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Spielfilm »Stille Post«: Hinsehen ist Pflicht

»Alle Kurden sind im Krieg, manche wissen es bloß nicht«. Szene aus »Stille Post«.

Foto: Chromosom Film

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Hinsehen ist Pflicht

Regisseur Florian Hoffmann widmet seinen Spielfilm »Stille Post« den Dokumentarist*innen von Menschenrechtsverletzungen. Von Jürgen Kiontke

Die Journalistin Leyla (Kristin Suckow) arbeitet in einer Nachrichtenagentur und soll ihre erste investigative TV-Story drehen. Ein Thema findet sich schnell: Ihr Lebenspartner Khalil (Hadi Khanjanpour) ist Kurde. Und gerade ist die türkische Armee nach einem Anschlag ins kurdische Gebiet um die Stadt Cizre eingerückt. Der Mittelsmann Hamid (Aziz Çapkurt) spielt Khalil Videomaterial zu, das angeblich von Khalils Schwester stammt, die für die kurdischen Truppen kämpft.

Angeblich. Denn nach Khalils Wissen wurde die Schwester zusammen mit seinen Eltern in früheren Kämpfen getötet. Nun aber zeigt sich: Das Verschwinden seiner Angehörigen könnte auch zur Tarnung vorgetäuscht gewesen sein.

Leylas Nachrichtenagentur ist zunächst nicht überzeugt von der Geschichte (»Kurden? Selena Gomez hat Vorrang!«). Im Jahr 2016, in dem der Film spielt, ist Cizre kein großes Medienthema. Es gibt kaum Berichte darüber, dass die türkische Armee zivile Siedlungen bombardiert und Menschen ohne Grund inhaftiert. Khalil empfindet das als Skandal und peppt das unspektakuläre Filmmaterial gemeinsam mit Leyla per Tonspur auf. Tags drauf läuft es tatsächlich in der »Tagesschau«. Aber Leyla und Khalil empfinden sich nun als Kriegsteilnehmer*innen.

Florian Hoffmanns Spielfilm »Stille Post« handelt zunächst davon, wie Sensationen produziert werden. Auf einer tieferen Ebene geht es aber auch darum, ob man sich aus Kriegshandlungen überhaupt heraushalten kann. Der Lehrer Khalil, der seit vielen Jahren in Deutschland lebt und arbeitet, hatte mit seiner kurdischen Vergangenheit abgeschlossen, bis eine Exilgruppe seine private Verbindung in die Medienwelt entdeckte. »Alle Kurden sind im Krieg, manche wissen es bloß nicht«, sagt Hamid. Khalils Koordinatensystem gerät ins Rutschen, und auch Leyla erlebt eine Belastungsprobe, was die Einstellung zu ihrem Beruf betrifft.

Der komplex konstruierte Film beruht auf wahren Begebenheiten. Regisseur Hoffmann reiste 2016 selbst nach Cizre, sprach mit traumatisierten Einwoh ner*in nen und brachte heimlich aufgenommene Handyvideos außer Landes, die Angriffe und Menschenrechtsverletzungen während der Ausgangssperre belegten. Mit Unterstützung von Amnesty International leitete er das Material an die Vereinten Nationen weiter. Amnesty hatte zu Beginn des Krieges Ende 2015 die Verantwortlichen der türkischen Armee aufgefordert, die Grundversorgung der Bevölkerung sicherzustellen, Gesetze und Menschenrechtsstandards einzuhalten sowie unabhängige Beobachter zuzulassen. Weil dies nicht geschah, wurde die dokumentarische Arbeit privater Kameraleute umso wichtiger.

In deutschen Medien wurde kaum über die Stadt Cizre berichtet, die 79 Tage lang besetzt war. Er habe sich gefragt, warum über manche Kriege berichtet werde und über andere nicht, erklärte Hoffmann. Sein Film sei Videoaktivist*innen gewidmet, die Kriege dokumentierten, die in den regulären Medien nicht auftauchten. »Stille Post« solle »Köpfe öffnen«, sagte der Regisseur, der mit diesem Beitrag sein Studium an der Filmakademie abschloss. Der Film gewann bereits bei verschiedenen Festivals Auszeichnungen für Drehbuch und Schauspielerleistung. Hier startet ein politisch bewusster Filmkünstler mit sehenswertem Kino durch. ◆

