Das philosophische Wirtschaftsmagazin
Ausgabe 02/2013
Wohlstand
A G O R A 4 2 Ausgabe 02/2013 | Deutschland 8,90 EUR Österreich 8,90 EUR | Schweiz 13,90 CHF
Kann Wachstum unseren Wohlstand retten? ■ Wozu reich sein? ■ Ist Wohlstand messbar? ■ Macht Wohlstand süchtig? ■ Muss James Bond erwachsen werden?
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TERRAIN
T E R R A I N
In diesem Teil der agora42 sondieren wir das Terrain, auf dem wir uns bewegen. Wir stellen ökonomische Begriffe, Theorien und Phänomene vor, die für unser gesellschaftliches Selbstverständnis grundlegend sind. —3 editoRiAl
—8 die AutoRen
—4 inhAlt
—9 Christian Raffer
Im statistischen Korsett: Die Vermessung des Wohlstands — 17 niko paech
Wohlstand im Widerspruch – Jenseits grüner Wachstumsträume — 23 birger p. priddat
Wozu reich sein?
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— 27 Wolfgang schmidbauer
Über blöden Komfort und falsche Helden — 33 Wolfram bernhardt
Erwachsen werden – Vom Wohlstand verwirrt — 40 poRtRAit
von Reinhard Blomert: Adam Smith – Der Philosoph, der die Ökonomie erfand
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Inhalt
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INTERVIEW
h hoRizont
— 62 Ronald F. duska
Wohlstand in der Aristoteles-Bank — 50 menschen, mauern und moneten
Interview mit Carlos García-Sancho und Christoph Muth
— 70 edgar göll
Von Kuba lernen? — 76 WeitWinKel
Moderne Ruinen – Eine Topografie der Bereicherung — 82 FRisChluFt
Wohlstand & Gerechtigkeit Kooperation & Bestrafung Ökonomik & Praxis Wohlstand & Freiheit
T E R R A I N
in diesem teil der agora42 brechen wir auf zu neuen ufern. Wie lässt sich eine andere ökonomische, eine andere gesellschaftliche Wirklichkeit denken, wie lassen sich konkrete Veränderungen herbeiführen? — 86 lAnd in siCht
Culinary Misfits flinc AG betterplace.org Juventud sin Futuro Right2Water — 92 gedAnKenspiele
von Kai Jannek
— 94 Aus deR RedAKtion
agora42 auf dem taz.lab Birger P. Priddat wird Mitherausgeber — 98 impRessum
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T E R R A I N
In diesem Teil der agora42 sondieren wir das Terrain, auf dem wir uns bewegen. Wir stellen ökonomische Begriffe, Theorien und Phänomene vor, die für unser gesellschaftliches Selbstverständnis grundlegend sind.
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T ET ERR R I N R AAI N
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die AutoRen
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Christian Raffer
niko paech
birger p. priddat
Christian Raffer war mehrere Jahre als Tageszeitungsredakteur tätig und studiert seit 2010 VWL an der Hochschule für Wirtschaft und Recht, Berlin. Daneben arbeitete er in den vergangenen beiden Jahren für ein Mitglied der EnqueteKommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ des Deutschen Bundestages.
Niko Paech ist außerplanmäßiger Professor am Lehrstuhl für Produktion und Umwelt an der Universität Oldenburg. Zuletzt von ihm zum Thema erschienen: Befreiung vom Überfluss. Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie (oekom Verlag, 2012).
Birger P. Priddat ist Inhaber des Lehrstuhls für Politische Ökonomie an der Universität Witten/ Herdecke, Fellow am Exzellenzcenter der Kulturwissenschaften an der Universität Konstanz und Gastprofessor an der Zeppelin Universität in Friedrichshafen sowie an der Universität Basel. Ab dieser Ausgabe ist er Mitherausgeber der agora42.
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— seite 23
© Foto: WZB, David Ausserhofer
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Wolfgang schmidbauer
Wolfram bernhardt
Reinhard blomert
Dr. Wolfgang Schmidbauer ist Autor und arbeitet als Lehranalytiker und Paartherapeut in München. Im ZEITmagazin erscheint seine wöchentliche Kolumne „Die großen Fragen der Liebe“. Zuletzt von ihm zum Thema erschienen: Das Floß der Medusa. Was wir zum Überleben brauchen (Murmann Verlag, Hamburg 2012).
Wolfram Bernhardt studierte BWL mit dem Schwerpunkt auf Finanz- und Kapitalmärkte. Er ist Mitherausgeber der agora42.
Dr. Reinhard Blomert ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung und Redakteur der Zeitschrift Leviathan.
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Im statistischen Korsett: Die Vermessung des Wohlstands
Text: Christian Raffer
Kaum ein ökonomischer Begriff hat eine solche Strahlkraft wie jener des Wohlstands einer Gesellschaft. Lange Zeit war es völlig selbstverständlich, ihn mittels des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zu messen und somit greif- und vergleichbar zu machen. Erst Umweltprobleme, soziale Verwerfungen und gesellschaftliche Debatten der jüngeren Vergangenheit haben den Blick dafür geweitet, dass Wohlstand für viele Menschen mehr bedeutet als die bloße Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen. Die Wissenschaft bringt darum seit mittlerweile rund 40 Jahren unablässig neue Messansätze hervor. Jeder einzelne ist ein Versuch, einem hochgradig subjektiven Begriff ein objektiv-statistisches Korsett anzulegen. Und jeder einzelne dieser Versuche stellt indirekt auch eine Kritik an der alleinigen Ausrichtung am BIP dar. 9
Christian Raffer
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m zu verstehen, gegen welchen Geist sich alternative Wohlstandsmessung heute richtet, lohnt sich ein Blick in die Vergangenheit. In den Jahrhunderten, bevor die Industrialisierung den europäischen Kontinent von Grund auf umwälzte, reichten ein trockener Frühling und eine mäßige Ernte, um ganze Völker in Existenzkrisen zu stürzen. Hunger und absolute Armut waren in der Vormoderne so weit verbreitete Alltagserscheinungen wie heute Verkehrslärm oder Stress. Zu diesen Tragödien kam es dem britischen Nationalökonomen Robert Malthus (1766–1834) zufolge, weil dem exponentiellen Wachstum der Bevölkerung ein bloß lineares Wachstum der Nahrungsmittelproduktion gegenüberstand – entsprechend gäbe es auch keine Aussicht auf Besserung. Was Malthus nicht ahnte: Dank Produktivitätssteigerungen, die das Bevölkerungswachstum überkompensierten, war ein Entkommen aus der Hungerfalle möglich. Durch Arbeitsteilung, die Bildung großer Kapitalvermögen und den Siegeszug der Dampfmaschine gelang es den europäischen Gesellschaften Anfang des 19. Jahrhunderts, trotz der mit der Industrialisierung verbundenen sozialen Härten, ihre vormodernen Fesseln abzustreifen. Ein stabiles Wachstum des Pro-Kopf-Einkommens setzte ein und die Lebensgrundlage weiter Teile der Bevölkerung verbesserte sich. Kurz gesagt: Wirtschaftswachstum brachte Wohlstand. Dieses Prinzip wurde schnell zum Common Sense und sollte es eingedenk einer in regelmäßigen Abständen von Leid und Entbehrung heimgesuchten Vergangenheit auch für lange Zeit bleiben.
