ARCHITECTURAL DIGEST. Stil, Design, Kunst & Architektur
Deutschland September 2020 / 8 Euro
Sonderheft Küche Neuheiten
September 2020 Deutschland 8 € Deutschland, Österreich 13 SFr Schweiz
Worauf es ankommt
Bereit für Neues? Lieblingsorte für Freigeister und smarte Ideen rund um Schlafzimmer, Küche & Office
Inhalt September 12 Editorial 18 Impressum 20 Agenda 25 AD stellt vor
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Stil 26
Neuheiten Möbel in Marshmallow-Formen und Hubba Bubba-Pink, coole Begleiter fürs Leben am Pool und indisch-italienische Stilfantasien von Scarlet Splendour.
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Soft Skills
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Adresse Die fabelhafte Welt des Giorgio Armani: Vor 20 Jahren beamte der Modeschöpfer sein Imperium in die dritte Dimension. Armani a casa.
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Inspiration Der Zeit voraus! In 2020 ist alles anders, doch nun sind sie da: die neuen Zeitmesser aus Stahl, Gold und Carbon.
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New Work Special
Farbe bekennen in Sachen Nachtruhe: Das geht wunderbar sanft mit den neuen Betten und Accessoires in Nuancen zwischen Tag und Traum.
Das Arbeiten morgen wird flexibler, kreativer, schöner. Wie unsere erste Trendsafari zu Londons interessantesten Offices beweist.
46 Thema Meeresrauschen 48 Talent Emmanuelle Simon 50 Projekt Roche Bobois
68 Essay 70 Interview 74 Homeoffice
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Emmanuelle Simon
27 Indien trifft Italien
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Projekt In einem historischen Hallenhaus bei Essen verwob Sigurd Larsen Alt und Neu zu einem vielstimmigen Ensemble. 82 Radar
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Kunst Betye Saar ist quirlige 94 Jahre alt und die Künstlerin der Stunde. Mit ihren Assemblagen aus Alltagsdingen schafft sie auratische Werke voller Mut und Mystik. 88 Bücher
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Reise Die portugiesische „Casa na Terra“ wäre fast zur Ruine verkommen. Dabei ist sie ein einmaliger Ort der Einkehr.
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Es geht wieder los!
Bella Figura!
Endlich in italienischem Design schwelgen! AD Italia hat die Ikonen und Neuheiten der Traditionshäuser für uns inszeniert. Mit Farbe, Verve und Memphis-Drive!
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Großvaters „House of Fun“ Tibor Reich war einer der wichtigsten Midcentury-Designer Englands. Sein Enkel hat das Haus des Erfinders in Stratford-upon-Avon restauriert – ein Revival mit Knalleffekten.
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Weg des Wandels Ein junges Paar ließ den Trubel von Paris hinter sich und landete in Marokko. Auf einer Farm lebt es nun mit Kind, Katzen und dem Esel Kawa seinen Traum von Ruhe – lokal verwurzelt, weit im Geist.
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Villa Streamline Kurz vor Kriegsbeginn baute sich der belgische Architekt Gentiel Van Eeckhoutte ein Wohnhaus. Nun erwacht sein flandrisches Art déco-Juwel aus langem Dornröschenschlaf.
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Deutschlandreise Wir zeigen 15 unserer liebsten Urlaubsziele vor der Haustür: schöne Klassiker und neue Schätze.
Cover: Helenio Barbetta / Living Inside; Collage: Stills & Strokes; Fotos: Scarlet Splendour; Alva; Porträt: Vincent Leroux
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Leben 98
Barfuß in den Kirschbäumen Hortensien, Kristalllüster, Kaninchendraht, Verdi und ein Huhn namens Decca. Wie Gianmatteo Malchiodi seinen Familiensitz in der Po-Ebene zur Wohnoper machte.
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Neue Sammlung Lange musste Arianna Lelli Mami, Gründerin von Studiopepe, auf ihre Traumwohnung in Mailand warten. Was sie schließlich schuf, war ein Zuhause – und zugleich ein formschönes Manifest.
Auf dem Cover: Auch Weltflucht-Orte brauchen ein Büro – Cyrielle Rigot und Julien Phomveha auf ihrer Farm bei Marrakesch.
40 „Pink Terracotta“
150 Summaries 152 Apropos 154 Genie & Spleen
AD Editorial
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ie Art, wie wir arbeiten, hat in diesem Jahr gravierende Wendun gen genommen. Vor Corona hätte kein Unternehmen der Welt sich auf das Experiment eingelassen, alle Mitarbeiter für ein paar Mo nate von zu Hause aus arbeiten zu lassen. Die bekannten Umstän de haben dafür gesorgt und für viele Manager wohl überraschend gezeigt, wie zumindest technisch reibungslos in vielen Bereichen über Nacht auf das Homeoffice umgeschaltet werden konnte. Ein völlig neues Flexibilitätserlebnis, hinter das kaum noch ei ner in Zukunft zurückfallen wollen wird. Zugleich werfen die nun heiß diskutierten Modelle einer remote first gedachten Arbeitswelt enorm viele Fragen auf. Rückenschmerzen am Küchentisch, Kin der und geschlossene Schulen, Einsamkeit und das Bedürfnis nach physischer Begegnung, Führungskultur, Identifikation. Wir sind als Gesellschaft erst am Anfang dieser Diskurse, wie eine befrie digende Balance aussehen könnte zwischen dem Bedürfnis nach sozialer Interaktion und dem Wunsch nach maximaler Flexibilität, die die eigene Arbeit nicht mehr nach den im Büro verbrachten
Stunden bemisst. Das „New Work“-Special, das Sie in dieser Aus gabe finden, ist nur der Auftakt – wir werden uns als Experten für Gestaltung erfüllender Lebensräume ab sofort auch sehr intensiv mit der Frage auseinandersetzen, wie eine Kultur aussehen und sich anfühlen könnte, die die quälende Dichotomie von work and life miteinander versöhnt und weniger von dem Drang beherrscht ist, das letzte bisschen Privatheit der Gefräßigkeit der digitalen Allverfügbarkeit zu opfern (S. 60). Ein Blick ins Wörterbuch könnte ein erster leiser Hinweis sein, wo die Reise hingeht: Das „Büro“, verdeutscht aus dem französi schen „bureau“, geht etymologisch zurück auf „bure“, einen gro ben Wollstoff, mit dem einst Schreibtische bezogen waren. Egal also, ob wir im althergebrachten Büro sitzen oder im Homeoffice (das wir vielleicht bald nicht mehr so nennen werden) – ich glau be, dass jeder dieser Räume uns inspirieren muss, dass an die Stel le purer Funktionalität Schönheit und haptische Erlebnisse tre ten werden. Machen wir unsere Arbeitsorte zu Wunderkammern im Sinne der Renaissance, in denen wir aufblühen können. Es müssen ja nicht gleich wie oben die handbemalten Seidentape ten Cristina Celestinos für Misha Milano sein. Mit Stoff bezogene Tische wären nicht der schlechteste Beginn. ‹