»Stille Post«. D 2021. Regie: Florian Hoffmann, Darsteller: Hadi Khanjanpour, Kristin Suckow. Kinostart: 15.Dezember 2022

FILM & MUSIK

Jesus aus dem Lager

Der 19-jährige Edward aus Ghana lebt in einem Flüchtlingslager nahe des italienischen Dorfs Siculiana. Anfang Mai wird dort bei einer Prozession eine schwarze Jesusfigur umhergetragen. Die jahrhundertealte Tradition spricht Edward an. Wer sollte den Brauch besser verkörpern als er – ein junger schwarzer Mann? »Black Jesus« heißt der Film, in dem Regisseur Luc Lucchesi, der selbst aus dem sizilianischen Ort stammt, diese Geschichte erzählt (siehe auch Amnesty Journal 03/2021). Die Bevölkerung von Siculiana muss sich bei den Dreharbeiten ihren eigenen Vorurteilen stellen: Nicht alle kommen damit klar, dass nun ein »realer Jesus« vor ihnen steht. Aber bald ist er ihnen lieber als die Holzfigur. »Black Jesus« stellt gekonnt politische und kulturelle Grenzen infrage. Er überzeugte auch die Langfilm-Jury des Deutschen Menschenrechts-Filmpreises um die Kritiker*innen Anke Leweke und Simon Hauck und gewann in diesem Jahr den ersten Preis. Vier Gremien sichteten 385 Produktionen und bewerteten 39 nominierte Arbeiten unter anderem nach ihrer thematischen Relevanz. In der Sparte Kurzfilm gewann »Der lange Weg der Sinti und Roma« von Adrian Oeser, in der Kategorie Magazin der TVBeitrag »Europas Schattenarmee: Pushbacks an der kroatisch-bosnischen Grenze«.

Amnesty International und weitere zivilgesellschaftliche Organisationen, die sich für die Achtung und Wahrung der Menschenrechte einsetzen, veranstalteten den Wettbewerb alle zwei Jahre. Er belege, »dass der Schutz der Menschenrechte und das Eintreten für sie im wahrsten Sinn des Wortes lebenswichtig ist«, sagte Klaus Ploth vom Veranstalterkreis. Die Filmemacher*innen zeigten Mut und Beharrlichkeit in ihren Recherchen und den unbedingten Willen, Zeitzeugen des Weltgeschehens zu sein. Wie jedes Mal gehen die Filme auf Tour. Sie sind in mehreren Städten bei einer »Langen Nacht des Menschenrechtsfilms« zu sehen.

Mehr unter: www.menschenrechts-filmpreis.de

Wallende Flötenklänge

Techno-Clubs wie das Berliner Berghain werden gern als Kathedralen bezeichnet, die DJs als Priester und eine durchtanzte Nacht als Gottesdienst. Tatsächlich weist das moderne Nachtleben allerhand Parallelen zu manch religiöser Praxis auf. Daher ist das, was Sine Buyuka auf ihrem neuen Album »Dua« versucht, gar nicht so weit hergeholt, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag. Unter dem Projektnamen Sinemis verschmilzt die Produzentin Techno mit islamischer Sufi-Musik.

Dem Klangexperiment ging eine existenzielle persönliche Krise voraus. Die in Istanbul aufgewachsene und seit 2012 in London lebende Musikerin, Journalistin und Radiomoderatorin kam bei einem Besuch in der türkischen Heimat in die Notaufnahme und musste operiert werden. Während der langwierigen Rekonvaleszenz und als Reaktion darauf, dem Tod ins Auge geblickt zu haben, beschäftigte sie sich intensiv mit der Glaubensrichtung des Sufismus und der dazugehörigen Musik, die entgegen dem Klischee nicht nur im Kreis wirbelnde Derwische begleitet, sondern auch in sehr viel ruhigerer Ausprägung der Soundtrack zur Meditation ist.