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Bereits zu dieser Zeit – etwa im Jahr 1805 in Preußen – gab es Bestrebungen, über die Schätzung des Nationalreichtums einen Indikator dafür zu finden, was da auf den Feldern und in den Fabrikhallen eigentlich vor sich ging. Aus diesen ersten Versuchen entwickelte sich schließlich mit dem Bruttoinlandsprodukt (BIP) der bis zu Beginn der 70er-Jahre des vorigen Jahrhunderts weitgehend unumstrittene und bis heute bedeutendste Maßstab ökonomischen Wohlstands. Das BIP umfasst die gesamte Wertschöpfung, die bei der Produktion von öffentlichen und privaten Waren und Dienstleistungen im Inland innerhalb eines begrenzten Zeitraumes entsteht. Ermittelt wird es heute über das ausdifferenzierte Kontensystem der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (VGR). Lange Zeit genügte der westlichen Welt ein flüchtiger Blick auf die BIP-Entwicklung eines Landes und es war klar, wie es um das Leben dort bestellt war. Wo das BIP ausreichend wuchs, gab es keinen Grund zum Lamentieren. Man denke nur an die flirrenden Jahre des Deutschen Wirtschaftswunders. Es war die Umweltbewegung, die Anfang der 70er-Jahre die ersten Zweifel an diesem kaum zu bremsenden Überschwang aufkommen ließ. Ein Meilenstein war etwa Dennis Meadows Bericht Grenzen des Wachstums für den „Club of Rome“ aus dem Jahr 1972, in dem er äußerst publikumswirksam darauf hinwies, dass ein weiterer Raubbau an den begrenzten Ressourcen früher oder später in die Katastrophe führen würde. In diesem Kontext entstanden auch die ersten alternativen Wohlstandsindikatoren wie der „Measure of Economic Welfare“ der Ökonomen William Nordhaus und James Tobin. Seitdem
ist die Wachstumskritik nicht nur in ökonomischen Zirkeln salonfähig geworden, sondern auch in der übrigen Gesellschaft, wo sie mit jeder neuen Wirtschafts-, Klima- oder Gesellschaftskrise zusätzlichen Schwung erhält. Nicht ohne Grund stieß der 2009 veröffentlichte Abschlussbericht der französischen Stiglitz-Sen-FitoussieKommission (SSFC-Bericht) zum Thema alternative Wohlstandsmessung auf ein großes Echo, das bis heute nachhallt. Die neuen Messmethoden wurden damit endgültig zum statistischen Begleitprodukt der Wachstumskritik. Hinter all dem steht die grundlegende Frage, ob wirtschaftliches Wachstum zum Erreichen eines breiten Wohlstands – und damit auch das BIP als dessen Messinstrument – ausgedient hat. Im Mittelpunkt der BIP-Kritik stehen die Komponenten, die es nicht oder nur unzureichend misst. Die Spanne reicht von nicht bezahlter Hausarbeit, also vom samstäglichen Wohnungsputz in den eigenen vier Wänden, bis hin zur gesamtgesellschaftlichen Verteilung von Einkommen. Der Vollständigkeit halber muss allerdings auch erwähnt werden, dass das BIP selbst nie als allumfassendes Wohlstandsmaß gedacht war. Die Kritik der etwas differenzierteren Sorte richtet sich darum auch nicht gegen das Maß als solches, sondern vielmehr gegen dessen unreflektierte Nutzung.
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Das Terrain der Wohlstandsmessung
Wenn nun aber nicht mehr das Wirtschaftswachstum allein unseren Wohlstand mehrt, so lautet die Frage aller Fragen: Was dann? Sie dürfte sich jeder Wissenschaftler gestellt haben, der sich in den vergangenen 40 Jahren an die Konzeption einer alternativen Messmethode gemacht hat. Es leuchtet unmittelbar ein, dass die Antwort darauf höchst subjektiv sein muss. So gesteht etwa die Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ des Deutschen Bundestages in ihrem Abschlussbericht aus dem Jahr 2013 ein: „Eine abschließende Liste (…) kann es aufgrund unterschiedlicher Werturteile, Weltanschauungen und Interessenlagen von Individuen zwangsläufig niemals geben.“ Und so verwundert es auch nicht, dass es ganz unterschiedliche Methoden gibt, Wohlstand zu messen – stellt doch jede einzelne ein mathematisiertes Werturteil von Wissenschaftlern aus unterschiedlichen Kulturen darüber dar, was Wohlstand heute zu sein hat. Man kann die verwirrende Vielzahl der Messmethoden grob in vier Bereiche einteilen: Da gibt es zunächst die sogenannten Monetären Wohlfahrtsindizes, die sich weiterhin an der VGR ausrichten, aber zusätzliche soziale und ökologische Parameter einbeziehen. Bei dieser Methode werden beispielsweise die ökologischen
Lange Zeit genügte der westlichen Welt ein flüchtiger Blick auf die BIP-Entwicklung eines Landes und es war klar, wie es um das Leben dort bestellt war.