O liver Jahn
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Foto: Misha Wallcoverings; Porträt: René Fietzek
„Wir müssen unsere Arbeitsplätze in Zukunft kulturell ganz neu aufladen und sie zu Orten machen, an denen Kreativität blüht.“
AD stellt vor
Uta Seeburg hat im letzten Jahr gleich zwei Babys geschaukelt: Tochter Matilda und ihren ersten Roman. „Ich dachte immer: Wenn ich in Elternzeit gehe, schreibe ich endlich mein Buch“, sagt unsere Reiseredakteurin, die sich für ihren Krimi „Der falsche Preuße“ (Harper Collins, 352 Seite, 22 Euro) von Spaziergängen durchs alte München inspirieren ließ. „Sobald Matilda schlief, habe ich geschrieben.“ Nun verabschiedet sich Uta wieder für ein Jahr und schreibt an der Fortsetzung. Mit uns reist sie zum Abschied quer durch Deutschland. S. 92
Porträts: Dirk Seeburg; Inka Baron; Rick Pushinsky; Buchcover: Harper Collins Germany
Karin Jaeger geht zweimal im Jahr das Papier aus. Denn unsere Expertin für Küche und Bad hat immer viel mehr Ideen, als in unsere Specials passen. Ein Glück, dass es auf ad-magazin.de/ kue che jetzt noch mehr Raum gibt für Karins Geheimtipps und tolle Geschichten. Doch wie man etwa aufgeweckt einweckt, lesen Sie gedruckt im Special Küche
Rick Pushinsky kennt seine Heimat London eigentlich ziemlich gut. „Umso aufregender, endlich mal hinter die Kulissen zu blicken“, sagt der Fotograf unserer ADTrendsafari, dem es besonders die Werkstätten in Bermondsey angetan haben. Nach unserem zweitägigen Sprint durch London hatte er nur wenig Zeit zum Verschnaufen, denn vier Wochen nach dem Lockdown kam sein Sohn Raphael zur Welt. „Und der hält uns seither ziemlich auf Trab.“ S. 60
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Stil
Neuheiten, Betten, Thema, Talent, Projekt, Adresse und Inspiration
Im Zauberwald: Wie Alice steht man vor Marcantonios mannshohem Sessel aus der „Forest“-Kollektion für Scarlet Splendour – und wundert sich. Das poppige conversation piece mit den türkisen Baumkronen ist aus Kunstharz geformt und in lackiertes Messing gehüllt, 9300 Euro.
Redak tion: Simone Herrmann und Sally Fuls
Stil Neuheiten
2020 gingen Ashish Bajoria und Suman Kanodia (li.), Gründer von Scarlet Splendour, eine Kooperation mit dem italienischen Designer Marcantonio ein: 3D-Pouf „Leaf“ (o.), das grüne Sofa „Forest“ (u.), Wollteppich „Leaf“ und der „Gorilla“- Sessel mit Lederfell (u. li.) sind Teil seiner „Forest“-Kollektion.
Scarlet Splendour laden zur Reise durch die wundersame Welt ihrer Designs. Von Kalkutta direkt ins Fantasialand.
Italienindisch!
Fotos: Scarlet Splendour (5); Getty Images; Porträt: Kunal Kampani
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in bisschen Kitsch, vollendetes Handwerk und grenzenlose Fantasie. So könnte man die Fusion von italienischem und indischem Möbeldesign beschreiben, für die Scarlet Splendour stehen. Die Kollektionen des Unternehmens mit Sitz in Kalkutta wagen den Spagat zwischen Goth-Chic und Sahnebaiser, Comic und Bollywood. Ein fröhlicher Kinnhaken für den ach so langweiligen Mainstream-Purismus. Gegründet wurden Scarlet Splendour 2014 von den Geschwistern Ashish Bajoria und Suman Kanodia, bereits im Jahr darauf feierten sie ihr internationales Debüt in der Mailänder Salone-Schau von Rossana Orlandi. Dabei stand die Arbeit mit jungen italienischen Designern von Anfang an im Fokus: Matteo Cibic, seit Neustem Elena Salmistraro und für die aktuelle Kollektion Marcantonio Raimondi Malerba. Mit „Forest“ gestaltete er eine tier- und pflanzeninspirierte Kollektion, die sich mit dem Zusammenspiel von Mensch und Natur beschäftigt. Möbel, die Geborgenheit geben. Und Spaß machen. Das Lederfell des „Gorilla“-Sessels jedenfalls will man stundenlang kraulen. FW
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Fotos: J. Marshall by Vispring; Tréca; Ariake; Tekla Fabrics; Courtesy Matchesfashion
Ab in die (1400 Taschen-)Federn! Die verstecken sich nämlich in „Bed No. 3“ von J. Marshall by Vispring. Weitere Komponenten der handgetufteten Ma tratze: (Baum-)Wolle, Bambus, Alpaka und seidiger Paschmina, 180 x 200 cm, 4838 Euro für das Set aus Matratze, Diwan, Kopfteil und Beinen. jmarshall.de
Stil Betten
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Soft Skills! 3
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Redaktion: Mona Bergers
Ein Drittel der Lebenszeit verbringen wir schlafend – Zeit, auch hier Farbe zu bekennen. Wunderbar sanft geht das mit den neuen Betten und Accessoires in Nuancen zwischen Tag und Traum. 1 Zum Reinlegen! Matratze „Paris“ mit Wolle und Leinen aus der „Univers Trésors“-Kollektion, 160 x 200 cm, 6091 Euro tre c a.com 2 Versteckt Raum: Note Design Studios „Sake“-Eichentisch (1038 Euro) für ariake colle c tion.com 3 Baumwollkissen in „Ash Black“ und -decke in „Broken White“, 29 bzw. ab 129 Euro teklafabric s.com 4 Für Musterschläfer: Christina Lundsteens „Suki“und „Zigzag“-Kissen in Samtoptik (ab 122 Euro) über matche s fashion.com
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Stil Inspiration Text: Friederike Weißbach / Collage: Selina Lang
Der Zeit voraus
2020 ticken die Uhren anders. Doch jetzt sind sie da: die neuen Zeitmesser aus Stahl, Gold und Carbon. Für einen geschärften Blick auf die Uhren-Neuheiten lohnt sich ein Besuch auf ad-magazin.de/neue-uhren
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Topsecret: Chanels „Mademoiselle Privé Bouton Perle“ mit verstecktem diamantbesetztem Zifferblatt, 48 000 Euro. „Oyster Perpetual Sea-Dweller“ in Stahl und Gelbgold mit drehbarer Lünette und Datum von Rolex, 15 500 Euro. Hightech! Richard Milles „RM 33-02“ mit skelettiertem Automatikwerk im Roségold-Carbon-Gehäuse, Preis auf Anfrage. Linke Seite: Die „Calatrava Ref. 6007A-001“ in Stahl feiert die Eröffnung der neuen Patek Phi lippe-Manufaktur, 25 000 Euro.
