ERDnachrichten 2011

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willi resetarits im Interview.

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THEMEN: atomkraft ÖlVERSCHMUTZUNG die erdE von oben ÖKOSOZIALE architektur

Mit beiträgen von: Freda meissner-blau 7 BERND lötsch 8 helga kromp-Kolb 10 wolfgang kromp 10 michael stachowitsch 13 barbara köppel 16

Offizielle Zeitung der:


INTERVIEW: WILLI RESETARITS

freier Journalist. Schreibt unter anderem für „Die Presse“, „Der Falter“ und „Datum“.

„Superökologisch

in der Debatte, in den Taten leider nicht“ Johann Skocek im Gespräch mit Willi Resetarits

DER MUSIKER UND EHEMALIGE POLITROCKER WILLI RESETARITS BEGRÜSST DIE ERDGESPRÄCHE ALS FLANKIERENDE MASSNAHME IM KAMPF UM EINE BESSERE UND BESSER KLINGENDE WELT. ERDnachrichten: Du engagierst dich praktisch schon immer für eine bessere Welt. „Die Schmetterlinge“, Deine erste große Band, hat zum Beispiel 1981 im Audimax der Technischen Universität Wien im Rahmen einer Podiumsdiskussion mit Paul Blau, dem Ökonomen Kurt Rothschild und dem Gewerkschafter Fritz Prechtl gespielt. Das Motto war „Künstler gegen den Krieg“. Was treibt Dich an? Willi Resetarits: „Die Schmetterlinge“ haben sich immer für die Weltverbesserung eingesetzt, das stimmt. Der soziale Gedanke stand da am Anfang, und ich habe bald alles im Sozialen aufgehoben, auch Umweltfragen. Ich denke nämlich, grundsätzlich ist es der Natur blunzn, was wir machen. Die richtet sich das im Laufe der Jahrhunderttausende schon wieder ein. Die Frage ist nur, wird sie in einer lebenswürdigen Art und Weise für uns Menschen bewohnbar sein? Insofern ist die Umweltfrage eine soziale Frage. Was können wir tun, damit es besser wird, außer bei den ERDgesprächen dafür zu plädieren? Da gibt es mehrere Ebenen. Am wichtigsten ist es, den eigenen Lebensstil auf seinen Ressourcenverbrauch zu überprüfen. Dahingehend müssen wir auf unsere Regierenden und Wirtschafstreibenden einwirken und eine Ressourcen schonende Lebensweise propagieren. Und dahingehend muss man auch Öffentlichkeitsarbeit machen. Wie sieht es denn bei Dir aus mit einem nachhaltigen Lebensstil? Ich bin nicht der allergrößte Vorreiter in Energiefragen, aber sehr interessiert. Mein Auto, mit dem ich zu den Dienstorten und Konzerten fahre, verbraucht nicht allzu viel Benzin. Mein Ziel ist ein Elektroauto, wie auch immer das dann funktioniert. Ich würde z.B. wahnsinnig gern

meinen Strom am Dach produzieren und von dort ins Auto einspeisen, aber ich glaube, den müsste ich ins Stromnetz einspeisen. Im Moment sind wir leider noch nicht so weit, aber vielleicht wird die Stromerzeugung auf Dachflächen bald von der Stadt Wien öffentlich unterstützt. Immerhin habe ich am Dach Solarpaneele, mit denen ich Warmwasser aufbereite. Ich habe das Haus auch sehr massiv gedämmt, sodass ich beim Heizen schon viel Energie einspare. Auf erneuerbare Energien habe ich die Heizung aber noch nicht umgestellt. Ich bin auch ein begeisterter Bahnfahrer. Wien – Salzburg ist ein g’mahte Wiesn, andere Strecken sind es leider nicht. Einiges habe ich also schon gemacht, anderes noch nicht. Ich bleibe dran. Ist es sehr schwierig für das Integrationshaus immer die notwendigen Mittel aufzustellen? Das Integrationshaus funktioniert blendend dort, wo wir die Arbeit selber leisten. Ich habe mich als Mitbegründer auf ein Ehrenamt zurückgezogen, d.h. ich moderiere, helfe mit, bin aber nicht mehr operativ tätig. Das größte Problem stellt aus unserer Sicht nach wie vor die ungenügende Gesetzeslage für die Flüchtlinge dar, die immer wieder zu traumatischen und grausamen Erlebnissen bei den Menschen führt. Außerdem haben wir chronische Finanzierungsprobleme, schaffen es aber immer irgendwie. So wie wir die Institution gegründet haben, so ist es geblieben, wir verfetten nicht. Was die Arbeitsplatzgarantie und die Höhe der Löhne für die Mitarbeiter betrifft, müssen wir eben schauen, wie wir zu Rande kommen. Die Menschen, die ins Integrationshaus kommen, haben aber sehr gute Prognosen auf Heilung, wenn sie physisch oder psychisch krank sind, genauso wie auf eine Integration in den Arbeitsmarkt oder eine eigene Wohnung.


Wo warst Du, als Fukushima explodierte? Ich weiß es nicht. Ich weiß auch nicht, wo ich war, als Kennedy erschossen worden ist. Ich habe die Atomkatastrophe in Japan eher prozesshaft wahrgenommen und die Berichte mit zunehmender Intensität verfolgt. Plädierst Du für einen Ausstieg aus der Atomenergie? Ja, ich plädiere dafür, mittelfristig: Keine neuen Kernkraftwerke, und die alten sollten in einem vernünftigen Zeitraum abgeschaltet werden. Es sollten endlich andere Quellen der Energiegewinnung an ihre Stelle treten. Aber auch hier bleibt Thema Nummer eins, Energie einzusparen. Nur wenn man Energie nicht verschleudert, kann man mit den erneuerbaren Energien den Bedarf decken.

© www.lukasbeck.com

Bist Du als politischer Kopf zufrieden mit dem diesbezüglichen Diskurs in Österreich? Über die Katastrophe in Japan und andere Vorfälle wird in Österreich sehr selbstgerecht diskutiert. Es sind ja alle nur so große Atomkraftgegner, weil der SPÖ 1978 in der Kampagne für die Volksabstimmung über Zwentendorf zufällig eine Panne passiert ist. Die Debatte gefällt mir also nicht, aber natürlich finde ich es gut, dass wir kein Atomkraftwerk in Österreich haben. Das Problem ist, dass wir uns nach außen immer als Umweltmusterland gerieren, und uns auf dieser Behauptung einfach ausrasten. Das ist ein Skandal. Wenn man sich zum Beispiel die Kyoto-Ziele ansieht, sind wir davon weit weg. Das ist ein Witz! In der Debatte sind wir superökologisch unterwegs, in den Taten weniger. Wie wir stolz sind auf unsere Landschaft, sind wir auch stolz auf die fließenden Gewässer, die uns erneuerbare Energie liefern – als wäre das eine Leistung! Noch ein Mal, darauf rasten wir uns zu stark aus! Du hast als politischer Künstler begonnen, könntest Du Dir vorstellen, wieder solche Themen in Dein Programm aufzunehmen? Das könnte ich mir vorstellen, wenn uns etwas einfällt, wie wir das Thema künstlerisch gut bewältigen und einsetzen können. Es müsste etwas bewirken, und zwar nicht nur bei Leuten, die uns eh Recht geben. Ich habe in der OstbahnPhase gesehen, dass man seine Popularität für etwas einsetzen kann, dass die eigene Stimme auch Anliegen stellvertretend für viele artikulieren kann und gehört wird.

Willi Resetarits (*1948) Willi Resetarits ist ein Burgenlandkroate. Man kann ihn daher getrost als Vorzeigeexemplar für die Integration von Menschen bezeichnen, die als Kinder nicht (nur) Deutsch sprechen. Es war das Kroatische, das ihn die ersten Worte für seine Innen- und AuSSenwelt formulieren lieSS. Ein Studium der Anglistik und Leibeserziehung betrieb er eher als Zweitfach, hauptsächlich lebte er für die Musik. Mit den „Schmetterlingen“ sang er Bob Dylan nach und gab der Kritik an der deutschen RAF, der Kernenergie, dem Militarismus und der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen in Heinz Rudolf Ungers „Proletenpassion“ virtuosen Ausdruck. 1985 schlüpfte Resetarits schlieSSl� lich in die von seinem Freund Günter Brödl – eigentlich für Wienerische Kriminalromane ersonnene – Rolle des Kurt Ostbahn, der zwanzig Jahre lang die besten Pop- und Rock-Songs in Brödls Nachdichtung, und zunehmend eigene Werke vortrug. Seit Brödls Tod hat Resetarits den Kurt abgelegt, und tritt nun unter eigenem Namen mit einer Combo mit Ernst Molden und anderen Gesinnungs- und Gesangsgenossen auf. Er ist Mitbegründer von „SOS Mitmensch“, „Asyl in Not“ und des „Wiener Integrationshauses“, für das er mittlerweile den Ehrenvorsitz übernommen hat.


kommentar: angie rattay

grafik-designerin. studierte an der universität für angewandte kunst, wien. 2008 gründete angie neben ihrem eigenem grafik-büro den verein neongreen network und rief die erdgespräche ins leben.

wer, wenn nichT wir? wann, wenn nicht jetzt?