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Im statistischen Korsett: Die Vermessung des Wohlstands
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Wohlstand im Widerspruch —
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Jenseits grüner Wachstumsträume
Text: Niko Paech
Aktuelle Bemühungen, die Gesellschaft nachhaltiger auszurichten, zielen auf eine ökologische Modernisierung. Technischer Fortschritt, so die Hoffnung, könnte die Probleme, die aus der heutigen Form des Wirtschaftens erwachsen, ohne mühevolle Umstellungen und Anspruchsmäßigungen lösen. Diese Ideologie liefert zeitgenössischen Konsumgesellschaften ein Alibi dafür, den Wandel zum Weniger bis auf unbestimmte Zeit aufzuschieben oder gar als unnötig abzulehnen. Bedauerlicherweise sind es ausgerechnet viele der Effizienz-, Cradle-to-cradle-, Energiewende- oder sonstigen „Green-New-Deal“-Innovationen, die den materiellen Raubbau intensivieren, indem sie bislang verschont gebliebene Naturgüter und Landschaften einer „grünen“ Verwertung zuführen. 17
Niko Paech
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arum lässt sich wachsender Konsumwohlstand nicht von ökologischen Schäden entkoppeln? Damit trotz einer Zunahme des Bruttoinlandsproduktes (BIP) eine Entlastung der Ökosphäre erreicht wird – alles andere entspräche angesichts längst überschrittener ökologischer Grenzen keinem Nachhaltigkeitsbeitrag –, müssen zwei unterschiedliche Entkopplungsprobleme gleichzeitig gelöst werden. Denn eine systematische Steigerung des BIP hat eine materielle Entstehungsseite (zusätzliche Produktion) und eine finanzielle Verwendungsseite (das durch die Produktionssteigerung zusätzliche Einkommen). Beide Wirkungen müssen ökologisch neutralisiert werden. Wie grün ist „grün“?
Kommen wir zunächst zur Entstehungsseite des BIP und der Frage, wie „grünes Wachstum“ beschaffen sein müsste. Hierzu müssten Güter erfunden werden, deren Herstellung, physischer Transfer, Nutzung und Entsorgung keine Flächen-, Materie- und Energieverbräuche zur Folge hätten. Bisher ersonnene Green-GrowthLösungen erfüllen diese Voraussetzung offenkundig nicht; ganz gleich ob es sich dabei um Passivhäuser, Elektromobile, Ökotextilien, Photovoltaikanlagen, Bio-Nahrungsmittel, Offshore-Anlagen, Blockheizkraftwerke, Smart Grids, solarthermische Heizungen, Cradle-to-cradleT-Shirts, Carsharing, digitale Services etc. handelt. Nichts von alledem kommt ohne physischen Aufwand, insbesondere neue Produktionskapazitäten und Infrastrukturen, aus. Könnten die grünen, immerhin 18
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relativ ressourcensparenden Produkt- beziehungsweise Technikkreationen den weniger nachhaltigen Output nicht einfach ersetzen, statt addiert zu werden? Für eine ökologische Entlastung ist es nicht hinreichend, nur Outputströme zu ersetzen, solange dies mit zusätzlichen materiellen Bestandsgrößen und Flächenverbräuchen (wie bei Passivhäusern oder Anlagen zur Nutzung erneuerbarer Energien) erkauft wird. Könnten die weniger nachhaltigen Objekte nicht einfach beseitigt werden? Wie könnte das vor sich gehen, die Materie ganzer Industrien, Infrastrukturen und Immobilienkomplexe ökologisch neutral verschwinden zu lassen? Hinzu kommt ein zweites Dilemma: Das BIP kann nicht dauerhaft wachsen, wenn jedem „grünen“ Gewinn an Wertschöpfung ein Verlust infolge des Rückbaus alter Strukturen entgegensteht. Der Saldo ist sogar mit hoher Wahrscheinlichkeit negativ. Dies lässt sich exemplarisch an der deutschen „Energiewende“ nachzeichnen. Die von der Green-Growth-Gemeinde bestaunten Wertschöpfungsbeiträge der erneuerbaren Energien entpuppen sich bei genauerer Betrachtung bestenfalls als Strohfeuereffekt. Wenn nämlich der momentan boomende Kapazitätsaufbau (zum Beispiel durch den Bau neuer Windkraftanlagen) abgeschlossen ist, reduziert sich der Wertschöpfungsbeitrag bloß noch auf den Energiefluss; dieser aber ist mit vergleichsweise wenig das BIP steigernden Aktivitäten verbunden (kein Bau neuer Anlagen, nur noch Wartung). Beliebig gesteigert werden könnte die Wertschöpfung nur dann, wenn man die Produktion neuer Anlagen ohne Begrenzung fortsetzen würde. Aber dann drohen neben steigenden Stromverbräuchen wei-
Bruttoinlandsprodukt
Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist die Summe aller Bruttowertschöpfungen zuzüglich der Summe der dabei entrichteten Steuern eines Landes in einem Jahr. Unter Bruttowertschöpfung wird dabei Folgendes verstanden: Kauft zum Beispiel ein Schneider Stoff für 150 Euro und schneidert einen Anzug daraus, den er für 400 Euro verkauft, hat er eine Bruttowertschöpfung von 250 Euro erwirtschaftet – Verkaufspreis von 400 Euro minus Vorleistung (Stoffkauf) von 150 Euro. Wachstum ist gleichbedeutend mit einer Steigerung des BIP. Würde ein Land nur Karotten herstellen und die Menge der produzierten Karotten würde im ersten Jahr zehn Stück betragen und würde im zweiten Jahr dieses Land elf Karotten herstellen, dann hätte dieses Land ein Wachstum des BIP von zehn Prozent.
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Über blöden Komfort und falsche Helden — Text: Wolfgang Schmidbauer
Warum erkennen Menschen das Richtige, billigen es – und tun dann doch das Falsche? Diese Frage wurde viele hundert Jahre lang von Moralisten gestellt (Der römische Dichter Ovid schrieb: „Das Bessere seh ich und lob ich, Schlechterem folget das Herz.“) und bezog sich auf das Handeln von Individuen, die beispielsweise wissen, dass Ehebruch verboten ist, diese moralische Haltung auch gegenüber ihrem Partner vertreten – und dann fremd gehen. Heute beschäftigt uns angesichts des Widerspruchs zwischen gutem Wissen und schlechtem Tun weniger die Moral von Individuen als die Stabilität von Staaten, der Erhalt der Biosphäre, globale Energie- oder Schuldenkrisen. 27
Wolfgang Schmidbauer
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In der Konsumgesellschaft wird Technik systematisch benützt, um süchtig zu machen.