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Work in Progress
Text: Andreas Kühnlein / Fotos: Rick Pushinsky
Coworking, Studio, Großraum, Atelier – bei unserer ersten Trendsafari führten AD-Experten zu den interessantesten Offices in London. Wie wird das Arbeiten morgen und übermorgen? Flexibler, kreativer, vor allem: schöner! Das zeigt dieses „New Work“-Special.
New Work Special
Paul Smith Kreativstudio & inspirierende Wunderkammer, Holborn „Classic with a twist“, das verkör pert keiner so stilvoll wie Mode designer Sir Paul Smith (li. S.). Das Herz seines weltumspannenden Netzwerks mit den charakteristi schen Farbstreifen (re.) schlägt in London – inmitten einer irrwitzigen Sammlung von Alltagsgegenstän den, Design, Spielzeug und Foto grafien (oben). Unendliche Inspirationsquellen für ein Team, das „Be playful“ zur Maxime erhoben hat – zugleich aber, sagt Smith stolz, „überaus diszipliniert arbeitet“. paulsmith.com
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ie Art, wie wir arbeiten, hat in diesem Jahr eine unerwartete und unfreiwillige Wendung erfahren. Viele von uns haben in einem ganz neuen Ausmaß erlebt, was Arbeiten zu Hause bedeutet. Was ganz gut funktioniert hat, und doch sehnten sich die meisten schnell zurück nach direktem Austausch, nach Gesprächen jenseits virtueller Zoom-Calls, nach der Gemeinschaft eines Büros, das sich als relevanter erwies, als mancher glauben mochte. Noch immer ist kaum abzusehen, wie das Arbeiten nach Corona auf Dauer aussehen wird. Und auch wenn vielleicht einiges bald wieder sein wird wie zuvor, werden wir doch einen anderen Blick darauf erlernt haben. Eines ist sicher: Auch künftig werden wir Räume brauchen, die Kreativität und Kommunikation, Transparenz und unternehmerisches Denken beflügeln. Anfang
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New Work Special
Back to Business? Arbeiten überall, nur nicht im Büro: warum remote work so verlockend klingt – und trotzdem nicht das Ende des Office bedeuten muss. Text: Juriaan van Meel
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ie Welt hat in den letzten Monaten das größte remote work-Experiment der Geschichte erlebt. Die ersten Berufstätigen kehren nun, ein wenig zögerlich noch, in ihre Büros zurück, andere gehen ihrer Arbeit immer noch im Schlafzimmer oder der Küche nach. Was aber wird passieren, wenn die Pandemie erst einmal überwunden ist? Wird unser Büroalltag dann schnell wieder aussehen wie zuvor? Oder erleben wir gerade den Anfang vom Ende des Büros als Gebäudetypus? Und ist die Arbeit von zu Hause aus tatsächlich für uns alle das langersehnte Happy End? Für eine endgültige Antwort ist es sicher noch zu früh. Doch eines scheint für viele längst festzustehen: Das Büro in seiner bisherigen Form ist am Ende. Durch die sozialen Medien jedenfalls geistern dramatische Überschriften wie „Die Arbeitswelt hat sich für immer verändert“, „Das Ende des Büros, wie wir es kannten“ oder gar: „Das Büro ist tot.“ Nun sind solche Vorhersagen nicht wirklich neu: Bereits in den 1970er-Jahren prognostizierten Technologie-Apologeten, der Computer werde unsere Arbeitsweisen radikal verändern und in der Folge auch den Bedarf an Büroflächen signifikant verringern. 1973 prägte der amerikanische Wissenschaftler Jack Nilles dann den Begriff „Telecommuting“. Angeblich steckte er in Los Angeles mal wieder im Stau und malte sich aus, wie das Arbeiten von zu Hause die Kosten für Büroflächen verringern, die Umweltbelastung reduzieren und sogar die Produktivität der Mitarbeiter steigern könnte. In den 1980er-Jahren trieb der berühmte Futurologe Alvin Toffler diese Idee einen Schritt weiter und entwarf die Vision einer Zukunft, in der Menschen in „elektronischen Cottages“ auf dem Land leben und arbeiten und dabei die Natur und die frische Luft genießen, während die Bürotürme in den Innenstädten „halb leer stehen, herabgestuft zu geisterhaften Lagerhäusern oder in Wohnraum verwandelt“.
