Cognitive Computing ALSO Update 3/2014 DE

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ALSO NEWS

VORBILD GEHIRN:

VON SILIZIUM-SYNAPSEN UND EINEM ELEKTRONISCHEN BLUTKREISLAUF FÜR COMPUTERCHIPS Die Entwicklung kognitiver Systeme findet auf allen Ebenen des Computers statt und erfordert revolutionäre Ansätze. Wissenswertes von Stephan Schneider, Executive Briefing Consultant, IBM Research – Zürich.

Der ursprüngliche Watson-Computer, der vor drei Jahren in der Quizshow Jeopardy! antrat, bestand aus zwei Reihen von kühlschrankgrossen Computerschränken mit 92 Servern, die bei Spitzenleistung rund 85 Kilowatt an Energie für den Betrieb benötigten. Dies entspricht dem Energieaufwand der Strassenbeleuchtung einer kleinen Stadt. Im Vergleich dazu verbraucht unser Gehirn gerade einmal so viel wie eine Energiesparlampe – rund 20 Watt. Erst mit einer um Grössenordnungen verbesserten Energieeffizienz kann das Potenzial kognitiver Systeme wirklich erschlossen werden.

Stephan Schneider Stephan Schneider diskutiert neueste Technologie­ entwicklungen und deren Potenzial mit Geschäftsleitungen von europäischen Fertigungssowie Telekommunikations- und Energieunternehmen am IBM Forschungszentrum in Rüschlikon.

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Daran arbeiten IBM Forscher auf allen Ebenen des Computers, angefangen bei der Nanometerskala, auf der neue Materialien und Konzepte für energieeffizientere und leistungsfähigere Transistoren untersucht werden, über neue Speichertechnologien für den schnellen Zugriff auf riesige Datenmengen bis zur Entwicklung elektro-optischer Komponenten für eine leistungsfähigere Datenübertragung mittels Licht innerhalb von Computern und Chips. Motiviert sind diese Forschungsaktivitäten von einem Paradigmenwechsel: Nicht mehr der Prozessor steht im Mittelpunkt, sondern die Anforderung an das System, gesamtheitlich riesige Datenmengen möglichst schnell und effizient zu verarbeiten. Ein wesentlicher Aspekt dieser Stossrichtung ist eine neue Form der Skalierung – das «scaling in». Dies bedeutet, dass Speichermit Logikkomponenten in kompakte, dreidimensionale Chipstapel integriert werden. Dies reduziert die Grundfläche und verkürzt die Datenverbindungen zwischen den Komponenten um Grössenordnungen. In komplexeren Chipstapeln stellen die Kühlung und die Stromverteilung jedoch grosse Herausforderungen dar, da der Bedarf an elektrischer Leistung, Kommunikation und Kühlung innerhalb eines 3D-Chips im Volumen entsteht, während die Versorgung heute «nur» über die Oberfläche erfolgt.

Für Bruno Michel und sein Team am IBM Forschungszentrum in Rüschlikon ist das menschliche Gehirn die wichtigste Inspirationsquelle, um diese Probleme zu lösen. Ihr Ziel ist es, dessen Energieeffizienz zu erreichen. Unser Gehirn ist 10  000-mal dichter gepackt und verbraucht 10 000-mal weniger Energie als heutige Computersysteme, weil es nur über ein einziges – extrem leistungsfähiges – Netzwerk an Blutgefässen und Kapillaren verfügt, das sowohl die Wärme reguliert als auch Energie liefert. Michel und sein Team ahmen dies in flüssiggekühlten 3D-Chips nach: Die Flüssigkühlung sorgt nicht nur für die optimale Betriebstemperatur der Chips, sondern soll auch die Stromverteilung übernehmen. Die 3D-Chips mit «elektronischem Blutkreislauf» der IBM Forscher basieren auf einem Mikrokanalsystem, das Flüssigkeit zwischen die einzelnen Chipschichten leitet, und mit dem Prinzip einer elektrochemischen Flussbatterie. Die Energie wird nicht mehr über elektrische Leitungen, sondern elektrochemisch mittels Redox-Chemikalien über die Flüssigkeit verteilt. Aufgabe der Forscher ist die Miniaturisierung der Flussbatterie und die Verbesserung der Leistungsdichte. Gelingt ihnen das, könnten heutige Computer mit einer Leistung von 1 PetaFlop/s von der Grösse eines Schulzimmers auf die Grösse eines durchschnittlichen PCs reduziert werden. Auch Forschern im kalifornischen IBM Forschungszentrum dient das Gehirn als Vorbild. Sie entwickeln innerhalb des SyNAPSE-Projekts neuartige, sogenannte neurosynaptische Computerchips, die Fähigkeiten des menschlichen Gehirns hinsichtlich Wahrnehmung, Kognition und Reaktion in Grundzügen nachahmen. Heutige Computer sind zwar exzellente Rechenmaschinen und dem menschlichen Gehirn in dieser Disziplin haushoch überlegen, aber ihre sequenzielle Arbeitsweise und traditionelle Rechnerarchitektur ist extrem


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