„gebrauchsinformation für den planeten erde“ ist das meist ausgezeichnete designprojekt von angie rattay www.angieneering.net

Als ich acht Jahre alt war, rief meine Mutter vom Balkon des Gemeindebaus, in dem ich aufwuchs, dass ich schnell in die Wohnung kommen sollte. Der Fernseher lief. Unentwegt Nachrichten. Ich habe wenig verstanden, aber das wichtigste war mir klar. Ich erlebte gerade, wie zerstörerisch, rücksichtslos und dumm die Menschheit sich über unseren Planeten stellte. Es war der 26. April 1986 - die Katastrophe von Tschernobyl. In den Tagen danach erklärten mir meine Eltern, dass wir keine Milch mehr trinken dürften, ich nicht mehr mit meinen Freunden im Hof spielen sollte und die Gärtnerei, bei der ich so gerne all das bunte Gemüse aussuchte vorübergehend schließen würde. Ich verstand die Welt nicht mehr, wie so viele Kinder zu dieser Zeit, die in eine Welt geboren worden waren, in der sie niemand danach fragte, ob sie das selbstzerstörerische Vorgehen der Menschen unterstützen wollten. Für mich war klar, dass ich mich dem nicht anschließen wollte. Auch wenn ich dem „System“ nicht so schnell entkommen könnte, würde das keinesfalls bedeuten, dass man alles Getane und Gesagte so hinnehmen müsse. In mir wuchs Widerstand gegen jedwede selbstsüchtigen, die Natur ausbeutenden Aktionen der Menschen. Ist doch Rücksicht und Achtung vor allen anderen Lebewesen eine höchst intelligente, sogar egoistische Haltung. Ein Egoismus, der in diesem Fall durchaus angebracht ist. Wenn man zu viele Fische fängt, bleibt irgendwann der Nachwuchs aus und man hat nichts mehr zu Essen. Eigentlich eine einfache Rechnung. Wenn wir uns selbst als Teil der Umwelt sehen würden (und nicht als Mittelpunkt aller Dinge), die wir schützen wollen, wäre Umweltschutz mit Menschenschutz gleichzusetzen, da wir am Ende von einem gesunden Ökosystem profitieren. Gegen Mutter Erde zögen wir sowieso den kürzeren...

Mit den hinreißend bösen Karikaturen von Horst Haitzinger, naturverbundenen Eltern - die mich Jahr für Jahr über die Ferien nach Osttirol in die Berge nahmen - und den damaligen Nachrichten, war mir mein Weg wohl vorbestimmt. Immer schon hat Not in mir das Gefühl hervorgerufen, helfen zu müssen. Besonders berührt mich die Not derer, die sie still ertragen müssen, also die von Tier und Natur. Immer wieder bekam ich die Frage gestellt: „Warum tust Du Dir das an? Du hast doch sowieso genug zu tun?“ Stimmt. Fad war mir nie. Nicht mal als Kind. Aber ich erlaube mir eine Gegenfrage: „Warum tust Du Dir das nicht an?“ Wer, wenn nicht wir? Wann wenn nicht jetzt?“ „Sei selbst die Veränderung, die Du sehen willst.“, sagte Gandhi. Ein schönes Lebensmotto, denn Aktionismus beginnt vor der eigenen Haustür, im Supermarkt, in der Küche oder in der Wahlkabine. 25 Jahre nach Tschernobyl musste ich nochmals Zeugin eines Reaktorunglücks werden und verfolgte unter Tränen das Leid von Mensch und Natur in Japan. Auch wenn der Mensch nur aus Fehlern lernt und viel zu schnell vergisst, bin ich optimistisch, dass man Herz und Hirn von jedem Menschen erreichen kann. 1-FEHLER-SUCHBILD Das linke Bild unterscheidet sich vom rechten durch 1 Fehler.

© Angie Rattay

© Jansenberger

Angie Rattay


erdgespräche 2011

BOTTOM UP! NEONGREEN NETWORK

Die ERDgespräche bringen dieses Jahr zum vierten Mal großartige Sprecher nach Wien. Am 24. Mai öffnet die Wiener Hofburg ihre Pforten für die größte grüne Vortragsveranstaltung Österreichs.

© Fotos: Michael Krebs, www.clubline.biz

Die ERDgespräche laden die interessierte Öffentlichkeit ein, mit internationalen Persönlichkeiten aus Wissenschaft und Umweltschutz, und Menschen, die sich auf besondere Weise in diesen Bereichen engagieren, in Dialog zu treten. Die Beiträge der Sprecher und Sprecherinnen informieren über aktuelle Entwicklungen in Forschung, Aktivismus und Umweltschutz, und geben getreu dem Motto „Bottom up“ Impulse, selbst zu handeln. Als offenes Forum berichten die ERDgespräche zudem über die Aktivitäten des Vereins Neongreen Network. Ein anschließendes Biobuffet bietet Gelegenheit zum Netzwerken und Gedankenaustausch. Die ERDgespräche werden durch Subventionen, Sponsorengelder und Spenden finanziert, vor allem aber durch die helfenden Hände der Öffentlichkeit (Privatpersonen und Unternehmen, die ihre Zeit, ihr Know-how oder ihre Produkte unentgeltlich zur Verfügung stellen), ganz nach dem Motto „Von uns, für uns“. Das gesamte NEONGREEN NETWORK Team arbeitet ehrenamtlich. Bisherige Sprecher der ERDgespräche waren: Michael Braungart, Hildegard Aichberger, Greg Craven, Helga Kromp-Kolb, Hermann Scheer, Vandana Shiva, Alex Steffen, Alexander Likhotal, Gerald Gannsen und Freda Meissner-Blau. Wir freuen uns, Sie bei den diesjährigen ERDgesprächen kennenzulernen! Das NEONGREEN NETWORK Team

frauenpower bei den erdgsprächen: SCHIRMHERRIN: Freda Meissner-Blau MODERATORIN: Birgit Kohlmaier-Schacht GRÜNDERIN: Angie Rattay

besucherzahlen: 2008: 160 Besucher 2009: 250 Besucher 2010: 520 Besucher

erdgespräche 2011 - anmeldung: www.erdgespraeche.net


kommentar: adam pawloff

fortsetzung: Politikwissenschaftler. arbeitet am Zentrum für globalen Wandel und Nachhaltigkeit (BOKU Wien) und an der Uni Wien. Bei Neongreen Network für allg. Management und die Organisation der ERDgspräche zuständig.

wer, wenn nichT wir? wann, wenn nicht jetzt?

freda MEISSNER-BLAU bei protesten gegen das atomkraftwerk temelin

In meiner Kindheit wurde in meiner Familie immer wieder über die Taten meiner Großmutter Freda Meissner-Blau gesprochen. Erst Jahre später begriff ich, was sie tatsächlich alles bewegt hat. In meiner britischen Heimat stehen zum Beispiel 19 Atomkraftwerke, in meiner Wahlheimat Österreich steht kein einziges. Das haben wir zu einem großen Teil auch ihr zu verdanken. In meinen späten Teenagerjahren begann ich, Noam Chomsky und John Pilger zu lesen, und beschäftigte mich immer mehr mit dem Unrecht in dieser Welt. Auf einer Reise durch Südostasien sah ich zum ersten Mal mit eigenen Augen Slums, und fuhr durch gerodete Landschaften. Diese Erlebnisse gaben mir das Gefühl, etwas tun zu müssen, obwohl es einige Jahre dauerte, bis ich das Studium der Politikwissenschaft antrat, um mehr über die Welt in ihrer Komplexität zu lernen. Viele Jahre lang – besonders während meiner ersten Studienjahre – dachte ich, Sozial- und Umweltprobleme stellten eine Dichotomie dar, und fühlte mich eher den sozialen verpflichtet. Heute bin ich der Überzeugung, dass diese Problematiken eng miteinander verstrickt sind – wir können die Menschen weder aus ihrer Umwelt noch aus ihrem Umfeld heraus heben – das heißt, sie sind einander sogar inhärent. Diese Verbindungen zeigen auch die Probleme und Lösungen, über die bei den diesjährigen ERDgesprächen diskutiert wird. Als sich die Möglichkeit ergeben hat, bei NEONGREEN NETWORK und den ERDgesprächen mitzuarbeiten, stellte sich für mich die Frage nach dem „Ob“ nicht, und sie tut es bis heute nicht.

© S. M. Fleischer/Archiv Freda M. B.

Adam Pawloff


essay: freda meissner-blau

AtommÜll: Misere ohne Ende

österreichische Politikerin und Galionsfigur der Ökologiebewegung. gründerin der österreichischen Grünen. ehrenpräsidentin v. neongreen network und schirmherrin der erdgespräche.

Mit Spannung erwarte ich den Bericht von Graf Andreas von Bernstorff, der den aussichtslosen Kampf der Bundesrepublik Deutschland mit den Folgen ihrer schadhaften Zwischen- und vermeintlichen Endlager tagtäglich erlebt.