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ast alle Konsumgesellschaften treiben Raubbau an der Gegenwart, verbrauchen mehr Rohstoffe und Energieträger, als nachwachsen, und zahlen die Zinsen für ihre Kredite durch neue Schulden. Wer einen kleinen Kredit haben will und keine Sicherheit bietet, geht leer aus; wer einen Staat führt und nicht die geringste Wahrscheinlichkeit geltend machen kann, dass er dessen Schuldenlast mindern wird, kann sich geraume Zeit hohe Summen leihen. Wenn uns gegenwärtig unsere Intelligenz nicht daran hindert, Atomkraftwerke zu bauen, Tropenwälder zu roden und die Ozonhülle zu schädigen, dann zeigt das, dass die materiellen Strukturen, die solche Entwicklungen bedingen, stärker geworden sind als die menschliche Einsicht. Zu den dümmsten Aussagen über Technik gehört die, sie sei neutral, es komme darauf an, was der verantwortliche Mensch mit ihr mache. Neutral ist Technik nur, solange sie nicht vorgaukelt, es gäbe einen Gewinn an Macht ohne Kosten. In der Konsumgesellschaft wird Technik systematisch benützt, um süchtig zu machen; kommerziell erfolgreiche Waren beruhen weitgehend auf solchen Mechanismen. In der Fabel Der Ziehbrunnen aus China lehnt ein weiser alter Mann den Hebelbrunnen ab, weil er fürchtet, durch seine Benutzung selbst wie eine Maschine zu funktionieren. Günter Anders hat in seinem Buch Die Antiquiertheit des Menschen (1956) diesen Gesichtspunkt der Ansteckung durch die Maschine um den Aspekt der Beschämung durch sie ergänzt. Seine Formulierungen über die „prometheische Scham“ beschreiben die Reaktion auf Produkte angehäufter, überindividueller menschlicher Erfindungskraft, vor der die
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eigenen Fähigkeiten kümmerlich erscheinen. Diese Einwände gehören in eine Zeit, in der sich das selbstkritische Individuum noch von den regressiven Reizen der Konsumgesellschaft abgrenzen konnte (Regression – hier: unbewusster Rückgriff auf kindliche Verhaltensmuster). Heute überwiegen Verschmelzungen mit den Maschinen, deren übermenschliche Qualitäten schamlos zur Steigerung des eigenen Machtempfindens und der Verwöhnungsbedürfnisse dienen. Solange Automobile, Handys und Laptops komfortabler werden, sind wir abgelenkt nachzudenken, ob sie nicht prinzipiell unbekömmlich für den Menschen sind. In der Verschmelzung und Identifizierung mit scheinbar immer fortschrittlicheren Produkten ist das erschlichene Machtgefühl nicht mehr erkennbar. Der Konsument ist Sieger, wenn nicht über die düstere Zukunft, dann doch über die hoffnungslos rückständige Vergangenheit, in der beispielsweise ein Auto noch eine Handkurbel hatte, um es anzuwerfen, ein Motorrad mit einem Fußtritt gestartet wurde, ein Fotoapparat mithilfe eines Daumendrucks den Film transportierte oder eine Uhr aufgezogen wurde und nicht alle zwei Jahre eine Portion Batteriegift in die Umwelt entließ. Blöd machende Warenwelt
Wären sie nicht selbst Teilhaber an diesem selbstverständlichen Machtgewinn, dann würden die Intellektuellen und die Angehörigen helfender Berufe (Ärzte, Sozialarbeiter, Therapeuten etc.) öfter darauf hinweisen, wie wenig die Warenverwöhnungen auf die unausweichlichen Enttäuschungen des Lebens vorbereiten. Die Gefahr wächst, dass erträgliche, unter
portrait
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Ad a m S m it h – D e r Ph i lo s oph , d e r d i e Ö k onom i e e r f a nd T E R R A I N text: Reinhard Blomert
Mit der Metapher von der „unsichtbaren Hand“ gilt Adam Smith den meisten als Erfinder der Idee eines freien Marktes, der dafür sorge, dass dem Gemeinwohl am besten gedient sei, wenn jeder seine Einzelinteressen verfolge. Tatsächlich findet man bei Smith an mehreren Stellen den Begriff der „unsichtbaren Hand“, der als Synonym für den Markt betrachtet wird. Marktfundamentalisten berufen sich auf ihn, und behaupten, dass wenn der Staat sich aus dem Wirtschaftsgeschehen heraushalte, diese Hand alles zum Besten richten würde. Der Staat ist aus dieser Sicht nur ein Störenfried, sein Eingreifen die Ursache für alle wirtschaftlichen Fehlentwicklungen. 40
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Adam Smith – Der Philosoph, der die Ökonomie erfand
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Interview
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Men s c hen, Mauern und Moneten – Inter v iew mit C a rlos Ga rc ía -Sa nc ho und Chris toph Mut h I N T E R V I E W Fotos: Janusch Tschech
Herr García-Sancho, Ihr Masterstudiengang trug den Titel Urban Asymmetries. Was verbirgt sich dahinter? CGS: In diesem Studiengang ging es um die gegensätzlichen, teils völlig unvermittelt
aufeinanderprallenden Wohn- und Lebensrealitäten, die in Großstädten im Zuge neoliberalen Bauens entstanden sind. Im Rahmen des Studiengangs Urban Asymmetries* haben Gruppen von Studenten in verschiedenen Städten, zum Beispiel Mexico Stadt, Santiago de Chile, Newark/New York oder London, diese Räume untersucht. Das Ziel war herauszufinden, welche Konsequenzen und welche Konflikte sich aus diesen Asymmetrien – beispielsweise dem direkten Aufeinandertreffen von informellen Siedlungen und Gated Communities – für die Einwohner im alltäglichen Leben ergeben. Natürlich hat Architektur auch mit dem Bau von großen Wohnsiedlungen oder von Wahrzeichen zu tun, aber eben nicht nur. Leider werden in Magazinen vor allem spektakuläre Bauprojekte und Luxuswohnungen gezeigt. Uns ging es hingegen darum, die andere Seite der Architektur, die soziale Komponente, in den Vordergrund zu rücken; die Frage zu stellen, wie Städtebau betrieben werden muss, damit eine Stadt als Gemeinschaft funktioniert.
