AD Choice 2019

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ARCHITECTURAL DIGEST. Stil, Design, Kunst & Architektur

Sonderausgabe 2019

Choice

Trends 2020

Möbel zum Leben, Design zum Träumen: neue Wohnideen frisch aus Mailand


Editorial Choice

Foto: Ivan Grianti; Porträt: René Fietzek

E

„In Mailand sind alle zusammen verliebt.“

in ganzes Heft über eine Möbelmesse. Kann das was werden? Hallenatmosphäre, Terminhast und Produktflut – fürchten Sie vielleicht. Endlich! Dachten wir. Die Woche des Mailänder Salone del Mobile ist die spannendste im Designkalender, so wichtig, als wären in der Modebranche alle Schauen des Jahres in einer vereint. Hersteller und Entwerfer aus aller Welt treffen sich jeden April auf der Messe und auf dem Fuorisalone, präsentieren die neusten Kollektionen und Produkte – und sind zusammen verliebt. Die Sonne scheint (gefühlt viel mehr, als sie es meteorologisch tut), der Spritz perlt spritziger, als er es beim besten Barkeeper ­ in München je könnte, und selbst die cleane Metrostation des Messegeländes ist plötzlich hinreißender als ein Jugendstilbahnhof in Berlin. Kurz: Die rosarote Brille wird ausnahmsweise negronirot. Doch auch wenn die Stimmung Jahr für Jahr vorzüglich ist, musste man zuletzt aufkeimende Enttäuschung verdrängen: die neue Leuchte bei Rossana Orlandi? Hatte man schon auf Instagram gesehen, den crazy Sessel auf Sight Unseen. So wunderbar leicht das Internet die Recherche für uns Journalisten gemacht hat, so schwer ist es geworden, sich von neuen Entwürfen überraschen zu lassen. Doch Entwarnung: nicht so dieses Jahr! Stardesigner wie Cristina Celestino kleideten ganze Apartments neu

ein, junge Wilde zelebrierten ihren Hang zum Esoterischen, ganze Messestände wurden als Birkenwälder nachgebaut, Marmor wurde bunt (o. links), und der allgegenwärtige Midcentury-­Hype zog sich endlich wieder in die 50er Jahre zurück. Omnipräsent war dafür Dimore Studio. Das Duo – so prophezeien wir – wird vermutlich bald das Fach und zum Film wechseln. Die Inszenierung ist eben (manchmal) wichtiger als das Produkt. Umso mehr lag uns am Herzen, ein Heft zu gestalten, das kein gleichförmiger Neuheiten-Katalog sein soll, sondern ein lebendiger Spiegel unserer Eindrücke. Sicher, das Möbel von heute muss Platz sparen, die Umwelt schonen, den Geldbeutel meist leider nicht. Doch dass es opulent oder geradlinig, in Pilzform oder Regenbogenfarben, düster oder erhellend sein kann, zeigen die folgenden Seiten. Zur Lektüre empfehle ich ein Glas Vino und ein Stück Pizza. Denn, um Ihnen ein Geheimnis zu verraten: Nichts schmeckt besser als eine Margherita abends um elf. Nach einem langen Messetag in einer übervollen, viel zu lauten Trattoria.

Oliver Jahn 5


Inhalt Choice Editorial Impressum Out of Space

Trends 12

Color Collage Bunte

Begegnungen machen Lust auf Interior-Experimente.

16

Viel Meer

48

Pilzleuchten

Die neuen Schirmlampen versprechen sofortige Erleuchtung. Ihre Wirkung: hypnotisch. 50 Fäden & Fransen Vier Meisterinnen des textilen Designs und ihre neusten Kreationen. 52

Schimmernde Metalle

Von irisierend blau bis ­ spiegelnd pink – Stahl und Aluminium locken mit einprägsamen Oberflächen.

Polstermöbel Die schönsten neuen Kurvenstars zum Denken, Lesen oder einfach Nichtstun.

20

72

22

Gymnastiktape

32

80

38

In Shape Klare

Kante mit grafischen Linien und geometrischen Formen.