Buyuka legt nicht einfach ein paar exotische Klänge über pumpende Beats aus dem Computer, sondern versucht, den spirituellen Geist der Sufi-Musik mit elektronischen Mitteln einzufangen. Dabei beschränkt sie sich nicht auf das Sampeln von Sufi-Klängen. Für »Dua« arbeitete sie mit dem bekannten türkischen Musiker Omar Faruk Tekbilek zusammen. Einige Tracks wie »The Bazaar« haben einen durchgehenden Rhythmus und sind durchaus tanzbar. Aber weitaus mehr Stücke fassen das Schwebende, Kontemplative und Innerliche der Sufi-Musik in moderne Klänge. Manchmal steht nur der Ton der Nay-Flöte majestätisch im Raum, bevor er sich unmerklich in ein elektronisches Wallen verwandelt und die Musik langsam hochsteigt in himmlische Sphären. »Dua« ist ein Album, das in jeder Kathedrale funktioniert.

Sinemis: »Dua« (Injazero Records)

Atemlos Richtung Kosmos

»Unity« beginnt mit einem großen Knall, einem Rhythmusschlag, der direkt in den Magen fährt, dann setzt die Stimme ein –und: Ist das ein Mann? Nein, es ist Nina Hagen, die schon zu Beginn ihres neuen Albums das ganze Spektrum ihrer stimm akrobatischen Möglichkeiten auffährt und in kaum einer Zeile klingt wie in der zuvor. Das 17. Album der 1955 in Ostberlin geborenen Weltallbürgerin – und ihr ers tes seit elf Jahren – ist ein atemloser Ritt, der ihre gesamte Karriere vom frühen Punkrock über die Dance-Phase bis zur allgemeinen musikalischen Durchgeknalltheit samt esoterischer Botschaften widerspiegelt.

Im Titelsong verbietet Hagen zu einem schunkelnden Reggae-Rhythmus jedes negative Denken und fordert Einigkeit und gute Vibrationen, dann predigt sie den »United Women Of The World«, sie sollten die Streitigkeiten zwischen den feministischen Glaubensrichtungen endlich beilegen. Es gibt aber auch eine lustige Version des alten Bergarbeiter-Songs »16 Tons«, gefolgt von einer »Atomwaffensperrvertrag« genannten Collage aus Hagen-Redebeiträgen bei allerlei Demons trationen (sie engagierte sich unter anderem für Heroin-Patient*innen und Psychiatrie-Opfer sowie zeitweise für die Grünen) und dem Anti-Liebeslied »Gib mir deine Liebe«, das mit der Erkenntnis aufwartet: »Beziehungskisten gehen immer zu Bruch.«

Manchmal übertreibt sie es aber auch, etwa bei »Die Antwort weiß ganz allein der Wind«, die Marlene-Dietrich-Eindeutschung des Bob-Dylan-Klassikers »Blowin’ In The Wind«. Hagen hat es in ein Kinderlied verwandelt, durch das irre futuristische Sounds zischen wie Blasen durch einen Bubble-Tea. Oder beim durch Johnny Cash unsterblich gewordenen »Redemption Day«: Wenn Nina Hagen singt, sie säße in dem Zug, der direkt zum Himmelstor fahre, dann hört man in ihrer Stimme überdeutlich, dass sie sich am liebsten viel, viel weiter in den Kosmos aufmachen würde.

Nina Hagen: »Unity« (Grönland/Rough Trade)

SCHREIBEN SIE EINEN BRIEF

Tag für Tag werden Menschen gefoltert, wegen ihrer Ansichten, Herkunft oder aus rassistischen Gründen inhaftiert, ermordet, verschleppt, oder man lässt sie verschwinden. AMNESTY INTERNATIONAL veröffentlicht an dieser Stelle regelmäßig Geschichten von Betroffenen, um an das tägliche Unrecht zu erinnern. Internationale Appelle helfen, solche Menschenrechtsverletzungen anzuprangern und zu beenden. Sie können mit Ihrem persönlichen Engagement dazu beitragen, dass Folter gestoppt, ein Todesurteil umgewandelt oder ein Mensch aus politischer Haft entlassen wird. Schreiben Sie bitte, im Interesse der Betroffenen, höflich formulierte Briefe an die jeweils angegebenen Behörden des Landes.