* Der Masterstudiengang Urban Asymmetries ist kürzlich, nach langem Hin und Her, im Zuge einer Restrukturierungsmaßnahme abgeschafft worden. Ein Überblick über die Projekte, die im Rahmen des Studiengangs durchgeführt wurden, findet sich in dem Band Urban Asymmetries. Studies and Projects on Neoliberal Urbanization (010 Publishers Verlag). 50
informelle Siedlungen
Als „informell“ werden Siedlungen bezeichnet, die ungeplant, das heißt nicht im Rahmen der offiziellen Stadtplanung entstehen. Zumeist am Stadtrand gelegen, bestehen diese Siedlungen in der Regel aus provisorischen Unterkünften, bei denen weder der Grundbesitz noch die Versorgung mit Strom, Wasser etc. geklärt sind. Nach Schätzungen der UN leben in Metropolen wie Sao Paulo, Mumbai oder Mexiko Stadt inzwischen etwa 40 bis 60 Prozent der Menschen in informellen Siedlungen.
Carlos García-Sancho und Christoph Muth
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Carlos García-Sancho Carlos García-Sancho, geboren 1985, studierte Architektur in Barcelona und Delft (Niederlande). Aus seinem Masterstudium nahm er den Satz „Architects can become political again“ mit. Entsprechend beschäftigt ihn auch die Frage, wie man in der heutigen Berufswelt als Architekt dazu beitragen kann, die Gesellschaft zu verändern. Mehr auf seiner Homepage: http://dedesign.tumblr.com
sich von ihr Sicherheit verspricht – durch die Mauern und Zäune und die Wachposten am Eingang. Zugleich lebt man unter seinesgleichen und meint, sich so Probleme ersparen zu können. Vielleicht war ein Vorläufer der Gated Communities die sogenannte Stadtflucht, also der Trend, ins städtische Umland abzuwandern, wo es ruhiger ist, wo es weniger Konflikte gibt und wo man nicht Gefahr läuft, den Nachbarn zu treffen und mit ihm in Austausch treten zu müssen. Die Gated Communities setzen diesen Trend fort und gehen noch einen Schritt weiter. So wird durch die Errichtung von Mauern demonstriert, dass man mit den Problemen da draußen nichts zu tun haben will. Dabei sollte den Menschen doch klar sein, dass Konflikte meistens gerade dort entstehen, wo sich Teile der Gemeinschaft zurückziehen. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, dass Gated Communities manchmal auch wie Sozialwohnungskomplexe wirken: Da werden Wohnbauten errichtet, die völlig isoliert dastehen – oft am Stadtrand oder an anderen Stellen, für die man sonst keine Verwendung hatte, bei denen von vornherein keine Interaktion mit der angrenzenden Stadt geplant war. Der Unterschied besteht lediglich darin, dass die Bewohner der Sozialbauten in isolierten Komplexen wohnen, weil sie dies müssen, und die Bewohner der Gated Communities dies freiwillig tun.
CM: Für mich stellen Gated Communities die Ablehnung einer sinnvollen Stadtplanung dar; eine absolute Verweigerungshaltung dem gegenüber, was eine Stadt auszeichnet: dem Gemeinschaftlichen. Die Aufgabe eines Stadtplaners kann nicht darin bestehen, gewisse Bereiche einer Stadt einer Klasse oder Schicht zuzuweisen. Vielmehr besteht die Aufgabe der Stadtplaner darin, eine gemeinsame Grundlage für alle zu schaffen. Deshalb ist eine Zusammenarbeit mit den Stadtbewohnern wie auch ein interdisziplinärer Austausch mit Soziologen, Ökonomen etc. wichtig. Gerade dieses Zusammenspiel vielfältiger Anschauungen – wenn Städte zum Melting Pot werden – macht Städte interessant und lebendig. Es ist ja nicht so, dass Architekten und Stadtplaner keine Ideen hätten, wie so etwas umgesetzt werden könnte. Aber leider widerspricht dies zumeist den Vorstellungen der Auftraggeber, sei es, weil es ihnen ausschließlich um die Rendite geht, sei es, weil für sinnvolle städte- oder sozialbauliche Maßnahmen kein Geld bereitgestellt wird.
Christoph Muth Christoph Muth, geboren 1986, studiert Architektur in Stuttgart. Im Rahmen der zeitgenössischen Kunstbiennale EVENTO entwickelte er 2011 eine Installation, die das soziale Gefüge einer Großbausiedlung aufzeigte. 2012 war er an der Organisation des Architekturwettbewerbs „72 hour urban action“ in Stuttgart beteiligt. Im Zuge seiner Diplomarbeit beschäftigt er sich mit dem krisenbedingten Leerstand in Barcelona. Ziel ist es, die Bürger in die Stadtentwicklung einzubinden – vor allem im Hinblick auf den Umgang mit den leerstehenden Gebäuden.
Auf der einen Seite geht es in der Architektur um funktionale Gebäude beziehungsweise eine sinnvolle Stadtplanung. Auf der anderen Seite wurden schon immer wilde Prachtbauten errichtet und solche Projekte wie die Gated Communities verwirklicht. Selbst beim eigenen Haus im Grünen schwingen neben vernünftigen Argumenten immer Träume mit, Bilder von Wohlstand und Glück. Ist das Aufeinanderprallen von rationalen Aspekten und irrationalen Verheißungen typisch für die Architektur? CM: Diese Widersprüchlichkeit findet sich auch im Kleinen. Es gibt in unserer Gesell-
schaft tatsächlich das Idealbild vom Eigenheim mit Auto und allem, was dazu gehört. Das wird dann rational untermauert: Wohneigentum wird häufig als perfekte Mischung von Freiheit und Sicherheit verstanden. Abgesehen von dem ganzen Stress, der mit dem Hausbau, der Finanzierung, der Wartung etc. verbunden sein kann, hat die Verwirklichung dieses Traums allerdings etliche Probleme mit sich gebracht, die inzwischen immer klarer zutage treten: Gerade das Einfamilienhaus im Grünen hat ein gesteigertes Verkehrsaufkommen zur Folge und eine weitere Individualisierung, die dazu beiträgt, dass man sich immer weniger als Gemeinschaft versteht. Die langfristigen Folgen der neuen Siedlungen außerhalb der Stadtgrenzen interessieren die Investoren und Planer jedoch nicht. Selbstverständlich werden diese auch nicht thematisiert, wenn der Kunde sein Häuschen im Grünen kauft.