über das Vergnügen großer Kollektio­nen – etwa für Fendi Casa.

89

56

Folklore Junge

Designer schenken altem Kunsthandwerk ein Revival.

90 Regenbogen Besprühter Marmor, laminiertes Spiegelglas – das Wohnen wird bunter.

New Gothic

Alexandre Dumas trifft Piranesi: Requisiten für mehr Drama, Baby!

85 Zylinder Entwürfe in Stelenform weisen uns den Weg – sogar im Dunkeln.

Lichtdesign als erhellende Kommunikation.

78

Sebastian Herkner

über Komfort und die Frage: Wo ist man zu Hause?

26

Ladies & Gentlemen!

Großer Bahnhof mit Tapete: Eric Egans vibrierende Showroom-Wohnung.

People 18 Sterne, die immer leuchten An diesen Superstars des Designs kam auf dem Salone niemand vorbei. 36

Da bahnt sich was an

Wir wagen eine Prognose: Diese jungen Entwerfer werden uns in Zukunft noch viel Freude bereiten. 60

Großes Kino

Mailand ist ihre Bühne: die multiplen Fa­cetten von Dimore Studio.

6

Olafur Eliasson über

Rooms

Raffiniert durchbrochen, sorgen diese Luftikusse für Licht und Leichtigkeit.

Anleihen beim Sport bringen auch das Interior ordentlich in Schwung.

Diese Kuriositäten zeigen ihr Talent in der Kunst der Übertreibung.

Das Interior zeigt sich grün wie nie und lässt exotische Gewächse sprießen.

Durchlässigkeit

76 Unter Spannung Oben mit unten verbinden, links mit rechts? Eine gute Idee!

Over the Top

24

Cristina Celestino

58

Diese Saison wagt sich unter Wasser – und spült Designperlen an Land.

Mondlandung 50 Jahre nach der Mondmission: galaktisch gute Entwürfe.

86

Naturburschen

40 Zwei wie H und O Mit die­sem Muster-Apartment feiern Elisa Ossino und Jo­sephine Akvama Hoffmeyer ihre erste Kollektion. 64

La Grande Bellezza

Zu schön, um wahr zu sein – ist Guccis Mailänder Popup-­Store. Deswegen schließt er Ende Juni wieder. 92

Zurück zur Zukunft

mit fliegenden Teppichen. ­ illkommen im Kosmos W von Besana Carpet Lab!

98

Gewinnspiel

Cover: Aino Huhtaniemi

5 8 10

Talks


Trends 2020

Eine dicke Lippe riskieren? Können so schön nur die Haas Brothers. Die beiden teratophilen Designer haben für L’Objet eine vergoldete Tableware-Kollektion entworfen, die unter anderem eine Kanne und zwei Tellerhüter (die beiden haben je vier Untersetzer verschluckt) beinhaltet. Welch monstermäßiger Speisespaß! 400 bzw. je 475 Euro.


Out of Space

Foto: Elio Tolot for L’Objet

Wie die wilden Kerle wohnen – wollen wir jetzt auch. Der Salone 2019 zeigte: Die Möbel der Saison beflügeln die Fantasie. Und das Zuhause!


Sterne, die immer leuchten Text ULRICH

CLEWING

An diesen Designern kommt auf dem Salone niemand vorbei. Ihre Entwürfe sind so allgegenwärtig wie ihre Ideen unerschöpflich.

Patricia Urquiola Irgendwo in ihrem verwinkelten, ein wenig unübersichtlichen Büro in Mailand muss sie ein Minikraftwerk versteckt haben, das unablässig Energie für frische Ein­fälle produziert. Ob Privathäuser oder Shops, Restaurants oder Hotels, die Architektin findet stets einen Weg, den Dingen überraschende Twists zu geben. Den Armchair „Band“ (oben) hat sie gerade als Outdoor-Sessel für Kettal designt: ein paar Kanthölzer, die aussehen, als hätte sie ihnen Banda­gen angelegt. Eigentlich ganz einfach, vor allem aber: einfach großartig.