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„Telearbeit“ oder remote work wurde in den folgenden Jahrzehnten mehr und mehr Mainstream, allerdings meist zusätzlich zum Büro, nicht an seiner Stelle. Das lag nicht so sehr an den fehlenden technischen Möglichkeiten – Videokonferenzen und Chatprogramme gibt es seit Jahrzehnten. Schuld war in erster Linie die Unbeweglichkeit der Unternehmen. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, standen Manager dem Konzept stets zwiespältig, wenn nicht schlicht ablehnend gegenüber – sogar in der Techbranche selbst. Eric Schmidt, ehemals CEO von Google, schrieb 2014 etwa, das Arbeiten von zu Hause sauge das Leben aus der Arbeitswelt jeder Firma. Erst die Coronapandemie scheint diese Einstellung wirklich verändert zu haben. Unternehmer entdeckten plötzlich, dass das Arbeiten von unterwegs weit weniger beunruhigend ist, als sie geglaubt hatten. In vielen Fällen stieg sogar die Produktivität ihrer Mitarbeiter. Und auch die Angestellten selbst scheinen ziemlich zufrieden; zwar birgt das Arbeiten zu Hause auch Nachteile – man muss sich mit Kindern oder Lebenspartnern arrangieren, die Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben verschwimmen, und mancher klagt über die soziale Isolation. Doch insgesamt scheint die Bilanz positiv auszufallen, zumindest für den Moment. Laut einer Umfrage von Gallup jedenfalls würde mehr als die Hälfte der US-Amerikaner, die gerade im Homeoffice arbeiten, am liebsten auch weiterhin dort bleiben. Trotzdem: Dass die Büros in naher Zukunft ganz verschwinden werden, ist unwahrscheinlich, aus einer ganzen Reihe von Gründen. Büros erleichtern die soziale Interaktion zwischen Menschen und ermöglichen es, Netzwerke aufzubauen, gemeinsam zu arbeiten und zu lernen, Vertrauen zueinander zu entwickeln, Ideen auszutauschen und eine Kultur der Gemeinschaft zu formen. Sozialpsychologen sprechen dabei vom Propinquity- oder Nähe-Effekt. Der folgt einer einfachen Logik: Sobald sich Menschen physisch im selben Raum aufhalten, nehmen die Möglichkeiten sozialer Interaktionen zu – und damit auch deren Effekte. Etwa wenn sich zwei Personen an der Kaffeemaschine begegnen und dort ganz informell sowohl Klatsch als auch produktive
Ideen austauschen. Aber auch passivere Verhaltenswei Angestellte können auch Kollegen oder freie Arbeits sen sind keineswegs irrelevant. Wer im Büro über Stun plätze schneller finden, Besprechungszimmer reservie den auf einen Bildschirm starrt, scheint an seiner Um ren, die Raumhelligkeit regeln oder die Qualität der gebung vielleicht nicht allzu viel Anteil zu nehmen. Und Räume bewerten. Mit den gesammelten Daten lässt sich doch bekommt man unwillkürlich mit, was sich um ei der Betrieb des Gebäudes immer weiter optimieren. Was nen herum tut – schlicht, indem man da ist, Unterhal smart und fortschrittlich klingt, birgt freilich auch Risi tungen mithört oder kurzen Blickkontakt zu vorüber ken – etwa wenn sich das Büro so kaum merklich in ein gehenden Kollegen aufbaut. Solche Interaktionen von digitales Panoptikum verwandelt, in dem jede Bewe geringer Intensität mögen unbedeutend erscheinen, sie gung, jede Unterhaltung und jeder Gesichtsausdruck können aber dabei helfen, ein Gefühl der Zugehörigkeit beobachtet und analysiert wird. zu schaffen, und zu einem späteren Zeitpunkt Aus Wie gesagt: Für eine detaillierte Einschätzung, wie gangspunkte für einen aktiveren Austausch sein. Vieles die Pandemie die Zukunft des Büros beeinflussen wird, spricht dafür, dass die derzeitige Verlagerung ins Home ist es im Moment noch zu früh, und allzu sehr sollte office nur deshalb so erfolgreich war, weil die nötigen man sich von den wilden Vorhersagen dieser Tage wohl sozialen Kontakte bereits früher, vor Covid-19, im Büro nicht beirren lassen. Für neue Arbeitsplatzstrategien ist geknüpft worden waren. die wichtigste Grundlage auch weiterhin eine sorgfälti Sobald das Virus überwunden ist, wird die Heraus ge und kritische Analyse von Arbeitsabläufen, Unter forderung also darin bestehen, ein Gleichgewicht zwi nehmenskultur und den Anforderungen und Erwartun schen den sozialen Vorteilen der gemeinschaftlichen gen der Mitarbeiter. Dafür wiederum bietet die aktuelle Arbeit im Büro und den Vorteilen von remote work zu Krise aber eine hervorragende Gelegenheit – nutzen wir finden. Für diese Balance kommt der Raumgestaltung sie so gut wie möglich! ‹ entscheidende Bedeutung zu. Um relevant zu bleiben, müssen Arbeitsplätze künftig attraktiv, einladend und angenehm sein; Eigenschaften, die nicht allzu viele Bü ros besitzen. Das durchschnittliche Office-Gebäude ist ein wenig fantasievoller, klimatisierter Glaskasten mit offenen Arbeitsflächen, hohem Geräuschpegel und eher nüchternen Besprechungsräumen. Dass es anders geht, zeigen wir in dieser Ausgabe von AD: Büros können tat sächlich ansprechende Orte der Begegnung sein, die auf grund ihrer sorgsamen Auswahl von Materialien, Far ben, Pflanzen, Kunst und Wohnzimmer-Elementen wie Teppichen, Sofas und Sesseln zur Inspiration werden. Darüber hinaus rücken Gesundheit und Wohlbefin den – bereits vor der Pandemie wesentliche Elemente des Bürodesigns – nun noch mehr in den Vordergrund. Dazu gehören zum Beispiel das Raumklima mit Fakto ren wie Akustik, Tageslicht, Luftqualität, Temperaturen regelung, die Integration von Pflanzen oder der gezielte Einsatz von Naturmaterialien. Elemente, die Menschen zu regelmäßigerer Bewegung anregen, formen eine neue Richtung, die man als „aktivierendes Design“ bezeich nen könnte – mit schicken Treppen neben all den berüh rungslosen Türen, sprachaktivierten Aufzügen und er höhten Reinigungsfrequenzen, die aus Hygienegründen fortan notwendig sein werden. Ein weiterer Trend, der sich durch die Pandemie be schleunigen dürfte, läuft unter der Bezeichnung „Prop tech“, kurz für property technology. Dabei sammeln Sen soren in Decken, Zugangssystemen, Schreibtischen, ja sogar in Stühlen und Papierkörben ständig Daten, wie das Gebäude tatsächlich benutzt wird. So lässt sich Juriaan van Meel ist Experte für Officedesign und Mitgründer von ICOP, einer Beranicht nur die Einhaltung von Abstandsregeln prüfen; tungsfirma in Rotterdam, die sich auf Arbeitsplatzgestaltung spezialisiert hat. icop.nl
Porträt: Gijben Hornes
Lange Zeit witterten Unternehmen in remote work das Ende der Arbeit. Erst mit Covid-19 ändert sich das nun. Gibt es bald ein Happy End?
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Jan Teunen in seinem Homeoffice auf Schloss Johannisberg (Rheingau). Hier lebt er seit 1977 mit seiner Familie. „Bei uns ist Leben, Lieben und Arbeiten schon immer eine Einheit gewesen“, sagt er.
Interview: Florian Siebeck
Büros müssen zu Gewächshäusern für Kreativität werden, fordert der Kulturphilosoph Jan Teunen. Ein Gespräch über die Arbeitsräume der Zukunft.
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ie Krise hat zu einem rasanten Aufstieg des Homeoffice geführt. Vieles wurde plötzlich möglich, was einst undenkbar schien. Wieso ging das vorher nicht?