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Ein prominentes Beispiel für die Folgen neoliberalen Bauens sind Gated Communities: Wohnkomplexe mit Zugangsbeschränkungen, die oftmals durch Zäune oder Mauern von der umgebenden Stadt abgegrenzt werden. Was bewegt Menschen dazu, in eine solche Wohnsiedlung zu ziehen? CGS: Das offensichtlichste Motiv, in eine Gated Community zu ziehen, ist, dass man
In diesem Teil der agora42 brechen wir auf zu neuen Ufern. Wie lässt sich eine andere ökonomische, eine andere gesellschaftliche Wirklichkeit denken, wie lassen sich konkrete Veränderungen herbeiführen?
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Wohlstand in der Aristoteles-Bank — H O R I Z O N T 62
Wohlstand in der Aristoteles-Bank
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Text: Ronald F. Duska
Der folgende Text ist eine Übersetzung aus dem Englischen von Sylvia Riemer. Da „wealth“ im Englischen sowohl Vermögen als auch Wohlstand bedeutet, sind durch die Übersetzung einige der Wortspiele des Autors verloren gegangen. Den Originaltext finden Sie in unserem Blog auf www.agora42.de. Dodd-Frank Act
Der Dodd-Frank Act, eigentlich „Dodd/Frank Wall Street Reform and Consumer Protection Act“, ist ein US-amerikanisches Bundesgesetz, welches 2010 verabschiedet wurde. Auf knapp 850 Seiten wur-
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Gesetze wie der Dodd-Frank Act haben in der jüngsten Vergangenheit eine intensive Diskussion über die treuhänderischen Pflichten von Vermögensberatern (Wealth Manager) in Gang gesetzt. Das Ziel ist klar: Vermögensberater sollen im Interesse, ja, sogar zum Besten ihrer Kunden handeln. Auch wenn ich ein Problem damit habe, „das Beste“ zu definieren – da es unmöglich ist zu wissen, was das Beste für einen Kunden ist, kann man von niemanden erwarten, dass er das Unmögliche vollbringt –, würde ich die Mindestanforderung an die Tätigkeit eines Beraters dahingehend definieren, dass er die Interessen seiner Klienten vor seine eigenen zu stellen hat. Oder, wie bereits die goldene Regel vorschlägt: „Behandle andere so, wie du von ihnen behandelt werden willst.“ An dieser Stelle sollten wir uns eine Frage stellen, die nur selten gestellt wird: Was sind eigentlich die Interessen der Klienten? Normalerweise wird einfach angenommen, dass Finanzberatung und Vermögensplanung ausschließlich darauf ausgelegt ist, das Vermögen des Klienten zu erhalten, zu vermehren oder klug zu streuen. Daher auch der Ausdruck Vermögensverwaltung (englisch: „Wealth Management“). Das Problem ist jedoch, dass nicht eindeutig ist, was man unter dem „Interesse“ zu verstehen hat. Beispielsweise könnte ich daran „interessiert“ sein, ein Stück Käsekuchen zu essen. Weil ich jedoch gerade auf Diät bin, liegt dies aber nicht in meinem eigentlichen Interesse. Oder ich bin vielleicht daran „interessiert“, einen schicken neuen Sportwagen, sagen wir einen Lamborghini, zu besitzen. Mir jedoch einen zu kaufen, wäre nicht in meinem eigentlichen Interesse, da ich ihn mir schlicht nicht leisten kann. Weil wir in einer Epoche leben, in welcher der unmittelbaren Bedürfnisbefriedigung ein hoher Stellenwert beigemessen wird, vergessen wir oft, dass das, was wir wollen (was uns interessiert), nicht immer auch das ist, was wir brauchen (was in unserem Interesse ist). John Stuart Mill unterscheidet in ähnlicher Weise zwischen dem, was gewünscht wird, und dem, was wünschenswert ist.
den in diesem Gesetz zahlreiche Maßnahmen zusammengefasst, durch welche die Stabilität des US-amerikanischen Finanzmarktes gestärkt werden soll. Eckpunkte dieser Agenda sind eine verbesserte Transparenz und dadurch eine verbesserte Zuordnung der Verantwortlichkeiten.
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Von Kuba lernen? Zukunftsfähigkeit auf der roten Karibikinsel
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Von Kuba lernen? — Zukunftsfähigkeit auf der roten Karibikinsel
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hier wird das Fernrohr gegen das Kaleidoskop getauscht und gezeigt, dass die Wirklichkeit viele Facetten hat. Fotos: Julia Schulz-Dornburg satellitenfotos: Nationales Geografisches Institut (PNOA)
H O R I Z O N T moderne Ruinen – eine topografie der bereicherung
Lucro“. Es handelt sich um Aufnahmen von Gei-
Der Bildband „Ruinas Modernas – una Topografia
stersiedlungen, von Stahlskeletten in der Steppe
de Lucro“ ist 2012 erschienen bei Ambít Serveis
Julia Schulz-Dornburg, geboren 1962 in München,
und von wie leere Puppenhäuser anmutenden
Editorials. Nach Ausstellungen in Berlin (Aedes
hat ihr Architekturstudium an der Architectural
Bungalows. Kurzum: brachliegende Orte von
Gallerie) und in Madrid (Museum ICO) wird ab
Association in London absolviert. Seit 1991 lebt
schwermütiger Schönheit, entstanden während
dem 24. Oktober 2013 eine Auswahl der Bilder im
und arbeitet sie als Architektin in Barcelona. Im
des hemmungslosen Baubooms der letzten Jahre.
FAD in Barcelona zu sehen sein – inklusive der von Schulz-Dornburg zusammengetragenen Infor-
Jahre 2010 begann sie mit einer fotografischen Bestandsaufnahme von Neubauten in Spanien,
Die fotografische Bestandsaufnahme dokumen-
mationen über Standort, Bauträger, Topografie
die nach dem Platzen der Immobilienblase im
tiert die Ergebnisse der akribisch geplanten
oder Zeitpunkt des Projektstopps. Über die
Jahr 2008 nicht fertig gebaut beziehungsweise
Luxusdomizile, Golfplätze und Swimmingpools.
Ausstellung in der Aedes Gallerie gibt es einen
nie bezogen wurden.