18

Formafantasma Die beiden Italiener aus Amsterdam interessiert bei i­hrer Arbeit vor allem, was so alles unter der Oberfläche der Gegenstände schlummert. Deshalb haben Simone Farresin (links) und Andrea ­Trimarchi in den letzten zwei Jahren nicht nur erforscht, wie man Computerplatinen recyceln kann. Mit den Material-Freaks von Dzek aus ­London entwickelten sie jüngst die Fliesenserie „Ex-Cinere“ (u.), deren Glasur aus Vulkanasche vom Ätna besteht. Durch leichte Unregel­ mäßigkeiten während des Brennvorgangs wird jede Kachel zum Unikat.


Fotos: Patricia Urquiola; Delfino Sisto Legnani & Marco Cappelletti, Courtesy of Formafontasma & Dzek; Nendo / Wonderglass; Andrea Agrati; Porträts: Roger Decker; Bettina Genten; Takumi Ota; Sara Magni

People 2020

Nendo „Breeze of Light“ hieß die Sinne verwirrende Installation, in der sich Oki Sato oben rechts auf dem ­Salone fotografieren ließ. Die Illusion von Nebel erzeugten allein LEDs und rotierende Polfilter. Licht als sanfte Brise oder Möbel aus Glas, die zu schmelzen scheinen wie Eis – das sind poetologische Anverwandlungen, wie sie der Designer aus Tokio liebt. „Melt“ (oben), eine Arbeit für die venezianische Manufaktur Wonderglass, macht klar, worum es Sato bei jedem Projekt ­seines Büros Nendo geht: aus Handwerkskunst und praktischem Nutzen kleine Alltagswunder zu kreieren.

Serena Confalonieri Dass man das kulturelle Erbe bewahren und in Ehren halten muss, darüber braucht Serena Confalonieri (unten links) nun wirklich keine Aufklärung. Mit geistigen Landmarken wie Gio Ponti, Art déco und Bauhaus im Kopf interessiert die Mailänder Designerin eher, den Hinterlassenschaften großer Geister eine schöne Zukunft zu bereiten. Oskar Schlemmers Triadisches Ballett inspirierte sie zu ihren „Arabesque“-Gefäßen (u. re.) – kurios, dass nicht schon früher jemand darauf gekommen ist. Aber das denkt man ja bei allen brillanten Ideen.

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Trends 2020 1 In 29,5 Jahren um die Sonne? Hocker „Saturn Small“ landet schneller im Designkosmos als sein Namensgeber. Stahl und Wollstoff, von Lara Bohinc, 2603 Euro. 2 Zu Hause über den Mond spazieren! Jan Kaths Teppich „Moon 1“ aus der Kollektion „Spacecrafted“, Wolle und Seide, 2800 Euro / m2. 3 Ein Finish wie Mondstaub: Bücherregal „Primordial“ von Raphael Navot für Roche Bobois, 4300 Euro. 4 Extraterrestrisch wirkt das Sofa „Araignée“ von LJ Edition by Marc Ange, 14 500 Euro.

1

Men on the Moon 50 Jahre nach Neil Armstrongs Mondmission bekommen wir Gegenbesuch. Science Fiction? Nein, galaktisch gutes Design!

2

4

3

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Lichtjahre voraus: Gio Tirottos Tischleuchte „Television“ aus der Rei­ he „Intimate Pheno­ mena“ für Secondome. Aluminium, Stahl und Plexiglas, 4550 Euro.

Für Perspektivwechsel sorgt Seletti mit „Cos­ mic Diner“: Artig aufes­ sen und die Erde vom Mond aus sehen! „Earth“-Teller, 49 Euro.

Over the Moon Jedes Jahr pünktlich zum Salone del Mobile beamt Marni seine Kollektion von Gartenmöbeln in ein neues Universum – ­dieses Mal unter dem Motto „Moon Walk“ auf eine Reise zum Mond! Exklusiv von Kunsthandwerkern in Kolum­ bien als limitierte Edition ­gefertigt. „Double Chair“ aus Eisen und PVC, 790 Euro.