• RIE F B E GEGEN DAS VE R GESSEN

VIETNAM TRAN HUỲNH DUY THUC

Tran Huỳnh Duy Thuc verbüßt bis 2031 eine 16-jährige Haftstrafe mit anschließendem fünfjährigem Hausarrest. Er war am 20.Januar 2010 nach Paragraf 79 des vietnamesischen Strafgesetzes wegen »Aktivitäten zum Sturz der Regierung« schuldig gesprochen worden, weil er in einem Blog politische und wirtschaftliche Probleme Vietnams thematisiert hatte. Während seines Prozesses gab er an, unter Folter zu einem Geständnis gezwungen worden zu sein. Nach vietnamesischem Recht könnte in seinem Fall ein Amnestiemechanismus für besondere Fälle zur Anwendung kommen, der zu seiner Freilassung führen könnte. Tran Huỳnh Duy Thuc hat im Juli 2018 und im August 2020 einen Antrag auf Erlassung der restlichen Haftzeit beim Höchsten Volksgericht gestellt. Seine Familie leitete diese Anträge auch an den Premierminister und die Nationalversammlung weiter. Der gewaltlose politische Gefangene sitzt aber weiter in Haft. Er war bereits mehrmals im Hungerstreik, was sich negativ auf seinen Gesundheitszustand ausgewirkt hat.

Foto: privat

Bitte schreiben Sie bis 31.Januar 2023 höf-

lich formulierte Briefe an den vietnamesischen Staatspräsidenten und fordern Sie ihn auf, Tran Huỳnh Duy Thuc gemäß vietnamesischem Recht unter Anwendung des Amnestiemechanismus für besondere Fälle umgehend freizulassen. Bitten Sie den Staatspräsidenten auch, dafür zu sorgen, dass Tran Huỳnh Duy Thucs Haftbedingungen bis zu seiner Freilassung den internationalen Standards für die Behandlung von Gefangenen entsprechen, dass er weder Folter noch anderen Misshandlungen ausgesetzt wird und adäquate medizinische Versorgung erhält. Tran Huỳnh Duy Thuc muss in ein Gefängnis verlegt werden, das näher an dem Wohnort seiner Familie liegt. Außerdem muss ihm Kontakt zu seiner Familie und seinen Rechtsbeiständen gewährt werden.

Schreiben Sie in gutem Vietnamesisch, Englisch oder auf Deutsch an:

Staatspräsident Nguyen Xuân Phúc So 2 Hùng Vuong Ngoc Ho, Ba Đình 11100 Hà Noi, VIETNAM Fax: 0084-37335256 E-Mail: webmaster@president.gov.vn (Anrede: Your Excellency / Exzellenz) (Standardbrief Luftpost bis 20 g: 1,10 €)

Senden Sie bitte eine Kopie Ihres Schreibens an:

Botschaft der Sozialistischen Republik Vietnam S. E. Herrn Vu Quang Minh Elsenstraße 4, 12345 Berlin Fax: 030-53630200 E-Mail: sqvnberlin@t-online.de (Standardbrief: 0,85 €)

Dem nigerianischen Staatsbürger Sulaimon Olufemi droht in Saudi-Arabien die Hinrichtung. Er gehörte zu Hunderten Staatsangehörigen Somalias, Ghanas und Nigerias, die im September 2002 im Zuge von Massenfestnahmen nach einem Streit, der den Tod eines saudi-arabischen Polizisten zur Folge hatte, inhaftiert wurden. Im Mai 2005 wurde der damals 39-Jährige in einem unfairen und nicht öffentlichen Verfahren zum Tode verurteilt. Er gab an, während der Verhöre gefoltert worden zu sein. Während elf seiner Mitangeklagten im April 2017 aus der Haft entlassen wurden, nachdem sie ihre 15jährigen Haftstrafen verbüßt hatten, droht Sulaimon Olufemi die Vollstreckung seines Todesurteils. Die saudische Menschenrechtskommission gab 2007 bekannt, dass das gegen Sulaimon Olufemi verhängte Todesurteil sowohl vom Kassationsgericht als Misshandlungsvorwürfe einzuleiten und dafür zu sorgen, dass Sulaimon Olufemi der regelmäßige Kontakt zu einem Rechtsbeistand seiner Wahl gewährt wird.

Foto: privat

auch vom Obersten Justizrat bestätigt worden sei. Somit hat Sulaimon Olufemi keine weiteren Möglichkeiten, Rechtsmittel einzulegen. Er ist nach wie vor im Gefängnis von Dhaban inhaftiert und beteuert seine Unschuld. Angesichts der Massenhinrichtungen 2022 in Saudi-Arabien ist der Einsatz für Sulaimon Olufemi dringlicher denn je.