Diese Bauten werden zu einem Symbol: dem
kleinen Katalog auf Englisch: „Modern Ruins - A
Symbol für „ein Netzwerk sozialer, wirtschaftlicher
Topography of Profit“ (ISBN: 978-3-943615-11-1),
Die Fotografien, die diese „Landschaften der Be-
und politischer Kräfte, die Wachstum als einzige
zu haben bei der Buchhandlung Walther König in
reicherung“ dokumentieren, finden sich in dem
Grundlage für das Erhalten unseres Wohlstands
Köln, der Buchhandlung Werner in München und
Bildband „Ruinas Modernas – una Topografia de
predigen“.
dem Bücherbogen in Berlin.
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links: Dominion Heights: Eine Wohnsiedlung mit 140 Einheiten, die aufgegeben wurde noch bevor irgendwelche Infratsrukturmaßnahmen erfolgten (Estepona bei Málaga). Rechts: Golden Sun Beach & Golf Resort: Die umliegenden Hügel imitieren sollten einst 3.000 Wohnungen mit Ausblick auf einen Golfplatz, der nach und nach wieder von der Natur zurückerobert wird (Pulpí, Alermía).
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FRisChluF t
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sie befassen sich im Rahmen ihrer Forschungstätigkeit mit themen an der schnittstelle von Ökonomie und gesellschaft/politik und loten neue denkräume aus. Stellen Sie Ihre Arbeit bei uns vor: info@agora42.de
H O R I Z O N T
W o h l s tA n d , FReiheit und geReChtigKeit
— liberale denker betrachten die Verwirklichung individueller Freiheit zumeist als eine rein formale Angelegenheit – dass die verbrieften Freiheitsrechte aber im Alltag häufig nicht ausreichen, um die menschen tatsächlich frei zu machen, darauf weist der Wirtschaftswissenschaftler und philosoph Amartya K. sen hin. er gelangt durch die betrachtung der vielfältigen Aspekte von Freiheit zu einem differenzierten blick auf deren Vorbedingungen. Freiheit hängt nicht nur von den Freiheitsrechten, sondern auch von den materiellen Ressourcen ab, die einem menschen zur Verfügung stehen. Was ein solcher Freiheitsbegriff für liberale gesellschaften – vor allem in punkto gerechtigkeit – bedeutet, will britta hörtz in kritischer Auseinandersetzung mit den Werken von sen klären. 82
In liberalen Theorien ist die größtmögliche Freiheit des Individuums der Ausgangspunkt der Überlegungen. Für die Vertreter des klassischen liberalen Denkens sind Freiheits- und Eigentumsrechte wesentlich, wenn es darum geht, den Individuen ein gutes Leben nach individuellen Vorstellungen zu ermöglichen. Dass individuelle Freiheit aber nicht nur von formalen Kriterien abhängt, sondern unsere Handlungsspielräume auch von den uns zur Verfügung stehenden Ressourcen abhängen, hat Amartya K. Sen in seinen Werken eindrucksvoll aufgezeigt und damit das Konzept der positiven Freiheit – das heißt eine Freiheit zu, welche die Befähigung für aktives Handeln voraussetzt – wieder salonfähig gemacht. Nach Sen sind die klassisch liberalen Freiheits- und Eigentumsrechte um eine Betrachtung der effektiven Freiheiten, das heißt der verwirklichten Freiheiten, zu ergänzen. Zu fragen ist demnach, welche tatsächlichen (und eben nicht nur formalen) Chancen die Menschen haben, ihre individuellen Vorstellungen von einem guten Leben zu verwirklichen. Insoweit der Mensch materieller Ressourcen bedarf, um auch faktisch entsprechend seinen Vorstellungen leben zu können, darf sich soziale Gerechtigkeit nicht ausschließlich über die Zuweisung von Rechten definieren, sondern muss auch mit einer sozial gerechten Verteilung der freiheitsschaffenden Güter einhergehen. Inwieweit und in welcher Form das Verhältnis zwischen materiellem Wohlstand und individueller Freiheit in liberalen Gesellschaften letztlich auch eine Forderung nach Verteilungsgerechtigkeit erzeugt, will Britta Hörtz am Denken von Amartya K. Sen aufzeigen. britta hörtz Britta Hörtz ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Politische Theorie und Philosophie an der Katholischen Universität EichstättIngolstadt. Der Titel ihrer Dissertation lautet Liberale und effektive Freiheit – eine Kritik des egalitären Liberalismus von Amartya K. Sen. Kontakt: britta.hoertz@ku.de
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non-CoopeRAtiVe behAVioR And emAnCipAtiVe VAlues Greece
-.30
S. Arabia
incidence of Anti-social punishment 2008
-.35 -.40
Russia Belarus Ukraine
-.45
Turkey
S. Korea Australia
-.50 -.55
Switzerland
China
-.60
Germ. (W.)
-.65
U.K.
-.70
note: Data on vertical axis are from Hermann, Thöni &
-.75
Gächter (2008: Figure S3), with lower numbers indica-
U.S.A
-.80
ting a lower frequency of using anti-social punishment
Denmark
-.85
by the participants in the cooperation game played by students in a city of the respective country. Anti-social
Rsq.: .41
-.90
punishment is to 'punish' a participant who contributed more than oneself to the public fund. Data are on hori-
.30
.35
.40
.45
.50
.55
.60
.65
zontal axis are from Welzel (2012).