Es geht auch jetzt nicht. Aber viele Arbeitgeber haben Angestellten doch flexibles und selbstbestimmtes Arbeiten zu Hause ermöglicht?
Aus der Not heraus, ja. Aber die Probleme im Homeoffice sind mannigfaltig. Es fängt bei der Ergonomie an, geht über Belichtung und Belüftung hin zum Lärmschutz. Arbeitsmediziner schlagen jetzt schon die Hände über dem Kopf zusammen. Sind deshalb viele Menschen heilfroh, wieder zurück ins Büro zu können?
Menschen wollen glücklich sein, zumindest gelegentlich. Und Glück entsteht aus Geborgenheit, aus der Berücksichtigung individueller Wünsche und Bedürfnisse.
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Jeder Mensch hat vier Dimensionen: eine physische, eine soziale, eine psychische und eine spirituelle. Und die werden im Homeoffice meist nicht berücksichtigt. Woran liegt das?
Viele Menschen haben nicht gelernt, wie man seine Umgebung kulturell auflädt. Sie sehen die Schönheit in der Natur und in den Dingen nicht mehr. In der Renaissance sind die Menschen auch nicht viel herausgegangen, aber sie haben sich die Welt zu sich geholt. Sie haben Wunderkammern kreiert und konnten sich dort unendlich lang aufhalten. Mein Homeoffice ähnelt so einer Wunderkammer. Es ist ein Rückzugsraum, an dem ich bis an mein Lebensende glücklich sein kann. In mir steckt nicht das romantische Verlangen, dass das Glück dort ist, wo ich gerade nicht bin. Sie bezeichnen Büros als „seelenlose Räume“ und „Wüsten für Menschen“.
Die meisten Büros sind reine Wirtschaftsräume, keine humanen Lebensräume. Aber Menschen sind eben keine Ressourcen. Sie
Schärft die Krise unseren Blick dafür?
Ich bin davon überzeugt, dass wir gerade einen kollektiven Bewusstseinssprung erleben, und zwar vom rationalen hin zum ganzheitlichen Denken. Die Krise des Büros ist eine Krise des Menschlichen. Es sind Toträume entstanden, die den Menschen schwächen und entkräften, statt seine Arbeit zu beflügeln. Wie sieht das Büro der Zukunft aus?
Vielleicht so wie die Kontore der Medici in der Renaissance, als Humanismus, Kapitalismus und Ästhetik noch eine Einheit bildeten. Das Büro könnte ein Ort werden, an dem Mitarbeiter aus dem Homeoffice oder dem Coworking-Space kommen, um verbunden zu sein mit den Visionen ihres Unternehmens; mit etwas, das größer ist als sie selbst. Das ist eine große Sehnsucht des Menschen, gerade in turbulenten Zeiten. ‹ Jan Teunen ist Autor der Bücher „Officina Hu mana“ und „Wo die Seele singt“. Das Interview in voller Länge unter ad-magazin.de/teunen
Fotos: Marcus Michaelis; Petr Krejčí; Pentreath & Hall; Fornasetti; Mark Reeves; Manufactum
Flutet Schönheit!
brauchen Schönheit, Poesie und Wertschätzung. Sie brauchen Arbeitsplätze, aus denen sie Kraft schöpfen können, in denen sie aufblühen. Büros müssen zu Gewächshäusern für Kreativität werden, und dann müssen wir sie mit Schönheit fluten. Neurowissenschaftler haben herausgefunden, dass die Qualität der Umgebung einer Person ihr stärkster Motivationsfaktor ist, noch vor sozialer Interaktion.
New Work Special
Im Club der Bücher Business as usual? Bloß nicht! Ist das Homeoffice zugleich ein Sehnsuchtsort, kommt frischer Wind in jede Routine. Text: Mona Bergers
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Für eine Villa in Surrey entwarfen Ebba Thott und ihr Team von Sigmar ein eckig-ovales Büro; der Vintage-Stuhl stammt von Otto Wagner, der Lacktisch aus China sigmarlondon.com 1 Schmuckstück für Verworfenes: Pentreath & Halls Papierkorb „Malachite Print“, 95 Euro pentreath-hall.com 2 Diese Assistentin bringt Erleuchtung! Tischleuchte „Viso“ mit Messingdetails und Seidenschirm, 1110 Euro fornasetti.com 3 Überblick behalten: handbemalter „Mini Desk Globe“ auf Nussbaumsockel (2800 Euro) von Bellerby & Co für davidlinley.com 4 Handapparat für Lieblingsbücher: „Schreibtisch-Bücherregal“ aus pulverlackiertem Stahlblech, 39 Euro magazin.com
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Wohltemperiertes Klavierzimmer Text: Andreas Kühnlein / Fotos: Christian Flatscher
In einem Hallenhaus aus dem 18. Jahrhundert verwob Sigurd Larsen Alt und Neu zu einem vielstimmigen Ensemble.
Architektur Projekt
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eben und arbeiten unter einem Dach, das ist keine Erfindung der Coronakrise, man muss nur mal einen Blick in die Bauernhö fe von einst werfen. Der Dortmannhof bei Essen ist ein sogenanntes Hallenhaus, das Stallungen und Wohnräume unter einem Dach vereinte. Sein Erhaltungszustand ist einzigartig, das Wohnen in dem denkmal geschützten Bau von 1791 ebenfalls, mit Deckenhöhen von teils knapp 1,7 Metern. Was den Hausherren, einem Musikerpaar mit zwei Kindern, das hier lebt und ar beitet, fehlte, waren ein eigenes Musikzim mer und Platz für Besucher und Gäste. Auf Sigurd Larsen, den dänischen ArchitektenDesigner aus Berlin, stießen sie im Inter net; glückliche Fügung für sie selbst wie für das Haus, in dem sie leben. „Ein gut 200 Jahre alter Bau, in dem man eine ganze Menge nicht darf, dazu nur eine vage Idee von den Räumen, die sich die Ei gentümer wünschten“, erklärt Larsen –
Technische Zeichnungen: Sigurd Larsen Design & Architecture
Haus im Haus: In den historischen Dortmannhof (unten) setzte Architekt Sigurd Larsen zwei separate Einbauten ein. Im einen (linke Seite) verbirgt sich eine kleine Gästewohnung auf zwei Etagen – samt eigensinnig platzierten Dachbalken (oben), die mitten durch den oberen Stock laufen und die ungewohnte Höhe des Gästebetts definieren.