Fotos: Bohinc Studio; Jan Kath; Roche Bobois; LJ Edition by Marc Ange; Federico Villa; Marni; Mihail Novakov; Seletti

Lunatics

Studio Furthermore treibt ein kosmi­ sches Spiel: Die Tischchen und Hocker der Serie „Moon Rock“ haben sie – im Geiste – aus Mondgestein geformt. Auf der Erde ist das galaktische Trio dann aber doch in Aluminiumerz ge­ landet. Handgefertigt, limitiert auf je vier Stück, 7200, 6500 bzw. 3720 Euro.

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Rooms 2020

La Grande Bellezza

Zu schön, um wahr zu sein – ist Guccis Mailänder Pop-up-Store. Deswegen schließt er Ende Juni wieder. AD durfte ihn verewigen. Text SALLY

FULS

Fotos STEFAN

GIFTTHALER


Total eclipse of the art: Kreativchef Alessan­ dro Michele will keine Komplettlösung ver­ kaufen, sondern in­ dividuelle Elemente anbieten, die jedes Zuhause persönlicher machen. Etwa die „Angry Cat“-Kissen auf den maßgefertig­ ten Jacquardsesseln.

65


Talks 2020

Fällt es Ihnen schwer, einen Entwurf gehen zu lassen? Es ist immer spannend, ein Design zu vollenden, mit dem man sich über Monate oder sogar Jahre beschäftigt hat. Umso schöner ist es, wenn – wie im Fall von Freifrau – bereits zum Launch eine ­Produkterweiterung ins Auge gefasst wird.

Fragen der Balance Interview VALERIE

PRÄKELT

Ihre Sitzmöbel sind elegant und komfortabel. Wie wichtig ist dieser Aspekt? Ein Dining Chair sollte bequemer sein als ­ein Stuhl, den man im Wartebereich kurz nutzt – die Anforderungen sind unterschied­ lich. Ein guter Designer findet die Balance. Ziehen Ihre Designs bei Ihnen ein? Mein Partner und ich leben mit eigenen Entwürfen und Objekten von befreundeten Designern und Künstlern. Es ist kein Show­ room, sondern ein sehr persönlicher Ort, der unsere gemeinsame Zeit widerspiegelt. Wo verbringen Sie mehr Zeit? Zu Hause in Offenbach oder on the road? Die meiste Zeit bin ich unterwegs. Das emp­ finde ich als bereichernd, es ist ein Privileg, so viel zu entdecken. Der Gedanke, an einem Ort zu Hause zu sein, ist zwar romantisch – aber ich kann mich überall wohlfühlen. Es kommt schlichtweg darauf an, ob ich alleine oder mit meinem Partner unterwegs bin. Sebastian Herkner zeigte in Mailand u. a. den Freifrau-Stuhl „Ona“ (Stoff: Christian Trzaskas „Oasis Gobelin“), das Sofa „Miles“ für Wittmann und die Laterne „Ambient“ für Gloster.

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Fotos: Freifrau; Wittmann; Gloster Furniture; Porträt: Ingmar Kurth

Wo ist zu Hause, wenn man fast nie daheim ist? Sebastian Herkner über Komfort.

Mit Freifrau haben Sie erstmals zusammengearbeitet. Wie sieht das Ergebnis aus? Wir haben uns stark mit der jungen Marke auseinandergesetzt und uns gefragt, wie wir sie interpretieren wollen. Der Stuhl „Ona“ spricht die explizit weibliche und sinn­ liche Sprache von Freifrau, die wir mit feiner Handschrift umgesetzt haben.


Trends 2020

Foto: COR Sitzmöbel

Terrakotta total Am Circo Solferino in Brera inszenierte sich COR, der Sitzexperte aus Rheda-Wiedenbrück, in der wohl italienischsten aller Farben. Möbel­ skulpturen wie Bank und Sessel (1380 bzw. 1280 Euro) aus der neuen Serie „Nenou“ von Jörg Boner erwiesen sich dabei als ultimatives COR-Gestühl. Bravissimo!


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