© Hannes Huber

Sie mit den abgebrannten Brennstäben?“ Dass sie auch hochradioaktives Plutonium enthalten, war mir schließlich bewusst. Umso verblüffender erschien mir die Reaktion eines der Ingenieure: er verließ Türen knallend den Raum. Der andere begann ruhig und freundlich zu erklären, dass intensiv an einer Lösung gearbeitet wurde, eine solche quasi schon gefunden wäre. „Wie?“ „Zuerst werden die Brennstäbe von Robotern in kleine Stücke zerteilt. Diese werden in flüssiges Glas eingelassen.“ „Und dann?“„Dann werden diese erhärteten Glaswürfel mit einem Stahlmantel umgeben, und zuletzt in eine dicke Betonschicht eingefügt.“ „Und was machen sie mit diesen Würfeln?“ „Die kommen ins Meer“, war die lapidare Antwort. Ich sprang entsetzt auf: „Das Salzwasser korrodiert doch alles, früher oder später! Wie lange kann das halten?!“ „Das lässt sich im Labor kaum feststellen, aber doch gewiss 500 Jahre…“ „Das dürfen Sie nicht tun! Sie vergiften die Ozeane, das ist ein Verbrechen!“ Das war meine letzte Übersetzung in der französischen Industrie, und ich wusste, weshalb ich zur überzeugten Atomgegnerin wurde. Bis heute, ein halbes Jahrhundert später, ist man in dieser Frage keinen Schritt weiter gekommen. Im Gegenteil, häuft man immer weitere Berge von Atommüll an, als bleibendes, strahlendes, giftiges Vermächtnis an unsere Kinder und Kindeskinder und vielen zukünftigen Generationen. Das Vermächtnis zweier habgieriger und verantwortungsloser Generationen.

© Fred Langenhagen

In den frühen 1950er Jahren erschien die Atomenergie nicht wenigen als Hoffnung für die Welt. Nicht nur den Energieversorgern, die sich angesichts großzügiger Förderungen fette Rendite erwarteten, sondern auch der darbenden Dritten Welt, die unter der fortschreitenden Ausbeutung ihrer Ressourcen stöhnte, dem Westen und Norden nur als Rohstofflieferant diente, aber angesichts fehlender Energieversorgung ihre eigenen Rohstoffe nicht zu wertvolleren Fertigprodukten verwerten konnte. Lewis Strauss, der Leiters der US Atomic Energy Commission, tat im Jahr 1954 den viel zitierten Ausspruch: „Es ist nicht übertrieben zu erwarten, dass unsere Kinder in ihren Häusern elektrischen Strom genießen werden, der zu billig zum Messen ist“ (too cheap to meter). Atomstrom wurde als die Lösung aller Probleme bejubelt. Ganz besonders in Frankreich. Zurück in Paris, nach einem mehrjährigen Aufenthalt im Kongo und noch ganz unter dem Eindruck von Not und Leid dieses faszinierenden Kontinents Afrika, hoffte ich auf einen Weg, der ihn zu mehr wirtschaftlicher Autarkie und sozialer Gerechtigkeit führen könnte. Durch die Zufälle des Lebens luden mich gegen Ende der 1950er Jahre die französischen Nuklearfirmen Indatom und St.Gobain Nucléaire dazu ein, die technische Beschreibung ihrer Grafitreaktoren, die sie auf den Weltmarkt zu bringen hofften, ins Deutsche und Englische zu übersetzen. Zwei Ingenieure erklärten mir jeweils Teile der Reaktorkomponenten, um mich in die Lage zu versetzen, sie mit Verständnis zu übersetzen. Das lief einige Monate recht gut, ich begann mich immer mehr für die Materie zu interessieren, und glaubte die allgemein herrschende Atomeuphorie, die in Frankreich quer durch alle Parteien herrschte, zu verstehen. Doch eines Tages stellte ich die logische, von mir aus allerdings eher blauäugige Frage: „Und was machen

© S. M. Fleischer

Freda Meissner Blau

von oben nach unten: proteste gegen das akw temelin, grosskundgebung wegen der Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf, kampf um die au in hainburg.


atomkraft

Aufbegehren als Bürgerpflicht

österreichischer Biologe und einer der Wegbereiter der österreichischen Ökologiebewegung.

Was wir Österreich

ersparten… Bernd Lötsch

5. November 1978 Volksabstimmung gegen das Kernkraftwerk Zwentendorf

Gerade im 33. Jahr nach Fertigstellung und Abwahl der „jungfräulichen Atomruine Zwentendorf“ kann Österreich heilfroh sein – denn jetzt würden wir ein unendliches politisches Hickhack über die kostspieligen Probleme erleben, die bei Abwrackung, Entseuchung und Entsorgung eines verstrahlten Schrottreaktors anfallen. Wo hundert(e) Millionen Euro dafür hernehmen? Wo fände der Abfall seine strahlende Zukunft und Langzeitbewachung? Der „Weitblick“ der 1978 noch atomverliebten Bundesregierung gipfelte im Vorschlag von Bundeskanzler Kreisky und Forschungsministerin Firnberg, Atommüll und Endlagerprobleme über Ägypten bis in den ach so sicheren Iran zu entsorgen. Kurz darauf brach das problematische Sha-Regime zusammen, gestürzt von einem charismatischen alten Mann im Pariser Exil. Doch auch die Atompolitik der „Islamischen Republik“ sorgt seither wiederkehrend für weltpolitischen Zündstoff. Selbst in Indien hat die Atomenergie keinen Hungernden satt gemacht, aber dafür rasch zum Bau einer Atombombe geführt. „Und wir werden auch eine haben“, ließ der pakistanische Regierungschef trotzig verlauten – „selbst wenn wir Gras fressen müssten“. Österreich ist an solchen Entwicklungen nicht mehr beteiligt. Kürzlich war ich in Zwentendorf eingeladen – Betonriese und Geisterschloss obsoleter Technik. Kernkraft-Lehrlinge aus Deutschland dürfen manchmal Simulationen für den Ernstfall üben, ohne dass etwas passieren kann – imposantes Modell eines AKWs im Maßstab 1:1. Natürlich hatte ich in aller Stille unseren Geigerzähler mit – wenn es 1978 zumindest einen Probebetrieb gegeben hätte, würden wir es sofort merken. Denn schon nach wenigen Stunden wäre durch die gestartete Kettenreaktion das Radioisotopeninventar einer Hiroshima-Bombe im Reaktorkern entstanden – wohlverwahrt, aber verräterisch. Nach einem Betriebsjahr hätte ein Reaktor wie Zwentendorf bereits die Radioaktivität von 1000 Hiroshima-Bomben im Bauch

eingeschlossen gehabt. Selbst nach Abtransport der Brennelemente wären die durch die Neutronen erzeugten radioaktiven Aktivierungsprodukte, z.B. in der Kesselwand, nachweisbar gewesen. So haben wir, Peter Weish und ich punktuell nachgemessen. (Der unvergessliche Medizinalrat Dr. Tisserand aus Linz hätte sich gefreut, bezeichnete er sich doch stets selbstironisch als „Facharzt für Misstrauen.) Doch Freude, Freude! Der ehemalige Reaktor ist clean. Keine Spur von radioaktiver Aktivierung und Kontamination. In dieser Hinsicht ging es damals ehrlich zu … Was hat uns die Anti Atom-Bewegung also gebracht? Sie hat Österreich sogar vor zwei AKWs bewahrt – vor dem betriebsbereiten Zwentendorf/Tulln auf einer Erdbebenlinie in der Hauptwindrichtung auf Wien und vor einem fix geplanten Reaktor bei St. Pantaleon, knapp an der Grenze zu Oberösterreich. Ob es andernfalls zu einem schweren Störfall gekommen wäre, werden wir zum Glück nie erfahren, denn Zwentendorf blieb solcherart „das sicherste Kernkraftwerk der Welt“ – die einzige Prognose der E-Werker übrigens, die wirklich hielt – wenn auch aus anderen Gründen als erwartet. „Die Österreicher sind großartig …“ meinte der erfolgreichste Zeitungsherausgeber des Landes, Hans Dichand, nach dem umwelt- und demokratiepolitischen Wundern von Zwentendorf (78) und Hainburg (84) – fügte aber schmunzelnd hinzu: „… für Minuten ihrer Geschichte …“ Der Alltag hat nämlich andere Probleme. Während sich Nuklearexperten seit Jahrzehnten bemühen, die Kerntechnik sicher genug für den Menschen zu machen, zeigt die Chronik der Störfälle weltweit, wie viel schwieriger, ja unmöglich es ist, den Menschen sicher genug für die Kerntechnik zu machen. Von „Three Miles Island“ und Detroit in den USA, Windscale in Großbritannien, La Hague in Frankreich, Brunsbüttel in Deutschland bis zum Super GAU in Tschernobyl. Wäre Österreich hier eine Ausnahme?