K o o p e R At i o n und bestRAFung — Vor gut zehn Jahren wurde in der Fachzeitschrift Nature ein bahnbrechender beitrag zum Verständnis von Kooperation in modernen gesellschaften veröffentlicht: „Altruistic punishment in humans“. in diesem Artikel zeigten die Ökonomen ernst Fehr und simon gächter, dass teilnehmer an spieltheoretischen experimenten zum teil erhebliche Kosten auf sich nahmen, um unfaires Verhalten zu bestrafen – und dies, obwohl sie in der Folge selbst keinerlei materiellen nutzen zu erwarten hatten. in der bereitschaft, opfer zu erbringen, um die einhaltung von normen zu gewährleisten, erkennen Fehr und gächter eine entscheidende stütze der Kooperation in komplexen gesellschaften. Während „Altruistic Punishment in Humans“ das menschliche Verhalten von einer freundlicheren Seite zeigt, als man das dem ökonomischen Standardmodell zufolge erwartet hätte, dokumentieren Benedikt Herrmann, Christian Thöni
und Simon Gächter in einer Studie, die 2008 im Magazin Science veröffentlicht wurde, eine gegenläufige Tendenz. Experimente in 16 Städten weltweit haben den ebenso überraschenden wie beunruhigenden Befund ergeben, dass zahlreiche Teilnehmer kooperatives Verhalten nicht förderten, sondern sogar bestraften – obwohl dieser „Akt der Bestrafung“ ihnen finanzielle Nachteile einbrachte. Unter Rückgriff auf Daten des World Values Survey* zeigte sich dabei, dass die Häufigkeit solchen „antisozialen Bestrafens“ mit gesellschaftlichen Werthaltungen zusammenhängt. Wie die Grafik veranschaulicht, kommt „antisoziales Strafen“ in Gesellschaften seltener vor, in denen emanzipative Werte, wie individuelle Freiheit und Chancengleichheit, einen höheren Stellenwert einnehmen. Um das Verständnis dieser politisch und gesellschaftlich wichtigen Zusammenhänge zu vertiefen, werden nun die Teams von Christian Thöni, Mitautor der Science-Studie, Christian Welzel, Präsident des World Values Survey, und Michael Schefczyk, Professor für Praktische Philosophie, erstmalig spieltheoretische Experimente (bei denen soziale Entscheidungssituationen simuliert werden) in eine landesweite, repräsentative Untersuchung über
Werthaltungen integrieren. Die sechste Befragungswelle des World Values Survey für Deutschland betritt damit methodisches Neuland. Aus philosophischer Sicht ist besonders interessant, dass in der Untersuchung erstmals auch Fragen enthalten sein werden, die Rückschlüsse auf metaethische Einstellungen erlauben. Hierbei geht es insbesondere darum zu untersuchen, wie stark im Alltagsverstand die Vorstellung verankert ist, sich in moralischen Angelegenheiten irren zu können. michael schefczyk Kontakt: michael.schefczyk@uni.leuphana.de
Christian Welzel Kontakt: christian.welzel@uni.leuphana.de
* der World Values survey (WVS; wörtlich: „Weltwertestudie“) ist die umfassendste Untersuchung menschlicher Werte weltweit. Sie wird von Sozialwissenschaftlern aus der ganzen Welt mit dem Ziel durchgeführt, den Status von sozialen, politischen, moralischen und religiösen Werten verschiedener Kulturen zu ermitteln.
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emancipative Values 2000-5
l and in sicht
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Sie haben das Ruder in die Hand genommen und wollen mit Ihrem Unternehmen oder zivilgesellschaftlichen Projekt ökonomisches und gesellschaftliches Neuland betreten. Stellen Sie Ihr Unternehmen/Projekt bei uns vor: info@agora42.de
H O R I Z O N T Tanja Krakowski und Lea Brumsack
C u l i n ar y M i s f i t s
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Weil wir jederzeit Obst und Gemüse essen wollen, das aufgrund der Saison gerade nicht in Deutschland wächst oder hier schlicht nicht gedeiht, importieren wir täglich 140 Tonnen sogenannter Flugware, die durchschnittlich 8.700 Kilometer Wegstrecke zurückgelegt hat (zum Vergleich: zwischen Berlin und Tokio liegen 8.920 Kilometer). Weil wir darüber hinaus jedoch nicht an einer Unterversorgung an Lebensmitteln leiden, werfen wir pro Kopf und Jahr 81,6 Kilogramm Lebensmittel weg. Das alles ist bekannt. Weniger bekannt ist, dass es viele Lebensmittel gar nicht erst in die Regale der Supermärkte schaffen. Schätzungen zufolge vergammeln 30 bis 40% der Ernteerträge aus der deutschen Landwirtschaft auf dem Acker. Und zwar einfach bloß deshalb, weil sie aufgrund ihrer Form oder ihres Gewichts nicht der Norm entsprechen. Fakt ist: Übergroße Zucchini schmecken nicht schlechter als Zucchini normaler Größe und auch dreibeinige Karotten oder aufgeplatzte Radieschen lassen sich zu leckeren und raffinierten Gerichten verarbeiten. Genau darauf haben sich Lea Brumsack und Tanja Krakowski mit ihrem kleinen Unternehmen namens Culinary Misfits spezialisiert. Sie haben die Verschwendung satt und machen Catering mit krummem und schiefem Gemüse aus heimischen Gefilden. Ihre schmackhaften „Misfits“ 86
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Karotten-Outlaws (nicht der UNECE-NORM FFV-10 entsprechend)
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(zu Deutsch: Sonderlinge) erhalten die beiden aus der nahen Berliner Umgebung. Zwei Biohöfe versorgen sie mit nicht konformem Gemüse. Genauso außergewöhnlich wie die Zutaten sind auch die Namen der Speisen. So bereiten die beiden Hobbyköchinnen „verhagelte Zucchini-Mandel-Suppe“ oder „schräges MöhrchenSorbet“ zu. Bald sollen die Gerichte mit den ausgefallenen Namen auch in einem eigenen kleinen Restaurant in Kreuzberg oder Neukölln angeboten werden. Vorschläge zum aktiven Lebensmittel-Retten gibt es einige. Neben der in der Ausgabe 1/2013 der agora42 vorgestellten Initiative mundraub.org stellt auch Anja Fiedler unter stadtmachtsatt.anja-fiedler.de Ideen vor, wie man sich und der Natur Gutes tun kann. Und wer sich dann noch fragt, was er mit den ganzen Essen anstellen soll, der kann sich von den Kochbüchern Nichts Wegwerfen Kochbuch von Günter Beer und Patrik Jaros oder Taste the Waste – Rezepte und Ideen für Essensretter von Valentin Thurn und Gundula Christiane Oertel inspirieren lassen. Statt also wie blöd heimisches Essen zu verschwenden, wäre es an der Zeit, seine Essensgewohnheiten zu verändern – und wenn das nur heißt, ab und an auf teure Flugware zu verzichten. Mehr zu Culinary Misfits unter: www.culinarymisfits.de
Frage an Lea Brumsack von Culinary Misfits: Was bedeutet für Sie Wolhstand? „Wohlstand ist kein (noch) schnelleres Mehr, sondern ein intelligentes Weniger. Wenn ich 6.000 halbgute bis schlechte Produkte im Supermarkt vorfinde, dann hilft mir ein Hofladen sehr viel weiter, wo es wenige, aber sowohl hinsichtlich der Herstellung als auch des Geschmacks ehrlichere Lebensmittel gibt. Wachstum und ,mehr desselben’ ist für mich kein Kriterium. Mehr Qualität und mehr Wohlbefinden hingegen schon.“
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