Bitte schreiben Sie bis 31.Januar 2023 höflich formulierte Briefe an den saudischen König, in denen Sie ihn bitten, Sulaimon Olufemi nach mehr als 20 Jahren Haft zu begnadigen. Bitten Sie ihn außerdem, eine unabhängige Untersuchung der Folter- und

Schreiben Sie in gutem Arabisch, Englisch oder auf Deutsch an:

His Majesty King Salman bin Abdul Aziz Al Saud The Custodian of the two Holy Mosques Office of His Majesty the King, Royal Court Riyadh, SAUDI-ARABIEN Fax: 00966-114033125 Twitter: @KingSalman (Anrede: Your Majesty / Majestät) (Standardbrief Luftpost bis 20 g: 1,10 €)

Senden Sie bitte eine Kopie Ihres Schreibens an:

Botschaft des Königreichs Saudi-Arabien S. E. Herrn Essam Ibrahim H. Baitalmal Tiergartenstraße 33–34, 10785 Berlin Fax: 030-8892517 E-Mail: deemb@mofa.gov.sa (Standardbrief: 0,85 €)

KATAR HAZZA BIN ALI ABU SHURAYDA AL-MARRI UND RASHED BIN ALI ABU SHURAYDA AL-MARRI

Am 10.Mai 2022 verurteilte das Strafgericht in Doha die Brüder und Anwälte Hazza und Rashed bin Ali Abu Shurayda al-Marri in erster Instanz zu lebenslanger Haft. Hazza al-Marri hatte sich Anfang August 2021 an Protesten gegen ein Gesetz über die Wahlen zum Schura-Rat beteiligt, das Angehörige des al-Murra-Stamms diskriminiert. Der Schura-Rat berät den Emir von Katar. Am 8.August 2021 hatte er auf Twitter eine an den Emir gerichtete Videobotschaft verbreitet, in der er das neue Gesetz kritisierte. Die Brüder wurden vom Zeitpunkt ihrer Inhaftierung im August 2021 bis mindestens Ende März 2022 in Isolationshaft gehalten, was Folter und anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung gleichkommt. Ihnen wird unter

Briefentwürfe auf Englisch und Deutsch finden Sie unter www.amnesty.de/briefe. Sollten Sie eine Antwort auf Ihr Appellschreiben erhalten, schicken Sie sie bitte an: info@amnesty.de anderem »Kritik und Ablehnung der vom Emir ratifizierten Gesetze und Entschei dungen«, »Unerlaubtes Einberufen und Organisieren einer öffentlichen Versammlung« sowie »Verletzung gesellschaftlicher Werte und Prinzipien« durch Online-Aktivitäten und die Nutzung Sozialer Medien zur Last gelegt. Dabei handelt es sich jedoch nicht um Straftaten. Die beiden Anwälte haben lediglich ihre Rechte auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit wahrgenommen.

Bitte schreiben Sie bis 31.Januar 2023 höf-

lich formulierte Briefe an den katarischen Justizminister und bitten Sie ihn, die Schuldsprüche und Haftstrafen von Hazza und Rashed Bin Ali Abu Shurayda al-Marri aufzuheben und die Freilassung der beiden Brüder anzuordnen. Bitten Sie ihn auch, dafür zu sorgen, dass sie bis zu ihrer Freilassung weiterhin Kontakt zu ihren Rechtsbeiständen und Familien haben dürfen. Fordern Sie den Justizminister außerdem auf, sicherzustellen, dass die beiden Männer bis zu ihrer Freilassung ausreichend medizinisch versorgt werden.