kraftwerksruine zwentendorf

Heiter nachdenklich stimmte die Warnung des amerikanischen Nuklear-Kritikers Dan Ford von den „Concerned Scientists“ (Besorgten Wissenschaftlern) auf einer Pressekonferenz in Wien 1975, als er sagte: „No ,Schlamperei‘ is allowed in a world handling such amounts of radioactive material“ – kurz, der Umgang mit Radioaktivität verzeihe keine Fehler – doch dass er dafür als Weltbürger ein Österreich so nahe stehendes Fremdwort benutzte, sagt mehr, als er selbst gewusst haben dürfte. Oder, wie eines der Murphy-Gesetze aussagt. „It’s impossible to make things foolproof – because fools are so ingenious…!” Österreichs Anti-Nuklear-Aktivisten setzten ein Zeichen für die Welt – niemand hat unser Land verlacht, viele haben es hingegen bewundert oder gar beneidet. Die Frage des Risikos ist nicht vom Tisch – kein Konzern der Welt versichert Kernkraftwerke auf ihre Folgeschäden. Ebenso pointiert wie unangreifbar formulierte der amerikanische AlternativNobelpreisträger Wes Jackson 2001: „WahrscheinlichkeitsRechner behaupten, ein Reaktor sei so sicher, dass ein Grossunfall nur alle 10.000 Jahre passiert (was allerdings auch morgen sein kann). Gäbe es 1000 Reaktoren wäre weltweit alle 10 Jahre mit einem Super GAU zu rechnen.“ Glücklicherweise gibt es erst etwa über 400 AKWs. Ihr Anteil am Weltenergieaufkommen liegt um die 4% - das heißt: selbst bei brutalem, kein Risiko scheuendem Ausbau könnten sie letzlich doch nur einige Prozent des jetzigen CO2-Ausstoßes substituieren. Selbst dies gelänge erst, wenn ein Großteil der 443 weltweit verstreuten Reaktoren wegen Überalterung und Materialversprödung ausgetauscht worden sind und das nukleare System auf tausende Atommeiler anwächst – die ganze Expansion selbstverständlich mit Fossilenergie betrieben und von einem beträchtlichen zusätzlichen CO2-Eintrag in die Atmosphäre begleitet – gerade in den Jahrzehnten, in denen wir unsere Treibhausgas-Emissionen halbieren müssen. Auch sonst schafft die Nukleartechnik mehr Probleme, als sie löst.

Dabei wäre mit bekannten Technologien und ohne Sicherheitsrisiko gerade in der industrialisierten Welt gut 40% des gegenwärtigen Energieverbrauches einsparbar – durch intelligentere Nutzung (Effizienz). Die Ereignisse von Zwentendorf (und von Hainburg) haben darüber im Österreich der 1980er-Jahre den Anstoß zu einem kritischen Energiebewusstsein der Bürger und öffentlicher Diskussion wünschenswerter Alternativen gegeben wie kaum in einem anderen Staat zu dieser Zeit. Ausstiegs- und Nichteinstiegs-Szenarien mancher Nationen folgten erst danach. Aber auch Österreichs Politik war unfähig zur Umsetzung dieses vorübergehenden gesellschaftlichen Konsenses. „Business as usual“ geprägt von alten (und neuen) Formen der gedankenlosen Verschwendung nahm wieder überhand. Halbherzige Förderungen und kokette Demo-Projektchen täuschten darüber hinweg, dass im Stromverbrauch mehr denn je „Kartoffeltheorem“ herrschte: „Je mehr auf den Tisch kommt, desto mehr wird gefressen“. Seit Zwentendorf hat sich der Stromverbrauch Österreichs verdoppelt (wenn auch nicht vervierfacht wie damals vorausgesagt). Die antinukleare Haltung ist durchlöchert, seit wir – vorgeblich auf Drängen der EU – unser Verbot von Elektrizitätsimporten aus „unsicheren OstReaktoren“ fallen lassen „mussten“. In Wahrheit war es die Gier der Industrie nach Billigstrom zu Dumpingpreisen. So haben wir heute 6% Atomstrom im Netz. Berührend war ein Gedicht, welches der unvergessene Engelbert Broda bei sich trug, als man ihn am 26.10.1984 unter einem Baum in der Witzelsdorfer Au fand. Er hatte bis zu seinem plötzlichen Herztod wieder eine große Bürgerbewegung unterstützt. Wir befinden uns bereits wieder in einer Zeit, in der Mitläufertum zur Schuld wird. Man sollte so leben, dass man eines Tages unseren Kindern sagen kann: Eure Eltern waren im Widerstand…

Weil das alles nicht hilft sie tun ja doch was sie wollen weil man nur lachen wird auf Dich haben sie gewartet weil ich das lieber Berufenen überlasse weil man nie weiß wie einem das schaden kann weil sich die Mühe nicht lohnt weil sie das alles gar nicht wert sind das sind Todesursachen zu schreiben auf unsere Gräber die nicht mehr gegraben werden wenn das die Ursachen sind. Erich Fried


atomkraft

leitet das instituT f. meteorologie und das institut für globalen wandel und nachhaltigkeit an der univ. für bodenkultur wien.

leitet das institut für sicherheits- und risikofroschung an der univ. für bodenkultur wien.

Kernenergie Probleme von der Urangewinnung bis zur Endlagerung

Weltweit befinden sich 212 Atomkraftwerke mit insgesamt 443 Reaktoren in 30 verschiedenen Ländern in betrieb.

gröSSte atomkatastrophen: 1957 MAjAK (russland) 1957 windscale/Sellafield (UK) 1979 Three Mile Island (USA) 1986 Tschernobyl (Ukraine) 2011 fukushima (japan)

Quelle: IAEA

Helga Kromp-Kolb Wolfgang Kromp

Der Physiker A. H. Becquerel und das Ehepaar Marie und Pierre Curie lösten Ende des 19. Jahrhunderts mit der Entdeckung der Radioaktivität weltweit ein Welle neuer Grundlagenforschung aus. Im Zuge des Zweiten Weltkrieges nahm die Radioaktivitäts- oder Kernforschung – vor allem in den USA und Europa – eine feste Richtung an: Sie konzentrierte sich auf die anfangs seitens der Militärs sehr skeptisch betrachtete militärische Anwendung. Nach dem Schrecken des Atombombenabwurfes auf Hiroshima und Nagasaki am Ende des Zweiten Weltkrieges, und nachdem klar geworden war, dass die nukleare Waffe nicht das Monopol der USA bleiben würde, warb der amerikanische Präsident Eisenhower in seiner berühmten Rede „Atoms for Peace“ 1954 vor der UNO Vollversammlung für eine zivile Nutzung der Atomkraft. „Nuklearschwerter“ sollten sich in „Pflugscharen“ wandeln, mittels nuklearer Explosionen sollten Wasserwege und Häfen, Gebirgsüberquerungen und Tunnel errichtet werden, vor allem aber sollte Strom aus Kernkraftwerken einer friedlichen Entwicklung der Menschheit förderlich sein. Die Erwartungen in diese neue Energieform waren hoch. Heute, nach den Katastrophen von Majak, Windscale, Three Mile Island, Tschernobyl und Fukushima und vielen anderen, gerade noch mehr oder weniger glimpflich abgelaufenen Zwischenfällen, hat sich das Bild gewandelt, und die in allen Stufen des Brennstoffzyklus auftretenden Probleme rücken immer stärker in den Vordergrund. Am Anfang steht der Uranbergbau, ein vor allem durch die in Abraumhalden und Schlammbecken verbleibenden radioaktiven Elemente extrem umweltbelastender Prozess, der auch die lokale Bevölkerung gesundheitlich belastet. Für die Sanierung aufgelassener Uranbergbaugebiete in der DDR stellte die Deutsche Bundesregierung 1991 DM-Beträge in zweistelliger Milliardenhöhe bereit – die Arbeiten dauern heute noch an. Heute befinden sich viele Abbaugebiete auf

dem Land indigener Völker, deren verzweifelte Proteste sich gegen die starken wirtschaftlichen Interessen nicht durchsetzen können. Uran 235, das in der Bombe von Hiroshima verwendete Material, ist die Hauptkomponente des Herstellungsprozesses von Kernwaffen. Uran 235 ist nur zu 0,7% im Natururan enthalten. Erst mittels aufwändiger Verfahren zur Anreicherung ist es als Brennstoff für die meisten Reaktortypen tauglich. Die Debatte um die nukleare Proliferation ist daher bis heute ein wichtiger Teil der Diskussion um die zivile Nutzung der Kernenergie. Die internationalen Auseinandersetzungen um die Nuklearprogramme Nordkoreas und des Irans sind nur zwei aktuelle Beispiele dafür. Diskussionen der nuklearen Option ohne Betrachtung des möglichen Gebrauchs bzw. Missbrauchs nuklearen Materials für nichtfriedliche Zwecke ist unvollständig: Nach Hannes Alfvén, Nobelpreisträger für Physik, sind die zivile und die militärische Atomindustrie siamesische Zwillinge. Die Uranisotope werden in Form von Keramikpillen (Urandioxid) in metallischen Brennstabhüllen eingeschlossen, die als Brennstäbe, zu Brennelementen gebündelt, die wesentlichen Bestandteile des Reaktorkerns bilden. Kernenergieerzeugung in Kernkraftwerken erfordert sehr komplexe und gekoppelte Systeme mit anspruchsvollen Sicherheitskonzepten, wie etwa Diversität, Redundanz und Mehr-Barrieren-System (defense–in–depth). Solchen Systemen sind Katastrophen inhärent und daher unvermeidbar. Nur die Wahrscheinlichkeit ihres Eintretens kann durch Sicherheitsmaßnahmen reduziert werden. Weil die Sicherheitsmaßnahmen die Komplexität der Anlagen weiter erhöhen, führen sie auch zu einer Zunahme der Verletzlichkeit – es geht also um ein schwieriges, nicht befriedigend lösbares Optimierungsproblem. Darüber hinaus besteht immer eine Spannung zwischen Sicherheits- und Kostenüberlegungen bei Kernkraftwerken.


