzen, Pool Die Reitschule finanziert sich zum grossen Teil selbst durch die hier stattfindenden Aktivitäten. Mit den Einnahmeüberschüssen der Reitschule-Gruppen wird der Finanzpool der Reitschule gespiesen. Daraus werden laufende Kosten für Betrieb und Unterhalt sowie Subventionen für Aktivitäten bestritten. Unterstützung einzelner Projekte durch Stadt und Fonds sind möglich. Dieses Manifest ist in einem basisdemokratischen Prozess entstanden. Alle Reitschule-Gruppen konnten sich bei der Ausarbeitung gleichberechtigt beteiligen, stehen dahinter und helfen mit bei der Umsetzung. Reitschule Bern, 30. Januar 2006

1Reitschule-Gruppe: Kleinste organisatorische Einheit in den selbstverwalteten Strukturen der Reitschule. Neue Gruppen werden durch die Vollversammlung aufgenommen. 2 Koordinationsgruppe mit wöchentlicher Sitzung: Die KG setzt sich aus Delegierten der Reitschule-Gruppen (im Rotationsprinzip) zusammen. Die KG ist quasi das ausführende Organ der Reitschule, es werden wichtige, den gesamten Betrieb betreffende Fragen diskutiert und entschieden. 3 Vollversammlung: Entscheidungsorgan bei Fragen, die von der Basis direkt diskutiert werden sollen. Wird nach Bedarf einberufen, insbesondere wenn Entscheide anstehen, die für den gesamten Betrieb schwerwiegende Konsequenzen nach sich ziehen. 4 Die Betriebsgruppe aus fest Delegierten der Reitschule-Gruppen ist das «Büro» der Reitschule und zuständig für administrative und organisatorische Belange. megafon Nr. 293, März 2006

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