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Panorama Reise Mü nc
Deutschlandreise Wir zeigen 15 unserer liebsten Urlaubsziele vor der Haustür: alte Klassiker und neue Schätze. Redaktion: Uta Seeburg und Florian Siebeck
Ameron Neckarvillen ameronhotels.com
Frankfurt mausert sich von der gesichtslosen Bankenmetropole zum Urlaubsziel für verlängerte Wochenenden. Da ist es nur konsequent, wenn aus alten Büroräumen herrschaftliche Hotels werden wie das „Ameron Neckarvillen Boutique“ mit Marmorböden im Fischgratmuster und Stoffen von Rubelli, DZ ab 119 Euro.
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Haus im Tal hausimtal.com
Im neuen Boutiquehotel in Münchens Altstadt darf man sich wie bei Freunden fühlen. Also kein Grand Hotel-Trara, dafür eine Dachterrasse mit Weitblick und Zimmer, die weiche Geborgenheit schenken. Letzteres gelingt vor allem mithilfe der Wandteppiche von Reuber Henning, die in Kooperation mit Designerin Julie Richoz entstanden, DZ ab 140 Euro.
Fotos: Michael Zalewski; Philipp Obkircher; Steve Herud (2); Gekko Group / Roomers Baden-Baden; Robert Rieger (2)
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Mauritzhof mauritzhof.de
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Michelberger michelbergerhotel.com
Bereits seit den 80ern gibt es den „Mauritzhof“ am Rand der Münsteraner Altstadt. Allerdings erlebte das Boutiquehotel mit 52 Zimmern vor einigen Jahren eine schmetterlingshafte Wandlung, bei der das Berliner Designstudio Lambs and Lions gleichzeitig für die Entpuppung und den Kokon aus schweren Stoffen und warmen Farben sorgte, DZ ab 159 Euro.
Seit seiner Eröffnung vor elf Jahren ist das „Michelberger“ an der Oberbaumbrücke eine sichere Bank für Freunde des industriellen Minimalismus. Die Räume in einer ehemaligen Leuchtenfabrik wurden damals von Werner Aisslinger gestaltet, letztes Jahr kamen 23 neue Zimmer hinzu, eingerichtet von Jonathan Tuckey und Sigurd Larsen, DZ ab 80 Euro.
Ba B a de n de n
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Roomers
roomers-badenbaden.com
Die historische Kurstadt Baden-Baden mit ihren Quellen, Pferderennen und Casinos ist ein Ort der Anekdoten und Legenden. Architekt und Designer Piero Lissoni setzte dem ein Hotel der Gegenwart entgegen. Die typischen Zutaten der „Roomers“-Kette – Feierlust und Kulinarik – reicherte der Mailänder mit einer ganz eigenen Eleganz an. In 130 Zim mern schimmern moderne Klassiker, Antiquitäten und zeit genössische Designs in gedämpften Farben. Dazu Kunst und die dunklen Weiten des Schwarzwalds, DZ ab 210 Euro.
Lindley Lindenberg das-lindenberg.de
Kräutergarten, Küche, Bad: Wer hier wohnt, darf sich wie zu Hause fühlen. Neben einem Wohnzimmer für die Gäste gibt’s eine Weinbar mit Sommerterrasse – und das „Leuchtendroter“, eines der besten vegetarischen Restaurants des Landes. DZ ab 79 Euro, längere Aufenthalte ab 999 Euro / Monat.
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Weg des Wandels Ein junges Paar ließ den Trubel von Paris hinter sich und landete in Marokko. Auf einer Farm lebt es nun mit Kind, Katzen und dem Esel Kawa seinen Traum von Ruhe – lokal verwurzelt, weit im Geist. Text: Lilian Ingenkamp / Fotos: Helenio Barbetta
Marrakesch
Fotos: Helenio Barbetta / Living Inside
Happy together: Cyrielle Rigot und Julien Phomveha (re. Seite) mit Sohn Nino Bandith und Esel Kawa auf der Terrasse ihrer Farm. Die Strohleuchten und die honiggelben Stühle sind von Kunsthandwerkern aus der Umgebung. „Uns ist es wichtig, Materialien lokal zu beziehen.“ Den Weg zum Haus (links) pflasterten sie deshalb mit Steinen aus dem nahe gelegenen Ourika-Tal, eingebettet in Kakteen, Palmen und Pampasgras.
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Unsere Highlights 2020
18 Architectural Digest. Stil, Design, Kunst & Architektur erscheint in der Condé Nast Germany GmbH Oskar-von-Miller-Ring 20, 80333 München Telefon 089 38104-0 mail@condenast.de, www.condenast.de ad@admagazin.de, www.admagazin.de
Chefredakteur Oliver Jahn Verantwortlich für den redaktionellen Inhalt Redaktion Stv. Chefredakteur & Style Director Dr. Simone Herrmann Leitung Karin Jaeger Art Director Inka Baron Managing Editor Eike Schrimm Stil & Textredaktion Mona Bergers, Dr. Uta Seeburg, Florian Siebeck, Friederike Weißbach Bildredaktion Thomas Skroch (Ltg.), Isa Lim, Samantha Taruvinga Art Department Viviana Tapia (Stv. Art Director), Selina Lang Assistenz der Chefredaktion Johanna Hänsch Mitarbeiter dieser Ausgabe Reinhard Krause, Sophia Lierl
Inhalt
Büro Mailand Anna Riva, Paola Dörpinghaus Tel. +39 02 29000718, p.dorpinghaus@condenast.it Büro New York Christina Schuhbeck Tel. +1 212 2866856, christina_schuhbeck@condenast.com
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Die neuen Küchen Unsere Highlights des Jahres – von Linoleum und Terrazzo bis Grünglas und Calacatta Oro.
Wohin damit?
Syndication syndication@condenast.de
Die schönsten Vorratsgefäße, dazu ein Schnellkurs zum Thema: „Was lagert wo am besten?“
Seite 26
Spülcasino
Design für volle Tafeln
Mit diesen Armaturen-News mischen Sie die Karten in Sachen Abwasch ganz neu.
Wie Salvatori das Charity-Projekt Food for Soul unterstützt.
Seite 14 La Cucina Fiorentina
Officine Gullo versteckt Hightech unter alter Handwerkskunst.
Geräte-Gala
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Seite 22 Jetzt geht’s ans Eingemachte!