weltweit sind 212 Atomkraftwerke mit 443 reaktoren in betrieb:

atomenergie: sauber, sicher, billig?

uranbergbau

urananreicherung

akw errichtung

akw betrieb

akw rückbau

lagerung von atommüll und brennstäben

gesundheitsschädlich umweltzerstörend hohe kosten co2-intensiv energie-intensiv

Grafik: NGN

vergleichbare Menge an Brennstäben nicht gekühlt werden kann, drohen durch Selbstaufheizung bis zum Schmelzen beträchtliche, unmittelbare Freisetzungen von Radioaktivität in die Umwelt, da die Abklingbecken sich außerhalb des Sicherheitsbehälters (Containments) befinden, der Freisetzungen aus dem Reaktorkern verhindern oder wenigstens verzögern und verringern kann. Nach einem gewissen Abklingen der Radioaktivität werden die Brennstäbe aus dem Abklingbecken in ein am Gelände des Kernkraftwerks befindliches Nasslagerbecken überführt. Ursprünglich sollten von dort alle Brennelemente nach weiterem Abklingen zu einer Wiederaufarbeitungsanlage transportiert werden. Euphemistisch als „Schließung“ des Brennstoff-„Kreislaufes“ bezeichnet, bezweckt dies die Rückgewinnung noch vorhandener spaltbarer Isotope (Uran 235, Plutonium 239 u.a.) zur Weiterverwendung im Reaktor oder für militärische Zwecke. Auch die Abtrennung nicht verwendbarer langlebiger radioaktiver Isotope erfolgt hier, um die aufwendig endzulagernde Menge hochradioaktiven Materials zu minimieren. Da von der Wiederaufarbeitung des abgebrannten Brennstoffs aus sicherheits- und wirtschaftlichen Gründen meist abgegangen wurde, stellen diese Becken mit immer dichter gepackten Racks von Brennelementen heute Anhäufungen besonders großer Mengen radioaktiven Materials dar. Sie spielen in der Diskussion um die Sicherheit gegen terroristische Angriffe eine Rolle, da sie z.B. nicht gegen einen Flugzeugabsturz gesichert sind. Als provisorische Lösung überführt man derzeit die Brennelemente nach einigen Jahren Nasslagerung in Trockenlager (Lagerhallen Luftkühlung). Dort sollen die Brennelemente für weitere Jahrzehnte bis zur Auffindung und Einrichtung von Endlagern aufbewahrt bleiben. Die damit verbundenen Castortransporte lösen in Europa immer wieder Proteste der Anti-Atombewegung aus.

privatisierte gewinne +  sozialisierte kosten (steuern) = atomstrom

die atomindustrie produzierte in den letzten 40 jahren 62.500 Tonnen hochradioaktiven Müll. der jahresdurchschnitt liegt heute bei 2.300 Tonnen weltweit. weltweit gibt es kein einziges endlager für atommüll!

Quelle: Nuclear Energy Institute

Sicherheitsrichtlinien und Standards wurden zwar wiederholt angehoben, jedoch die Nachrüstung bereits in Betrieb befindlicher Anlagen hat häufig mit dieser Entwicklung nicht Schritt gehalten. So wurden z.B. in Fukushima die nach dem Unfall von Three Mile Island (1979!) empfohlenen Nachbesserungsmaßnahmen nicht umgesetzt. Die Unfälle von Three Mile Island, Tschernobyl und Fukushima, einer Serie von Ereignissen, Vorläufern, „near misses“, Fällen krasser Defizite in der Sicherheitskultur etc. zeigen, dass die Sicherheitsproblematik keinesfalls gelöst ist. Diese Situation wird durch aktuelle Entwicklungen noch verschärft: Alterung von Material, Mangel an geschultem Personal, Verlust technischer Support-Organisationen, zunehmende Verknappung nukleartauglicher Ersatzteile, verschärfter Wettbewerb und erhöhter Kostendruck im liberalisierten Strommarkt, Leistungserhöhung und Lebensdauerverlängerung. Nicht zuletzt wegen der Zunahme an Weltbevölkerung, Ressourcenverknappung und Verteilungsungerechtigkeit ist davon auszugehen, dass kriegerische und terroristische Auseinandersetzungen zunehmen: Dies verbietet Förderung von Technologien und Strukturen, welche die Verwundbarkeit erhöhen und gebietet möglichst raschen Abbau derselben und Umwandlung in dezentrale Technologien und Strukturen mit hoher Fehlertoleranz und niedrigem Gefährdungspotenzial. Eines der Hauptprobleme der Kernenergienutzung liegt in den nach der Energieerzeugung verbleibenden radioaktiven Stoffen: Nach im Allgemeinen vier Jahren Verweildauer im Reaktor ist der Anteil an spaltbarem Material im Brennstab soweit abgesunken, dass die Brennelemente im Reaktor durch neue ersetzt werden. Die „abgebrannten“ Elemente kommen für einige Zeit (typischerweise 5 Jahre) in ein neben dem Reaktor befindliches Abklingbecken. In Fukushima stellt diese räumlich nahe Lagerung eine zusätzliche, besonders große Gefahrenquelle dar: Wenn diese dem Reaktorkern


demonstranten belagern bahnschienen um einen der castortransporte nach gorleben zu blockieren.

Selbst wenn die derzeitige, durch Fukushima ausgelöste Diskussion zu einem systematischen Ausstieg aus der Kernenergie führte, bliebe den nachfolgenden Generationen die bereits erzeugten, oben genannten langlebigen, hochradioaktiven Stoffe und abgebrannten Brennelemente. Diese müssen langfristig stabil und sicher gelagert werden. Mehrere Konzepte, wie etwa die Lagerung im Antarktischen Eis, am Meeresboden oder die Verbringung ins Weltall wurden wegen des zu hohen Risikos bereits verworfen. Bleiben die Optionen oberflächennaher Lager, die gegenüber Naturgefahren und Terroraktivitäten als verwundbar gelten, und die derzeit vom „Mainstream“ bevorzugten geologischen Tiefenlager. Während Zugänglichkeit, Reparierbarkeit und Rückholbarkeit für oberflächennahe Lager möglich sind, sollen vorgeblich zur Verhinderung von Missbrauch des gelagerten Materials Tiefenlager nach einer relativ kurzen Beobachtungszeit unzugänglich gemacht werden. Dadurch wird es aber auch unmöglich, den Zustand des Lagers zu überprüfen, eventuell erforderliche Reparaturen durchzuführen oder notfalls – z.B bei Eindringen von Wasser – das gelagerte Material herauszuholen und umzulagern. Ein Beweis, dass ein Schacht über die erforderliche Zeit gegen Eindringen von Wasser durch Verfüllen abgedichtet werden kann, ist aus Kurzzeiterfahrungen nicht ableitbar. Die dieser „Lösung“ innewohnenden Probleme werden besonders offenkundig, wenn man bedenkt, dass z.B. in Deutschland eine sichere Lagerung für eine Million Jahre gefordert wird. Wenn auch von geologischer Seite als gesichert gilt, dass bestimmte Gesteinsformationen über hunderte Millionen Jahre ihre äußere Gestalt nicht wesentlich verändert haben, so ist über das Langzeitverhalten im

Inneren aufgetretener Wasserwegigkeiten wenig bekannt. Auch lassen sich über das spontane Entstehen tektonischer Bruchlinien und damit verbundener Erdbeben oder Vulkanismus keine zuverlässigen Prognosen machen. Innerhalb der letzten halben Mio. Jahre sind fünf Eiszeiten mit massiven Vergletscherungen aufgetreten. Die damit verbundenen Gesteinsausschürfungen können durchaus die für Tiefenlager vorgesehenen Tiefen übertreffen. Da die tiefengeologische Lagerung somit nur eine Verschiebung auf und Verschärfung des Problems für kommende Generationen bedeutet, muss man sich von der Illusion der Endlagerung verabschieden. Es bleibt bis auf Weiteres nur die oberflächennahe Lagerung mit den Optionen auf Kontrollierbarkeit, Reparierbarkeit und Rückholbarkeit. Anstatt Zeit und Geld für die aus prinzipiellen Gründen nicht zielführende Suche nach Standorten für das ideale „Endlager“ zu verschwenden, müssen in Analogie zu den seit Anbeginn der Menschheit bestehenden Institutionen wie Krankenversorgung, Erziehung und Rechtsprechung die Überwachung der radioaktiven Stoffe in dezentralen, temporären Langzeitlagern institutionalisiert werden. Nicht zuletzt verdient Graf Andreas von Bernstorff es, als Pionier in der Bekämpfung der „Endlagerung“ hochradioaktiven Materials im Salzstock von Gorleben genannt zu werden. Er kämpft mit seiner Familie seit über 30 Jahren gegen das unter seinem Waldbesitz geplante Endlager und lehnte beispielsweise ein mehr als attraktives Angebot der deutschen Bundesregierung für finanzielle Abgeltung seiner Rechte am Salzstock ab. Graf Bernstorff wird im Rahmen der Erdgespräche über seine Beweggründe, Erfolge und Hoffnungen berichten.