AMNESTY INTERNATIONAL

Zinnowitzer Straße 8, 10115 Berlin Tel.: 030 - 42 02 48 - 0, Fax: 030 - 42 02 48 - 488 E-Mail: info@amnesty.de, www.amnesty.de

Schreiben Sie in gutem Arabisch, Englisch oder auf Deutsch an:

Justizminister von Katar H. E. Masoud bin Mohamed al-Ameri Ministry of Justice P.O. Box: 917 Doha, KATAR Fax: 00974-40215372 E-Mail: info@moj.gov.qa (Anrede: Your Excellency / Exzellenz) (Standardbrief Luftpost bis 20 g: 1,10 €)

Senden Sie bitte eine Kopie Ihres Schreibens an:

Botschaft des Staates Katar S. E. Herrn Abdulla Mohammed S. A. Al-Thani Hagenstraße 56, 14193 Berlin Fax: 030-86206150 E-Mail: berlin@mofa.gov.qa (Standardbrief: 0,85 €)

In Granit gemeißelt

Die Amnesty-Gruppe in Passau ist seit mehr als 50 Jahren aktiv. Im Stadtbild hat sie die Menschenrechte sogar mit einer Stele sichtbar gemacht. Von Nina Apin

Gesichter von Amnesty in Passau: Abdel, dessen Nachname zum Schutz seiner Familie nicht genannt wird, Gottfried Rohrbach, Bettina Olschar, Susanne Synek und Regina Schaffner (von links).

Foto: Nina Apin

Zwischen den Barockfassaden der Passauer Altstadt zwitschern Spatzen, im Café Duftleben duftet es nach Kuchen. Die Runde, die hier zusammensitzt, gehört ebenso zum Inventar wie die kleine Tochter des Kellners, die mit gezücktem Block zwischen den Gästen umherläuft. »Sag, dass der Kirschkuchen super ist«, ruft ihr Susanne Synek hinterher. Sissy, wie sie von allen genannt wird, ist die Sprecherin der Passauer Amnesty-Gruppe, die seit 1971 besteht. Die Mitglieder treffen sich jeden ersten Freitag im Monat, um Aktionen zu besprechen und Neue willkommen zu heißen. »In letzter Zeit stockt es ein bissl«, sagt Synek und seufzt. »Ohne Anni ist es halt schwierig.« 2020 starb Anni Loderbauer, Gründerin, jahrzehntelange Bezirksvorsitzende und spirituelles Zentrum der niederbayerischen Menschenrechtsszene. Aus ihrer Passauer Wohnung heraus steuerte Loderbauer Brief- und Sammelaktionen und setzte sich besonders für Menschenrechtsbildung ein. Unter anderem erwirkte sie, dass die Menschenrechte im bayerischen Lehrplan verankert wurden.

Die Gruppe hält den Gründerinnengeist mit einer aktiven Vernetzungsarbeit hoch. Zum 50-jährigen Jubiläum im November 2022 reiste der deutsche Generalsekretär Markus N. Beeko aus Berlin zum Festakt im Rathaus an und würdigte die Passauer Gruppe in seiner Rede als »leuchtenden Stern im Süden«. Amnesty ist im Stadtbild der kleinen Universitätsstadt präsent – mit Mahnwachen, Theateraufführungen, Protestaktionen und einer imposanten Granitstele mit der Inschrift »Allgemeine Erklärung der Menschenrechte UNO 1948. Am 8. Juni 2022 wurde der Obelisk, der aus einem Ideenwettbewerb hervorging, im Klostergarten eingeweiht. Mittels QR-Codes lässt sich der volle Text der Präambel und aller 30 Artikel herunterladen, »eine Einladung, in Zeiten von Krieg und gesellschaftlicher Spaltung über die Bedeutung der Menschenrechte nachzudenken«, sagt Susanne Synek.

Die derzeitige Kerngruppe besteht vor allem aus eingesessenen Passauer*innen: Gottfried Rohrbach, pensionierter Psy cho loge, ist schon seit Ende der 1980er Jahre für Amnesty aktiv. Regina Schaffner stieß 2021 durch eine Zeitungsanzeige dazu. »Endlich habe ich es geschafft, selbst aktiv zu werden«, freut sie sich. Synek und Bettina Olschar kennen sich von ihrer Arbeit als Pharmazeutisch-Technische Assistentinnen, Olschar stellte 2009 eine Ausstellung zu den Menschenrechtsartikeln in der St. Anna-Kapelle auf die Beine. Der Domprobst persönlich half bei der Vernetzung der Aussteller*innen, von denen jede*r einen Artikel visuell umsetzte. »Das kleinstädtische Jeder-kennt-Jeden kann auch ein Vorteil sein«, findet Bettina Olschar, und Susanne Synek ergänzt: »Amnesty ist neutral, aber hier in Niederbayern ist die Kirche nun mal ein bedeutender Faktor.«