Ein Interview mit Sternekoch Marco Müller über das Fermentieren und Konservieren. 4
Anzeigen / Vermarktung Sales Christina Linder, Head of Sales christina.linder@condenast.de, Tel. -430 Brand Advertising Andrea Latten, Brand Director Vogue & AD andrea.latten@condenast.de, Tel. -276 (verantwortlich für Anzeigen) Marketing Angela Reipschläger, Head of Marketing angela.reipschlaeger@condenast.de, Tel. -793 Ingrid Hedley, Marketing Director ingrid.hedley@condenast.de, Tel. -142 Kathrin Ölscher, Marketing Director kathrin.oelscher@condenast.de, Tel. -746 Creative Studio Susanne Jungbluth, Executive Director susanne.jungbluth@condenast.de, Tel. -373 Advertising Operations Katharina Schumm, Head of Revenue Management, Ad & Marketing Service katharina.schumm@condenast.de, Tel. -135 Vertrieb Alima Longatti, Head of Direct Marketing & CRM alima.longatti@condenast.de, Tel. -301 Einzelverkauf MZV GmbH & Co. KG, Karsten Reißner (Bereichsleitung)
Seite 18 Ob Range Cooker oder Mixer: Diese nützlichen Küchenhelfer sind auch noch Augenweiden.
Redaktion admagazin.de Andreas Kühnlein (Ltg.), Valerie Präkelt (Feature & Social Media Ltg.), Clara Westhoff (Trainee)
Herstellung Leitung Lars Reinecke, Director Production Digitale Vorstufe Mohn Media, Mohndruck GmbH Carl-Bertelsmann-Straße 161 m, 33311 Gütersloh Druck B & K Offsetdruck GmbH Gutenbergstraße 4–10, 77833 Ottersweier Unternehmenskommunikation / PR Dr. Judith Pöverlein, PR-Manager presse@condenast.de, Tel. -842
Auf dem Cover: Für das Ich mit Ecken und (gerundeten) Kanten – die Architekten von Servabote kochen in Stockholm in einer „Ego“-Edelstahlküche. abimis.com
Finanzen Roland Riedesser, Finanzdirektor Geschäftsführerin und Herausgeberin Jessica Peppel-Schulz
Cover: © Matteo Cirenei / Abimis; Fotos: Bora; Kinto
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Schlussredaktion / Dokumentation Lektornet
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neue Farben 3
Nicht nur als Bodenbeläge perfekt: „Køkken“ mit Fronten aus pistaziengrünem Linoleum und Tops aus Terrazzo. weare s tudios tudio.com
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Darf's die quittengelbe Stahlküche sein? Der Online-Konfigurator erleichtert die Auswahl aus 200 Farben. p op s tahl.de
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Den Treteimer-Klassiker gibt's ab 15.9. in Hellblau, aber nur 70-mal! 319 Euro. vipp.com
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Frische Minze mit einem Schuss Zitrone: „Artisan“ erstrahlt im neuen Gewand „Kyoto Glow“. 749 Euro. kitchenaid.de
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Loftig schick und rasend unaufdringlich: Die aktuelle „SLX“ ist jetzt auch in mattem Lotusweiß erhältlich.
Leichts Barküche setzt den Betonkubus eines Hauses in Taiwan mit Grünglas in Szene – nur eins von neun Projekten aus „Architecture + Kitchen IV“.
siematic.com
leicht .com
Fotos: Boffi; Smeg; Brita Sönnichsen; Jan Kulke; Siematic; Vipp; KitchenAid; Qimin Wu
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Te x t Florian Siebeck
La Cucina Fiorentina
Officine Gullo versteckt Hightech unter alter Handwerkskunst.
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Adresse
Wie ein Altar steht die Kücheninsel von Officine Gullo in einer zum Showroom umgebauten Renaissance-Kapelle (li. S.). Die Küchen zitieren die kunstvollen Fassaden antiker Häuser (links ein Projekt in London), mittlerweile hat der Florentiner Hersteller auch die moderne „Contemporanea“ (u.) lanciert.
Fotos: Delfino Sisto Legnani – Alessandro Saletta; Alison Henry Design Studio; Officine Gullo
C
armelo Gullo wuchs im armen Süden Italiens auf, wo es azurblaues Meer und berauschende Landstriche gibt, viel mehr aber auch nicht – zumindest aus der Sicht eines jungen Mannes, der in seinem Leben etwas erreichen will. Also ging Gullo nach Florenz, um Maschinenbau zu studieren. Dort schockverliebte er sich in die Prachtbauten der Renaissance, in Botticelli, Donatello und Michelangelo. Seine Expertise in Konstruktion und Metallverarbeitung verband er mit dem Sinn für das Schöne – und als er sich selbst eine Küche baute, geriet ihm die so herrschaftlich, dass Freunde ihn fragten, ob sie nicht auch eine bekommen könnten. So erzählt es Pietro Gullo, der mit seinen Brüdern Andrea und Matteo aus der Liebhaberei des Vaters eine Firma von internationalem Rang gemacht hat: Officine Gullo verkauft heute in alle Welt, von Lagos bis Los Angeles. (Mutter Grazia ist Dichterin und nicht ins Geschäft involviert, „aber ohne Mamma wären wir nichts“.) Die Entwürfe erinnern in ihrer Kunstfertigkeit an jahrhundertealte Schlossküchen, hinter der antiken Fassade allerdings steckt professionelle Technik. Pietro Gullo ver-
Pietro Gullo
„Unsere Küchen unterliegen keinen Moden. Sie sind gemacht für die Ewigkeit.“
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Ans Eingemachte Marco Müller übers Fermentieren, Konservieren – und brutal florale Aromen. Inter view Uta S e eburg
Gefrorenes vom Sternekoch Rosen-SandelholzGranité
Das Wasser mit dem
20 g Hibiskusblüten
Anrichten
Zitronensaft und den Zesten
15 g Wildrosenblätter
Einen Apfel der Sorte Elstar
200 g Zucker
aufkochen, vom Herd neh-
10 g Thymian
in feine Würfel schneiden
18 g Sandelholz-Späne
men. Jetzt die Zucker-
15 g Zitronenschale
und in jede Portionsschale
25 g Blütenblätter von der
mischung dazugeben und
Fruktose
Wildrose
1 Minute ziehen lassen.
1 EL Apfelwürfel geben. Das Granité mit einem ge
2 l Wasser
Anschließend durch ein fei-
Zunächst den Apfelsaft ein-
Zesten von 1 Zitrone
nes Tuch passieren und
mal aufkochen, danach die
frorenen Löffel zu feinem Schnee kratzen und je
Saft von 2 ½ Zitronen
in einem Einsatz einfrieren.
restlichen Zutaten (außer der
2 EL Granité auf die Äpfel
Fruktose) dazugeben und
geben. Den kalten Hibiskus-
Zuerst den Zucker mit dem
Hibiskus-Sud
über Nacht ziehen lassen. Mit
Sud angießen und das
Sandelholz und den Rosen-
2 l frischer naturtrüber
etwas Fruktose abschmecken
noch halb gefrorene Granité
blättern vermischen.