© Jochen Lübke / dpa / picturedesk.com

Graf Andreas v. Bernstorff (*1942) studierte Forstwirtschaft, bis er 1967 den 6400 Hektar groSSen land- und forstwirtschaftlichen Familienbesitz übernahm. 1978 erhielt Bernstorff ein Kaufangebot der DWK (Deutsche Gesellschaft zur Wiederaufarbeitung von Kernbrennstoffen) für 600 Hektar Fläche, die zur Errichtung des NEZ (Nukleares Entsorgungszentrum) gebraucht worden wären. Er lehnte ab. Nach weiteren Versuchen, die Rechte zu erwerben, kündigte die 2009 gebildete schwarz-gelbe Regierung an, die Erkundung des Gorlebener Salzstocks fortzusetzen. Zu diesem Zweck beschloss der Deutsche Bundestag 2010 schlieSSlich ein Gesetz, das überdies die Laufzeitverlängerung und die Enteignung der Salzrechte vorsieht. www.bernstorff.de


Rohöl-Verschmutzung der Meere

Zur Lage der Meere -

eine Welle Öl Michael Stachowitsch

bei Methoden der Entfernung, z.B. durch Hochdruckdampfstrahlgeräte, weitere Schäden, die das Ökosystem nachhaltig zerstören. Das klassische „Posterbild“ der Ölkatastrophe sind schwarz verschmierte Seevögel. Sie leiden auf verschiedene Arten. Das Öl tritt in die Luftkammern zwischen den Federn ein. Das verursacht den Verlust des Auftriebs der Tiere und sie gehen unter. Ebenso verlieren sie ihren Wärmeschutz: die, die nicht Die Meeresumwelt liefert dafür ein markantes Beispiel. ertrinken, erfrieren. Das Öl bedeckt kritische Körperteile, Die Verunreinigung der Meere umfasst ein breites Spektrum von Auswirkungen durch Ölverschmutzung, Radioaktivität, wie z.B. die Salzdrüse an der Nasenbasis, und schädigt den Schwermetallen, halogenierten Kohlenwasserstoffen, Eutro- Stoffwechsel der Vögel. Jeder Versuch ihre Federn zu putzen, bedeutet Schlucken und Selbstvergiftung durch die toxischen phierung (Überdüngung), Müll (Plastik) bis hin zum Steigen Bestandteile des Öls. Letztendlich sitzen die verölten Vögel des Meeresspiegels und der Übersäuerung der Ozeane. Der während der Brutzeit auf ihren Eiern, die sie mit Öl bedecken Leitsatz könnte heißen: so gut wie jeder von Menschen produzierte Schadstoff landet letztendlich in den Ozeanen. Diese und so die Embryos töten. Somit kann potentiell eine ganze Generation von Tieren ausgelöscht werden. Menschliche können aber nichts außer durch Verdampfen destilliertes Versuche die Tiere zu reinigen, z.B. durch chemische ReiniWasser abgeben. gungsmittel, beschädigen die Feinstruktur der Federn. Bis Die älteste und sichtbarste Meeresverschmutzung ist die durch Rohöl. Sie entsteht durch Tankerunfälle und -betrieb, zur Regeneration der Federn müssen die Tiere daher an Land festgehalten werden – eine Situation, die für Seevögel Trockendock-Arbeiten an Tankern bzw. Schiffen, Unfälle mit ungewöhnlich ist und zu erhöhter Sterblichkeit führt. Frachtern bzw. Schiffen, Ölplattformen, industriellen Müll, Die Anatomie jedes Unfalles ist dieselbe: Erstaunen darüber, kommunale Abfälle, städtische Abwässer und atmosphäridass solch ein Unfall sich überhaupt ereignen kann, vollkomschen Niederschlag. Allein die Namen der großen Tankerunfälle sind berühmt-berüchtigt und die ausgetretenen Mengen menes Unvorbereitetsein, Verzweiflungsrufe nach Freiwilligen (Einwohnern vor Ort, Studenten, Soldaten), die man mit erschreckend (siehe rechts). Was dem Fass schließlich endeinfachem und oft unzureichendem Werkzeug (Schaufeln, gültig den Boden ausschlägt ist Umwelt-Terrorismus: im Kübel) ausstattet, Verneinung der Schwere des Unfalls, Golfkrieg 1991 wurden nach Sabotage an den Ölfeldern bis schrittweise Anerkennung des Ernstes, Schließung von zu 2 Millionen Tonnen Rohöl freigesetzt. Fischereibetrieben, Händeringen und eventuell der Besuch Die ersten Fragen, die sich jedes Mal nach so einem Ereignis von Politikern vor Ort, ein Ping-Pong an Schuldzuweisungen stellen, sind „Welche Auswirkungen sind zu erwarten?“, und langjährige gerichtliche Auseinandersetzungen. Die Folge, „Wie lange wird der Schaden bestehen?“ Das erfordert die üblicherweise Dekaden später: eine vierzeilige Notiz in den Kenntnis der Menge und der Art des ausgetreten Öls, der Temperatur von Meer und Luft, von Wellengang, Strömungs- hinteren Seiten einer Zeitung mit der Bekanntgabe, dass der Prozess abgeschlossen sei und die Strafen bezahlt. Das Ökorichtung, der Beschaffenheit der betroffenen Küsten und Flora und Fauna des verschmutzten Bereiches. So sind expo- system wird darin nur mehr selten erwähnt. Denn in der nierte, felsige Küsten weniger sensibel als feine Strände, diese Zwischenzeit haben sich neue bedeutende Unfälle ereignet, auf die sich der Fokus der Weltöffentlichkeit richtet. sind wiederum weniger sensibel als Strände mit Kies oder Schotter. Umso größer die Körnung an der Küste, umso tiefer Rohöl-Unfälle sind schrecklich. Sollen die Gesetzesübertreter kann das Öl in den Strand eindringen, wo es nicht mechanisch nun eingesperrt und schwer bestraft werden? Ja und Nein. Denn letztendlich sind wir es, die das Öl unseren Lebensstil entfernt werden kann, wodurch sich der Abbau wesentlich beeinflussen lassen. Uns muss klar sein, dass der Großteil verlangsamt. Am empfindlichsten Ende der Skala stehen geschützte Wattgebiete und Mangrovenwälder. Je flacher die des Öls, das in unsere Ozeane fließt, nicht von spektakulären Unfällen, sondern aus städtischen Abfällen und Abwässern Küstenneigung, umso breiter die Fläche, die durch das von den Gezeiten verbreitete Öl betroffen ist. Zusätzlich entstehen und aus den täglichen Aktivitäten von jedem von uns stammt. Wir sind es gewöhnt, regelmäßig Berichte zur „Lage der Nation“ zu erhalten, in denen uns Spitzenpolitiker über den Stand der Dinge in unserem Land informieren. Von ebensolchen Berichten zur „Lage der Umwelt“ hören wir kaum. Vielleicht, weil das Entsetzen wesentlich höher wäre als bei einer politischen Evaluierung.

institut für Meeresbiologie, Universität wien

Insgesamt flieSSt jedes Jahr eine geschätzte Menge von 6 Millionen Tonnen Öl ins Meer! groSSe erdölkatastrophen: ÖLPLATTFORMEN: ixtoc I: 500.000 t deepwater horizon: 500.000 t TANKERUNFÄLLE: amoco cadiz: 230.000 t torrey canyon: 120.000 t EXXON VALDEZ: 40.000 t golfkrieg: 2.000.000.000 t uvm.


niger flussdelta

am niger delta zählte man 2006 5.284 ölbohrungen.

Quelle: FOE

niger delta:

legende: ölfelder pipelines sumpfgebiet

Quelle: IUCN, FOE

in den letzten 50 jahren sollen 1,5 Millionen tonnen rohöl in das niger delta geflossen sein. (=3x deepwater horizon)

textquellen: IUCN, FOE

Das Niger Delta erstreckt sich über eine Fläche von über 112.000 km2 (Österreich 84.000 km2). Das Delta und seine Mangrovenwälder werden von der IUCN als eines der 10 wichtigsten marinen Ökosysteme weltweit eingestuft und ist Lebensraum für viele bedrohte Säugetiere und Vogelarten. Ein Großteil der nigerianischen Ölproduktion findet hier statt. Am Niger Delta wurden bis 2006 5.284 Ölbohrungen vorgenommen. Die Ölverseuchung ist weitreichend und dramatisch. Über 6.800 ‚spills‘ (Öleinträge) in den 25 Jahren zwischen 1976 und 2001. Zudem ist das tatsächliche Ausmaß der Ölverseuchung nicht zuletzt aufgrund der „absichtlichen Unterbewertung“ durch internationale Ölfirmen und die nigerianische Regierung sehr schwer einzuschätzen. Schätzungen gehen davon aus, dass in den vergangenen 50 Jahren 9 bis 13 Millionen Barrel (1,5 Millionen Tonnen) Öl in das Niger Delta geflossen sind. Das ist die dreifache Menge dessen, was im Jahr 2010 durch die BP-Deepwater Horizon-Katastrophe in den Golf von Mexiko floß. Anders ausgedrückt findet im Niger Delta eine Katastophe in der Größenordnung der Exon Valdez durchschnittlich jedes Jahr statt!