Das nächste Projekt, ein von Künstler*innen gestalteter »Weg der Menschenrechte« auf der Landesgartenschau in Freyung 2023, geht auf die Idee eines Pfarrers zurück – für Synek, die schon ein Banner »Lass Menschenrechte erblühen« organisiert hat, ist das ganz normal. Für die Amnesty-Hochschulgruppe, die es in der Stadt zudem noch gibt, ist die Zusammenarbeit mit Kirchenkreisen aber immer wieder ein Reibungspunkt. Abdel, der sich in der Passauer Amnesty-Gruppe engagiert und seinen Nachnamen zum Schutz seiner Fa milie in Nordafrika nicht veröffentlichen möchte, findet den Dissens jedoch belebend. Er ist erst vor Kurzem zugezogen, zuvor war er bereits in München bei Amnesty aktiv. »Ich mag es, wie verschieden die Leute hier in Passau sind«, sagt er bei einem Spaziergang im Klostergarten und legt seine Hand auf den bayerischen Granit der Stele. »Demokratie ist immer Diskussion.« ◆

2023 – NICHTS ZU LACHEN?

Von Markus N. Beeko

Silvesterfan oder Silvestermuffel? Die einen stoßen auf die Zukunft an und »rutschen« feiernd ins neue Jahr. Sie fassen Vorsätze, machen Pläne und verbinden das neue Jahr mit Hoffnung. Andere können dem Trubel wenig abgewinnen und empfinden zum Jahreswechsel vor allem Unsicherheit; für wieder andere hat er wenig Bedeutung. Die Zahl der Silvestermuffel ist wohl größer geworden. Denn in diesem Jahr gab es nicht viel zu lachen.

Nach zwei Jahren Pandemie war Ende des Jahres 2021 die Hoffnung auf bessere Zeiten groß. Es folgten der russische Angriff auf die Ukraine, Inflation und Energieunsicherheit. Berichte über Kriegsverbrechen, über Bombenterror auf die Zivilbevölkerung, über Tod, Leid und Zerstörung gehören nun zu den Nachrichten.

Der Weltklimarat (IPCC) veröffentlichte zwei Berichte, die vor der Klimakatastrophe warnen; aber wieder hat die Weltklimakonferenz keine Kehrtwende der Politik gebracht und keine Entwarnung. Selbst von der Fußball-WM konnten sich viele nicht begeistern lassen, ist sie doch eng mit Ausbeutung und Diskriminierung verknüpft – und mit Opfern, die immer noch auf eine Entschädigung der FIFA und der katarischen Regierung warten.

Viele Menschen schauen sorgenvoll auf das kommende Jahr: Nach einem kürzlich vom Forschungsinstitut Forsa erhobenen Stimmungsbild fürchten sich 59 menden Jahr braucht: Klarheit und mutige Entscheidungen.

Aus Russlands Aggression sollten wir auch etwas für den künftigen Umgang mit China oder Indien lernen. Die Protestierenden im Iran brauchen von Deutschland und der internationalen Gemeinschaft konkrete und unmissverständliche Solidarität, nicht zaghafte Lippenbekenntnisse wie noch bei den Demonstrationen 2019. Aus der Fußball-WM in Katar kann folgen, dass Menschenrechte zukünftig bei der Ausrichtung von Sportgroßereignissen Beachtung finden.

Möglich, dass der Teufel bei diesen Gedanken zum Lachen ansetzt. Ich halte es mit der Kölner Band Bläck Fööss, die 1984 Umweltzerstörung, Lebensmittelknappheit und Wettrüsten besangen, aber trotzig erklärten: »Mer klävve wie d’r Düvel am Lääve, uns Kölsche nimmp keiner – ejal wat och weed – dä Spaß für ze laache, dä Bock jet ze maache.« (»Wir kleben wie der Teufel am Leben, uns nimmt keiner – egal was auch wird – den Spaß am Lachen, den Bock, was zu machen.«) ◆

Prozent der Menschen in Deutschland vor Naturkatastrophen im Zuge der Klimakrise, 53 Prozent vor einer Ausweitung des Kriegs in der Ukraine und 52 Prozent vor hohen Energiekosten. Und nach einer Studie vom April sorgen sich besonders junge Menschen: Sie haben Angst vor Inflation (71 Prozent), mehr Krieg in Europa (64 Prozent), Klimawandel (55 Prozent), Energieknappheit (49 Prozent) und Altersarmut (43 Prozent).

