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Filme gegen die Todesstrafe: Die Unerbittlichkeit des Urteils

Für drei Tage Sonderurlaub wird der Soldat Javad zum Täter. Szene aus dem iranischen Spielfilm »Doch das Böse gibt es nicht«.

Foto: Human Rights Filmfestival

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Die Unerbittlichkeit des Urteils

Amnesty International und der Verein Ensemble Contre la Peine du Mort präsentierten in Berlin eine Filmreihe zum Thema Todesstrafe. Von Jürgen Kiontke

Unsere Tochter Reyhaneh wurde exekutiert. Wir durften sie noch ein letztes Mal besuchen. Ich sage euch: Die Schmerzen über den Verlust enden nie.« Sichtlich bewegt hörte das Publikum im Berliner Zeiss-Planetarium Shole Pakravan zu. Die seit 2017 in Deutschland lebende Schauspielerin sprach im Anschluss an die Aufführung von Mohamed Rasoulofs Spielfilm »Doch das Böse gibt es nicht« (2020).

Der Film des iranischen Regisseurs wurde im Oktober beim Human Rights Filmfestival gezeigt – als Teil einer Reihe, die Amnesty International gemeinsam mit dem Verein Ensemble Contre la Peine du Mort (ECPM) organisierte, um den Weltkongress gegen die Todesstrafe in Berlin inhaltlich vorzubereiten.

Mohamed Rasoulof selbst sitzt derzeit – wie sein berühmter Kollege Jafar Panahi – im Teheraner Evin-Gefängnis, einer Folterstätte, in der Willkür und Gewalt herrschen. Auch Pakravans Tochter Reyhaneh war dort mehrere Jahre inhaftiert. Die Anklage warf ihr Mord vor, doch waren die Umstände des Falls mehr als fragwürdig. Die Aktenlage sei so lückenhaft gewesen, dass selbst die Familie des Getöteten über die Ermittlungen erstaunt gewesen sei, berichtete Pakravan. 2009 wurde Reyhaneh zum Tode verurteilt und 2014 hingerichtet, obwohl ihre Mutter internationalen Protest organisiert hatte.

Pakravan ist eine der prominentesten Kritiker*innen der Todesstrafe im Iran. Wie aktuell ihr Kampf ist, zeigen die derzeitigen Proteste: Die iranischen Sicherheitskräfte gehen mit äußerster Brutalität gegen die regierungskritischen Demons trationen vor. Es gab bereits Hunderte Tote, einigen Teilnehmer*innen droht die Todesstrafe.

Außer Pakravan berichteten auch die

Iranexpertin von Amnesty International Raha Bahraini sowie die Filmproduzenten Kaveh Farnam und Farzad Pak über die Situation im Iran, Raphaël Chenuil-Hazan, der Präsident von ECPM, informierte über den Kongress gegen die Todesstrafe in Berlin.

Rasoulofs Film erzählt vier Geschichten rund um die Todesstrafe und macht den Zynismus des Justizapparats deutlich – etwa, wenn ein junger Soldat für eine Exekution drei Tage Sonderurlaub erhält, um seiner Verlobten einen Heiratsantrag zu machen, oder ein Henker sich während der Exekution das Frühstück zubereitet.

Nicht weniger drastisch war der zweite Film des Programms, »Die Schwalben von Kabul« nach dem gleichnamigen Roman von Yasmina Khadra. Der Animationsfilm von Eléa Gobbe-Mévellec und Zabou Breitman spielt im Sommer 1998 in der afghanischen Hauptstadt, nach der ersten Machtergreifung der Taliban. Zunaira, die zuvor als Künstlerin gearbeitet hat, und der Lehrer Mohsen sind ein Paar. Sie wünschen sich ein Leben in Freiheit, doch der Alltag ist von Willkür und Terror der islamistischen Brigaden bestimmt. Als Mohsen bei einem Unfall stirbt, wird Zunaira des Mordes beschuldigt und inhaftiert. Nach kurzem Prozess wird die junge Frau zum Tode verurteilt. Die Hinrichtung soll eine Schauveranstaltung werden: Sie findet in einem Sportstadion statt, das Fußballtor dient als Galgen. Der Gefängniswächter Atiq hat Mitleid mit der jungen Frau und entwickelt einen Plan, wie sie vielleicht zu retten ist.