© Israel Aloja (ERA/FoEN)

über 6.800 öleinträge (‘spills’) rund um das niger delta wurden in den 25 Jahren zwischen 1976 und 2001 gezählt.

Quelle: IUCN, FOE

Ölverschmutzung AM Niger Delta


Rohöl-Verschmutzung am niger delta

© Elaine Gilligan/Friends of the Earth

ledum mitee (*1957) ist Jurist aus Nigeria. Seit der Hinrichtung seines Mitstreiters Ken Saro Wiwa 1995, ist Mitee Präsident der Organisation Movement for the Survival of Ogoni People (MOSOP), die er Anfang der 1990er Jahre gemeinsam mit Saro Wiwa und anderen gründete. Weltweit macht er auf die Notlage der Ogoni und die Verwicklung des Ölkonzerns Shell in die Ölverschmutzungen am Nigerdelta aufmerksam. Ledum Mitee ist auSSerdem Leiter des Niger Delta Technical Committee. www.mosop.org

Widerstand im Niger Delta Um Ken Saro Wiwa und die Bevölkerungsgruppe der Ogoni bildete sich friedlicher Widerstands gegen die Ölverseuchung und die gewaltsame Unterdrückung der lokalen Bevölkerung im Niger Delta. 1990 gründeten Ken Saro Wiwa, Ledum Mitee und ihre Mitstreiter MOSOP (Movement for the Survival of the Ogoni People). Dessen Ziele beinhalten die kulturelle Autonomie der rund 500.000 Ogoni, die Sanierung der ölverseuchten Gebiete und eine Beteiligung der Ogoni an den Einnahmen der Ölförderung ihrer Region. Im Gegensatz zu gewaltbereiten Organisationen zeichnet sich der Widerstand MOSOPs durch friedliche Demonstrationen aus. Nach einer Demonstration 1993, an der sich mehr als die Hälfte der Ogoni beteiligten, wurde die Erdölförderung zeitweise sogar eingestellt. 1994 wurden Ken Saro Wiwa, Ledum Mitee und 15 weitere Ogoni-Aktivisten für neun Monate festgenommen. Acht

weitere Monate dauerte der gegen sie angestrengte Schauprozess, in welchem Mitee selbst als Verteidiger auftrat. Er und sechs weitere Gefangene wurden entgegen allen Erwartungen freigesprochen. Ken Saro Wiwa, der im gleichen Jahr den Alternativen Nobelpreis und den Bruno-Kreisky-Preis für Verdienste um die Menschenrechte erhielt, und die verbleibenden acht Aktivisten wurden zum Tode verurteilt und gehängt. Seither kämpfen Mitee und die Ogoni für ihre Rechte im Rahmen der MOSOP-Aktivitäten weiter. Nach Ende der Militärdiktatur 1998 setzte in Nigeria ein Dialog ein. Es wurden beispielsweise Reparationszahlungen an die Familienangehörigen der Opfer geleistet. Die Region bleibt allerdings weiterhin ölverseucht und bei Protesten kommt es nach wie vor zu brutalen Reaktionen seitens der Regierung.

textquellen: FOEI, Amnesty, Rightlivelihood, MOSOP, FAZ

© Fotos dieser Seite: Privatbesitz Ledum Mitee

demonstration der ogoni


die erde von oben

redakteurin beim radiosender fm4.

Von oben betrachtet erklÄrt sich vieles von selbst

Wäre die Erde am 1. Jänner 2010 entstanden, dann wären die ersten Lebewesen erst am 26. Februar erschienen. Dinosaurier bewohnten ab 10. Dezember die Erde, um NUR 16 Tage später wieder auszusterben. Am Abend des 31. Dezember tauchte der Homo sapiens auf, um kurze Zeit später (in weniger als 1 Minute) das zerbrechliche Gleichgewicht zwischen Erde, Ozeanen und Atmosphäre drastisch und langfristig zu verändern! (gelesen auf einem plakat der ausstellung “die erde von oben”)

"Es ist zu spät für Pessimismus. Wir wissen sehr wohl, dass es Lösungen gibt. Es liegt in unserer Macht, einen Wandel herbeizuführen." (Yann Arthus-Bertrand)

Dieses Foto kennen die meisten von uns. Es ziert den Einband von Yann Arthus-Bertrands Bildband-Bestseller „Die Erde von oben“ (1999), hing als Plakat für den gleichnamigen Film (2004) weltweit in den Kinos und steckt als Postkarte in den Verkaufsständern unzähliger Papiergeschäfte. Es zeigt ein Herz. Ein Herz vom Himmel aus gesehen, geformt vom Grün etlicher Bäume und Sträucher. Fast kitschig, dass die Natur ausgerechnet dieses Motiv in die Landschaft gezeichnet hat. Das Phänomen, das es abbildet, offenbart dagegen eher ihre unbarmherzige Seite. Der schlammbraune Fleck im Inneren des Herzens ist eine kahle Stelle inmitten des Mangrovenwalds nahe der kleinen Gemeinde Voh in Neukaledonien, Frankreich. Das Meerwasser, das dort regelmäßig das Schwemmland überflutet, reichte eines Tages nicht mehr über die leichte Anhöhe, die Salzkonzentration wurde zu hoch, die Pflanzen auf dieser Fläche starben ab. Yann Arthus-Bertrand hat das „Herz von Voh“ im Jahr 1990 aufgenommen. Es ist charakteristisch für seine Arbeiten, weil es veranschaulicht, wie nahe Schönheit und Verletzlichkeit der Erde beieinander liegen. Dabei sind Trockenperioden wie in Voh, die durch den natürlichen Lauf der Gezeiten verursacht werden, noch das geringste Problem. Wenn Yann Arthus-Bertrand hingegen Lager voller Ölfässer fotografiert, Palmölplantagen oder Rauchschwaden über einem Kernkraftwerk, schreiben die zerstörerischen Eingriffe des Menschen den Subtext zu seinen Bildern: der Treibhauseffekt, die Abholzung des Regenwalds und Atommüll sind nur einige Beispiele dafür. Diese Wechselwirkung zwischen Mensch und Natur fängt Yann Arthus-Bertrand mit seiner Linse ein, seit er Ende der 1970er Jahre seine Leidenschaft für die Luftbildfotografie entdeckt hat. Damals verbringt der studierte Biologe einige Jahre in Kenia im Nationalpark Masai Marai, um das Verhalten einer Löwenfamilie zu dokumentieren. Zu Beobachtungszwecken steht ihm ein Heißluftballon zur Verfügung, und schnell lernt er den Vorteil der

Vogelperspektive zu schätzen – schon ein kleines Stückchen Abstand zum Objekt verschafft einen besseren Überblick. „Von oben betrachtet“, sagt er, „erklärt sich vieles von selbst“. Zurück in Frankreich beginnt er als Fotoreporter für internationale Magazine wie Geo, National Geographic oder Paris Match zu arbeiten, bis er 1994 das von der UNESCO unterstützte Projekt „Die Erde von oben“ startet. Es soll eine fotografische Bestandsaufnahme über den Zustand der Erde werden. Das schmelzende Eis in der Antarktis, Flamingokolonien, Slums, Solaranlagen, Kohleabbau, Massentierhaltung, spielende Kinder, Windparks und Autofriedhöfe – all das und noch viel mehr dokumentiert Yann Arthus-Bertrand für gegenwärtige und zukünftige Generationen. Mittlerweile ist der Franzose über mehr als 100 Länder geflogen und hat etwa eine halbe Million Fotos geschossen. Seine Flugstunden kompensiert er mit einem CO2-Reduktionsprogramm, das er im Rahmen seiner Umweltorganisation GoodPlanet selbst gegründet hat. Einen weiteren Ausgleich hofft er durch seine Fotografien zu schaffen. Sie appellieren an die Einsicht der Menschen, ihr Verhalten zu ändern. Der Überblick, den sie geben, hilft dabei, zu begreifen, dass wir ein Teil dessen sind, was wir im Begriff sind, zu zerstören. „Es gibt nicht auf der einen Seite den Menschen und auf der anderen Seite die Natur“, sagt Yann Arthus-Bertrand, „der Mensch ist ein fester Bestandteil der Natur.“ Aus diesem Grund ist es ihm auch ein großes Anliegen, dass möglichst viele Menschen seine Arbeiten sehen. Auf seiner Website und anderen Internetplattformen sind tausende seiner Bilder frei verfügbar. Unter anderem findet sich dort auch eine zweite Aufnahme des „Herzens von Voh“, diesmal aus dem Jahr 2002. Der kahle Fleck in der Mitte des Mangrovenwalds ist verschwunden, an dessen Stelle wuchert nun ein helles Grün. Die Flut hat das überschüssige Salz schließlich doch noch aus dem Boden geschwemmt. Wieso sollten wir Vergleichbares nicht für den Rest der Erde schaffen?