Bei so viel Zukunftsangst bekommt ein japanisches Sprichwort neue Bedeutung: »Sobald man davon spricht, was im nächsten Jahr geschehen wird, lacht der Teufel.« Sollten wir also besser kein weiteres Wort über den Jahreswechsel verlieren?

Ich bin Neujahrsfan! Nicht wegen der Silvesterparty. Mir bringt ein Jahreswechsel Zeit und Muße, um innezuhalten, Luft zu holen und zurückzuschauen. Um Dinge hinter sich zu lassen und Neues in den Blick zu nehmen. Auch ich schaue pessimistisch auf die Weltlage, aber als »hoffnungsloser Romantiker« gilt mein Blick dem Möglichen und Handlungsspielräumen – darin liegt die Hoffnung..

Getreu Hermann Hesses bekanntem Satz »jedem Anfang wohnt ein Zauber inne« sammle ich Kraft und nehme mir vor, das Bes te aus den Dingen zu machen, egal was kommt. Wo wenig Zuversicht ist, braucht es zumindest Zutrauen. Der Blick zurück hilft dabei, auch in diesem Jahr. So besorgniserregend viele Entwicklungen waren, so zeigen sie auch, was es im kom-

Amnesty / Foto: Bernd Hartung

Markus N. Beeko ist Generalsekretär der deutschen Amnesty-Sektion.

IMPRESSUM

Amnesty International Deutschland e.V. Zinnowitzer Str. 8, 10115 Berlin Tel.: 030-420248-0 E-Mail: info@amnesty.de Internet: www.amnesty.de Redaktionsanschrift: Amnesty International, Redak tion Amnesty Journal Zinnowitzer Str. 8, 10115 Berlin E-Mail: journal@amnesty.de Adressänderungen bitte an: info@amnesty.de Redaktion: Maik Söhler (V.i.S.d.P.), Nina Apin, Anton Landgraf, Tobias Oellig, Pascal Schlößer, Uta von Schrenk, Lena Wiggers Mitarbeit an dieser Ausgabe: Birgit Albrecht, Markus N. Beeko, Marcel Bodewig, Laís Clemente, Elias Dehnen, Hannah El-Hitami, Oliver Grajewski, Kristina Hatas, Knut Henkel, Barbara Hermanns, Sead Husic, Dieter Karg, Marianne Kersten, Jürgen Kiontke, Lisa Kuner, Sabine Küper-Büsch, Felix Lill, Carl Melchers, Constantin Mende, Susanne Messmer, Katja MüllerFahlbusch, Arndt Peltner, Tigran Petrosyan, Wera Reusch, Bettina Rühl, Gilda Sahebi, Till Schmidt, Franziska Ulm-Düsterhöft, Cornelia Wegerhoff, Natalie Wenger, Thomas Winkler, Martin Zinggl, Marlene Zöhrer Layout und Bildredaktion: Heiko von Schrenk/schrenkwerk.de Druck und Verlag: Zeitfracht GmbH, Nürnberg Spendenkonto: Amnesty International Bank für Sozialwirtschaft IBAN: DE23 3702 0500 0008 0901 00 BIC: BFS WDE 33XXX (Konto: 80 90 100, BLZ: 370 205 00) ISSN: 2199-4587

Das Amnesty Journal ist die Zeitschrift der deutschen Sektion von Amnesty International und erscheint sechs Mal im Jahr. Der Verkaufspreis ist im Mitgliedsbeitrag enthalten. Für unverlangt eingesandte Artikel oder Fotos übernimmt die Redaktion keine Verantwortung. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung von Amnesty International oder der Redaktion wieder. Die Urheberrechte für Artikel und Fotos liegen bei den Autoren, Fotografen oder beim Herausgeber. Der Nachdruck von Artikeln aus dem Amnesty Journal ist nur mit schriftlicher Genehmigung der Redaktion erlaubt. Das gilt auch für die Aufnahme in elektronische Datenbanken, Mailboxen, für die Verbreitung im Internet oder für Vervielfältigungen auf CD-Rom.

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