Elstar-Apfelsaft
und durch ein Tuch passieren.
sofort servieren.
Guide
K
urz vor dem Lockdown wurde Marco Müller, Chefkoch der Berliner Weinbar „Rutz“, eine his torische Ehre zuteil: Er erhielt den dritten Mi chelin-Stern, was ihn zum ersten und einzigen Dreisternekoch der Hauptstadt macht. Ein Ge spräch über regionale Zutaten, die sogar aus den Wäldern kommen, und wie man deren Geschmack bewahrt. In Zeiten des absoluten Glaubens an lokale, frische Zutaten – sind da Techniken des Haltbarmachens in der Sterneküche überhaupt noch statthaft?
Ich glaube, es war nie angebrachter als heute, solche Verfah ren anzuwenden! Gerade die regionale Idee animiert doch dazu, bestimmte Produkte über einen längeren Zeitraum zu konservieren. Regionalität beinhaltet ja eben auch Saison. Beim Einmachen ging es früher vor allem darum, über den Winter zu kommen. Fleisch wurde eingepökelt, Gemüse und Obst eingemacht, da nicht in jeder Jahreszeit alles verfügbar war. Aus heutiger Sicht muss ich mir überlegen: Welches Pro dukt will ich konservieren, was ist sinnvoll und was nicht? Mit Konservierungsmethoden wie Einsalzen, Einlegen und Räuchern verbindet man vor allem die nordische Küche. Welche Verfahren gehören auch hierzulande noch zur Esskultur und welche wenden Sie selbst gern an?
Bei uns sind ganz ähnliche Techniken verwurzelt, nur die Produktpalette ist eine andere. In der nordischen Küche wird zudem von Haus aus radikaler konserviert, da die Winter län ger dauern. Im „Rutz“ experimentieren wir gern mit Metho den, von denen wir glauben, dass sie in Vergessenheit geraten sind. Wir nutzen auch Techniken, die zeitgeistig sind, schau en dabei aber natürlich nicht nur nach Deutschland oder Eu ropa, sondern viel nach Asien, vor allem nach Japan. Auch hier muss man sich immer fragen, was für uns sinnvoll ist. Wir haben zum Beispiel gerade grüne Erdbeeren eingelegt. Das Problem: Sobald man Erdbeeren Wärme aussetzt, werden sie matschig und reifen. Wir haben also versucht, sie zu fer mentieren oder zu gären, dabei kam auch Interessantes he raus, nur nicht das gewünschte Ergebnis. Unsere Lösung: Wir kochen einen sauren Fond und legen die Früchte in diese sehr zarte Säure ein. Wenn man die Erdbeeren da mindestens ein halbes Jahr lang drinlässt, bekommen sie die ideale Konsis tenz, besser als jede erntefrische Erdbeere. Sie konservieren das Produkt nicht nur, Sie verbessern es!
Genau. Aber eben nur bei Produkten, bei denen es vorteilhaft ist. Ich würde niemals wahllos alles Mögliche einmachen, sondern immer nach dem Mehrwert suchen. Im Frühjahr et wa sind wir in den Wald gegangen und haben Bärlauch ge sammelt, was erst einmal nicht so spektakulär klingt. Aber aus den Blättern machen wir Öl, die Stiele legen wir wieder in Säure ein, und die Knospen werden wie Kapern eingesal zen. Auch Kiefernzapfen kann man übrigens einmachen.
Kochbüchern etwa findet man die Linde unter „Baumsalat“, es war also mal ganz üblich, dass man die leicht süßlichen Blätter der Linde zu Salat verarbeitet hat. Das haben wir jetzt für uns wiederentdeckt. Wenn wir also über das Thema Regi onalität sprechen – die fängt direkt vor der eigenen Haustür an. Wir experimentieren da tagtäglich; wenn wir uns ein Pro dukt vornehmen, durchläuft es meist zehn verschiedene Test läufe, die wir uns parallel ansehen. Was für Gefäße verwenden Sie zum Konservieren?
Prinzipiell nutzen wir Gläser. Wir trocknen auch sehr viel, weil da sehr spannende Geschmacksprozesse in Gang gesetzt werden. Diese Produkte stapeln wir in Boxen im Keller. Ihre Gerichte sind reduziert auf drei, vier Zutaten. Wie ist da das Verhältnis von frischen und in irgendeiner Form haltbar gemachten Komponenten?
Grundsätzlich stehen immer frische Produkte im Vorder grund. Zum Beispiel serviere ich gern fangfrischen Fisch, der bildet den Mittelpunkt. Dann nehme ich seine Eier und ma che Bottarga draus. Wir fügen Fischgarum hinzu, nehmen die Haut, lösen den Tran von der Innenseite und backen die Fischhaut aus. So gewinnt man am Ende unterschiedliche Aromenbilder von einem Tier, alles in der perfekten Dosie rung zusammengebracht. Das Fischthema wird dann viel leicht von einem Blumenkohl begleitet. Komplementäraro men nenne ich das – unterschiedliche Aromen unterstützen einander. Ein ganz anderes Beispiel: Im Herbst haben wir Wildquitten geerntet, die verströmen einen brutal floralen Duft, ich liebe es, wenn das ganze Haus danach riecht. Die Früchte kochen wir zu einem Fond ein und machen einen Essig aus der Maische. Die Wildquitte kombinieren wir mit einem Öl von der Stachelbeere, das auch sehr floral duftig ist. Da multiplizieren sich die Aromen gegenseitig.
Marco Müller
„Einmachen beflügelt die Neugier, was man mit frischen Produkten alles anstellen kann.“
Foto: Dirk Mathesius; Porträt: Amin Akhtar
Lernt man das alles in der klassischen Kochausbildung?
Wenn man sie bei uns macht, dann schon! Ich hoffe aber, dass sich auch andere Köche zunehmend mit solchen Techniken auseinandersetzen und Vergessenes wiederbeleben. In alten
Seit 16 Jahren steht Marco Müller im „Rutz“ für eine nachhaltige, lokale Gastronomie. Seine Hingabe für frische Produkte resultiert nicht zuletzt aus einem „Prozess des Vermissens“: Aufgewachsen ist er teilweise auf dem Land, „wo wir Kinder die Kirschen einfach von den Bäumen klauten“.
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ARCHITECTURAL DIGEST. Stil, Design, Kunst & Architektur
Covers: Helenio Barbetta / Living Inside, © Matteo Cirenei / Abimis
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