© „HOME“ an ELZEVIR FILMS / EUROPACORP coproduction

Barbara Köppel


© Aurelie Miquel

Yann Arthus-Bertrand (*1946) ist Fotograf, Regisseur und Umweltschützer. Er ist bekannt für seine spektakulären Luftaufnahmen, die unter dem Titel „Die Erde von oben“ in mehreren Bildbänden (1999-2010), als Wanderausstellung und im gleichnamigen Film von Renaud Delourme (2004) erschienen sind. Als Filmemacher machte sich Yann Arthus-Bertrand mit der Naturdokumentarfilmserie „Vu du ciel“ (20062008) für den französischen TV-Sender France 2 einen Namen, sowie mit dem Internetprojekt „6 milliards d’Autres“ und „Home“ (2009). 2005 gründete er GoodPlanet, eine NGO, die sich für nachhaltige Entwicklung und Umweltbildung einsetzt. www.yannarthusbertrand.org

“heart of voh” neukaledonien neukaledonien:


Bauen in Entwicklungsländern

small is beautiful

österreichischer Biologe und einer der Wegbereiter der österreichischen Ökologiebewegung.

Bernd Lötsch

bauen in wüstenregionen: baumaterialien im vergleich temperaturentwicklung in einem raum aus fertigbeton:

Quelle: Bernd Lötsch

temperaturentwicklung in einem raum aus lehmziegeln:

legende:

Den Ernst der Lage zeigen UNO-Statistiken. Denen zufolge sind es extrem ungesunde Wohnverhältnisse, die an der deutlich verkürzten Lebenserwartung von 800 bis 900 Millionen Menschen in aller Welt Schuld sind. In Kom Ombo in Oberägypten zum Beispiel hat die Regierung etliche der vom Assuan-Staudamm verdrängten Nubier in vielleicht gut gemeinte, aber klimatisch unerträgliche Siedlungen aus Beton eingewiesen. Die Sterblichkeit von Kindern und alten Menschen schnellte erschreckend empor. Berichte der verzweifelten Dorfbewohner wie „We are going to the cemetery three times a day to bury our children“ machten Hassan Fathy Anfang der 1960er Jahre auf diese katastrophalen Wohnbedingungen aufmerksam. Wie aber können Architekten dazu beitragen, jedes Jahr für eine Million zusätzlicher Erdenbürger in Ägypten menschenwürdige Behausungen zu schaffen? Für Klienten mit einem durchschnittlichen Jahreseinkommen von 100 Euro, das kaum fürs nackte Überleben reicht? Die Lösung kann nur in Bautechnologien und Organisationsformen liegen, die es den bettelarmen Wohnungswerbern ermöglicht, ihre Häuser selbst zu bauen. Das einzige, das sie einzubringen haben, ist ihre eigene Arbeitskraft und die ihrer Nachbarn und Verwandten. An die Stelle des kostenaufwendigen „ArchitektenBaufirmen-Bauherren-Systems“ muss das „ArchitektenSelbsterbauer-System“ treten. Der Architekt wird nach diesem Entwicklungskonzept ähnlich dem chinesischen Barfußarzt* als ein der Gemeinschaft beigestellter Helfer gesehen. Im Unterschied zum Barfußarzt jedoch, braucht er größere Regierungsleistungen, um wirksam helfen zu können – nämlich die Beistellung kostenloser Baugründe und ein Mindestmaß billig verfügbarer, einfach zu

verarbeitender Materialien. Genau hier läge die geradezu revolutionäre Bedeutung wiederentdeckter traditioneller Materialien, angepasster Baumethoden und passiver Klimatisierungssysteme des vorindustriellen Zeitalters. Aus Zeiten also, in denen die künftigen Bewohner mit den herbeigeholten Handwerksmeistern mitzuarbeiten pflegten, der Import fremder Baustoffe nicht in Frage kam, und das Raumklima nicht durch elektrische Kühlaggregate, sondern durch eine Vielfalt tradierter baulicher Kunstgriffe optimiert werden musste. Wüstenstädte zum Beispiel waren bei Persern und Arabern einstmals Spitzenleistungen heimischer Habitatgestaltung – mit einer kühnen Baukultur, die europäische Architekten in Staunen und Bewunderung versetzte, und mit dem gezielten Einsatz von Wasser und Vegetation zur Klimatisierung städtischer Lebensräume. Heute ist etwa Kairo, die Metropole der arabischen Welt, durch Überbevölkerung und blinden Technologietransfer – aus völlig andersartigen Industrieregionen – zur urbanen Katastrophe geworden. Ernst Friedrich Schumacher, der Autor des bahnbrechenden Werkes „Small is beautiful“, Ökonom und Berater von Entwicklungsländern, hat dazu einmal bemerkt: „Ein Ding komplizierter machen, das kann jeder drittklassige Ingenieur. Aber eine Sache zu vereinfachen, dazu bedarf es eines Hauchs von Genie“. Zum Beispiel in Form der akkumulierten Weisheit hunderter Generationen. * Als BarfuSSarzt wird eine in traditioneller chinesischer Medizin ausgebildete Person bezeichnet, die in China von Dorf zu Dorf zieht (meist ohne akademische Ausbildung). Auf diese Weise versucht man, ein Minimum an medizinischer Versorgung in Dörfern zu gewährleisten. Barfußärzte gibt es auch in anderen Ländern Asiens und Afrikas.


architecture for humanity

burma nach dem zyklon “nargis” im jahr 2008

design can change the world

Cameron Sinclair (*1973) Der selbsternannte „Chief Eternal Optimist“ und Architekt studierte in Westminster und am University College London. Der Einstieg in die Thematik der sozialen und humanitären Architektur begann mit seiner PostGraduate-Arbeit, die er der nachhaltigen Bauweise von Unterkünften für New Yorker Obdachlose widmete. 1999 gründete Sinclair mit seiner Partnerin Kate Stohr die Organisation Architecture for Humanity (AfH). 2006 gewann Sinclair den TED-Prize und gründete das Open Architecture Network (OAN). www.architectureforhumanity.org www.openarchitecturenetwork.org

© Francine Daveta

Architecture for Humanity entwickelt innovative Architektur- und Designkonzepte für und mit Gemeinden, die von Krieg oder Naturkatastrophen betroffen sind. Im Einsatzgebiet vereint AfH lokales Wissen mit den Kenntnissen erfahrener innovativer Architekten, um einfache, aber ökologische und effektive Lösungen zu entwickeln und vor Ort anzuwenden. Aus den Aktivitäten von AfH entstand das weltweit agierende Open Architecture Network (OAN). OAN ist das erste globale Open-Source-Netzwerk, das durch innovatives und nachhaltiges Design und der Bereitstellung sämtlicher Ressourcen weltweit Lebensbedingungen verbessert. Für AfH und OAN arbeiten über 40.000 Experten in 60 Zweigstellen in 25 Ländern und beteiligen sich an Hilfsprojekten in Burma, Haiti, Pakistan, Neuseeland und seit der TsunamiKatastrophe auch Japan.

© Fotos dieser Seite: Open Architecture Network

kenya: football for hope center

projektbeispiele:

Buch von cameron sinclair “Design like you give a damn” japan/sendai, 2011: erdbeben/tsunami

burma, kenya, japan





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IMPRESSUM: herausgeber: neongreen network redaktion: angie rattay adam pawloff texte: freda meissner-blau bernd lötsch helga kromp-kolb wolfgang kromp johann skocek barbara köppel michael stachowitsch adam Pawloff angie rattay lektorat: barbara köppel georg rotomer design: angie rattay www.angieneering.net coverfoto von yann arthus-bertrand: GRAND PRISMATIC SPRING Yellowstone NationalPark Wyoming, USA

ERDgespräche 2011 am 24. Mai in der Wiener Hofburg 16.30 VIP-Empfang (nur mit VIP-Ticket) • 17.00 Einlaß (nur mit Anmeldung) • 17.30 Beginn • 23.30 Ende. 17.30 bis 21.00

21.00 bis 23.30

VORTRÄGE:

NETZWERKABEND:

YANN ARTHUS BERTRAND (F) Fotograf, Regisseur und Umweltschützer

Nach den Vorträgen laden wir zum Netzwerken an unser Biobuffet!

GRAF ANDREAS VON BERNSTORFF (GER) Aktivist und Großgrundbesitzer

Anmeldung ab sofort unter: www.erdgespraeche.net

LEDUM MITEE (Nigeria) Umweltschützer und Aktivist

VIP-Tickets bestellen unter: global@neongreen.net

CAMERON SINCLAIR (GB/USA) Architekt und ewiger Optimist

LIVESTREAM unter: www.erdgespraeche.net

Vielen Dank an alle Partner der diesjährigen ERDgespräche: Mit freundlicher Unterstützung:

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oekostrom die saubere Alternative

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hersteller: gugler cross media gedruckt auf: lenzing papier auflage: 5.000 stück hergestellt in österreich www.neongreen.net

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