Schon ein Lachen kann zur Katastrophe führen

Der Film zeigt das Leben unter der Taliban-Herrschaft mit all seinen absurden Zügen. Schon eine Kleinigkeit wie ein zu lautes Lachen kann zur Katastrophe führen. Die Aufführung des Films im Berliner Kino Colosseum war speziell für ebenfalls sehr religiösen Hinterbliebenen für ihn ein. Sieben Stunden vor dem Exekutionstermin wurde seine Strafe zunächst in lebenslänglich umgewandelt.

Moores Fall ist eine absolute Ausnahme, denn Todesurteile werden nur selten revidiert. Die Unerbittlichkeit der Todesstrafe behandelten die Beiträge des Kurzfilmprogramms, etwa »Last Day of Freedom« (USA 2015), der den Fall des Vietnam-Veteranen Manuel Babbitt aus der Sicht seines Bruders Bill schildert. Manuel, der an einem Stresssyndrom mit Bewusstseinsstörungen litt, wurde wegen Mordes mit der Giftspritze hingerichtet. Im Prozess war es zu Vorfällen gekommen, die eine Verurteilung eigentlich unmöglich hätten machen müssen. So gab sein Anwalt später zu, an jedem Verhandlungstag volltrunken gewesen zu sein. Der Kurzfilm »Will my Parents Come to See Me?« von Mo Harawe aus Somalia (2022) rückte das absurde Warten auf den Tod ins Zentrum, »Clean Up« (Deutschland, 2008) beleuchtete das staatliche Töten in den USA aus Sicht einer Reinigungskraft.

Das Human Rights Filmfestival präsentierte außerdem gut 30 Filme, die sich mit anderen Menschenrechtsverletzungen beschäftigen. Den Wettbewerb gewann der Dokumentarfilm »Outside« über die Situation von Rom*nja in der Ukraine. Ein Ehrenpreis ging an die iranische Menschenrechtsanwältin und Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi. Sie erhielt die Auszeichnung »stellvertretend für die zahllosen mutigen Frauen, die im Iran für Freiheit und Gerechtigkeit kämpfen«, wie es in der Laudatio hieß.

Spektakulär war der Eröffnungsfilm »Ithaka« (GB 2021) von Ben Lawrence über den Kampf der Familie des Wiki leaks-Gründers Julian Assange um seine Freilassung. Der Film macht deutlich, welch brutale Realität hinter Assanges Einzelhaft in Großbritannien steckt. Stella Assange, Anwältin und Ehefrau von Julian, sowie sein Vater und sein Halbbruder waren zur Premiere nach Deutschland gekommen. ◆

Schüler*innen gedacht, zwei Klassen nahmen daran teil. Über das Leben unter einer Willkürherrschaft gepaart mit der Endgültigkeit eines Todesurteils diskutierten Laure Boukabza und Sarah Hajjar von ECPM mit den jungen Leuten.

Als dritter Beitrag der Reihe lief der Experimentalfilm »Execution«, den Steven Scaffidi 2006 in den USA drehte. Er ist als Film-im Film-Geschichte angelegt: Zwei junge Regisseure wollen einen Film über einen verurteilten Mörder drehen, der in sieben Tagen hingerichtet werden soll. Die beiden Männer bekommen Zugang zum Todestrakt, verstecken Kameras und filmen die Hinrichtung auf dem elektrischen Stuhl. Indem der Film die Hinrichtung möglichst realistisch nachstellt, will er zum Nachdenken über den Wahrheitsgehalt von Bildern anregen. »Jeder, der den Film sieht, soll sich fragen, ob das Filmmaterial echt oder falsch ist«, sagte Steven Scaffidi, der nach Berlin gekommen war, um seine Arbeitsweise zu erläutern.

In den USA ließ der Regisseur für Aufführungen des Films Kinosäle in Gefängniszellen umbauen und installierte an der Wand ein Stimmungsbarometer, das die Meinung der Zuschauer*innen wiedergab. Erstaunlich waren vor allem Vorführungen in Bundesstaaten, in denen die Mehrheit der Menschen die Todesstrafe befürwortet: »Vor der Filmvorführung waren 80 Prozent der Zuschauer*innen für und 20 Prozent gegen die Todesstrafe. Danach votierten 70 Prozent gegen und nur noch 30 Prozent für Hinrichtungen.«

Die Wirkung des Films ist nicht zuletzt seinem Hauptdarsteller William Neal Moore zu verdanken. Er verbrachte tatsächlich 16 Jahre im Todestrakt wegen Mordes. Dass er schließlich freikam, geht maßgeblich auf die Familie seines Opfers zurück: Nachdem sich Moore dem Christentum zugewandt hatte, setzten sich die

Der Alltag in Afghanistan ist von Willkür und Terror bestimmt.

www.humanrightsfilmfestivalberlin.de

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